Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for November 2006

A Musical of a Whale

leave a comment »

South Sea People EaterHat da wer gesagt, Moby-Dick sei wie der Faust? Der im Leseprojekt gerade endlich von ferne winkende Captain Ahab gar der Satan aus Paradise Lost, und Mädels kommen da auch keine vor?

Ach Kinder, nicht so verklemmt. Ahab ist Frank’n’Furter, Ismael die fabelhafte Amelie, Starbuck noch zu was anderem gut als Kaffeekochen. Und auf einen Claim wie A Whale of a Tale wären wir doch alle gern gekommen.

Das können Sie buchen.

Written by Wolf

27. November 2006 at 12:58 am

Posted in Reeperbahn

Kapitel 15: Steffi findet Muscheln chowderhaft

leave a comment »

und füttert nochmal nach:

Stefanie DrecktrahSämtlichen vorangegangenen Rezepten zum Chowder ist nichts mehr hinzuzufügen (außer dass ich die Bowle noch mal betont wissen will!). Ich mag halt nur keine Muscheln. Ich habe lange in meinem Leben gezögert, bis ich mal weche probiert habe und prompt lag ich den folgenden Tag quasi Fische fütternd im Bett.

Nee, Muscheln sind für mich nichts. Aber immerhin passen sie in dieser verqueren Sicht in die Reihe der Todesomen, die Ismael entdeckt.

Ich denke auch, dass jetzt so langsam der Ernst der Sache überwiegt. Wir übernachten ja schon im Schatten der Pequod, also im Schatten des bösen Schicksals, das zumindest für einen unseres Dreamteams das Ende bedeuten wird (ich hoffe, ich verrrate keinem Leser damit ertwas neues!). Einzig der zweifache Galgen führt uns in die Irre – schließlich wissen wir, dass für Ismael der Sarg (Coffin) ein Zeichen des Lebens sein wird und nicht sein Untergang (im wahrsten Sinne des Wortes).

Ja, wir machen uns langsam ans Eingemachte, aus Spaß wird langsam Ernst und es wird Zeit für die Einführung der anderen Protagonisten.

Ich bin froh, dass Ihr an meiner Seite seid, liebe Bordkameraden.

Written by Wolf

23. November 2006 at 12:58 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Das Schwirren eines Vogels auf Blütenblättern, der Aufprall einer Nippesfigur auf dem Fußboden

with one comment

Erstens: Jodie Foster.

Panic RoomJodie Foster ist eine einschüchternd kluge Frau. Männer pflegen ja von solchen Fabelwesen impotent zu werden, wofür sie sich dann eine Beziehung lang rechtfertigen müssen. Nur Jodie Foster macht das mit Absicht.

In Panic Room (2002) tat sie so, als ob sie gedemütigt werde. Dabei rächte sie sich nur für die Demütigungen, die sie seinerzeit in ihren Lolitafilmen erleben musste. Oder soll das Zufall sein, dass sie eine Filmtochter vorschieben durfte, so alt wie Jodie Foster in Taxi Driver? Dann lesen Sie das dicke Buch der kalifornischen Mythologie nochmal.

Aufs Blut gereizte Bärenmama mit Bärentochter in Bärenhöhle (muss ich wirklich beweisen, dass wir hier in eine Gebärmutter eindringen?) bewirft geldgierige, schwanzgesteuerte Eindringlinge mit Eisenträgern; verspielte, noch nicht ganz herangereifte Bärentochter tapst nach alter Lolitasitte barfuß Bärenmama hinterher, die anscheinend seit ihrer eigenen Lolitazeit nur ihre Schuhe noch nicht wiedergefunden hat, und muss für leinwandfüllende Großaufnahmen ihre geschundenen Rosenfüßchen in die Kamera halten, ja wird geradezu über die verkrampfte Mimik ihrer Zehen als das verletzlichste aller Päderastenopfer charakterisiert – mit solchen topoi hat das Hollywood des jungen Jahrtausends doch nicht für die Katz den Panic Room möbliert. Sonst sind sie ja auch eher auf fadenscheinig sublimierte Übermütter mit Bombenbrüsten fixiert.

Da sei Jodie Foster vor. Als sie vor Jahrzehnten in ihrer Rolle als Mädchen am Ende der Straße allein in eine Art Panic Room eingesperrt war, wurde sie schon mal von nicht ganz so entschlossenen Unholden behelligt. Barfuß wie ein Bärenjunges, um den Anschein der Selbstbestimmtheit (und ihren zweiten Oscar) ringend, aber letztendlich schutzlos wie in Humbert Humberts Motelzimmer. Und was las sie dort? Emily Dickinson.

Zweitens: Emily Dickinson.

Emily Dickinson, auch nicht älter als 17Emily Dickinson war eine einschüchternd kluge Frau. Das hat nur niemand gemerkt, weil sie praktisch ihr Leben lang ihren Panic Room, nein falsch: ihr Kinderzimmer nicht verließ. Was sie dort statt dessen trieb, weiß Heinz Schlaffer in der Süddeutschen Zeitung vom 18. November 2006:

Selten verließ sie den Wohnort, bald immer seltener Haus und Garten ihres Vaters, am Ende kaum noch ihr Zimmer. Enthusiastisch liebte sie ihre Verwandten und Freundinnen, blieb dabei aber unzugänglich. Später sprach sie mit ihnen nur durch die halb geöffnete Tür aus dem Zimmer, das die anderen nicht betreten durften. Hier lebte sie mit ihren Gedichten für sich. […]

Es trifft sich gut, dass in diesem Herbst gleichzeitig eine Ausgabe ihrer Gedichte und eine Auswahl ihrer Briefe erschienen sind. So wird sichtbar, dass sich ihre Gedichte wie Briefe, ihre Briefe wie Gedichte lesen. Auch die Briefe verzichten auf Nachrichten über Umstände, Fakten und auf eine zusammenhängende Darstellung von Situation und Ereignis. Beide, Gedicht und Brief, wirken wie überstürzte Mitteilungen zufälliger Notizen, wobei einige wie von selbst zu Reim und Rhythmus finden und dann Gedicht heißen.

