All the subtle demonisms of life and thought
Hannah hat Kapitel 41: Moby Dick gelesen und sich in ihren black & white Debütantinnensüdwester geschmissen:
Und hundert Mal den Stift zur Hand genommen und wieder weggelegt, verlassen von jeglichem Mut und ein wenig verschüchtert. Dieser Text hätte schon vor über zwei Monaten fertig werden sollen und können, doch ich bitte Sie und den Kapitän um Vergebung, auch für eventuell ungewohntes Vokabular: Ich habe erst sehr spät Deutsch gelernt.*
Also beginne ich beim Anfang, und zwar beginne ich so, wie ich in meinen eigenen Gefilden meine Leser ansprechen würde, und wir tun einfach mal alle so, als wären Sie mein übliches Publikum, das weiß, worauf es sich da eingelassen hat:
Ahoi, verehrte Leser!
So schreibt denn Phrixus tatsächlich nun über Ahab und den weißen Wal…
I, Ishmael, was one of that crew; my shouts had gone up with the rest; my oath had been welded with theirs; and stronger I shouted, and more did I hammer and clinch my oath, because of the dread in my soul.
Und diese Furcht in unseren Seelen, wenn wir spüren, dass wir uns gerade auf etwas einlassen, das zu groß und überwältigend, das unser Untergang und Verderben, oder schlicht eine ganz, ganz blöde Idee ist, wenn wir ehrlich sind, begleitet und trägt uns alle diese Furcht durchs Leben. Umso lauter rufen wir, umso lauter schwören wir – denn wie sonst könnten wir hinterher noch in den Spiegel blicken? Fehler einzugestehen ist eine Sache, eine ganz andere aber ist es, sich die Furcht vor der eigenen Courage, die Furcht vor dem Unbekannten und der möglicherweise unheilvollen Zukunft einzugestehen, denn immer ist da jemand in uns selbst, der uns einen Feigling nennt. Jemand, der fragt, “Scheiß drauf, warum tust du’s nicht einfach?” – Und dann wacht man mit einem neuen Tattoo oder in einem Keller voller Zombies auf, jagt einen mörderischen Wal oder ist plötzlich im siebten Monat schwanger. Je nachdem.
Warum ich so viel rumpsychologisiere? Weil das das große Thema in Kapitel 41 ist. Kurz zusammengefasst: Wer zu faul oder zu blöd ist, sich eine Interpretation der Charaktere Ahab oder Moby Dick selbst zu erarbeiten, dem nimmt Ishmael hier dankenswerterweise die Arbeit ab. Wird modernen Schriftstellern als absolutes No-Go verboten, aber Melville ist ja kein moderner Schriftsteller. Er neigt – und das gilt ja in gängigen Workshops als Anfängerfehler – dazu, ins Plaudern über Gott und die Welt zu geraten und hier gibt er eben eine schöne psychologische Deutung sowohl Ahabs als auch des Wals zum Besten. Heutzutage würde das keiner machen, nicht mal in Form eines unzuverlässigen Ich-Erzählers, der über andere Charaktere spricht. Man verkneift es sich einfach. Und wer es doch tut, gern in Kriminalromanen, muss sich schon verdammt viel Mühe geben. Melville jedoch, der ja in den vorigen Kapiteln auch einfach einen akuten Anfall von “Drehbuch” hatte, kann sich das ernsthaft leisten, sogar mit der bescheuerten Anmerkung am Schluss, dass es da noch mehr zu ergründen gäbe, als Ishmael es hier kann (haha, doch noch ein kleiner Rettungsversuch vom Herman, nur so für alle Fälle). Und überhaupt, alle Schüler der Welt sollten im noch heute auf Knien dafür danken, auch wenn er dem geübten Leser dabei nicht viel Neues verrät, das man sich nicht irgendwie schon selbst zusammengereimt hätte. Der Wal ist nicht unbedingt ein missverstandes, dummes Tier, sondern auf unheimliche Weise tatsächlich bösartiger als andere seiner Art. Und Ahab ist eben verrückt wie der Osterhase, auch wenn er das in seinem Alltagsverhalten nicht zeigt, also nicht mit seiner Unterhose auf dem Kopf herumläuft. Aus Berechnung heraus verhielt er sich zunächst gesellschaftlich akzeptabel und plante zugleich insgeheim seinen großen Rachefeldzug. Und obwohl Moby Dick mehr ist als ein Wal, so ist doch Ahabs Rachedurst noch größer und wirft die Frage auf, wer der größere Antagonist ist.
