Lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt
oder: The White Americans have never really been proud of their own history
Update zu Was man überhaupt noch glauben soll
und Bürgerkriegsware:
Herman Melville und die Deutschen. Belesener Weltbürger, der er war, setzte er eine Momentaufnahme aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe in die dem Wal vorausschwimmenden Extracts:
The papers were brought in, and we saw in the Berlin Gazette that whales had been introduced on the stage there.
Eckermann’s Conversations With Goethe
as quoted in the Extracts for Moby-Dick
Das muss er aus der seinerzeit kursierenden englischen Übersetzung von Margaret Fuller, Boston 1839, haben. Der weite Weg vom Ereignis zu Weimar, Eckermanns Dokumentation, Fullers Übersetzung, Melvilles Kenntnisnahme bis zur Verwendung in Moby-Dick wurde also recht zügig zurückgelegt:
Es kommen verschiedene Zeitungen, und wir sehen in den Berliner Theaternachrichten, daß man Seeungeheuer und Walfische auf dortige Bühne gebracht.
Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 31. Januar 1830
Es kommen verschiedene Zeitungen, und wir sehen, dass die Nazis ihren Feiertag gestern hatten. Jenen 31. Januar 1830 verbrachte Goethe mit Eckermann über der Durchsicht seiner Jugendmanuskripte (Götz sieht sehr reinlich aus, Werther ist verloren), und die Berliner Theaterleute spinnen wieder.
Bei belustigtem Zurückblättern gab es schon prekärere Themen im Hause Goethe. 1. September 1829:
Während aber die Deutschen sich mit Auflösung philosophischer Probleme quälen, lachen uns die Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande aus und gewinnen die Welt. Jedermann kennt ihre Deklamationen gegen den Sklavenhandel, und während sie uns weismachen wollen, was für humane Maximen solchem Verfahren zugrunde liegen, entdeckt sich jetzt, daß das wahre Motiv ein reales Objekt sei, ohne welches es die Engländer bekanntlich nie tun und welches man hätte wissen sollen. An der westlichen Küste von Afrika gebrauchen sie die Neger selbst in ihren großen Besitzungen, und es ist gegen ihr Interesse, daß man sie dort ausführe. In Amerika haben sie selbst große Negerkolonien angelegt, die sehr produktiv sind und jährlich einen großen Ertrag an Schwarzen liefern. Mit diesen versehen sie die nordamerikanischen Bedürfnisse, und indem sie auf solche Weise einen höchst einträglichen Handel treiben, wäre die Einfuhr von außen ihrem merkantilischen Interesse sehr im Wege, und sie predigen daher, nicht ohne Objekt, gegen den inhumanen Handel. Noch auf dem Wiener Kongreß argumentierte der englische Gesandte sehr lebhaft dagegen; aber der portugiesische war klug genug, in aller Ruhe zu antworten, daß er nicht wisse, daß man zusammengekommen sei, ein allgemeines Weltgericht abzugeben oder die Grundsätze der Moral festzusetzen. Er kannte das englische Objekt recht gut, und so hatte auch er das seinige, wofür er zu reden und welches er zu erlangen wußte.
Holla, der alte Geheyme Rath (80). Parliert geläufig über die Motive der Sklavenbefreiung. Eine menschliche Existenz gesteht er der Handelsware nicht zu, mich erinnert seine Wortwahl an die Beurteilung der Heuernte, in einer Oberpfälzer Bauernbierschwemme vom Dorflehrer mitgeschrieben beim Versuch, dem Volk aufs Maul zu schauen.
Sehen wir es ihm nach: Auch solche, die der Negerhaltung misstrauten, ich denke da an Herman Melville in Benito Cereno und seinen humoristisch gezeichneten poor old Yorpy aus The happy Failure, nahmen bei allem Wohlwollen für die komische Rasse bestenfalls einen Paternalismus ein, für den sie heute schlicht als glatte Rassisten durchgingen, dabei waren sie in einem Kontext real existierender Sklaverei das Gegenteil davon. Es muss wirklich eine sehr fremdartige Begegnung gewesen sein, als Abendländer auf Stärkerpigmentierte trafen.
