Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for January 2011

Verlängerung!

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Update zu There’ll be two winters in the year:

Dave Strong, Olga, 27. Oktober 2010Du entsinnst dich: Heute um Mitternacht sollte ja das

Januargewinnspiel:
Be a Mitreisender

zu Ende gehen. Auf vielfachen Wunsch von Hannah — immerhin der einzige, der mich erreicht hat — verlängern wir bis in einer Woche um die gleiche Zeit. Das wäre dann bis

6. Februar 2011 um Mitternacht.

Ist das okay so, alle? Ich hör ja auf jeden, der freundlich mit mir redet. Hannah braucht bis Imbolg (das ist: Samhain, Groundhog Day oder Mariä Lichtmess) zur Genesung, was ihr beiläufig bemerkt mal wieder ähnlich sieht, stimmt’s?

Bis zu diesem ersten offiziellen Frühlingsboten kannst du dir die Finsternächte mit Hannahs Freundlicher Begegnung (das ist: ihrem freudigen Fund und ihrer Empfehlung) Moby Dick: The Video Game verkürzen. Das ist eins von denen, von denen man süchtig wird, etwas bunter und graphisch ausgefeilter als Snowcraft vielleicht, und formenreicher als Tetris. Es sind immer die simplen Dinge im Leben.

Die Bilder von Reisenden, die du schon gemacht hast und genau jetzt einreichen willst, werden ja nicht ranzig, und die Bücherstapel halten ein Leben lang. Also ruhig rüber damit.

Mädchen, das Glück bringt: Dave Strong: Olga, 27. Oktober 2010.

Written by Wolf

30. January 2011 at 5:25 pm

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Now you’re just being a jerk.

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Update for Kapitel 136: Ahab geht von Bord:

David Borchart, Now you're just being a jerk, New Yorker 24. Januar 2011, page 34

