Archive for June 2011
Das Leben ist kein [Zutreffendes streichen].
Ab 2011 neu auf dem Münchner Comicfestival: Kategorie “Bester deutscher Online-Comic” beim PENG!-Preis. Erster Gewinner: Sarah Burrini mit Das Leben ist kein Ponyhof. Glückwunsch und Unterstützung! Insidertipp: Vorne zu lesen anfangen und vorarbeiten.
Ich war nicht dabei
Update zu Vom Ungeheuren, kein Österreicher zu sein:
Ich war dabei.
Franz Schönhuber, 1981 (in anderem Zusammenhang).
Man sieht, dass Sie mein Buch nicht gelesen haben.
Thilo Sarrazin, 2010 ff.
Und — waren Sie dort, wie empfohlen? Letzten Freitag, den 17. Juni, hat ja das Wiener Burgtheater mit der umfassenden Soiree Moby Dick Revisited # 1 die 160 Jahre Moby-Dick gefeiert.
Ich Stubenhalbgelehrter komm ja nie raus; die Rezension, die mich dazu erreicht, stammt von Ulrich Weinzierl aus dem Feuilleton der Welt vom Montag, 20. Juni 2011: Auf der Jagd nach Wal und Wahnsinn. Herr Weinzierl war offensichtlich anwesend, und gefallen hat’s ihm.
Ganz zu Recht beklagt er das alte Problem solcher Multiplex-Abende egal welchen Themas: Einer Veranstaltung beizuwohnen bedeutet alle anderen zu versäumen. München zum Beispiel ruft in ebenso kulturell engagierter wie einträglicher Tradition zu “Langen Nächten” der Musik und der Museen auf: Die sind offiziell nachts um drei beendet, und in den paar Stunden zwischen 20 und 3 Uhr soll man dann ein paar hundert Musiker oder ein paar Dutzend Museen abgeklappert haben. Himmel, in sieben Stunden schafft ein Kulturbeutel mit mitteleuropäischem Fassungsvermögen maximal drei Konzerte oder zwei Museen, und wenn’s gut (oder schlecht) war, ist ihm spätestens um halb elf alles Hören und Sehen vergangen. Die Langen Nächte sind für eine lange Nacht zu kurz — außer für die Kneipenbedienungen und Securities — und für Musik und Museumsbesuche zu lang.
Für Moby-Dick finde ich es passend: Wer ein Buch feiern will, so groß und so reichhaltig wie das Leben und die Welt, sollte durch schiere Fülle überfordern, das entspricht dem Thema, so voll kann man das Burgtheater gar nicht stopfen. Und wie Herr Weinzierl berichtet, haben sie alles gegeben: Eine Lesung, ja: “Massenzitation” aller 135 Kapitel (Besserwisserfrage: einschließlich der Präliminarien mit Etymologie und Auszügen?), immerhin in der Jendis-Übersetzung, die ihrerseits vor — auch schon wieder — zehn Jahren die 150 Jahre Moby-Dick feierte und für einen im Brechtschen Sinne kulinarischen Vortrag besstimmt süffiger ist als Rathjen, einen Vortrag von Eugen Drewermann (dessen tiefenpsychologische Moby-Dick-Interpretation bei uns bislang viel zu kurz kam, weil von vergleichbarem Umfang wie der Primärtext — kriegen wir aber noch), einen Raum des World Wildlife Fund zur Information über die bedrohte Spezies der Wale, einen Bericht über ausgestopfte Wale als Jahrmarktsattraktion, einen als Ahab kostümierten Theaterdirektor (Matthias Hartmann heißt er), Seemannsmusik, Seemannsfutter und was nicht alles. Eine szenische Darstellung mit schwankender Bühne, “Da bläst er”, “Aye, aye, Sir”, “Ahoi” und “Arrr” hat sich das Haus der Mimen dankenswert verkniffen. Alles angemessen üppig.
Mich hätte ja interessiert, was Herr Drewermann nach den Jahren seit seiner dickleibigen Interpretation seinen Erkenntnissen zuzufügen oder an ihnen zu ändern hat, oder etwas angenehm Unaufgeregtes wie Judith Schalansky mit ihrem bestechend schönen Atlas der abgelegenen Inseln oder Ronald Düker mit der Geschichte des amerikanischen Walkampfs — Herr Weinzierl hat wohl hauptsächlich den in den Kommentaren zu unserer Ankündigung bemeckerten Jonathan Meese besucht. Hm.
