Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

The rhythm of our rowing

with one comment

Update zu We are the masters; otherwise there could be no poetry:

Lewis Carroll and Alice Liddell kissing, 1858Child of the pure unclouded brow
And dreaming eyes of wonder!
Though time be fleet, and I and thou
Are half a life asunder,
Thy loving smile will surely hail
The love-gift of a fairy-tale.

I have not seen thy sunny face,
Nor heard thy silver laughter;
No thought of me shall find a place
In thy young life’s hereafter —
Enough that now thou wilt not fail
To listen to my fairy-tale.

A tale begun in other days,
When summer suns were glowing —
A simple chime, that served to time
The rhythm of our rowing —
Whose echoes live in memory yet,
Though envious years would say ‘forget’.

Come, hearken then, ere voice of dread,
With bitter tidings laden,
Shall summon to unwelcome bed
A melancholy maiden!
We are but older children, dear,
Who fret to find our bedtime near.

Without, the frost, the blinding snow,
The storm-wind’s moody madness —
Within, the firelight’s ruddy glow,
And childhood’s nest of gladness.
The magic words shall hold thee fast:
Thou shalt not heed the raving blast.

And though the shadow of a sigh
May tremble through the story,
For ‘happy summer days’ gone by,
And vanish’d summer glory —
It shall not touch with breath of bale
The pleasance of our fairy-tale.

Julia Margaret Cameron, Photographic study Pomona. Alice Liddell as a young woman, 1872Es ist nicht der Jubeltag von Alice in Wonderland. Es ist auch nicht der Jubeltag des Sequels Through the Looking Glass, auch wenn das Gedicht oben das Motto zum letzteren bildet und als Highlight beider Bücher alle Tage Grund zum Jubeln hergibt. Vielmehr ist der Jubeltag — der 150. — eines Ausflugs mit Ruderpartie und Picknick: Am 4. Juli 1862 lieh sich der mathematisch gebildete Dorfgeistliche Lewis Carroll drei kleine Mädchen befreundeter Eltern aus, um mit ihnen den schönen Sommertag zu begehen.

Unterwegs, muss man sich vorstellen, wurde am Flussufer gerastet und Brotzeit gehalten; der Große, Reverend Charles Lutwidge Dodgson (bürgerlich) musste Sandwiches schmieren (bitter orange marmelade und lemon curd auf gesalzener Butter, wie wir annehmen dürfen) und sich nach der ganzen Ruderarbeit auch noch eine Geschichte ausdenken — oder haben Sie noch nie drei zehnjährige Gören ausgeführt?

Da sprach Lutwidge Dodgson eine Geschichte ins Blaue, dass die Sonne hätte aufgehen müssen, wenn sie nicht ohnedies ganz unenglisch auf den Reverend mit seinen drei Leihelfen gelacht hätte — eine Geschichte von der anwesenden kleinen Alice, die sich auf einem — o Wunder — Picknick über einer allzu bilderfreien Geschichte langweilt und darob einem weißen Hasen ins Wunderland folgt — eine Geschichte, sage ich, eines Mathematikers, der Kind sein kann, von der Tragweite und der Tragfähigkeit nur der allergrößten Literatur — eine Geschichte, in der jeder kindische oder sagen wir treffender: kindgerechte Kalauer unfehlbar sofort ins Philosphische lappt — eine Geschichte, die kein Rätsel löst, die jedoch die richtigen Rätsel aufgibt, indem sie Namen für Lebewesen, Bewusstseinszustände und wieder andere Rätsel findet, die offenbar schon lange in der Welt waren und jetzt endlich bei ihren Namen genannt werden können. Lutwidge Dodgson erfand an diesem Sommersonnennachmittag ein unverwüstliches Stück Unterhaltung für kleine Mädchen und ein bis auf weiteres gültiges Vademecum für Weltphilosophie.

Die Welt aber, sie ist eine privilegierte allein deswegen, dass der Reverend zu Hause noch dem Wunsch seiner Hauptdarwstellerin Alice folgte, sein Extemporat niederzuschreiben. Zu Weihnachten war die Urversion Alice’s Adventures Under Ground fertig. Nach dem einzig richtigen Illustrator John Tenniel, der all diesen gelahrten Irrwitz in klare Strichzeichnungen übersetzen konnte, hat er lange gesucht und ihn beim Punch gefunden; alle Verbilderungen danach sind nur noch mehr oder weniger steile Abstiege von Tenniel. Und die viel späteren Filmversionen mit Spielkarten, die zur Blasmusik tanzen, waren schon nicht mehr so wichtig.