David Borchart: New Yorker, January 24, 2011, page 34.

~~~\~~~~~~~/~~~

Und: Countdown fürs

Januargewinnspiel: Be a Mitreisender!

Being jerks: Gogol Bordello: Wonderlust King, from: Super Taranta!, 2007.

Written by Wolf

25. January 2011 at 4:37 pm

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160 Years Ago: Literature Makes Things Happen

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Update for More done with pens than swords [and whips]:

On January 23, 1850, Richard Bentley in London published White-Jacket; or, The World in a Man-of-War.

They [Redburn and White-Jacket] are two jobs, which I have done for money — being forced to it, as other men are to sawing wood. And while I have felt obliged to refrain from writing the kind of book I would wish to; yet, in writing these two books, I have not repressed myself much — so far as they are concerned; but have spoken pretty much as I feel. — Being books, then, written in this way, my only desire for their “success” (as it is called) springs from my pocket, and not from my heart. So far as I am individually concerned, and independent of my pocket, it is my earnest desire to write those sort of books which are said to “fail”.

Herman Melville: Letter to Lemuel Shaw, October 6, 1849.

Herman Melville, White-Jacket, Ill. A. Burnham Shute, 1850, Frontispiece p. 131. The Captain's finger was now lifted, and the first boatswainsmate advanced.

“Das Buch wurde jedem Kongressmitglied auf das Pult gelegt, und bald ging ein Gesetz durch, das die Auspeitschung in der Flotte untersagte und keine andere Strafe an deren Stelle setzte.”

Konteradmiral Franklin nach John Freeman: Herman Melville, MacMillan 1926, cit. H. M.: Weißjacke, Nachwort von Dr. Walter Weber, Manesse 1948.

In March 1850, Herman Melville published [in USA] White Jacket, or the World in a Man-of-War, a novelized memoir of his experiences in the South Seas aboard a U.S. Navy vessel.

Melville’s vivid depiction of flogging, a brutal staple of 19th century naval discipline, led New Hampshire Sen. John P. Hale to renew efforts to have Congress ban the “cat-o’-nine-tails” as a barbarous anachronism.

Flogging, which was prescribed in the original Articles of War written in 1775 by John Adams, was outlawed in the Army in 1812 but revived two decades later as punishment for desertion.

Navy officials, meanwhile, vigorously defended flogging against its critics—most often abolitionists—as the only practical means of controlling “the turbulent and ill-assorted characters common on board every ship of war.”

In 1842, a Navy court-martial convicted Capt. Uriah P. Levy, an outspoken foe of the lash, for failing to flog a disrespectful cabin boy.

Still, at Hale’s urging, Congress banned flogging on all U.S. ships in September 1850. And in July 1862, in a bill authorizing African-Americans to serve in Union militias, it was finally banned from all branches of the military.

George Hodak: September 28, 1850: Congress Bans Maritime Flogging.

Image: A. Burnham Shute for Herman Melville: White-Jacket, 1850, frontispiece p. 131:
“The Captain’s finger was now lifted, and the first boatswainsmate advanced.”

Written by Wolf

23. January 2011 at 12:01 am

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Meuterei auf der Gorch Fock

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And great care is to be taken, by timely management, to avert an incontestable act of mutiny, and so prevent men from being roused, by their own consciousness of transgression, into all the fury of an unbounded insurrection. Then for the time, both soldiers and sailors are irresistible; as even the valour of Caesar was made to know, and the prudence of Germanicus, when their legions rebelled.

Herman Melville: White-Jacket, Chapter 85: The Great Massacre of the Beards,
published January 23, 1850.

Das updaten die anderen: zu Elkes Zwei Windjammer für eine Wasserleiche:

Die neuen Hinweise gehen auf Ermittlungen zurück, die der Wehrbeauftragte nach dem Tod einer 25-jährigen Soldatin im November 2010 eingeleitet hatte. Vergangene Woche sprach einer seiner Mitarbeiter zwei Tage lang in der Marineschule Mürwik in Flensburg mit von der “Gorch Fock”-Ausbildung zurückgekehrten Soldaten. Nun informierte Königshaus den Verteidigungsminister und die Fachpolitiker in einem dreiseitigen Brief über die beunruhigenden Erkenntnisse. Das Schreiben liegt SPIEGEL ONLINE vor.