Mir sagte der Mann bis gerade eben, was nicht an ihm liegt, gar nichts. Als Aufmacher-Bild fürs Welt-Feuilleton prangt er jetzt mit Hitlergruß vor dem Burgtheater. Was bitte soll mir das für einen Eindruck vermitteln? Dass in Wien den Schulbuben, die mit Nazisymbolen die Oberlehrer provozieren wollen, sogar schon ein Vollbart wächst? — Hach nein:
Den Höhepunkt und die strapaziöse Herausforderung des Abends bescherte naturgemäß Jonathan Meese, wer sonst? Denn das haltbarste Enfant terrible der deutschen Kunstszene hielt auf einer der beiden Feststiegen unter den Deckenfresken der Gebrüder Gustav und Ernst Klimt eine Rede, deren epische Ausmaße mit denen des Melville-Romans mühelos mithalten konnten. Freilich ist der Begriff Rede eine unverzeihliche Untertreibung für die zweieinhalb Stunden dauernde Ein-Mann-Performance. Meese braucht sich nicht wie Intendant Hartmann seemännisch zu verkleiden, er trägt stets Uniform, innerlich wie äußerlich. […]
Kein Zweifel: Peter Handkes “Publikumsbeschimpfung” ist, gemessen an Meeses Verbalaktionismus, ein Schmarren gewesen. Unermüdlich zog der Schmähredner wider die “Kackärsche”, “Pottsäue” und “Ich-Versauten” zu Felde, als unfromm barocker Bußprediger ein Abraham a Sancta Unclara. Das zur freien Entnahme kopierte Rddemanuskript, angekündigt unter dem fulminanten Titel SCHNIBBELDISCHNAPP-AHAB RAEUMT AUF, war bloß das Sprungbrett für eine Unzahl Variationen von Meeses Leib-Themen: Die “Diktatur der Kunst” als einzige Rettung vor der “Weltdiktatur der Demokratie”, absoluter Gehorsam und totaler, bei Meese “totalster” Dienst an der Sache. Hitler und Stalin, Nero und Caligula sind seine Leitmotive und Lieblingsfiguren, akustisch verstärkt durch Heil-Geschrei und zackige Gestik.
In anderer Arena würden schon zwei Minuten dieser fulminanten Kunstreichsparteitagsrhetorik fürs Einschreiten des Verfassungsschutzes genügen. Da nützten wohl auch die Huldigungen an Ahab als den “strammen Max” kaum. Schade, dass der Meister des martialischen Vokabulars brüllend vor dem falschen Auditorium auf und ab marschierte. In Galerien wäre er dafür begeistert beklatscht worden, im Burgtheater verscheuchte er die meist jungen Zuhörer bis auf ein Dutzend Unentwegter, die Sinn für den finsteren Aberwitz, die taghelle Ironie und das Selbstparodistische hatten. Meeses Mischung aus genialisch und meschugge gebührt ein Kompliment: Seine verrückte, rohe Radikalität ist — Aye, aye, Sir! — derjenigen Herman Melvilles ebenbürtig.
Aus: Ulrich Weinzierl: Auf der Jagd nach Wal und Wahnsinn, in: Die Welt, 20. Juni 2011.
Ach so, na dann, wenn’s zweieinhalb Stunden fulminante, geniale, meschuggene Kunstreichsparteitagsrhetorik ist, hab ich nix gesagt, da wär ich ja ohnehin das falsche Auditorium ohne Sinn für finsteren Aberwitz gewesen. Ist so ein haha-ist-doch-alles-ironisch hingedrehter “Political Incorrect”-Quark in Österreich eigentlich strafbar?
Es bleibt die echte Frage, was dieses selbstherrliche Geschäume auf einer Feier für ein Buch verloren hat, das keineswegs jemand geschrieben hat, der den Arm in die Höhe zu heben für Kunst und “total” für ein steigerbares Adjektiv hält — aber seit 160 Jahren manchen Leuten immer noch was bedeutet. Zweieinhalb Stunden. Nicht auszudenken, was man in dieser Zeit im restlichen Theater verpassen konnte. Egal, das Seemannsbuffet war bestimmt gut, in Wien verstehen sie was vom Essen.
