Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for the ‘Steuermann Wolf’ Category

Monomaniac Incarnation

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Update for Madness Affecting One Train of Thought:

klem.jm, Tanya, 18. Mai 2011Here we’re introduced to Ahab’s monomania, his single-minded fixation on the White Whale. Basically, what’s driven Ahab crazy is that he’s not very good at symbolism. As a clever Shmoop reader, you know that things don’t just symbolize whatever you decide to make them mean; the limits of their symbolic potential are determined by context. But Ahab takes the White Whale out of context and projects onto it, and not just everything that makes him angry, but everything that’s enraged any human being ever, since time began. Nothing can really hold all that symbolic weight. Not even an inscrutable white whale.

Sometimes it helps to read old versions of Wikipedia articles. If the community consense is to delete beautiful passages, it does not mean they are not beautiful. A deletion from August 5, 2001 said:

klem.jm, Tanya, 18. Mai 2011Ahab has the qualities of a tragic hero — a great heart and a fatal flaw — and his deeply philosophical ruminations are expressed in language that is not only deliberately lofty and Shakespearian, but also so heavily iambic as often to read like Shakespeare’s own pentameters.

The White Whale swam before him as the monomaniac incarnation of all those malicious agencies which some deep men feel eating in them, till they are left living on with half a heart and half a lung. That intangible malignity which has been from the beginning; to whose dominion even the modern Christians ascribe one-half of the worlds; which the ancient Ophites of the east reverenced in their statue devil; — Ahab did not fall down and worship it like them; but deliriously transferring its idea to the abhorred white whale, he pitted himself, all mutilated, against it. All that most maddens and torments; all that stirs up the lees of things; all truth with malice in it; all that cracks the sinews and cakes the brain; all the subtle demonisms of life and thought; all evil, to crazy Ahab, were visibly personified, and made practically assailable in Moby-Dick. He piled upon the whale’s white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart’s shell upon it.

The new version says:

Ahab’s motivation for hunting Moby Dick is explored in the following passage:

Then the same passage. Meh. See the difference?

Monophiliac incarnations: klem.jm: Tanya 1 and 2, May 18, 2011.

Written by Wolf

13. August 2011 at 12:01 am

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Weil er da ist: Madness Affecting One Train of Thought

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Wolf hat Kapitel 41: Moby Dick gelesen:

I’m mad, I’m bad, like Jesse James.
They gonna tie yo’ hands,
They gonna tie yo’ feet,
They gonna gag your throat,
Where you can’t holler none,
And crying won’t help you none.
Set you in the water,
Yeah, the bubbles coming up.
Whoa,
Rrrrrrr,
Rrrrrrr.

John Lee Hooker: I’m Bad Like Jesse James, 1966.

Die Frage ist doch: Was hat jemals einen Menschen dazu getrieben, die Nordwestpassage überhaupt zu suchen? Wenn sie schon mal da ist, wird ihr Nutzen klar, aber warum wollte jemand durch eine Stelle segeln, die für niemanden existiert?

Dorothy Lamour, ca. 1953Auf den unvollständigen Landkarten des amerikanischen Doppelkontinents bis ins neunzehnte Jahrhundert wies nichts darauf hin, dass Kap Horn eine nördliche Entsprechung haben könnte, und wie man nach abgeschlossener Forschung weiß, sieht es da oben nicht wesentlich anders aus, als die damaligen weißen Flecken nahelegten: Der arktische Archipel von Kanada war bis zu seiner Auffindung nicht bekannt, das Verhalten von Packeis schon.

Die draufgängerische Bergfexantwort: “Weil sie da ist!” funktioniert also nicht. Aber Kap Horn, das gibt’s, einen Panamakanal bohren wir auch noch in die Mitte, und die Welt ist eine bessere, wenn es eine Nordwestpassage gibt. Besser funktioniert also: “Weil es sie geben muss!”

Also wird gesucht. Das ist etwas, das Menschen tun, so sind sie halt. Ein bestimmter Schlag jedenfalls. Über Logik ist das nicht zu fassen, es wäre denn die Logik eines Siebenjährigen, der begründen soll, aus welchem Anstoß heraus das Christkind eine Playstation bringen soll: “Weil ich dann spielen kann.” Erst die Ursache, dann die Wirkung — so weit konnten sich Aristoteles, Newton und Heisenberg immer einigen.

Nicht so die George Mallorys, Robert McClures, John Franklins, Christoph Columbus’, James Cooks und wie sie alle heißen, und am allerwenigsten die Ahabs.

Kapitel 41 heißt so wie der ganze Roman, bis auf den Bindestrich, scheint also eins der wichtigen, bedeutungs- und staatstragenden. Einmal mehr hat sich Melville “seinen Leser geschaffen”, indem er ein retardierendes Moment von vier Kapiteln einschob. “Ich, Ismael, war einer aus dieser Mannschaft” knüpft nicht an Kapitel 40 an, sondern an 36, dazwischen herrscht stimmungsbildender Hexensabbat. Zuletzt hat Ahab auf dem Achterdeck seine Dublone angenagelt und frech zum erweiterten Selbstmord motiviert: “Befehlen tue ich’s euch nicht; ihr wollt es so.”

Ecuador's 8 Escudos Coin in Moby DickWenn das kein Anreiz ist: die ungeheure Summe von sechzehn Dollar, wow, o danke, Herr Kapitän — und wer braucht einen Auftrag von der Reederei, die doch gefälligst ihren eigenen Kopf und Glieder hinhalten soll, und “profitabl[e] Fahrten” voller “Gewinn […], den sie in frisch gemünzten Dollars zählen konnten” (so noch in Kapitel 41), wenn er einen Weißen Wal (ab sofort als Eigenname mit Groß-W] haben kann? Der letzte, der solche kleinmütigen Weltlichkeiten anmahnt, war Starbuck — und der ist moralisch von den Guten, aber dramaturgisch ein böser Gegenspieler, weil der irre, verwerfliche Ahab in einem modernen Roman — hallo, Hannah — der Zweitheld hinter dem Ich-Erzähler ist, Moral Schmoral. Denn

Nun ahnte Ahab tief in seinem Herzen dies: All meine Mittel sind vernünftig, all meine Gründe und mein Zweck verrückt.

Gut erkannt, Captain — ver-rückt sind sie (im Original: mad), miteinander vertauscht. So blöd ist er also nicht, seinen eigenen Irrsinn zu verkennen, aber “er wußte, daß er ohnmächtig sei, diesen Umstand zu beseitigen”, a man’s gotta do what a man’s gotta do, die Welt kann keine gute sein, wenn er sich nicht an diesem vieldeutigen Zustand von Monsterwal rächen kann, und ohne den psychologischen Begriff der monomania kommt jetzt nicht mal mehr Melville aus. Moby Dick muss erlegt werden, weil er nun mal da ist und deshalb weg muss.

Dorothy Lamour, ca. 1953“Monomanie” taucht zuverlässig in allen Charakterisierungen Ahabs auf, in den neueren auch “narzisstische Kränkung”. Daniel Göske, nach dessen Ausgabe ich die deutschen Stellen zitiere, weil sie üppiger als die Rathjensche kommentiert ist, meint zu dem Begriff ausführlich:

Monomanie: das Wort war damals [1851] recht neu. Der französische Seelenarzt Jean Esquirol hatte es 1823 geprägt, und James C. Prichards Cyclopedia of Practical Medicine (1833) wurde es als “madness affecting one train of thought” spezifiziert und er althergebrachten Bezeichnung “Melancholie” vorgezogen. Melville nennt Ahab nie melancholisch, oft aber “morbid” (“krankhaft”) oder “obsessive” (“besessen”). Die populäre Penny Cyclopedia von 1843, aus der er auch andere informationen bezog, lehrte, daß mit dem Wahn des “Besessenen” auch eine “krankhafte” Veränderung des “moralischen Empfindens” einhergehe.

“Melancholie” war mir bislang als altes Wort für Depression geläufig, also das schiere Gegenteil einer wie auch immer gearteten Manie — aber die Einschätzung, dass Depressiven moralisch nicht über den Weg zu trauen sei, hat sich gehalten.

Besessenheit im Sinne des Wortes dagegen sollte sich außerhalb betont religiös normativer Erklärungssysteme überlebt haben; so muss die römisch-katholische Kirche bis heute an den Teufel glauben, weil man ihn exorzieren kann. Was uns lehrt, dass diese siebenjährige Ahab-Krankheit gegen alle aristotelische Logik und Newtonsche samt Heisenbergsche Physik gar kein so abseitiges Ausnahmegebrechen ist. Widerleg this, Starbuck.

Jessica Gingerherring, The joys of the home library, 16. September 2008Ob diese Deduktion polemisch war oder nicht, hat Melville Recht: “Jene unfaßbare Arglist, welche von Anbeginn aller Zeiten in der Welt gewesen; welcher selbst die Christen der heutigen Zeit die Herrschaft über eine Hälfte der Welt zubilligen; welche die Ophiten des alten Orients in ihren Teufelsstatuen verehrten”, kurz: der Teufel — er bleibt, sagt Göske,

für das Verständnis von Melvilles Ahab wichtig. [Die Ophiten] beteten den Teufel in Gestalt der Schlange an, da diese, als Werkzeug des wahren Gottes, Adam und Eva im Paradies die Erkenntnis ermöglicht hatte, die ihnen der Schöpfergott verweigert hatte. Außerdem verehrten sie die großen Gegenspieler des altestamentlichen Gottes und seines auserwählten Volkes: Kain, die Stadt Sodom, Ägypten.

Das muss natürlich grundböse sein, aus Sicht aller, die den Monogott des Alten und den dreifaltigen des Neuen Testaments verehren: dessen Antagonisten anbeten, weil er ihnen das einzige schenkt, was ihnen der Schöpfer verweigert: die Erkenntnis im wohlüberlegten, ja kultischen Tausch gegen die Erlösung.

Das ist eine ganz andere Schuhnummer des Satanismus als spaßeshalber Heavy-Metal-Platten rückwärts anzuhören — und die teuflische, bei ewichter Höllenverdammnuß verbotene Erkenntnis bringende Schlange war sogar noch das Werkzeug dessen, der sie bekämpft. — Auch so ein altes Paradoxon: Wer hat den Antichristen in die Welt gesetzt, wenn nicht ausgerechnet Gott? (Und kann Gott so einen großen Stein erschaffen, dass er ihn nicht mehr werfen kann?)

“Für das Verständnis von Melvilles Ahab wichtig” (Göske): “Ahab fiel nicht vor ihr [jener unfaßbaren Arglist pp.] auf die Knie und betete sie an, wie jene es taten” (Melville),

doch indem er die Vorstellung davon wahnhaft auf den verhaßten Weißen Wal übertrug, warf er sich ihr entgegen, verstümmelt, wie er war. Alles, was uns am stärksten quält und in den Wahnsinn treibt; alles, was im Bodensatz des Lebens rührt; alle Wahrheit, die Arglist einschließt; alles, was die Sehnen zerreißt und das Hirn verhärtet; all das kaum merklich Dämonische am Leben und Denken; alles Böse schien dem irrsinnigen Ahab in Moby Dick sichtbar verkörpert und leibhaftig angreifbar. Er türmte auf des Wales weißen Buckel des angehäuften Zorn und Haß, den sein Geschlecht seit Adam je verspürt, und ließ, als wäre seine Brust ein Mörser, sein heißes Herz, das feurige Geschoß, an ihm zerbersten.

Ahab gegen das Böse in der Welt, gegen alles, das die Mühseligen und Beladenen von der Erquickung abhält; Ahab, der sich gegen die Erbsünde opfert. Bin ich wirklich der einzige, der gerade jetzt auf das Bild von Ahab am dritten Kampftag vorausschaut, wie er von den Harpunenleinen an den Bauch des Leviathan gekreuzigt untergeht? Eben war Ahab der Gottseibeiuns, wenigstens ein direkter Nachkomme des Satans mephistophelischer Prägung aus Paradise Lost oder allerwenigstens sein williges Gefäß, und plötzlich ist er auch noch Jesus. Gleichzeitig.

Jessica Gingerherring, Backyard and Beyond, 16. September 2008Es ist ein Paradox, kein Widerspruch (haben Sie das, Eckermann…?), und es ist “im 41. Kap., wo Ismael eine Diagnose von Ahabs Wahn versucht” (abermals Göske, schon auf Seite 963 zum 36. Kapitel), und zur theologischen Erörterung, was gut, was böse, was beides auf einmal ist, hilft uns einfachen Ismaels, Starbucks “mit seiner rechtschaffenen Tugend ohne Tatendrang, durch die unangreifbare, gutgelaunte Wurstigkeit eines Stubb und die alles durchdringende Durchschnittlichkeit eines Flask” schon, die theorielastigen Kapitel ohne blutig zugerichtete Mönche in Der Name der Rose ausnahmsweise nicht zu überblättern. Wenn wir geistigen Mannschaftsgrade, die wir weder gelahrte Jesuiten noch Professoren der Semiotik sind, uns mal eingelesen haben, werden wir da richtig spürbar schlauer. — In diesem Sinne mein Lieblingssatz aus 41:

Die Männer wandten ein, daß sie zwar andere Leviathane erfolgreich jagen mochten, daß es jedoch dem Menschen nicht gegeben sei, eine Erscheinung wie den Pottwal zu hetzen und mit der Lanze aufs Korn zu nehmen — daß schon der Versuch bedeuten würde, unweigerlich und unvermittelt in die Ewigkeit hinweggerissen zu werden. Zu diesem strittigen Punkte liegen einige bemerkenswerte Unterlagen vor, die eingesehen werden können.

Zu Deutsch: Man soll sich nicht anlegen, aber nachschauen kann man mal. Eine angenehm entspannte Nachsicht Melvilles, die er in seinem Schlüsselkapitel 41 schön beiläufig versteckt. Hach.

Was jetzt noch fehlt — Elke, alles für dich! — : Die Coverage zu

Man kommt nicht, wenn man weder Melville noch Göske heißt, spontan darauf, dass die beiden letzteren Posten ganz ähnliche Phänomene wie die Entdeckung der Nordwestpassage beschreiben, die bis 1853 nur den wandernden Walen bekannt war: den portugiesischen Serra da Estrêla, auf dessen Bergsee versunkene Schiffswracks auftauchen, und die sizilianische Fonte Aretusa, die von Wassern aus dem Heiligen Land sprudelt. McClures — die erfolgreiche — Expedition der arktischen Walwanderung hinterher lief noch, als Moby-Dick erschien.

Ahab sucht heute noch.

Michael Raso, Erin Russ in Ringwood State Park Graveyard, North New Jersey, 2. November 2009

Bilder: Ecuador’s 8 Escudos Coin in Moby Dick;
Dorothy Lamour 1 und 2, ca. 1953: via The Tag;
Jessica Gingerherring: The Joys of the Home Library und Backyard and Beyond, 16. September 2008;
Michael Raso: Erin Russ in Ringwood State Park Graveyard, North New Jersey, 2. November 2009.

Written by Wolf

21. July 2011 at 12:01 am

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Demogorgon Needs a Green

with 8 comments

Wolf hat Kapitel 37, 38, 39 und 40 gelesen:

(Eine hochgewölbte, gotische Kajüte; bei den Fenstern auf den Gehsteig; Wolf auf und ab prokrastinierend)

“Hinter mir lass ich ein weißes, trübes Kielgewässer; bleiche Wasser, bleichre Wangen, wo auch immer ich nur segle”, aber das ist von Ahab. Ach, dass ich gar keinen eigenen Gedanken mehr fassen kann — Monate über Monate sind’s mittlerweil. Äußere mich in Zitaten, den Reliquien aus meinen Bücherpyramiden und von DVDs — geliehenen! — und doch: Hat nicht einer vor drei Jahrtausenden gesagt, da geschehe nichts Neues unter der Sonne mehr?

Müsst ich’s dann nicht wissen, wie ich meine P.E.Q.U.O.D. ans Ziel führ’; wie wir, verbunden durch Pech, Schwefel und Social Media, die Tiefen dieser See ausloten, das uns der Melville eingelassen, das Walgerippe zu vermessen, das er uns gezeichnet?

Horch! neigt sich schon ein weiteres Jahr, ohne dass wir den Wal gesichtet, nur faul auf Deck gelegen, und weiß kaum einer mehr vom anderen, auf welcher Stenge er heut seine Segel kalfatert. Wenn wir nicht selbst genugsam mit den Blättern rascheln, so tut’s die Zeit für uns.

Jürgen

Alles nur Theater…?, 7. März 2010.

Tim Winton: Atem, 9. Juli 2010.

(Verstummt.)

Elke

Bleibe ruhig, alter Grauer, sei nur getrost. Hetzt uns doch niemand. Stehen nicht die Buchstaben gedruckt für die Ewigkeit, wölbt sich der Himmel nicht da droben, steigt und fällt nicht das Meer, hebt und senkt sich der Wind, der uns weiterträgt, und hängen wir unser Segel nicht nach ihm, wie uns selbst beliebt? Ging’s nicht bis jetzt immer irgendwie voran, haben wir nicht ein Kapitel nach dem anderen abgefrühstückt und sind uns darüber die Geschmacksnerven empfindsamer geworden, damit uns auch das nächste mundet?

Mag der Wind flau sein, wir sind es nicht. Es geht nur ein Kapitel nach dem anderen, und für diesmal hast du, unser liebender, sorgender Kapitän, gar viere aufgegeben — und dir wird bang ums Fortkommen?

Nein, nicht das stubengelahrte Aufentern in der papiernen Takelage ist’s, das uns abhanden kommt; alles andre außerbords ist es. Steht doch da oben immer noch “Leben mit Herman Melville” — das einzige an unserm ganzen Weblog, das du nie mit neuer Farbe übertünchen wolltest. Und heißt demzufolge nicht, dass wir je zu dir gekommen sind, dass wir da bleiben, wir nähmen’s uns vor oder nicht?

Hannah

Potz Bassgewitter und Drommeten, jetzt mal langsam mit den jungen Stichlingen hier. Kann man nicht mal in Ruhe fertig studieren und mit Anstand die Probezeit in seinem neuen Job rumkriegen, ohne dass einem gleich die Weisheiten aus den Fledermausärmeln purzeln sollen? Hey, ich hab mir gerade erst die Rathjen-Übersetzung gekauft und lange nicht so weit gelesen wie ihr, und jetzt kommen sie einem gleich mit vier Kapiteln auf einen Sitz. Was soll das überhaupt mit den geschwollenen Reden in verteilten Rollen? Ich hab eine Reise gebucht durch einen Roman, keine Operette.

Wolf

Na schön, meine Marlspiekerchen, wie geht’s dann weiter?

Daniel Göske

Ich, Ismael, war einer aus dieser Mannschaft: gemeint ist die im 36. Kapitel auf dem Achterdeck in Ahabs Bann gezogene Mannschaft, nicht die unbändig feiernde Schar auf der Back in dem (vielleicht früher abgefaßten) operettenhaft-szenischen Kapitel 40, das Melville zusammen mit den Monologen der Kapitel 37 bis 39 offenbar nachträglich einfügte.

Thomas Carlyle: Sartor Resartus, 3. Buch, 18. Kapitel

Picasso's Woman, 11. Dezember 2009Was ist Irrsinn […]? Der Irrsinn wird wie einst so auch in Zukunft etwas Grausig-Rätselhaftes bleiben, ein ganz und gar infernalisches Brodeln der untergründigen, chaotischen See, das durch dies hübsch bemalte Oberflächenbild der Schöpfung dringt, das auf ihr schwimmt und das wir die Wirklichkeit nennen.

Wolf

Jaja, ist gut, das unterstellt der Göske, dem Carlyle folgend, dem Ahab und dem Melville mit zugleich, und redet damit keinen von beiden besser als die Freizeit-Konstruktivisten im Ausguck. Vielleicht kaufen sich alle noch einen schwarzen Rollkragenpullover, was doch sowieso Hannahs allererster Vorschlag war, dann kriegen sie den ganzen Tag das ganze Jahr frischen Kaffee hingefahren und müssen nie mehr Wasser anschauen, als was in der Seine vorbeiplätschert.

Was Irrsinn, was Verwirrung! Wenn ihr schon die Auswahl habt, was ihr von der Welt wahrnehmt — was sucht ihr euch nicht was Gescheites aus? Das heißt auch Respekt, das heißt Verantwortung — vor euch selber und vor jedem, der euch zuhört. Wenn ihr weinen müsst, was lacht ihr nicht unter euern Tränen? Ihr habt Schauen und Schreiben gelernt — wohlan, gebraucht es, hier und jetzt!

Französischer Seemann

Beat thy belly, then, and wag thy ears. Jig it, men, I say; merry’s the word; hurrah! Damn me, won’t you dance? Form, now, Indian-file, and gallop into the double-shuffle? Throw yourselves! Legs! legs!

Wolf

Aye, mates. So will ich euch sehen.

Bild: Picasso’s Woman, 11. Dezember 2009.

Written by Wolf

1. December 2010 at 12:01 am

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Pequod’s End (There is a captain Ahab in all of us)

with one comment

Heute vor 170 Jahren, am 6. Januar 1840, ist die Pequod untergegangen. Dan Matlaga von der Google Group der Ishmailites tut den Job der P.E.Q.U.O.D. und seziert in einem Vorgriff auf Kapitel 132: Die Symphonie die sich aufdrängenden großen Themen.

The Symphony beschreibt noch die Ereignisse des 1. Januar 1840. Nach den pausenlosen Ankündigungen des Untergangs über die letzten 131 Kapitel ist dieser Anfang derjenige vom Ende. Konsequent dazu handeln die folgenden letzten Kapitel an Epiphanias nicht von einem Erscheinen, sondern einem Verschwinden.

170 years from today, on January 6th, 1840, the Pequod sank. Dan Matlaga from Google Group Ishmailites does a P.E.Q.U.O.D. job describing Chapter 132: The Symphony in several entries. In context, without the doublets, all by Dan Matlaga:

The Symphony, part 1

Hello All…

It is morning January 1, 2010.

Most appropriate for this date and this time is an analysis of Chapter 132 The Symphony. One hundred seventy years ago on this morning of this new decade of 1840 Melville has Ahab at the bulwarks gazing into the sea and sky.

I have remnants of my High School paperback copy of Moby-Dick. Underlined in red:

“On such a day – very much such a sweetness as this – I struck my first whale – a boy harpooneer of eighteen! Forty – forty – forty years ago! – ago!”

I underlined that sentence in The Symphony in red, along with this thought also in red: “M gives away the store here… date???”

I realized how important the date of The Symphony is. It could provide a more cohesive understanding of certain information provided in the novel. Certainly anyone who has progressed to chapter 132 is capable of mathematical addition. The question as it would appear in a blue book exam: “Question: If in chapter 132 Captain Ahab states he was 18 years old forty years ago, how old is Captain Ahab now?” The answer: 18 + 40 = 58, Captain Ahab is 58 years old while gazing into sea and sky in chapter 132.

This bit of information is interesting but limited. A similar situation occurs, it seemed to this high school student, in Chapter 28 Ahab. With reference to the scar on Ahab’s face down his neck to disappear beneath his clothing: “Whether that mark was born with him, or whether it was the scar left by some desperate wound, no one could certainly say.”
An old Gay-Head Indian believed that Ahab was branded when he was forty years old in an elemental strife at sea. A grey Manxman believed Ahab had this scar as a birthmark, and the scar extended head to foot.

