Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for April 2012

Von der Weiße zur Schwärze – der Weg der verlorenen Seele

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Wenn die Besatzung der P.E.Q.U.O.D. allein — will sagen: zu dritt — nicht mehr ausreicht, muss dem Schiffsbauch ein Fedallah entsteigen: Archegonus geht aus dem neblichten Alles-und-Nichts des ozeanhaften Internets in Vorlage und bespricht uns als erster Kapitel 42: Die Weiße des Wals: unserer Aufforderung, um nicht zu sagen: unserem Hilfeschrei vom 1. Februar 2012 folgend, freiwillig und mit aller wünschbaren Grandezza wie ein umsichtiger, beherzter und blitzgescheiter Seemann.

Dafür hat er wie versprochen — und wie jeder, der Finger hat zu schreiben — ein Buch aus meinem Bestand gut.

Danke, Archegonus. Ich hab immer gewusst, dass Moby-Dick™ die besten Leser hat.

And thus by the gate of blackness thou must come in,
To light of Paradise in whiteness if you wilt win.

George Ripley: The Compound of Alchymy, 1470 f., ed. 1591.

Da aber erhob sich in unserm Pfade eine verhüllte menschliche Gestalt, sehr viel größer an Glied=Maßen, als sonst ein unter Menschen je Hausendes. Und die Tönung der Haut der Gestalt, war von der völligen Weißnis des Schnees.

E. A. Poe: Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket, 1838,
zitiert nach Arno Schmidt, dtv weltliteratur Nr. 2123, 1984.

Rockwell Kent, Whale Beneath the SeaFragend, unter Andeutungen, gleitet Ishmael in eine Flut aus Bildern und Symbolen und zieht uns ohne Nachsicht mit: Göttliche Elemente, königliche Insignien und kaum zu fassende Merkmale eines unbestimmbaren Grauens sind Ein- und Ausdrücke der Farbe Weiß. Vom Stein und Gestein aus dem Inneren der Erde, bis in den Sternenhimmel, die Milchstraße spannt er einen Bogen, der uns den Weg weisen soll, doch sogleich wieder zerfällt: „In Angelegenheiten gleich dieser spricht Gespür auf Gespür an, und ohne Einbildungskraft mag vermag kein Mensch einem anderen in diese Hallen nachzufolgen.“ (Dieses und die folgenden Zitate aus der deutschen Fassung von Friedhelm Rathjen, Zweitausendeins, 3. Auflage 2006.)

Ishmael sucht das unergründliche Weiß zu ergründen und treibt hinaus auf die offene See: Wellengang und Erkenntnis – in gleichzeitigem Erleben lässt er uns schwanken und hoffen: Kein greifbarer Gedanke hat länger Bestand als der Seegang, der uns hebt und senkt: Dem Symbol des Höchsten stellt er sogleich das tiefste Grauen zur Seite, stärker als es uns überfiele, träfen wir auf „jene Röte, die uns am Blute entsetzt“. Weiß und Rot symbolisieren den Schrecken an der Grenze der menschlichen Wahrnehmung, des Seins, die Ishmael benennt als den „Instinkt vom Dämonismus in der Welt.“

Wagen wir es, ein Beiboot auszusetzen und uns kurz den südlichsten Meeren zuzuwenden: Vor Melvilles Ishmael stieß der von Edgar Allan Poe begonnene und von Jules Verne tragisch geendete Arthur Gordon Pym auf das Phänomen «der die Seele erschütternde[n] Weiße», als er sich der Offenbarung und dem Geheimnis des Südpols nähert: Er beschreibt den Zustand des Meeres auf unergründlicher Fahrt in bildlich gleicher Weise, beide, Pym und Ishmael, erkennen nur ahnungsloses Erschrecken, in den „milchigen Tiefen des Ozeans“ (Pym) und den „gedämpften Brechern der milchigen See“ (Ishmael). In Arthur Gordon Pyms Beschreibung erregt größten Schrecken bei Eingeborenen einer weit im Südmeer liegenden Insel ein Tier, das er beschreibt mit einem „glatten, seidigen Haarkleid, von vollkommener Weiße“, dessen Zähne und Krallen von strahlendem Scharlachrot waren. Gegen Ende seiner Reise stößt er selbst auf eine riesige verhüllte weiße Gestalt – einem Eindruck, dem keine weiteren Worte mehr folgen.

