Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for the ‘Steuermann Jürgen’ Category

Alles nur Theater…?

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Jürgen hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteEs gibt Autoren, deren Romane lesen sich streckenweise wie Drehbücher für den Film, zu dem sie einmal werden wollen. Bei manchen Passagen in den Werken von Dan Brown oder Michael Crichton kann man sich nicht nur die Szene selbst vorstellen, sondern sieht vor seinem geistigen Auge auch schon die Kameraeinstellung…

Eine solche Stelle ist auch Kapitel 36 — voller bedeutungsschwerer Handlungen, tiefer Symbolik und aufwühlender Dialoge. Der Traum eines jeden Regisseurs. Bloß: Es gab kein Filmbusiness zu Melvilles Zeit und den Moby-Dick auf eine Theaterbühne zu bringen, dürfte auch nicht in der Absicht des Autors gelegen haben.

Wenn wir hier also kein verkapptes Drehbuch haben, was dann? Nun, vielleicht doch ein Theaterstück? Aber eins, das nicht für uns, die Leser, aufgeführt wird, sondern für die Crew der Pequod — die gleichzeitig Statist und Publikum ist. Regisseur & Hauptdarsteller: Captain Ahab.

Nino Sandow Arbeitsbuch. Moby Dick - AmbosskopfEine glänzende Inszenierung! Ahab ruft sein Publikum zusammen, legt dann aber nicht sofort los, sondern steigert die Erwartung, indem er erst wortlos ein paar Runden dreht:

…and as though not a soul were nigh him resumed his heavy turns upon the deck.

Das Publikum wundert sich. Dann legt Ahab los, kein langweiliges Monologisieren, gleich den Zuschauer mit einbinden:

“What do ye do when ye see a whale, men?”

“Sing out for him!” was the impulsive rejoinder from a score of clubbed voices.

Ahab hat sein Publikum von Anfang an in der Hand, und als „erste befremdete Blicke“ auftauchen, spielt er seinen nächsten Trumpf aus.

Während er seiner Crew von weißen Wal erzählt, hält er ihnen gleichzeitig ein Goldstück vor, das er dem verspricht, der als ersten diesen Wal sichtet. Ziemlich clever, statt Furcht kommt gierige Vorfreude auf.

“Huzza! huzza!” cried the seamen, as with swinging tarpaulins they hailed the act of nailing the gold to the mast.

Juneau Empire, Subsistence, obsession and a new Moby DickEs ist nicht Ahab, der den Namen des Wals als erster nennt, Tashtego ist es — und den anderen Harpunieren ist er auch kein Unbekannter. Ihre Worte und Starbucks Frage “Captain Ahab, I have heard of Moby Dick — but it was not Moby Dick that took off thy leg?” bringen Ahab etwas aus dem Konzept:

“Who told thee that?” cried Ahab; then pausing,

Dann gelingt es ihm, seine Leidenschaft auf die Mannschaft zu übertragen:

“Aye, aye!” shouted the harpooneers and seamen, running closer to the excited old man: “A sharp eye for the white whale; a sharp lance for Moby Dick!”

Nur einen kann er nicht überzeugen: Starbuck. Mit ihm muss er „tiefer schürfen“, ihm erklärt er seine Philosophie: „I’d strike the sun if it insulted me.“ Doch auch das ist eine Vorstellung, eine Privatvorstellung für Starbuck. Als Ahab seinen Text abgeliefert hat, wendet er sich — (Aside) — an wen eigentlich? Doch an uns, die Leser? Oder vielleicht an jemanden, mit dem er auch sonst seine Pläne bespricht, der aber noch gar nicht aufgetaucht ist?

Jedenfalls schein Ahab zufrieden zu sein mit seinem Monolog:

Starbuck now is mine; cannot oppose me now, without rebellion.

Moby Dick Returns to YoughalDass Ahab hier falsch liegt, wird schnell klar: Stoßseufzen, Lachen aus der Last, Wimmern des Windes, Schlagen der Segel — Special Effects würden wir das heute nennen, die in diesem Fall wirklich an den Leser gerichtet sind:

But in his joy at the enchanted, tacit acquiescence of the mate, Ahab did not hear his foreboding invocation; nor yet the low laugh from the hold; nor yet the presaging vibrations of the winds in the cordage; nor yet the hollow flap of the sails against the masts, as for a moment their hearts sank in. For again Starbuck’s downcast eyes lighted up with the stubbornness of life; the subterranean laugh died away; the winds blew on; the sails filled out; the ship heaved and rolled as before. Ah, ye admonitions and warnings! why stay ye not when ye come? But rather are ye predictions than warnings, ye shadows! Yet not so much predictions from without, as verifications of the fore-going things within. For with little external to constrain us, the innermost necessities in our being, these still drive us on.

Nun folgen noch ein paar magisch anmutende Rituale, gemeinsames Trinken, die gekreuzten Lanzen (fast eine Art Segnung), schließlich der Todesschwur auf Moby Dick, verdeutlicht durch den Trunk aus den Harpunenmuffen. Das alles dient ganz offensichtlich nur dem Zweck, die Mannschaft zu beeindrucken. Ihn selbst bewegt das wenig, wie man an seinem Abgang sieht, eine Handbewegung, „alle gingen auseinander, und Ahab zog sich in seine Kajüte zurück.“

Bilder: Nino Sandow Arbeitsbuch: Moby Dick — Ambosskopf;
Juneau Empire: Subsistence, obsession and a new Moby Dick, 17. Mai 2001;
Moby Dick Returns to Youghal, 30. März 2009.

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Rotschopf des Tages: Sonny Burgess: Red-Headed Woman.

Written by Wolf

7. March 2010 at 12:01 am

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Up the rigging very leisurely

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Jürgen hat Kapitel 35: Im Masttopp gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteIch stand schon mal auf dem Münchener Olympiaturm – und fragte mich, ob der Boden wohl hält.

Ich stand schon mal auf dem Berliner Fernsehturm – und fragte mich, ob man sich wirklich gegen die Scheiben lehnen sollte.

