Melville total versaut
Update zu und Widerlegung von Sex and the Sea:
The quest for the private Melville has usually led to a dead end, and we are not likely to fare better by speculating about his tastes in bed or bunk.
Was haben wir es schon an dieser Stelle diskutiert. So sehr man es als offengeistiger Stadtmensch normal finden muss – wer seine „Toleranz“ zu erwähnen für nötig hält, outet sich schon als Faschist. So egal es einem sein könnte, das Thema lässt einen nicht in Ruhe. Es ist pubertär, aber man muss es denken dürfen: War Herman Melville schwul? – Flashing News auf Moby-Dick 2.0.
So viel vorab: Beweise wird es nie geben, auch nicht fürs Gegenteil. Das kann daran liegen, dass eine Affinität zum eigenen Geschlecht bis vor erschreckend wenigen Jahren ein Straftatbestand war, nicht aber eine Gefühlslage, die sich in Worte fassen ließ.
Selbst wenn Melville gewollt hätte: Der geschickteste Schreiber des 19. Jahrhunderts hätte sich nicht zu seiner Liebe zu einem Mannsbild bekennen dürfen, ohne sich als Sodomit anzuklagen. Mehr noch: Die Begrifflichkeit dafür war nicht entwickelt; es ging wortschatztechnisch nicht. Das war keine Schwäche: Mit den üblichen Verdächtigen, Shelley, Stevenson, Whitman und vordem Shakespeare, über deren Wortgewalt wir sehr viel mehr wissen denn über ihre sexuelle Orientierung, war es nicht anders. So unbekümmert saftspritzende homopornografische Äußerungen, wie sie Ralf König und Detlev (sic) Meyer zu Gebote stehen, sind im 20. Jahrhundert nicht erst forciert, sondern erfunden. Laut Ken Schellenberg haben jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem Amerikas schwule Männer Melville dem Vergessen enthoben.
Was Melville und die anderen nämlich konnten: Andeutungen machen, Parallelen ziehen, Gleichnisse herstellen, Männerfreundschaft hochleben lassen. Und diese Dinge sind Melville nachzuweisen. Auch in Moby-Dick. Fangen wir an mit den offensichtlichen Stellen.
Was das englische Wort dick bedeutet, wissen Sie. Die größten, wehrhaftesten und spektakulärsten Wale, mit denen sich ihre Fänger wiederholt herumschlagen mussten, trugen traditionell menschliche Spitznamen. So auch der ab 1810 auftretende Mocha Dick, der als Vorbild für Moby endete. Wie sich „Mocha“ unter Melvilles Händen zu „Moby“ wandelte, weiß man nicht; warum sich der „Dick“ (kurz für: Richard) nicht wandelte, steht zur freien Vermutung. Und: Das wilde, ungebändigte Naturwesen gehört der Gattung der sperm whales (Pottwale) an.
Weiter: Ismaels Beziehung zu (oder sollte man sagen: mit) Queequeg wird explizit mit einer Hochzeitsnacht eingeleitet – „You had almost thought I had been his wife“. Was die Bezeichnung Busenfreund heute und 1851 bedeuten kann, ist ebenfalls Gegenstand einer nicht abzuschließenden Semantik.
In die Reihe der homosexuellen Anspielungen auch das Gasthaus „Zu den gekreuzten Harpunen“ aus dem 2. Kapitel aufzunehmen, ist natürlich pubertär. Tun wir’s trotzdem.
Noch viel pubertärer wird es nämlich in Kapitel 94 – und zwar in einem Ausmaß, das wir nicht mehr missachten können. Bei Jendis heißt es Ein Händedruck, bei Melville gar nicht viel anders, aber mit viel anzüglicherem Beiklang A Squeeze of the Hand. Vorgeblich handelt es vom gemeinschaftlichen Kneten des Pottwalfettes, ein üblicher Arbeitsgang auf Walfangschiffen. Aber wie! – :
Squeeze! squeeze! squeeze! all the morning long; I squeezed that sperm till I myself almost melted into it; I squeezed that sperm till a strange sort of insanity came over me; and I found myself unwittingly squeezing my co-laborers’ hands in it, mistaking their hands for the gentle globules. Such an abounding, affectionate, friendly, loving feeling did this avocation beget; that at last I was continually squeezing their hands, and looking up into their eyes sentimentally; as much as to say, – Oh! my dear fellow beings, why should we longer cherish any social acerbities, or know the slightest ill-humor or envy! Come; let us squeeze hands all round; nay, let us all squeeze ourselves into each other; let us squeeze ourselves universally into the very milk and sperm of kindness.
Would that I could keep squeezing that sperm for ever!
usf. Man erspare mir die Übersetzung; sie ist leicht zugänglich, auch Minderjährigen. Nicht weniger haben wir hier denn ein homoerotisches Ritual einer gegenseitigen Masturbation, mit kaum erkennbarem Versuch einer verbrämenden Kodierung, und Ismael fühlt sich dabei divinely free from all ill-will, or petulance, or malice, of any sort whatsoever. Wozu so eine Stelle? Zur näheren Charakterisierung Ismaels?
Auch abseits von Moby-Dick finden sich nirgends Beweise – nur haufenweise Hinweise:
In Redburn freundet sich der erfrischend robuste Redburn (14) mit dem androgynen Harry Bolton an, der ihn in London in ein Männerbordell einführt. Ebenfalls in Redburn erscheint ein pubertierender Italiener namens Carlo – in der ganzen vorweggenommenen Schönheit eines Wilhelm von Gloeden.
In White Jacket kommen nur periphere Wortspielereien vor, die man Melville nachsehen konnte, war der Roman ansonsten ja hellsichtig genug, dass er zeitweise Pflichtlektüre im US-amerikanischen Kongress wurde (siehe Bücherliste). Wenn sie darin nicht gerade körperliche Züchtigungen aushalten, vertreiben sich die Seeleute auf dem Kriegsschiff die Zeit mit pricking (auch von Melville typografisch hervorgehoben). Das bedeutet, sich gegenseitig zu tätowieren; die Anspielung ist heute wie damals klar, die Beschäftigung gleichwohl eine höchst körperbetonte, die gern mit schwuler Ästhetik verbunden wird.
In Pierre fühlt sich der schöne und hochbegabte Pierre (19) zu gleich drei Frauen hingezogen, darunter in inzestuöser Weise zu seiner Schwester – aber nur, weil sie ihn an seinen Vater erinnert. Einmal onaniert er zu einem Porträt seines Vaters. Auch sonst sind Melvilles Einsichten aus dem Roman ihrer Zeit weit voraus und bewogen seine Umwelt, ihn als wahnsinnig einzustufen.
Aus diesen und anderen Gründen erschien Billy Budd nicht mehr zu Melvilles Lebzeiten, die schwulen Beteiligten am Melville-Revival aber mussten ihre helle Freude an ihm haben. Die Novelle über den gleichnamigen übernatürlich schönen Seemann wird uns noch gesondert beschäftigen; jedenfalls ist die exzeptionelle Schönheit des Vortoppmanns, der tragisch (also schuldlos) verfolgt wird, das handlungsstiftende Element.
Für die unter uns, die es jetzt immer noch nicht glauben: Melvilles Beziehung zu (oder sollte man abermals sagen: mit) Nathaniel Hawthorne, dem Moby-Dick und eine elysische Buchrezension gewidmet sind, kriegen wir dann ein andermal. Bald, versprochen. Leben mit Herman Melville.
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Ja, wie gesagt, sie war ja noch so jung « Moby-Dick™
18. May 2009 at 2:58 am