Und: Gab’s Stroh-Rum? Schon achtzigprozentigen, oder? Und war jemand bei Judith Schalansky?
Auch schön: r8r: Model Reading Bible 1, 2, 3 und 4, sharpie life drawings on found cardboard, 11. Juni 2011.
Cetologie in schwedischen Wäldern
Update zu Tjolahopp tjolahej tjolahoppsan sa:
Der Wal heißt Wal, weil er im Wald wohnt.
Allerneueste biolinguistische Erkenntnis, Mitte Juni 2011 (unbewiesen).
Es ist nicht das Meer, es ist kein Pottwal, und es ist kein Walplakat.
Es ist im Wald, es ist ein Blauwal, und es ist eine Tetra-Packung Milch.
Und dennoch: Der Wald birgt Wale, der Blauwal ist weiß, und die Milch ist höchstwahrscheinlich Jogurt.
Genau muss es unser treuer Leser Klaus Jost wissen, der hat nämlich den Wal in einem schwedischen Walde beobachtet und uns mitgeteilt:
Der Text ist natürlich belehrend und zieht seinen “Thrill” aus der Bemaßung des Blauwals und aus der Menge der vom Jungtier zu sich genommenen Milch (Nicht verwunderlich bei einer Molkerei). […] Schließlich sind die Schweden ja nicht so begeistert maritim, ich erinnere an den Stapellauf der “Vasa” seinerzeit.
Der Text, er lautet:
Havets mjölkälskare
Gillar du mjölk? Hur du än gör kan du aldrig få i dig lika mycket som en blåvalsunge. För då spricker du. Blåvalens ungar får nämligen i sig uppemot 500 liter mjölk om dagen. Mjölken från mamman är fet som grädde. En blåvalsunge väger ungefär 3000 kilo vid födseln och ökar i vikt med omkring 100 kilo varje dag.
En vuxen blåval kan bli över 30 meter lång och är det största djur som har funnits på vår planet. Bara tungan kan väga lika mycket som en elefant. Och valens hjärta väger lika mycket som en bil. Hjärtat behöver vara stort för att kunna pumpa ut blod i den enorma kroppen.
Gillar krill
Blåvalarna trivs bäst i vattnen kring Arktis och Antarktis och lever på krill, en sorts små räkor. I en enda mun kan blåvalen ta in tillräckligt med krill för att fylla en swimmingpool.
Und weil der Kollege Jost da oben weder zum Walfang noch zum Vorkauen dessen weilt, was der interessierte Freund schwedischer Molkereiprodukte sich ohne weiteres herbeigoogeln kann,
[könnte er] eine exakte Übersetzung […] liefern, jedoch erscheint es mir nicht nötig, da Sie ja über ein gewisses sprachliches Rüstzeug verfügen. Vieles lässt sich ableiten, bekanntermaßen hat das Schwedische lediglich die 2. mittelhochdeutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht (glaub ich).
Ja, stimmt. Das hat der Google-Übersetzer allerdings auch nicht:
Sea Milchliebhaber
Mögen Sie Milch? Wie Sie dabei vorgehen können Sie nie in dir so viel wie ein blåvalsunge bekommen. Denn dann knacken. Blauwal Welpen kann nämlich selbst bis zu 500 Liter Milch pro Tag. Milch von der Mutter ist Fett als Sahne. Ein blåvalsunge wiegt etwa 3000 kg bei der Geburt und erhöht in Gewicht um etwa 100 Kilogramm pro Tag.
Ein ausgewachsener Blauwal kann 30 Meter lang überschreiten und ist das größte Tier, das auf unserem Planeten existiert hat. Nur die Zunge kann so viel wiegen wie ein Elefant. Und der Wal das Herz wiegt soviel wie ein Auto. Das Herz muss groß sein, um Blut in den riesigen Körper zu pumpen.
Wie Krill
Blauwale gedeihen in den Gewässern rund um die Arktis und in der Antarktis leben und sich von Krill, eine Art kleine Garnelen. In einem Blauwal Mund kann in ausreichend Krill zu ergreifen, um ein Schwimmbad zu füllen.
Danke für Bilder und Originaltext, Herr Nachbar!