Ich stand schon mal auf dem Petersdom in Rom – und fragte mich, wie ich da wieder runterkommen sollte.

Jürgen im Masttopp, ca. 1975Und das Foto zeigt mich in jungen Jahren nicht etwa beim Ersteigen des Klettergerüsts – sondern am höchsten Punkt meines Aufstiegs. Die Verzweiflung im Blick rührt daher, dass ich ja auch wieder runter musste. Rückwärts (Urlaub in Ostfriesland, ca. 1975).

Falls Sie es noch nicht verstanden haben, lieber Leser: ich leide unter Höhenangst. Ein äußerst unangenehmes und ziemlich nutzloses Gefühl. Was das mit Moby-Dick zu tun hat?

There you stand, a hundred feet above the silent decks, striding along the deep, as if the masts were gigantic stilts, while beneath you and between your legs, as it were, swim the hugest monsters of the sea,…

Hundert Fuß – das sind über dreißig Meter! Am Ende eines langen Stocks (etwas anderes ist ein Mast doch nicht!), der auf einer Nussschale festgemacht ist, die im Meer umher geworfen wird. Einen noch wackligeren Platz kann man sich kaum denken, oder? Allein die Vorstellung verursacht mir feuchte Hände. Und dann ja auch nicht in einem Krähennest, sondern gänzlich ohne Sicherung, nur auf zwei schmalen Brettchen:

Your most usual point of perch is the head of the t’ gallant-mast, where you stand upon two thin parallel sticks (almost peculiar to whalemen) called the t’ gallant crosstrees.

Und dann beschreibt der Herr Melville auch noch seinen (bzw. Ismaels) Aufstieg in den Masttopp als einen kleinen Sonntagsspaziergang, komplett mit freundlichen Plaudereien:

For one, I used to lounge up the rigging very leisurely, resting in the top to have a chat with Queequeg, or any one else off duty whom I might find there; then ascending a little way further, and throwing a lazy leg over the top-sail yard, take a preliminary view of the watery pastures, and so at last mount to my ultimate destination.

Entweder ist Melville der Fluch der Höhenangst völlig fremd – oder er gibt sich hier bewusst so nonchalant, um darüber hinweg zu täuschen. Immerhin, er gesteht dem Neuling zu, dass er sich da oben unwohl fühlen darf:

Jürgens SchlingernHere, tossed about by the sea, the beginner feels about as cosy as he would standing on a bull’s horns.

Aus ganz persönlichen Gründen also mag ich nicht mehr zu diesem Kapitel sagen. Pantheismus und die alten Ägypter, Nelson und Napoleon – da können sich andere mit vergnügen. Mir reicht die Vorstellung von schwindelnder Höhe und wildem Umhergeworfenwerden. Mehr braucht’s gar nicht.

Und vielleicht soll’s uns auch gar nicht mehr sagen: wir sitzen alle mal im Masttopp und werden herumgeschleudert. Und wenn wir uns nicht gut festhalten, dann versinken wir im Chaos um uns herum…

In diesem Sinne: freuen wir uns auf das Achterdeck! Fester Boden unter den Füssen (relativ)!

Bilder: Allesamt von Jürgen, ca. 1975, 2008, 2009.

Written by Wolf

24. March 2009 at 12:01 am

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Der arme Dough-Boy

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Jürgen hat Kapitel 34: An der Kajütstafel gelesen (und dazu die passende Musik gehört):

Democracy is two wolves and a lamb voting on what to have for lunch.
Liberty is a well-armed lamb contesting the vote.

Benjamin Franklin

Jürgen Jessebird SchmitteMan könnte sich vorstellen, dass ein “normaler” Leser des Moby-Dick dieses Kapitel liest – und gleich wieder vergisst. Selbst wenn man es liest mit dem festen Vorsatz, etwas darüber zu schreiben, bleibt nicht gleich etwas hängen. Das, was hängenbleibt, ist eigentlich fast schon zu offensichtlich.

Zum Einen werden uns en miniature zwei gegensätzliche Gesellschaftsentwürfe aufgetischt. Da haben wir die bis zur Selbstzerfleischung gezwungen wirkende Tischgesellschaft der Offiziere (das dürfte ein feudales System sein – Sultan und Emire) und die buchstäblich wilde Ungezwungenheit der Harpuniere („frantic democracy“).

Dann ist da noch der arme Flask, der trotz seines gesellschaftlichen Aufstiegs vom Matrosen zum Steuermann in einer blöden Situation steckt: von den „Großen“ ist er der „Kleine“ – und damit der Gekniffene, kommt zuletzt, muss als erster fertig sein mit dem Essen und wird einfach nicht mehr satt…

Warum das so ist? Eine wirklich schlüssige Erklärung bleibt Melville uns schuldig. Eine der Merkwürdigkeiten der „sea-usages“ eben. Vielleicht fühlen sich die Steuerleute unwohl am „ivory-inlaid table“ des Kapitäns, nicht in ihrem Element? Das würde zwar die devote Haltung gegenüber Ahab erklären (der nun auch wahrhaft eine respekteinflößende Person ist, ein „mute, maned sea-lion“), aber nicht die strikte Beachtung der Rangfolge untereinander. Wenige Seiten vorher hat Stubb seinem Untergebenen Flask von einem ziemlich respektlosen Traum über Ahab erzählt – und nun hat Flask darauf zu achten, wann Stubbs Mund leer ist – denn er muss ja vorher fertig sein. So ganz passt das nicht zusammen. Will uns der Autor damit was sagen?

In starkem Kontrast dazu die zweite Tischgesellschaft. Die Harpuniere, „frantic democracy“. Das Essen als sinnliches Erlebnis, ohne lästige Regeln und Schranken. Hier sind alle gleich, jeder frisst, was er kann. Keiner bleibt hungrig. „Edle Wilde“? So scheint es auf den ersten Blick, so stellt man sich das Zusammenleben „solcher“ Menschen doch vor…

Das wäre doch jetzt nachvollziehbar und politically correct: Demokratie vs. Pseudo-Feudalismus. And the winner is… Demokratie (natürlich).