Both comments concerning the origin of Ahab’s scar are correct. But what concerns here is this repeat of Melville’s use of the number forty. Without the date the voyage takes place, it is difficult to understand how this scar information can be of much use. If your mind wraps around the fossilized interpretation of Moby-Dick, the petrified interpretation – mummified, desiccated view, that Mr. Melville was not interested in detail, certainly these passages will open up much to wild speculation. If the date of the voyage can be determined, the speculation can be narrowed.

But hey… what did I know; I was a High School student.

 

The Symphony, part 2

Suzanna, Ave Maria, October 17, 2008So the subsequent submissions don’t read as magic, I think it appropriate to briefly describe how we can determine the year of the last voyage of the Pequod.

In 1999 John F. Birk published a book titled: “Tracing the Round: The Astrological Framework of Moby-Dick.” In his book John divides the novel into six blocks. Chapters 1 – 25 falls under the astrological signs of Aries and Taurus, chapters 26 – 69 Gemini and Cancer constitute Birk’s second block while Chapter 70 The Sphynx is block three. Birk’s block four includes chapters 71 – 92 and tokens the astrological signs of Virgo and Libra, chapters 93 – 126 fall under the astrological signs of Scorpio and Sagittarius. The final number six block which includes chapters 127 – 135 rounds out the astrological zodiac with the three astrological signs of Capricorn, Aquarius and Pisces. As the Pequod sails from one ocean to the next in search of the whale, it is according to Birk, sailing from one astrological section of the zodiac to the next.

While John was writing his book he and I had more than a few lunches on campus. During one of these lunches, John mentioned that no one really understands the gams, and of all the gams the least understood is Chapter 54 The Town Ho’s Story. I told John not to worry. I’ll figure it out.

With a start time of 6 p.m. that evening and an all nighter until about 2p.m. aided by a dozen or so magnificent Churchill cigars, I was able to determine the astronomical references of the gams. Chapter 52 The Pequod meets the Albatross references the constellation Argo. The constellation noted on star maps of 1840’and 50’s no longer exist on modern star maps. Chapter 54 The Town Ho’s Story is related to Halley’s comet. Chapter 71 The Pequod meets the Jeroboam is without question a reference to a comet designated in the history books as Comet 1840 1. Chapter 81 The Pequod meets the Virgin is Melville’s inclusion of the planet Jupiter while the planet Venus can be affiliated with Chapter 91 The Pequod meets the Rose Bud. The planet Saturn is the basis for Chapter 100 The Pequod meets the Samuel Enderby of London. Melville had in mind the planet Mercury for Chapter 115 The Pequod meets the Bachelor, and Mars for Chapter 128 The Pequod meets the Rachel. One of the more interesting gams is Chapter 131 The Pequod meets the Delight. This gam was written with the planet Uranus in mind, and as previously submitted occurred on Christmas of 1839.

We can ask the question: was there ever a time when Mercury was in either Capricorn, Aquarius, or Pisces while Venus was in the constellation of Virgo or Libra, Mars in Capricorn, Aquarius or Pisces, Jupiter in Virgo or Libra, Saturn in the astronomical constellation of Scorpius or Sagittarius, and Uranus in either Capricorn Aquarius or Pisces? The answer is yes; all conditions are met from December 17th 1839 through January 5th, 1840. With consideration of the illumination of the moon described in Chapter 22 Merry Christmas, we can be certain this window occurs at the closing of the voyage and not the start of the voyage.

It is worth noting the necessary change of treating Birk’s astrological signs to astronomical constellations. If we continue to use Birk’s six blocks as astrological signs we do not arrive at a date. The planet Venus becomes particularly quarrelsome. This is one of two smoking guns Melville provides to inform the reader astrological considerations are not the important guide John Birk believes.

Chapter 22 Merry Christmas informs the reader the day the Pequod set sails. We can now state with confidence the date is December 25, 1838. If the reader navigates through the 135 chapters guided with the additional thought whale encounters occur during the period of two nights and three days of new moon, the reader arrives with the Pequod’s demise January 4th, 1840.

 

The Symphony, part 3

Suzanna, Ariadne, November 2, 2008The astute reader referenced in part two will conclude Chapter 132 The Symphony occurs the morning of January 1, 1840, which parallels the date of this posting of not just a new year but also a new decade. In 1840 Ahab informs the reader he is 58 years old. If we subtract 58 from 1840 we arrive at the year 1782. Captain Ahab was born in the year 1782. According to a document in the archives of the Berkshire Historical Society, Allan Melvill, Herman’s father’s birth date is presented as April 7, 1782. John Birk can take some comfort here since he lists Aries as Ahab’s astrological sign (March 21 – April 20).

We learn in The Symphony Ahab becomes a boy harpooneer at age 18. If we add 18 to 1782 we arrive at the year 1800. This is the year Allan made his first ocean voyage to Europe where he would eventually set up an export business to the United States. Another document, titled: “Recapitulations of Voyages and Travels from 1800 to 1822 both inclusive,” this document written by Allan lists 1800 as his first voyage and the year 1822 as his last. Allan then was forty years old when he made his last voyage. Recall the statement in Chapter 28 Ahab by the Gay – Head Indian with respect to Ahab’s scar: “…not till he was full forty years old did Ahab become that way branded, and then it came upon him, not in the fury of any mortal fray, but in an elemental strife at sea.” We can narrow Ahab’s strife at sea to November 9, 1822 to a major meteor shower. Melville’s treatment of meteor showers in Moby-Dick will remain for another posting.

Some may conclude Mr. Melville had issues with his father and therefore patterned Ahab after those issues. Along similar lines, Moby Dick was a whale, there is a constellation of Cetus a sea monster, Moby Dick must be represented by Cetus. The Pequod was a sailing ship. There was the constellation of Argo, a sailing ship, the Pequod must have been represented in the sky as Argo. Mr. Melville was a world class author and a much greater artist than these simple conclusions warrant.

 

The Symphony, part 4

Suzanna, Arachne, November 2, 2008There is information in Chapter 132 The Symphony that can help determine when Moby Dick took Ahab’s leg.

The Pequod leaves Nantucket Christmas Day 1838. We know from reading The Symphony, the Ahabs had a child equipped with outside plumbing. That son had to have been born before the Ship left harbor. Mr. and Mrs. Ahab must have gotten together nine months earlier, which would place Ahab in Nantucket April 1838.

We can make some general, rounded number calculations. The distance from the tip of South America to Nantucket is 8,100 miles. Chapter 41 Moby Dick informs us Ahab went mad while traversing the Patagonian Cape at mid winter, months and weeks after his leg was bitten off by the whale. Recall from 5th grade geography class the seasons are reversed in the Southern Hemisphere so mid winter at the Patagonian Cape translates as June 21 at the tip of South America. The distance, again in round numbers between the southern tip of South America to Nantucket is 8, 100 miles. From other considerations described later, a ship of the Pequod’s design was capable of 80 statute miles in a 24-hour day. It would take the Pequod roughly 100 days to achieve the distance from the southern tip of South America to Nantucket. This would place Ahab back home late August or early September 1837. This is certainly enough time for the Ahab’s to conceive a child April 1838.

Another leg of that voyage involves the distance from the place where Ahab’s leg was taken by the whale to the Patagonian Cape. Remember the passage past the southern tip of South America occurred June 21st. The first paragraph of Chapter 130 The Hat informs the reader the Pequod was “… hard by the very latitude and longitude where his tormenting wound had been inflicted…” The Pequod crossed the equator heading southward in the previous chapter. The distance from this area, in round numbers was the equator at 150 degrees west longitude to the Patagonian Cape. That distance is 5,900 miles. The Pequod could achieve this distance in 74 days. It places the amputation of Ahab’s leg no earlier in the year of April 1837.

The time from the point of amputation to Nantucket is based on a speed a ship such as the Pequod can attain while cruising from one hunting ground to the next. With the wounded captain aboard, the ship was no doubt rigged with sails to achieve the greatest speed. This would have the effect of shortening the time of the Pacific and Atlantic legs of the remainder of the voyage but allow for a mid winter passage through the Patagonian Cape.

It is interesting to note that May 4, 1837 a partial eclipse of the sun occurred in the north Atlantic. Melville associates whale encounters with new moon, and solar eclipses with Ahab’s leg. A solar eclipse is after all, a special case of new moon. May 1837 was the start of deep recession very much like what we are going through today. It was the month Maria Gansevoort Melville, Herman’s mother, lost her fortune and inheritance in the great recession of 1837. She had to live modestly and on handouts from that month on.

It might be worth noting of an incident before the Pequod’s sail of Ahab being found one night “… lying prone upon the ground, and insensible; by some unknown, and seemingly inexplicable, unimaginable casualty, his ivory limb having so violently displaced, that it had stake-wise smitten, and all but pierced his groin; nor was it without extreme difficulty that the agonizing wound was entirely cured.” The incident is reported in Chapter 106 Ahab’s Leg. Interesting to note this chapter occurs during a solar eclipse of September 08 1839 though the eclipse was not visible from the Pequod’s location in the South China Sea. September 18 1838 however, marks an annular eclipse of the sun visible at sunset from Nantucket. As we can relate Ahab’s leg to solar eclipses; September 18 1838 is the date of the incident addressed in the body Chapter 106.
I contend it less likely Ahab would have mounted a voyage to satisfy revenge on the whale if that sunset accident did not occur. After all while on dry land he was home, fathered a child and surrounded with “…comfort, hearthstone, supper, warm blankets, friends, all that is kind to our mortalities.” All dissolves with the solar eclipse visible from Nantucket and the accident that nearly unmanned him. Those forces that animate the whale are not confined to the watery world. Ahab, now a storm tossed ship must forgo land for the sea.

November of 1838 Mr. Melville earned certificates in surveying and engineering. He needed these for employment on the Erie Canal. The employment never materialized, but June 4th 1839 he was aboard ship to his first sea voyage to Europe.

 

The Symphony, part 5

Suzanna, Alcyone, November 2, 2008I believe the chapter The Symphony was properly titled. When Mr. Melville was writing Moby-Dick, The rather narrow definition of this musical form was not as structured as it is today. It was still in its formative years and thanks to the classical musical giants it gained it’s modern form about the time of Shostakovitch. I believe it was Claude Levi-Strauss who wrote what many of us have felt through the ages: music was closer to the mythic experience than either the written or visual expression. If we take the concept of the symphony in it’s simplest idea, a full orchestral composition that is the some of its parts, we can understand from this five part exercise how Melville provided the reader with clues in The Symphony to determine Ahab was an amalgam of his father and mother. Ahab was the sum of many parts. Herman Melville fits in this amalgam but that is for another submission.

Some time ago there were discussions on a paragraph found in Chapter 41 Moby Dick. From memory, the discussion centered on Melville’s reference to the Hotel de Cluny. I believe the thrust of that paragraph is history. The underground abandoned nature of the hotel suggests a hidden past. The paragraph opens with: “This is much; yet Ahab’s larger, darker, deeper part remains unhinted.” The underground hotel is a reference to this darker, deeper part of Ahab. We have yet to read Chapter 54 The Town Ho’s Story. A chapter that reveals in a kind of nautical way how Steelkilt, the personification of the Ahab we have come to know and love in the main body of Moby-Dick, took over control of the ship from the captain who is Ahab before he received his scar, and Radney, the Ahab after the scar but before the loss of his leg. The surfacing of these personas becomes more evident if we change the name of the “Town-Ho” to a ship named “Ahab.”

One of my favorite chapters is 60 The Line. After a discussion on the terrors associated with the line, the last paragraph contains a point sadly missed in our busy lives above ground. It says in part: “All men live enveloped in whale-lines. All are born with halters round their necks; but it is only when caught in the swift, sudden turn of death, that mortals realize the silent, subtle ever-present perils of life. And if you be a philosopher, though seated in a whale-boat, you would not at heart feel one whit more of terror, than though seated before your evening fire with a poker and not a harpoon, by your side.”

There is a captain Ahab in all of us.

Discuss.

Movie clip: Orson Welles reading an excerpt from Moby-Dick Chapter 132: The Symphony, adapted text, in: Oja Kodar et al.: Orson Welles: The One-Man Band by Medias Res Filmproduktion München/Berlin in association with Bayerischer Rundfunk, 1995.

Images: Suzanna Wurzeltod: Ave Maria, Ariadne, Arachne, and Alcyone; being the Lady Scratch.

Written by Wolf

6. January 2010 at 12:33 am

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Das ganze verkehrte Wesen (Frisches Basilikum)

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Wolf hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen und macht ein Update zu I’ll Shoot the Sun:

… ein persönlich niemandem bekannter Mann mit einer Vorliebe für mittelmäßige Frauen, der diese Vorliebe gleichwohl nie ausleben hat können, weil er nämlich selbst für das Auftreiben mittelmäßiger Frauen viel zu schüchtern war, dieser Mann soll einmal gesagt haben, er wolle ja schon lange nicht mehr, stehe aber unabhängig davon jeden Morgen doch wieder auf, um einen weiteren Tag dranzuhängen an etwas, das er sich scheue, sein Leben zu nennen, und dann soll dieser Mann aus der Straßenbahn ausgestiegen sein, und zwar einfach so…

Benjamin Schiffner/Martin Sonneborn: Schaulimauli, in: Partner TITANIC August 2009, Seite 57.

… und next thing you know sehen wir ihn mittenmang der Mannschaft stehen, die sich auf dem Achterdeck um Captain Ahab versammelt, diesen Ismael, der sonsteinen Namen tragen kann, der niemanden interessiert, diesen Nobody und Jedermann, dieses Gefäß für Magermilch, hundertjährigen Portwein, Whisky oder flüssigen Teer gleichermaßen, diesen Mann, der voraussetzt, nicht zu leben, stillschweigend, aber schon gar nicht mal mehr ängstlich.

Helden sind zum Sterben da” — was auch heißt, sie müssen zuvor leben. Ist das schon Konsens, dass Ahab als Held betrachtet wird? Ab den anstehenden zwei Verfilmungen wird es einer.

Was wird da William Hurt die Dublone an den Mast nageln, sein gregorypeckstes Gesicht schneidend, wie wird er zischen, dass er selbst die Sonne schlagen würde, wenn sie ihn beleidigt, mit welchem Schuss-Gegenschuss wird Moby Dick (richtig: der Wal selbst ohne Bindestrich) seine erste namentliche Erwähnung finden, samt Personenbeschreibung:

einen weißköpfigen Wal mit runzliger Stirn und schiefem Maule […] der drei Löcher in seiner Steuerbordfluke trägt […] Aye, Queequeg, die Harpunen stecken allesamt verdreht und verbogen in ihm; aye, Daggoo, sein Spaut ist mächtig groß, wie eine Weizengarbe, und weiß wie ein Haufen unserer Nantucketwolle nach der großen Schafschur; aye, Tashtego, und sein Schwanz wedelt und flattert wie ein zerfetzter Klüver in einer Sturmbö.

Alle Zitate: Jendis-Übersetzung; hier: Seite 270 f.

So sieht er aus, der Titelheld, den die Harpuniere aus ihrer Berufserfahrung schon kennen, und dessen Namen wir persönlich niemandem bekannten Leser auf Seite 271 endlich so nebenbei erfahren — außerhalb des Umschlags; Tashtego spricht ihn aus. Nur gerecht: Was strummeln wir auf dem Sofa und lesen, statt einem Traum zu folgen. Oder einem monomanischen Rachegedanken wie der überaus lebendige Ahab.

Wobei wir denselben in keiner der Verfilmungen beobachten werden: wie er ab kurz nach dem Frühstück bis der Tag seinem Ende zugeht sinnend auf dem Deck einherklackert (Holzbein!). “Stunde um Stunde verstrich” — untauglich für jede Verfilmung in graphic novel style (außer, es wäre denn Nicolas-Mahler-Style) — trotzdem: Der Mann nimmt nur Anlauf,

wobei er so seltsam dumpfe und undeutliche Laute von sich gab, daß es sich wie das mechanische Summen anhörte, mit dem die Räder seiner Lebenskraft in ihm rotierten.

Die Steuerleute tuscheln schon. Das gibt etwas Vitales. Vielleicht schließt das Kapitel deswegen so explizit ans dreißigste an: “Nicht lange nach der Episode mit der Pfeife”, wo Ahab so kurzentschlossen die Pfeife über Bord gefeuert hat. Rauch aufgeben, länger leben.

Und wie er vor uns namenlosen Ismaels, zu deren größten Ereignissen es zählt, einfach so aus einer Straßenbahn auszusteigen, auflebt und uns teilhaben lässt. Langsam rückt er raus: “Das ist es, wofür ihr angeheuert habt!” (Seite 272) Hat er nicht ein großes Herz? Und einen großen Eimer Grog für alle hat er ja auch und eine Unze spanischen Goldes im Wert von sechzehn Dollar für einen von uns — bei der wir uns allerdings immer verwundern müssen, wie viel von dem Verkehrswert übrig bleibt, wenn Ahab in seiner Entflammung ihr ein Loch ins Herz, nein: durch die Mitte treibt. Wir Straßenbahnmatrosen trauen uns ja kaum einen angeschmuddelten Zwanziger wechseln zu lassen.

Warum er das macht? Weil er uns mitreißen will, der Großherzige? Quatsch: weil er uns braucht. Den Wal, der ihn entmastet hat, kriegt er niemals allein erlegt. Der Held ist kein Held für sich allein, er muss als einer angesehen werden. Da kann seine Rache so persönlich sein wie sie will, der Held muss sich über die anderen erheben und sie auf seine Seite bringen. Networking nennt das der namenlose Ismael in der Tram 27 Richtung Petuelring, und: “Man sollte sich mal mit anderen zusammentun”, so wie sich überhaupt oft Sätze mit “Man sollte mal” in ihm zusammendenken. Da kommt der lebenslodernde Ahab bei Starbuck, der Nummer 2 an Bord, aber an den Richtigen.

Der ist ebenfalls unter die Lebenden zu rechnen, mit Heldenpotenzial. Der ist weniger Feuer und Flamme, der ist seemannsgemäß das Wasser und bleibt in seinem Job, mit dem Blick auf den Nantucketer Wal Mart, nein falsch: Walmarkt:

Aber ich bin hierher gekommen, um Wale zu jagen, nicht um meinen Kapitän zu rächen. Wieviel Fässer wird dir deine Rache bringen, wenn sie dir denn gelingt, Kapitän Ahab? Sie wird dir wenig einbringen auf Nantuckets Markt.

Da kann Ahab nur drauf spucken:

Nantuckets Markt — pah! […] Mann, wenn Geld das Maß aller Dinge sein soll und eie Buchhalter ihr großes Kontor, den Erdball, ausgerechnet haben, indem sie ihn mit Guineen gürten, eine für jeden Drittelzoll — dann, so laß es dir gesagt sein, wird meine Rache reichlich Zinsen tragen — und zwar hier!

und schlägt sich an die dröhnende, hohl tönende Brust. Der Ton fällt Stubb auf, der sich allerdings geradezu darüber definiert, dass er immer noch Pfeife raucht. Und damit vertritt Ahab wohl die deutschromantische Ansicht, dass, wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen (Novalis) das ganze verkehrte Wesen fortfliege.

Ahab ein Romantiker, ein Idealist? — Daniel Göske, dem wir selbstverständlich jedes Wort glauben, weil wir hierin auf ihn angewiesen sind, wendet ein:

Ahab könnte Starbuck so weismachen wollen, daß seine monomanische Jagd auf den weißen Wal, den er als “Maske”, als Symbol des Bösen ausgibt, einem hohen idealistischen Ziel dient: dem allgemeinmenschlichen Streben nach letzter Erkenntnis. Dieser rhetorische Trick setzte damit materialistisches Gewinnstreben und philosphisch-ethische Wahrheitssuche in eins.

Hier liegt the little lower layer, die etwas tiefere Schicht oder die etwas niedriger angesetzte Lay. Ein Wortspiel, das Ahab hoffentlich selber versteht, das aber Melville wohl nur den entscheidenden Moment zu lange in seinen Bart geschmunzelt hat, um es doch noch zu unterdrücken, und unsereins zermartert sich das Hirn darüber; ab hier wird’s aber sowieso langsam zu kinky.

Zurück auf die Planken: Wie gesagt, könnte Ahab etwas weismachen wollen. Und was bitte bleibt von der Handlung übrig, wenn Moby Dick auf einmal nicht mehr böse, sondern nur von Ahab so eingefärbt ist? Ein Konflikt zwischen Ahab und Starbuck? Sind wir hier in der Weltliteratur oder einer Vorabend-Soap? Und worin soll der Unterschied zwischen matierellem Wert und letzter Erkenntnis liegen? In einem auf Kerzenlicht und frischem Basilikum über den Aldi-Spaghetti heruntergekochten Romantikbegriff? Denn wer ist hier der tragische Held und wer die international erfolgreiche Franchise-Kette? Und was davon sollte man genau verurteilen? Welchen der Idealisten, die nur zusammenrumpeln, weil sie beide Moral im Leibe haben? Komm, Göske, kauf dir eine Monatskarte und geh Straßenbahn fahren.

Das soll nicht einmal respektlos gegenüber Herrn Göske sein. Der Druck auf den Ohren rührt bei den wiederholt bemühten namenlosen Ismaels womöglich vom Außen-, nicht vom Innenmilieu des Kopfes. Selbst Schopenhauer, notorisch unverdächtig des unkontrollierten Optimismus, empfiehlt gegen Leiden an Herz und Kopf: Kunst. In diesem 36. Kapitel steckt ja nahezu alles drin, dabei haben wir bislang noch nicht mal den Drewermann mit reingezogen.

Ein anderer, der einem bei den Ermittlungen zu Melville immer wieder begegnet, ist Orson Welles. Der hat das Format, sich zum Wal zu äußern und ihn zu Ölen zu sieden, die uns die Herzen und Köpfe erquicken: Orson Welles — The One Man Band von 1995: ungekürzte 87 Minuten, Deutschland/Frankreich/Schweiz, deutsch-englisches Original mit Christian Brückner, including a clip from his one-man show of Moby-Dick with Welles playing all parts sans makeup or costume.

Wir anderen stehen um Orson Welles herum, gaffen mauloffen auf ihn wie die Mannschaft auf Ahab und warten, dass der Harpunenschaft voll Grog einmal nicht an uns vorüberzieht — gezeichnet von Selbstzweifeln, Lebensverweigerung, der Angst, dass man so lange auf wir wissen nicht was gewartet haben, bis es schon wieder vorbei ist, und der Hoffnung, dass da nicht noch was nachkommt, weil es uns eigentlich reicht.

Solcherlei Innenleben sind eine fremde Welt für Ahab. Der hört uns dabei zu und

die Winde wehten wieder, die Segel blähten sich, das Schiff stampfte und schlingerte wie zuvor.

Das allzeit indifferente Universum weiß es schon besser, und es wird Recht behalten. Über Helden und Verlierer kann es nicht mal milde lächeln: Es ist, wie es ist. Ganz wie in den letzten Worten 99 Kapitel später:

und das große Leichentuch des Meeres wogte weiter wie vor fünf Jahrtausenden.

weil es früher oder später aufs gleiche hinausläuft, welcher Art die Moral ist, die der eine oder der andere in seinem sterblichen Leib spazieren trägt: Am Schluss sind sie beide tot.

