Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for September 2010

With kings and counselors

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Update for 116²:

There has died and been buried in this city, during the current week, at an advanced age, a man who is so little known, even by name, to the generation now in the vigor of life that only one newspaper contained an obituary account of him, and this was but of three or four lines.

The New York Times about The New York Times, October 2, 1891
(with “Hiram Melville” corrected to “Herman Melville”),

Wade Shepard, The grave of Herman Melville in Woodlawn Cemetery, Bronx, NY, October 2008, Wikimedia Commons

Herman Melville (August 1, 1819 – September 28, 1891.

An offering of Baleine salt at Herman Melville's grave, Vagabond Journey

Herman Melville designed his own tombstone with the blank scroll. The box on the stone is an offering of Baleine Salt, Seasalt Coarse Crystals, made by Wade Shepard from Vagabond Journey, whose documentary photograph was relevant enough for Wikipedia.

Find a Grave

Woodlawn Cemetery, Herman Melville’s last repose in the Bronx, where he never lived, does not feature any memorial about him or his neighbours Duke Ellington and Miles Davis, save the foundation order for his gravelot.

In post-Claudius-Ptolemyan navigation, Herman Melville’s grave is on
40° 53′ 32.94” Northern Latitude,
73° 52′ 02.91” Western Longitude:

Herman Melville on Woodlawn Cemetery, Google Earth

Visit MuseumPlanet and Herman Melville’s obituary notices!

Images: MuseumPlanet: Woodlawn Cemetery Entrance;
Wade Shepard: The grave of Herman Melville in Woodlawn Cemetery, Bronx, NY, October 2008;
An offering of Baleine salt at Herman Melville’s grave: Vagabond Journey;
Foundation order for Lot of Herman Melville: Woodlawn Cemetery Lot Cards, 1910;
Rebecca for Find a Grave;
Google Earth.

Written by Wolf

28. September 2010 at 12:01 am

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Wiser far than I

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Wie versprochen: Die Übersetzungen der metaphysischen Gedichte von John Donne et collegae für Loves Alchymie laufen noch, ich gebe alles. Fertig ist eine schön marschierende Version von The Bait.

Kelseeee, guess what i'm done, writing your book, October 18, 2009Irgendwas ist ja immer: Ohne Hille Perls kenntnisreichen Hinweis darauf, dass in The Bait der für Donnes Empfinden zu populäre Christopher “Kit” Marlowe verulkt wird — Shakespeares beste Konkurrenz, den Sie aus Shakespeare in Love kennen — hätte ich nicht einmal die parodierende Tonart ins Ohr genommen. Und wie um des Himmels willen parodiert man Marlowe?

Nach zwei, drei Tagen so vergnüglichem wie unnützem Blättern in meinem herumgilbenden Penguin-Marlowe erwies es sich als hilfreich genug, so altertümelnd zu schreiben, wie ich sowieso dauernd rede. Das schmeichelt dem Textfluss, es war ja auch so ein wässriges Thema. Ich musste einfach nicht geradezu verhindern, dass Strophe 1 so unvermeidlich nach dem Erlkönig klingt, und schon gibt’s einen intertextuellen Bezug, der als Parodie (griechisch für “Gegen-Gesang”) durchgeht. So viel Glück — das schon als nächste Versprechung — hab ich bei den nächsten Übersetzungen nicht.

Vor allem war der Rhythmus des Originals nicht einzuhalten, egal ob ich mir drei Stunden oder drei Jahre Zeit zum Einlesen und Umschmelzen genommen hätte: Englische Wörter sind nun mal kürzer denn deutsche. Da musste ich vor allem in Strophe 5 ein Stück Inhalt opfern, das der Gesamtaussage hoffentlich nicht zu viel abbricht.

Die Silben der einzelnen Verse sind mit Daktylen statt Trochäen aufgefüllt, die von Natur aus eine Senkung mehr haben und meinem bisherigen Überblick nach nirgends knitteln — was meint: Die Hebungen stimmen überall, zu den Senkungen warte ich erst noch ein, zwei Jährchen zeitlichen Abstands ab, um kalten Herzens noch mehr hinauszukicken. Wer sich jetzt den Text ohne das Original im Ohr hersagt, sollte nicht mehr viele Einwände erheben müssen.

Aus Pragmatik sind manche Stellen wörtlich übersetzt, andere nachgedichtet — was dem Original insofern strukturell entspricht, als ab der 5. Strophe eigentlich ein neues Gedicht anfängt. Die letzte Strophe mag ich ganz gerne. Das liegt aber großenteils am Rohstoff und ist darum doch recht ordentlich geraten, finde ich in meiner grenzenlosen Bescheidenheit.

Der Köder

Brittney Bush Bollay, Skinny Legs and All, February 28, 2007Komm her zu mir und leb mit mir,
Gar neue Freuden zeig ich dir
An kristallenem Bach auf goldenem Sand
Mit silbernem Haken an seidenem Band.

Wo dein Auge den murmelnden Fluss erblickt,
Das ihn noch mehr denn die Sonne erquickt,
Wird sich das Fischvolk in dich verlieben
Und sehnen, mit dir den Treubruch zu üben.

Badest in all diesem Leben du dann,
Kommt jeder Fisch, welcher mit Drum und Dran
Bestückt, gleich entzückt zu dir hingeschwommen
Und nimmt dich froher, als wenn du ihn genommen.

Ist dir dergleichen abschlägig beschieden,
Deine Blöße dem Mond und der Sonne zu bieten,
Verfinsterst du beide. Wie bescheidest du mich?
Ich bedarf ihres Lichts nicht, denn ich hab ja dich.

Sollen andre frieren, bluten
In Schilf und Rohr, mit Angelruten
Und Schlingen und Reusen und löchrigen Netzen
Sich selber täuschen und die Fische verletzen.

Sollen ruppige Hände an den Ufern sich schinden,
Schleimigen Nestern die Brut zu entwinden
Und durch Verrat mit hemdseidnen Fliegen
Das schweifende Auge des Fisches zu trügen.

Denn du bedarfst nicht solcher List,
Weil du dein eigner Köder bist:
Der Fisch, der dem entwischt, ist leider
Um einiges als ich gescheiter.