Die Darstellungen der Soldaten zeichnen ein düsteres Bild der Zustände an Bord, nachdem die Soldatin Sarah S. im brasilianischen Hafen von Salvador de Bahia während der Segelvorausbildung beim Herunterklettern aus einem Mast aufs Deck gestürzt und gestorben war. Die Marineführung entschied sich nach dem Unfall, die Ausbildung der Kadetten auszusetzen und die Offiziersanwärter nach Deutschland auszufliegen. Dies sorgte für Verwunderung, war doch in der 52-jährigen Geschichte der “Gorch Fock” noch nie eine Ausbildungsfahrt wegen eines Unfalls abgebrochen worden.

Matthias Gebauer und Hasnain Kazim: Meuterei auf der “Gorch Fock”.
Untersuchung von tödlichem Unfall, 19. Januar 2011.

Gangs of New York, Martin Scorsese, Miramax Films, Entertainment Film Distributors, 2002

Good Food, Good Pay, Good Friends: Gangs of New York, Martin Scorsese, Miramax Films, Entertainment Film Distributors, 2002.

Written by Wolf

20. January 2011 at 6:10 pm

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Possierliche Gesellen

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Update zu 1 Tonne Nagetier, Angebinde und
7 cervicals, 13 thoracics, 6 lumbars, 4 sacrals, and 21 caudals:

Populär-Wissenschaftler am Anfang des 20. Jahrhunderts, Ornithologe, Naturforscher und Vollbartträger, 1869–1934Noch unseren Vätern hat Dr. Kurt Floericke die Liebe zur Natur beigebogen, denn welchen der Herr lieb hat / den züchtiget er / Er steupt aber einen jglichen Son / den er auffnimpt (Hebräer 12,6) — eine theoretisch unpopulär gewordene Ansicht. Dennoch konnten nur aus einer solchen Grundhaltung derart eindeutige Ansichten über Floerickes Forschungsgegenstände erwachsen — ebenfalls eine unpopuläre Herangehensweise in einer Zeit, in der Wissenschaftler sich in ihren Forschungsgebieten mit betont berufsmäßiger Kühle bewegen.

Deshalb wurden Floerickes Standardwerke in der Kosmos alsbald von ihrem eigenen Vorläufer Brehms Thierleben abgelöst. Dabei wäre man mit Floericke viel schneller durch, worin sein unschätzbarer Vorteil liegt. Meist antiquarisch greifbar bleiben seine Werke wie:

    Dr. Kurt Floericke, Nagetiere. Bei uns und draußen, Der Großkonzern 2011

  • Aussterbende Tiere. Biber–Nerz–Luchs–Uhu, 1927;
  • Dr. Kurt Floerickes Vogelbuch. Gemeinverständliche Naturgeschichte der mitteleuropäischen Vogelwelt für Forst- und Landwirte, Jäger, Naturfreunde und Vogelliebhaber, Lehrer und die reifere Jugend und für alle Gebildeten des deutschen Volkes, 1922;
  • Einheimische Fische. Die Süßwasserfische unsrer Heimat, 1913;
  • Schnecken und Muscheln, 1920;
  • Tierische Gifte und giftige Tiere, 1932;
  • Wisent und Elch. Zwei urige Recken, 1930;
  • Wundertiere des Meeres, 1900

und eine schier unüberschaubare Menge verwandter Haus-und Nutzbücher; der Mann hat wirklich geackert um sein Auskommen. Von Jan Neersö neu aufgelegt und kommentiert und von Johannes Heldrich mit zeitgemäßen Bildtafeln versehen wird soeben sein Nagetiere. Bei uns und draußen von 1932. Behandelt werden: Blindmaus, Bobak, Burunduk, Eichhörnchen, Feldmaus, Flughörnchen, Hamster, Hase, Kaninchen, Lemming, Meerschweinchen, Mollmaus, Murmeltier, Pferdespringer, Präriehund, Schneehase, Springmaus, Stachelschwein, Wasserratte, Ziesel, Zwergmaus und Zwergspitzmaus. Ignoriert wird der Bilch. Dafür wird der Pottwal mit Nagezähnen dargestellt, sofern das nicht Jonas Badehose darstellen soll, denn nagetierverherrliche Veröffentlichungen dürfen nicht länger die Augen vor immerhin denkbaren Phänomenen unter den Cetaceen verschließen.

Dr. Kurt Floericke, Nagetiere. Bei uns und draußen, Der Großkonzern 2011Der Verlag Großkonzern über seine Neuauflage ab 20. Januar 2011:

Da hätten wir zum Beispiel die Zwergmaus, die dem Beobachter „ein Zwergenlustspiel, schöner und lustiger als Schneewittchen und die sieben Zwerge!” bietet und mit ihrem „unbeschreiblich anmutigen Wickelschwanz“ betört, wohingegen ihr Vetter, die gemeine Feldmaus, durch und durch Proletarier ist und allein durch Masse und Einfalt Eindruck hinterlässt. Ganz an der Spitze der Nagetiere, sozusagen der beste Nager weltweit, ist das Eichhörnchen. Es beeindruckt durch Lustigkeit, Vorliebe für Fliegenpilzspezialitäten, Verschmitztheit, Schläue, Gewandtheit, Turnerkunst, Geistesgegenwart, Reinlichkeitsliebe und ausgelassen gute Laune.

Illustriert von Heldrich Johannes, dem Hofmaler des GROSSKONZERNs, erscheint nun die Wiederveröffentlichung dieses zu Unrecht heute völlig unbekannten Werks vom Meisterwissenschaftler Dr. Kurt Floericke. Neu entdeckt wurde Floerickes Meisterwerk von Jan Neersö, einem Kulturwissenschaftler und Eichhörnchen-Liebhaber aus Leipzig, der in der Neuausgabe von „Nagetiere“ auch als Herausgeber, Vorwortschreiber und kritischer Kommentator auftritt, der manche Aussage Floerickes prüft, Verbesserungsvorschläge macht und neue Anregungen auf dem Gebiet des Hamsterhasses liefert.

Dr. Kurt Floericke, Nagetiere. Bei uns und draußen, 1932

Allein schon wegen des Ziesels.

Written by Wolf

18. January 2011 at 9:02 am

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Es ist das Meer

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Nikolaus Gelpke, Eins zu EinsSowas bewundere ich immer heillos: wenn sich einer an seine offenkundige Bieridee nach dem Ausschlafen noch erinnert — und sogar einen Telephonhörer und eine Excel-Datei in die Hand nimmt, um sie durchzuziehen. Nikolaus Gelpke hat einst mare, die Zeitschrift der Meere gegründet, die entgegen aller Marketingstrategien nicht von einer Zielgruppe, sondern von einem Inhalt ausging. Seit homo oeconomicus von Reichweiten weiß und Mediadaten auswertet, ist das einfach krank. Heute wüsste ich von keiner anderen Zeitschrift, dummy und St. Pauli-Nachrichten eingeschlossen, die so viele ergebene Fans hat, die bei der bloßen Erwähnung dieses von Anfang an liebenswerten Blättchens erst mal verzückt Luft holen, ihren glasigen Blick aufsetzen und nach Lobesworten ringen: Die Themen! Die Bilder! Die Recherchequalität! Das Papier! Die Weite, die Tiefe! Ganz wie das Meer.

Qualität kann sich durchsetzen. Muss aber nicht. Ein Jammer, dass solche Unternehmermärchen eigentlich immer Märchen bleiben. Es hat einmal funktioniert. Das beweist nichts. Der Teufel scheißt immer auf einen großen Haufen, sagt Oma.

Es ist aussichtslos, sagt der Businessplan. Es ist lächerlich, sagt der Gründungsberater. Es ist unmöglich, sagt der Finanzsachbearbeiter. Es ist nichts als Schmerz, sagt die Media-Volontärin. Es ist was es ist, sagt Nikolaus Gelpke: am 11. Januar 2011 bei Eins zu Eins. Der Talk im Interview:

http://cdn-storage.br.de/mir-live/bw1XsLzS/bLQH/bLOliLioMXZhiKT1/iLCpbHJG/uwQtsKFCuwJC/_2rc_K1S/_-iS/_-FH571S/uLoXb69zbX06/110111_1605_Eins-zu-Eins-Der-Talk_Nikolaus-Gelpke-Verleger.mp3″

(Ca. 41 Minuten, 38 MB)

Laras Sonnenuntergang

Danke: BR online für Nikolaus Gelpke, Nikolaus Gelpke für die mare, Lara für den Sonnenuntergang und wieder mal Mario Sacco für Aufmerksamkeit!

Written by Wolf

14. January 2011 at 12:01 am

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Madness maddened

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von Sonnenuntergang bis Mitternacht.

Whalemen-Schauspiele in vier Kapiteln

oder wa(h)lweise zwei Anläufen.

Elke hat Kapitel 37, 38, 39 und 40 gelesen:

Elke HegewaldSeit die Helden aus der dicken Schwarte in ihrem Gemunkel um ein weiterhin unsichtbares fettes weißes Walphantom zunehmend “auf Eisenschienen” zur Bühne streben und retardiertes Waljagen sich in düsteren bis dämmernden Selbstgesprächen Luft macht, sitzen wir dauernd in der ersten Reihe. Hey, wer, wenn nicht wir? (Auch wenn wir gelegentlich eine Weile brauchen, dort Platz zu nehmen. Oder auch ein paar wirre Anläufe.)

Erster Anlauf:

Als ich dreizehn war, fanden es meine Eltern an der Zeit und mich reif genug für Live-Kulturerlebnisse ohne böse Risiken und Nebenwirkungen. Das Bücher verschlingende Zopfmonster saß ihnen zuviel in stillen Ecken herum und verschlang unersättlich Bücher oder kramte auf dem Dachboden längst vergessene uralte Schwarten mit Wasser- und Schimmelflecken hervor, von denen es sich noch eine einschlägige Allergie holen würde. Und so verpassten sie ihm und sich ein Theateranrecht. Nicht, dass einem vor- oder nachher jemals ein besonderer Hang zu dergleichen Tun und Treiben an den Eltern aufgefallen wäre. Nicht mal Kino gehörte zu ihren Lebensgewohnheiten. Aber wer konnte schließlich das Gör unbegleitet halbe Nächte in die Bezirkshauptstadt zugfahren, geschweige denn es gen Mitternacht alleine ins traute Heim zurückgondeln lassen.

BühnenbildWie dem auch sei, so fiel ich in einen Topf mit einem wilden Gebräu der darstellenden Künste in durchwachsener Bekömmlichkeit. Der Geist von Hamlets Vater, dem Puntila sein Knecht, Goethens Götz mit der eisernen Hand, die Mutter Wolffen am Waschzuber samt Berliner Schnauze und angetrautem Schiffszimmermann, des Kleistens windiger Dorfrichter beim Geschirrzertöppern, der Ritter von der traurigen Gestalt, die untote Beinahe-Wilis Giselle und wie sie alle hießen und auch diverse seichte Tingelhelden krochen mir lebendig aus den Textbüchern und Libretti. Ich verdaute Chöre und Arien, Soli und Grand Pas de deux, große Monologe und turbulente Massenszenen.

Angetan hatten es mir ja auch damals schon die theatralischen Seeleut’, vom Fliegenden Holländer über Odysseus bis Enoch Arden, ob sie nun ihr dramatisches Seemannslos aus sich heraus und der Angebeteten ins Antlitz sangen oder es in sich hinein, in den Möwenschrei und die ewige See fabulierten. Der Ahab kam dazumal nicht vor, wieso auch, der war ja ein Romanheld. Und hey, machen wir uns mal nix vor: Jeder kennt Moby Dick, doch wer schon den mobydicken Wälzer vom alten Melville. Den hat doch schon anno dunnemals und zumal im Volltext kaum einer gelesen. Kaum einer, dem darüber aufgegangen wäre, wie bühnenreif magic Herman seinen durchgeknallten Käpt’n samt weiten Teilen der Mannschaft kapitellang aufgestellt hat und wieviel Schauspieler in dem schlummerte. Ist es dem Zopfmonster auch nicht. Dabei hat es ihn gelesen. (Tja, daran sieht man mal wieder, wozu ein zweiter Anlauf auch noch gut sein kann.) Womöglich lag das gar an der Prägung durch besagtes Anrecht auf ein Anrecht, dass es dachte, das muss so? Und auch heute zickt es deswegen noch längst nicht an Melvillen rum. Wo es inzwischen weiß, dass von dem sogar bücherlange Poeme um einen Pilger namens Clarel in ein Theater passen. Ehrenwort, ich war selber dabei.

Luca Senoner, Mind Thing, Feel the Freedom, 5. Juni 2009

Zweiter Anlauf:

Die schwere Tür klappt hinter mir ins Schloss, viel zu laut in der Stille des verschneiten Nachmittags. Wie lange bin ich nicht mehr hier gewesen. Ich husche die Treppe hoch und folge dem fernen Meeresrauschen. Die pseudobarocke Prunkloge im 1. Rang ist leer wie auch der Saal unter mir. Wie es sich in der sitzt, wollte ich schon immer mal wissen und keinen fragen müssen. Mucksmäuschenstill hocke ich mich auf den Platz ganz vorn rechts an der Balustrade…

BühnenbildUnten auf der Bühne: alles modern spartanisch. Vor einem angedeuteten (hoch gewölbten, gotischen) Kajütenfenster schaukelt eine Ölfunzel mit flackerndem Docht. In ihrem Lichtkegel nichts als ein roher Holztisch. Als Kontrast dazu echot aus den Kulissen lärmende Hektik. Füße tappen und poltern unsichtbar über die Bretter, die die Welt und heute Schiffsplanken bedeuten, aus einem Lautsprecher fiepen klagende Töne, die mir irgendwoher bekannt vorkommen. Ein Kerl mit Kapitänsmütze und einer qualmenden Tabakspfeife im Mundwinkel tritt in den Lichtschein, prüft bedächtig den Walölstand in der Funzel und beginnt vor sich hin brabbelnd um das Möbel zu hinken. Eine nervöse Stimme, offenbar die des Regisseurs, überschlägt sich: “Sogehtdasnicht sotaugtdasnix, bitteee mehrEinsatzKollegen und kannhiervielleichtmaljemandmitdenken? Verdammt, bin ich denn hier von lauter Irren umgeben?” Hihi… da spricht er wahr, denke ich und pruste los.

Ein kapitaler Fehler, wie sich herausstellt, denn nun haben sie mich entdeckt. Ein Typ mit Designerbrille schält sich von backstage aus dem düster grauen Vorhanggewirr, schaut zu mir hoch und blökt mir entgegen: “Was machen Siiie denn hier? Die. Probe. Ist. Nicht. Öffentlich!!!”