Immer diese leidigen Unterbrechungen des künstlerischen Schaffens durch das, was man sich scheuen muss, sein Leben zu nennen.

Written by Wolf

7. October 2009 at 12:06 am

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Call me Ödipus (Vorübergehender Wahnsinn in ungewöhnlich jammervoller Stunde)

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Wolf hat Kapitel 35: Im Masttopp gelesen
und macht ein Update zu Mutter, lass mich dein Söhnchen sein:

     Roll on, thou deep and dark blue Ocean — roll!
     Ten thousand fleets sweep over thee in vain;
     Man marks the earth with ruin — his control
     Stops with the shore; upon the watery plain
     The wrecks are all thy deed, nor doth remain
     A shadow of man’s ravage, save his own,
     When, for a moment, like a drop of rain,
     He sinks into thy depths with bubbling groan,
Without a grave, unknell’d, uncoffin’d, and unknown.

     Roll’ an tiefblauer Ocean, roll’ an!
     Es fegen spurlos dich zehntausend Flotten,
     Der Mensch zerstört das Land, soweit er kann,
     Doch auf der Flut ist dein Werk: auszurotten!
     Und vor dem Greul der Menschen, dieser Motten,
     Bleibt keine Spur, — ihr Schatten höchstens blos
     Wenn stöhnend er zu deinen tiefen Grotten,
     Ein Regentropfen, sinkt in deinen Schoos,
Vergessen — ohne Klang — sarglos und grabeslos.

Lord Byron: Childe Harold’s Pilgrimage, 1818, Canto the Fourth, CLXXIX. stanza,
übs. Adolf Böttger, Leipzig 1854.

In die Kneipe nehm ich ja immer Schreibzeug mit. Irgendwer fragt immer, was man da zu schreiben hat. Je nach Konstitution des Fragenden macht man dann eine gedeihliche Bekanntschaft, ist fürchterlich mit künstlerischem Schaffen beschäftigt oder hat am Ende wenigstens einen schönen Brief geschrieben. In Münchens einziger Hafenkneipe Zur Gruam ist das besonders wichtig, damit die kontaktfreudigen paar Jahrhunderte Knast, die sich dort jeden Abend versammeln, einem das Messer nur in den Thekenplatz und nicht in den Ranzen rennen.

Whaleman at the Masthead. J. Ross Browne, Etchings of a Whaling Cruise. New York, Harper Brothers 1846Einer blitzte weniger wild mit den Augen als die anderen. Geradezu umgänglich wirkte er. Als ich von meinem Schreibwerk aufschaute, fragte er:

“Was schreibst’n da?”

Na bitte, es funktioniert immer.

“Sag ich dir, wenn du mir sagst, was du hier treibst.”

“Das gleiche wie du. Umschauen, ausgucken, zurück in den Mutterleib streben und gleichzeitig in ein frühes Grab.”

“Immer diese Freudianer.”

“Selber einer, wenn du das so schnell merkst.”

“Du bist auch hier drin wegen Hafenkneipe?”

“Sicher. Als mannhafte Station zwischen Mutterschoß und seliger ewiger Ruhe.”

“So hab ich’s noch gar nicht gesehen. Schiffen traut man’s zu, aber Kneipen…”

“Man kann nicht immer nur segeln.”

“So tot bist du schon?”

“Nicht toter als du. Ich bin nur öfter am Wasser.”

“Und wie ich deine John-Lennon-Brille einschätze, meistens darüber. Im Ausguck.”

“Süßwasserwalfänger.”

“Und? Bläst er oft?”

“Nicht, wenn ich oben bin.”

“So siehst du aus. Was treibt dich denn dahin? Andere verstecken sich in einem ruhigen Job beim Zollamt oder so.”

“Hat doch unser gemeinsamer Freund Melville später auch getan. Jetzt ist noch die Zeit, das Leichentuch in einer gewissen Größe auszusuchen.”

“71 Prozent der Erdoberfläche, nicht schlecht.”

“Bescheidenheit kommt erst mit dem Alter.”

“Wenn du wie der Schmied mit Mitte siebzig Frau, drei Kinder, Haus und Hof versoffen hast?”

“Ja, das sollte genügen. ‘Ein Vagabund im Trauerkleide, ohne Mitleid für [m]ein Elend, [m]ein graues Haupt ein Spott für blonde Locken.””

“Mir kommen die Tränen.”

“Das sollten sie. Du bist nämlich auch so einer.”

“Zwei Jahre und zwei Bücher zuvor, im Redburn, hat sich das noch viel lebensfreudiger angehört, findest du nicht?”

“Doch, unbedingt. ‘Träume und Sehnsüchte, sein Glück zur See zu versuchen’, das hält nicht weit über die Pubertät hinaus. Außerdem war das 1849 eine Auftragsarbeit.”

“Und 1851 weiter mit ‘hegen fast alle Menschen, ob sie’s wissen oder nicht, in etwa dieselben Gefühle für das Weltmeer’?”

“Klar. ‘Auf ewig vereint sind Wasser und Tiefsinn.'”

“Und nach den zwei Erfolgsbüchern hat er nicht da weiter gemacht, sondern dort, wo er vor drei Büchern mit dem Mardi eingebrochen ist.”

“So geht Thanatos!”

“Warum hängen sich dann nicht alle deine Kollegen bei der ersten Nachtwache an der Besanstenge auf?”

“Würdest du dir das wünschen? So ein andauernder Selbstmord, ohne sterben zu müssen, das ist doch was Praktisches. Und die Weiber stehn drauf, wenn man ihnen die Fackel trägt.”

“In Form von Walrat?”

“Du bist gut, Mate.”

“Ist aber nicht viel mit Weibern auf hoher See, oder trefft ihr viele Sirenen?”

“Nur innerlich. Das muss schon so sein. Die innere Mutter ist noch lange nicht befriedigt.”

“Igitigitt, seid ihr widerlich.”

“Gar nicht. Ist doch alles freudsch.”

“Gesundheit.”

“Langsam kommst du drauf. Das ist weder ein Ansinnen, Muttern flachzulegen noch Vatern zu erschlagen, die ganze Einrichung von Wohnstätten, Herstellung von Nahrungsmitteln…”

“Prost übrigens.”

“Prost. Und dass du dir was überwirfst, bevor du in die Kneipe rennst, das ist schon genug Nachbildung von Ureinheit mit deiner Mutter.”

“Call me Ödipus.”

“Du mich auch.”

“Kennst du noch mehr Bücher?”

“Eins vor Moby war schon dran, eins danach, Israel Potter, kenn ich noch.”

“Was steht drin, sag?”

“‘Die Einsiedelei im Wald ist die Zuflucht des engherzigen Menschenhassers; die Hängematte auf dem Ozean ist das Asyl für die Betrübten großmütigen Geistes. Der Ozean läuft über von natürlichen Tragödien und Unglück, und der Kummer eines Menschen ist nur ein einziger Tropfen in dieser Wasserunendlichkeit des Schreckens’, das steht drin.”

“Was du alles weißt.”

“Man kommt rum.”

“Bist du denn so betrübten Geistes?”

“Nicht mehr als die natürliche Grundbetrübnis von unsereinem. Oder findest du mein Gebaren besonders bedrückt?”

“Wenn du so fragst… könnte das aber auch am geistigen Gebräu liegen.”

“Na klar, weil Denken und Fühlen aus lauter chemischen Reaktionen besteht.”

“Was sagt Freud dazu?”

“Will ich gar nicht wissen.”

“Über die Art von Witzelsucht, die wir gerade an die Nacht legen, sagt er schon was.”

“Und zwar?”

“Na, die ganze Arie mit Schutzdistanz, den Schmerz fernhalten und Coolsein.”

“So eine Illusion von geistiger Überlegenheit und Leckmichamarsch?”

“Mit Betonung auf Illusion.”

“Held sein, ohne zu leisten.”

“Passt doch. Wie leben, ohne sterben zu müssen.”

“Und irgendwann sterben, ohne zu leben zu müssen.”

“Siehst du, was ich meine?”

“Klar. Lachen, um nicht weinen zu müssen.”

“Steht da nichts dazu bei deinen großmütig begeisterten Betrübten?”

“Im Pierre? Doch: ‘Wenn sich in ungewöhnlich jammervoller Stunde die Gelegenheit dazu bietet, finden manche Menschen ihre hysterische Erleichterung in einem wilden verdrehten Humor, der um so verlockender ist, da er dem Anlaß vollkommen entgegensteht… Die kühle Krittelei der bloßen Philosophen würde solches Betragen wohl mehr oder minder als vorübergehenden Wahnsinn bezeichnen, und vielleicht ist es das ja auch, da in den unerbittlichen und unmenschlichen Augen der schieren, unverdünnten Vernunft jeglicher Gram, sei’s um uns selber, sei’s um andere, nur blanke Unvernunft und Irrsinn ist.'”

“Jetzt hör aber auf. Das kannst du dir so merken?”

“Ins Internet komm ich selten.”

“Naja, so in euren Walfanggründen habt ihr’s wohl mehr mit Bordfunk.”

“Nichts, was ich vermisse.”

“Dann kennst du auch die Shanty-Sammlung von Hulton Clint gar nicht.”

“Sollte ich?”

“An der Stelle rentiert sich Internet wirklich. Der ist den Moby-Dick-Film mal durchgegangen…”

“Den kenn ich! Den von 1956 mit Gregory Peck, nä?”

“Ja, der andere zählt nicht. Und in dem hat er die Shanties rausgezogen und zeigt, dass John Huston nicht ausschließlich gestelltes Studiomaterial hergenommen hat. Zwei Videos voll.”

“Nicht? Sondern?”

“Live-Mitschnitte. Es hält jedenfalls dem Wissen deines Gewerbes stand.”

“Nicht zu fassen.

“1956!”

“Mhm. Und woher kommt das in diese ganze Schlaf-, Todes- und Witzelsucht rein?”

“Na, ich dachte, das ist der Moment, an dem so ein Ausguck auch mal aufwacht.”

“Nicht, wenn er’s vemeiden kann.”

“Ach ja, ich vergaß. Du bist so einer von den Pantheisten aus Kapitel 35.”

“Jaja, der Schluss. Aber geh mir doch mit Gott.”

“Ad vocem gehen: Gehn wir noch ins Gap?”

“Die andere hiesige Hafenkneipe?”

“Was dieses verträumte Städtchen an Stelle von Hafenkneipen so hat.”

“Ist eigentlich ganz gut sortiert, dafür, dass es nicht mal einen Hafen hat.”

“Muss man hier eigentlich zahlen?”

“Du wolltest mir sagen, was du da schreibst.”

“Och, ich schreib mit.”

“Mami, Mami, ich bin im Internet.”

“Das kostet dich die Zeche.”

Lieder: Moby-Dick: Video 1, Video 2, 1956;
Freddy Quinn: Junge, komm bald wieder, 1963.
Fachliteratur: Eugen Drewermann: Moby Dick oder: Vom Ungeheuren, ein Mensch zu sein. Eine tiefenpsychologische Deutung, 2004 (und entgegen der Amazon-beschreibung nicht auf 340, sondern 560 Seiten).
Bild: Whaleman at the Masthead: courtesy of J. Ross Browne: Etchings of a Whaling Cruise, New York: Harper Brothers, 1846.

Written by Wolf

23. February 2009 at 12:01 am

I’ll Shoot the Sun

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Wolf blickt anhand Kapitel 34: An der Kajütstafel auf 2008 zurück:

I appeal to any white man to say, if ever he entered Logan’s cabin hungry, and he gave him not meat; if ever he came cold and naked, and he clothed him not.

Chief Logan’s Lament 1774, rendered 1782.

Walfischprinzip bedeutet, dass einer durch ein meist sinnbildliches Meer pflügt und das Vorhandene wahllos wie Plankton aufsaugt.

Er sei ein pathologischer Leser, der nach dem Walfischprinzip Unmengen von Seiten in sich hineinsaugt, damit zwei, drei Gedanken hängenbleiben. Er lese überall, auf dem Klo, in der Wanne, im Bett, brauche circa drei Stunden für ein Buch.

Never Sea Land, Boat Babesbeschreibt sich Hans Magnus Enzensberger. Genau so. Und gar nicht so verschieden von dem, was Moby-Dick™ im dritten Jahr — and still counting — treibt. Und noch viel näher an dem, was Herman Melville in der Primärliteratur, dem echten Moby-Dick getan hat: wild brainstormen, aus dem schöpfen, was er zuvor erlebt und gelesen hat, kurz durchkauen und auf Tauglichkeit prüfen, das Beste wieder von sich speien. Man hat schon appetitlichere Bilder fürs Kunstschaffen gefunden, aber der zweite Teil von Reader’s Digest bedeutet verdauen.

2008 war ein Jahr, in dem Menschen meinen Gesichtsradius betraten, denen ich was glaube. You know who you are, folks. Jemand hat mir ein Lied geschenkt. Jemand hat für mich gebastelt, andere haben mir Bilder und Bücher ans Herz gelegt — was soll man mir auch groß schenken, gell — und ein Buddelschiff war dabei, das ich wenigstens endlich mal zusammensetzen könnte. Einer hat sich darum gerissen, uns einen Gastbeitrag zu schreiben. Was die Menschen mir mitteilen wollten, hatte immer mit Literatur, Musik, Seefahrt, deutsch-amerikanischen Interferenzen und liebreizenden Frauen zu tun, sie haben sich Gedanken zu mir gemacht und ich fühlte mich verstanden. Andere konnten mir schlüssig begründen, warum die Rathjen-Übersetzung vielleicht doch besser ist als ihre Bearbeitung, die zur Jendis-Übersetzung wurde: Der schroffe Felsen Rathjen kommt dem Original wohl doch näher denn Jendis’ geschliffene Kiesel. Da waren freundliche Gesichter, ich hab hellen Köpfen zugehört, angenehmen Umgang gepflogen, bin lauter wertvollen Menschen begegnet, und mich wandelt das aberwitzige Bedürfnis an, mich bei jemandem oder etwas dafür zu bedanken, dass ich dergleichen noch erleben darf.

Ahab treffen wir wieder, wie er “soeben die Sonne geschossen” hat — bitte was, Herr Jendis? Soll ein langweiliges taking an observation of the sun ein Vorgriff auf seine Drohung an die Sonne sein: I’d strike the sun if it insulted me? Rat steht bei Rathjen: “soeben die Sonnenhöhe vermessen” — ach so. Der neue Mensch in unserem Gesichtsradius ist der Steward Dough-Boy, der Ahab zum Essen an den Cabin-Table ruft.

Was Melville in weiteren Verlauf aus seinem Seemannswissen serviert, ist ein denkbar tristes Bild von einer Mahlzeit unter Schiffsoffizieren, für die einer den anderen rituell einlädt, obwohl der Steward Teig- oder Blaßkopp, das “Zittern und Zagen” auf zwei Beinen, bestimmt pünktlich anrichtet. Das hätte man den verwegenen Seefahrern Starbuck, Stubb und Flask gar nicht zugetraut, dass sie ausgerechnet für die Zeit der Energiezufuhr zu solchen Mimosen mutieren und so eine “saft- und kraftlose Familienfeier” abziehen. Melville begründet es uns: Das ist so mit den oberen Chargen, “nicht die geringste der Merkwürdigkeiten”. Das will ich mal so glauben, unkorrigierter Neigung nach bin ich ja mehr so der Nichtesser.

In grellem Gegensatz dazu stehen die zweithöchsten Chargen: Die Harpuniere nutzen traditionell als zweite die Kapitänskajüte zum Futtern — und verleihen der Tätigkeit schon allein durch ihre Herangehensweise ungleich mehr Sinn.

Nur, weil es Wilde sind? Wir erinnern uns, dass die drei Vizes der Pequod Melvilles Repertoire der exotischen Völker entstammen: Queequeg einer aus “Kokovoko” in der Südsee, Tashtego ein Indianer, Daggoo der beeindruckendste aller Neger. — Nein, bestimmt auch, weil das die Ersten sind, die körperlich arbeiten: mit den Händen, mit ihren gestählten, wettergegerbten Körpern, und mit dem Kopf noch dazu. Das zehrt.

Und einmal mehr handelt Melville nach dem Prinzip des Walfischs und nimmt die Gelegenheit wahr, für seine Politik zu werben: Der ausgelassene Haufe der ehrbaren edlen Wilden besteht einfach aus den besseren, unverfälschteren, kurz: menschlicheren Leuten, die jede liebe Mahlzeit wieder eine almost frantic democracy feiern, wohingegen der Unterste der Oberen, der dritte Steuermann Flask, schon ein butterless man in einer undankbaren Sandwich-Position war. Daggoo, der Queequeg wohl bald den Rang in Naturwüchsigkeit ablaufen wird, ernährt sich geradezu metaphysisch:

But, doubtless, this noble savage fed strong and drank deep of the abounding element of air; and through his dilated nostrils snuffed in the sublime life of the worlds.

Ihr energisches Treiben ist deshalb die blanke Vitalität; sie steinigen uns mit Essensresten aus jeder weichbirnigen Interpretation.

Chief James Logan, Ohio Historical SocietyDa kreuzt noch ein Neuer unsere Sicht: Chief Logan, entgegen Göskes Daten in allen anderen Quellen nicht 1800, sondern schon 1780 mutmaßlich von seinem Neffen ermordet, außerdem Häuptling nicht der Shawnees, sondern der Mingos (die ihre entfernten Verwandten sind). Dieser leidgeprüfte Märtyrer der Menschlichkeit ernährt sich so trostlos wie nicht einmal die Offiziere der Pequod, die immerhin vom Besten bekommen, wenngleich in etwas trüber Atmosphäre. Logan, hinterbringt uns Melville, saß den Winter über in einer Baumhöhle gefangen und lutschte am Daumen.

Gegen die Not, an sich selbst zu knabbern, um nicht einzugehen, ist Masturbation, mit Verlaub, eine Orgie. Das Kapitel endet mit der übelstmöglichen Vorstellung von Ernährung. Die hat sich Chief Logan nicht ausgesucht, nachdem er zusehen musste, wie seiner hochschwangeren Tochter das Kind aus dem Leib gerissen und skalpiert wurde; man bedarf nach Erlebnissen wie dem Yellow Creek Massacre der Kräftigung, nicht noch mehr Folter. Melville lässt seine Stimme diese historischen Fakten darstellen und dann verhallen, und das klingt mahnend: Indianer, Neger, Südseekannibalen, die 1851 wie heute als unzivilisiert Gehandelten, gewinnen die Runde. Sie sind die Gefolterten, aber die Lebendigen. Wenn sie schon die Fresse kriegen müssen, dann bitte auch was Nahrhaftes, erst bei Logans ultimativer Tristesse ist Schluss.

Essen, Leben, Zusammenleben, Demokratie. Man trifft sich; die Versuche, Abseitiges zu vergesellschaften, funktionieren, der Bauch des Wals verträgt viel Plankton. Was Melville — und wir nach ihm — unternehmen, ist nicht mehr wie üblich, die Handlung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, sondern eine Perspektive aus verschiedenen Handlungen. Fühlen wir uns, als letzten Klimmzug 2008, dadurch an einen anderen Künstler erinnert, der uns ein politisch Lied singen wollte: Sergej Eisenstein mit seinem Plan, Das Kapital zu verfilmen. Das hätte ein Monument werden können. Was Moby-Dick mit der Umverteilung des Kapitals und Aufhebung der Klassen-, am Ende gar der Rassengesellschaft verbindet, hätte an dieser Stelle schon längst kommen sollen: anhand Jean-Pierre Lefebvre: Die Arbeit des Wals. Red Moby &/or: Das Kapital. Kommt noch, Genossen, kommt noch.

Das waren ein paar Konjunktive zu viel.

Gay Collier, Playboy Centerfold July 1965Ich selbst muss mich nämlich schuldig bekennen, einen tollen Weblog (bei mir heißt das automatisch der Weblog) in die Gosse geritten zu haben. Nicht zur Entlastung, jedoch zur Erklärung vorbringen kann ich nur meine ursprüngliche Idee, in dieses Jungsthema eine weibliche Note zu bringen, worüber ich die Perspektiven verwechselt haben muss: Es ist bestenfalls Beihilfe zur Autoerotik geworden, ja schlimmer noch: keine besonders wirksame. Ich hab versucht, euch meinen Begriff von der einzig wahren Musik, hübschen Mädchen, struppig eloquentem Deutsch und nachlässig verhohlen geklautem Englisch reinzudrücken; das war selbstherrlich und faul von mir. Man schaut eben doch immer nur aus sich heraus, niemals in andere hinein.

Zu dieser Erkenntnis bin ich bei einer Qualitätsschau gelangt, und die gängigsten Suchbegriffe (“Gisele Bündchen”, “Bettie Page Mermaid”, “sexy Zehen”, “hässliche Tiere”, “Lolita”, “Pinguine”) deuten nicht auf hohe Wissenschaftlichkeit; an den Zugriffszahlen hätte ich es nicht bemerken können. Das sagt mir wiederum, dass die Leute zu mir, zu uns stehen. Es ist gut, euch zu haben — euch auf der P.E.Q.U.O.D., euch in der Linkrolle, euch, die ich darin aus schnöder Schnöselei vergessen hab, euch, die ich klandestin im Blick behalte, und euch Underground-Leser, die uns in der Stille der Tiefe umschwimmen. Mal seid ihr ganz nah, mal habt ihr anderweitig zu tun, aber man weiß voneinander und geht sich jetzt schon eine für einen Weblog ganz ansehnliche Spanne nicht verloren. Nur ganz gelegentlich gebt ihr Laut. Es waren ausnahmslos freundliche Meldungen, meistens haben sie uns handfest bereichert. Schön, solche Leser und Fellow Freaks zu haben — wenn Stolz nur nicht so ein albernes Gefühl wäre…

2008 hat mir auch jemand einen Sextanten geschenkt. I’ll shoot the moon for you — das Mindeste, was ich tun kann. Danke fürs Da-Sein, danke für euch — I mean it.

Ist, die Herren Eisenstein, Enzensberger, Göske, Jendis, Lefebvre, Logan, Melville, Rathjen (alphabetisch) und ihr anderen alle, ist Kommunismus Demokratie? Ist er nicht, aber trotzdem etwas vom Volk Geregeltes — wer immer das sein soll. Ist Christentum Kommunismus? Ist es nicht, genuin demokratisch aber auch nicht. Beabsichtigen alle drei wenigstens ihren Theorien nach, dass es allen gut geht und den Menschen ein Wohlgefallen — jedem nach seinen Fähigkeiten und seinen Bedürfnissen? Scheißsuggestivfrage: Ja, das wollen sie.

Na also.

So, und jetzt raus mit uns, Essen fassen, das Bier wird kalt. Alles Gute.

Bilder: Never Sea Land: Boat Babes, 5. Oktober 2007;
Chief Logan, also known as James Logan: The Ohio Historical Society, 1982;
Gay Collier: Playboy Centerfold Miss July 1965 via
If Charlie Parker Was a Gunslinger, There’d Be a Whole Lot of Dead Copycats, 7. April 2007.
Soundtrack: Spillsbury: Die Wahrheit
(“Schon gut — ja, ich weiß jetzt, was du meinst.
Na klar — war doch alles trotzdem gut.
Hau rein — und ich kenn ja dein Gesicht und find dich immer wieder.”),
aus: Raus, 2003.