Es gibt aber ein Detail, das mir keine Ruhe lässt. Das ist der Steward, Dough-Boy. Mal ehrlich, so als Durchschnitts-Mitteleuropäer oder was auch immer, jedenfalls ganz entschieden als Nicht-Harpunier: Wo würden Sie lieber das Essen servieren – in der Runde um Ahab oder bei den wilden Kerls? Ahab und die Steuerleute werden Dough-Boy wohl nicht groß beachten, sie lassen ihn seine Arbeit tun. Tashtego, Daggoo & Queequeg dagegen drangsalieren den armen Kerl und werden sogar handgreiflich. Nur zum Spaß sicher – aber Dough-Boys Furcht ist echt.

Dieses kleine Detail ist es, das die ganze idealisierte Darstellung wieder ins rechte, sprich realistische, Licht rückt. Gesellschaftsentwürfe, gleich welcher Ausrichtung, sind eine feine Sache – man sollte darüber aber nicht das wirkliche Leben vergessen. Mancher (wie Flask) lebt nicht gut unter dem einen System, mancher (wie Dough-Boy) leidet unter einem ganz anderen.

Das ist dann der Melville, wie ich ihn mag, nicht dogmatisch, sondern praktisch, mit einem Blick aufs richtige Leben statt auf irgendwelche Ideologien.

The Crew of the Pequod, Dunechaser, 28. Februar 2006

Bild: Dunechaser: The Crew of the Pequod, 28. Februar 2006.
Film: Walt Disney: Ben and Me, 1953: Part 1, Part 2, Part 3.

Written by Wolf

14. January 2009 at 12:10 am

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Der Zar dankt ab

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Jürgen hat da zum 9. November noch ein Update zu Kapitel 33:

Jürgen Jessebird SchmitteÜbersetzungen des Moby-Dick ins Deutsche gibt es einige. Das eröffnet dem begeisterten Leser einiges an Möglichkeiten:

Erstens – er kann sammeln. Immer eine feine Sache. So eine Reihe Moby-Dicks im Regal machen was her.

Zweitens – er kann die verschiedenen Ausgaben vergleichen, um vielleicht den einen oder anderen Lapsus zu entdecken. Und bei Kapitel 33 wird er dann tatsächlich fündig.

Eine der Übersetzungen (und nicht die schlechteste) ist die von Alice und Hans Seiffert, gegenwärtig lieferbar im Insel-Verlag als Taschenbuch [Anm. der Büchersüchtel: Das war auch die Übersetzung für Reclam und Aufbau.] In Kapitel 33 lässt sie allerdings den Hinweis auf Zar Nikolaus ganz und gar weg. Das fällt natürlich nur auf, wenn man Original und Übersetzung vergleicht.

Original: „But when, as in the case of Nicholas the Czar, the ringed crown of geographical empire encircles an imperial brain; then, the plebeian herds crouch abased before the tremendous centralization.“

Übersetzung: „Schmückt aber die Krone weltlicher Herrschaft ein wahrhaft kaiserliches Haupt, dann neigen sich die Völker in Demut vor dem Einen, Gewaltigen, der alle Größe in sich vereint.“

Nun wundert man sich. Warum nur? Hielten die Seifferts die Anspielung für unwichtig? Oder unverständlich? Tatsächlich ist sie ja heutigen Lesern nicht ohne weiteres zugänglich (darum gibt es ja die Anmerkungen in der Jendis-Ausgabe). Seltsam. Erst heute morgen unter der Dusche kam mir eine Eingebung, die eigentlich ganz klar hätte sein sollen. Der Blick ins Impressum bestätigte den Verdacht: Copyright Sammlung Dieterich Verlagsgesellschaft: Leipzig, 1956,1992.

Politik. Sozialismus. DDR. Und darum wohl kein Hinweis auf einen russischen Zaren, der als absolutistischer Tyrann in die Geschichte einging. Interessanterweise findet sich im Buch selbst kein Hinweis auf diesen Umstand.

Film: Tagesthemen vom 9. November 1989.

Written by Wolf

9. November 2008 at 11:44 am

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One for the punctilious externals of the quarter-deck

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Jürgen hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

Are you trying to insinuate something?

Monty Python’s Flying Circus: Nudge Nudge, 1969.

Jürgen Jessebird SchmitteGeht das nur mir so, oder ist Kapitel 33 schwer zu fassen? Ich könnte mir vorstellen, dass der „normale“ Leser einfach drüberfliegt – und sich keine weiteren Gedanken mehr macht. Das kann ich ihm nicht übelnehmen.

Was soll das also? Inhaltlich bringt es ja nicht viel – der „Specksynder“ ist ein schon zu Melvilles Zeiten nicht mehr gebräuchlicher Begriff, anders ist es ja nicht zu erklären, dass die Fehlschreibung in Melvilles Quelle es ins Buch geschafft hat. Und zur Erklärung der Tatsache, dass die Harpuniere in der gleichen Kabine essen wie Ahab, hätte ein Halbsatz zu Beginn des nächsten Kapitels auch gereicht.

Aber mit Halbsätzen gibt sich Melville ja nicht ab. Im Gegenteil. Lesen Sie mal das hier:

Though the long period of a Southern whaling voyage (by far the longest of all voyages now or ever made by man), the peculiar perils of it, and the community of interest prevailing among a company, all of whom, high or low, depend for their profits, not upon fixed wages, but upon their common luck, together with their common vigilance, intrepidity, and hard work; though all these things do in some cases tend to beget a less rigorous discipline than in merchantmen generally; yet, never mind how much like an old Mesopotamian family these whalemen may, in some primitive instances, live together; for all that, the punctilious externals, at least, of the quarter-deck are seldom materially relaxed, and in no instance done away.

Und jetzt lesen Sie’s nochmal und achten auf Interpunktion. Das ist nur ein Satz – ein Satzungetüm, bei dem einem schwindelig werden kann. Und genau das ist der Eindruck, den Kapitel 33 bei mir hinterlässt – schwindelig wird einem davon.

Neben solchen Satzmonstern finden sich darin auch sprachliche Perlen wie diese:

…that in some royal instances even to idiot imbecility they have imparted potency.