Ishmael und auch Pym sind voller Erschrecken & Entsetzen: Das für den Menschen nicht mehr bewusst wahrnehmbare, durch seine unfassbare Polarität zwischen Allem und Nichts beschriebene «überpolare» Weiß ist es, was vor unseren Augen das Grauen aufsteigen lässt.

Original ilustration from George Rouxe to novel J. Verne The Sphinx of the Ice FieldsDoch sollen wir uns „blind starren“ an der Weiße des Wals? Ahab, ja er, sieht und unterscheidet – zwischen gut und böse, ergreift Partei für seine Sache und beschwört die Kräfte des Teufels. Doch wo ist des Weißen Wals Partei oder Unterscheidung? Ishmael weiß es selbst nicht, auch will er uns in diesem Kapitel nicht von unserer Verwunderung befreien, uns unsere Urangst und instinktive Scheu nicht nehmen, denn dieses „bleiweiße Kapitel über die Weiße ist nichts anderes als eine weiße Flagge, herausgehängt von einer feigherzigen Seele.“

Scheu & Angst lassen uns nicht wagen, zu erkennen: Im Kapitel XLIII dürfen wir nur ahnen, dass es um uns, unter dem so festen Boden, auf dem wir so sicher stehen, immer noch etwas gibt, von dem wir nichts wissen, was sich unseren Augen nicht zeigt.

Ahab hat durch seine Annäherung an den Wal dessen Weiße nicht nur durchschaut, sondern sein Äußeres gewaltsam durchdrungen und die Erkenntnis mit eigener schwerer Verwundung bezahlt: Im Inneren des Weißen Wals fließt schwarzes Blut. Damit wird Weiß zu etwas, was aus einem schwarzen Inneren geboren wurde. Um die Bedeutung dieses Weiß zu verstehen, müssen wir den Blick richten auf die Schwärze – und mit Ahab hinabsteigen in seine Kajüte, in die große nachmitternächtliche Finsternis im Kapitel XLIV.

Bilder: Rockwell Kent: Whale Beneath the Sea
via then be called ten times a donkey, and a mule, and an ass, and begone, or i’ll clear the world of thee!, the art of memory, 20. Februar 2008;
George Roux: Die Expedition erreicht die Eissphinx, 1897.
Sarah McLachlan: The Beatles: Blackbird aus dem Weißen Album, 1968/2008.

Written by Wolf

20. April 2012 at 12:01 am

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München unterm Meer: Das nächste Mal musst du mitkommen

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Update zu Sunk by something big, mythological, and white:

Adolphe SaalfeldIn diesen Minuten vor einhundert Jahren müsste die RMS Titanic unter Wasser mitten auseinandergebröselt sein. An Bord außer 1500 Todesopfern: Adolphe Saalfeld, geboren 1865 in Deutschland, gestorben Samstag, 5. Juni 1926 in Kew Gardens, Surrey. Grab in Section B, Row 30, Position 30, Hoop Lane Cemetery, Golders Green, London.

Dear [Wifey?], Thanks for your letter. I just had an hours roaming abt. on this wonderful boat together with Paul. I like my cabin [C-106] very much. It is like a bed-sitting room & rather large. I am the first man to write a letter on board, they are still busy to finish the last touches onboard. Au revoir in Whitweek please God! Love to you all! And a Kiss for you!

Nach Spink Smythe.

Nach den seit 1985, als das Wrack überhaupt entdeckt wurde, geretteten Dokumenten war Adolphe Saalfeld der erste, der altmodischerweise einen Brief von Bord schrieb, alle anderen nutzten Telegraphie, wenn sie schon mal verfügbar war. Außerdem ist der Mann offenbar die einzige Gewähr dafür, dass auf der Titanic Münchner Spatenbräu nicht nur ausgeschenkt (bestehende Speisekarten verzeichnen “Iced draught Munich Lager Beer”), sondern sogar angenommen wurde: Er habe Suppe, Schollenfilet und Lammkotelett mit Blumenkohl “mit einem großen Spaten-Bier runtergespült”.