Written by Wolf

26. December 2008 at 12:01 am

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Ahab via Goethe

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Wolf hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

»Je höher ein Mensch,« sagte Goethe, »desto mehr steht er unter dem Einfluß der Dämonen, und er muß nur immer aufpassen, daß sein leitender Wille nicht auf Abwege gerathe.«

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe, 24. März 1829

This seems as good a place as any to set down noch einen Taktschlag Verzögerung, damit nur ja keine Spannung aufkommt. Einer erschöpfenden Darstellung der Wale folgt jetzt eine ebensolche der operations of the whaling ship and its hierarchy, framing the role of the harpooner or Specksynder in comparison with the rest of the crew (GradeSaver), oder wie? Nun, es hat niemand versprochen, dass es ein Hollywoodfilmchen wird, die immer das Beste dem “Tempo” opfern.

Der Schreibfehler in der Überschrift ist nicht (von mir und auch nicht) von Melville, sondern von William Scoresby, und von dem wahrscheinlich — man korrigiere mich bitte — aus dem work urging the prosecution of the search for the Franklin expedition and giving the results of his own experience in Arctic navigation. Man liest ihn sich immer automatisch zurecht, will also aus seinen intuitiven Niederdeutschkenntnissen heraus partout Specksnyder da stehen haben; meine alte Seiffert-Übersetzung hat das noch stillschweigend dahin korrigiert.

Oft sind es allein die Setzer, die dem Text den verwirrenden Opalglanz geben, den der Schriftsteller aus eigenem ihm nicht zu geben vermocht hatte. Klagen wir nicht über Druckfehler. Man weiß nicht, wodurch man tief wird.

Alfred Polgar

Was ein Specksynder oder -snyder Seemannsromantisches macht, schenk ich euch, auch den Anklang ans verflossene Kapitel 24: The Advocate, in dem abermals betont werden muss, was Walfänger für Pioniere sind. Interessant find ich’s ab der Stelle, wo der Lobgesang auf die Harpuniere auf Ahab zufährt, ihn fixiert, nicht mehr loslässt und Allgemeinmenschliches über ihn herausfindet. Von einer Betrachtung zu einem Sonderfall zu zoomen und von dem aus wieder weg in die Welt, das ist sehr groß. Deduktion und Induktion in einem weiten, souveränen Ausguck.

Ahab der schwermütige Kapitän ist demnach nicht nur ein Mensch von großer natürlicher Autorität, sondern — wie wir Vorausleser und Filmgucker schon wissen — ein Besessener, und dazu einer, der wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt. Läuft wie alle anderen auch in Schifferklamotten herum — was seinen meisten bildlichen Darstellungen widerspricht –, lässt den Mannschaftsgraden die vollständige Bekleidung, wenn sie das Kapitänsrevier Achterdeck betreten wollen, statt sie an ihre Demut zu gemahnen — Gehorsam wird vorausgesetzt; Hauptsache, der Laden läuft. Klingt eigentlich vernünftig bis professionell. Wenn nicht die böse Obsession doch stärker wäre.

Sultanismus, lernen wir, ist nach “Specksynder” schon Melvilles zweite Wortneuschöpfung innerhalb drei Seiten, diesmal eine, die sich verselbständigt hat. Man soll ja nicht immer so ausschließlich an Wikipedia hängen, aber wenn im einschlägigen Artikel darüber die Herkunft von Melville nicht mehr erwähnt wird, kann er gerade deswegen stolz darauf sein. Archäologischer Teil: Der von Daniel Göske erwähnte Eintrag des Wortes im Oxford English Dictionary heißt:

Sultanism (sɒ•ltāniz’m). [f. Sultan sb. + -ism.] Rule like that of a sultan ; absolute government ; despotism, tyranny.
1821 New Monthly Mag. 11.354 Our admiration of chivalry and sultanism. 1851 H. Melville Whale xxxiii. 161 That certain sultanism of his brain, which had otherwise in a good degree remained unmanifested. 1869 Seeley Ess. & Lect. (1870) 88 Asiatic sultanism was set up, and all public functions fell into the hands of military officials. 1884Short Hist. Nap. I (1886) iii. § 4. 113 The rising sultanism [of Napoleon in 1804].

Sultanismus und Obsession — bei Ahab, wird unterstellt, geht der eine in die andere über. Das können wir Leser glauben oder nicht, plausibel finden oder nicht. Wenn wir es so hinnehmen, hilft das immerhin dem Fortgang der Geschichte (und den wünschen wir ja langsam…). Jedenfalls wirkt Ahab damit schon weit weniger professionell als mit seiner Orientierung auf die Sache. Es müsste nämlich die Sache des Walfangs sein. Und Melville macht uns in seinem Ausblick auf die Welt, dem induktiven Wegzoomen, mit Ahabs Veranlagung zum einsamen Diktator vertraut.

Und ab hier wird er dämonisch. Es fällt nicht gleich auf, so ohne richtig tiefes Vorwissen — oder dem interessierten Blick in Göskes Anmerkungen, aber es ist überzeugend, wie sich Ahabs Zwangscharakter und diktatorisches bis dämonisches Gemüt aus der deutschesten aller Quellen begründen: von Goethe her. Hätte ich nie geglaubt, allenfalls für einen Gelehrtenscherz über böse Deutsche beim Hitlerausbrüten gehalten, aber es ist schlüssig hergeleitet: Goethes Bekanntheit unter Transzendentalisten, allen voran Emerson und De Quinceys Suspiria de Profundis. Daher konnte Melville die Eckermann-Gespräche kennen — und Dichtung und Wahrheit:

Obgleich jenes Dämonische sich in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, ja bei den Tieren sich aufs merkwürdigste ausspricht; so steht es vorzüglich mit dem Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung, wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht, so daß man die eine für den Zettel, die andere für den Einschlag könnte gelten lassen. Für die Phänomene, welche hiedurch hervorgebracht werden, gibt es unzählige Namen: denn alle Philosophien und Religionen haben prosaisch und poetisch dieses Rätsel zu lösen und die Sache schließlich abzutun gesucht, welches ihnen noch fernerhin unbenommen bleibe. Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgend einem Menschen überwiegend hervortritt. Während meines Lebensganges habe ich mehrere teils in der Nähe, teils in der Ferne beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen, und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra deum nisi deus ipse.

Goethe: Dichtung und Wahrheit, Vierter Teil, Zwanzigstes Buch

Das ist gruselig schön in einem Kontext, um eine Ecke herum und in einem Ausmaß, in dem man’s nicht erwartet hätte: Ahab spielt sein zwanghaftes Schiffeversenken aus einer tiefdeutschen Seelenlage heraus, die über den Transzendentalismus nach Amerika gelangt ist. Selbst wenn das alles der hellgelbe Galimathias ist, möchte man es mal gedacht haben.

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Elke macht sich jetzt über die Stelle mit Zar Nikolaus her, wie ich vermute? Und Jürgen über Ahabs Ehrenrettung? Und Stephan über die Umweltaspekte? Und Christian vielleicht auch mal wieder was? Wenn jemand Emersons erwähnte “Vorträge zur Dämonologie” um 1840 mit Zitaten aus Dichtung und Wahrheit findet, wär ich überhaupt nicht böse…

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Liebenswerter Galimathias zum ganztägigen Mitsingen (“Únd eine hálbautomátische Wáffe ist ímmer dabéi” — erwischen Sie den Takt?): Element of Crime: Ein Hotdog unten am Hafen aus: Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe, 2008.

Written by Wolf

29. October 2008 at 1:16 pm

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Sapir, Whorf, Bernstein, Jean Paul, Scoresby, Hakluyt, Poe, Linné und Gott (und Uma Thurman)

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Wolf hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Rockwell Kent, Chapter XXXII, Cetology. Many are the men, small and great, old and new, landsmen and seamen, who have at large or in little, written of the whale. Plattsburgh State Art Museum

Ab hier ist Pottwal. Form follows function nicht — sie geht ihr voraus, um sie zu stiften, deswegen haben wir es auch nicht mit Gebrauchsdesign zu tun, sondern mit Kunst. Und was für welcher: Lies das deiner siebenjährigen Tochter als Gutenachtgeschichte vor, und sie schwimmt den Rest der Nacht in Tränen, und zwar nicht aus Angst vor dem Moby, sondern vor dem Melville.

Übertrieben? Von mir aus. Bei meinem Moby-Dick-Erstversuch als nicht Sieben-, aber so um Vierzehnjähriger muss mich diese Cetologie ziemlich mitgenommen haben. Natürlich hab ich heimlich gelesen, nachts, nachdem der elterliche Fernseher verstummt war, und dann sowas. Eine lang und breit angekündigte Systematik der Meeresungetüme — auf wissenschaftliche Art — die Viecher gab’s also wirklich! Mit abseitigen Fremdwörtern belegt, mit abstrusen Attributen ausgestattet (ein Wal mit einem Horn auf der Nase, mit dem er vielleicht ich weiß nicht was angreift und aufspießt, vielleicht auch “nur” den Meeresgrund nach Nahrung umpflügt oder Polareis aufbricht!), in eine Ordnung unterteilt wie der Bestand einer Bibliothek, von der man nur noch nichts geahnt hatte! Ein geradezu abgeschlossenes Werk zur Meeresbiologie mitten in einen Roman geflickt, ohne Handlung, aber spannender als der traurige Rest der gesamten (mir) bis dahin bekannten Weltliteratur, ein Rätselwerk, ein Unding — ja, darf der das?

Man liest nie wieder so verständig und so durstig wie mit vierzehn, dass ich am nächsten Tag in die Schule musste, focht mich wenig an. Meine Lehrer konnten mir in der folgenden Woche wohl nicht viel Neues beibringen. Ich hatte vorerst genug gelernt, nämlich dass man, um sich einprägsam zu äußern, aus vorgegebenen Rahmen ausbüchsen muss. Ohne es schon so formulieren zu können, wusste ich um die Kunst, die Regeln bricht und Erwartungen enttäuscht. Das war nahe an der Revolution.

Die Vorbildreihe geht: So ziemlich alle Schreiber orientieren sich an Poe, der hat das meiste Moderne an der Literatur erfunden, eingeführt, ausgebaut, definiert. Poe, man staune, orientierte sich an E.T.A. Hoffmann, doch, wirklich, es gab englische Übersetzungen, und sie waren in Amerika zugänglich. Hoffmann wiederum hielt viel von Jean Paul, auch so ein ungebärdiger Treibauf von Stilist. Und der hatte sich dauerhaft in Laurence Sterne verguckt, vor allem in eins der ungebärdigsten Bücher überhaupt, den Tristram Shandy. Damit führt die Reihe zurück in die Anglistik, das Faszinierende an ihr ist ja schon, dass sie überhaupt zwei Glieder lang in der Germanistik war. Poe, Hoffmann, Jean Paul, Sterne. Allesamt Hausheilige von mir, allesamt kein obligatorischer Schulstoff, sondern auf dem Zweig der Literaturgeschichte, der ins Vergessen wippt und kippt.

Jean Paul, ziemlich weit oben in der Vorbildreihe für einen, den Reich-Ranicki heute ausdrücklich aus dem deutschen Literaturkanon ausnimmt, hat es nicht zu einem so langlebigen — sagen wir ruhig dieses eine Mal: Kultbuch wie Moby-Dick gebracht. Nicht vergessen wie Melville hat er seine Karriere durch Ableben beendet, sondern als Bestsellerproduzent, nur leicht belächelt für seine schmalzigen Stellen. Gut, seine Backsteine neigen zum Melodram, aber nicht in der Hauptsache. Mich erinnern sie sogar an Moby-Dick in ihrer fröhlich vorsätzlichen Missachtung aller Romantheorien, und da natürlich vor allem an diese Zumutung von retardierendem Moment in Kapitel 32. Alles voller freier Assoziationen aus einer angelesenen und zusammengelebten, aber enzyklopädischen Bildung, das einzige, was keine Sau interessiert, ist die Grenze zwischen Gaudium und Wissenschaft. Dann noch Jean Pauls gesucht schrullige Romanunterteilungen in “Sektoren“, “Hundsposttage” oder “Jobelperioden“, daneben Melvilles Begründung der Cetologie anhand bücherförmiger Wale, die sich zum Wal qualifizieren, indem sie blasen und einen querstehenden Schwanz haben, nicht aber in Flussmündungen wohnen — überhaupt die Parallelen von allem und jedem zu staubschichtiger Stubengelahrtheit unter lauter alten Büchern, angefangen von Jean Pauls Erstling Schulmeisterlein Wutz neben Melvilles Moby-Dick-Prolog mit dem “blassen Hilfsschulmeister” und dem BUCH II (Oktavo), Kapitel III (Narwal, das heißt: Nasenwal), der mit seinem Horn wahrscheinlich Flugschriften falzt — da fällt doch nicht nur mir was auf?

Der Walbulle im Karpfenteich der Romanliteratur, sagt Daniel Göske zu Anfang seines Nachworts, und welche Stelle sollte ein Buch wohl wirksamer dazu qualifizieren als diese seemännische Cetologie, Jean Paul kriegen wir bestimmt später noch mal.

Wer erzählt uns das alles? Ismael natürlich, den Großmacht Herman Melville vor sich herschiebt. Jürgen hat dazu zielsicher den aufschlussreichsten Satz aus dem Kapitel gefischt: “I have swam through libraries and sailed through oceans” — was übrigens beim Ehepaar Seiffert 1956 heißt: “Doch ich habe in der Weisheit der Bibliotheken gebadet und bin auf Ozeanen gesegelt, ich habe Wale unter meinen Menschenhänden gespürt”. Gar keine so schlechte Lösung. Hier ist Ismael in besonderem Maße Melvilles alter ego: noch mehr als ein Schreiber, der schon mal auf einem Schiff war, der Seemann, der sich mit Büchern auskennt. Und er schreibt es offensichtlich rückblickend: “Ich habe mit diesen Händen Wale berührt”, sagt er, dabei fährt Ismael erklärtermaßen zum ersten Mal auf Wale aus, wie er im Vorstellungsgespräch bei der Anheuer angibt. Also kein Regiefehler, sondern nur logisch.

Was erzählt er noch? Die Versuchung ist enorm, an dieser Stelle eine Liste zu eröffnen, die Melville, Jean Paul, Linné und die Penny Cyclopedia auf einmal imitiert, persifliert, paraphrasiert und ausnutzt; leider sind wir hier ein Weblog für ökonomisch denkende Schüler im Englisch-Leistungskurs (hausaufgabe.de kostet, glaub ich), die einem das hinterher wieder nicht lesen. Also noch als Schnellsegeltörn über einen der tiefsten Gräben im Ozean Moby-Dick ein paar Auffälligkeiten, die nicht gleich in der nächstbesten Online-Lernhilfe stehen:

Wale sind bei Melville noch Fische, wozu er sich auf den biblischen Jonas beruft, auch wenn er diese Einteilung schon als “altmodisch” erkennt. Ismaels gehaltvollster Beitrag zu einer weiter zu errichtenden Cetologie, ein Wal sei a spouting fish with a horizontal tail, ist so wahr wie fiktionale Literatur eben ist: Er stimmt, auch wenn er von den Realitäten außerhalb des Werks abweicht — es heißt ja auch in der Fachliteratur wie in der Bellestristik whale fishery, ätsch. Friss es oder lies William Scoresby und versuche wenigstens darin Melville zu gleichen.

Übersetzungshaken in der weiteren Systematik: A walrus spouts much like a whale, but the walrus is not a fish, because he is amphibious heißt bei Jendis: “Ein Walroß bläst ungefähr wie ein Wal, aber das Walroß ist kein Fisch, weil es amphibisch lebt.” Es lebt, das Walroß, es tut also etwas, statt etwas zu sein. Mag sein, dass ich diesen Unterschied überbewerte, aber Rathjen meint, näher an Melville: “weil es amphibisch ist”. Auch wenn Jendis soweit löblicherweise ein Vollverb vor einem Hilfsverb bevorzugt, schreit gerade bei diesem kleinen feinen alltagsphilosphischen Unterschied ein leiser Schmerz in mir auf: A Walross’s gotta do what a Walross’s gotta do, aber erst sein Sein bestimmt sein Bewusstsein.

Übersetzungshaken in der abgrenzenden Systematik: Das “nosy” Volk der Schweins- und Saufische ist bei Jendis verächtlich, weil es “aufdringlich” ist, bei Rathjen “großnasig”, Leo kennt “neugierig” und “naseweis”. Schön, dass Herrn Jendis beim Überarbeiten von Rathjens Vorarbeit die übertragene Bedeutung aufgefallen ist; andererseits: Wie aufdringlich sind Wale? [Und sind cloistered old authors eher “weltabgewandte Schreiber” (Jendis) oder “Klosterautoren” (Rathjen)?]

Übersetzungsschönheit: Lebensspendender Saft heißt im Original quickening humor. Wenn man das mal als Kalauer verwenden kann, soll mich bitte jemand diskret schubsen.

Noch eine Schönheit: Jendis’ “alte Frakturschwarte” und Rathjens “alte Fraktur” umschreiben sich im Original: “Black Letter tells me […]“. Ist das nicht einfach wunderschön? Binnentextueller Bezug: Ismael erwähnt hier seit Kapitel 2 zum ersten Mal den old writer–of whose works I possess the only copy extant wieder. Hinter die angedeutete Ferkelei, die Ismael hier im Abschnitt über den ach so bücheraffinen Narwal um Richard Hakluyt und Queen Bess strickt, kommen die ökonomisch denkenden Schüler schon selber, verwenden können sie die sowieso nicht.

Ebenfalls der Narwal ist es, der mit seiner Finne an eine Sonnenuhr erinnert. Natürlich nicht an eine statische, die ein für allemal ausgerichtet die Uhrzeit kund tut, sondern wie Wale so sind, mobil, agil, vital. Eben wie die Sonnenuhr des Ahas, die Göske in seiner Anmerkung als “erratisch” einstuft. Hier hab ich den Einwand, dass diese biblische Erscheinung nicht beliebig auftauchte, sondern auf göttliche Einwirkung aus wichtigem Anlass. Gerade weil Göske noch dazuerklärt, dass Melville die betreffende Stelle — Jesaja 38,8 — in seiner Bibel markiert hat, scheint mir das wichtig. Also: Narwal schwimmt nicht tirili um und um, sondern laviert nach göttlichem Geheiß.

Melville selbst scheint sich anfangs nicht recht einig, was er da überhaupt anzettelt. Seine lange Vorrede zu seiner Systematik steckt voller Rechtfertigungen, dem Seemann ist selbst nicht ganz geheuer, wie er sich da in eine noch nicht mal anerkannte Wissenschaft vorwagt. Erst am Schluss von Buch I, Kapitel III über den Finnwal fasst er sich ein Herz und findet seine Begründung, warum man Wale nach Buchformaten ordnen soll:

What then remains? nothing but to take hold of the whales bodily, in their entire liberal volume, and boldly sort them that way. And this is the Bibliographical system here adopted; and it is the only one that can possibly succeed, for it alone is practicable. To proceed.

einseitig.infoDas war ihm ein Bedürfnis. Ab sofort läuft’s auch hörbar unbekümmerter aus der Feder mit den folgenden Erkenntnissen.

Man versteht ihn durchaus: Im Nachhinein fällt die Vorstellung schwer, dass eine bestehende Wissenschaft, die seitdem zumindest teilweise in die Allgemeinbildung eingegangen ist, irgendwann schlicht nicht existiert haben soll. Irgendwo müssen die Grundlagen dazu ja dermaleinst hergekommen sein. Im Anfang war man auf Beobachtung angewiesen, auf das unermüdliche Sammeln dessen, was vorhanden ist. Diese ganze Empirie, die in den grandiosen Positivismus des wissenschaftslastigen 19. Jahrhunderts mündete, ist überhaupt nicht überschätzbar und hat mich immer ehrfurchtsstarr an Newtons (und anderer) “Schultern von Riesen” erinnert. Da ist der seemännische Stolz berechtigt, den Ismael-Melville in Kapitel 24 nur halb ironisch vor uns ausbreitet: Wer hat denn unter Einsatz von Leben, Existenz und gutem Ruf all die Wale zuerst gesichtet, die man zu Hause den biologischen Kapazitäten in der geheizten Stube vorlegen musste — in welcher Form außer von Seemannsgarn auch immer, wenn man sie nicht einmal mit der Handykamera dokumentieren konnte — wenn nicht gottesfürchtige, unterbezahlte, salzwassertropfende Walfänger? Und dann geht’s los mit Klassifizieren…

Überhaupt: Wie übersetzt man das? Melvilles Text ist auf Englisch entstanden, schon all die Walnamen in diesem einzigen Kapitel lauten bei Jendis und Rathjen recht unterschiedlich: Huzza Porpoise ist “Heißajuchhe-Tümmler” ist “Hurra-Tümmler” ist gemeiner Tümmler ist wahrscheinlich Großer Tümmler — dabei sind das noch die zwei Übersetzungen, die miteinander in Bezug stehen. Worauf man dann erst bei einem Vergleich aller bisherigen Übersetzungen stieße, kann man sich ungefähr vorstellen. In welchem Wörterbuch schlägt man das nach, und woher weiß man, unter welchem Buchstaben? P wie Pottwal oder K wie Kaschelot? Und wenn man sich entschieden hat, hatte dann der Lexikograf die gleiche Tierart vor Augen? Welche Delfinunterart ist schon ein Flusswal, ab welchem Gelbstich ist ein Blauton schon ein Grün? Und wenn einer das anders sieht, ist er dann dümmer als der andere?

Mein Moby-Arbeitsexemplar spickt und starrt in diesem Kapitel vor Bleistiftanmerkungen wie bisher in keinem anderen; fertig wird man damit noch lange nicht, den Rest schenk ich meinen Nachrednern. God keep me from ever completing anything.

Rockwell Kent, Illustration for Chapter XXXII, Cetology. End. Plattsburgh State Art Museum

Alle noch wach? Dann möchte ich jetzt zur Belohnung mit denjenigen meiner Leser, die bis hier durchgehalten haben, meinen Ohrwurm der Woche teilen: Girl, You’ll Be a Woman Soon, eins von Neil Diamond aus Just for You 1967, 1994 von Urge Overkill für Pulp Fiction wiederbelebt.

Bilder: Rockwell Kent: Chapter XXXII: Cetology, by Lakeside Press of Moby Dick;
Michael Stolzke: Wa(h)lverwandtschaften — Einseitig und Moby Dick, 26. Juli 2006.

Written by Wolf

26. August 2008 at 2:48 am

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And then dreams he of cutting foreign throats

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Wolf hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Mercutio. Nun seh’ ich wohl, Frau Mab hat euch besucht.

Romeo. Frau Mab, wer ist sie?