Wenn Sie mich fragen: dieses Kapitel ist reine Aufschneiderei – hier zeigt Melville, was er schreiben könnte, wenn er nicht so viel Rücksicht auf seine Leser nähme.

Das scheint ihm auch selbst bewusst – die Anspielung auf Ahabs tyrannische Natur hat er so gut versteckt, dass er lieber nochmal darauf hinweist:

Nor (…) ever forget a hint (…) as the one now alluded to.

Harpooneer. A Dead Whale or a Stove Boat, by cmiper, 26. Januar 2008Der einzige „hint“, den ich finde, ist der mit dem Zaren Nikolaus – der laut Anmerkung von Herrn Göske in der Jendis-Übersetzung „ein damals notorisches Beispiel für absolutistische Tyrannei“ war. In Nikolaus verbinden sich „intellectual superiority“ und „the ringed crown of geographical empire“ — also geistige und weltliche Überlegenheit. Eben genau wie bei Ahab.

Hat der Leser das Kapitel also drei- oder viermal gründlich gelesen, dann ahnt er: Da kommt nix Gutes auf uns zu.

Ganz zum Schluss aber doch noch ein bisschen Ehrenrettung für Ahab, da wird Melville auch wieder weniger anspielungsreich. Ahab hat er in einen Kontext mit Königen und Kaisern gestellt, dabei hat der Arme weder Krone noch einen schicken Purpurmantel. Statt dessen muss alles, was Großes an ihm sein soll „be plucked at from the skies, and dived for in the deep, and featured in the unbodied air!“

So schlecht klingt das doch gar nicht: keine weltlichen Zutaten zu seiner Herrschaft, eben keine Krone und kein Zepter, sondern eine Größe, die ohne derartigen Firlefanz auskommt, die sich aus den Elementen selbst ergibt… Ob diese Größe dann zum Guten oder zum Schlechten sich wenden wird, das werden wir sehen (und darüber diskutieren). Aber ein Großer ist er allemal, unser Ahab!

Bild: Harpooneer by cmiper, 26. Januar 2008.
Film: Nudge Nudge, from: Monty Pathon’s Flying Circus, series 1, episode 3: How to Recognise Different Types of Trees From Quite a Long Way Away, 14 September, 19 October 1969, as performed in And Now for Something Completely Different, 1971.

Written by Wolf

4. November 2008 at 12:01 am

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Vom Schwimmen durch Bibliotheken

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Jürgen hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteMan will ja nicht meckern, (für mich — wie für viele andere — machen solche Kapitel einen nicht unerheblichen Teil des Reizes von Moby-Dick aus), aber der unvoreingenommene Leser hat schon bei der seltsamen Traumgeschichte in Kapitel 31 die Stirn gerunzelt, doch die war kurz und am Ende gab’s den Lichtblick: Der Weiße Wal kommt ins Spiel! “Hurra!”, denkt der Leser und seine Stirn glättet sich wohlwollend, “erst 31 Kapitel gelesen und schon wird zum ersten Mal der Wal erwähnt, um den es gehen soll…”

Und dann Cetology.

Ein schier unendliches Kapitel, in dem nichts passiert. Gar nichts. NADA! Die Stirnfalten werden tief wie der Marianengraben. Was soll denn das? Gute Frage — laut Anmerkungen in der Jendis-Übersetzung ein Stilmittel, mit dem Melville “literarisches Neuland” betritt. Na, das kann man wohl sagen!

CetaceaWer einen Abenteuerroman wie Typee erwartet, der wird allerspätestens an dieser Stelle bemerken, dass er das falsche Buch gekauft hat. Melville zerschlägt mutwillig den (ohnehin schwächelnden) Spannungsbogen, den er eben so mühsam aufgebaut hat (zur Erinnerung: Ahab tritt auf — Konfrontation Ahab/Stubb — der Weiße Wal wird erwähnt). Statt dessen liefert er nicht enden wollendes Geschwafel über den Wal an sich und verschiedene Walarten (von denen die meisten in Moby-Dick nie wieder erwähnt werden).

Melville wollte “a mighty book” über “a mighty theme” schreiben. Den Wal in all seinen Facetten beleuchten. Und so muss er seinem Leser erst einmal das Subjekt vorstellen. In den 1850ern waren Wale bekannt, doch den meisten Lesern wohl eher schemenhaft. Also stellt Melville klar, wovon im folgenden die Rede sein wird. Er hätte sich da bestimmt kürzer fassen können, aber das ist nicht unbedingt seine stärkste Seite. Wie eine Buchhändler-Kollegin an dieser Stelle sagen würde: “Er konnte die Tinte nicht halten.”

Pazifischer Nordkaper, Eubalaena japonicaDas Ziel ist klar: Dem Leser soll deutlich werden, mit welch gewaltiger Kreatur sich Ahab anlegt. Der Pottwal: “the great sperm whale now reigneth!” Dabei wird z.B. der deutlich größere Blauwal (“Sulphur Bottom”) zwar erwähnt, aber nur am Rande. Um ihn wird es nicht gehen… Doch neben der offensichtlichen Absicht — deutlich zu machen, dass Moby-Dick eben mehr ist als eine Abenteuergeschichte — ist da vielleicht ein wenig Frustration im Spiel?

Immerhin ist Melville eine Koryphäe auf dem Gebiet der “Cetologie” zu seiner Zeit, von all seinen Quellen haben nur zwei (Bennett und Beale) den Pottwal lebend gesehen. Und die beiden waren Schiffsärzte auf Walfangschiffen, also keine “richtigen” Waljäger.

Melville aber hat tatsächlich Wale gejagt, “I have had to do with whales with these visible hands”, sagt er, seine Beschreibungen des Pottwals sind (für uns heute leicht nachprüfbar) erstaunlich genau, zu seiner Zeit sensationell genau. Wer wäre also besser geeignet, eine Systematik der Wale zu erstellen? Er ist “durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt.” Melville hat wirklich Ahnung vom Thema. Dieses Wissen aber dürfte ihm in wissenschaftlichen “Fachkreisen” wenig genutzt haben. War ihm das bewusst? Wusste er, dass all sein erlebtes und erlesenes Wissen wenig Eindruck auf einen Universitätsprofessor gemacht hätte? Dass man ihn vielleicht ausgelacht hätte? Und “versteckt” er deshalb diese durchaus sinnvolle und brauchbare (wenn auch spaßig formulierte) Systematik in einem Roman? Um der Nachwelt zu zeigen: “Schaut, das habe ich alles gewusst!”?