Nach allen online auffindbaren Quellen hat der deutschstämmige Herr Saalfeld an seine Frau Gertrude tatsächlich abwechselnd auf Deutsch und Englisch geschrieben. Nach Amerika war er unterwegs, um sein Parfümgeschäft chemists and distillers Sparks, White, and Co. Ltd. von England auszuweiten. Beim Zusammenstoß with dem meistverdammten Eisberg der Welt hielt er sich gerade im Rauchersalon auf. Bei seiner Evakuierung über Rettungsbbot Nr. 3 ließ er in der Kabine seine Parfümmuster zurück, steckte aber noch eine Speisekarte ein. Für den kurzen Rest seines Lebens wurde der bis dahin vermutlich recht gestandene Geschäftsmann (Auswanderung, globaler Handel) von der Katastrophe verfolgt: Er litt an Schlafstörungen und ließ sich nächtens von seinem Chauffeur umherfahren. Seine Dependance in Manchester gab er auf, 1954 erlosch sie ganz.

Saalfelds Frau Gertrude folgte ihm am 27. April 1929 ins Grab. 2000 wurde sein Parüm “Lily of the Valley” gehoben. Die Erlöse aus den Verkäufen des Nachbaus sollen seine kanadischen Nachfahren bei einer Biographie unterstützen.

Nichts davon sagt etwas über die Qualität von Spaten-Bier aus.

A. Saalfeld & Co., Manchester, Floral Otto Lily of the Valley

Siehe auch:

  • Contract Ticket List, White Star Line 1912 (National Archives, New York; NRAN-21-SDNYCIVCAS-55[279]);
  • Names and Descriptions of British Passengers Embarked at the Port of Southampton, 10 April 1912 (PRO London, BT 27/780B);
  • List or Manifest of Alien Passengers for the United States Immigration Officer At Port Of Arrival (Date: 18th-19th June 1912, Ship: Carpathia) – National Archives, NWCTB 85 T715 Vol 4183;
  • The Mail on Sunday (UK), 8 April 2001, Eau de Titanic;
  • RMS Titanic, Inc, Press Release, 21 June 2000, Carpathia – ‘The Most Famous Rescue Ship In the World’;
  • David Pybus (2001) Adolphe Saalfeld & The History of Perfume.

Saalfeld-Portrait: Rebecca Camber: Titanic survivor’s lost scents are finally uncovered, Manchester Evening News, 10. April 2004;
Parfümprobe: Maiglöckchenduft, Spiegel 30. März 2012.

Written by Wolf

15. April 2012 at 12:01 am

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Møbendick oder Der schwarze Wal

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Moby Dick im Mosaik – Legende trifft Legende

Elke HegewaldVon unserer legendären Elke.

Dass den drei Comic-Helden der Mosaik-Hefte auf ihren Abenteuerreisen durch Raum und Zeit und Weltgeschichte nicht irgendwann auch der weltliterarische Moby Dick begegnen musste, wäre erstaunlicher gewesen als es überraschend ist, dass es zu dieser denkwürdigen Begegnung kam.

“Hä?? Mosaik-Hefte?”

Mosaik 1, Dig Dag Digedag auf der Jagd nach dem GoldeOkay, okay, nochmal auf Anfang. Mosaik ist Kult. Womöglich ist es ja vermessen, Digedags, Abrafaxe und ihre mosaikanische Heimat jenseits des deutschen Pecos genauso für Markenzeichen und Fanobjekt zu halten wie diesseits davon. Oder doch nicht? Immerhin reden wir hier über die seit Wilhelm Busch oder so älteste und die seit überhaupt langlebigste und auflagenstärkste deutschsprachige Comic-Serie ever, die unverdrossen seit über fünfzig Jahren erscheint, bis heute. Was sie sogar ins Guinness-Buch der Rekorde gebracht hat.

Und was nicht halb so einfach war, wie es sich schnell mal so hinfabuliert. Sondern wenigstens anderthalb Lebensrettungen brauchte. Die halbe gelang mittels eines Blut-… nein, Heldenaustausches der Digedags durch die Abrax, Brabax und Califax Mitte der Siebziger. Die spätere ganze – durch einen mutigen Werbefuzzi von jenseits besagten Pecos und eine Verlagsneugründung Steinchen für Steinchen im allgemeinen Abwicklungsrausch Anfang der Neunziger. Mit Erleichterung konstatieren wir zudem, dass auch die alten Mosaik-Sammelbände mit den Urhelden Asyl gefunden haben – im Fränkischen beim Nürnberger Tessloff Verlag.