Mercutio. Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kömmt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit einem Spann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
Des Wagens Deck’ aus eines Heupferds Flügeln,
Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
Das in des Mädchens müß’gem Finger nistet.
Die Kutsch’ ist eine hohle Haselnuß,
Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
Zurecht gemacht, die seit uralten Zeiten
Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
Verliebter, und sie träumen dann von Liebe;
Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen
(Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
Weil ihren Odem Näscherei verdarb).
Bald trabt sie über eines Hofrats Nase,
Dann wittert er im Traum sich Aemter aus.
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt:
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann.
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken:
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelt’s ihm ins Ohr: da fährt er auf,
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete,
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht,
Und flicht in strupp’ges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie –

William Shakespeare: Romeo and Juliet, 1596,
Act I, Scene 4, line 553ff.;
dt. August Wilhelm von Schlegel, 1891

Warum das Kapitel ausgerechnet “Mab, die Feenkönigin” heißt, hätt ich ja im Leben nicht von selbst rausgefunden. Kurzer Check: ein Übersetzungsfehler? Nein, in den restlichen Übersetzungen heißt es ähnlich, und das Original heißt “Queen Mab”. Ohne Anklang an Feen, aber na gut. Aufklärung bringt die Anmerkung in der Jendis-Übersetzung: Die Feenkönigin Mab (gälisch gern auch Medb, Meḋḃ, Medhbh, Meadhbh, Meab°, Meabh, Méabh, Maeve oder Maev, das ist: die Berauschende) bringt Träume. Die Sandfrau.

Schade eigentlich. Seit Kapitel 20: All Astir wurde in Moby-Dick keine Frau mehr gesichtet, da hätte man sich schon über die Krone der Schöpfung, eine Fee gefreut. Und dann erzählt einem nur wieder der olle Stubb seine krausen Träume, über die man womöglich, weil vor Freudischen Zeiten erlebt und dokumentiert, nicht mal allzuviel aussagen kann.

Jedenfalls ist das ein Bedenken, das Jürgen aufgebracht hat (Weblog-Eintrag folgt, wenn sich die Diskussion auf Xing darüber rentiert!), und zwar nicht ganz unbegründet.

Auch ohne freudianisches Fachwissen zu bemühen, kommt mir Stubb schon fast selbstverletzerisch vor, wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert. Einen geträumten Tritt, dazu noch aus einem Traum, der sich aus Erlebnissen des vergangenen Tages zusammengebraut haben mag, immerhin aber kein Erlebnis aus einem Wunschtraum. Gegen den Strich gedacht, hätte Stubb sich danach erst recht gegen Ahab aufregen können; das wäre bei seinem Eifer leicht in einer Überreaktion in die andere Richtung geendet, aber nachvollziehbarer. Gut, man liest lieber von Skurrilitäten als von einem Dahinplätschern, in das man die Handlung nicht einmal groß vorantreiben müsste. Mit dem schrittweisen Zurechtdenken von der Beleidigung zur Ehrung erschreckt mich Stubb.

Irish Pound Note Queen Medb

Was steckt der Gute überhaupt so viel Denkarbeit in einen Traum? Und behelligt sogar seinen Kollegen damit? Ist das Sitte unter Raubauzen zur See, dass die ihre Träume ausdiskutieren?

Erstmals seit seiner Einführung in Kapitel 27: Ritter und Knappen erhält Flask eine Daseinsberechtigung in der Handlung: Der zweite Steuermann erzählt dem dritten seinen Traum. Kein Dienstgespräch von oben nach unten, mehr eine symmetrische, kumpelhafte Unterhaltung. Und Flask hat dabei vorerst nur zuzuhören, weiter charakterisiert wird er nicht. Vielleicht ist das an dieser Stelle sogar ganz gut: Je mehr der Zuhörer Flask im Hintergrund bleibt, desto verblüffter und sprachloser kann man ihn sich vorstellen: Was palavert mich dieser Stubb da mit seinen Träumen zu? “Weiß nicht, aber er kommt mir ein bisschen närrisch vor.” — das ist die Hauptsache, die er zu sagen hat. Recht hat er. Ein bisschen närrisch, der Traum, Stubbs Auslegung davon, und nicht zuletzt der ganze Stubb.

Soll ich mal raten? Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten. Als ob das dramaturgisch noch nötig wäre, hat er gerade seinen eigenen Untergang eingesungen.

Na? Treffer, Frau Königin Medb? Wenn nicht, geb ich meinen Titel als Feenversteher zurück.

Fairy Queen Mab

Bilder: Fairy Queen Medb; Fairy Queen Mab.

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Feenmusik: Tom Waits: Watch Her Disappear aus: Alice, 2002.

Written by Wolf

8. July 2008 at 12:34 am

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Das heldische Leiden an der Welt

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And we sail and we sail and we never see land,
just the rum in the bottle and a pipe in my hand.

Kapitel 30: Die Pfeife ist ein auffallend kurzes in unserem whale of a tale; die erzählte Zeit — ein kurzes Nachdenken, dann ein Überbordschleudern — liegt trotzdem immer noch weit unter der Erzählzeit. Scheint also wichtig zu sein.

Die Experten auf dem Gradeserver schreiben als analysis dazu:

Melville demonstrates Ahab’s power and influence over his crew through the effect that Ahab has on Stubb, who is shaken by his confrontation with Ahab. This bolsters the idea that Ahab is a fearsome man not to be opposed, not only because of his physical and direct influence over others but also because of the psychological stress that he places on others. Ahab is capable of creating a sense of turmoil and unease in Stubb, who finds no solace for his anxiety concerning Ahab.

Rauchen ist Scheisse. Saufen Sie lieberIst ja gut, das mag schon alles sein — steht aber, wie ich es verstehe, da nicht drin; ist also nicht heraus-, sondern hineingelesen. Was die verdienstvollen Moby-Dick™-Analytiker herausgefunden haben, finde ich da weit luzider.

Ich bin ja nur so ein ganz simpel denkender Mensch. Drum bleiben wir doch mal ganz stumpf bei dem, was da steht, im Gang der Handlung. Da darf ich in der Erinnerung ans gerade verflossene 29. Kapitel schließen, dass Ahab das Zusammenrücken mit Stubb mehr zu schaffen macht, als er sich eingestehen will. Stubb, der — ganz recht, Kollegen — sich durch sein beständiges Pfeifenschmauchen geradezu definiert, der des Morgens nicht ohne seine Pfeife im Gesicht aus der Kajüte treten würde, sondern eher ohne seine Nase (schon wieder so eine jahrzehntelang gehätschelte Lieblingsformulierung aus meinem ersten Jugendversuch) — eine Unart, die dem Seemann durchaus ansteht, die Ahab aber plötzlich an sich selbst entdeckt.

Will er zu denen gehören? Zur Misera Plebs seiner Untergebenen, die auf ihren Schönheitsschlaf halten, statt ein Ziel zu verfolgen? Diesen Flaschen, die sich von betäubenden Dämpfen umnebeln lassen, statt sich gut puritanisch zu quälen? Es ist ihm nicht recht, dem Ahab, er trauert durchaus um seinen Anteil an der grundsätzlichen Lebensfreude, an selbstverständlichen ozeanischen (!) Wohlgefühl am Dasein in der Welt: “Da habe ich mich nun wie besinnungslos abgeplagt, statt mich des Lebens zu freuen” — aber es ist nun einmal so um ihn bestellt: Ein gemütlicher Raucher ist er nicht.

Dramaturgisch haben wir hier also nicht weniger denn einen Schub in Ahabs Selbstfindung. Da musste erst der aus Ahabs Sicht verächtliche Stubb kommen und um Ruhe vor Ahabs innerer Unruhe bitten, um ihn dahin — sorry for the cheap pun — anzustubbsen. Nicht um the effect that Ahab has on Stubb geht es also, wie der o.a. Gradeserver nahelegt, sondern Stubbs effect on Ahab.

So endet einer, der seinen Weg geht: freudlos, menschenfeindlich, fatalistisch, im Verdacht des armen Irren, bestenfalls noch voll des grimmigen Galgenhumors unter Tränen lachend. Kein Wunder, dass einer da im Affekt die Insignien seiner letzten fadenschinigen Lebensfreude über Bord feuern mag. Denn dass es der Anfang von Ahabs Ende ist, has been foreshadowed genug.

Besondere Leistung in der Disziplin Pinkeln gegen den Wind, nein: Rauchen an Luv (Cpt. Ahab): die übersetzerische Leistung, aus The Pipe ein Die Tobackspfeife herauszulesen.

Echte Helden (pinkeln gegen den Wind, auch wenn sie dann die Begossenen sind): rauchen macht laune: Die neue Rechtschreibung, 27. Februar 2007;
Lied: The Pogues: Bottle of Smoke, aus: If I Should Fall From Grace With God, 1987.

Written by Wolf

11. June 2008 at 1:18 am

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Wo deinesgleichen zwischen Leichentüchern schläft

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Damn me, but all things are queer, come to think of ’em.

Enter Ahab; to Him, Stubb. Die Pequod fährt auf Höhe von Quito, Ecuador, Stadt des ewigen Frühlings, kein Meereszugang. Ich-Erzähler Ismael ab, Queequeg vermissen wir sowieso schon seit Kapitel 27 (“Aber Queequeg kennt ihr ja schon”), Auftritt der allwissende Märchenonkel. Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb.

Hol’s der Klabautermann, da hat ein Erzähler zu sich gefunden und seine Erzählweise aufgenommen: Melville kommt uns jetzt mit inneren Monologen, um seine Figuren zu zeichnen. Stubb “knurrt” seinen noch probehalber, aber ich glaub nicht, dass einer wie der fast zwei Seiten lang in sich elaborierte Sätze hineingrummelt, das ist Melville schon unter den Fingern zu einem Stilmittel geraten, das man noch nicht lange zur Hand hatte (für unsere Ghostleser aus Gründen des Englischunterrichts: Und es ist eben kein Stream of Consciousness).

Was zeichnet er uns? Das, was wir aus Internetdiskussionen kennen: zwei Leute, die sich kaum kennen, sehr wahrscheinlich aber nicht mögen, und sich in leutselige Flapsigkeit flüchten, obwohl sie keine verstehen. Beiderseitige Ironieresistenz auf Offiziersebene, nach praktisch überhaupt keiner Vorlaufzeit Zank und Beleidigung. Eine Meisterleistung kommunikativen Verhaltens, wenn dergleichen beabsichtigt wäre.

Stubb fängt an damit. Er hat an seinem oberen Management etwas auszusetzen, kann aber aus Rücksicht auf Zeitbudget und Dienstweg keinen großen Verbesserungsvorschlag einreichen, sondern ist darauf angewiesen, dem Kapitän sein Anliegen auf eine Weise zu sagen, die ihn kooperativ stimmt, nicht verletzt.

“Mit scherzhafter Unterwürfigkeit” versucht er’s. Das kann, wie jedes andere Verhalten auch, richtig oder falsch sein, grundsätzlich schlecht kann ich es nicht finden. Macht er schon richtig, der Stubb. Schade, dass er diese sanguinische Tonart nicht durchhält. Da grinst schnell die Eskalation ums Eck.

Und prompt: “Ach, Stubb, du kanntest deinen Ahab noch nicht!” Mit dem kann man das nämlich nicht machen. Der Mann schläft seit Tagen nur drei Stunden am Tag — vermutlich um ihn vom Mannschaftspöbel zu unterscheiden, der menschlichen Bedürfnissen wie dem Schlaf obliegt, und dafür in die Nähe eines Napoleon zu rücken, von dem dieselbe Legende geht, vier Tagesstunden Schlaf seien für Weiber und deren fünf schon für Schwächlinge.

Für einen letzteren hätte ihn nie jemand gehalten, aber er reagiert auf denkbar unausgeschlafene Weise. Ahabs erste Replik enthält noch versöhnliche Teile: “Doch geh nur, ich hatte nicht daran gedacht” — aber selbstherrliche Führungskraft, die er ist, muss er weiterranzen. Leider kommen dann schon die ersten Schimpfwörter vor. “Kusch dich, du Hund, ab in die Hütte!” könnte man noch als bärbeißigen Abschluss der Diskussion werten und es gut sein lassen, das vorausgehende

Below to thy nightly grave; where such as ye sleep between shrouds, to use ye to the filling one at last.

als etwas fehlgeleitete Brillanz verbuchen. Batz, schon hat er überreagiert. Ahabs Eloquenz dient keinem intellektuellen Kräftemessen, sondern ist die eines donnernden Predigers — und falls doch, hat er nicht mit dem Zweiten Offizier in Stubb gerechnet oder ihn absichtsvoll ignoriert.

And now that I think of it (Stubb), war Ahabs Versuch vielleicht gerade doch, einen geistigen Sparringspartner zu finden. Dass Stubb so humorlos einfriert und einen auf verletzte Ehre macht, treibt Ahab ja erst zu seiner richtigen Kaskade mit Esel und Maultier und Schafskopf rauf und runter. Vielleicht braucht er nur deshalb so wenig Schlaf, weil er geistig unausgelastet ist?

Stubb entlässt er dann als Feind in zwei Seiten passiver Aggression. Der Horizont kann öde sein. Und Ironie ein geladen Schießgewehr.

Bild: Frank Stella: Enter Ahab; to him, Stubb, 1988,
aus: Moby-Dick and Imaginary Places, Galerie Jamileh Weber.

Written by Wolf

12. May 2008 at 2:19 am

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From hell’s heart I stab at thee

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Wolf hat Kapitel 28: Ahab gelesen:

Jorge Lacera, Random Bits, Captain Ahab, 25. September 2007Ich kann so nicht arbeiten; nicht, indem ich einfach nicht arbeite. Der letzte Artikel in der Art, für die wir uns hier und da versammelt haben, stammt a) von Elke und b) vom 7. November. Ist ja schon gar nicht mehr wahr, kann man ja gar nicht im Kopf ausrechnen, wie lange das her ist. Was wohl Kapitän Ahab zu einer derartigen Saumseligkeit gesagt hätte. Deckschrubben hätte der einen geschickt, und zwar mit der Zahnbürste. Und mit Vernunftargumenten wäre er davon nicht abzuhalten.

Wo sich die von uns gegangene Steffi doch immer so auf Ahab gefreut hat; in ihren letzten Beiträgen hat sie nie versäumt, ihre Enttäuschung darüber zu vermerken, dass der Quasi-Herrgott der Pequod sich immer noch nicht blicken lässt. Jetzt steht er endlich großmächtig wie aus den Planken gewachsen da mit nicht weniger im Sinn, als die Handlung voranzutreiben.

Die Wirklichkeit übertraf jede Befürchtung: Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck.

So Jendis; Rathjen fast noch bildhafter:

Die Wirklichkeit ließ das Fassungsvermögen hinter sich zurück; Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck.

Am eindrucksvollsten an seiner Beschreibung ruft uns Melville Ahabs Gesichtsausdruck vor Augen:

Ahab stood before them with a crucifixion in his face; in all the nameless regal overbearing dignity of some mighty woe.

Eine Kreuzigung trägt er im Gesicht — wie geht’s denn noch leidvoller? Jendis überträgt uns das ganz wörtlich, Rathjen spricht “nur” von Marterspuren. An dieser Stelle Punkt für Jendis, finde ich. Überhaupt hat die Stelle bisher offenbar jedem Moby-Übersetzer zu schaffen gemacht. Ebenfalls im Jendis (Anmerkungen von Daniel Göske, Seite 953) lernen wir:

Nicht nur für den englischen Lektor [der Melvilles Manuskript mit noch mancherlei zickigen Eingriffen verunziert hat] war dieses expressive Bild zu kühn. In der Londoner Ausgabe ist Ahabs Antlitz von “einem anscheinend ewigen Kummer” gezeichnet; frühere deutsche Übersetzungen sprechen (im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen [als erster Jean Giono, und folgende]) nur von “heilige[m] Gram” (1944) [also Fritz Güttinger], einem “zermarterte[n] Gesicht” (1946, 1956) [also Thesi Mutzenbacher & Ernst Schnabel und Seiffert & Seiffert] oder “gemarterte[n] Zügen” (1954) [womit wohl Richard Mummendey gemeint ist, dessen 1964er Übersetzung Göske wiederholt falsch zu datieren pflegt. Hat jemand den Mummendey-Moby und kann kurz nachweisen oder widerlegen, ob das der mit den gemarterten Zügen ist?].

Locker drüber hinweg konnte da noch niemand lesen.

Ferner benutzen unsere beiden Lieblingsübersetzungen die Schreibweise “Kapitän Ahab”. Bisher hab ich mir webloghalber “Captain Ahab” angelegen sein lassen, weil man es unwillkürlich englisch ausspricht, oder jedenfalls in der dahingeflapsten Weise, die wir Landratten gern für seemännisch halten. Das schreibt sich dann meistens “Käpt’n Ahab”, was ich für eine bemühte Kinderbuchsitte halte. Aber ihr dürft das gern weiter benutzen, es wäre zu rechtfertigen und ist außerdem genügend etabliert.

Ihr merkt es wohl, ich flüchte mich vor der Größe der Ereignisse in stubengelahrte Kniefieseleien. In rituellen Anfängen oder Abschieden war ich noch nie gut. Seit November hab ich durchaus den einen oder anderen Anlauf genommen, um einen Beitrag wie diesen zu liefern. Mit dem bisschen Ergebnis mögen meine Leser mit mir glücklich sein oder nicht, aber es ist schon auch kein Wunder. Fangen Sie mal an, über Ahab zu recherchieren. Zugeschwemmt werden Sie da von Google, zugeschwemmt. Hauptsächlich mit Musikern unterschiedlicher Richtungen, die sich auf ihn berufen, dann mit Gregory Peck in seiner gleichnamigen Rolle 1956, erst dann mit dem Büchernerdkram, wie wir ihn brauchen. Man wird das bis Kapitel 135 noch oft tun müssen, und dafür wünsche ich mir dann spitzere Themenstellungen. Als ob ich sie nicht selbst aussuchen könnte — aber auf was hübsches Brillantes über Ahab-itis freu ich mich schon.

Genug, das handlungstragende Personal ist beisammen, in Kapitel 29 winkt dann ein Wechsel der Erzählperspektive. Der Leser, den sich jeder Schreiber für jedes Buch neu schaffen muss, ist damit wohl vollendet: Uns mein ich. Wir sind auf See und können nicht mehr zurück. Mir gefällt, wie sogar Ahab fast gelächelt hätte:

Nevertheless, ere long, the warm, warbling persuasiveness of the pleasant, holiday weather we came to, seemed gradually to charm him from his mood. For, as when the red-cheeked, dancing girls, April and May, trip home to the wintry, misanthropic woods; even the barest, ruggedest, most thunder-cloven old oak will at least send forth some few green sprouts, to welcome such gladhearted visitants; so Ahab did, in the end, a little respond to the playful allurings of that girlish air.

Und wieder bleibt unklar, welches Bein dem Manne eigentlich fehlt. Ich übergebe an Elke, Stephan und jeden, der was zu sagen hat.

Ahab the captain/looks a lot like Abe Lincoln/but walks with a limp

Bilder: Jorge Lacera: Random Bits, 25. September 2007;
MadHaiku: MoBy DiCk In HaIkU v2, Chapter Five.

Written by Wolf

11. March 2008 at 1:58 am

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But I am an island – I’m fucking Ibiza!

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Wolf hat das zweite Kapitel: Ritter und Knappen, das 27., gelesen:

Stubb bei Cetus the WhaleUm zu verstehen, was einen ambitionierten Schreiber dazu treibt, zwei Kapitel hintereinander mit der gleichen Überschrift zu versehen, muss man wohl im 19. Jahrhundert Wale gejagt haben, aber es wird damit zu tun haben, dass es keine echte thematische Trennung ist und Starbuck nur so viel Platz einnehmen wollte, dass ein ganzes Kapitel 26 voll wurde und Melville für die restlichen Hauptfiguren in Kapitel 27, ebenfalls Knights and Squires, nochmal Luft holen musste. Seeleute. Immer besorgt um ihren langen Atem.

So viel Systematik hat er bis jetzt, wir haben Seite 200 überschritten, auch noch nie vorgelegt. Die getreuen Bildnisse von Starbuck (26) und der anderen Steuermänner einschließlich ihrer “Knappen” ergeben ein sauberes Powerpoint-Chart. Ein kurzes, einfaches, überschaubares mit gerade mal sechs Namen, aber genau so soll Powerpoint ja aussehen.

Das Wichtigste in Kürze für diejenigen unserer tausend Fans, die nicht parallel zu uns die Primärliteratur mitlesen:

Erster Steuermann (First Mate): Starbuck;
Zweiter Steuermann (Second Mate): Stubb;
Dritter Steuermann (Third Mate): Flask.
Harpunier und Assistent des Ersten Steuermannes: Queequeg;
2. ~ : Tashtego;
3. ~ : Daggoo.

An dieser angenehm übersichtlichen Versammlung fällt auf, dass die Chefs, die “Ritter”, weiße, körperlich unversehrte, heterosexuelle (?!) Nordamerikaner christlichen Glaubens sind, allesamt Insulaner aus den Walfängergegenden Neuenglands, ihre untergebenen Harpuniere dagegen die exotischsten Heiden, die sie und Melville nur irgendwie auftreiben konnten.

Eine bis heute bekannte und bemängelte Konstellation:

As for the residue of the Pequod’s company, be it said, that at the present day not one in two of the many thousand men before the mast employed in the American whale fishery, are Americans born, though pretty nearly all the officers are. Herein it is the same with the American whale fishery as with the American army and military and merchant navies, and the engineering forces employed in the construction of the American Canals and Railroads. The same, I say, because in all these cases the native American liberally provides the brains, the rest of the world as generously supplying the muscles.

Chapter 27, Knights and Squires, gegen Ende

Eine Beobachtung allerdings, die wir Melvilles eigener Erfahrung vor dem Mast real existierender Walfänger zuschreiben dürfen: Ob die Knights und die Squires dem christlichen Abendland oder den heidnischsten Weltecken entstammen, es sind immer wieder Inseln, denn

How it is, there is no telling, but Islanders seem to make the best whalemen. [L.c.]

Für den Rest von Melvilles Gesamtwerk lese ich die Konzeption und Definition des Isolato heraus, jenes Menschenschlags, der sich etwas schief ins Leben gebaut durch die späteren Zeitschriftenerzählungen kauzt. Eine alte Disposition der schreibenden Zunft, wenn es mit ihr nicht so recht vorangehen will. Aus solchen zwangsweisen Junggesellen und Monobegabungen besteht offenbar die gesamte Mannschaft der Pequod — eben auch all die tapferen, ehrbaren Christen und Heiden, die es nicht zu einer namentlichen Erwähnung bringen. In Cock-a-doodle-doo! von 1853 und The Piazza von 1856 sind solche Gestalten die Ich-Erzähler, und dem Lebenswandel nach ist auch Bartleby von 1853 einer: Wie sehr kann man denn noch auf seinem eigenen Kontinent leben, als indem man bis zum eigenen Untergang die meisten Regungen verweigert?

Bill SienkiewiczIn so einem Lebenslauf, auf sturmgebeutelten Walfängern oder in philiströsen Schreibstuben, trifft man ja mit der Zeit die absonderlichsten Leute. Selbst ich, der ich eher die letztere Version lebe, erkenne in den drei Steuermännern der Pequod Abbilder von Leuten, die ich schon mal getroffen hab.