Schön spricht der Physiologus: Teil 3 von 3: vom Meerestier, das Säge genannt wird
Update zu den Sirenen, Eselskentauren und Walfischen:
39. Vom Meerestier, das Säge genannt wird (serra)
Es gibt ein Ungeheuer im Meer, das hat große Flügel. Und wenn es ein Schiff mit Segeln sieht, will es diese nachahmen und erhebt seine Flügel und segelt dahin um die Wette mit den segelnden Schiffen. Wenn es aber 30 oder 40 Stadien zurückgelegt hat, wird es müde und läßt vor Müdigkeit die Flügel fallen, und die Wogen tragen es auf seinen alten Platz.
Deutung: Das Meer ist der Welt zu vergleichen und die Schiffe den Aposteln und Märtyrern, die, nachdem sie das Meer durchsegelt und die Händel der Nahrung ausgehalten haben, in den friedlichen Hafen einlaufen, in das himmlische Königreich. Das Tier aber kann man denen vergleichen, die das asketische Leben versuchen und doch wieder umkehren in ihr früheres irdisches Leben.
Schön spricht der Physiologus über das Säge-Untier.
Anders: Das Meer bedeutet die Welt, die Schiffe die heiligen Apostel, die diese Weltzeit aushalten und die Kräfte des Widersachers. Die “Säge”, die es nicht aushält, mit den Schiffen zu segeln, sind die, die nur zeitweilig in der Gemeinde leben und nicht bis zum Ende aushalten. Denn obwohl sie mit guten Werken begonnen haben, haben sie nicht bis zum Ende ausgehalten wegen Geiz oder Hoffart oder Ehebruch oder Habgier oder Hurerei oder Haß. Und die Wogen des Meeres, das sind die Kräfte des Widersachers, bringen das Gemeindeglied in die Hölle.
Zitiert nach: Physiologus. Naturkunde in frühchristlicher Deutung.
Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Ursula Treu,
Union Verlag (VOB) Berlin 1981, im Artia Verlag Hanau, 1998.
Bild: Der Ältere Physiologus um 1070 via Bibliotheca Augustana.
Bestiarisches Ziergetön: Cat Power: Lived in Bars, aus: The Greatest, 2006.
Schön spricht der Physiologus: Teil 2 von 3: vom Walfisch
Update zu den Sirenen und Eselskentauren:
17. Vom Walfisch (aspidochelone)
Salomon sagt in seinen Sprüchen: „Gib nicht acht auf ein schlechtes Weib; denn die Lippen der Hure sind süß wie Honig, und ihre Kehle ist glatter als Öl, aber hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Denn die Füße der Unvernunft führen ihre Diener nach dem Tode in die Hölle.“ Es gibt ein Untier im Meer, das Walfisch heißt, das hat zwei Eigenarten.
Die erste ist diese: Wenn es hungrig ist, öffnet es sein Maul, und ein gewaltiger Wohlgeruch kommt aus dem Maul, und die kleinen Fische riechen das und drängen sich in sein Maul, und es schluckt sie hinunter. Die großen und ausgewachsenen Fische nähern sich, wie ich finde, dem Untier nicht.
So ködern auch der Teufel und die Ketzer durch ihre trügerische Beredsamkeit – das ist durch den Wohlgeruch ausgedrückt – die, die noch töricht und nicht vollkommen im Bewusstsein sind, die in ihrem Denken Vollkommenen lassen sie unbehelligt. So ist Hiob ein ausgewachsener Fisch, Moses, Jesaja, Jeremia und die ganze Schar der Propheten. So ist Judith dem Holofernes entflohen, Esther dem Artaxerxes, Susanna den Alten, Thekla dem Thamyris.
Die andere Eigenart des Untiers ist diese: Es ist riesengroß wie eine Insel. Die Seeleute, die das nicht wissen, binden ihr Schiff an ihm fest wie an einer Insel, werfen die Anker aus und machen die Schiffspflöcke fest. Dann entzünden sie auf dem Tier ein Feuer, um sich etwas zu kochen. Wenn ihm nun heiß wird, taucht es in die Tiefe und reißt das Schiff mit sich.
So auch du, wenn du dich mit deiner Hoffnung an den Teufel klammerst, wird er dich mit sich in die Hölle des Feuers in die Tiefe reißen.
Schön spricht der Physiologus vom Walfisch.
