Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for April 2014

Faustisches in Moby-Dick

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Archegonus hat Kapitel 43: Horch! und Kapitel 44: Die Karte gelesen:

Man muss es nur abwarten können: Unser langjähriger, nicht wenig verdienter Nachbar Archegonus übernimmt das Steuer genau an der Stelle, wo uns die Flaute erwischt hat, weil es offenbar wirklich nicht mehr mitanzusehen war, was wir hier nicht treiben — und schreibt uns — nicht zum ersten Mal — unaufgefordert über ein Thema, das mich schon lange interessiert und das ich jetzt glatt zweimal verwenden kann.

Meine eigenen Verdienste an Moby-Dick™ kommen mir noch als die geringsten vor, ich hab hier nur das Passwort. Dagegen hab ich außerhalb des Internets nie so viel darüber gelernt, was eine Gemeinschaft ausrichten kann.

Archegonus hat’s um Gotteslohn getan. Gerade deshalb steht ihm einer der gleich zweimal versprochenen Buchpreise zu, ich such ihm was Schönes aus. Das werde ich immer für jeden Beitrag tun — auch bei euch offiziellen Kollegen von P.E.Q.U.O.D. Danke! sag ich — und damit hat Archegonus das Wort:

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Raymond Bishop, AhabOhne das Wirken der Hölle wäre Herman Melvilles Moby-Dick kaum zu verstehen: Die Hölle ist der Unort, in dem alle dunkle Verknüpfungen zusammenfinden (Kapitel XLIII). Hier führt uns Melville in seiner abschnittsweise unspektakulären Art, fast randnotizartig, in die Höllenkapitel seines Werkes. Auf den ersten Blick ist Kapitel XLIII nicht mehr als eine Beschreibung einer nächtlichen Sinnestäuschung, sind doch die beunruhigenden Geräusche nichts als “die drei eingeweichten Zwiebacke, die wo du zu Abend ißt, wo sich in dir umdrehen” – so klärt Cobaco seinen Kameraden Archy auf, der aber nach eigenem Bekunden “scharfe Ohren” hat und sich sicher ist, doch etwas gehört zu haben. Aber Cobaco gibt nicht nach: Nichts soll es gewesen sein, weiterarbeiten soll er, und still sein. Damit lässt Melville uns zunächst allein.

Ahabs Tätigkeiten werden in der Nacht zur kultischen Handlung, zur Beschwörung. Einen Weg zu seinem Lebensziel auszulesen auf Karten, ist sein Sinnen, in der Tiefe des Schiffsrumpfes, eingeschlossen im Grabesdunkel (Kapitel XLIV). Nicht Eintritt in das helle Reich von Isis und Osiris sucht Ahab – sondern hinab in die Kammer des Horus steigt er Nacht für Nacht. Wahrlich faustisch sein Vorhaben: Sein Plan gegen den göttlichen Plan, sein Wesen gegen die Kräfte der Natur: Die “geheime Kunde der Gottheit” in Form der “Adern” in den Weltmeeren zu erkunden & erkennen. So wird das Kartenlesen für Ahab die Arbeit am eigenen Horoskop – am Schicksal, das ihm die Götter bestimmt haben. Er jagt einen Moby Dick, der sich in den Wassern herumlungernd findet, wie die Sonne im Jahreslauf, eine Zeitspanne in “jedwedem Zeichen des Tierkreises verbummelt”. So wird Ahab zum Kartographen der Strömungen eines gänzlich unirdischen Labyrinthes, im Halbdunkel und Streiflicht selbst gezeichnet mit “Strichen und Routen über der tief markierten Karte seiner Stirne”.

Zeit und Raum will Ahab für sein Vorhaben beherrschen: Auf Hochmittag, in der “Saison am Äquator” will er den Weißen Wal aufspüren, und er schwört die Mannschaft auf dieses doch aussichtslos erscheinende Unternehmen ein. Aber wie wenig vermag hier die deutsche Übersetzung die Kräfte zu beschreiben, die Ahab sich unterwerfen will: Χρόνος και Καιρός – Chronos und Kairos – der schicksalsbestimmende Zeitpunkt, der durch göttliche Fügung allein bestimmt wird, soll kraft seines Willens ihm dienen. Ahab erliegt der Versuchung, die Natur beherrschen zu wollen, aus der bloßen Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit werden zu lassen und verblendet im Geiste die Wahrscheinlichkeit zur Fast-Gewissheit zu formen.