All that most maddens and torments; all that stirs up the lees of things; all truth with malice in it; all that cracks the sinews and cakes the brain; all the subtle demonisms of life and thought; all evil, to crazy Ahab, were visibly personified, and made practically assailable in Moby Dick. He piled upon the whale’s white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart’s shell upon it.
Und wir wissen aus jeder klassischen Tragödie, dass eine so schöne Obsession am Schluss alle ins Verderben reißt, es sei denn, man ist ein anderer Kapitän:
Nun habe ich leider doch keinen Anknüpfungspunkt gefunden, um über Ahabs oder Moby Dicks Beziehung zur Mutter zu spekulieren – vielleicht in späteren Kapiteln, bester Wolf. Mein Identifikationspotential mit Moby Dick wächst dafür mit jedem Tag und dem Leibesumfang – ich fühle mich immer mehr wie eine gestrandete Pottwalkuh. Im neunten Monat gibt’s dann als Dreingabe ein passendes Foto.
* Das ist natürlich eine Lüge.
Bilder: 1. Die schwarze Hannah: die schwarze Hannah;
2. Der weiße Wal: Rockwell Kent: Illustration zu Kapitel XLI: Moby Dick Rockwell Kent Gallery im Plattsburgh State Art Museum,
auf druckfähigen 300 dpi via ed ed, 2008.
Film: Star Trek: Der erste Kontakt, 1996.
Na, das war doch mal eine Einführung in Moby Dick und seinen komischen Käptn, die sich rasant gewaschen hat. So gefällt mir das. Bitte mehr davon, miau!
Moritz v. Königstein
1. July 2011 at 1:08 am
Hannah, du hast schon Fans! :o)
Hei, ist das schön, wenn’s weitergeht. Sogar mit dem, womit es weitergehen sollte. Mit aller zu erwartenden perkiness geschickt allein der Schachzug, einfach mit Kapitel 41 fortzufahren statt mit der vorausgehenden Operette in vier Akten, die wir wahrscheinlich doch guten Gewissens als abgehandelt betrachten dürfen. Gerade hab ich das Post-it auf dem 1-seitigen Volltext ein Kapitel weiter gepappt. Das fühlt sich an wie Fahrtwind, und endlich muss mal nicht ich eine Kapitelvorlage liefern, tirili.
Ist doch hübsch geworden. Und wie ich schon in meinem Sermon zur letzten angefallenen Besprechung sagte – es war die von Elke zu Kapitel 37 bis 40 –: Nein, wir müssen hier nicht wöchentlich einen Proseminarschein verdienen. Würde es motivierend wirken zu verraten, dass Hannahs Original-Datei aus keinen 5000 Zeichen bestand (4076 ohne, 4889 mit Leerzeichen), dem Gegenwert von eineinhalb A4-Seiten – einer Menge, die man als Gelernter gefälligst pro halbe Stunde zu liefern hat? Unsere Mannschaft besteht inzwischen aus drei (mehr oder weniger) Aktiven: außer mir, your humble keeper of the password, noch zweien, die ich bewusst hier reingezerrt hab – wobei ich mir etwas gedacht hab: dass ihr es nämlich könnt. Dass es euch leicht fällt, diese Unternehmung mit Kurzweil und Erleuchtung zu bereichern. Was Mutlosigkeit und Verschüchterung: Mein Frisör ist auch ein recht nettes, hilfsbereites Haus, aber ihr macht hier mit, weil ihr eigentlich gar nichts “machen” müsst, sondern weil die richtigen Sätze von Natur aus in euch wohnen. Deswegen seid ihr da und mein Frisör nicht.
Mir sagt sehr die gesunde Freiheit von falschem Respekt zu, die Melville auf den Kopf zusagt, wie er in Anfängerfehlern schwelgt. Mit der Begründung stimmt das; mal sehen, ob ich das in meiner eigenen Besprechung widerlegen oder unterstützen soll.