Die Mosaiker sind wohl sowas wie die Donaldisten des Ostens und Mosaik-Vater Hannes Hegen kann bis in die letzten Siebziger als so eine Art Carl-Barks-Pendant durchgehen. Abgesehen davon, dass er noch lebt, schätzt er den Max-und-Moritz-Preis des Internationalen Comic-Salon Erlangen (auf den natüralemente auch der Barks verweisen kann) vermutlich mehr als das ihm noch recht unlängst verliehene Bundesverdienstkreuz am Bande. Was man allerdings nicht sicher weiß, denn meidet er seit Jahrzehnten die Öffentlichkeit. Seit dem für ausgewachsene Mosaik-Insider noch erinnerlichen abrupten Abschied von seiner Schöpfung nämlich.

Ertönt da ein Aufschrei ob vergewaltigend gezimmerter Verwandtschaft? Na gut, ihr habt es nicht anders gewollt:

MosaikheftstapelSeit 2005 versammeln sowohl eine Duckipedia als auch eine Mosapedia geballtes Wissen über die beiden Comic-Welten. Mosaikanische wie donaldistische Forschungen widmen sich der Historie und Verbreitung, den Quellen und dem Sinngut des digedag-abrafaxischen und des Entenhausener Universums ebenso wie ihren menschlich-philosophischen Abgründen. Beide Seiten zeigen bisweilen belegbare Vorlieben für eine gewisse interimsgeschichtliche Terminologie aus deutschem Wort(un)gut. Beider Fangemeinden (wenn auch in abweichend organisierten Strukturen) sind riesig, deren Sammelwut legendär. Nach dem heimlichen Vorbild von Donald Duck und Co. haben auch die Mosaik-Figuren inzwischen längst laufen gelernt. Und in Forscherkreisen wird gar gemunkelt, dass die mosaikischen Urgestalten Dig, Dag und Digedag auf eine phonetische Namensverwandtschaft zu den Donald-Duck-Neffen Tick, Trick und Track hinweisen. Was ihr Schöpfer allerdings immer bestritten haben soll.

Angesichts des Vorgebrachten könnte man als halbgeouteter Anhänger beider Paralleluniversen schon mal auf eine Frage kommen: ob nicht gelegentlich deren Forschungsabteilungen den Ur-, Tat- und anderen Sachen dafür nachgraben wöllten, warum trotz unleugbarer Anwesenheit aller zwei einschlägigen Comicvertreter-Gemeinden beim Abriss eines langgestreckten Bauwerks vor mittlerweile über 20 Jahren selbige Gemeinden immer noch mindestens regional, wenn nicht überhaupt, getrennt marschieren statt vereint jagen. Oder einander auf der Straße nicht wenigstens freundlich grüßen. Oder nicht mal einen Comic-Zweiergipfel mit lustigen Reden und Sprechblasen-Statements veranstalten… Selber hat man ja nie Zeit für sowas.

Doch genug der aus- wie abschweifenden Lang- & Breiterklärungen zum Umfeld zweier Comic-Mythen. Zurück zum weblogrelevanten Wal, wie angekündigt zur Abwechslung mal dem in mosaikanischen Gewässern. Aus Entenhausener solchen hatten wir ja hier im unsrigen bisweilen schon mal welche von den Viechern.

Mosaik, Der schwarze Wal CoverWale unterschiedlicher Spezies (meines Wissens bedauerlicherweise noch ohne eine wohlsortierte Cetacea wie die Entenhausener) bevölkern diverse Mosaik-Hefte beider Heldengenerationen.

Ihre Lieblingsbeschäftigung haben sie von Moby Dick gelernt: Schiffe versenken. So zu beobachten unter anderem im Mosaik von Hannes Hegen, Heft 196 von 1973 (Amerika-Serie): “Die Fahrt nach Panama” mit den Digedags und Käptn Blubber auf seinem maroden Walfänger. Dort setzt eine Pottwalherde vor Panama-City den Postdampfer der Pazific Line außer Gefecht. Besagter Käptn Blubber (nomen est omen!), verhökert beiläufig nach dem Abgang seiner goldfiebernden Mannschaft das Walfett des letzten Fangs als Lampenöl und führt in Frisco auf seinem Schiff das tranmiefige Whaleboat-Hotel, bevor er mit dem und den Digedags zur Rettung eines Goldschatzes wieder in See sticht. Er ist immer noch ein zielsicherer Harpunenwerfer und verfügt über einen imposanten Wortschatz an Seemannsflüchen.