Zitiert nach: Physiologus. Naturkunde in frühchristlicher Deutung.
Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Ursula Treu,
Union Verlag (VOB) Berlin 1981, im Artia Verlag Hanau, 1998.
Bild: The Medieval Bestiary.
Bestiarisches Ziergetön: Cat Power: Werewolf (beachten Sie eine brutalere, aber angemessen stimungsvolle und cineastisch ergiebige Verbilderung), aus: You Are Free, 2003.
Schön spricht der Physiologus: Teil 1 von 3: von den Sirenen und Eselskentauren
13. Von den Sirenen und Eselskentauren (sirena et onocentaurus)
Der Prophet Jesaja sagte: “Dämonen und Sirenen und Igel werden in Babylon tanzen.” Der Physiologus sagt über Sirenen und Eselskentauren, daß die Sirenen sterbliche Wesen im Meer sind, und mit süßem Gesang betören sie die, die sie hören, daß sie in einen Schlaf verfallen, sogar bis zum Tode. Halb — bis zum Nabel — haben sie die Gestalt eines Menschen und halb — bis zum Ende — die einer Gans. In gleicher Weise haben auch die Eselskentauren oben die Gestalt eines Menschen und unten die eines Esels.
Anders: Das Männchen ist bis zum Nabel Mensch, im übrigen Pferd. So auch das Weibchen. Bis zum Nabel gleicht es einer Frau, im übrigen hat es die Gestalt einer Gans, was man eine Sirene nennt; von einem “Lied der Sirenen” redet Hiob.
Deutung: So ist jeder Zweifler unbeständig in allen seinen Wegen. Da gibt es welche, die in der Gemeinde versammelt sind, die die Gestalt der Frömmigkeit haben, ihre Kraft aber verleugnen. Und in der Gemeinde sind sie wie lebende Menschen, wenn sie aber die Gemeinde verlassen, sterben sie. Solche Leute nehmen nun die Gestalt von Sirenen und Eselskentauren an, der feindlichen Mächte und der lästernden Häretiker. Denn durch ihre süßen Reden und prächtigen Worte verführen sie wie die Sirenen die unschuldigen Herzen. “Denn es verderben schlechte Beispiele gute Sitten.“
Schön spricht der Physiologus über die Sirenen und Eselskentauren.
Zitiert nach: Physiologus. Naturkunde in frühchristlicher Deutung.
Aus dem Griechischen übersetzt und herausgegeben von Ursula Treu,
Union Verlag (VOB) Berlin 1981, im Artia Verlag Hanau, 1998.
Bild: The Medieval Bestiary.
Bestiarisches Ziergetön: Cat Power: Sea of Love, aus: The Covers Record, 2000,
Original John Phillip “Phil Phillips” Baptiste, 1959.
Vom Ungeheuren, kein Österreicher zu sein
Not like me now, I’m so busy with everything,
that I don’t look at anything, but I’m sure I’ll look when I am older.
And it’s funny how I imagined that I could be that person now,
but that’s not what I want, but that’s what I wanted,
and I’d be giving up somehow.
How strange to see
that I don’t want to be the person that I want to be.Amanda Palmer: In My Mind, in: Amanda Palmer Goes Down Under, 2011 (“I still have a tattoo to get”).
Liebe Gemeinde — und damit meine ich vor allem die — hüstel, hüstel! — aktiven Mitsegler auf der P.E.Q.U.O.D. — liebe Gemeinde, es fällt schon auf. Und dass es überhaupt noch auffällt, das ist gut, denn es spricht vom Interesse unseres — um nicht zu sagen: eures — sehr wohl vorhandenen Publikums.
Sollte es jemandem entgangen sein: Der Poor Richard hat kommentarweise feinsinnig beobachtet und zusammengefasst:
Österreich scheint neben mutigen Verlagen auch mutige Theater zu unterhalten.
Moby-Dick fühlt sich zwischen den weißen Alpenbuckeln offensichtlich wohl. Radio Bayern 2 landet regelmäßig seit dem Hörspiel Interessantes zu Herman an, mare hat in Bayern deutschlandweit die meisten Abonnements und München liegt bekanntlich am Meer.
Stimmt alles. Und die Bundesmarine ist voller Schwaben, die Schiffswerften voller Sachsen, dafür praktizieren die Hafenjungen in Wien.