Your Perkiness: Im siebten Monat bist du schon? Na, da freuen wir uns mal, wie du in wenigen Wochen Kapitel 42 bis 135 zeitlich unterbringst :o)
Elke: Erst du, oder soll ich? :o)
Wolf
1. July 2011 at 6:11 am
Ich werde dem Kind (so es eines wird und kein Wal) einfach den Moby von Tag 1 an als Einschlafgeschichte vorlesen. Dem ist ja der Inhalt egal und ich kriege die unter hundert Kapitel sicherlich flott durch. *unerschütterlichoptimistisch*
@Moritz: Vielen Dank! Ich schrieb schon dem Wolf, dass es da, wo das herkommt, noch mehr davon gibt. Und jetzt wartet es zwischen Wäsche, Abwasch und Kinderwagen darauf, aus mir heraus zu explodieren, damit ich um Himmels Willen mal was anderes mache! :)
Ich freue mich extrem, dass mein bescheidener Beitrag so schön ankommt und bin sehr stolz, dass ich nur eine Woche brauchte, um auf die eure beiden Kommentare zu antworten. Der Fahrtwind kommt langsam auf und muss an einer Menge Hindernisse vorbei, aber er kommt. Deine aufmunternden Worte nehm ich mir zu Herzen – der Frisör kann Haare, das kann ich beispielsweise überhaupt nicht, dafür kann ich Worte.
Ich meine es übrigens sehr ehrlich wenn ich sage, dass Melville sich diese “Anfängerfehler” erlauben kann. Es ist nämlich absolut und hundert Prozent sein Ding. Heutzutage ist es verpönt, weil es meistens schiefgeht oder der Stil kopiert ist (weil nämlich der Anfänger z.B. gern Melville wäre) oder beides – egal warum, in 99% der Fälle funktioniert es nicht. So wie keiner jemals ein zweiter James Joyce sein kann und auch all diese modernen Möchtergern-Oscar Wildes zu bemüht klingen. (Meine Meinung zu Schreib-Workshops ist auch gemischt, aber das nur am Rande.) Wer heutzutage noch schreibt wie Dickens, dem ist ja auch nicht mehr zu helfen.
Ich würde sagen, es funktioniert bei Melville, weil es eben *nur* bei ihm funktioniert. Und das, meine Damen und Herren, ist der große Vorteil daran, kein zeitgenössischer, sondern ein lang schon toter und durchkompostierter Schriftsteller zu sein: Man kann auf die momentan modernen Regeln pfeifen.
Heutzutage versucht sich ja sowieso viel zu viel ordinäres Volk im Romaneschreiben… *hüstel*
phrixuscoyote
7. July 2011 at 1:33 am
Meine Rede :o) (Ich hab auch schon angefangen, mir wieder draufzuschaffen, wie’s in dem von dir vorangefahrtwindeten Kapitel so zugeht. David Hume sollte man reinnehmen, wenn man sich mit dem auskennt… Schade, dere hätte grade so schön 200. Todestag gehabt. Vielleicht übernimmt Elke den; die kennt sich mit sowas aus, und wenn nicht, bohrt sie so lange, bis sie sich damit auskennt.
Mir fällt ja bei solcher Epigonerei immer Tarantino ein: 1994 hat “Pulp Fiction” systematisch alles missachtet, was man in der Drehbuchschule lernt — und guck mal, es hat funktioniert. Die nächsten paar Jahre hat man sofort gesehen, welcher Drehbüchner zuviel “Pulp Fiction” angeschaut hat. Das kommentarlose Abknallen von netten Leuten ohne Spannungsaufbau, das zeitlich ungeordnete Erzählen an Enden, die einem gerade so einfallen, das darf nur Tarantino. Bei allen anderen ist das beliebiges, ungelerntes, ungelenkes Rumgeschussel. Und wenn Moby-Dick heute so neuerscheint, wie es ist, hätte nicht Melville versagt, sondern sein Lektorat.
Wolf
7. July 2011 at 4:17 pm
[…] ein böser Gegenspieler, weil der irre, verwerfliche Ahab in einem modernen Roman — hallo, Hannah — der Zweitheld hinter dem Ich-Erzähler ist, Moral Schmoral. Denn Nun ahnte Ahab tief in […]
Weil er da ist: Madness Affecting One Train of Thought « Moby-Dick™
21. July 2011 at 12:05 am
[…] will, dem sei Moby-Dick™ empfohlen, denn dort mische ich gelegentlich in der Mannschaft mit: All the subtle demonisms of life and thought. Teilen Sie dies mit:TwitterLike this:LikeBe the first to like this post. This entry was posted in […]
Pregnant Women Are Smug, oder: Schwanger und trotzdem zurechnungsfähig. Geht das? | …orestias – tales from the mountains…
12. September 2011 at 2:48 pm