Joachim Ringelnatz: Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu
Mein Haus-, Hof-, Leib- und Magenheiliger Joachim Ringelnatz, der alte Seebär, tat ja immer sowas von unsentimental. Walter Giller, mit dem mich nicht viel mehr als die Initialen verbindet, hat diese Ballade, gegen die sich die gleichnamige Kategorie von Schiller wie eine Sammlung Büttenreden ausnimmt, mal im Fernsehen vorgetragen. Das war in den Siebzigern, als es noch große Fernsehmomente zu erleben gab. Man mag jene Zeiten bedauern oder belächeln, in denen unter Fernsehunterhaltung verstanden wurde, dass ein Anzugträger ein Gedicht aufsagt, aber Herrn Gillers leicht kratziger Bierbass war genau richtig. Hinterher war wieder Fernsehballett.
Das schenk ich allen Fans von Moby-Dick zu Weihnachten. So wesensfremd können Melville und Ringelnatz ja nicht gewesen sein. – Halleluja mitsammen.
Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu
Die Springburn hatte festgemacht
Am Petersenkai.
Kuttel Daddeldu jumpte an Land,
Durch den Freihafen und die stille heilige Nacht
Und an dem Zollwächter vorbei.
Er schwenkte einen Bananensack in der Hand.
Damit wollte er dem Zollmann den Schädel spalten.
Wenn er es wagte, ihn anzuhalten.
Da flohen die zwei voreinander mit drohenden Reden.
Aber auf einmal trafen sich wieder beide im König von Schweden.
Daddeldus Braut liebte die Männer vom Meere,
Denn sie stammte aus Bayern.
Und jetzt war sie bei einer Abortfrau in der Lehre,
Und bei ihr wollte Kuttel Daddeldu Weihnachten feiern.
Im König von Schweden war Kuttel bekannt als Krakehler.
Deswegen begrüßte der Wirt ihn freundlich: »Hallo old sailer!«
Daddeldu liebte solch freie, herzhafte Reden,
Deswegen beschenkte er gleich den König von Schweden.
Er schenkte ihm Feigen und sechs Stück Kolibri
Und sagte: »Da nimm, du Affe!«
Daddeldu sagte nie »Sie«.
Er hatte auch Wanzen und eine Masse
Chinesischer Tassen für seine Braut mitgebracht.
Aber nun sangen die Gäste »Stille Nacht, Heilige Nacht«,
Und da schenkte er jedem Gast eine Tasse
Und behielt für die Braut nur noch drei.
Aber als er sich später mal darauf setzte,
Gingen auch diese versehentlich noch entzwei,
Ohne daß sich Daddeldu selber verletzte.
Und ein Mädchen nannte ihn Trunkenbold
Und schrie: er habe sie an die Beine geneckt.
Aber Daddeldu zahlte alles in englischen Pfund in Gold.
Und das Mädchen steckte ihm Christbaumkonfekt
Still in die Taschen und lächelte hold
Und goß noch Genever zu dem Gilka mit Rum in den Sekt.
Daddeldu dacht an die wartende Braut.
Aber es hatte nicht sein gesollt,
Denn nun sangen sie wieder so schön und so laut.
Und Daddeldu hatte die Wanzen noch nicht verzollt,
Deshalb zahlte er alles in englischen Pfund in Gold.
Und das war alles wie Traum.
Plötzlich brannte der Weihnachtsbaum.
Plötzlich brannte das Sofa und die Tapete,
Kam eine Marmorplatte geschwirrt,
Rannte der große Spiegel gegen den kleinen Wirt.
Und die See ging hoch und der Wind wehte.
Daddeldu wankte mit einer blutigen Nase
(Nicht mit seiner eigenen) hinaus auf die Straße.
Und eine höhnische Stimme hinter ihm schrie:
»Sie Daddel Sie!«
Und links und rechts schwirrten die Kolibri.
Die Weihnachtskerzen im Pavillon an der Mattentwiete erloschen.
Die alte Abortfrau begab sich zur Ruh.
Draußen stand Daddeldu
Und suchte für alle Fälle nach einem Groschen.
Da trat aus der Tür seine Braut
Und weinte laut:
Warum er so spät aus Honolulu käme?
Ob er sich gar nicht mehr schäme?
Und klappte die Tür wieder zu.
An der Tür stand: »Für Damen«.
Es dämmerte langsam. Die ersten Kunden kamen,
Und stolperten über den schlafenden Daddeldu.
Was für ein feines Weihnachtsgeschenk!
Sternenleuchtendes Dankeschön an den Seewolf und Kuttel Daddelringelnatz.
Friedliche Seemannsweihnacht auch.
Elke
25. December 2006 at 1:28 pm
Liebster Wolf,
hier kommt auch noch ein Weihnachtsgeschenk, und ein selbstgemachtes noch dazu:
[audio src="http://www.hans-paetsch.de/downloads/hp_paetschcast.mp3" /]
Der Ringelnatzpodcast beinhaltet vier eingebettete Ringelnatzgedichte, gelesen von Hans Paetsch!
Viele Grüße von
Deinem Hamster
hamlethamster
15. April 2007 at 11:22 pm
Very pretty design! Keep working. Go on!
Kiara Moore
14. May 2008 at 10:27 pm
Hallo Ihr Landlubber,
zunächst einmal – RESPEKT vor der tollen Seite. Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Ich suche ein Gedicht von Knut Daddeldu? Kapitän?. Ein Refrain lautet “… und hau ihm trotzdem eine rein.”
Tenor ist, dass der Kapitän/Held des Gedichtes seine Crew freundlich führt, aber trotzdem …
Irgendeine Idee?
Vielen Dank und macht weiter so Euer Knut
Knut Grotzki
2. December 2008 at 11:12 pm
Danke, Sailor.
Bekannt ist mir ein Kuttel Daddeldu, der aber weder ein Kapitän noch ein Dichter ist, sondern ein versoffener kleiner Seemann, von Joachim Ringelnatz in etlichen Gedichten verwendet. Als Refrain “und hau ihm trotzdem eine rein” zu verwenden, find ich überaus cantabile, sagt mir aber nichts, was schon geschrieben sein könnte. Wenn jemand was weiß: Interessiert mich auch.
Wolf
2. December 2008 at 11:21 pm
Kennt einer das hier schon:
http://www.schlaunews.de/info-test-tipps-02042009/mit-kuddeldaddeldu-auf-grosser-fahrt/
Irgendwelche Erfahrungen?
killedchicken
9. April 2009 at 10:48 am
[…] a comment » Update zu Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu: “Knecht Ruprecht schwang seine Rute und […]
Playlist Unheilige Nacht « Moby-Dick™
22. December 2009 at 4:07 am