Als – farbmalerisches oder parodierendes – Umkehrbild zu Melvilles Albinowal taucht der schwarze Wal in zwei Heften aus den Fluten: in Nr. 85 (Erfinderserie) aus der Hegenschen Frühzeit vom Dezember 1963: “Der schwarze Wal vom Fehmarnsund” und, dreißig Jahre später, in Nr. 211 vom Juli 1993: “Der schwarze Wal” (Mittelalterserie, Wikingerkapitel) aus der Ära der Abrafaxe nach Hegen.

Mosaik Vereinte HeldenWozu ich noch einmal was nebenhererklären muss, diesmal ganz privat, so aus der Position der quasi lebenslangen und kurzzeitig gestörten Mosaik-Leserin. Ich hab ja in kindlich resoluter Parteilichkeit als erklärte Digedag-Fänin eine ganze Zeit die Abrafaxe boykottiert – zu plötzlich passierte der unvorhersehbare Heldenwechsel 1975/76 und, zudem unkommunizierte, Hintergründe interessierten die Zopfgöre von damals überhaupt nicht. Allerdings neigt sich aus heutiger Sicht und im speziellen Fall meine Sympathie eher dem spätereren Wikinger-Wal zu. Was an dessen deutlicher Anspielung auf Moby-Dick, vielleicht auch an der wenig mädchenaffinen Einbettung des Hegenschen Frühwals in “militärischen Kontext” liegen mag.

Von seiner Spezifizierung her ist wiederum der schwarze Strolch im Fehmarnsund melvillesker, da deutlich ein Pottwal. Eine zugegeben seltene und seltsame Fügung, denn in der Ostsee als Ort der Handlung wurde der erste nur vom Leben statt von Künstlerhand gezeichnete Pottwal erst 2004 gesichtet.

Viel früher ist der Hegensche aus Heft 85/1963 dort unterwegs: Er treibt im ersten Holsteinischen Krieg um 1850 sein Unwesen. Und was tut er? Na was schon – Boote rammen. Von den kriegführenden Parteien, mittendrin die Digedags, wird er für ein neu erfundenes gegnerisches U-Boot gehalten. Als ihm das zu heiß wird, sucht er das Weite.

Mosaik WalheilungKleines Schmankerl am Rande: Der historisch belegte und im Heft vercomicte U-Boot-Erfinder Wilhelm Bauer macht seinem Befinden mit urbairischen Flüchen Luft: “Malefiz-Kugelspritz’n damische! I schlag’s umanand!”

Fabriziert wurde das Ganze unter der künstlerischen Oberhoheit des damals unantastbaren Obervaters Hegen vom so emsigen wie kompetenten Mosaik-Künstlerteam, zu dem auch des oberen holde Gattin Edith Hegenbarth gehörte – sie zeichnete, er textete.

Als Co-Texter dieser Folge zu nennen wäre noch Lothar Dräger, gelernter Opernsänger und Langzeitmosaiker, der nach dem 1975er Crash auch Hegens Posten erbte. Ein Impressum mit Nennung aller Beteiligten kam beiläufig in der Hegen-Ära nur einmal vor, in Heft 11.

Mosaik 3x WalDer Schwarze in Heft 211/1993 ist am ehesten ein Grönlandwal (Balaena mysticetus) oder Nordkaper (Eubalaena glacialis), der schon auf dem Titelcover grinsend seine Barten sehen lässt. Dafür heißt er Møbendick und ist die Geißel der Wikinger, zu denen es die Abrafaxe mittels Zeitreise verschlagen hat. Ein Schelm, der bei dem Namen nicht an – Autobahngastronomie und Eisessen denkt. Öh… und an den von Captain Ahab zur Geißel der Menschheit erklärten weißen Wal natürlich.

Feder-, respektive stiftführend bei dieser Folge und unbedingt erwähnenswert sind zwei Ladies: Lona Rietschel und Irmtraut Winkler-Wittig, beide mosaikanisches Urgestein. Die erste, mit einem Studium für Modegrafik und Zeichentrick als Qualifikation, rettete nach der Mitnahme der Rechte an den Digedags durch Hannes Hegen das Mosaik als zeichnerische Mutter der neuen Abrafax-Helden, gab neben anderen auch der Kultfigur des fränkischen Ritter Runkel ihr Gesicht und darf im vorliegenden Fall für das Møbendick-Coverbild verantwortlich gemacht werden. Die zweite war mal Porzellanmalerin in der Porzellanmanufaktur Meissen, wovon später auch das Mosaik noch was hatte: als sie in Heft Nr. 2/91 auf Seite 21 inhaltskompatibel die Porzellanherstellung erklärte und mit dem allbekannten Zwiebelmuster garnierte. Die Walhatz-Geschichte mit den Nordic Seefahrern in Heft 211 gestaltete sie figürlich sogar komplett.

Møben-Dick oder Der (schwarze) Wal. Der jagt Sven Svensons Wikinger im Zuge der Handlung durch den Comic, von Norwegen bis nach Island:

Møbendick ist bei diesen wohlbekannt und gefürchtet. Den Männern gelingt es dank der Hilfe der Abrafaxe, mit ihrem Schiff in einem schmalen Fjord vor dem Wal Zuflucht zu suchen. Am nächsten Morgen ist Møbendick verschwunden, und die Männer machen sich auf die Heimreise in Richtung Island. Einige Wochen später taucht Møbendick in den Gewässern vor dem Wikingerdorf, in dem sich die Abrafaxe aufhalten, auf. Die Abrafaxe, denen die Schuld an der Rückkehr des Wals gegeben wird, sollen ihm geopfert werden. Während sich die drei in einem Ruderboot dem Ungetüm nähern, entdecken sie die Ursache für dessen Aggressionen: Eine Harpune steckt in seinem Körper und verursacht offensichtlich heftige Schmerzen. Califax gelingt es, das Geschoss zu entfernen. Er behandelt die Wunde mit seinem Rosmarinextrakt und befreit somit den Wal von dessen Schmerzen. Møbendick ist wieder friedlich und schwimmt zurück ins offene Meer.

Aus: Mosapedia. Møbendick.
Vgl. auch Mosapedia: Mosaik 211 – Der schwarze Wal.

Mosaik Lanze im WalUnd auch jetzt kann ich’s nicht lassen. Wieder außerhalb des Protokolls (und weil der geneigte Leser eh schon mit meinen beständigen Abschwöffen rechnet) juckt es mich in den Fingern, für die angelehnten Wortgut-Donaldisten unter uns noch einen vom Wal zu erzählen, bloß ohne Wal. Und vom Folgeheft Nr. 212, in dem die Abrafaxe mit den Wikingern Amerika entdecken. Schon der wohlverfremdete Titel “Neuland unterm Bug” sollte russenliterarischen Scholochow-Kennern und solchen sozialistisch-realistischer Terminologie was sagen. Und neben der Abwesenheit des im Vorheft gegenwärtigen Sven Svenson und der (wohlverfremdeten) Anwesenheit des dereinst allgegenwärtigen Hannes Hegen(barth) als Wikinger Hannes Gegenparth sowie einer bemerkenswerten Abhandlung zur nordischen Mythologie fallen zudem vorsätzliche Anklänge an DDR-typisches Vokabular auf: So werden (jaha, schaut’s her, Freie Donaldistische Jugendliche!) aus der Kampfreserve der Partei, der FDJ, hier die Einherjer in Walhalla.

Aber wir waren ja auf Fischzug nach Melville-Sequenzen. Ha, und einen hab ich noch.

Im Januar-Heft von 2003: “Ein fast perfekter Plan” (Zweite Japan-Serie, Nr. 325) begegnen die Abrafaxe im japanischen Hafen Hakodate flüchtig dem leibhaftigen Kapitän Ahab, und was für einem! Der heißt da zwar nur “ein Walfänger-Kapitän” und (noch) nicht Ahab (und sein Schiff noch nicht Pequod, aber es ist sein Schiff), doch seine Züge sind unverkennbar die des karikierten Gregory-Peck-Ahab aus Hustons 1956er Film “Moby Dick”. Uuund: Er steht da noch auf zwei gesunden Beinen. Was völlig in Ordnung geht und passend zur Örtlichkeit darauf hinweist, dass er das eine erst kurz nach dem Auslaufen des Schiffes hinter Japan verlieren wird. Hut ab vor witziger Belesenheit und Melville-Kenntnis des Zeichner- und Autorenteams.