Mit Stubb zum Beispiel war ich beim Bund, Grundausbildung als Fernmelder in Daun. Ganz ähnlich wie Stubb hat der sich in der Frühe als erstes keine Pfeife, aber eine Marlboro angeschürt, um sich dann um die brennende Fluppe im Mund herum zu rasieren — nass. Und so einen übereifrigen Giftzwerg wie Flask hatte jeder schon mal als Chef. In meinem sozialen Portfolio fehlen allerdings so eindrucksvolle Indianer wie Tashtego oder der baumhafte Neger Daggoo.

Bilder: Stubb bei Cetus the Whale, Tashtego: Rockwell Kent bei Lakeside Press Edition, Daggoo et al.: Bill Sienkiewicz; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

30. October 2007 at 1:12 pm

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Starbuck und der demokratische Gott

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Endlich trifft man mal einen vernünftigen Menschen: Kapitel 26 gehört dem Obermaat Starbuck, und es ist eins von den großen.

Armistead Maupins Starbuck-BecherSolche Vize-Chefs – Starbuck kommt in der Hierarchie der Pequod gleich hinter Captain Ahab – kennt man entweder als verbiesterte ewige Zweite (“Second winner is first loser”) oder eben als eine Art Missing Link zwischen Chefetage und Sachbearbeitung; im allegorischen Falle der Pequod: zwischen Gott (oder welch hohe Macht Ahab immer repräsentiert) und der Menschheit (lies: Mannschaft), jedenfalls zwischen Oben und Unten.

Glück für Ismael, dass er mit Starbuck an die letztere Sorte geraten ist. Melville ist über der Abfassung von Kapitel 21 wohl endlich klar geworden, dass er Ismael nicht die ganze Zeit vorausahnend durch die Weltgeschichte (Manhattan, New Bedford, Nantucket) gurken lassen kann, sondern dass der Roman irgendwann einen anständigen Konflikt braucht. Und da sich der miese kleine Dienstgrad Ismael mit seiner lausigen dreihundertstel Lay bei Gefahr des Kielholens nicht gut selbst mit Ahab anlegen konnte, scheint in Going Aboard erstmals Starbuck auf, der als einziger auf der Pequod als Ahabs Gegenspieler auftreten kann.

Sein Charakter prädestiniert ihn dazu: Starbuck ist ja sowas von das Gegenteil zu Ahabs Fanatismus. Er denkt, bevor er redet, am allerliebsten lässt er Taten sprechen, und zwar besonnene. Die Vernunft selbst, ein kühler Kopf, ein ganzer Mann. So wird man zum Namenspatron einer Kaffee-Franchisekette.

Was das Kapitel so groß macht? – Für eine schlüssige Begründung möchte ich mich da auf die anstehenden Ausführungen der Kollegin Elke verlassen, die solche Sachen immer recht anschaulich und engagiert darzustellen pflegt. In meiner eigenen Bewunderung für Leute, die mit unangestrengter Fachkenntnis ihren Job tun, und schönen Formulierungen schau ich lieber nach, wie Recht Paul Ingendaay mit seiner Apologie der Rathjen-Übersetzung hatte:

Wer einmal mit Donnerstimme oder jedenfalls so donnernd wie möglich den letzten Absatz des 26. Kapitels („Ritter und Knappen“) bei Rathjen gelesen hat, dürfte jede andere Version für ziemlich zahm halten. Inzwischen ist es für mich keine Frage mehr, daß der Rathjen-Text über weite Strecken „funktioniert“, wenn auch unter beträchtlichen Opfern: Viele Sachen sähe ich gern redigiert.

Paul Ingendaay: Walgesänge bei Gegenwind.
Vom Lesen, Übersetzen und Rezitieren sowie einigen Besonderheiten in Friedhelm Rathjens Moby-Dick

Starbuck Becher, von Verbrauchern bearbeitetKlingt ja vielversprechend. Im Direktvergleich also der letzte Absatz von Kapitel 26, Ritter und Knappen, in der Übersetzung von Rathjen:

Wenn ich also hienach gemeinsten Matrosen und Abtrünnigen und Verstoßenen hohe Eigenschaften, wiewohl dunkle, zuschreibe; tragische Tugenden um sie herumwebe; wenn sogar der Beklagenswerteste, von ungefähr der zutiefst Erniedrigste, unter ihnen allen sich zuzeiten zu den erhabenen Höhen erhebet; wenn ich jenes Arbeiters Arm mit ätherischem Licht anrühre; wenn ich einen Regenbogen über seinen unglückseligen Sonnenuntergang breiten werde; dann tritt dabei gegen alle sterblichen Kritiker für mich ein, du gerechter Geist der Gleichheit, welcher du einen großen königlichen Mantel des Menschlichen über alle von meiner Art gebreitet hast! Tritt dabei für mich ein, du großer demokratischer Gott! der du dem schwarzen Sträfling Bunyan die bleiche poetische Perle nicht verwehret hast; Du, der Du in zwiefach getriebene Blätter feinsten Goldes den stumpen und almosenen Arm des alten Cervantes kleidetest; Du, der Du Andrew Jackson aus dem Staube auflasest; der Du ihn auf ein Schlachtroß warfst; der Du ihn höher hinaufschleudertest als einen Thron! Du, der Du bei all Deinem mächtigen, irdischen Schreiten Deine ausgesuchtesten Streiter immer aus den königlichen Kammern des niederen Volkes erwähltest; tritt darin für mich ein, O Gott!

und Jendis:

Wenn ich mich also hernach nicht scheue, auch gemeinen Seeleuten und Abtrünnigen und Verstoßenen edle, wenn auch dunkle Eigenschaften zuzuschreiben; wenn ich tragische Züge um sie webe; wenn sogar der Erbärmlichste, ja gar der Allergeringste von ihnen sich bisweilen zu den höchsten Höhen aufschwingt; wenn ich den Arm dieses Arbeiters in ein ätherisches Licht tauche; wenn ich einen Regenbogen über die sinkende Sonne seines Untergangs spanne; dann stehe Du mir bei gegen all die sterblichen Kritikaster, Du gerechter Geist der Gleichheit, der Du den ungeteilten Königsmantel des Menschentums über mein ganzes Geschlecht gebreitet hast! Ach, steh mir bei, Du großer demokratischer Gott! Der Du dem schwärzlichen Sträfling Bunyan die hellweiße Perle der Poesie nicht wolltest wehren; der Du den Armstumpf des alten, in Armut gefallenen Cervantes bekränzt hast mit zweifach ausgetriebenen Blättern feinsten Goldes; der Du Andrew Jackson aus dem Staube holtest, ihn auf ein Schlachtroß warfst und höher noch als auf den Thron ihn donnernd hoch emporhobst! Der Du bei Deinen Siegeszügen hier auf Erden die Besten deiner Kämpen stets aus dem königlich gemeinen Volke hast erwählt – steh Du mir bei, o Gott!

Die Kapitelüberschrift Knights and Squires haben beide mit Ritter und Knappen übersetzt, den Originaltext tipp ich jetzt nicht auch noch ab, weil Sie den leicht selber finden.

Starbuck hätte ebenso gehandelt.

Katee Sackhoff als Starbuck beim letzten Abendmahl

Text Ritter und Knappen: Zweitausendeins resp. Hanser; Text Paul Ingendaay: Schreibheft 57, September 2001; Bilder: gay news blog, 19. August 2005; Liberal Serving, 15. Januar 2007; cobolhacker, August 2008; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

8. August 2007 at 1:07 am

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Gewiss kann es kein Olivenöl sein

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Der Wolf schreibt Herman Melville hinterher, was Herman Melville in Kapitel 25: Postskriptum seinem eigenen Kapitel 24: Der Anwalt hinterherschreibt:

Sehr geehrter Herr Melville, lieber Herman,

Sailorette www.fy.nodas hast du wieder sauber hingekriegt. Habt ihr euch zu deiner Zeit in New York und auf dem Land in Arrowhead auch schon Anwaltswitze erzählt? Habt ihr euer abgenabeltes Mutterland, die königstreuen Briten, beim Maisschnaps mit ihrer Königin aufgezogen?

Der Kalauer mit dem Staatlichen Salzfass und dem Pfefferstreuer musste natürlich sein, sonst hätte es dich vermutlich zerrissen, und es auch keiner was davon gehabt. Und Könige mit Rizinusöl salben, kichergnicker. Logisch, Walrat muss es sein. Da ist er ja, der aufrechte Demokrat, der ruppige Walfänger, das Salz nicht einfach der Erde, nein gar des Meeres.

Das Gefühl kennt ja niemand besser als ich: Lieber einen guten Freund verlieren als einen Lacher auslassen. Was mich allerdings bei dir interessiert hätte:

Als sie dir qua einem roten Federstrich das ganze Kapitel 25: Postskriptum aus der Londoner Erstausgabe rauslektoriert haben, hat sich da die Kapitelzählung bis zum Schluss um 1 weniger verschoben?

Komm, so zwanghafte Typen wie uns lässt sowas doch nie ruhig schlafen. Hast du damit erreicht, was du wolltest? Ja?

Na, dann is’ gut.

Stets einer deiner sieben zweitgrößten Fans der dreizehn Weltmeere,
der Wolf

Toothpaste for Dinner

Written by Wolf

28. May 2007 at 4:15 am

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Der Wolf hat gelesen: Kapitel 24: Der Anwalt

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Who would have looked for philosophy in whales, or for poetry in blubber.

John Bull, Kritik zu Moby-Dick, 25. Oktober 1851

J. Ross Browne, Barzy and the Madagascar ChiefWie war der Ausdruck Walgesang mal gemeint? Eine Lanze brechen klingt immer auch kriegerisch, dieses Kapitel 24: Der Anwalt hat aber so gar nichts von Angriff, ist höchstens eine leidenschaftliche Verteidigung des ehrbaren Gewerbes der Walfänger. Eine Leidenschaft, die sich in einer nicht weniger denn hochlyrischen Prosa äußert. Ein Walfanggesang.

Zeitgemäß ist was anderes: Gerade die Vorwegnahme aller Einwände in Form einer Liste, die systematisch widerlegt wird, riecht nach vorauseilender Verteidigung – nach jener Art von Entschuldigung, mit der man sich anklagt. Seit wann genau ist das eigentlich verpönt?

Auch die Gründe, aus denen der Walfänger ein so überragend ehrenvolles Gewerbe versehen soll, sind zweierlei: Die unschönere Hälfte verbindet Walfang mit dem Soldatenhandwerk, was man in dieser Tonart noch nicht wieder allen demokratisch gesinnten Leserschaften so vorsingen kann; die hard facts hören sich, auf ihren Inhalt heruntergekocht, wiederum ganz sinnvoll an: Walfänger

  • erforschen
  • kontaktieren und
  • demokratisieren

Länder, die bislang nur entlegene, unwirtliche Weltecken waren, was in Melvilles Sinne ja dann auch ein lobenswerter Ehrgeiz ist. Networking unter verschärften Bedingungen und ganz ohne Internet – einem wie mir muss dieser Vergleich kommen. Suspekt werden solche Umtriebe erst mit dem modernem Wissen, dass Menschen profitgierige Egoisten sind und Missionare auch nur Menschen, und dienstreisende Tierjäger erst recht.

Auf 1851 umgerechnet finde ich Melvilles Argumentation allerdings sauber zusammengedacht und pointiert vermittelt. Wir reden ja nicht von Infotainment.

Vergleichen wir die Zahlen, die Melville zur Ehre des Walfängers an sich anführt, mit denen, die sein 2001er Kommentator Göske aus Melvilleschen Zeiten aufgetrieben hat, so erhellt: Melville hat sogar noch untertrieben. Fälschen von Statistiken unter dem Vorwand “Ist doch alles nur Poesie” kann man ihm nicht vorwerfen.

2007, in Zeiten ruchlos beschönigter Selbstdarstellungen und des laxen Umgangs mit Zahlenmaterial aus weit niedrigeren Beweggründen denn der Ehrenrettung des eigenen Berufsstandes, fragt man sich, grundsätzlich misstrauisch bis zum Zynismus geworden: Wie kommt’s?

Ich nehme stark an, Melville lag persönlich einiges daran, als (gewesener) Walfänger gesellschaftlich anerkannt dazustehen. Seine Bestseller-Erfolge (Typee, Omoo, später ein politisch bedeutsames Aufflackern mit White Jacket) hatten nachgelassen, er stand noch im nationalen Bewusstsein als der gutuassehende Seebär, der wundersamerweise schreiben konnte; sein thematischer Vorgänger Richard Dana, der mit Two Years Before the Mast, hatte im Gegensatz zu ihm ein Studium vorzuweisen – in nahezu allen biografischen Überblicken zitiert wird Melvilles trotzig arbeiterstolzer Kapitelschluss “Ein Walfänger war mein Yale College und mein Harvard” – da winkte an einem nebligen Horizont wohl ein Ruf als verkanntes Genie. Melville als Der Anwalt ist sein eigener.

Die Sorge war nicht akut, aber begründet. Die Quellen, aus denen Melville geschöpft hat, sprudeln offenbar heute so verborgen wie 1851. Sehen aber online sehr schön aus und werden von akademisch gebildeten Freunden der christlichen Seefahrt liebevoll gepflegt. Ich gebe sie dem interessierten Stöbern anheim:

J. Ross Browne, A Scramble for Salt Junk

Written by Wolf

27. May 2007 at 1:48 am

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Kapitel 23: Land in Lee oder Kennt ihr nun Bulkington?

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Zeit für einen Fachartikel. Der letzte stammt vom Neunten.

Einige Kapitel zuvor war von einem gewissen Bulkington die Rede gewesen, einem hochgewachsenen Seemann, der eben erst abgemustert hatte, als ich ihm in einem Gasthaus New Bedfords begegnete.

Olde Chequers InnSo weit Melville, anfangs Chapter 23: The Lee Shore, in der Zunge von Jendis.

In der Übersetzung der beiden Seifferts heißt das Kapitel ungefähr geradeso inhaltsfremd: Der sichere Port. – Weiter mit Jendis: “Einige Kapitel zuvor” heißt: in Kapitel 3, hier auf Seite 53; das Gasthaus New Bedfords heißt Spouter-Inn oder Zum Walfänger und unterstand Peter Coffin (allerdings weder dem aus Berlin noch dem Bischof von Ottawa); “gerade erst” heißt nach einer Seefahrt von vier Jahren.

Daran sollten wir uns erinnern, Kapitel 3 hatten wir schon. Ist da einem von uns die Figur Bulkington aufgefallen? Falls ja, war sie uns keine Erwähnung wert.

Dabei hat mein eigenes Exemplar sogar einen Bleistiftvermerk auf Seite 53: “Bulkington s. Kap. 23 S. 188”, offenbar aus der Absicht heraus, bei Gelegenheit darauf zurückzukommen, man weiß es nicht, das war vor acht Monaten, und das kann ich jetzt wieder meinem Frisör erzählen. Besonders wichtig erschien Bulkington jedenfalls keinem von uns.

Wo der Bulkington bei seinem ersten Auftauchen doch so schön plastisch beschrieben wird. Kapitel 3 war ein ziemlich langes, 20 Seiten bei uns, dicht vollgepackt mit Fakten und Atmosphäre, da ist uns der erste detailliert beschriebene Seebär nicht mal aufgefallen, als Melville ihn aus dem Kneipengetümmel hochgehoben und vor die Nase gehalten hat:

Dieser Mann erweckte sofort meine Neugier, und da die Meeresgötter bestimmt hatten, daß er bald schon mein Bordkamerad werden sollte (wenn auch nur als stiller Teilhaber, was diese Erzählung betrifft), will ich es hier unternehmen, eine kurze Beschreibung von ihm zu geben. [Auffallend groß, muskulös, gebräunt, stilles Wasser, Südstaatler; bei seinen bisherigen Bordkameraden “überaus beliebt”.] Als das ausgelassene Treiben seiner Genossen den Höhepunkt erreicht hatte, schlüpfte dieser Mann unbeobachtet hinaus, und ich bekam ihn nicht mehr zu Gesichte, bis er mein Kamerad auf See ward.

Jendis-Übersetzung, Seite 53.

Wie genau braucht man ein foreshadowing noch? Memo an mich: Genauer lesen, Mister Leben-mit-Herman-Melville.

In diesem erkärten six-inch chapter, was auf Deutsch Westentaschenkapitel heißt, soll Bulkington wohl exemplarisch für die gesamte Mannschaft stehen: Manche Leute kommen besser auf See zurecht als an Land, und gerade der Schrank von einem Kerl aus den Alleghanies in Virginia, also mutmaßlich ein versprengter Deutschstämmiger, hat’s zuletzt nicht unter vier Jahren zur See gemacht. Die meisten anderen Mitglieder der Besatzer sind Insulaner aus der ganzen Welt; der Vorgesetzte von allen, Captain Ahab, stammt zum Beispiel aus Nantucket und hat einen größeren Teil seines 58 Jahre währenden Lebens zu Wasser denn zu Lande verbracht; die Schiffseigner, ebenfalls Nantucketer, sind beim Auslaufen kaum von Bord zu bewegen.

Hochlyrisch die Sprache des ganzen Kapitels, ein wahres Hohelied auf die tiefe Wahrheit und Mystik, die im Meer steckt.

Kennt ihr nun Bulkington?

Glaub schon. Bulkington und seinesgleichen. Kapitel 24, das Hohelied auf den Walfang, kann kommen.

Zuzüglich zum Primärtext sollte das die Online-Coverage zu Bulkington ergeben, protz.

Written by Wolf

16. May 2007 at 1:28 am

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Kapitel 22: Fröhliche Weihnachten

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So weit also hätte ich mit dem Leseprojekt bis Weihnachten sein wollen. Kurz vor Ostern erhellt: Doch, hätte schon gepasst.

Endlich wieder eins von den wirklich staatstragenden Kapiteln. Wird auch Zeit: Der Primärtext hat in unserer Ausgabe 866 Seiten, und auf Seite 187, das ist bei 22 % der Gesamtlänge, laufen sie endlich mal aus, die Stubenhocker von Seebären. Schöner Seefahrerroman.

Nachdem in aller gebotenen Besonnenheit und allegorischen Breite klar gemacht wurde, wie das Buch ausgehen wird, muss eigentlich nur noch das Unausweichliche durchdekliniert werden. Die Spannung im Sinne von suspense hat Melville damit drangegeben, aber was für Konsumbärchen sind wir wohl, zu glauben, dass ihm daran lag.

Nix da. Es ist schon passend so: Die Spannung in Moby-Dick liegt im Unterwegssein, nicht im Ankommen. So dramatisch es ausgehen wird: Mittlerweile ist das Ziel klar, für den Weg dorthin bleiben noch 78 % Restlänge. Und gerade dazu passt die ganze Vorläufigkeit, das unlektorierte Dahingaukeln, das nicht mal eine anständige Komposition ist.

Ich verstehe auch, dass man das mögen muss, um es zu mögen. So viel Vertrauensvorschuss braucht das Buch. Meine Verlags- und Buchhandelsausbildung sagt mir: blankes Kassengift, sowas. Hätte heute keine Chance auf dem Markt. Und hatte es genau genommen auch 1851 nicht – aus anderen, nämlich weltanschaulichen Gründen, die sich aber genau auf diese formalen Mängel hinausredeten, weil das leicht ist. Das Erschaffen des eigenen Lesers ist damit beendet; wer bis hier gelesen hat, hält bis zum FINIS durch.

Es stimmt ja sogar: Formale Mängel gibt’s genug. Die Tante Charity ist, wie man eingangs Kapitel 22 hört, außer Bildads Schwester plötzlich auch noch Stubbs Schwägerin. In dieser Art Rätsel – “Brothers and sisters have I none” – war ich nie gut: Wer ist demnach mit wem verheiratet?

Die Kapitelüberschrift Merry Christmas scheint in einem Anfall von Bedeutungsschwangerschaft gewählt: Natürlich kann die Pequod nicht irgendwann ausfahren, sondern wenn schon, dann an einem sehr hohen christlichen Feiertag vor, genau: Jahresende. “Es war ein kurzer und kalter Weihnachtstag” (Seite 184) und fertig. Ansonsten äußert sich Weihnachten im Hafen nicht weiter. Nicht mal Tante Charity, die doch sonst alles mögliche anschleppt, hat Plätzchen mitgebracht oder was immer der Presbyterianer am Heiligen Abend zu sich nimmt (Apple Pie, wetten?).

Soll ich weitermachen? Ich erspare es uns, ich komme mir schofel dabei vor. Das Unterwegssein macht nämlich durchaus schon Spaß: Etliche Lieblingsstellen hab ich in diesem Kapitel:

  • Natürlich das Bild vom fromme Lieder singenden Bildad, der nicht nur Pelegs Ablegemanöver, sondern auch noch die losen Lieder über die Mädchen aus der Booble Alley zu übertönen versucht, die er eigentlich untersagt hat.
  • Soso: Ein Anker wird also nicht nur gelichtet, sondern wenn er sichtbar über Wasser ist, bis unter den Bug gekattet. Das geschieht am Gangspill, und zwar vermittelst der Handspaken.
  • Obacht heißt auf Nautisch: Wahrschau. Muss ich mir merken.
  • Nochmal soso: Peleg weiß ganz gut, dass es auf Südseeinseln gerne unzüchtig zugeht. Wenn man über den (ohnehin weit gefassten) Tellerrand des Moby-Dick hinausgeguckt hat, erinnert einen das ans seinerzeit berüchtigte 18. Kapitel von Typee. Peleg weiß wohl so gut wie sein Schöpfer Melville, wovor er da warnt.

Wer noch formale Mängel findet, darf sie behalten. Da passt nämlich jeder einzelne ganz gut.

Toothpaste for Dinner

Written by Wolf

14. March 2007 at 1:36 am

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Kapitel 21: Es geht an Bord

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Hanin EliasUnd da ist ja auch wieder mein anderer special friend, der Elias. Ich hab mir ja auch schon ein Schild “Ich schäme mich” umgehängt, dass ich Melville nicht zugetraut hab, seinen zauseligen Propheten ohne Taschenspielerei noch einmal erstehen zu lassen. Das Loose End mit seinem linken Arm, der möglicherweise, hihi, ab-handen gekommen ist, bleibt erhalten.

Woher weiß Ismael eigentlich, dass die Reise drei Jahre dauern und die Route zum Indischen Ozean und Pazifik führen soll? Setzt man beides bei einer Walfängerei so voraus oder war das jetzt loose-end-nickelig von mir? Hätte Melville den Elias vielleicht doch noch gern mit auf die Pequod verfrachtet, ohne den dramaturgischen Dreh hinzukriegen?

Jedenfalls gewinnt Elias durch seine bloße Wiederkehr an Bedeutung, jetzt mal rein quantitativ und welche Bedeutung außer dem dauernden foreshadowing der finalen Katastrophe auch immer. Ich glaub, wir haben’s geschluckt.

Queequeg musste zwischendurch mal wieder was Wildes, Exotisches anstellen und benutzt Personen minderen gesellschaftlichen Ranges als Sitzmöbel gleich den alteuropäischen, aber sprichwörtlich gottlosen Hunnen, die Seebären trotten paarweise an Bord wie auf die Arche Noah, als die letzten ihrer Art, die eine überlebte, nicht mehr lange überlebende Welt hinter sich lassen – es ist alles höchst beziehungsreich bis gespensterhaft.