Wer am Freitag, den 17. Juni 2011, in Wien ist und noch nichts für den Abend vorhat, sollte ruhig mal ins Burgtheater. Da gibt’s nur an diesem einen Tag:
‹Moby Dick Revisited # 1›
Eine Soirée und Grundlagenforschung in 135 Kapiteln
zum 160. Geburtstag des Romans von Herman MelvilleEs geht an Bord…
Herman Melvilles Roman „Moby-Dick; or, the Whale“ aus dem Jahre 1851 war zu Lebzeiten seines Autors kein großer Erfolg beschieden. Heute ist die Geschichte der Jagd nach dem weißen Wal längst in das kollektive Gedächtnis unserer Kultur eingegangen und gilt als Zeugnis einer geradezu seismographischen kulturellen Selbstbeobachtung.
Der weiße Wal kann als Symbol für globale Machtansprüche einer Supermacht gelten, aber auch für die leere Besessenheit einer von Gott verlassenen Welt stehen, als letztes Aufbäumen einer von der Ausrottung bedrohten Gattung. Die Künste, die Wissenschaften und auch die Religion kennen den Wal als Riesen der Weltmeere, als den Leviathan, auf den urzeitliches Wissen, eine ozeanische Sehnsucht, monströse Besessenheit und romantische Leidenschaft projiziert werden. Melville konstruierte seinen Roman aus 135 ästhetisch unterschiedlichen Kapiteln: vom Abenteuerroman bis hin zur Chronik, von actiongeladenen Szenen bis zu hochwissenschaftlichen Abhandlungen. Und nie kann Melville das Auge von ihm abwenden, Moby Dick.
An diesem Abend wird das Burgtheater zum Walfangschiff „Pequod“: Unter Führung von Kapitän Jonathan Meese als Ahab alias Dr. Eiahab (SCHNABBELDISCHNAPP-AHAB RÄUMT AUF) und dem wachen Blick von „Ismael“ Eugen Drewermann („Moby Dick oder Vom Ungeheuren, ein Mensch zu sein“) macht sich die Mannschaft auf die Suche nach „Mocha Dick“. Mit an Bord: Jörg Diernberger (Gitarre), Nils Röller (Medientheoretiker, „Das Ich als Schiff – Ahabs Steuer“), Erich Lessing (Fotograf u.a. bei den Dreharbeiten von John Hustons Filmklassiker), Judith Schalansky („Atlas der abgelegenen Inseln“), Johannes Stüttgen (Autor, Mitstreiter von Joseph Beuys, Gesellschafter des Omnibus für direkte Demokratie), Axel Hein (WWF Österreich), Ronald Düker (Kulturwissenschaftler, „Die Geschichte des amerikanischen Walkampfs“), Thomas Ernst Brunnsteiner („Jonah, der Finnwal“), Dietrich Kuhlbrodt (Filmkritiker und Staatsanwalt a.D.) und Martina Wimmer (Autorin).
Die Fahrt beginnt um 19.30 im Vestibül („Nantucket“), ab 21.30 Uhr weitet sich die Expedition auf das ganze Burgtheater aus, im 1. Pausenfoyer werden ebenfalls ab 21.30 Uhr Ensemblemitglieder des Burgtheaters einzelne Kapitel für einzelne Zuschauer lesen und mit vereinten Kräften alle 135 Kapitel des Romans zu Gehör bringen.
In der Offiziersmesse: Seemannsmusik, im Frachtraum: Maritime Köstlichkeiten.
„Moby Dick stellt Dir nicht nach. Du bist’s, der ihm in Deinem Wahne nachstellt.“
Ich fass es einfach nicht. Kann man es kürzer und knackiger sagen, kann man gewinnender einladen, kann man kompetentere Leute in einem würdigeren Rahmen versammeln — kann man ein sinnvolleres und erschöpfenderes Event ausrufen?
So dicke Bretter wollten wir immer bohren, und da wartet man und verschiebt und lässt alle Flotten, Schwärme, Mannschaften und Strömungen an sich vorbeiziehen — und das Burgtheater trommelt in ein paar Stunden durch, was wir in fünfzig Jahren nicht schaffen werden.