Eine also, der kein anderes Ausdrucksmittel zu Gebote stand als die lyrische Gestaltung. Eine so durchschaubare wie begreifliche Form des Selbstschutzes. Dass sie sich auch noch als Barfuß-Dichterin empfand, betont in diesem Fall wohl ihre Verletzlichkeit. Sowas lesen dann die bedrohten Mädchenexistenzen in ihren Jungfrauenzimmern.

Drittens: Herman Melville.

Herman Melville war ein einschüchternd kluger Mann. Was aber niemanden jemals groß interessierte, am wenigsten seine Frau. – In Heinz Schlaffers o.a. luzider Besprechung kommt auch kurz Melville vor:

Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entsteht eine autonome amerikanische Literatur, sogleich aber von höchstem Rang: in den Essays Emersons, den Romanen Hawthornes und Melvilles, in der Lyrik Walt Whitmans und Emily Dickinsons. Doch selbst diese Gedichte, so fern sie auch allem praktischen Nutzen zu stehen scheinen, sind dem Geist der Pioniere, die einen Kontinent erobern, verwandt: Sie erkennen keine Konventionen der lyrischen Sprache an; sie wollen nur sagen, was wirklich und wahr ist. Deshalb sind sie rücksichtslos neu. Aus der adamitischen Situation der amerikanischen Kultur, die noch einmal am Anfang der Schöpfung zu stehen glaubt, geht ein eigenständiger Beitrag zur Literatur der Moderne hervor. Die amerikanische Lyrik verabschiedet, wie die europäische seit Rimbaud, die Vorstellung von schönen Versen, um die archaischen Elemente der Poesie wieder freizulegen.

Lolita gibt BärenpfötchenSo führt ein direkter Weg von Melvilles Ishmael und den Lost Boys auf der Pequod über Emily Dicksinsons autistische Lyrik und Nabokovs Lolita, die mit Humbert Humbert die USA bereiste, bis zu den populärpostfeministischen Jodie-Foster-Schinken.

Alle eine Revolution, alle eine Revolte.

Gibt es überhaupt künstlerisches Schaffen, das keine Kindheitsneurosen aufarbeiten will?

Written by Wolf

21. November 2006 at 12:50 pm

Was quält man sich eigentlich so?

leave a comment »

Blog with a viewWo man doch Moby-Dick locker in 1 Minute schafft.

Written by Wolf

18. November 2006 at 9:10 am

Posted in Mundschenk Wolf

Kaufen und Flachlegen

with one comment

Die nette Azubine vom alten Hugendubel am SalvatorplatzAlle Germanisten (und die meisten von ihren Kumpels, den Anglisten) waren mal mit einer Krankenschwester und mit einer Buchhändlerin zusammen, man kann sie auf die Nummer buchen.

Weil man ja ab einem gewissen Alter froh ist, wenn man keine Krankenschwestern trifft, dringt man gerne und oft in die Zielgruppe der Buchhändlerinnen ein, um ihnen Vergriffenes abzukaufen, damit das Verkaufsgespräch länger dauert.

Neu in der Warteschleife: der Sammelband aus der Library of America, klein, kompakt und knuffig (1478 Seiten!), und vor allem mit all jenen Raritäten drin, die zuletzt anno 1985 veröffentlicht und noch nie übersetzt wurden, vulgo Uncollected Prose:

Articles and Reviews: Etchings of a Whaling Cruise
Authentic Anecdotes of “Old Zack”
Mr Parkman’s Tour
Cooper’s New Novel
A Thought on Book-Binding
Hawthorne and His Mosses
Fragments from a Writing Desk

Das wird ein inhaltlicher Boost für die Bücherliste da rechts, und wer noch nie ein abgeschriebenes Exemplar aus der Stadtbücherei von Deep River, Iowa ausgebuddelt hat, kann ja gar nicht wissen, was für eine trostlose Ersatzbefriedigung das Flachlegen von Krankenschwestern ist.

Sollten Sie auch.

Eindringen!

Written by Wolf

16. November 2006 at 2:26 pm

Posted in Reeperbahn, Wolfs Koje

Kapitel 15, Chowder: Elke kennt sich aus mit manschigem Fischsuppenbrei

leave a comment »

Elke hungert:

Elke HegewaldHolla, na das nenne ich doch mal eine üppige Mahlzeit. Nahrhaft – und vor allem sehr abwechslungsreich – scheint es in der Küche von Mrs. Hussey zuzugehen. Nichts gegen die Spezialität im “Trankessel”, aber bei so viel Meeresgetier in einer bis zwei Schüsseln fürchtet man ja, dass einem Schwimmhäute zwischen den Zehen wachsen.

Ich weiß ja nicht, wie es euch ging, aber ich bin mit den landestypischen Gerichten Neuenglands nicht so vertraut und musste, um ehrlich zu sein, erst nachschlagen, was da Leckeres im Topfe der Frau Wirtin köchelt.