Dafür winkt aus dem Off die nächste Lieblingsfigur: Starbuck. Mal abgesehen von seiner Patenschaft für fragwürdige Kaffeesiedereien: Den werden wir mögen.

Going aboard

Written by Wolf

15. February 2007 at 2:29 am

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Kapitel 20: Reger Betrieb

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Wer hat da noch während der frühen Zurüstungen in den präliminarischen Kapiteln danach gekräht, dass es doch endlich an Bord gehen möge, meine geschätzten Mitleser? Jetzt, auf Höhe von 14,8–15,6% der Kapitel, wo Ismael und Queequeg endlich Planken betreten, um sie erst nach drei Jahren wieder zu verlassen, und die Weltpresse in Gestalt von Cetacea auf uns aufmerksam geworden ist, sind noch ungefähr 1,5 Mitleserinnen übrig, die sich ebenfalls nicht gerade vertraglich zu irgendwas verpflichtet haben. Nach dem 135. Kapitel war Ismael auch allein…

Aunt Charity AndersonDie Beobachterrolle, die Ismael wie von selbst einnimt und bis zum Ende wohl nicht mehr aufgibt, wird ihm im 20. Kapitel All Astir ja sogar von offizieller Seite zugestanden: Nicht einmal das Schiff, das er im Verlauf der folgenden Jahre wieder leerzufuttern gedenkt, muss er selbst mit Proviant und Arbeitsmaterial beladen helfen; lang leben die Schauermänner und Takelgäste.

Eine neue Lieblingsfigur hab ich: Bildads Schwester, eine der doch unerwartet vielen Frauen im Buch, die sich offenbar ungefragt in die Ladearbeiten einmischt. Muss man sie nicht lieb haben, die kleinen alten Damen, die sich die fürsorgliche Oma raushängen lassen, und gälte es die Rente? Solche aufdringlichen Mütterlichkeiten auf zwei Beinen kenn ich sehr gut, ich musste mich eine frühe Kindheit lang gegen sie wehren, und es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich sie schätzen lernte. Wenn man erst seine seelischen Grenzen so klar definiert hat, um sich zu sagen: Ach Gott, die Guten können halt auch nicht aus ihrer Haut, und sie sich bei Bedarf wieder vom Leib halten kann, in welchem Falle die lieben Omas tatsächlich richtig ranzig werden können, geht’s.

Das funktioniert mit sehr freundlichen, sehr eindeutigen Botschaften: kurze Sätze! Klare Anweisungen! Immer mit genau einer Begründung! Gar keine Begründung wird als unhöflich und damit als Freischein, ja Verpflichtung zum Weitermachen aufgefasst, zwei und mehr Gründe können sich schon widersprechen, und damit macht man sich angreifbar. Sich den vierten Teller Grießbrei, den fünften selbergebrannten Zwetschgengeist oder eben ungerufene Krüge mit Eingelegtem, Wolldecken, Federkiele und Trankellen zu verbitten, ist eine harte Übung, der nur die psychisch Kerngesündesten gewachsen sind.

Das war ein Tipp: Bildads Schwester und Ihre Oma wünschen Anerkennung, genau wie Sie und ich auch. Auch wenn Oma nicht offiziell bei den Quäkern eingeschrieben ist – diese Art Mildtätigkeit ist weit verbreitet in Kreisen, die sich nur als irgendwie christlich verstehen. Tante Charity meint es gut. Nun ist “gut gemeint” das Gegenteil von “gut”, aber auch wenn Ihre eigene Oma Charity damit nichts als Scheiße baut, soll man sie deswegen nicht für böse halten.

Ismael steht mittendrin, lässt die Schiffseigner und ihre Beauftragten machen und wird sich, gerade bei seinem Mutterbild, hüten, Tante Charity in den Weg zu rennen. Wird ihm die Aussicht auf drei Jahre ohne Festlandkontakt vielleicht doch langsam unheimlich? – Es wäre nicht unmenschlicher als die Regungen von Quäkertante Charity, zu deren Schiffseigneranteilen auch die zweibeinige Ladung gehört.

Die Crew

Written by Wolf

14. February 2007 at 2:03 am

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Kapitel 19: That’s a human prophet all right

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“Mein Name ist Elias!” Angeschossen stolpert er rückwärts, schleudert Clint Eastwood kryptische Worte, allen voran seinen Namen, ins Gesicht, hält sein blutendes Bein fest, strauchelt, kippt hintüber in den Straßenstaub. “Elias!” fletscht er die Zähne und verröchelt vor dem Saloon.

Dennis Hopper MugshotNein, das ist nicht Melville, das ist Hängt ihn höher.

Auch wenn sie von Dennis Hopper gespielt werden, vielleicht auch gerade deswegen, haben Propheten in Amerika offenbar keinen großartigen Stand. Bei Melville wird er sogar von Ismael, den man bisher als recht aufgeschlossen und menschenfreundlich kannte, beschimpft. Gut, das kommt daher, dass man einen free born American nicht von der Seite anquatscht, da kann man ihn anscheinend schnell bei der Ehre packen. Trotzdem hat er mich fast erschreckt.

Interessant wäre, wie Ismael reagiert hätte, wenn er nicht seinen großen starken Busenfreund Queequeg an seiner Seite wüsste – dessen bekannt spektakuläre Erscheinung keinen der Erwähnung werten Eindruck auf Elias macht. Auch so ranzig? Oder wäre dann der abgerissene Prophet der Kauz geworden, bei dem es selbstverständlich auf die inneren Werte ankommt, nach denen man nur erst gebührend forschen muss? Mein innerer Dramaturg tippt auf letzteres.

Seinen linken Arm, den Elias da beschwört, halte ich für ein typisches Loose End seitens Melville.

Look ye; when Captain Ahab is all right, then this left arm of mine will be all right; not before.

Hei, wie das übersetzt wird! Jendis sagt dazu getreulich:

Hört mal, wenn mein linker Arm hier in Ordnung ist, dann wird auch Kapitän Ahab in Ordnung sein, vorher nicht.

Interessant wird’s bei Alice und Hans Seiffert:

Seht her: Kapitän Ahab wird so bald ganz gesund sein, wie mein linker Arm mein rechter wird. Eher nicht.

– wie sie alles geben, all right als Ortsangabe rechts zu übersetzen, damit sie dem Elias beide Arme lassen können. Ist das geschickt und gar nicht so blöd oder schon ein Eingriff? Sagen wir: ein Eingriff, aber gar nicht so blöd. Daniel Göske will es in den Anmerkungen (Seite 949) fast schon verbissen als beabsichtigt sehen:

Ob auch sein “linker Arm” (S. 168) von Moby Dick versehrt wurde und ob Kapitän Ahab schon vor seiner Begegnung mit dem weißen Wal Altar und Kelch (die “silberne Kalebasse”) einer Kirche in der peruanischen Hafenstadt Santa entweiht hat (S. 169), bleibt ebenfalls offen.

Glaub ich nicht. Man kann diese Deutschlehrerfrömmigkeit auch übertreiben. Luzider an derselben Anmerkung finde ich vielmehr die Stelle kurz davor, dass Elias auch in der Bibel (1. Buch der Könige, Kapitel 17 bis 21) Ahabs direkter Gegenspieler ist, auch wenn er dort weit deutlicher wird als Melvilles eher harmloser Wirrkopf: Der Prophet Elias ist es nämlich, der dem König Ahab so plastisch-drastisch droht, die Hunde werden im Weinberg sein Blut auflecken, mjamm.

Zum Charme von Moby-Dick gehört ja, dass Melville alles ziemlich unkomponiert runtergeschrubbt hat, atemlos, live, authentisch, und außer dem Londoner Zensor nicht mehr viele Lektoren draufgeschaut haben. Ein Loose End dieses minderen Ausmaßes finde ich daher verzeihlich; es ist doch sowieso klar, dass Elias seine Rolle im Roman mit diesem Auftritt erledigt hat (sollte er nach Art nur der allergrößten Propheten wiederkehren, war’s ein fortgeschrittener Kunstgriff, und solche Taschenspielertricks überlassen wir lieber Paul Auster): die nächste Stufe der Düsternis in den Vorahnungen, den Untergang der Pequod betreffend, zu erklimmen. Irgendwie mag ich ihn, und der Ismael soll sich mal nicht so haben, nur weil er zufällig seinen Indianer dabei hat.

Und wo wir gerade so schön bei Dennis Hopper und düsteren Stellen sind, zum Schluss eine in jeder Hinsicht eingehende Interpretation zu Blue Velvet, in der wir staunen dürfen, was all right noch alles heißt.

Written by Wolf

27. January 2007 at 5:50 am

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Kapitel 18: Dem Wolf sein Zeichen

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Das wahre Lexikon der Gegenwart bei UllsteinBis hier und noch viel weiter zeichnet sich ab, dass Namen bei Melville mehr Funktionen haben als die Leute zum Deckschrubben zu rufen. Namen charakterisieren – besonders schön war ja der Peter Coffin – und stiften Identität.

Schwierig wird’s bei Queequeg, dessen Sprache allein er und sein ebenso überschaubares wie fernes Volk verstehen. Denn was, haben wir bei Umberto Eco gelernt, sind Namen? – Zeichen sind sie. – Und was sind Zeichen? – Allgemein verständlich.

Es ist ein Mythos geworden: Adam macht sich die Erde untertan, indem er den Tieren ihre Namen verleiht, Liebende melden Besitzanspruch aneinander an, indem sie einander exklusive Kosenamen verpassen, die Juden, das Volk der Schrift, versuchten seit je, Einfluss auf die Wirklichkeit zu nehmen, indem sie eine richtig beschaffene Kette von Lauten aussprachen, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.

Wo Ismael mit seinem Namen unterschrieben hat, kann Queequeg also genauso verbindlich sein Zeichen setzen. Speziell seins ist besonders eng mit seiner Person verknüpft, indem er es auf den Arm tätowiert trägt.

Wer damit allerdings nicht so recht umgehen kann, sind Good Cop Peleg und Bad Cop Bildad, die ihn nach seiner kurzen Arbeitsprobe gar nicht eilig genug in Dienst nehmen können: Für den “Quakquak” hätte sich Captain Peleg noch fast entschuldigt, der nicht ganz so lächerliche “Quohog“, das laut Kapitel 14 (hier: quahog) eine für Nantucketer bedeutende Muschel bezeichnet, landet offiziell in der Musterrolle.

Religionskritik fällt leicht, bigotte Frömmler sind ein wohlfeiler Gegenstand aufgeklärter Spötter, das komische Element an quäkerischem Gebaren offenkundig. Das aber finde ich ganz durchtrieben von Melville: wie sie den herangeschleppten Queequeg anfangs mit “Sohn der Finsternis” anreden, ihm erst mal den Katechismus abnehmen und anschließend aufdrängen, ihn wegen offensichtlicher wirtschaftlicher Opportunität dann doch einstellen, und zwar jetzt vielleicht bitteschön doch lieber ohne ihn seiner Wildheit zu entkleiden – aber ihn qua Namensverdrehung doch eines Stücks seiner Identität berauben.

Selbst der Setzer der Erstausgabe nimmt ihm posthum aus technischen Gründen noch das Unendlichkeitszeichen weg, was ja wohl kaum noch symbolträchtiger geht, diesmal sogar ins richtige Leben überlappend. Und keiner hat’s gemerkt.

Written by Wolf

14. January 2007 at 5:36 am

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Ramadan. Wolf hat das 17. Kapitel gelesen

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Ramadan, das ist, wenn meine türkischen Nachbarn ausrasten. Haben den ganzen Tag so einen beseligten Blick, einen handfesten Widerstand gegen flüssige und feste Nahrung, die Frauen hennarote Handflächen, aber in der Nacht Halligalli und kein Gedanke an Widerstand. Das geht einen ganzen Monat lang so.

Mein zuständiger Gemüsehändler hat mir mal “Und fröhliche Weihnachten auch!” gewünscht.

“Wie – Weihnachten? Sind Sie nicht Moslem?”

“Dochdoch schon!” grinste er extrabeseligt.

“Was hamse denn dann mit Weihnachten an der Mütze?”

“Hähä – ich feiere alles!”

Wohl dem, der einen Ramadan hat. Und was hat das Christentum? Eine Fastenzeit. Und zwar eine, die keineswegs irgendwelche Ausschweifungen nach Sonnenuntergang vorsieht, ja sogar mehrere.

Und Ismaels religiöse Auffassung vom Anfang hab ich mir beim ersten Moby-Lesen vor zwanzig Jahren voll Bewunderung und Klar-warum-nicht-gleich-So spontan zu eigen gemacht: “Ich hege den größten Respekt gegen jedermanns religiöse Pflichten, wie absonderlich sie auch sein mögen, und brächte es nicht einmal übers Herz, eine Ameisengemeinde geringzuschätzen, die einen Fliegenpilz anbetet.”

Militante Toleranz. Sollte man so vielen auf der Welt unter die Nase reiben, die glauben, sie hätten die Religion erfunden. Da kann ich intolerant sein…

“Je ne suis pas d’accord avec ce que vous dites, mais je me battrai jusqu’au bout pour que vous puissiez le dire.” Es lebe mein Gemüsehändler, der Voltaire eifrig beigepflichtet hätte.

Lieblingssatz aus dem Kapitel: “Zum einen war er es nämlich offenbar leid, sich etwas über diese wichtige Frage zu Gemüte zu führen, wenn sie nicht von seinem eigenen Standpunkt aus betrachtet wurde.”

Queequeg, der in der üblichen Rollenverteilung Gegenstand der Toleranz sein sollte, lässt in den letzten Dingen selber nicht übertrieben gern mit sich reden. Aber es bleibt eine menschliche Regung und wird nicht gleich ein Clash of Cultures.

Knackiger kann man das nicht sagen.

Written by Wolf

5. January 2007 at 4:35 am

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Kapitel 16: Das Schiff trägt keine Seewölfe

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Speaking words of wisdomEin großes Kapitel, alles was recht ist. Eigentlich mindestens drei. So gesehen kein Wunder, dass man wochenlang so misstrausisch außenrum schleicht… Gelesen hat man’s ja bald, es liest sich sogar ausgesprochen süffig – aber was Kluges drüber zu sagen ist nochmal ein ganz anderes Unterfangen: Man stinkt ja so leicht dagegen ab. Ist es Zufall, dass einer der beiden verdienstreichen Volltexte in Weblog-Form ausgerechnet mit dem 16. Kapitel abgebrochen wurde? (Weiterhin online steht Moby Dick By Herman Melville.)

Gegen Melville abstinken kann keine Schande sein, also was soll die Schüchternheit. Machen wir’s mal extra realschülermäßig.

Was erfahren wir? – Erstens die Pequod. Ein Totenschiff ist sie sichtlich. Was uns dazu einfallen darf: B. Traven, Das Totenschiff, 1959 verfilmt mit Horst Buchholz, Mario Adorf und Elke Sommer, über das Traven vielleicht ohne Anklang an die Pequod schreiben konnte, aber nicht ohne an sie zu denken – und dann bitte wieder etwas gezügeltere Bahnen.

Zweitens: Die Schiffseigner Captain Peleg und Bildad veranstalten mit Ismael ein Good-Cop-Bad-Cop-Spiel, damit er dankbar ist, überhaupt den 300. Teil vom Gesamtumsatz zu bekommen, was ja über 100% mehr als der zuerst veranschlagte 777. Teil ist (woher eigentlich die schiefe Zahl? Eine Reminiszenz an die Number of the Beast aus der Bibel?) – und dann bitte wieder mehr Text und weniger unbegründete Textaufgaben.

Drittens: Captain Ahab ist ein sehr kluger, weitgereister, respektabler Mann, noch bevor er überhaupt auftritt – und ein glücklicher noch dazu, weil er trotz einer schweren Körperbehinderung in einem Beruf, der aus Körpereinsatz ja geradezu besteht, bei seinen Vorgesetzten derart gut angeschrieben ist. Am spannendsten fand ich im Jendis/Göske (Seite 946 f.), dass Ahabs biblischer Namensvater nach heutigem Maßstab kein rein verworfener Teufelsbraten, sondern ein ausgesprochen fähiger Staatsmann gewesen sein muss. Oder sieht man an beiden Umständen doch nur, wie sehr in den letzten paar tausend Jahren die Ansprüche an Führungskräfte gesunken sind?

Und dann: Ahab als Miltonscher Satan. Das ist eine dermaßen verlockende Parallele, dass man sich gar nicht einzulesen traut… Kommt noch, kommt noch…

Je länger man das ganze Kapitel vor sich herschiebt, desto mehr wächst mit dem Zugzwang der Respekt.

Written by Wolf

12. December 2006 at 4:02 am

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Kapitel 15: Chowder für alle

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Wie gut, dass ich von Anfang an meine teure Ausgabe mit Bleistift vollgemarkert hab, wo im Moby-Dick überall Frauen auftreten: Da tu ich mich am Schluss leichter, wenn ich alle Fundstellen im Überblick auflisten will – wofür immer das gut sein wird. Es gibt viele, die an Frauen ein natürliches Interesse hegen. Einstweilen untersagt mir meine Erziehung, aus dem Zusammentreffen von dominanten Frauen und sehr viel Fisch ausgerechnet in Gesellschaft von Frauen eine allzu sinnhafte Verbindung herzustellen. (Kommt ein Blinder ins Fischgeschäft: „Na, Mädels?“)

Und zu Weihnachten schenk ich mir endlich den Freudschen Drewermann

Written by Wolf

12. November 2006 at 5:09 pm

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Kapitel 14: Nantucket

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Jetzt hagelt’s aber Legenden.

Out of NantucketEs scheint, der Nantucketer an sich ist eine Art Ostfriese – nach allem, was man über amerikanischen Lokalrassismus weiß, die Fortsetzung des New Jerseyaners (heißen die so…?) mit maritimen Mitteln. Wer aus Franken (wahlweise Österreich, Saarland, Neufünfland) kommt, musste sich sowas oft genug anhören. Jede ethnische Formation hat ja ihr Opfervolk, über das sie Witze erzählt; das stiftet Identität und verbindet und schützt gegen die Angst vor den komischen Leuten hinterm Berg.

Nantucket kommt unter Melvilles Fingern noch ganz gut weg: Die hämische Charakterisierung ist Zitat, Ismael stiftet nur die Bewunderung für ein verschrobenes Völkchen dazu, das seit seiner Gründung durch vom Schicksal gebeutelte und nur zufällig herbeigeruderte Indianer seine eigene Suppe kocht. Ein abseitiges Inselvolk, das sich von einem vom Adler geraubten und gefressenen Indianerkind herleitet – das kann er nachvollziehen, der Lost Boy Ismael.

Und jetzt mischt er sich unter die anderen Lost Boys. Er kennt sie noch nicht persönlich, aber hier müssen sie sein, und ihnen gehört nicht die Welt, aber zwei Drittel davon schon, und zwar die nassen.

Langsam wird mir auch klar, warum Ismael sich so bereitwillig zur Freundschaft mit Queequeg entschlossen hat (wir erinnern uns: Es war ja ein bewusster Vorsatz: “Ich will’s mit einem Heidenfreund versuchen”, Busenfreund-Kapitel 10, Seite 105, und die ganze Zeremonie der Vermählung): Da hat ein Lost Boy den anderen erkannt und zum Freund genommen, und wenn schon, dann gleich den offensichtlichsten von allen – einen, der mit seiner knallenden schallenden Besonderheit womöglich noch schwerer in der Welt zurechtkommt als Ismael: Queequeg, diese Gladiole unter Primeln. Bei jedem anderen als Ismael hätte einem so eine 180°-Wendung verdächtig vorkommen müssen, vorschnell oder wie eine vorübergehende Laune, so von der todesängstlichen Reserviertheit hin zu nicht weniger als der Freundschaft fürs Leben innerhalb einer Nacht. Aber Queequeg Löwenherz, der Königssohn, macht mit seiner selbstverständlich unangestrengten Tapferkeit tatsächlich all das richtig, worüber Ismael alleine vermutlich nur trübe philosphieren könnte. Dochdoch, es haben sich schon die zwei Richtigen gefunden.

Die Freundschaft ist ja nun, wie Freundschaften so sind, gegenseitig. Was hat eigentlich Queequeg angetrieben, sich seinerseits mit Ismael zu vermählen? Ethnologisches Interesse? Praktische Erwägungen? Hat er instinktiv geraten, dass Ismael schon kein verkehrter Mensch sein wird? Weil er da war? – “Wilde sind freilich seltsame Wesen.” Seite 104.

Und weil grade noch Platz ist, ein Opferethnienwitz zum Weitererzählen: Billigstes Urlaubsland der Welt? – Die Schweiz: Da kann man mit Franken zahlen, hahaha…

Written by Wolf

4. November 2006 at 7:31 am

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Kapitel 13: Schubkarren im Dezember

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Toothpaste for DinnerWas am publikumswirksamsten Umberto Eco in der Nachschrift zum Namen der Rose “sich seinen Leser schaffen” nannte, ist Melville wahrscheinlich so absichtslos wie probat unterlaufen. Es musste einfach so viel gesagt werden, bevor das losgeht, worauf wir hedonistischen Lesefrüchtchen warten: eine ordentliche Action auf See. Die unter uns keine philosphischen Exkurse vertragen, sollten inzwischen rausgeekelt sein.

All die Aufbruchsstimmung hat was von Frühling, was mich darauf bringt: In welcher Jahreszeit handeln wir eigentlich?

Seit dem ersten Absatz in Kapitel 1 – “immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht” – war ich auf dem Trip: Logisch, November. Genaueres Hinterherforschen im ersten Absatz von Kapitel 2 bringt die Gewissheit: “Es war an einem Samstagabend im Dezember“. Öha.

Besonders adventlich wird’s nicht mehr werden. Selbst Vater Mapple hat über ein Thema gepredigt, das New Bedford wohl ganzjährig beschäftigt; wenn schon der 4. Advent akut wäre, sollte sogar der Exharpunier Lukas 2 aufschlagen.

Dafür imponiert mir umso mehr das Wochenende in Echtzeit, auf das man via Kirchgang den philosophsichen Überbau – oder ist es in diesem Fall ein Unterbau? – für die folgenden Verhängnisse projizieren konnte.

Dezember also, tippen wir mal auf den Montagmorgen nach dem 2. Advent, die eisbedeckten Bäume glitzern in der kalten, klaren Luft, und so wie unsere beiden Kumpels die Nüstern nach der frischen Seeluft blähen und sich schon mal von der ersten Gischt umschäumen lassen – ist das anders vorzustellen als frühlingshaft? Dann springt der Tropeninsulaner auch noch bedenkenlos und unbeschadet in die Eisbrühe, die ich auf Google Earth dauernd mit dem Golf von Labrador verwechselt hab… O ja, dieser Dezember ist der Anfang von etwas.

Wird das noch ein Schnelldurchlauf durch einen Jahreszyklus?