Ich rutsche von meinem samtgepolsterten Klapptrumm und suche schleunigst zu verschwinden. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie ein angestrengtes Grübeln den Blick hinter den geschliffenen Gläsern und zwei Falten die Stirn darüber kräuseln: “Heeeeee… du bist doch von der Truppe, die seit ewig und acht Tagen dem alten Melville um den Bart schreibt?!”

“Ööhm… j…aah?”, murmele ich und komme nicht mehr dazu, mir einen Reim darauf zu machen, woher der das weiß. Geschweige denn, wann wir zwei jemals zusammen Schweine gehütet haben. “Dann kennst du dich doch mit dem fetten Wal, dem Walejagen und der zusammengewürfelten Isolato-Crew hier aus. Mach, dass du hier runter kommst, aber pronto!”

Der scheint das ernst zu meinen. Ha, Regie führen bei Moby-Dick! Da träumst du von! Ich haste abwärts und die paar Stufen an der Rampe wieder hoch. Stolpere dabei beinahe über ein antikes Trichtergrammophon, das an der Kante zum Orchestergraben rumsteht. Und hastdunichtgesehen bin ich mitten in der Kulisse auf den schwanken Planken neben dem baumlangen Commander der Gauklerbande, dem ich grad mal bis zur Schulter reiche. Seine resignierte Handbewegung in Richtung Bühnenchaos deute ich als Einladung, mich in selbiges zu stürzen.

Links von mir hält sich hinter einem aufgespannten Fischernetz eine verwegen aussehende Schar in Ölzeugverkleidung bei den Schultern und übt ungelenke Tanzschritte. Das Fiepen der Walgesänge von vorhin ist immer noch da und kommt aus dem Grammophontrichter. Und unter der Funzel schmaucht und nuckelt der einbeinige Ahab-Verschnitt immer noch gemütlich an seiner Pipe. Na, denn mal Butter bei die Walfische:

Bühnenbild“Kann vielleicht grad mal jemand dem jammernden Grammophonium den Trichter stopfen! Kein Walfänger nicht tät mit dem Bauch voll Feuerwasser rum- oder whiskeyselig auf der Back tanzen, wenn irgendwo außenbords auch nur ein einziger Wal dazu singt oder bläst. Die wären schneller an den Riemen im Boot und ihren Harpunen, als der kleine Pip auch nur Piep sagen könnte.” Zum stillvergnügten Hinkebein: “Und du, Herr Kapitän: genug gequalmt und die Pfeife aus dem Maul! Der Ahab ist inzwischen Nichtraucher, weil allen Freuden des Lebens entrückt, und hat das Requisit schon vor exakt sieben Kapiteln über Bord gekickt. Außerdem sitzt du hier nicht lauschig mit Muttern vor deiner Fischerhütte und spinnst Seemannsgarn. Der Mann hat einen psychopathologischen Knacks, stellt sich auf eine Stufe mit Gott und spielt hier den großen Rächer. Also ein bissel mehr Dämonisches in den Blick, bittschön! Wer soll dir sonst den Irrsinn gewordenen Irrsinn abkaufen?”

Die Jungs auf der Back machen ihre Sache soweit ganz ordentlich, vor allem, seit der Grammophontrichter statt Walgesang irisches Fiedeln ausspuckt, Pips Tamburin scheppert und sie wieder selber Shanties grölen dürfen. Die Bande sortiert sich. Stubb mimt passabel das abwartende Publikum, das sich mit sonniger Gelassenheit das ganze Theater an Bord anschaut. Der wackere Starbuck hadert ohnmächtig mit seiner Schwäche, harrt des walischen Demogorgon und macht seiner Kapitelüberschrift alle Ehre:

“His heaven-insulting purpose, God may wedge aside. I would up heart, were it not like lead. But my whole clock’s run down; my heart the all-controlling weight, I have no key to lift again. […]

Oh, God! to sail with such a heathen crew that have small touch of human mothers in them! Whelped somewhere by the sharkish sea. The white whale is their demigorgon. Hark! the infernal orgies! that revelry is forward! mark the unfaltering silence aft! Methinks it pictures life. Foremost through the sparkling sea shoots on the gay, embattled, bantering bow, but only to drag dark Ahab after it.”

Moby-Dick, Chapter XXXVIII: Dusk.

Der maunzt nicht nur ins Dämmern, der ist die menschgewordene Dämmerung.

So wie der Rollenspieler-Captain – nun endlich doch, schau an, wie der Verzicht auf irdische Genüsse den Dämon wecken kann – inzwischen seinen Part raus hat. Er tut, what a man’s gotta do: schwafelt finster mit ebensolchem Blick, gibt überzeugend die unheilige Zweifaltigkeit von Prophet und Vollstrecker und reitet… ääh, segelt sich und seine Mannen auf den ehernen Gleisen seiner Seele in den (Sonnen)Untergang:

“I lack the low, enjoying power; damned, most subtly and most malignantly! damned in the midst of Paradise! Good night—good night! […] They think me mad—Starbuck does; but I’m demoniac, I am madness maddened! That wild madness that’s only calm to comprehend itself! The prophecy was that I should be dismembered; and—Aye! I lost this leg. I now prophesy that I will dismember my dismemberer. Now, then, be the prophet and the fulfiller one.”

Moby-Dick, Chapter XXXVII: Sunset.

***

Wind kommt auf. Die See wird unruhig. Wogen schlagen gegen die Bordwand, die Bühne beginnt zu schwanken und kleine Sturzseen gischten über die Reling. Ich ziehe die Schuhe aus, wate barfuß durch eine Salzwasserlache auf den Planken und denke, dass es Zeit ist, das verdammte Schiff zu verlassen. Die Matrosen tanzen immer noch ausgelassen. Der Seemann aus Belfast winkt mir zum Abschied zu und der Malteser und der Sizilianer passen mich am Bühnenausgang ab. Ob ich nicht noch ein wenig bleiben möchte:

Who but a fool would take his left hand by his right, and say to himself, how d’ye do? Partners! I must have partners!

Aye; girls and a green!—then I’ll hop with ye; yea, turn grasshopper!

Moby-Dick, Chapter XL: Midnight, Forecastle.

Sonst immer gerne, Jungs. Aber ich glaub, ich hab das alles nur geträumt.

Bühnenbilder: Mathias Wendel;
World of Elder Scrolls;
Kai-Uwe Fischer;
Luca Senoner: Mind Thing, i.e. Feel the Freedom, 5. Juni 2009.
Soundtrack: Kirsty MacColl: “Don’t Come the Cowboy With Me Sonny Jim!”, aus: Kite, 1989.

Written by Wolf

12. January 2011 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Januargewinnspiel: Be a Mitreisender!

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Es muss wieder sein. Vor die Tür mit uns, was bedeutet: mit mir — und: mit dir.

Teppo Moisio, Emmi, 18. Januar 2008Dabei weiß niemand besser als ich, was für ein steiniger Weg vom Bett bis ans Waschbecken führen kann, die Nordwestpassage war einmal um den Block dagegen, und vom Computer bis in die Spirituosenabteilung erst, nur von der Kneipe ins Bett ist es weiter.

Sind wir nicht alle Reisende? Jeden Tag, gewollt oder nicht? So wie der erwerbstätige Teil einer zwischenmenschlichen Beziehung, der einkommenslos sich dahinfrettende urbane Single, der Student der Geisteswissenschaften, die alleinerziehende Mutter oder das schaffend lebende Inventar eines strukturschwachen Landstrichs die letzten Helden der Post-Postmoderne sind, so dürfen wir in Pendlern, Flaneuren, Shoppern oder Passanten mit einem unmittelbaren Ziel die immer noch vorhandenen Abenteuerreisenden erblicken. Ismael war Jedermann, jeder Mensch ist Ismael.

Mach ein Bild von einem deiner Mitreisenden! Knips jemanden, der auf einem Wege ist — in der U-Bahn, auf der Straße, im Café, bei der Arbeit, in Ruhe oder in Hetze — kritzle jemanden, der dir unterwegs auffällt, mit Sparkassenkuli auf einen verknitterten Kassenzettel, Handyfoto tut’s auch, sei penibel oder gedankenschnell, es ist dein Bild. Im Gegensatz zu der Aufgabe aus dem Oktobergewinnspiel mit den drei Fremden musst du diesmal nicht vorher fragen, aber sei dir bewusst: Fragen ist anständiger und dient dem Motiv.

Wolf Gang, EIn Sommertag in München, 5. Juli 2008Eine Geschichte zu deinem Bild, egal wie du es angefertigt hast, wünsch ich mir: Was zeichnet den Menschen als Reisenden aus, woher kam er, wohin wollte er, wohin warst du selbst unterwegs, wolltet ihr dort sein? Interviewe deinen Mitreisenden oder erfinde etwas. Teil mir Bild samt Geschichte im Kommentar verlinkt oder als E-Mail-Anhang mit. Bitte bis Sonntag, 30. Januar 2011 um Mitternacht.

Ich verlose drei ausgewachsene Bücherstapel. Jeder ist so komponiert, dass was zum Freuen und was zum Wundern dabei ist, voll wie das richtige Leben. Alle Bücher sind antiquarisch, in einem ist eine ebenfalls gebrauchte CD dabei. Der Marktwert war mir wumpe, beim Porto werd ich sowieso ganz schön draufzahlen. Die Stapel sind alles mögliche, bloß nicht langweilig, und ich werd dir schon keinen Frank Schätzing unterjubeln.

Dein Beitrag findet mein kindlich erregbares Wohlwollen, wenn ich darüber staunen und/oder grinsen muss. So viel kann ich mir schon denken, dass du weder den Kapitän eines transpazifischen Schafdampfers noch die schlaksige Rothaarige herbeischaffen wirst, die ich im Juli am Kleinhesseloher See nicht angesprochen hab (oder…?), also hilf einfach an der Realität zimmern, der du angehörst.