Schauder-ChowderDas Ergebnis war durchaus überraschend, denn es scheint, als sei dieses Chowder-Zeugs nicht nur was zum ordentlich Sattwerden, sondern Gegenstand eines wahren Kultes: Es füllt mit unterschiedlichsten Grundzutaten ganze Kochbücher, von denen wir aus unserem Primärmaterial lediglich die Muscheln und den Kabeljau kennen, nicht aber das Huhn, diverse Feldfrüchte und andere vegetarische Ingredienzien oder was da sonst noch so reinwandert. Chowder-Tage, Chowder-Festivals und Chowder-Kochwettbewerbe werden landesweit veranstaltet, und Restaurants und Imbissbuden heißen Chowder-House, Chowder-Bar oder – sehr hübsch – Chowder-Bowl.

Was für ein Siegeszug dieses manschigen Suppenbreis! Mhja… ich glaube, ich lass heute das Frühstück ausfallen.

Was sonst noch erwähnenswert ist: die abenteuerliche Navigation unserer zwei Walfänger zur wärmstens empfohlenen Unterkunft und Ismaels dunkle (Todes-)Ahnungen beim Anblick des an einen Galgen erinnernden Wahrzeichens der Herberge. Die ihm wohl mehr zu schaffen machen, als er merken lassen mag. Oder ist nur mir aufgefallen, wie krampfhaft und betont er den Spaßvogel mimt? – sogar sein Intimus ist vor seinen Foppereien nicht sicher. Das kennt man doch selber – laut pfeifend durch den dunklen Wald laufen! Nun, soll er erstmal eine Nacht darüber schlafen und was Ordentliches essen – was gabs doch gleich nochmal zum Frühstück?

Hussey ohne Mrs.Ach ja, und dann ist da noch Mrs. Hussey, die wirklich resolute Chefin des gastlichen Hauses, in der wir ja nun offenbar das angekündigte einzige handelnde Weibsbild der ganzen Geschichte kennenlernen durften, oder? Und ihre wortkarge, doch stimmgewaltige Autorität muss es schon in sich haben – wer hätte wohl sonst Queequeg von seiner geliebten Harpune trennen können?

Written by Wolf

13. November 2006 at 6:25 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 15: Chowder für alle

leave a comment »

Wie gut, dass ich von Anfang an meine teure Ausgabe mit Bleistift vollgemarkert hab, wo im Moby-Dick überall Frauen auftreten: Da tu ich mich am Schluss leichter, wenn ich alle Fundstellen im Überblick auflisten will – wofür immer das gut sein wird. Es gibt viele, die an Frauen ein natürliches Interesse hegen. Einstweilen untersagt mir meine Erziehung, aus dem Zusammentreffen von dominanten Frauen und sehr viel Fisch ausgerechnet in Gesellschaft von Frauen eine allzu sinnhafte Verbindung herzustellen. (Kommt ein Blinder ins Fischgeschäft: „Na, Mädels?“)

Und zu Weihnachten schenk ich mir endlich den Freudschen Drewermann

Written by Wolf

12. November 2006 at 5:09 pm

Posted in Steuermann Wolf

Alles Clarel

with 2 comments

Es fängt schon grüblerisch an:

1. Teil: JERUSALEM
I. Die Herberge

In einer Kammer, niedrig und von Zeit gezeichnet,
Altes Gemäuer, jüngst mit Kalk getüncht –
Das einem frisch in Stein gehau’nen Grabe gleicht,
Sitzt ein Student, Ellbogen auf dem Knie,
Die Stirn ganz regungslos gestützt auf die
Handschräge, und sinnt für sich.

Schreibheft 63, 2004Clarel. Ein Gedicht und eine Pilgerreise ins Heilige Land, im Original Clarel. A Poem and Pilgrimage in the Holy Land und bezeichnender in der meist auftretenden Schreibweise CLAREL, in Zahlen, damit die aufstrebenden Literaturwissenschaftler da draußen ein Gerüst für anstehende Hausarbeiten haben:

Herman Melvilles erstes und letztes Versepos, inspiriert seit seiner sechsmonatigen Reise in die alte Welt 1856–57, ausgearbeitet ab 1870, herausgegeben am 3. Juni 1876 bei G. P. Putnam & Co. auf eigene Kosten und unter Zuschuss seines Onkels Peter Gansevoort in 330, vielleicht auch 350 Exemplaren. Das war 100 Jahre nach der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, zugleich im zehnten Jahr von Melvilles Brot-Tätigkeit als Zollinspektor, seine insgesamt 26. Veröffentlichung.

Entstanden ist das längste Gedicht der amerikanischen Literatur – eingeteilt in 4 Teile, 150 Cantos und knapp 18.000 Verse in jambischen Tetrametern, unterbrochen von Einschüben in anderen Versmaßen – länger als Ilias und Odyssee zusammen, vergleichbar mit der Divina Commedia von Dante, den Canterbury Tales von Chaucer oder Paradise Lost von Milton. Außerdem war ein Jahr zuvor Mark Twains Innocents Abroad erschienen, ein humoriger Roman – ein Bestseller – über eine Reisegruppe durch Europa und die alte Welt, was Melville den Anstoß zu dem ähnlichen Thema verabreicht haben mag.

Melville betrachtete Clarel als sein dichterisches Vermächtnis an die Nachwelt. Trotzdem musste der Verleger Putnam Melville überreden, überhaupt seinen Namen auf den Umschlag setzen zu lassen. Melvilles Misstrauen in seine eigene Arbeit erwies sich nach all den vorangegangenen literarischen Fehlschlägen als berechtigt: Das Werk stieß bei Kritik und Publikum auf fundamentales Unverständnis und verkaufte sich so gut wie überhaupt nicht. 1879 musste Melville 224 Restexemplare von der Erstauflage wiederum auf eigene Kosten einstampfen lassen.