Melville legt uns in diesem Kapitel einen Schlüssel in die Hand, mit dem wir Zugang erhalten zu dem Teil unseres Wesens, den wir erst bewältigen müssen, wenn wir unsere Fahrt über die unbekannte See, das Meer der Zeit, fortsetzen wollen. Schaffen wir dies nicht, und die dunklen Kräfte beherrschen uns, so enden wir in der der “totalen Katastrophe” – sei es in “unleidlich lebhaften Nachtträumen” oder in einer todbringenden Wirklichkeit. Tötung und Verwesung bezeichnen die sinisterste und gefährlichste Operation des Alchemisten, die zugeordnete Farbe Schwarz verweist auf den Schatten im eigenen Sein: Wenn Ahab die See erkundet, so sieht er das apokalyptische Grauen, gleichwie der Prophet Daniel es beschrieb: Schauend war ich in der Schau der Nacht […] und schauend blieb ich bis getötet war das Wesen (Daniel 7,2 und 11).

Robert Shore, Ahab, 1962Ahab durchlebt die Trennung von Geist, Seele und Körper durch die seinem Wesen innewohnende Energie “[…] erstrebte es triebhaft eine Ausflucht aus der versengenden Nachbarschaft des rasenden Dings, mit welchem es nunmehr nicht länger ein gemeinsames Ganzes war”; ein geradezu alchemistischer Prozess der Abtrennung, des inneren Kampfes, in dem das “äußere Leben” abgetötet, d.h. von dem in ihm waltenden Geist befreit und zur Verwesung gebracht wird, um neu geformt zu werden. Doch bei Ahab stellt sich die Frage: Formung zu welchem Sinn & Zweck seines Daseins?

Dem erschauernden Leser öffnet sich nunmehr ein Abgrund der Finsternis in Ahab selbst:

Oftmals, wenn er aus seiner Hängematte hochgetrieben wurde von erschöpfenden und unleidlich lebhaften Nachtträumen, […] diese seelischen Wehen im Innern seine Existenz aus ihren Fundamenten warfen und sich in ihm ein Abgrund zu öffnen schien […]; wenn diese Hölle in seinem Innern sich unter ihm auftat, dann war durchs ganze Schiff hindurch ein wilder Schrei zu hören; […] Folglich war die aus leiblichen Augen hervorfunkelnde gepeinigte Seele, die Ahab zu sein schien, wenn er aus seinem Zimmer herausbrauste, in dem Augenblick nichts als ein entleertes Ding, ein formloses nachtwandlerisches Wesen […].”

Ahab hat aufgehört, Mensch zu sein, und in seinem Vorhaben, ein Götterbezwinger zu werden, lässt Melville uns als Warnung die Gestalt des Prometheus entgegentreten. Der Hass, der aus verletztem Stolz geboren wurde, wird zum symbolischen Geier, den Ahab in seinem Innern selbst genährt, ja sogar erschaffen hat. Aus dieser Hölle gibt es kein Entrinnen und so schließt dieses hoffnungslose Kapitel mit der letzten aller menschlichen Möglichkeiten, der Anrufung des Allmächtigen:

Gott stehe dir bei, alter Mann, deine Gedanken haben ein Geschöpf in deinem Innern erschaffen; und er, dessen abgründiges Denken ihn solchermaßen zu einem Prometheus macht; ein Geier nährt sich ewig von jenem Herzen, jener Geier eben das Geschöpf, das er selbst erschaffen.

Zitate nach der deutschen Fassung von Friedhelm Rathjen, Zweitausendeins, 3. Auflage 2006;
Bilder: Raymond Bishop: Ahab via then be called ten times a donkey, and a mule, and an ass, and begone, or i’ll clear the world of thee!, the art of memory, 20. Februar 2008;
Robert Shore: Moby Dick by Herman Melville, Macmillan New York, London, 1962.

Written by Wolf

25. April 2014 at 12:01 am

Posted in Steuer