Die einschlägigen Namen erhalten Mann und Schiff dann im noch recht frischen Januar-Heft Nr. 421 von 2011: “Unter Schmugglern” (Barock-Serie). Allerdings erscheinen sie da dem Brabax nur in einem Traum, und das auch noch zeitverschoben, so in die Zeit um 1700 hinein. Aber die Figur mit dem Peck-Habitus ist hier als Ahab benannt und auf dem Traumbild-Schiffsbug steht in Spiegelschrift “Pequod”.

Eindeutig in Melvillescher Mission unterwegs sind die Abrafaxe im mosaikischen Kalender von 2005 “Die Abrafaxe und die Welt der Bücher”: Auf dem März-Bild jagen sie in einer winzigen Pequod-Nussschale zusammen mit dem grimmig die Harpune schwingenden Ahab nach dem weißen Wal.

Wal und FlotteDer allbekannte Wesenszug von Comic-Palavern, zuvörderst aufs Visuelle zu bauen nämlich, manövriert mich am Ende mit meinem Sermon nun noch in eine mittlere Bredouille. Denn auf den Urheberrechten für illustrierende Bilder aus der Mosapedia sitzt frank und frech und recht rigide der Steinchen für Steinchen Verlag. Ob aus Protest gegen lästige Blogger-Werbung für lau und unkommerziell oder aus Sorge um unkontrollierbare Explosionen der Nachfrage auf dem Comic-Markt, weiß man nicht. Verziehen sei mir drum stümperhaftes Selberabknipsen der einschlägigen Illus aus meinem ehrlich und käuflich erworbenen Mosaik-Privatexemplar sowie die Bebilderung mittels Link-Verweisen. Tja, selber schuld, ihr Mosaiksteinchenverwalter.

PS: Kommt in nächster Zeit vielleicht wer nach Leipzig? Einer, der Comic-Fan ist? Für den ergeht hier noch ein exklusiver Freizeit-Tipp: Begebe er sich zum Zeitgeschichtlichen Forum in der Grimmaischen Straße und stürze er sich auf und in die noch bis zum 13. Mai 2012 dort laufende Digedag-Ausstellung. Es soll viel liebenswertes, lieb gewordenes und viel bislang unveröffentlichtes Zeug aus Hegens Archivschenkung zu sehen sein – und jede Menge Alt- und Jung-Mosaikaner, bis in die dritte Generation, wie man hört. Der Eintritt ist frei.

PPS: Ein Belegexemplar von Mosaik-Heft 211 (Reprint) “Der schwarze Wal” geht an den Käpt’n, damit der die richtigen Scans für die Freundlichen Begegnungen in der Bücherliste machen kann (den MosaPeck-Ahab muss ich erst noch herbeiorganisieren).

Bilder: Mosaik Nr. 1: Zeitgeschichtliches Forum Leipzig;
Vereinte Helden: von Mosaik. Geschichte und Figuren;
Mosaik-Hefte von weißnichtwo, vielleicht eBay;
alle anderen: selber geknipst. Dass man das sieht, ist gewollt, teilweise jedenfalls. Vielleicht tolerieren’s ja dann die Steinchen-für-Steinchen-Rechte-Geier.

Film: hier ab vier.

Written by Wolf

6. April 2012 at 12:01 am

Posted in Smutjin Elke

The Apfelbäumchen Rant

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Update zu The interkulturelle Rant:

Wenn ich wüsste, dass morgen der jüngste Tag wäre, würde ich heute noch bei Amazon eine abseitige vergriffene Ausgabe bestellen, die von einem Hausfrauenantiquariat in einem amerikanischen Bundesstaat mit I “innerhalb 7 bis 21 Werktagen versandt” wird und vier Wochen beim Zollamt in der Landsberger Straße hängenbleibt. Ferner wäre das eine einzigartige Gelegenheit, meine Nachbarn darüber zu informieren, dass man bis Mitternacht ruhig fertiggevögelt haben kann. Mein Handy würde ich schon nicht mehr aufladen und endlich die unterdrückten Rufnummern ignorieren. Wäre das eine gesegnete Ruhe.

Federico Costa, Reading Beauty. She's Like a Rainbow, 13. September 2010

Vom Hausfrauenantiquariat in Turino: Federico Costa: Reading Beauty (She’s Like a Rainbow), 13. September 2010;
Altes Lieblingslied dressed in blue: The Rolling Stones: She’s a Rainbow aus: Their Satanic Majesties Request, 1967.

Written by Wolf

1. April 2012 at 12:01 am

Posted in Wolfs Koje