Herr PJM, der jeden lieben Tag ein Old Picture of the Day ausstellt, hat sehr treffend beobachtet, wie auffallend wenige Bilder von Negersklaven aus der Zeit existieren, als Sklaverei eine lebenserhaltende Industrie darstellte. Wenn überhaupt, zeigen die Bilder entlaufene oder befreite Sklaven, nie aber die zweibeinigen Arbeitstiere im Einsatz. Vielleicht doch ein tiefes Bewusstsein von Unrecht und Schuld bei denen, die sich Sklaven — und dann bestimmt auch Kameras — leisten konnten?
Das dokumentierte Foto zeigt Gordon, nach anderer Quelle Peter, aus Mississippi, der nach seiner Flucht zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs in Baton Rouge, Louisiana vorsprach und erst als Vorzeigeflüchtling, danach als Soldat auf konföderierter Seite Verwendung fand. 1860 waren 47% der Bevölkerung von Louisiana versklavt; 1863 für Gordon immer noch eine Verbesserung seiner Umstände. Nach Louisianas strategischem Wechsel der Kriegsfront durfte Gordon immerhin für seine Interessen eintreten.
Vom misshandelten Arbeitstier zum Kanonenfutter für seine eigene Befreiung. Memo an mich: Bei dem ganzen Wirrwarr aus Unionisten, Konföderierten, Abolitionisten, Southern Unionists und border states steigt heute sowieso kein Schwanz mehr durch; da konnte sich selbst Melvilles Lyrik darüber nur noch ins Lamento retten. Da schaut ein Dialogdrama mindestens so lang wie die Iphigenie raus, Eckermännchen.
Bilder: Scars of a whipped slave, 2. April 1863: Wikimedia Commons;
Gordon in his uniform as a US soldier: Civil War Harper’s Weekly, 4. Juli 1863.
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Heute vor 222 Jahren: « Moby-Dick™: Leben mit Herman Melville
11. September 2008 at 11:41 pm
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O Mädchen mein Mädchen (10, 30, 50, 70, 250, 260) « Moby-Dick™
28. August 2009 at 12:12 am
???
Der junge Goethe schreibt fast von nichts anderem als vom Zynismus der Welt, an dem er sich immer erneut weh tut.
Du erinnerst Dich an Mignon? (in der “Theatralischen Sendung”, nicht im späteren Zeug). W. Meister versucht wiederholt, mit dem Kind zu sprechen, aber sie läuft ihm davon, bis er einmal auf den Gedanken kommt, ihr ein par Münzen zu geben: da antwortet sie ihm kurz.
W. Meister erkundigt sich, wie das Kind so seltsam geldbewusst sei, und erfährt, dass Mignon meint, sie könne sich loskaufen.
cantueso
29. November 2009 at 10:43 am
Und wie er seine Theaterfreunde mit langen Reden über das Gute, das Schöne, das Edle, das Wahre in Begeisterung hält und meint, die Stimmung gelte seinen Worten? Er meinte, er habe die Gabe, dasjenige auszusprechen, was alle immer schon hören wollten. Und der junge Goethe weiss, wie er sich irrte.
Sie nahmen ihm dafür das Geld ab, da er ja unterwegs war, um die Schuldner seines Vaters zu mahnen.
Und wie er für die Aristokratie ein Drama schrieb, um das Gute, das Wahre etc etc lebedig vorzustellen, und der Graf schlief dabei ein und der Prinz guckte nach seinem Blackberry?
cantueso
29. November 2009 at 10:54 am
Ja Du, da hast Du Dich aber ganz schön geirrt. Jeeez.
cantueso
25. February 2010 at 1:44 pm
Zeit für ein Update.
Wolf
25. February 2010 at 2:34 pm