Bilder: Kelseeee: guess what i’m done, writing your book, 18. Oktober 2009;
Brittney Bush Bollay: Skinny Legs and All, 28. Februar 2007.

Written by Wolf

24. September 2010 at 6:47 am

Posted in Reeperbahn

The rocket’s red glare, the bombs bursting in air gave proof thro’ the night that our flag was still there.

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Update zu Die Welt als Wille und Vorstellung
und Das singen die anderen: Oh Say Can You See?:

Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.

Arthur Schopenhauer, * 22. Februar 1788—† 21. September 1860:
Parerga und Paralipomena. Aphorismen zur Lebensweisheit. Von dem was einer vorstellt, 1851.

On September 14, 1814, while detained aboard a British ship during the bombardment of Ft. McHenry, Francis Scott Key witnessed at dawn the failure of the British attempt to take Baltimore. Based on this experience, he wrote a poem that poses the question “Oh, say does that Star-Spangled Banner yet wave?” Almost immediately Key’s poem was published and wedded to the tune of the “Anacreontic Song.”

Library of Congress: The Star-Spangled Banner Song Collection.

BIld: Girl with Flag and Gun, Seattle Municipal Archives, CF 215497 Letter of D. Carmignani et al., thanking Council for turning down E. Marginal Way Railroad franchise petition, February 1952.

Written by Wolf

21. September 2010 at 12:01 am

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And the Wind Cries

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Update zu Speaking Words of Wisdom und
Von Lindau bis zum Fehmarnsund kennt man mich als Schäferhund:

Jimi Hendrix Memorial, Fehmarn am Leuchtturm FlüggeHinter Fehmarn hört die Welt auf. Da kommen nur noch Wikingerland und Thule und Walhall.

Jimi Hendrix starb am 18. September 1970. Was nie so richtig ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen ist: Sein letztes Konzert gab er kurz davor am 6. September auf Fehmarn. Das hieß Love-and-Peace-Festival und sollte eine Art deutsches Woodstock werden. Soll nicht so gut gewesen sein.

In Erinnerung daran ist es praktisch, dass heute Sonntag ist: Da sind Sie wenigstens nicht verpflichtet, im Büro wie ein Pirat angetan zu erscheinen und womöglich noch mit “Ahoi” zu grüßen.

Bild: Joachim Müllerchen: Jimi Hendrix Memorial auf Fehmarn am Leuchtturm Flügge.



Written by Wolf

19. September 2010 at 8:22 am

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Zwei Windjammer für eine Wasserleiche

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oder: Seefahrt ist not!

Elke feiert den und die Gorch Fock vermittelst eines Updates zu ihrem Kapitel 35: You hear of no domestic afflictions; bankrupt securities; fall of stocks:

Elke Hegewald“Denn nehm ik den Jungen mit no See, Mudder, dat weest du jo, dor is all genog ober snackt worden” […] “Un ik segg di soveel, Klaus Mees, du kriegst den Jungen ne mit no See! … Is genog, wat ik em soveel oppe Ilw loten mütt: no See schall he noch ne!” […] »Geef di, Gesa… De Jung kummt düssen Sommer mit no See, dat is so gewiß as de Heben. He schall bitieds seefast warrn!”

Aus: Gorch Fock. Seefahrt ist not!

Eigentlich sollte die Geschichte ja mit einer Quizfrage anfangen:

Wie alt ist Gorch Fock?
a) 77 Jahre
b) 52 Jahre oder
c) 130 Jahre?

Doch umgehend geriet ich ins Grübeln: zum einen, ob man nicht eine ausgewachsene Meuterei anzettelte, auf dem Achterdeck des allgewaltigen Käpt’ns eigenmächtig Ratespiele auszusingen [Ach, woher denn. Die Preise müssen eh weg .ò) Der gewaltige Käpt’n]. Zum anderen, ob das überhaupt so eine glückliche Idee wäre. Schließlich sind neben dem Kerl im Ausguck auch zwei Damen beteiligt, und dass die nicht so gern auf ihr Alter angesprochen werden, weiß man ja. — Na gut, nur für die Passagiere auf dem Sonnendeck, die nicht weiterlesen wollen: richtig gewesen wäre c). Und a). Und b).

Für alle Leicht- und Vollmatrosen unter uns Hobby- und Mobyschiffern nochmal alles auf Anfang.

Gorch FockFast jeder lütte Jong im Norden träumt davon, zur See zu fahren. Erst recht, wenn er auf Hamburgs damals noch Elbinsel Finkenwerder mitten zwischen Fischern und Netzen und Kuttern zur Welt gekommen ist. Das Meer ist Abenteuer und Sturm und Wind und das Gegenteil von hinterm Ofen hocken. So wollte auch lütt Johann zur See, mehr als alles andere. Und die Zeichen standen gut: Er sprach ein lupenreines Inselplatt, kannte die gängigen Shanties und jeden verdammten Schullengrieper in der Gegend, handwerkliches wie familiäres Umfeld stimmten und als ältester Spross des Hochseefischers Kinau würde er sicher dereinst das Ruder von dessen Ewer übernehmen. Doch das Schicksal in Gestalt des Fischervadders wollte es anders. Selbiger befand nach kurzem Ausprobieren seinen Johann für seeuntüchtig und zu schwächlich und musterte ihn ab, kaum dass der auf dem Kahn angeheuert hatte.

So kam es, dass aus dem Jong kein Seewolf, sondern ein Bürohengst wurde. Was tut so einer mit seinen Träumen? Er gab sich einen Namen, der klang, als hätte er ihn vom vordersten Mast eines Seglers statt aus der buckligen Verwandtschaft gezerrt, und schrieb sich die Sehnsucht aus dem Leib.