“Man” wartet und verschiebt? Nein, Quatsch, das sind wir schon selber, allen voran ich. Liebe Gemeinde (siehe oben), hier weht in Kürze ein anderer Wind, das will ich so dümpelig nicht mehr haben.
Sagt auch Poor Richard im obigen Atemzug:
Nebenbei: Wann geht es denn eigentlich hier weiter? Während die Ösis Moby-Dick an einem Abend zur Strecke bringen, dümpelt München in einer Flaute?
Da hat der Mann schon recht. Danke fürs Anschubsen, Herr Nachbar. Was wir hier in den Meta-Beschreibungen äußern, ist unter anderem ein Versprechen, und ich beabsichtige es zu halten, auch wenn ich weder dafür bezahlt noch davon unsterblich werde. Moby-Dick™ hat immer noch um die 300 Besucher am Tag — das ist plenty für eine gleich fünf Jahre alte Präsenz aus Second-hand-Inhalten, die selber nie so genau wusste, wo sie eingeordnet sein will, und seit deutlich mehr als einem Jahr aus Lückenbüßern besteht, deren Halde eher wächst als schrumpft — und ich bin dankbar und froh darum, dass sich meistens nur die wohlwollenden zu Worte melden. — Ist das ein Ansporn?
Nicht dass hier je etwas Wahrnehmbares passiert wäre, nachdem ich meine Worte aufrüttelnder gewählt hab, aber man kann es nicht einfach ungesagt lassen.
Nochmal Poor Richard:
Es darf gerne auch weiter thematisch passend oder unpassend mit Amanda Palmer garniert werden.
Machen wir doch glatt. Zur Feier des pfingstlichen Tages mein so ziemlich liebstes von ihr, “fuck yes“:
Pfingsten, das liebliche Fest: Amanda Palmer: In My Mind, aus: Amanda Palmer Goes Down Under, 21. Januar 2011;
siehe Frau Palmers eigenen Weblog.
Bild: Gregory Peck als Captain Ahab in Moby Dick 1954, veröffentlicht 1956, via Burgtheater Wien.
All the sufferings of these miserable men of the Essex
Update zu Sehnsucht der harten ZDF-Kunden:
Unser aufmerksamer frei flottierender Mitarbeiter Klaus Jost meint: “Ist mal wieder KEINE Literatur, aber vielleicht doch mal interessant zu sehen, wie das Thema ins Doku-Tainment (das sind die mit den dramatischen Stimmen) umgesetzt worden ist.”
Morgen, am Dienstag, den 7. Juni 2011, von 15.55 Uhr bis 16.40 Uhr auf ZDFneo: Sommer der Entdeckungen: Moby Dick, der Killerwal:
Terra X dokumentiert ein einmaliges Drama der Seefahrtgeschichte: den Angriff eines 80-Tonnen-Wals auf ein Schiff. Bisher hatte man Herman Melvilles Abenteuerroman vom Killerwal für reine Fiktion gehalten. Es war daher eine Sensation, als man 1999 die The Loss of the Ship Essex, Sunk by a WhaleQuellen seiner Inspiration entdeckte: Tagebücher, die die unglaubliche, aber wahre Geschichte von Moby Dick erzählen. 1819 startet das Walfangschiff Essex in Nantucket an der Ostküste Amerikas zu einer dreijährigen Jagd auf den Pottwal und seinem kostbaren Öl. Doch mitten in der Unendlichkeit des Pazifiks werden aus Jägern Gejagte. Ihr Schiff wird zweimal von einem Meeresungeheuer gerammt und versenkt. Anders als in Melvilles Wal-Saga, beginnt die wahre Horrorfahrt erst mit dem Untergang der Essex: der 93-tägige Überlebenskampf von 20 Schiffbrüchigen. Nur acht Männer überleben den Todeskampf, weil sie eine grauenvolle Entscheidung treffen, die über das menschlich Vorstellbare hinaus geht. Killerwal Moby Dick stellt mit Hilfe von historischen Inszenierungen, Computer-Animationen, dokumentarischen Aufnahmen und historischem Archivmaterial die Schreckensfahrt der Essex und ihrer Besatzung nach und untersucht die Frage, unter welchen Umständen Menschen zu Kannibalen werden können. Darüber hinaus wird die einstige Weltmetrople des Walfangs, Nantucket, vorgestellt und realistische Einblicke in die brutale Arbeitswelt der Walfänger und die grosse wirtschaftliche Bedeutung des Walöls im 19. Jahrhundert vermittelt.