W. Coulbourn Brown, Alice Pleasance Liddell Hargreaves, 1932, Rosenbach Museum & Library, PhiladelphiaEin Wort noch zum Verhältnis von Geistlichen zu kleinen Kindern: In jüngerer Zeit wurden entschieden zu viele Medienberichte über fatal falsch verstandene Kinderseelsorge notwendig, was dem Zölibat oder organisierter Kinderprostitution oder etwas anderem geschuldet sein mag.

Lewis Carroll, wie ihm unterstellt wurde, war nicht pädophil. Vielmehr lebte er seine Sexualität aus, indem er sie gerade nicht auslebte: Er war glücklich dabei, in sehr jungen Mädchen ein weibliches Element in seinem Leben zu haben — und eben gerade nicht erotisch tätig werden zu müssen. Seine Energie leitete er in die philosphische Seite der Mathematik und die neue Technik der Daguerrotypie. Frei zugänglich sind bis heute seine photographischen Aufnahmen bestürzend leicht bekleideter kleiner Mädchen seiner Bekanntschaft in verkünstelten Posen, für deren Herstellung und Verbreitung man sich heute strafbar machen könnte. Nach allem, was man weiß, entstanden diese Aufnahmen grundsätzlich unter der Aufsicht der jeweiligen Eltern und sind als Kunst mit Hilfe der damals allermodernsten Technik zu verstehen. Heute wäre Carroll vermutlich Web-Programmierer oder etwas anderes Nerdiges, damals lebte und starb er — vorbildlich für einen Mann Gottes — als Jungfrau, nur dass er eben gut mit kleinen Kindern konnte — “außer Jungen”.

Ein gemutmaßtes Schreiben, in dem die besorgten Eltern Liddell dem kinderaffinen Geistlichen allen weiteren Umgang mit ihrer Tochter Alice untersagten, ist verschollen. Erhalten dagegen sind Aufzeichnungen der herangewachsenen Alice Liddell, verheiratete Hargreaves, in denen sie sich selbst als Matrone nur aufs liebe- und ehrenvollste über Reverend Dodgson äußert. Wohl oblag er einer exzentrischen — immerhin war der Mann Engländer — vielleicht sogar verqueren Form der Sexualität, war aber das glatte Gegenteil von übergriffig.

Ein Picknick von vergleichbarer Bedeutung fand kurz davor in den amerikanischen Berkshire Mountains statt, wenngleich unter lauter gestandenen Mannsbildern ganz ohne kleine Mädchen — am 5. August 1850, als Nathaniel Hawthorne auf Herman Melville traf, woraufhin dessen Moby-Dick das wurde, was er ist. Wenn Ihnen weitere Picknicks von einiger Spätwirkung auffallen, machen Sie uns darauf aufmerksam; es herrschte Viktorianismus, der in Deutschland Romantik hieß, als ein wirtschaftlich erstarkendes Bürgertum die Freizeit erfand und seinen Herrgott in den Kräften der Natur erkannte — da sollte es wunder nehmen, wenn da gar nichts mehr war.

Alice Pleasance Liddell wurde 1852 geboren. Mit ihren zwei gleichaltrigen Freundinnen und dem väterlichen Freund war sie 1862 picknicken, zehnjährig. Unser zweites Bild stammt von 1872, zwanzigjährig. Unser drittes von 1932, achtzigjährig. Jubilate.

Alice durch die Lebensalter: Unter Umgehung des allfälligen Lewis Carroll: Alice Liddell as a beggar-maid, 1858 from the story of Cophetua, supposed tear hole or ink-blot in photo digitally removed, first published in Carroll’s biography by his nephew Stuart Dodgson Collingwood: The Life and Letters of Lewis Carroll, T. Fisher Unwin, London 1898 — unter dessen Umgehung also wären das:
Lewis Carroll and Alice Lidell ca. 1858;
Julia Margaret Cameron: Photographic study “Pomona” (Alice Liddell as a young woman), 1872;
W. Coulbourn Brown: Alice Pleasance Liddell Hargreaves, 1932, Rosenbach Museum & Library, Philadelphia.

Written by Wolf

4. July 2012 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

One Response

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  1. Fake photo!!! Please delete it immediately

    Emma

    16. June 2021 at 3:20 pm


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