Denn sei dir weiters bewusst: Sobald du Mitreisende hast, bist auch du ein Mitreisender; Ende des praxisphilosphischen Teils. Stell dir vor, du machst ein Bild für mein anhaltendes Lieblingsprojekt 100 Strangers — nur dass es hier ist leichter und einträglicher ist.

Ein paar Kilo Bücher gegen ein Bild zu einer Geschichte von zweieinhalb Sätzen, die noch nicht mal stimmen müssen: Vor Weihnachten kann jeder großherzig sein. Damit kannst du ziemlich lange zurück ins Bett.

Die Preise:

3 Bücherstapel

Du darfst dir einen davon wünschen. Garantieren kann ich ihn dir nicht, man wird sich jedoch einigen. Frau Küchenteufel und Andrea haben aus vergangenen Bemühungen was gut; ich hab noch ein paar Sonderschätzchen außerhalb der Stapel und kann außerdem notfalls noch unauffällig umschichten. Die schlaksige Rothaarige darf sich zusätzlich was aus der Spirituosenabteilung aussuchen. Ihr Freund kriegt den Schätzing.

Bilder: Teppo Moisio: Emmi, 18. Januar 2008 (angeblich eine echte 100-Strangerin);
Wolf Gang (nein, nicht ich): Ein Sommertag in München I, 5. Juli2008.

Soundtrack: Coeur de pirate: Comme des enfants, aus: Coeur de Pirate, 2010.

Written by Wolf

7. January 2011 at 2:56 pm

Posted in Kommandobrücke

Den stärksten Trieb zum Wasser

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Heinrich von Kleist, Wassermänner und Sirenen, Teil 1 von 5

Nach einem wütigen Sturm im Jahr 1740, der die holländischen Dämme von Westfriesland durchbrochen hatte, fand man auf den Wiesen eine sogenannte Sirene im Wasser.

Heinrich von Kleist, Wassermänner und Sirenen, Teil 2 von 5

Man brachte sie nach Haarlem, kleidete sie

Heinrich von Kleist, Wassermänner und Sirenen, Teil 3 von 5

und lehrte sie spinnen. Sie nahm gewöhnliche Speise zu sich und lebte einige Jahre.

Heinrich von Kleist, Wassermänner und Sirenen, Teil 4 von 5

Sprechen lernte sie nicht, ihre Töne glichen dem Ächzen eines Sterbenden.

Heinrich von Kleist, Wassermänner und Sirenen, Teil 5 von 5

Immer zeigte sie den stärksten Trieb zum Wasser.

Heinrich von Kleist: Wassermänner und Sirenen, in: Berliner Abendblätter, 5. und 6. Februar 1811 (Auszug).
Nach: Museum des Wundervollen, Band 1, 1803.

Die Zeichnungen stammen aus dem November 2010, als das Jahr 2011 langsam durch das Feuilleton als Kleistjahr in ein breites Bewusstsein gerückt wurde.

Nun befriedigt mich mein eigener ungelenker Zeichenstrich nie lange, am allerwenigsten die obigen unbeholfenen Resultate. Dennoch möchte ich sie veröffentlicht sehen, weil ich die schiere Existenz eines solchen Absatzes im Kleistschen Werk faszinierend genug finde: in wenigen, sachlich knappen Sätzen, über meinen Lieblingsgegenstand, realitätsnah, als journalistischer Beitrag für die Berliner Abendblätter noch in seinem Todesjahr geschrieben.

Es tröstet mich darüber hinweg, dass die Sembdner-Ausgabe neuerdings gar nicht mehr so unfehlbar sein soll, die ich erst im jungen Jahrtausend gegen meinen alten Kaufhof-Ziegel (Tempel Klassiker, kennt die noch jemand?) eingetauscht hab.

Schwarze Tinte, Rötel, kolorierte Holzkohle.

Written by Wolf

4. January 2011 at 12:01 am

Posted in Kartenzimmer

Guten Morgen erst mal.

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Nehmen wir vorsichtshalber an, 2011 kann schlimmer werden als 2010. Viel Glück uns allen!

Freu dich nicht zu früh: Element of Crime: Der weiße Hai, aus: Immer da wo du bist, bin ich nie, 2009.

Neujahrsbrief mit Aquarell. Angelnder Knabe im Boot vor einer Villa

Neujahrsbrief mit Aquarell: Angelnder Knabe im Boot vor einer Villa, Höhe 33; Breite 20,5 cm:

Fröhliche Winde, tanzende Wellen
Gebe Dir das kommende Jahr;
Nie möge Dein Boot bei Irnytow zerschellen
Oder der Müggelsee Dir drohn Gefahr.
Zieh‘ hin nach Stralow mit heißem Verlangen,
Rasch dann gefahren in’s Hemde so roth,
Bleibe ein Seemann ganz ohne Bangen,
Der nicht kennt Angst, sitzt er in sein’m Boot.

Dein Otto.
In meinem und meines Vaters
Namen.

Written by Wolf

1. January 2011 at 12:01 am

Posted in Kommandobrücke