Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Die Verschollenen zur See singen ein Lied zum Weihnachtstag.

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Update zu !מזל טוֹב:

Anfang Januar war klar, was die Platte des Jahres wird. Da erschien die Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon von Get Well Soon. Allein das Veröffentlichungsdatum war schon ein Wahn — und dann noch das Repertoire aus luxusdepressiven Hymnen, als die Zielgruppe Weihnachtslieder über hatte. Dabei sollte Konstantin Gropper, Kopf und Kehlkopf der Kapelle, es besser wissen, der hat nämlich ein Examen von der Popakademie Baden-Württemberg und versteht sich bestimmt trefflich auf die Kontrapunktik des Elektrobasses, Historie der südamerikanischen fünfsaitigen Holzschlaginstrumente unter besonderer Berücksichtigung der [hier irgendwas weblogtypisch Oberskurriles einsetzen] und das Dirigieren eines Hausfrauenchors. Was erringt man dort eigentlich für einen Abschluss? Dipl. zupf. blas. et hau.? Nur in Product Release Timing hat er gefehlt, das spätbarocke Wunderkind. Für die Flops von Wim Wenders lässt man sich nicht ungestraft protegieren, wenn man als Hauptinstrument Symphonieorchester gelernt hat. Was reden wir: Das Ding funktioniert auch außerhalb von Weihnachten, macht mit seinem ganzen Weltschmerz aus Kissenseide und Sofabrokat grinseglücklich und ist gar nicht die Platte des Jahres, sondern der 2008er Alltime-Klassiker. Denken Sie in zwanzig Jahren an meine Worte.

Das Pathos von Liedern mit bedeutungsschwerem Walgesang und unheilschwangerem Echolot als Melodieträger war ab Ludwig Hirsch 1991 bis Smoke City 1997 ausgereizt, darum ist Listen! Those Lost at Sea Sing a Song on Christmas Day auf der Normalversion ihres bisher leider einzigen Longplays gar nicht drauf, nur auf der weihnachtlichen EP-Erweiterung Songs Against The Glaciation. Außerdem, das verlautbare ich jetzt einfach so unbefugt, ist es genau das Video, für das Youtube kürzlich auf Breitwandformat umgestellt hat. Keine halben Sachen jetzt: Lautsprecher auf und Vollbild bitte:

Ihre Beschäftigung fürs Restnikolauswochenende: Widersprechen Sie mir! Finden Sie Get Well Soon doof und eine dekadente Streberklasse voll oscar-wilde-geschniegelter Zierbengel (“Hallo? Hilfe, Alder, das is doch sowas von deutsch!”), verteilen Sie Ihre eigenen Privatgrammys und ersparen Sie sich glühweinbasierte Rauschzustände. Vielleicht nehm ich dann auch Herrn Melville die entwürdigende Betty-Page-Mütze wieder ab.

Weiterhören:

[Edit:] Eine Erwähnung findet das propagierte Lied auch in der Indiepedia: nämlich unter Songtitel, die inklusive Leerzeichen länger als 50 Zeichen sind, was auf eine Aktion im Spreeblick zurückgeht. Genau da sollte man Lieder von Get Well Soon auch zuerst suchen, heiße Anwärter auf viele Buchstaben mit allenfalls metaphysischem Bezug zum Restlied sind die alle. [/Edit]

Written by Wolf

6. December 2008 at 12:01 am

Posted in Moses Wolf

6 Responses

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  1. Zuerst einmal: toll geschrieben. Voll Überzeugung und guter Worte. Und dann die Aufforderung, zu widersprechen, hey! Das hat mich gefreut und ich wollte sogleich. Hab aber doch erstmal alles brav angehört und gesehen und widersprechen will ich immer noch, aber nicht mehr so umfassend wie vorher.
    Chronologisch: Was ist an einem 25. Januar als Veröffentlichungsdatum auszusetzen? Ist der Tag ein besonderer; versteh ich da etwas nicht?
    Der Herr Gropper-Doppelkopf hat einen Pop-Abschluss, soso. Braucht man den? Will man den? Ist doch alles im Herz, oder nicht? Aber seines scheint ja auch unregelmäßig zu schlagen/ticken. Er schaut auch reichlich deprimiert – in allen Songs. Das muss doch nicht sein. Ich verspüre den seltenen und aberwitzigen Drang, ihm in die Wange zu kneifen.
    Aber schön ist sie schon, die Musik. Hat ordentlich ‘was Feierliches. Maritimer als im “Lost At Sea”-Song gehts ja kaum. Der Walgesang ist auch toll. Aber irgend etwas stört mich trotzdem. Ich kanns leider nicht klar benennen. Zu viel Pathos vielleicht?

    Als Gegenvorschlag hab ich James Yorkston’s “When The Haar Rolls In”. Auch gut maritim mit einem wunderbaren Cover. Das ganze ist erhältlich als Doppel 10″ Vinyl mit Clappcover. Was will man mehr?
    Sanfte, bezaubernde, elfengleiche Songs. youtube-Ding vom Album hab ich keins gefunden. Macht auch nichts. Mir glauben und ungehört kaufen.

    Verbleibe mit Nikolaus-Tamtam.
    Billy.

    BillyBudd

    6. December 2008 at 12:44 pm

  2. Es ist nicht speziell der 25. Januar, nur dass der eben einen Monat nach Weihnachten liegt und Lieder wie “Christmas in Adventure Parks” beinhaltet. Da vermute ich mal so, dass sich da was verzögert hat.

    Wozu man einen solchen Abschluss braucht… Ach, manche Leute studieren Lesen und Schreiben.

    James Yorkston wohnt einstweilen auf der Amawuli. Großen Dank für den Tipp!

    Der Widerspruch ist fundiert. Überredet — Herr Melville darf sein Gelöck wieder den Winden der See aussetzen.

    Wolf

    6. December 2008 at 2:21 pm

  3. Das hätt ich gar nicht mal so nahe gelegt, dass das Album zu Weihnachten erscheinen sollte wegen dieser Songs. Herrn Gropper traue ich persönlich sogar zu, es extra so gelegt zu haben. Aber ich kann mich irren. Und werde es vermutlich.

    Vielleicht denk ich da zu romantisch – Musik als reine Herzensangelegenheit. Der Einwand ist berechtigt.

    Jetzt gehts zum Kieler Weihnachtsmarkt – nicht, dass ich absichtlich einen “glühweinbedingten Rauschzustand” herbei rufen will. Aber ich hab schon den Geschmack im Mund : )

    BillyBudd

    6. December 2008 at 2:44 pm

  4. Man kann so wässrige Themen aussuchen, wie man will — so redet man in die Wüste :o)

    Wolf

    6. December 2008 at 3:13 pm

  5. Tsss, meine WordPresse weigert sich nach wie vor standhaft, auch nur irgendwas zu tracken oder zu backen. So dass man seinen privaten Eigengrammy nebst ungeteilter Zustimmung zu den ‘verschollenen’ Maritimitäten der Weihnachtssänger im Oscar-Wilde-Look wieder mal unelegant und mit roher Gewalt hierher schleifen muss. ;o)

    hochhaushex

    7. December 2008 at 10:20 am

  6. […] post your all-time favourite piece of visual art, 26. Dezember 2014; Soundtrack: Get Well Soon: Listen! Those Lost At Sea Sing A Song On Christmas Day, aus: Songs Against The Glaciation, der Weihnachtsbeilage zu: Rest Now, Weary Head! You Will Get […]


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