Dazu interessant dieses:

Eine der frühesten Rezeptionen des 1851 in London und New York ersterschienenen Romans findet sich 1860 in einer anonymen Miszelle der “Gartenlaube”, wo auf S. 655–656 Melvilles systematische Einteilung der Wale in Folio-, Oktav- und Duodez-Wale ohne Nennung des Werkes — nur des Autors, „sehr gelehrt in Sachen der Walfische“ — anzitiert wird.

Aus einer Besprechung der Rathjen-Übersetzung auf Cetacea.de

Zwergpottwal, Kogia brevicepsUnd was seine Definition des Wals als “a spouting fish with a horizontal tail” angeht: Das stößt dem Melville-Fan natürlich sauer auf, dass sich der Meister so geirrt haben soll. Schließlich lernt doch heute jedes Kind, dass Wale eben keine Fische, sondern Säugetiere sind. Aber das ist eben nur eine Frage der Definition, der Systematik. Bezeichnet man alle Tiere, die im Wasser leben als Fisch, dann ist auch der Wal ein solcher. Linné hat sich durchgesetzt, nicht Melville, davon aber abgesehen, ist die Melvillesche Definition ziemlich brauchbar. Zumal wenn man übers Meer segelt und wenig Gelegenheit hat, Fortpflanzungs- und Aufzuchtverhalten der Wale zu beobachten.

Und noch eine Anmerkung zu den Übersetzungen ins Deutsche. Sowohl Jendis als auch Rathjen übersetzen den schönen Satz “… I have swam through libraries and sailed through oceans” mit “[…] ich […] bin durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt”, das ergibt ja auch Sinn, Melville wird das Bild vom “Schwimmen” durch Bibliotheken bewusst gewählt haben. Dennoch übersetzen sowohl Herr Mummendey wie auch Herr Güttinger mit “ich durchpflügte Bibliotheken”! Was haben die sich dabei gedacht? So eine bodenständige, erdverbundene Metapher in ein Buch hinein zu übersetzen, das ganz offensichtlich ein Buch über das Meer ist? Es zeigt auf jeden Fall, dass eine Neu-Übersetzung sinnvoll war!

Bilder: Cetacea mit deutschen, englischen, norwegischen und noch irgendwas Walnamen, Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) und Zwergpottwal (Kogia breviceps), alle gemeinfrei;
Film: Willy Astor: Welthits im Original:
Wortwitz und Fabulierlust und ein Wal kommt sogar auch drin vor.

Written by Wolf

31. July 2008 at 12:01 am

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You know how curious all dreams are

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Merkwürdige Sache, Kapitel 31,

meint Jürgen,

Jürgen Jessebird Schmittemerkwürdig der Traum, merkwürdig auch die Tatsache, dass Stubb ihn Flask erzählt. Darauf ist Wolf ja schon eingegangen. Aber der Traum an sich ist auch nicht ohne. Zum einen enthält er viele Elemente, die man aus eigenen Träumen kennt: Da verwandeln sich Dinge so mir-nichts-dir-nichts in etwas anderes (Ahab in eine Pyramide), tauchen aus dem Nichts Gestalten auf (der merman), und am Schluss wird sogar ein bisschen geflogen: „With that, he all of a sudden seemed somehow, in some queer fashion, to swim off into the air.“ So.

Nun gibt es zwei Optionen. Entweder ist Melville ein verflucht guter Schriftsteller, der es fertig bringt, einen Traum so realistisch unrealistisch zu schildern, dass man ihn glaubt (einschließlich dieser Momente, in denen man beim Erzählen eines Traums selber merkt, dass es nicht logisch ist: „And then, presto!“ und „With that, he all of a sudden…“ und auch das entschuldigende „But what was still more curious, Flask — you know how curious all dreams are…“), oder das Kapitel verrät uns etwas über Melvilles eigene Befindlichkeit, es ist die (sicherlich etwas angepasste) Nacherzählung eines eigenen Traums.

Und das eröffnet uns dann wieder zwei Möglichkeiten, womit ich wieder bei Freud und meinen Zweifeln an ihm lande. Wenn der Traum tatsächlich „nur“ ein schriftstellerisches Produkt ist, dann, finde ich, ist eine Interpretation nach Freud fehl am Platze. Denn Melville kannte Freuds Ideen nicht, kann also auch nicht auf dessen Baukastenklötzchen zurückgegriffen haben, um Stubb den Traum zu basteln. Wenn es aber ein „echter“ Traum ist, der hier beschrieben wird, dann könnte man ihn schon tiefenpsychologisch deuten, denn auch die Träume von Menschen, die keine Ahnung von Freud haben, sollen ja – laut Freud – etwas bedeuten.

Schwierige Kiste. Wollen uns mal dran versuchen. Zuerst den Traum in leicht verdaubare Häppchen aufteilen:

1. Ahab tritt Stubb;
2. Stubb tritt zurück, dabei verliert Stubb sein Bein;
3. Ahab wird zur Pyramide;
4. Stubb denkt sich den Tritt schön;
5. Der merman tritt auf und packt Stubb;
6. Stubb droht ihm (dem merman) mit einem Tritt, der bietet sein Hinterteil dar, das voller Stacheln steckt;
7. Der merman redet den Tritt schön.

Erstmal versuchen wir uns dann an einer Traumdeutung mit freudianischen Grundkenntnissen, wie man sie halbgar in der Schule serviert bekommt und später in Nachmittags-Talkshows aufgewärmt.

Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930, Freud-Lacan-GesellschaftZu 1.: Stubb wird mit einem künstlichen Bein getreten, womöglich in den Allerwertesten? Ist Ahabs Prothese ein Phallussymbol? Ganz sicher! Wenn das mal keine homoerotische Tendenz erkennen lässt!
Zu 2.: Und Stubb verliert sein Bein? Das deutet doch auf Impotenz, oder?
Zu 3.: Ahab wird eine Pyramide! Bei Freud ist die „Dreizahl“ ein „mehrseitig gesichertes Symbol des männlichen Genitals“! (S. Freud, Die Traumdeutung, Ftb 6344, Frankfurt a.M.: Fischer 1977, Seite 297)*, eine Pyramide besteht aus Dreiecken, das dürfte auf die starke Männlichkeit Ahabs deuten.
Zu 4.: Ahab ist superpotent, Stubb dagegen impotent, das ist hart. Irgendwie muss er sich das schöndenken.
Zu 5.: Ein buckliger alter Mann packt Stubb an den Schultern und dreht ihn herum. Hat Stubb (oder der Träumer) vielleicht in seiner Jugend schlechte Erfahrungen gemacht mit älteren Männern?
Zu 6.: Wieder ein eindeutig homoerotisches Bild: den nackten Hintern darbieten. Allerdings weiß Stubb (oder der Träumer), dass es sich um etwas Verbotenes handelt, deshalb die abweisenden Marlspieker.
Zu 7.: Auch der Alte redet den Tritt schön: So schlimm ist es doch gar nicht, von einem Stärkeren missbraucht zu werden.

Das ist ein ziemlich finstere Sache, die man da finden kann. Missbrauch in der Jugend, durch einen älteren Erwachsenen? Aber, wie schon gesagt, es kann nicht Melvilles Intention gewesen sein, das in dieser Form in Stubbs Biographie zu schreiben, dazu fehlte ihm das Rüstzeug. Wenn man so interpretieren will, muss man davon ausgehen, dass Melville eigene Erlebnisse verarbeitet hat.

Aber: Im Leben nicht würde ich diese laienhafte Analyse auf einen echten Menschen anwenden wollen. Auf eine literarische Gestalt schon, die ist in der Regel auch übersichtlicher.

(Anm. des Bio-Checkers: Melvilles Vaterfiguren in der Prägungsphase werden, vor allem auch in der neuesten Biografie Ein Leben, als eher stärkend und wohlwollend dargestellt: harmonische, glückliche Familie in gesicherten Verhältnissen, Vater in traditioneller Ernährerrolle. Jedenfalls bis zum Verarmen der Familie, weil der Vater Büro und Wohnung in West Village Manhattan verzockt hat. Unabsichtlich bis leichtsinnig — gerade in vorfreudianischer Zeit weiß man da nie, wie traumatisch das von einem Zwölfjährigen wahrgenommen und weiterverarbeitet wird. — Zurück an Jürgen.)

Nehmen wir an, dass Melville „nur“ brillant war, dann kann man den Traum natürlich auch weniger freudianisch deuten:

Zu 1: Die Sache mit dem Tritt kommt ja schon in Kapitel 29 auf: „Maybe he did kick me, and I didn’t observe it, I was so taken aback with his brow, somehow.“ Hier verarbeitet Stubb sie weiter.
Zu 2: Stubb hat keine Chance, es Ahab mit gleicher Münze heim zu zahlen. Ahab ist schließlich der Kapitän. Den tritt man nicht.
Zu 3: Eine Pyramide ist auch ein Symbol für Macht (des Pharaos), Dauer (ist für die Ewigkeit gebaut) und – Tod (ein Grabmal). Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist!
Zu 4: Das mit dem Schöndenken hat Wolf schon schön ausgeführt: „wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert.“
Zu 5: Stubb ist ja nicht so der Selber-Denken-Typ (siehe Kapitel 29: „But that’s against my principles. Think not, is my eleventh commandment“), vielleicht taucht deshalb jemand auf, der ihn lobt („’Wise Stubb,’ said he, ‘wise Stubb“) und in seinen Ideen bestärkt.
Zu 6: Soll der Alte vielleicht Stubbs Gewissen sein? Das er nicht zum Schweigen bringen kann? Da werd ich nicht so recht schlau draus…
Zu 7: Und wieder wird der Tritt „schöndefiniert“.

Sehr viel konventioneller, diese Deutung. Aber so im Zusammenhang des Romans ergibt das ganze Kapitel eigentlich wenig Sinn, oder? Als einzig nützlicher Fakt springt das raus: Erstmals wird der Weiße Wal erwähnt! Weiß denn eigentlich keiner der Besatzung, dass Ahab sein Bein an Moby Dick verloren hat?

* Dieses Freud-Zitat inklusive Quellenangabe habe ich dem wunderbar-seltsamen Buch „Der Ernst des Lesens – Beinharte Forschung zu Arno Schmidt und Consorten“ von Friedhelm Rathjen entnommen! Erschienen in der EDITION ReJOYCE, lieferbar über den Buchhandel (ISBN 3-00-020219-6) oder z.B. über booklooker direkt beim Herausgeber, da sogar auf Wunsch signiert!

Johann Zahn, Vir marinus, 1696. Wassermann, Nix

Bilder: Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930: A. W. Freud et al., by arrangement with Mark Paterson & Associates
via Freud-Lacan-Gesellschaft/Psycoanalytische Assoziation Berlin e.V.;
Johann Zahn, Augsburg 1696: Vir marinus episcopi specie.

Film: Capitaine Achab, Frankreich 2007.

Written by Wolf

14. July 2008 at 12:40 am

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Er lacht sich eins und trinkt/sein Eierbier und singt

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Oh! jolly is the gale,
        And a joker is the whale,
A’ flourishin’ his tail, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

The scud all a flyin’,
        That’s his flip only foamin’;
When he stirs in the spicin’, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

Thunder splits the ships,
        But he only smacks his lips,
A tastin’ of this flip, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

Old song sung by Stubb. Chapter 119: The Candles.

Stephan wendet auf Jürgens World Disinfecting Agent Day ein:

Stephan De MariaLieber Jürgen, in der Tat klasse!