Bald kannte jeder zeitgenössische lütte Hein und Kutteldaddeldu da oben Gorch Focks Gedichte und Geschichten über die See und das Fischerleben auf Hochdeutsch oder in munterem Platt oder beidem in eins und vorbei waren die Zeiten vom schmächtigen Johann. Erst in lokalen Blättern, schnell und erfolgreich bald mit eigenständigen Werken auf dem Markt, verströmte er, was die Leute lesen wollten. Das alles verpackt in eine kräftige Dosis Pathos, Nationalismus und Überschwangspatriotismus, die den heute Nachgewachsenen sicher weniger bekömmlich vorkommen. Aber womöglich erklären, warum späterhin nicht nur von einer auf tausend Jahre hochgetakelten Reichskriegsflotte, sondern auch einer anschließenden Friedensmarine Johanns Künstlername gleich zwei Windjammern auf den Bauch gepinselt ward, in deren Wanten mittlerweile Generationen von Seekadetten Zucht und Schliff und Segelhandwerk lernten.

Sein Bestsellerroman “Seefahrt ist not!” (beiläufig mit einem norddeutschen Father Mapple als Einstieg) brachte es dann gar zur norddeutschen Schulpflichtlektüre. In der statt des vergessenen Bürohengstes zudem ein raffiniert verfockter Schimmelreiter galoppiert, bisweilen sogar irgendwie rückwärts.

Das allerdings fand erst runde achtzig Jahre später sein Hamburger Stadt- und Landsmann Robert Wohlleben heraus. Was einen wiederum auch nicht sonderlich zu wundern braucht, wo man von dem ja schon ähnlich gefärbtes Entdeckertum inmitten Arno Schmidts “Caliban über Setebos” kennt. Wohlleben (dessen selbstverlegerte Abhandlung über den “Schimmelreiter von Finkenwerder” vielleicht hier mal einen extra Beitrag wert ist) sortiert den Johann nicht nur – aus Gründen – in eine Reihe mit uns’ allgelesenem Karl Mayen:

Literatur-Ikone wie Karl May ist auch Gorch Fock […]. An die Vielmillionen-Auflagen Karl Mays kommt sein eines Erfolgsbuch SEEFAHRT IST NOT! nicht ran, dazu ist es wohl zu wasserkantig. Aber mit etwa einer Million dürfte die Gesamtauflage nicht gar so falsch geschätzt sein. Inklusive der leicht gekürzten Schulausgabe aus der Nazizeit…

sondern verwahrt sich auch gegen dessen schnellschlichte und -schlüssige Einsortierung in deren braunes Gedankengut:

“Und nein: Ich lehne es strikt ab, Gorch Fock auf solcherlei Vereinnahmungen hin als »Vordenker nationalsozialistischer Ideologie« verstehen zu wollen. Soll ich denn die Faschisten in ihrem literarischen Urteil ernstnehmen?! So was passiert aber! Recht kürzlich erst durch KD im Nachschlageband zum Hamburger Liederbuch AN DE ECK STEIHT ’N JUNG MIT’N TÜDELBAND (Hamburg, Dölling und Galitz 1993). Wie auch immer bei Gorch Fock die deutsche Flagge weht und in den Briefen aus den Vernichtungsschlachten des ersten Weltkriegs bald etwas wie Chauvinismus aufgischtet … es fehlt der Kern todkalten Hasses. So führt die Gorch-Fock-Lektüre nicht zum Anblick dieser Gorgo Medusa, wie sie uns durch Faschismus bekannt sein sollte, sondern allenfalls zum Jammerbild der blind sich an Moden und »Zeitströmungen« ankuppelnden Ich-Schwäche. (Ach…!)

Zitate aus: Robert Wohlleben. Der Deichgraf blieb im Skagerrak, fulgura frango.

***

Gorch Fock setzt Segel, marine.deDer Vollständigkeit und der rhetorischen Quizfrage halber und natürlich, um unsere Windjammersammlung im Moby-Blog aufzubrezeln: Die Namenscousinen des nordischen Seestückschreibers, beide bei Blohm & Voss in Hamburg gebaut, haben ein ähnlich bewegtes Schicksal wie seine Helden vorzuweisen.

Die erste, 1933 getaufte, ging unter, zusammen mit einem tausendjährigen Reich, wenn auch – wie dieses – nicht ganz freiwillig. Sie wurde im Strelasund versenkt, um nicht in Feindeshand zu fallen.

Doch Totgesagte leben ja sprüchwörtlich länger. Die “Gorch Fock” I wurde mit Kosten und Mühen gehoben, um dann als Kriegsreparation an die Russen zu gehen. Aus ‘Gorch Fock’ wurde ein “Towarischtsch” (dt.: Genosse oder Kamerad), der als Segelschulschiff der Sowjet- und später der ukrainischen Marine jahrzehntelang alle sieben Meere kreuzte, bevor er 2003 nach Deutschland zurückgekauft wurde. Heute liegt die immer noch stolze Dreimastbark wieder unter ihrem alten Namen in Stralsund an der Ostsee vor Anker, Wiederflottmachung noch nicht ausgeschlossen. Bis dahin verdient die alte Dame die Mittel dafür oder ihr Gnadenbrot als Museum und Standesamt.

Warum das von der Bundesmarine 1958 bei Blohm & Voss in Auftrag gegebene und weitgehend baugleich gebaute neue Segelschulschiff wieder Gorch Fock heißt, blieb für mich im Dunkeln und vielleicht will man auch gar nicht so genau um seekriegspatriotische Traditionen wissen. Der Stapellauf war am 23. August 1958, einen Tag nach Johann Gorchs 78. Geburtstag. Die Bark ist über alles 89,32 Meter lang, 12 Meter breit und hat einen Tiefgang von 5,35 Metern. Ihr höchster Mast misst fast 45 Meter; sie verfügt über 10 Rah-, 6 Stag- und 4 Vorsegel, 2 Besane und ein Besantoppsegel. Und ihr Anblick unter vollen Segeln lässt nicht nur alte Seebärenherzen erbeben. Ein bisschen kurios ist die Geschichte ihrer Galionsfigur, ein stilisierter Albatros, und zwar schon der sechste. Vier gingen auf See verloren, was eigentlich seemännischen Aberglauben in blanke Panik stürzen müsste. Eine wurde 1969 wegen der Schwere des Holzes gegen eine polyesterne ausgetauscht und kam ins Museum. Eine weitere zerbrach bei der Schiffsüberholung 2001. Die aktuelle Galionsfigur ist aus Kohlefaser und wir wollen ihr ein langes Leben und feste Verbundenheit mit dem Bug ihres Seglers wünschen.

***

Was es mit dem ganz weit oben erwähnten Kerl im Ausguck auf sich hat? Na, von dem schnack ich doch die ganze Zeit! — Lütt Johanns Traum von der Seefahrt erfüllte sich nämlich am Ende doch noch. Allerdings war er von kurzer Dauer: der in den Weltkrieg Nr. 1 eingezogene Soldat Johann Kienau, dessen Versetzungsgesuch zur Marine entsprochen wurde, weil er Gorch Fock war, ging als Ausguck auf dem vorderen Mast des Kreuzers “Wiesbaden” bei seinem ersten Einsatz für Kaiser, Gott und Vaterland im Skagerrak unter. Die See spülte ihn Wochen später an einer schwedischen Insel an Land. Auf einer ebensolchen, Stensholmen, ruht er heute noch. Unter einem schlichten Grabstein, auf dem steht: Seefahrt ist not!

Vor ein paar Tagen wäre er 130 geworden.

Gorch Fock vor den Azoren, marine.de

Bilder: Gorch Fock: Sämtliche Werke, Verlag M. Glogau Jun., 1916; Marine.

Written by Wolf

18. September 2010 at 12:01 am

Posted in Krähe Elke

Some that have deeper digg’d loves Myne than I / Say, where his centrique happinesse doth lie

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Update zu Teach me to heare Mermaides singing
und He which hath business, and makes love, doth do / Such wrong, as when a married man doth woo:

Cover Loves AlchymieAb 17. September 2010 ist im zurechnungsfähigen Tonträgerhandel erhältlich: Loves Alchymie von Hille Perl an Viola da gamba, Lee Santana an der Laute und Dorothee Mields am warmgoldenen Sopran. Marthe Perl verstärkt mit zweiter Gambe auf zwei Tracks. Deutsche Harmonia Mundi bei Sony. Ulirike Henningsen schreibt dazu für NDR kultur:

“Go and Catch a Falling Star”, “A Song of Divine Love” — so könnten auch Songs aus den aktuellen Pop-Charts heißen. Es sind aber Titel von Gedichten des Shakespeare-Zeitgenossen John Donne. In Deutschland wenig bekannt, wurde und wird Donne in England hoch geschätzt. Viele bedeutende Musiker seiner Zeit vertonten seine Verse. Hille Perl hat gemeinsam mit der Sopranistin Dorothee Mields und dem Lautinisten Lee Santana eine CD mit diesen Vertonungen aufgenommen.

Irrungen und Wirrungen der Liebe

Die Liebe ist voller Widersprüche — davon handeln diese Verse. Wer liebt, kennt den Wunsch nach tiefer Verschmelzung genauso wie das Bedürfnis, sich abzugrenzen. John Donne vereint in seinen Gedichten diese gegensätzlichen Empfindungen: Mal geht es um innige Küsse und die Suche nach der einen wahren Liebe, mal um Untreue und Angst vor Verletzung und Selbstaufgabe.

Es ist einfacher, eine Sternschnuppe zu fangen, als eine Frau zu finden, die treu ist – die Sprache ist reich an Metaphern. Die Irrungen und Wirrungen der Liebe sind in der sogenannten metaphysischen Dichtung ebenso präsent wie die Auseinandersetzung mit Gott und der Unausweichlichkeit des Todes. Dabei werden die ernsten Themen fast spielerisch mit großer Direktheit und entwaffnendem Humor behandelt. Diese Unmittelbarkeit spiegelt sich auch in den Melodien, den Harmonien und der Rhythmik der Vertonungen wider. Sie stammen unter anderem von John Dowland, Alfonso Ferrabosco und Giovanni Coperario.

Musik, die unter die Haut geht

Um die Gedichte zu verstehen, muss man sich auf die alte englische Sprache einlassen. Aber auch ohne Analyse der Texte wird diese CD zum besonderen Erlebnis. Das liegt vor allem an der Leidenschaft und Intensität, mit der Mields, Perl und Santana jedes einzelne Lied gestalten. Diese Musik geht unter die Haut — nicht nur den Interpreten.

Zusätzlich zu den Donne-Vertonungen haben die Musiker englische Instrumentalstücke des 17. Jahrhunderts aufgenommen. Außergewöhnlich schön sind die “Divisions Upon a Ground in C” von John Jenkins, bei denen auch die Gambistin Marthe Perl zu hören ist.

Den Titel “Loves Alchymie” verdankt die CD einem Gedicht von Donne. Alchemie bedeutet Umwandlung. Die Liebe bringt mit ihren Verwandlungen erst einmal Chaos ins Gefühlsleben. Das ist schön und schrecklich zugleich — heute so wie vor 400 Jahren.

Das Hören dieser Einspielung ist einfach nur beglückend!

Recht hat sie. Allein das Booklet will man gar nicht wieder hinlegen: Es gibt Texte von Hille, gespickt mit überraschend passenden Zitaten von Tom Robbins, eine Seite aus ihrer Familienbibel von 1695 und die complete lyrics von metaphysischen Dichtern, John Donne und Kollegen. Das heißt: Sie wollen es nicht wirklich nur downloaden.

An Übersetzungen wurde bis zur Drucklegung leider nur der Song I fertig, was aber nichts schadet, weil das Booklet auch so reich gefüllt wurde. Den Rest gibt’s bald im Hillenet. (Die Rohversion dieses Eintrags führte an dieser Stelle noch meine Version von The Bait auf, das wird dann aber zu üppig und zusammengestückselt. Der Text besteht, ich bringe ihn in den nächsten Tagen an dieser Stelle, der wird dann auch wieder maritimer. Versprochen.)

Die Wölfin meint: “Schau, Wolf. Deine special thanks. Genau eine vor dem Hund. Und der kriegt’s für ruhiges Atmen. Hast aber Schwein g’habt, Wolf.”

Aber es ging ja um Musik. Lauschen wir mit Billigung von Sony BMG einem besonders berückenden, beglückenden, brillanten, süffigen, eingängigen Stück, das mich die letzten Tage wie sonst nur irische Trink- und Sauflieder begleitet: den schon von Frau Henningsen gelobten Divisions Upon a Ground in C von John Jenkins. Daran ist nichts Überkandideltes, Affektiertes oder was man sonst einer elaborierten Barockmusik, die sich nicht ungebeten ins Bewusstsein vordrängt, so voreilig nachsagen mag.

A thought to Donne was an experience; it modified his sensibility. When a poet’s mind is perfectly equipped for its work, it is constantly amalgamating disparate experience; the ordinary man’s experience is chaotic, irregular, fragmentary. The latter falls in love, or reads Spinoza, and these two experiences have nothing to do with each other, or with the noise of the typewriter or the smell of cooking; m the mind of the poet these experiences are always forming new wholes.

T.S. Eliot: The Metaphysical Poets in: The Times Literary Supplement, October 20, 1921.

Oder anders: Die Gelehrsamkeit des Dichters — und in der Folge hoffentlich die seiner Leser — bildet seine Empfindungen mit, aus seinen Gefühlen gewinnt er Erkenntnis. Das Instrumentalstück liegt demnach voll auf der Linie der gleich gearteten Lyrik.

Ohrwurmalarm und Kaufbefehl.

Bild: Pop-CD.

Written by Wolf

16. September 2010 at 8:13 am

Posted in Reeperbahn

Lobster Song

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Update zu Anaxagoras’ Revenge (Since The Best Girl Is Yet To Big Bang)
and Die Zeit vergeht rund um die Uhr (Die Vergangenheit ist birnenförmig):

Oh the river knows your name
And your tears falling like the rain
All around you suffering and pain
Oh the river knows your name.

John Hiatt: The River Knows Your Name, from: Walk On, 1995.

The Little MermaidAvoid the Oceans of Emotions,
the Seas of Love and Hate and Fears.
Wade shallow waters to the Islands of Silence,
mind the pressure in your ears.
     Oxygen is scarce in water,
     but your life depends on air.
          Behold the wisdom of the Lobster:
          the Lobster does not care.

Do not listen to the Sirens,
they cast their songs and you fall pry.
Their doom is lovely, still their love is doom,
but no one ever heard men cry.
     Hold your head high to the sky,
     or spare your prayer: God is not there.
          Behold the wisdom of the Lobster:
          the Lobster does not care.

The Whales keep singing, pretending to be heard.
Girls cry, though smiling, wet holes in the ground.
The time you can’t tell begins every second,
but assume that a falling tree makes a sound.
     God lives in Sirens and Whales and you
     did not not hear Him promise that Life would be fair.
          Behold the wisdom of the Lobster:
          the Lobster does not care.

Image: The Little Mermaid.

Written by Wolf

13. September 2010 at 12:01 am

Posted in Vorderdeck

To show his charming feet

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Update zu Ambra (Love Is a Touchscreen App)
und Further Etching:

Love, my aim is straight and true,
Cupid’s arrow is just for you,
I even painted my toenails for you,
I did it just the other day.

Lena Meyer-Landrut: Satellite, aus: My Cassette Player, 2010.

Lena Meyer-LandrutIn strong contrast to Larry, was a young man-of-war’s man we had, who went by the name of “Gun-Deck,” from his always talking of sailor life in the navy. He was a little fellow with a small face and a prodigious mop of brown hair; who always dressed in man-of-war style, with a wide, braided collar to his frock, and Turkish trowsers. But he particularly prided himself upon his feet, which were quite small; and when we washed down decks of a morning, never mind how chilly it might be, he always took off his boots, and went paddling about like a duck, turning out his pretty toes to show his charming feet.

Redburn, Chapter XXI:
A Whaleman and a Man-of-War’s-Man,
published on September 29, 1849.

In scharfem Gegensatz zu Larry stand ein junger Kriegsschiffsmatrose, der bei uns war und auf den Namen “Geschützdeck” hörte, weil er andauernd von dem Matrosenleben bei der Kriegsmarine sprach. Es war ein kleiner Kerl mit einem schmalen Gesicht und einem mächtigen braunen Haarschopf, und er kleidete sich stets nach Kriegsmarineart mit einem breiten betreßten Jackenkragen und türkischen Pluderhosen. Aber besonders stolz war er auf seine Füße, die ausnehmend klein waren, und morgens beim Deckschrubben zog er, gleichgültig wie kalt es war, stets seine Stiefel aus und paddelte wie eine Ente umher, wobei er seine Zehen spreizte, um seine hübschen Füße zu zeigen.

Redburn, 21. Kapitel: Walfänger und Kriegsschiffsmatrose,
Übersetzung Richard Mummendey, 1967.

Den geraden Gegensatz zu dem Matrosen Larry bildete ein anderer Mann aus der Besatzung, ein junger Kerl, der früher auf einem Kriegsschiff gedient hatte und bei uns, da er in einemfort von dem Leben in der Kriegsmarine erzählte, unter dem Namen “Batteriedeck” ging. Er war ein kleiner Kerl mit einem kümmerlichen Gesicht und einem umso gewaltigeren Urwald brauner Haare. In seiner Kleidung betonte er den Stil der Kriegsmarine, vor allem durch einen breiten Umlegekragen an der Jacke und Türkenhosen. Sein besonderer Stolz waren seine auffallend kleinen Füße, und wenn wir morgens die Decks aufwuschen, zog er, mochte es noch so kalt sein, die Stiefel aus und pritschelte wie eine Ente im Wasser herum, nicht ohne die Zehen recht auffällig zu recken und seine hübschen Füße zur Schau zu stellen.

Redburn, 21. Kapitel: Walfänger und Kriegsschiffsmatrose, Übersetzung W.E. Süskind:
Parfüm-Patricks Vater, “seit 1922 als Übersetzer tätig (u.a. für Tania Blixen, Herman Melville, Robert Louis Stevenson, William T. Thackeray),
Claassen Hamburg, 1946.

Bild: Lena Meyer-Landrut, 2010.
Charming feet: Emily Loizeau: L’Autre Bout Du Monde, aus L’Autre Bout Du Monde, 2006.

Written by Wolf

10. September 2010 at 7:10 am

Posted in Reeperbahn

Moby Dick, du schwimmendes Gehirn im schwarzen Pulli…

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Hannah ist ja jetzt neu auf der P.E.Q.U.O.D.. Was sie letztendlich zu diesem Schritt qualifizieren konnte, war ihre Bewerbungsvorlage Moby Dick, du schwimmendes Gehirn im schwarzen Pulli…. Was sie zu diesem Schritt bewegen konnte, hat sie selber sofort wieder verdrängt.

Hannah BayerUnd er bürdete dem Buckel des weißen Wals die Summe der Wut und des Hasses der ganzen Menschheit auf.

Mal ehrlich, wenn man studiert hat, kann man sich natürlich in Strickjacke und schwarzem Rollkragenpolluver hinsetzen und sich bei einem Glas Rotwein gegenseitig erzählen, wie vielschichtig die Bedeutungsebenen diverser Romane sind. Man kann über Philosophie sprechen und Soziologie und „die Gesellschaft“ und „das System“ analysieren. Man kann sich darüber unterhalten, dass man ja eigentlich kein Fernsehen schaut, sondern eher mal Kant liest, oder Chomsky. Achja, die Werke zur Universalgrammatik, oder eher die Globalisierungskritik?

Kann man machen. Wir hatten aber unsere Rollkragenpullover nicht dabei.

Abends. Ein Café in einer malerischen Altstadt. Vor uns zwei heiße Schokoladen.

„Mann, das zog sich ja so hin, das Scheißbuch. Und ich denk ja, am Schluss kriegt der Scheißwal endlich mal die Platte! Nix gibt’s! Der stirbt ja nichtmal! Alle anderen sterben! Nur der Ismael, der schafft’s. Das sind mit Sicherheit wieder so ganz viele Schichten und Ebenen, die ich nicht verstehe, weil ich wieder nur die Oberfläche raffe, echt.“ Ihre blauen Augen blitzen wütend.

„Naja, das alles soll ja sagen, dass Rache sinnlos ist und dich nur selbst in den Untergang treibt und alle anderen mit dir. So viel weiß ich zumindest ohne das Buch gelesen zu haben.“ So viel weiß ich zumindest durch Star Trek: First Contact. Danke, Captain Picard. Wieder einmal lässt du mich gebildeter wirken als ich bin.

„Das soll das bedeuten? Kannste mal sehen.“

„Und zum Beispiel ist ja auch eine Deutung die homosexuelle Ebene.“

„Was?! …Na gut, am Anfang schlafen alle zusammen im Bett und so.“ Sie streicht sich das Haar aus dem hübschen Gesicht, nimmt noch einen Schluck heiße Schokolade und wechselt gedanklich wieder zum Erzählstrang. „Aber da kommt so ein Bekloppter vor! Also eigentlich drei. Und der erste an Land, der kommt auf die zu und lässt die ganze Zeit finstere Prophezeiungen los und ich hatte dermaßen Schiss beim Lesen! Ich hab gedacht, hoffentlich taucht der nicht nochmal auf! Naja, eigentlich dachte ich, wär cool, wenn der nochmal auftauchen würde. Und der Wal, der ist intelligent, praktisch ein schwimmendes Gehirn, und richtig bösartig.“

„Am liebsten würde ich das alles aufnehmen und veröffentlichen.“

„Was? Warum das denn?“

„Na, das ist mal Moby Dick für Nicht-Literaturwissenschaftler.“

„Klar, Mann!“

Mit Hannah, in diesen heil’gen Hallen neugeboren im Sternzeichen SCH.W.A.R.Z.W.A.L. (SCHaurig Witzige Aber Reichlich Zerzauste Wal-Affine Literatin), ist ab sofort zu rechnen. Hat sie schon mal für jemand, der nichts anderes als Linguist gelernt hat, nicht schlecht gemacht, stimmt’s?

Moby Dick. Ugliest Tattoos, the Gallery of Regrets

Bild: Ugliest Tattoos, the Gallery of Regrets: Or, the Fail, 16. August 2010.

Written by Wolf

5. September 2010 at 12:01 am

Wie werde ich Dichter? Bei Lehmkuhl auf dem Flügel liegen. Drei Antworten mit drei Links und drei Bildern.

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Update zu Zu schusslig für die Metadaten, aber am Copyright-Symposium La Paloma pfeifen:

Alle Menschen in Deutschland, die vom Schreiben belletristischer Bücher leben können — ohne Nebenjob, ohne Taschengeldfortzahlung, ohne Hartz IV — passen in den Atzinger (Ecke Schelling/Amalien, wer’s kennt). Mit Sitzplatz. Und da sind zwei Thekenkräfte und zwei Germanistikstudentinnen als Bedienung, die eigentlich auch einen Sitzplatz wollten, noch nicht mal überfordert. Wer noch einen Platz an der Theke will, abonniert seit einigen Jahren die Newsletters der Federwelt und von Sandra Uschtrin, das kommt der einzig sinnvollen berufsbildenden Maßnahme zum Schriftsteller noch am nächsten.

Im aktuellen Newsletter der Federwelt befragt deren Betreiber Andreas Wilhelm den Betreiber des Literaturcafé Wolfgang Tischer. Fünfzehn Jahre wird dieser hochverdiente Laden schon — für Internetverhältnisse schon gar nicht mehr fossil, sondern nachgerade vintage. Ich kopiere den Text des Drei-Fragen-Interviews ungekürzt ab, weil Sie, wenn Sie hier weiterlesen müssen, erst die nächste Ausgabe bekommen.

Ich hab noch nie so luzid auf dem Punkt gehört, was junge Menschen, die “Schriftsteller werden” wollen, hören sollten. Wo immer ein Browser installiert ist, gehört das Literaturcafé seit jeher in die Bookmarks, und wer halbwegs dem Lesen und Schreiben etwas abgewinnen kann, abonniere Federwelt und Uschtrin.

3 Fragen an … Wolfgang Tischer (literaturcafe.de)

Underwood. Boss and Sexy Legs. Typewriter MuseumDeine Website literaturcafe.de betreibst du inzwischen seit fast 15 Jahren. Was sind die auffälligsten Veränderungen, die du in den letzten Jahren festgestellt hast, welche Schwerpunkte haben sich ergeben, hinsichtlich der Themen, aber auch hinsichtlich des Feedbacks und der Kommentare deiner Leser?

Als ich literaturcafe.de im Jahre 1996 eröffnet habe – damals noch nicht unter der eigenen Domain, denn Domainnamen waren noch verdammt teuer – war das Internet dank der großen Provider erstmals für Nicht-Studenten und andere Menschen erreichbar.

Damals musste man noch HTML beherrschen, um im Web zu veröffentlichen, und so war das literaturcafe.de am Anfang mehr oder weniger eine reine Veröffentlichungsplattform.

Ich erinnere mich noch an Projekte wie ein Online-Reisetagebuch, das damals unglaublich aufwändig und schwierig zu realisieren war. Das hat sich natürlich mit Blogs und Facebook und zig anderen Anwendern geändert und überholt. Wer einen Browser bedienen kann, der kann einen Text ins Netz stellen. Also haben wir diesen Bereich reduziert.

Traditionell besitzen wir eher eine kritische Herangehensweise und so wurde das Angebot von literaturcafe.de immer journalistischer. Malte Bremer beleuchtet Prosa und Lyrik kritisch und gibt Tipps. Gleichzeitig finden sich viele Berichte, Tipps und Warnungen für Autoren, Leser und Verlage im literaturcafe.de. Wir versuchen auch immer wieder, Autoren aufzuzeigen, wie die Branche funktioniert und welche realistischen Möglichkeiten ich habe, auf mein Buch auch mithilfe des Internet aufmerksam zu machen. Und wir haben natürlich seit jeher einen kritischen Blick auf all diejenigen, die “Autoren suchen”, angefangen bei den Zuschussverlagen.

Das Feedback der Leser war und ist immer hoch, gerade auch was per Mail reinkommt. Das kann mittlerweile nicht mehr alles individuell beantwortet werden. Allerdings erkennen wir so recht gut, was von Interesse ist, und wir versuchen diese Themen dann in Artikeln aufzugreifen.

Underwood. Sexy Legs. Typewriter MuseumNicht nur das literaturcafe.de, auch viele andere Websites bieten inzwischen Informationen rund ums Schreiben und die Branche. Man sollte meinen, im Internet sei alles zu finden, was man wissen muss, um ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, um in der Branche Fuß zu fassen. Hast du das Gefühl, es ist tatsächlich einfacher für Autoren geworden, als früher, oder ist das ein Trugschluss?

Ich habe immer geglaubt und gehofft, dass das Internet den Prozess der Veröffentlichung demokratisiert und transparenter macht. Leider merke ich nicht viel davon und erlebe auch jetzt, wie einige Bauernfänger nach wie vor Leute abzocken, die dann Tausende von Euros für ein Buch ausgeben, das auf leeren Versprechungen beruht. Dabei hätten Sie nur einmal googeln müssen.

Ja, man muss immer und immer wieder die Grundthemen durchkauen. Zum 3.294 Mal erklären, dass ein Verlag ein Wirtschaftsunternehmen ist und niemanden ein “ironischer Roman, der die Probleme unserer Zeit mit einem Augenzwinkern beleuchtet” interessiert. Man muss die Normseite erklären und und und und … Immer die Basisdinge, das ist wichtig. Insofern freue ich mich, dass derzeit Tom Liehr für das literaturcafe.de eine Miniserie schreibt, in der er der Frage nachgeht: Warum werde ich nicht veröffentlicht?

Ich sage es mal ganz offen, auch wenn das überheblich klingen mag, aber man muss es so deutlich sagen: Früher gab es die Schreibgruppen in der VHS, in denen man sich gegenseitig lobte. Dann war auch noch die Oma vom Manuskript begeistert und so glaubte die Enkelin, sie sei die kommende Nobelpreisträgerin für Literatur und machte sich auf eine zweifelhafte Verlagssuche.

Heute finden diese Lobeszirkel nicht mehr zur Abendstunde in muffigen Schulräumen statt, sondern auf Facebook und Co. “Hey, ich finde deine Vampirstory echt mega cooler als Stephenie Meyer. Solltest du mal einem Verlag anbieten.”

Und dann bekommt man eine Mail: “Wie finde ich einen passenden Verlag?” Und man stellt fest, dass die vermeintliche Autorin selbst noch nie eine Buchhandlung von innen gesehen hat. Da würde sie ähnliche Bücher am laufenden Meter finden.

Aber so sarkastisch möchte ich eigentlich gar nicht klingen, wie das jetzt vielleicht rüberkommt. Es macht nach wie vor Spaß, Aufklärungsarbeit zu leisten. Und manchmal ist den Leuten mehr geholfen, wenn sie einmal ordentlich vor den Kopf gestoßen werden, als wenn sie mit Pseudotipps hingehalten und falsche Hoffnungen geschürt werden. Und ich möchte auch nichts Negatives über VHS-Kurse gesagt haben. Da gibt es ganz großartige Kursleiter.

Underwood. Nude Standing. Typewriter MuseumDas Internet stellt sich als immer interaktiver dar, die technischen Möglichkeiten für aufstrebende Autoren, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, werden immer vielfältiger. Man kann seine Kurzgeschichten oder Exposés in Portalen von anderen Nutzern beurteilen lassen, man kann seine Bücher als eBooks selbst herausbringen oder auf Bestellung gedruckt per Print-on-Demand anbieten.

Es gibt viele Wege in der Hoffnung, von Verlagen entdeckt zu werden. Was hältst du von dieser scheinbaren Zerfaserung, und was bedeutet es für den traditionellen Weg in einen Verlag zu einer klassischen Veröffentlichung? Ändert sich da etwas, oder ändert sich in Wahrheit gar nichts?

Diese ganzen Dinge, diese Portale und Print-on-Demand-Dienstleister, sind eine feine Sache. Man kann bei wirklich seriösen Dienstleistern für 0 Euro sein Buch bestellbar machen, das der Leser dann gedruckt in den Händen hält. Alles was ich machen muss, ist zu wissen, wie ich bei Open Office ein Dokument als PDF speichere und im Web hochlade.

Aber wenn du mit den meisten Leuten sprichst, dann wollen die das nicht. Alle wollen doch gleich die Hardcover-Ausgabe ihres Werkes sehen, die in jeder Buchhandlung steht und die die Bestsellerlisten erklimmt und über deren Autor auch schon mal RTL Exklusiv eine Homestory bringt. Der Bucherfolg über Nacht.

Dass das aber so selten passiert, liegt nicht an den bösen Verlagen, die keine Manuskripte mehr lesen und nur noch Bücher von B-Promis veröffentlichen. Nein, es liegt nun einmal daran, dass es zu wenig gute Manuskripte gibt, die wirklich Verkaufschancen haben. Und wenn diese Bücher nun bei einem Print-on-Demand-Dienstleister oder als eBook über eine Web-Plattform zu haben sind, dann ist das toll. Wieder ein paar Bäume gerettet. Aber schlechte Manuskripte finden auch dort keine Leser. Es ist schwierig, das dem Autor zu vermitteln: Es liegt nicht am Verlag, es liegt an deinem Manuskript.

Natürlich beginnen die Verlage zu verstehen, dass es durchaus Manuskripte gibt, bei denen sich vielleicht der Druck nicht lohnt, die man jedoch günstig als eBook verkaufen könnte und auf diesem Wege ein finanzieller Gewinn zu erzielen ist. Der Droemer Verlag eröffnet demnächst so eine Plattform, und ich denke, darum geht es für die Verlage: Die haben erkannt, dass gerade im eBook eine Chance liegt, neue, kleinere Zielgruppen zu erreichen und “Kleinstauflagen” zu verkaufen. Und – hey – vielleicht ist ja da sogar die Perle darunter, die es dann ins Hardcover schafft.

Ich kann auch so eine Erfolgsgeschichte erzählen, dass eine Autorin, die im literaturcafe.de veröffentlicht hat, aufgrund dieser Geschichte nun bei einem großen Verlag untergekommen ist. Das wird es natürlich immer geben. Aber die Wahrscheinlichkeit ist fast genauso groß wie die, dass eine Sozialhilfeempfängerin mit einer Jugendbuchserie zu einer der reichsten Frauen der Welt wird. Man sollte die Hoffnung nicht verlieren. Es spielen ja auch viele Menschen Lotto.

1998, zwei Jahre nach dem Literaturcafé, hab ich mich mit zwei literarischen Websites bei Geocities unters literarisch tätige Internetvolk gemischt — die Domainnamen wolfstory.de und schilderbilder.de waren über freedoms.de übrigens umsonst zu haben — und unterstützte bereitwillig aufstrebende Schreiber auf junges-lektorat.de. Aus meiner anhaltenden Eigenwahrnehmung muss ich einst wie jeder Siebzehnjährige mit einem großmächtigen Gedichtband, der auf Unverständnis stieß, bei den Verlagen Klinken geputzt haben, wollte aber nie ernsthaft bei Lehmkuhl auf dem Flügel liegen, und war zu meinem Internetanfängen gefestigt genug und froh, in Ausbildungen für Werbetext und Lektorat gelernt zu haben, dass Dinge wie o.a. ironische Romane, welche die Probleme unserer Zeit mit einem Augenzwinkern beleuchten, nichts taugen können, weswegen man das meiste lieber sofort kaltherzig und unaufgefordert wegschmeißt. Das ist eine Weise, seine Würde zu bewahren. Und schauen Sie mal: Heute gibt es weder Geocities noch Freedoms noch das Junge Lektorat noch die Wolfstory noch die Schilderbilder noch meine erste Werbeagentur mehr, was ganz schön viel ist, wenn man’s so herzählt — aber mich gibt’s noch. Das HTML für die Weblog-Einträge schreibe ich weiterhin von Hand, die Thekenplätze beim Atzinger sind ganz ordentlich.

Trotzdem bin ich so frei, die Gelegenheit zu nutzen, mal wieder ein paar Bilder herumzuzeigen, die nur sehr peripher mit dem Thema zusammenhängen, auf denen jedoch mein kunstverständiges Auge wohlwollend ruht, denn wo soll man sie denn bitte sonst herumzeigen. Es ist eine Lust, im einundzwanzigsten Jahrhundert zu leben.

yyellowbird, diamondsandgold, 15. März 2008

Bilder: Typewriter Museum: Typewriter Erotica, Underwood 1920s, courtesy by Typistries collection;
Cari Ann Wayman: Diamonds and Gold featuring an Underwood, 15. März 2008.

Written by Wolf

3. September 2010 at 7:52 am

Posted in Reeperbahn

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #42

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Song: Lou Reed: Leave Her Johnny (5:31 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.

Artist’s website;
songs playlist.

Buy CD in Germany and elsewhere.

Image: Lo: Little Mermaid, August 4, 2010.

Lyrics:

1.: Oh, the times are hard and the wages low,
leave her Johnny, leave her.
I guess it’s time for us to go,
and it’s time for us to leave her.

1.: Oh, I thought I heard the old man say:
Tomorrow you will get your pay.

2.: Liverpool Pat with his tarpaulin hat,
it’s Yankee John the packet rat.

3.: It’s rotten beef and weevily bread,
it’s pump or drown the old man said (ah huh).

4.: We’d be better off in a nice clean jail
with all night and plenty of ale.

5.: The mate was a bucko and the old man a Turk,
the bosun was a beggar with the middle name of work.

6.: The cook’s a drunk, he likes to booze.
‘tween him and the mate there’s a little to choose.

7.: I hate to sail on this rotten tub.
No grog allowed and rotten grub.

8.: No Liverpool bread, nor rotten cracker hash,
no dandy funk, nor cold and sloppy hash.

9.: The old man shouts, the pumps stand by —
Oh, we can never suck her dry.

10.: Now I thought I hear the old man say:
Just one more pull and then belay.

Fade-out: It’s time for us to leave her,
it’s time for us to leave her,
for the voyage is done and the winds don’t blow,
and it’s time for us to leave her.

Explanatory liner notes by ANTI-:

This chantey traditionally allowed for the airing of grievances at the end of a voyage and was used at the capstan while warping her in, or in the final session at the pumps. Very obscene verses were sometimes sung.

Written by Wolf

1. September 2010 at 12:01 am

Posted in Siren Sounds