Das ist eine Dokumentation aus Deutschland von 2003, also offenbar jugendfrei bis kindergerecht. Ham Sie noch’n Fernseh?
Bild: Nemo65: Girl With Kitten, C.R. Tucker, Juni 1908.
I’ve wasted so much time writing songs and playing on my guitar
From the series of sinnstiftende songs:
Video directed by Andy Douglass; camera by Nick Donnelly & Andrew Stebulitis @ Moving picture productions; additional camera by John Laws.
Young Rebel Set: If I Was, 2009.
If I was a sailor, I would sail you out to sea,
take you across the ocean and ask you to marry me.
Oh if I was sailor, I would sail you home to me. […]And if I was a writer, I would write a book on you,
I’d tell them all the stories of the things we used to do.
Oh if I was a writer, I would write the book on you.
Polaroid: Christina Dichterliebchen, April 29, 2011.
The mates and harpooneers of the Pequod might more properly be said to have lived out of the cabin than in it.
Update for A Whale Off Port Bow! and Der arme Flask:
By Happy Chic decorative home accessories and designer pottery from Jonathan Adler:
- Whale Pitcher: $95.00;
- Whale Butter Dish: $68.00;
- Whale Candleholder: $45.00.
And poor little Flask, he was the youngest son, and little boy of this weary family party. His were the shinbones of the saline beef; his would have been the drumsticks. For Flask to have presumed to help himself, this must have seemed to him tantamount to larceny in the first degree. Had he helped himself at that table, doubtless, never more would he have been able to hold his head up in this honest world; nevertheless, strange to say, Ahab never forbade him. And had Flask helped himself, the chances were Ahab had never so much as noticed it. Least of all, did Flask presume to help himself to butter. Whether he thought the owners of the ship denied it to him, on account of its clotting his clear, sunny complexion; or whether he deemed that, on so long a voyage in such marketless waters, butter was at a premium, and therefore was not for him, a subaltern; however it was, Flask, alas! was a butterless man!
[…]
It was a sight to see Queequeg seated over against Tashtego, opposing his filed teeth to the Indian’s: crosswise to them, Daggoo seated on the floor, for a bench would have brought his hearse-plumed head to the low carlines; at every motion of his colossal limbs, making the low cabin framework to shake, as when an African elephant goes passenger in a ship. But for all this, the great negro was wonderfully abstemious, not to say dainty. It seemed hardly possible that by such comparatively small mouthfuls he could keep up the vitality diffused through so broad, baronial, and superb a person. But, doubtless, this noble savage fed strong and drank deep of the abounding element of air; and through his dilated nostrils snuffed in the sublime life of the worlds. Not by beef or by bread, are giants made or nourished. But Queequeg, he had a mortal, barbaric smack of the lip in eating—an ugly sound enough—so much so, that the trembling Dough-Boy almost looked to see whether any marks of teeth lurked in his own lean arms. And when he would hear Tashtego singing out for him to produce himself, that his bones might be picked, the simple-witted steward all but shattered the crockery hanging round him in the pantry, by his sudden fits of the palsy. Nor did the whetstone which the harpooneers carried in their pockets, for their lances and other weapons; and with which whetstones, at dinner, they would ostentatiously sharpen their knives; that grating sound did not at all tend to tranquillize poor Dough-Boy. How could he forget that in his Island days, Queequeg, for one, must certainly have been guilty of some murderous, convivial indiscretions. Alas! Dough-Boy! hard fares the white waiter who waits upon cannibals. Not a napkin should he carry on his arm, but a buckler. In good time, though, to his great delight, the three salt-sea warriors would rise and depart; to his credulous, fable-mongering ears, all their martial bones jingling in them at every step, like Moorish scimetars in scabbards.
But, though these barbarians dined in the cabin, and nominally lived there; still, being anything but sedentary in their habits, they were scarcely ever in it except at meal-times, and just before sleeping-time, when they passed through it to their own peculiar quarters.
Herman Melville: Moby-Dick, Chapter XXXIV: The Cabin-Table.
Soundtrack: Hot Buttered Rum: Flask, Alas! mit abermaligem Dank an Jürgen.
Out of stock: Whales Salt & Pepper: