Alles nur Theater…?
Jürgen hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen:
Es gibt Autoren, deren Romane lesen sich streckenweise wie Drehbücher für den Film, zu dem sie einmal werden wollen. Bei manchen Passagen in den Werken von Dan Brown oder Michael Crichton kann man sich nicht nur die Szene selbst vorstellen, sondern sieht vor seinem geistigen Auge auch schon die Kameraeinstellung…
Eine solche Stelle ist auch Kapitel 36 — voller bedeutungsschwerer Handlungen, tiefer Symbolik und aufwühlender Dialoge. Der Traum eines jeden Regisseurs. Bloß: Es gab kein Filmbusiness zu Melvilles Zeit und den Moby-Dick auf eine Theaterbühne zu bringen, dürfte auch nicht in der Absicht des Autors gelegen haben.
Wenn wir hier also kein verkapptes Drehbuch haben, was dann? Nun, vielleicht doch ein Theaterstück? Aber eins, das nicht für uns, die Leser, aufgeführt wird, sondern für die Crew der Pequod — die gleichzeitig Statist und Publikum ist. Regisseur & Hauptdarsteller: Captain Ahab.
Eine glänzende Inszenierung! Ahab ruft sein Publikum zusammen, legt dann aber nicht sofort los, sondern steigert die Erwartung, indem er erst wortlos ein paar Runden dreht:
…and as though not a soul were nigh him resumed his heavy turns upon the deck.
Das Publikum wundert sich. Dann legt Ahab los, kein langweiliges Monologisieren, gleich den Zuschauer mit einbinden:
“What do ye do when ye see a whale, men?”
“Sing out for him!” was the impulsive rejoinder from a score of clubbed voices.
Ahab hat sein Publikum von Anfang an in der Hand, und als „erste befremdete Blicke“ auftauchen, spielt er seinen nächsten Trumpf aus.
Während er seiner Crew von weißen Wal erzählt, hält er ihnen gleichzeitig ein Goldstück vor, das er dem verspricht, der als ersten diesen Wal sichtet. Ziemlich clever, statt Furcht kommt gierige Vorfreude auf.
“Huzza! huzza!” cried the seamen, as with swinging tarpaulins they hailed the act of nailing the gold to the mast.
Es ist nicht Ahab, der den Namen des Wals als erster nennt, Tashtego ist es — und den anderen Harpunieren ist er auch kein Unbekannter. Ihre Worte und Starbucks Frage “Captain Ahab, I have heard of Moby Dick — but it was not Moby Dick that took off thy leg?” bringen Ahab etwas aus dem Konzept:
“Who told thee that?” cried Ahab; then pausing,
Dann gelingt es ihm, seine Leidenschaft auf die Mannschaft zu übertragen:
“Aye, aye!” shouted the harpooneers and seamen, running closer to the excited old man: “A sharp eye for the white whale; a sharp lance for Moby Dick!”
Nur einen kann er nicht überzeugen: Starbuck. Mit ihm muss er „tiefer schürfen“, ihm erklärt er seine Philosophie: „I’d strike the sun if it insulted me.“ Doch auch das ist eine Vorstellung, eine Privatvorstellung für Starbuck. Als Ahab seinen Text abgeliefert hat, wendet er sich — (Aside) — an wen eigentlich? Doch an uns, die Leser? Oder vielleicht an jemanden, mit dem er auch sonst seine Pläne bespricht, der aber noch gar nicht aufgetaucht ist?
Jedenfalls schein Ahab zufrieden zu sein mit seinem Monolog:
Starbuck now is mine; cannot oppose me now, without rebellion.
Dass Ahab hier falsch liegt, wird schnell klar: Stoßseufzen, Lachen aus der Last, Wimmern des Windes, Schlagen der Segel — Special Effects würden wir das heute nennen, die in diesem Fall wirklich an den Leser gerichtet sind:
But in his joy at the enchanted, tacit acquiescence of the mate, Ahab did not hear his foreboding invocation; nor yet the low laugh from the hold; nor yet the presaging vibrations of the winds in the cordage; nor yet the hollow flap of the sails against the masts, as for a moment their hearts sank in. For again Starbuck’s downcast eyes lighted up with the stubbornness of life; the subterranean laugh died away; the winds blew on; the sails filled out; the ship heaved and rolled as before. Ah, ye admonitions and warnings! why stay ye not when ye come? But rather are ye predictions than warnings, ye shadows! Yet not so much predictions from without, as verifications of the fore-going things within. For with little external to constrain us, the innermost necessities in our being, these still drive us on.
Nun folgen noch ein paar magisch anmutende Rituale, gemeinsames Trinken, die gekreuzten Lanzen (fast eine Art Segnung), schließlich der Todesschwur auf Moby Dick, verdeutlicht durch den Trunk aus den Harpunenmuffen. Das alles dient ganz offensichtlich nur dem Zweck, die Mannschaft zu beeindrucken. Ihn selbst bewegt das wenig, wie man an seinem Abgang sieht, eine Handbewegung, „alle gingen auseinander, und Ahab zog sich in seine Kajüte zurück.“
Bilder: Nino Sandow Arbeitsbuch: Moby Dick — Ambosskopf;
Juneau Empire: Subsistence, obsession and a new Moby Dick, 17. Mai 2001;
Moby Dick Returns to Youghal, 30. März 2009.
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Rotschopf des Tages: Sonny Burgess: Red-Headed Woman.
[…] Alles nur Theater…?, 7. März 2010. […]
Demogorgon Needs a Green « Moby-Dick™
1. December 2010 at 12:02 am