Aber lass mich weiter die kleine Laus in deinem Pelz sein:

Vielleicht lässt Melville Ahab das Rauchen aufgeben, weil er sich von allem Irdischem befreien will, weil er mit seiner bisherigen Existenz abschließt. Er hat das Ziel, Moby Dick zu erledigen. Und er ahnt, dass ihn das Alles kosten wird. Er will seinem letzten Gefecht frei von allem irdischen Ballast entgegen schreiten. Er bringt sich mit Leib und Seele in Stellung.

Da hat Jürgen nicht mal was dagegen:

Jürgen Jessebird Schmitte“Laus im Pelz”? So schlimm ist’s doch nicht, oder? Wie steht es in unser aller Moby-Dick (Kapitel 119): “But never mind; it’s all in fun.” Zur Sache:

Das mit dem “von allem Irdischem befreien” kann ich gar nicht als Vorwurf empfinden. Im Gegenteil, wenn es sich irgendwo textlich festmachen ließe, dann würde es wunderbar zu “meinem” Ahab passen — sich so auf ein einziges Ziel zu konzentrieren, das hat übermenschliche Größe.

Um das hier mal klar zu stellen: Ahab ist kein Mensch, er ist “nur” eine Figur in einem Buch. Deshalb stelle ich andere Anforderungen an ihn als an einen gewöhnlichen Menschen. Die gewöhnlichen Menschen (das sind wir alle) müssen uns beständig nach den Das-tut-man-Nichts richten, die Konsequenzen unseres Handelns für uns und andere abwägen, immer wieder Kompromisse eingehen. Kurz: Wir verzetteln uns in unseren Leben. “Große” literarische Figuren sollten das meiner Meinung nach nicht tun. Sie sollten klare Ziele haben und diese zu erreichen suchen. Dem Erreichen dieses Ziels kann (und sollte) manches geopfert werden. Nur so lässt sich dramatische Größe erreichen. “Klarheit” erwarte ich von Literatur, nicht tausend lose Enden!

Allerdings sehe ich das Motiv der bewussten Befreiung von irdischem Ballast für das letzte Gefecht so bei Ahab (noch) nicht. Ahab ist durchaus bereit, für die Erreichung seines Ziels (die Vernichtung Moby Dicks) zu sterben — allerdings ist ein Walfänger das zu seiner Zeit doch eigentlich immer, oder? Jeder Wal kann jeden Waljäger töten, das ist Berufsrisiko.

Und noch ein Einwand: Wenn Melville nur Ahabs Abkehr vom Irdischen zeigen wollte, warum dann mit einer Pfeife? Warum lässt er ihn nicht ein Stück Schiffszwieback über Bord werfen oder einen Becher Rum? Warum eine Pfeife, der in Bezug auf Stubb soviel Aufmerksamkeit geschenkt wurde?

So. Und auf das “Klasse” von BillyBudd im Kommentar auf World Disinfecting Agent Day gönne ich mir jetzt ein Gläschen Talisker. Wünsche wohl zu ruhen!

Lied: Flogging Molly: Seven Deadly Sins, aus: Within a Mile of Home, 2004.

Written by Wolf

8. June 2008 at 12:01 am

World Disinfecting Agent Day

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Jürgen hat Kapitel 30: Die Pfeife gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteWeltnichtrauchertag war neulich, den hab’ ich leider glatt verpasst — wo das doch so ein schöner Termin gewesen wäre. Immerhin schmeißt er seine Pfeife über Bord, der missgelaunte Ahab. Stellt sich natürlich die Frage — warum? Möchte er seiner Crew die Gefahren des Passivrauchens ersparen (dann sollte er wohl lieber Stubb über Bord werfen!)? Oder sorgt er sich um sein eigenes Wohl? Angst vor Raucherbein? Nein, das dürfte damals wohl eher nicht der Beweggrund gewesen sein. Weil sie ihn nicht mehr beruhigt, weil das Rauchen nichts ist für torn iron-grey locks wie die seinen, so steht’s im Text. Aber warum meint Melville, sein Ahab solle nicht mehr rauchen? Sicher nicht um der Political Correctness willen, damit musste er sich in den 1850ern nicht herumschlagen.

Ein wenig Licht in das grüblerische Dunkel bringt vielleicht wieder ein Blick zu Stubb in Kapitel 27. Da erfährt der geneigte Leser — so er nicht die langatmigen Beschreibungen überliest (“Und wo bleibt der Wal, häh?”) — dass unser Stubb Pfeife raucht. Immer. Nachdem er seine Beine aus der Koje geschwungen hat, zündet er sich das Pfeifchen an und lässt es nicht mehr ausgehen, bis er sich nach vollbrachtem Tagwerk wieder in die Koje sinken lässt. Da raucht er dann noch ein Weilchen, ehe er die Augen schließt. Und dann träumt er wahrscheinlich noch vom Qualmen. Melville charakterisiert den Kettenraucher aber durchaus sympathisch und liefert in der Nikotinsucht auch gleich eine mögliche Erklärung für Stubbs ruhiges und ausgeglichenes Wesen: “So, likewise, against all mortal tribulations, Stubb’s tobacco smoke might have operated as a sort of disinfecting agent.” Als Mittel gegen die Angriffe der Welt.

Und Ahab? Wirft die Pfeife fort! Seinen Schutz gegen die mortal tribulations! Wenn das mal gut geht, denkt man sich da als mitdenkender Leser.

Obwohl… Auch das genaue Gegenteil könnte Herman uns da durch die Blume zu vermitteln suchen. Hängt eigentlich wieder ganz davon ab, wie man zu Ahab steht. Entweder man beneidet Stubb um seinen Gleichmut und seine Einfalt — dann ist der Tabaksqualm eine hilfreiche Waffe gegen die Anfeindungen einer unfreundlichen Welt. Ein Schutzpanzer, der, wenn man nur genug pafft, alles Übel vom Paffenden fernhält. Oder man steht eher auf Ahabs Typ, der vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig ist, dafür aber mutig der Welt in ihre wütende Fratze blickt! Und der sich ganz und gar nicht einlullen lassen will von irgendwelchen Dämpfen.