In Melvilles Tagebüchern und Korrespondenz finden sich keine Hinweise auf die Arbeit an Clarel, solange sie – immerhin in seiner Freizeit neben seiner Arbeit im New Yorker Hafen – vor sich ging. Trotzdem weiß Pechmann von familiären Szenen bei Melvilles zu berichten, in denen der Dichter morgens um zwei ins Zimmer seiner Tochter Fanny stürmte, um ihr seine Arbeitsfortschritte vorzulesen; „manchmal mußte sie ihm am Klavier den Takt vorgeben, damit er den Rhythmus seiner Verse prüfen konnte.“

Erst am 10. Oktober 1884, fünf Jahre nachdem Clarel weitgehend aus dem Weltgeschehen getilgt war, bezeichnete Melville das Werk in einem Brief an einen seiner raren Bewunderer, James Billson, als metrical affair (etwas herabsetzend als „Ding in Versen“) und insgesamt als „höchlich dazu geeignet, unpopulär zu sein“. Weitere drei Monate später schickte er Billson ein verbliebenes Exemplar aus eigenen Beständen, wohl zu Zwecken der Forschung und Dokumentation.

Clarel erlebte außer den Northwestern-Newberry Editions von 1924 und 1991, letztere herausgegeben von Harrison Hayford, Alma A. MacDougall, Hershel Parker und G. Thomas Tanselle, keine weiteren Auflagen. William Potter forschte ebenfalls erst 2004 in Melville’s Clarel and the Intersympathy of Creeds für Kent State University Press darüber.

Clarel erstmals in einer FremdspracheDie Ausgabe bei Jung und Jung, Salzburg 2006, ist die erste vollständige Übersetzung des Clarel in eine andere Sprache überhaupt. Besorgt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen wurde sie von Rainer G. Schmidt auf Grundlage der Northwestern-Newberry Edition 1991, die Auszüge aus Melvilles Reisetagebüchern nach deren deutscher Ausgabe bei Achilla Presse, die Bibelstellen nach einer Lutherbibel von 1855.

Ein Vorbericht von Alexander Pechmann, „Eine Pilgerfahrt, ein Ding in Versen…“, über dieses verlegerische Unternehmen erschien 2004 im Schreibheft 63 auf Seite 95–100 und sicherte dessen Fortgang – vor allem auch die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturfonds e.V., während welcher Unstimmigkeiten auftraten.

Die vier Teile des Epos sind benannt:
1. Teil: Jerusalem
2. Teil: Die Wüstenei (The Wilderness)
3. Teil: Mar Saba
4. Teil: Bethlehem

Die äußere Handlung führt den Theologiestudenten Clarel auf seiner vergeblichen Suche nach Offenbarungen nach Jerusalem. Dort verliebt er sich in die rätselhaft schöne Tochter Ruth des amerikanisch-jüdischen Milleniaristenfreundes Nathan, welcher kurz darauf ermordet wird. Um die Zeit zu überbrücken, bis er das Haus der Familie nach jüdischem Brauch wieder betreten darf, unternimmt Clarel eine Pilgerreise zum Toten Meer, die ihn mit zahlreichen Diskussionspartnern zusammenführt, anhand derer er den Sinn des Lebens sucht. Das geliebte Mädchen Ruth ist kurz vor Clarels Rückkehr nach Jerusalem am Fieber gestorben.

Der Inhalt nach dem Klappentext der deutschen Ausgabe:

Clarel, ein junger amerikanischer Student, unternimmt eine Reise nach Jerusalem. Dort verweben sich biblische Vorzeit und Jetztzeit, dort verknüpfen sich alle gesehenen und imaginierten Landschaften und alle Seelenbestrebungen zu einem großartigen Teppich von melancholischer Wortpracht. Grandiose Wüstenszenerien und Südseereminiszenzen vermischen sich mit Phantasien von antiker Freizügigkeit und asketischen Modellen von Christentum und Islam. Clarel ist ein Traumspiel, worin Zeiten, Mythen und Stoffe zu einer schillernden poetischen Präsenz gebündelt werden.

Noch mehr SekundärliteraturAllgemein klingen Rainer G. Schmidts Ausführungen immer wieder etwas angestrengt nach einem Versuch der Ehrenrettung für Melvilles Werk. So wertet er die incoherence in Form von unreinen und unregelmäßig auftretenden Reimen und anderer formaler Schwächen, die Clarel von der Kritik vorgeworfen wurde, lieber abgemildert als die von anderer Stelle bescheinigte inconclusiveness – also nur Ergebnislosigkeit. Die schiere überbordende Gesamtlänge des Werkes verteidigt er mit dessen Gliederung in Cantos von nachgerade süffiger Textmenge, manche von nur einer Druckseite, zwischen denen man sogar lesend (und übersetzend) springen kann.

Schmidts erhellendste Erkenntnis aus seinem ansonsten erfreulich hohen Stand der aktuellen Forschung ist vielleicht die, dass Melville sein Leben lang immer nur ein einziges Buch schrieb, immer wieder ein Thema aus verschiedenen Blickwinkeln anging, mit dem er nie fertig wurde – eine umfassende und zutiefst menschliche Suche, vielleicht nach Sinn. Daher all die Reiseerzählungen, die ab seinem dritten Buch Mardi von 1849 stark philosophisch, ja metaphysisch durchsetzt und untermauert waren.

Auch brach spätestens seit Mardi Melvilles Hang zur Lyrik durch. Die Themen und Techniken aus Mardi sind in Moby-Dick von 1851 nachweisbar vervollkommnet und überhöht; dazu zählen Elemente wie die Stellen in rhythmisierter Prosa und liedhafte Strukturen. Schon Mardi lässt sich geradezu als Gedicht begreifen, und zwar als Rundgesang mit den verschiedenen Südseeinseln als Strophen (siehe deutsche Ausgabe Band II, S. 515). Als Melville mit Moby-Dick seinen Abstieg in der Publikumsgunst verankerte und nach dem Einbruch mit dem Confidence Man von 1857 vollends klein beigeben musste, zog er sich hauptsächlich auf Lyrik zurück. So gesehen ist ein Monolith wie Clarel – lyrisch, vieldeutig, grundsätzlich, einsam, pessimistisch – nur das logische Ergebnis von Melvilles Entwicklung.

Randbemerkung Melvilles in seiner Ausgabe der Künstlerbiographien von Giorgio Vasari:

Erreiche das bestmögliche Ergebnis. – Eine Fähigkeit zum Ergreifen. – Die unablässige Wahl erhabener Themen. – Der Ausdruck. – Packe so viel hinein wie du kannst. – Vollendung bedeutet Vollständigkeit, Fülle, nicht Glätte – Größe ist vom Maßstab abhängig. – Klarheit & Entschlossenheit. – Die größtmögliche Anzahl der größten Ideen.“

So viel als Einstieg.

Written by Wolf

10. November 2006 at 5:00 pm

Auf der Jagd nach Nantucket

leave a comment »

Elke hat noch was gefunden:

Die Jagd nach Dr. U englischBeinahe hätte ich mein kleines Fundstück vergessen, welches nur bestätigt, dass an Nantucket kein Weg vorbei führt. Denn hätte es wohl sonst seinen Platz sogar im Kosmos der Länder, Sprachen und Figuren eines H.C. Artmann gefunden, dieses, wenn im vorliegenden Fall auch nur kopfreisenden, Weltenbummlers vor dem Herrn? Auf seiner stetigen “Poetischen Suche nach dem Randständigen und Bedrohten”?

Written by Wolf

7. November 2006 at 8:08 pm

Posted in Smutjin Elke

Kapitel 14: Elke’s Whalesong into Nantucket

leave a comment »

Elke ist praktisch schon da:

Yeah, Nantucket, wir kommen!

Elke HegewaldHerrje, und wäre ich nicht an der Seite unserer zwei Helden an Bord der “Moss” (also dieses zielsicheren Fährschiffchens jetzt) gegangen, ehrlich, ich hätte dieses wundersame Eiland, die wahre Heimat der Waljäger und Seefahrer, ganz woanders vermutet, mehr in Richtung des unwirtlichen Neufundland… irgendwie.

Denn denkt man sich nicht alles, was mit Walfängerei zu tun hat, ganz von selber in nördlichere Breiten? Ha, Moby-Dick als Bildungsbuch! Aber das hätten wir ja spätestens bei der noch etliche Kapitel voraus liegenden Melvilleschen Cetologie eh gemerkt. Jedenfalls weiß man jetzt endlich auch als Nicht-Nantucketer, dass selbiger nur ein paar läppische hundert Seemeilen östlich von New York und sogar um einige Breitengrädelchen näher zum Äquator hin als der Ostfriese, der Neufünfländer und ja, auch der Franke zu Hause ist. Der freundliche Hinweis, in die Karte zu schauen, war gar nicht so schlecht.

Da schwanken wir noch auf den Planken vor der Küste dieses “Ellenbogens aus Sand”, und schon purzeln uns die Legenden nur so vor die Füße. Und zuerst erinnern sie uns tatsächlich an Anekdoten über ein uns wohlbekanntes heimatliches Küstenvölkchen. Bis man merkt, dass Herr Melville doch recht liebevoll mit diesem Menschenschlag umgeht – er wird gewusst haben, warum…

Nantucket von untenÜberhaupt scheint die Gegend recht mythenträchtig zu sein, nicht zuletzt auf geheimnisvolle und besondere Weise verwoben mit “der mächtigsten Masse Leben, welche die Sintflut überlebt hat… einem wahren Ungeheuer, gewaltig wie ein Berg!” (S. 124) Irgendwo (wüsste ich doch nur noch wo) habe ich die Legende der fast zufälligen Erfindung des Pottwalfangs auf Nantucketisch gelesen, die ja mehr sowas wie der verzweifelte Befreiungsschlag eines von diesen Riesenviechern umzingelten Fischfängers gewesen sein soll. Auch die verhängnisvolle Fahrt der Essex auf den Wal, vielleicht das reale Vorbild unserer Geschichte, deren schiffbrüchige Reste der Mannschaft nur als Menschenfresser überleben konnten, nahm hier ihren ihren Anfang.

Und, nicht zu vergessen: schließlich liegt die “Pequod” des Captain Ahab, beide inzwischen ihr eigener Mythos und bereit zur Jagd auf Moby-Dick, im Hafen von Nantucket.

Martha's WeingartenHach, und beim Erkunden der empfohlenen Landkarte entdeckte ich, dass sogar Martha’s Vineyard, des Eilands nordwestliche Nachbarinsel, die Form eines verwesenden Wals ohne Kopf hat. Bisher wusste man ja nur, dass Haustiere ihren Herrchen mit den Jahren immer ähnlicher werden sollen (oder umgekehrt?) – aber ganze Landschaften?

Auf jeden Fall scheinen wir uns mit Melville (und mittlerweile auch Scharen von lästigen Touristen) über die Faszination dieses Fleckchens Erde einig zu sein. Also: Alle Mann von Booord!

Written by Wolf

7. November 2006 at 7:56 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Charles Warren Stoddard zum Gruß

leave a comment »

MitteRobert Louis Stevenson – der mit der Schatzinsel – kannte und schätzte Melville. Über seinen offiziellen Erstling Typee ist von Stevenson überliefert:

“Es gibt nur zwei Schriftsteller, welche die Südsee genial geschildert haben, und das sind zwei Amerikaner: Herman Melville und Charles Warren Stoddard.”

Stoddard?

Einer von den Unterschätzten, auch im eigenen Land, und schon gar nicht ins Deutsche übersetzt. Für uns Heutige wahrscheinlich zu christlich geprägt, aber schon früher bekennend katholisch.

Das meiste, was über ihn greifbar ist, stammt aus Wikipedia, die sich ihrerseits bei der Catholic Encyclopedia bedient und auf die sich praktisch alle anderen Fundstellen beziehen: *7. August 1843 in Rochester, New York – +23. April 1909 in Monterey, California.

Immer wieder wird Stoddard mit den Vokabeln beschrieben, die er auch selbst für seine Mitmenschen in Kalifornien, der Südsee und auf seinen sonstigen Reisen findet: light, sweet, wild, fresh, imaginative, impressionable. Er muss ein umgänglicher Mensch mit reichhaltigem Seelenleben gewesen sein. Ein praktizierender Christ, der nicht durch penetrantes Herumfrömmeln stört, sondern der seine als bereichernd empfundene Religion in ansteckender Weise zum Anlass nimmt, Gutes zu tun, um ein guter Mensch zu sein – ein Reisender auch, dem ein Ort auf der Welt nie genug war, und der sich immer darüber mitteilen wollte. Von fragiler Gesundheit, aber eine große Seele.

Die Südsee hat Stoddard etwa 20 Jahre nach Melville bereist, in Ägypten mit Heiligem Land war er vor ihm. Melville und Stoddard schrieben mit unterschiedlicher Motivation und bedienten unterschiedliche Leserbedürfnisse. Das Interesse daran, mit wie viel Recht Stevenson beider Südseebeschreibungen in einem Atemzug nennen konnte, fordert zu neuer vergleichender Forschung auf.

Um Stoddard der Erinnerung des deutschsprachigen Publikums erhalten zu helfen, plane ich seinen Wikipedia-Artikel zu übersetzen. Wenn er fertig ist, erfahren Sie via Blog-Eintrag davon.

Als Vorschuss Stoddards Gesamtwerk chronologisch:

Poems by Charles Warren Stoddard, nach 1857
South-Sea Idyls, ab 1864;
Lazy Letters from Low Latitudes;
The Island of Tranquil Delights: A South Sea Idyl and Others;
The Lepers of Molokai, ca. 1866;
A Troubled Heart and How it was Comforted, nach 1867. “Here you have my inner life all laid bare.” Die Geschichte von Stoddards Bekehrung zum Katholizismus.
Summer Cruising in the south Seas, 1874;
Marshallah, a Flight into Egypt, 1885;
A Trip to Hawaii, 1885;
Exits and Entrances: A Book of Essays and Sketches, nach 1889, lieferbar bei University Press of the Pacific. Erinnerungen an Stoddards Busenfreund Stevenson und andere literarische Bekanntschaften. Sein eigenes Lieblingsbuch.
For the Pleasure of His Company, nach 1889. “Here you have my confessions.” Stoddards einziger Roman.
In the Footprints of the Padres, 1892; lieferbar bei University Press of the Pacific und Paperbackshop.Co.UK Ltd – Echo Library;
Hawaiian Life, 1894;
Saint Anthony, the Wonder-Worker of Padua, 1896;
A Cruise under the Crescent, 1898;
Over the Rocky Mountains to Alaska, 1899;
Father Damien, a Sketch, 1903;
With Staff and Scrip, 1904;
Hither and Yon; The Confessions of a Reformed Poet, 1907;
The Dream Lady, 1907;
A Bit of Old China, ohne Jahr.

Wie man auf sowas kommt? – Man liest das Schöpfungsmärchen zu Moby-Dick: Jean Giono: Melville zum Gruß.

Written by Wolf

6. November 2006 at 5:44 pm

Kapitel 13: Elke kennt sich aus mit Schubkarren

leave a comment »

Elke redet noch von was anderem als dem Wetter:

Elke HegewaldOh ja, es wird Zeit für unsere zwei Busenfreunde, sich zur Überfahrt nach Nantucket einzuschiffen. Und Melville geleitet sie sicher dorthin. Ging er doch als einundzwanzigjähriger Abenteurer selbst im New Bedforder Hafen an Bord der Acushnet, um achtzehn Monate später von seiner ersten und einzigen Walfangreise zurückzukehren – zum gestandenen Manne gereift und lebend, denn Mocha Dick ist er wohl nicht begegnet…

An diesem ruhigen… hm, nach des Wolfes Zeitforschung und Herrn Adam Riese müsste – nach zwei gemeinsamen Nächten des frischvermählten Freundespaares – grad das zweite Adventswochenende vorbei sein… an diesem ruhigen Montagvormittag also schieben sie, einander brav abwechselnd, ihren Schubkarren mit diversem Gepäck zum Einchecken an den Kai. Das Wetter ist akzeptabel, wenn man von ein paar Windböen, die es ja in diesem Kapitel wegen der Dramaturgie und gemäßigten Dramatik noch brauchen wird, einmal absieht.

Seamen's BethelEin paar Straßen weiter, in Seamen’s Bethel, dem Gottesort der Walfänger, wird Vater Mapple nun auch sie in seine Gebete einschließen, denn es wird langsam ernst mit dem Abenteuer Mann gegen Wal.

Der Schubkarren, in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (und vielleicht sogar Nicht-Erscheinungs-Formen) sicher sowohl für Mundartforscher als auch für die Jünger der einschlägigen urbanen und ruralen Historie ein lohnendes Objekt, gibt nicht nur dem 13. Kapitel seinen Namen, sondern darf gleich noch für einen (zumindest für mich in meiner beruflichen Prägung) deliziösen Exkurs herhalten. Über Missverständnisse kultureller Art nämlich. Und schau an: Unser guter Queequeg erweist sich durchaus nicht als drolliger Wilder, der ulkige Bräuche praktiziert, sondern offenbart eine Weisheit, gepaart mit offensichtlichem Humor und gesunder Selbstironie, wie sie die ach so zivilisierten Weißen, die durchs Bild stolpern, heftigst vermissen lassen. Also, in heutiger, globalisierender Lesart würde ich ja dem Jungen mit der Harpune ohne Zögern interkulturelle Kompetenz bescheinigen. “Na, was du jetz denken? Unsere Leute nicht lachen müssen?”

Zudem weiß er sich bei einem Angriff auf seine Würde durchaus seiner Haut zu wehren und sich handfest Respekt zu verschaffen. Und seine mit gelassener Ruhe vollbrachte Rettungstat enthüllt eine Selbstlosigkeit und Menschlichkeit, die mich in meinem schon woanders geäußerten heimlichen Verdacht nur noch bestärkt, dass Melville mit ihm so eine Art weißen Raben als Ideal der (christlichen?) Nächstenliebe in die Geschichte schnitzen wollte. Für den die “Welt […] eine Gesellschaft auf Gegenseitigkeit mit unbeschränkter Haftung [ist], und zwar in allen Breiten”, in der “[w]ir Menschenfresser […] diesen Christenmenschen beistehen [müssen]”. (S. 122) Hmm…

Written by Wolf

6. November 2006 at 5:40 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 14: Nantucket

leave a comment »

Jetzt hagelt’s aber Legenden.

Out of NantucketEs scheint, der Nantucketer an sich ist eine Art Ostfriese – nach allem, was man über amerikanischen Lokalrassismus weiß, die Fortsetzung des New Jerseyaners (heißen die so…?) mit maritimen Mitteln. Wer aus Franken (wahlweise Österreich, Saarland, Neufünfland) kommt, musste sich sowas oft genug anhören. Jede ethnische Formation hat ja ihr Opfervolk, über das sie Witze erzählt; das stiftet Identität und verbindet und schützt gegen die Angst vor den komischen Leuten hinterm Berg.

Nantucket kommt unter Melvilles Fingern noch ganz gut weg: Die hämische Charakterisierung ist Zitat, Ismael stiftet nur die Bewunderung für ein verschrobenes Völkchen dazu, das seit seiner Gründung durch vom Schicksal gebeutelte und nur zufällig herbeigeruderte Indianer seine eigene Suppe kocht. Ein abseitiges Inselvolk, das sich von einem vom Adler geraubten und gefressenen Indianerkind herleitet – das kann er nachvollziehen, der Lost Boy Ismael.

Und jetzt mischt er sich unter die anderen Lost Boys. Er kennt sie noch nicht persönlich, aber hier müssen sie sein, und ihnen gehört nicht die Welt, aber zwei Drittel davon schon, und zwar die nassen.

Langsam wird mir auch klar, warum Ismael sich so bereitwillig zur Freundschaft mit Queequeg entschlossen hat (wir erinnern uns: Es war ja ein bewusster Vorsatz: “Ich will’s mit einem Heidenfreund versuchen”, Busenfreund-Kapitel 10, Seite 105, und die ganze Zeremonie der Vermählung): Da hat ein Lost Boy den anderen erkannt und zum Freund genommen, und wenn schon, dann gleich den offensichtlichsten von allen – einen, der mit seiner knallenden schallenden Besonderheit womöglich noch schwerer in der Welt zurechtkommt als Ismael: Queequeg, diese Gladiole unter Primeln. Bei jedem anderen als Ismael hätte einem so eine 180°-Wendung verdächtig vorkommen müssen, vorschnell oder wie eine vorübergehende Laune, so von der todesängstlichen Reserviertheit hin zu nicht weniger als der Freundschaft fürs Leben innerhalb einer Nacht. Aber Queequeg Löwenherz, der Königssohn, macht mit seiner selbstverständlich unangestrengten Tapferkeit tatsächlich all das richtig, worüber Ismael alleine vermutlich nur trübe philosphieren könnte. Dochdoch, es haben sich schon die zwei Richtigen gefunden.

Die Freundschaft ist ja nun, wie Freundschaften so sind, gegenseitig. Was hat eigentlich Queequeg angetrieben, sich seinerseits mit Ismael zu vermählen? Ethnologisches Interesse? Praktische Erwägungen? Hat er instinktiv geraten, dass Ismael schon kein verkehrter Mensch sein wird? Weil er da war? – “Wilde sind freilich seltsame Wesen.” Seite 104.

Und weil grade noch Platz ist, ein Opferethnienwitz zum Weitererzählen: Billigstes Urlaubsland der Welt? – Die Schweiz: Da kann man mit Franken zahlen, hahaha…

Written by Wolf

4. November 2006 at 7:31 am

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 13: Schubkarren im Dezember

leave a comment »

Toothpaste for DinnerWas am publikumswirksamsten Umberto Eco in der Nachschrift zum Namen der Rose “sich seinen Leser schaffen” nannte, ist Melville wahrscheinlich so absichtslos wie probat unterlaufen. Es musste einfach so viel gesagt werden, bevor das losgeht, worauf wir hedonistischen Lesefrüchtchen warten: eine ordentliche Action auf See. Die unter uns keine philosphischen Exkurse vertragen, sollten inzwischen rausgeekelt sein.

All die Aufbruchsstimmung hat was von Frühling, was mich darauf bringt: In welcher Jahreszeit handeln wir eigentlich?

Seit dem ersten Absatz in Kapitel 1 – “immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht” – war ich auf dem Trip: Logisch, November. Genaueres Hinterherforschen im ersten Absatz von Kapitel 2 bringt die Gewissheit: “Es war an einem Samstagabend im Dezember“. Öha.

Besonders adventlich wird’s nicht mehr werden. Selbst Vater Mapple hat über ein Thema gepredigt, das New Bedford wohl ganzjährig beschäftigt; wenn schon der 4. Advent akut wäre, sollte sogar der Exharpunier Lukas 2 aufschlagen.

Dafür imponiert mir umso mehr das Wochenende in Echtzeit, auf das man via Kirchgang den philosophsichen Überbau – oder ist es in diesem Fall ein Unterbau? – für die folgenden Verhängnisse projizieren konnte.

Dezember also, tippen wir mal auf den Montagmorgen nach dem 2. Advent, die eisbedeckten Bäume glitzern in der kalten, klaren Luft, und so wie unsere beiden Kumpels die Nüstern nach der frischen Seeluft blähen und sich schon mal von der ersten Gischt umschäumen lassen – ist das anders vorzustellen als frühlingshaft? Dann springt der Tropeninsulaner auch noch bedenkenlos und unbeschadet in die Eisbrühe, die ich auf Google Earth dauernd mit dem Golf von Labrador verwechselt hab… O ja, dieser Dezember ist der Anfang von etwas.

Wird das noch ein Schnelldurchlauf durch einen Jahreszyklus?

Leckerli zum Direktvergleichen: “Von jener Stund an klebte ich an Queequeg wie eine Entenmuschel am Schiffsrumpf” heißt im Original: “From that hour I clove to Queequeg like a barnacle”. Nichts von Schiffsrümpfen. – “Des is doch der Auster so wurscht.” (Shel Silverstein, übs. Harry Rowohlt)

Written by Wolf

3. November 2006 at 1:54 pm

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 13: Schubkarren

leave a comment »

Steffi hat sich in Reisestimmung gelesen:

Stefanie DrecktrahJa, so langsam nähern wir uns dem Schicksal, der Pequod und den anderen Seebären, nach deren Bekanntschaft es uns dürstet. Endlich nähern wir uns auch Nantucket – und wie heißt es so schön? Nantucket sehen und sterben!

Aber erst einmal müssen wir uns rübersetzen lassen, müssen mit Vorurteilen kämpfen und bornierten weißen Deppen, die dann auch noch Captain einer Fähre sind.

Aber wie geschickt hat Melville das eingefädelt: erst die Wortgefechte und dann ein Szenario, in dem sich unser Menschenfresser als echter Held beweisen kann. Erst den Mast gesichert, der sich selbstständig gemacht hatte und den Captain über Board warf (Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, sagt man in der Gegend, aus der ich komme) und dann ein kühner, unaufgeregter Sprung Queequegs über die Reling und denn Mann aus den Tiefen des Meeres entrissen.

Wow! Kann ich da nur sagen. Diese Seite seines Charakters wird in den Filmen doch völlig verschwiegen. Nein, Queequeg ist nicht nur drollig, weil er lustige Sätze formt, ulkige Bräuche praktiziert und einen fabulösen Background einer Taka-Tuka-Insel mit sich bringt: Er ist in der Tat auch ein edler Mensch, furchtlos und gerecht – ohne zu überlegen springt er hinterher, um den Mann zu retten, der ihn gerade noch so übel beschimpft hat. Ja, Queequeg ist schon wirklich einer, mit dem man gerne befreundet wäre!

Und Ismael? Der sagt so tolle Sätze wie: “Von jeder Stunde an klebte ich an Queequeg wie eine Entenmuschel am Schiffsrumpf.” (S. 121) Was für eine Metapher! Das macht doch Leselust. Überhaupt scheint die ganze Sache jetzt an Fahrt zu gewinnen.

Als wir endlich Nantucket ergblicken, werden wir aufgefordert, eine Karte herauszuholen und genau das tue ich.

Nantucket und Umgebung

Ein Ort mit lauter Legenden, nein, der Ort scheint nur durch Legenden zu bestehen und schon jetzt ahnt man, dass etwas wahrhaft Sagen-haftes passieren wird.

Written by Wolf

1. November 2006 at 6:53 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Auf nach Nantucket

leave a comment »

Google Maps empfiehlt, Nantucket von New Bedford aus über Cape Cod anzufahren.
Ich vermisse den Fährenplan.

Nicht auf Nantucket spucken!

Written by Wolf

1. November 2006 at 4:44 pm

Posted in Kommandobrücke