Ich persönlich neige ja zur zweiten Theorie — Ahab erscheint mir so viel kraftvoller und mit viel mehr Tiefe versehen als der doch recht schlichte Stubb. Kann doch nicht sein, dass Melville uns Stubb als Ideal präsentieren will. Dann eher Ahab, der den Mut hat, sich der Welt zu stellen. Auch wenn er das zugegeben recht eigenwillig tut…

Heather Coleman, 17th Century Mariners Clay Pipe

Bild: Heather Coleman: Dawnmist Studio Clay Pipe Shop.

Written by Wolf

5. June 2008 at 12:01 am

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Pfeife schmauchen und Kaffee trinken

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Conceive him now in a man-of-war; with his letters of mart, well armed, victualed, and appointed, and see how he acquits himself.

Thomas Fuller: The Good Sea-Captain,
in: The Holy State, and the Profane State, 1648.

Jürgen hat Kapitel 29: Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteIn Kapitel 27 findet sich über Stubb der schöne Satz: “Long usage had, for this Stubb, converted the jaws of death into an easy chair.”

“Long usage” — Gewohnheit. Das scheint mir der markanteste Zug an Stubb bisher. Solange alles seinen geregelten Gang geht, solange ist er zufrieden. (Zu seinen Gewohnheiten gehört ganz sicher auch das Pfeifenschmauchen!) Da schreckt ihn nichts. Der Gang zum Kapitän, um sich zu beschweren — das ist schon was anderes. Denn das sollte man nicht vergessen: Ein Schiff ist keine Demokratie und Ahab ist auf der Pequod nicht nur “oberes Management”. Er ist Herr über Leben und Tod an Bord, sein Wort ist Gesetz. “Herr über Leben und Tod” vielleicht nicht so im Wortsinn, wie das auf einem Schiff der Kriegsmarine gelten würde, aber Ahabs Befehle entscheiden über das Leben der Männer an Bord. Das gehört zum Kapitän-Sein. Eiserne Disziplin ist nötig, damit das Walfangunternehmen gelingen kann.

Und dann geht Stubb zu Ahab, um sich über die Störung der Nachtruhe zu beklagen. Das erfordert Mut. Vielleicht fast ein bisschen mehr, als Stubb gegeben ist? Versucht er’s darum mit “scherzhafter Unterwürfigkeit”? Weil er ahnt, dass er sich auf unsicherem Grund bewegt?

Immerhin bringt er den Mut auf, zu widersprechen, als Ahab ihn einen Hund nennt. Doch der folgende Ausbruch seines Kapitäns ist zuviel: Rückzug. Sicher nicht aus Feigheit ob der Drohungen Ahabs, einem Gleichgestellten dürfte Stubb eine passende (vielleicht handfeste) Antwort gegeben haben, schließlich wird er sich seinen Platz als Nummer Drei an Bord verdient haben — und nicht dadurch, dass er jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist. Aber dem Kapitän hat er zu gehorchen und er tut es.

Aber kann er sich das einfach so eingestehen? Dass er da an einen geraten ist, dem er nicht gewachsen ist? Nein, kann er nicht. Darum der folgende Monolog, in dem Stubb sich einzureden versucht, dass

  1. Ahab ja doch ein komischer Kauz ist (“Anyway there’s something’s on his mind”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen,
  2. die Welt ohnehin ein merkwürdiger Ort ist (“but all things are queer, come to think of ’em”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen,
  3. er alles vielleicht doch nur geträumt hat? (“I must have been dreaming”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen ist.

Und morgen sieht dann alles wieder anders aus und geht seinen gewohnten Gang. Womit Stubb die Sache als erledigt betrachten dürfte.

Stubbs Coffee

Bild: North Side Review: Stubbs Coffee in: Chicagoist, 15. Dezember 2006.

Written by Wolf

14. May 2008 at 12:01 am

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Ahab — Held oder Schurke?

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Jürgen hat Kapitel 28: Ahab gelesen und unterscheidet Gut und Böse:

Jürgen Jessebird SchmitteWie bekannt ist, wird Ahabs Besessenheit für den Weißen Wal ihm, seinem Schiff und seiner Besatzung zum Verhängnis werden. Aber nur, weil er seine Männer opfert, um ein Ziel zu erreichen, macht ihn das schon zum Schurken? Ahabs Auftritt in diesem Kapitel ist nicht dazu angetan, diesen Eindruck zu erwecken. Statt dessen umweht ihn eine Aura von Entschlossenheit, von unbändiger Willenskraft:

There was an infinity of firmest fortitude, a determinate, unsurrenderable wilfulness, in the fixed and fearless, forward dedication of that glance.

Auch wenn Ishmael von “grim aspect” spricht, so ist es doch wohl eher Ehrfurcht als etwas anderes, das er empfindet. Zeigt sich sehr schön auch in der Formulierung “regal overbearing dignity”.

Wäre Ahab nicht “nur” Walfänger, sondern Soldat, dann wäre er aus dem Holz, aus dem man Helden schnitzt. Zitat aus Billy Budd:

Personal prudence even when dictated by quite other than selfish considerations surely is no special virtue in a military man; while an excessive love of glory, impassioning a less burning impulse, the honest sense of duty, is the first.

John Wayne, ca. 1939Persönliche Vorsicht ist also keine Tugend, Pflichterfüllung (auch aus dem Motiv der Ruhmsucht) aber schon. Ahab wird seine Pflicht erfüllen, eine Pflicht, die er sich selbst auferlegt hat. Mit der er nicht immer glücklich ist, die ihm schwer zu schaffen machen wird. Aber: “A man’s gotta do what a man’s gotta do.” (John Wayne in Hondo, 1953)

Das ist Heldenholz, wenn man so will. Nicht alle Welt sieht die Jagd auf einen Wal als hehres Ziel an, doch das ist Ahab gleich — auch das ist, denke ich, ein Aspekt des Helden. Er geht seinen eigenen Weg.

Also, nicht Schurke, sondern Held. Verblendet vielleicht, aber das hat Heldentum ja noch nie geschadet.

Written by Wolf

17. March 2008 at 12:01 am

Posted in Steuermann Jürgen