Leckerli zum Direktvergleichen: “Von jener Stund an klebte ich an Queequeg wie eine Entenmuschel am Schiffsrumpf” heißt im Original: “From that hour I clove to Queequeg like a barnacle”. Nichts von Schiffsrümpfen. – “Des is doch der Auster so wurscht.” (Shel Silverstein, übs. Harry Rowohlt)

Written by Wolf

3. November 2006 at 1:54 pm

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Biographisches: Queequeg lebt (Kapitel 11 & 12)

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Sehen wir’s mal dramaturgisch. Mir fällt auf, wie viel man unbewusst voraussetzt, was bisher noch gar nicht in der Geschichte drinstand. Oder hat jemand dran gezweifelt, dass Queequeg sich Ismael anschließen wird?

Tod eines HauptdarstellersBestimmt nicht – es wird aber erst auf Seite 114 beschlossen (“Ich fragte ihn nach seinen jetzigen Plänen” pp.), und dann fällt weiter auf, von wie langer Hand das begründet ist. Da braucht es annähernd 60 Seiten Exposition eines Charakters, Aufkeimen und Erblühen einer wunderbaren Freundschaft und schließlich die Lebensgeschichte samt status quo des jungen Wilden unter den Christen. Himmel, was hat der Puppenspieler Melville mit seiner Figur bloß noch alles vorgehabt?

Ursprünglich, weiß man, wollte Melville Queequeg (und Pip, den wir später kriegen) noch während der Walfangreise einem nassen Tod überantworten (Jendis/Göske, S. 881). Das Konzept hat er erst in einer späteren Schreibphase umgeschmissen zugunsten der Lösung, am Schluss die gesamte Mannschaft auf einmal zu versenken.

Hätte mir vielleicht sogar gefallen: Es hat einen großen Impact, wenn in einer Geschichte auch mal ein Sympathieträger gewaltsam aus der Handlung fällt.

Die andern dürfen doch auchBei Großmeistern des dramaturgischen Effekts wie Stephen King sterben ja auch immer ein paar von den netten Leuten. Bei Tarantino ist nicht mal der Kameramann seines Lebens sicher. Und der stilbildende Mord unter Dusche in “Psycho” lebt zu einer Hälfte genau davon, dass Hitchcock die Hauptrolle nach einer Dreiviertelstunde doch lieber an den Schurken übergibt.

Eine schon fast postmoderne Idee, die Melville da hatte: einen Charakter aufbauen, nur damit er einem ordentlich Leid tut. Hätten wir das miterleben dürfen, wenn Moby-Dick je einen anständigen Lektor gesehen hätte?

“Vielleicht aber wären gerade das mitreißend Ungestüme, die unbändige Phantasie und Sprachgewalt des jungen Melville in einem Maß zurechtgestutzt worden, das uns heute reuen müßte”, sagt Göske im Jendis (S. 875).

Ja, eben: Vielleicht. Das heißt aber auch: Selbst ohne schon bis zum Ende weitergelesen zu haben, dürfen wir darauf vertrauen, dass der nach allen Regeln des Handwerks eingeführte Queequeg uns jetzt als einer der Hauptcharaktere erhalten bleibt.

Die Mannschaft in einem Aufwasch zu dranzugeben, hat natürlich etwas Altmodischeres, oder respektvoller: etwas Archetypischeres, weil viel Apokalytischeres. Damit hat Melville sich wohl entschieden, Moby-Dick näher an die Bibel zu rücken – oder soll man vermuten: eine Gegenbibel zu entwerfen?

Naja, ist ja auch schön…

Written by Wolf

23. October 2006 at 6:33 am

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Kapitel 10: My Buddy is Over the Other Ufer

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Sind sie nicht goldig? Doktor Freud mag vor lauter Jagdtrieb nach so einer blühenden latenten Homophilie Augen so groß wie seine Brille bekommen, meine Frau mit bebender Stimme herumdüstern, dass sie’s ja schon immer geahnt hat, meine letzten Kumpels vor mir zurückschrecken (“Lass bloß die Pfoten auf deiner eigenen Seite!”) – aber haben wir uns nicht alle immer so eine Männerfreundschaft gewünscht?

Natürlich nicht, darf man ja nicht sagen, ist ja schwul. Und warum war das mit zehn Jahren so erhebend, als Winnetou & Old Shatterhand ihre Blutsbrüderschaft geschlossen haben – wie endgültig kann man sich noch mit einem Menschen vereinigen?, warum verbeißt man sich eigentlich heute noch die Tränchen, wenn in Winnetou III die Stelle kommt, wo Shatterhands bessere Hälfte in die ewigen Jagdgründe eingeht (doch nicht, weil Winnetou sich mit seinem letzten Schnaufer noch schnell zum Christentum – siehe Moby-Dick, Kapitel 9 – bekennt)?

Warum ist ausgerechnet in dem Erdteil mit den echtesten härtesten Kerlen der Welt das Händchenhalten unter Mannsbildern sozial erlaubt? Ausgerechnet im verklemmten, homophoben Orient, den derselbe Karl May fast so liebevoll feiert wie den verklemmten, homophoben Wilden Westen, wo der Schnurrbart noch als Insignium von Manneskraft gilt, nicht von Homosexualität?

Warum gebärden sich gerade die Schwulen in meiner Hood als die Krone der Männlichkeit (und da rede ich nicht von kreischenden, gackernden Fummeltrinen, die seit der Vorpubertät die Ellenbogen nicht mehr geradeaus strecken können)?

Ganz einfach: weil sie in allen Lebensbereichen ohne Frauen auskommen: How männlich can you get?

Mit zehn, im verlorenen Paradies des Karl-May-Alters, war es normal, anerkannt und wünschenswert, mit seinem besten Kumpel das Bett zu teilen. Das verbindet und schweißt zusammen gegen den Erbfeind, die Mädchen. Psychologisch ist das natürlich eine sexuelle Angelegenheit, aber eben “nur” im Verständnis sinnlichen Erlebens und nicht in jener genitalen Ausprägung, mit der die wenigsten umgehen können, die sich für gereifte Erwachsene halten.

Das Gekicher, mit dem man sich zwei Jahre später in derbe Schwanz- und Muschiwitze rettete und über dem man nichts mehr davon wissen wollte, dass man je mit anderen Jungs unter einer Bettdecke lag, nennen wir pubertär – und aus war’s mit der Unschuld. Dieses Paradies ist nicht wiederzugewinnen; man kann den Apfel der Erkenntnis Doktor Freud nicht vor die Stiefel speien.

Was man über genuin schwule Lebensbelange weiß, bezieht man ja größtenteils aus den Comics von Ralf König, die bei allem Klamauk ordentlich recherchiert und höchst glaubwürdig gestrickt sind; sie stammen aus erster Hand und denunzieren deshalb niemanden. Nach dem antiken Griechenland, Troja, dem Shakespearischen England und immer wieder der deutschen Gegenwart erwarte ich alsbald eine Bearbeitung des Moby-Dick-Stoffes.

War Herman Melville schwul? Bei vier Kindern aus einer (letztendlich doch) ungeschiedenen Ehe jedenfalls ungeoutet und unausgelebt. Offenbar kann er aber den Wunsch nachvollziehen, sich mit seinesgleichen zusammenzutun – was übrigens auch in seinem sonstigen Werk immer wieder aufblitzt.

Niemand glaubt, dass praktizierende Schwule frei von Beziehungsproblemen wären; niemand wünscht sich mit einer dermaßen ungeheuerlichen sexuellen Orientierung behaftet, dass er sie über kurz oder lang outen muss. Es liegt dennoch nahe, dass Mannsbilder untereinander besser verstehen, wie sie ticken, und ihr Problem deshalb leichter ausräumen können. Was man bei Ralf König lernt: Schwule Lebensweise ist auch kein Ponyhof, aber wenigstens kann man einschätzen, mit wem man es zu tun hat. Worauf man an manchen Tagen geradezu neidisch werden könnte.

Ismael & Queequeg leben anscheinend noch in ihrem Jungensparadies. Die können Freundschaft schließen, im Bett die Nacht durchquasseln, es unschuldig finden – und am Ende nicht als sodomitische Schwuletten dastehen, sondern weiterhin als Walfänger. How männlich can you get.

Written by Wolf

16. October 2006 at 8:51 am

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Die Predigt: Wolf hat das 9. Kapitel gelesen

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Father Mapple, Ann Nathan Gallery ChicagoEndlich geht’s mal ausführlich um ein sehr großes Wasser. An dieser Stelle ging es beim Originallesen los, dass man öfter das Wörterbuch als das Buch braucht. Bulwarks: Schanzkleid. Hach, all diese berückend schönen Wörter, die man normalerweise nicht mal auf Deutsch kennt.

Außer dem handfesten Anlass, dass ein Wal vorkommt, wird es noch einen anderen Grund haben, dass Vater Mapple übers Buch Jona predigt. Von Sünde und Schuld geht seine Rede, und zwar in reichlich beklemmender Lebensnähe. Man könnte glatt auf den Gedanken verfallen, das Thema lässt Vater Mapple persönlich nicht ganz kalt: Von welcher Schuld wird dieser Mann gebeutelt?

Das muss nicht mal von einem früheren Verbrechen herkommen. Ich war mal katholisch, wurde jedenfalls so erzogen, und weiß: Mit Schuld belädt man sich fatal schnell. Das ist geradezu das Hauptanliegen einer katholischen Erziehung: den Menschen klein und im Bewusstsein seiner immerwährenden Schuld zu halten. Es gab Zeiten, da hätt ich mich auch am liebsten sofort nach Tharsis oder sonstwo gemacht – wegen nichts – und nur mit einem T-Shirt mit der Aufschrift: “Ich bin schuld”. O ja, das gibt’s; ich versteh Jona.

Bei Vater Mapple hat das offenbar auch funktioniert, bei Melville erst recht, und jetzt geben sie es beide mit donnernder Eloquenz weiter. Der erstere einer Kirche voller Gemeinde, der letztere der literarisch empfänglichen Welt, noch 115 Jahre nach seinem Tod and still counting. Mich jedenfalls schaudert noch bei der plastischen Schilderung, wie sich Jona in seine Kajüte verdrückt, um sich seinen Panikattacken zu widmen.

Außer zum ganzen Moby-Dick ist Eugen Drewermann ja auch zu Jona ein ganzes Buch eingefallen. Welche Übervater- und Mutterschoßparallelen werden einen da wieder anspringen? Was Vater Mapple draus macht: “Weh dem, der zu gefallen trachtet statt zu erschrecken!” (“to appal”, nicht “to be shocked” oder dergleichen – also die Tätigkeit, nicht der Affekt), “Weh dem, der seinen guten Namen höher hält als das Gute! Weh dem, der in dieser Welt nicht nach Ehrlosigkeit strebt!”

Laut Vater Mapples dringenden Empfehlungen auf Seite 101 soll ich also meinen guten Namen in den Dreck ziehen, Leute erschrecken und dabei das Gute hochhalten, auf dass ich wahrhaftig bleibe? – Na Wahnsinn. Pommes dazu?

Von den seelischen Schäden mal abgesehen, die von derlei kirchlichen Lehren wenn nicht als Ursache, so doch mit aktiver Unterstützung ausgehen, hätte mir so ein Gottesdienst in meiner kirchlich begleiteten Zeit schon gut gefallen: Was Vater Mapple da zelebriert, besteht rein aus Predigt.

Predigt war immer mein Lieblingsteil in der Kirche. Z.E.N.: Zuschauen, Entspannen, Nachdenken; so lange kann man sich weder durch falsche Responsorien noch allzu obszönes Hostienkauen blamieren. Wie weit man seinen Lehren folgen will, kann man beim nachkirchlichen Frühschoppen immer noch entscheiden.

Bei Mapple findet keine Orgel, keine Eucharistie statt, die Audience Participation beschränkt sich auf Mitsingen eines Chorals am Anfang, und selbst da scheint es, als ob die Gemeinde nicht so richtig dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Pfarrer macht alles, der hat das gelernt und wird dafür bezahlt. Ein reiner Wortgottesdienst.

Welche Kirche feiert so? Die Reformed Dutch, nach der Melville erzogen wurde? Oder die Episkopalen von Pittsfield, denen er mit seiner Frau angehörte? Die Presbyterianer, zu denen Ismael sich bekennt? Die Unitarier aus Melvilles väterlicher Seite? Und wer von denen verbreitet diese autoaggressiven Ansichten? – Die Lehren und die Liturgien werden irgendwo einsehbar ausliegen. Wenn man schon Kirche haben muss, dann bitte mit so einem einnehmenden Prediger.

Bramstengenfreude (Melville/Mapple/Jendis) für alle!

Nach der Predigt

Written by Wolf

10. October 2006 at 6:03 am

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Kirche & Kanzel: Wolf hat das 7. & 8. Kapitel gelesen

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Wie war das? Calvinistische Reformed Dutch Church in America?

Was immer diese protestantischen Splittergruppen im einzelnen von ihrem Mainstream unterscheidet – ich hab noch nie bei einer verstanden, was sie überhaupt vom Katholizismus abheben soll. Es geht doch allen darum, jenem Jesus von Nazareth zu folgen, der seit 2000 Jahren and still counting Diskussionsstoff hergibt. Das ist ja dann auch okay so.

Ismael, unbeteiligter Beobachter, der er die ganze Zeit zu sein versucht, will doch gleichzeitig ein guter Mensch sein (und vermutlich gleich seinem Schöpfer ein guter Angehöriger der Calvinistischen Reformed Dutch Church in America) und gibt mit großer Selbstverständlichkeit den guten Christen. Überhaupt glaub ich, dass der gesamte Moby genau davon handelt: wie in der Welt ein gottesfürchtiges Leben zu führen sei.

Etwas ratlos macht mich die schon fast bildliche Wiedergabe der Marmortafeln in der Kirche. Wer ein Tausend-Seiten-Opus vorhat, ist ja nicht auf künstliche Seitenschinderei angewiesen. Die Gedenktexte müssen also von einer ziemlichen Wichtigkeit sein, die ich mir nicht erklären kann. “Kaltfröstelnde Inschriften”… Dafür hätte Fließtext gereicht, aber es musste ja 1:1 das Layout sein, im Trauerrand… (Den Rand bringt meine Originalausgabe übrigens nicht, dafür mehr Gedöns mit Schriftarten. Und auch keine genaueren Anmerkungen. – Ob wir mal eine Exkursion nach New Bedford machen und nachschauen, ob die Tafeln – “I do not pretend to quote” – wirklich da sind?)

Man wird sich wohl damit zufriedengeben müssen, dass die Inschriften den Kirchgängern so unmittelbar aufs Gemüt drücken, weil sie von ihrem Schmerz künden. Was man über Melville zusammenforscht, war er ja selber bis hin zur Depression von religiösen Zweifeln zerrissen. So einer kann gut nachvollziehen, wenn anderen irgendwas weh tut.

James UssherHat jemand die Zeitrechnungen nach der Septuaginta vs. Annales Veteris et Novi Testamenti von Bischof James Ussher mitgerechnet – oder aus der Anmerkung Seite 939 f. auch nur verstanden, wer genau wessen Datierungen korrigiert hat? Eine davon kann ja den Jahreszahlen nach nicht besonders lange “traditionell” geblieben sein. Erklär mir mal einer die Anmerkung…

Bevor ich wieder mehr Fragen als Antworten aufbringe, übergeb ich mal an den Herrn Pfarrer von Schrot und Korn. Endlich mal ein Kerl, dem man trauen kann. Vielleicht das, was aus Ahab hätte werden können, wenn er nicht diese lästige Psychose mit sich rumschleppte. Ein solcher möcht ich werden, wie Vater Mapple gewesen ist, sollte ich je groß werden.

Einer, der zu seiner Herkunft steht, indem er sich mit ihren Insignien umgibt (wie die Kanzel-an-sich mit den paar bezwingend knappen Sätzen als führender Teil geradewegs der ganzen Welt hingestellt wird, das find ich ja schon brillant), dazu einer, der durch seine persönliche Autorität wirkt, nicht nur, weil er zufällig der Pfarrer ist, einer, der zu sagen weiß, wie’s geht. Der mit mehr Antworten als Fragen.

Kenophen

Written by Wolf

5. October 2006 at 6:51 am

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Frühstück & Straße: Wolf hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

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So sind sie, die Menschenfresser: Wenn sie schon ihre Frühstücksgenossen unangeknabbert lassen, muss es wenigstens was Blutiges geben, das möglichst noch zappelt.

Früshstück in der FremdeIm übrigen muss er ja einen schönen Eindruck von den so überaus Zivilisierten kriegen, zu welchen zu gehören er so guten Willens ist, und die ihm so ein eloquentes Beispiel abgeben. Beim Frühstück Maulaffen feilhalten, das muss man nicht lernen, das kann man von selber.

Was offenbar gerade ein Hobby von mir wird: Spuren von Frauen bei Melville nachzuweisen. So fruchtlos ist das auf einmal gar nicht. Auch auf der Straße der Walfanghafenstadt findet sie der Ismael an allen Ecken und Enden – “und die Frauen von Bedford, sie blühen wie ihre eigenen roten Rosen. Rosen aber blühen nur im Sommer, wohingegen das liebliche Rosarot ihrer Wangen das ganze Jahr über währt, so wie der Sonnenschein im siebenten Himmel. Anderswo Blüten zu finden, die diesen gleichen, wird euch nicht gelingen, außer in Salem, wo der Atem der jungen Mädchen, wie man mir sagt, derart nach Moschus duftet, dass ihre Matrosenliebsten sie Meilen vor der Küste erschnuppern” – es ist doch einfach herzig, wie der Mann noch eine Nase voll vom Duft der Mädchen mitnimmt (nach Moschus! Ismael, Sie erlesenes Ferkel!), bevor er sich aufs Meer begibt, das bestenfalls von allerhand kratzigen Mannsbildern befahren wird, die vor lauter Alarmbereitschaft nie zum Waschen kommen.

Und die Stelle merk ich mir als Gegenmittel, falls mir demnächst einer mit latenter Homosexualität auf der Pequod kommt – womit ich fest rechne.

Das unausweichliche Stück Bildungshuberei, das ich mir gar nicht erst zu verkneifen versuche: Der Mr. Mungo Park von Seite 75 kommt nicht nur ausführlich im erwähnten Anmerkungsteil vor, sondern vor allem als Hauptfigur von “Wassermusik“, was der erste Roman von T.C. Boyle und unser nächstes Sammelleseprojekt wert ist – weil der Gute und der Böse mit jedem Kapitel mehr die Plätze tauschen.

Written by Wolf

29. September 2006 at 1:18 pm

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Die Steppdecke: Wolf hat das 4. Kapitel gelesen oder Mutter, lass mich dein Söhnchen sein

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Doktor Freud, übernehmen Sie!

Da glaubt man seit Kindheitstagen, im Moby-Dick kämen bis auf eine flüchtig vorbeihuschende Hafenkneipenwirtin keine Frauen vor – und dann liefert uns Ismael ein detailliertes frühkindliches Erlebnis mit seiner Mutter, das man in seiner entwaffnenden Beiläufigkeit, so in den Gang der Handlung hineingegossen, gar nicht überschätzen kann. Wie selektiv musste man lesen, um das selbst noch beim zweiten Durchgang auf Englisch zu übersehen?

Natürlich ist es die katexochene böse Stiefmutter, und der Kollege Freud wird mir zustimmen, wenn ich annehme, dass Ismael, wie immer er richtig heißen mag, wegen dieser ach so herzensguten Frau seine Identität des Verstoßenen angenommen hat.

Gut spricht er von ihr – mir kommen ja die Tränen, wie er seine Kindheitswunden mit allem nötigen Sarkasmus beiseitewitzelt: „Sie war die beste und gewissenhafteste Stiefmutter von allen, und ich musste zurück auf mein Zimmer“ – hör da nur ich die passive Aggressivität eines Kishon raus?

Aus solchen Erlebnissen haben andere komplette Bücher gestrickt, weil sie anders nicht damit fertig wurden, da muss man nicht mal gleich Kafka bemühen. Es hat viel Hypnotisches, in welchen Zustand der junge Ismael gerät, wahrscheinlich ein ungebändigter Wildfang, der seine Tage mit Bäumeklettern und Maikäferfangen verbracht haben wird, wenn er bei helllichtem Tag ins Bett – nun ja: gefesselt wird. Glatt zu delirieren fängt er an.

Was für manchen perspektivlosen Depressivling die einzige Möglichkeit ist, den Tag zu überstehen – dämmernd im Bette zu liegen –, war für Klein-Ismael die schlimmste aller Strafen. So zieht man sich perspektivlose Depressivlinge. Ein Wunder, dass er später im Leben noch den Antrieb für so einschneidende Unternehmungen wie Walfang aufbringt.

Übermutter Moss Oder wie viele Äußerungen der Depression – und reden wir mal von der pathologischen Diagnose, nicht von der vagen Verstimmung – gibt’s eigentlich? Der Kollege Freud mag mich berichtigen, falls ich meinerseits deliriere, aber ich glaub, es gibt durchaus offensive bis aggressive Formen. Das bringt mich zu der Vermutung, dass Ismael sein Leben damit verbringt, es seiner Stiefmutter zu zeigen. Erst büchst er auf Meer aus, und ich darf in ihm eine gewisse Lust am eigenen Untergang wittern: Siehste Mutter, das haste nu davon; Walfang ist der sichere Tod, das glaubst du doch, Mutter, hab ich Recht? An Land hat mich ja noch nie irgendwas Besonderes gehalten. – Ismael zahlt es seiner Mutter, der alten Hexe, die ihn damals ins Bett gesteckt hat, ordentlich heim, und gelte es sein Leben. Und war nicht Thanatos die andere stärkste Triebkraft des Menschen, nebst Eros?

Interessant wäre jetzt noch, wo denn Ismaels richtige Mutter abgeblieben ist, und war je die Rede von seinem Vater? Oder ist der Begriff „Stiefmutter“ hier eine Art Grimmsche Verglimpfung: die taktvolle Maßnahme, Stiefmütter herbeizuzerren, wo man aus religiösen Gründen (viertes Gebot!) nicht über böse leibliche Mütter reden mag? – Man weiß so wenig.

Jetzt seh ich’s erst: Ismael ist ein Lost Boy wie aus dem Peter Pan. Und es sollte mich wundern, wenn nicht grade aus diesen eindreiviertel Seiten Papa Melville persönlich den kleinen Jungen Herman durch sein Alter Ego reden ließe.

Besonders über diese Stelle erwarte ich einiges von Drewermann, wenn ich endlich die 29,90 für seine Tiefenpsychologie erschwinge (oder wahlweise die Stadtbibliothek mein Desideratum erhört, hähä).

Soll ich wieder übernehmen, Doktor Freud…?

Heute beim dritten Lesen fallen mir die Stellen schon fast nicht mehr auf, über die ich vor allem beim ersten Durchgang als Zwölfjähriger am meisten gelacht hab. Poltert sich doch nicht der wilde Neger zum Stiefelanziehen diskret unters Bett, um im weiteren Verlauf in Stiefeln und Zylinder und sonst gar nix im Zimmer umherzugeistern?

Queequegs gewinnende Tollpatschigkeit hat mich damals endgültig in das Buch gezogen. Einigen Respekt hatte man damals doch vor der voluminösen Erwachsenenschwarte, das aufs Wesentliche reduzierte Reclamheft schmeckte ohnehin so nach staubtrockenem Deutschunterricht – und als ich gemerkt hab, dass es da ja richtig was zu lachen gibt, wusste ich: Das Ding hältst du durch.

Written by Wolf

24. September 2006 at 3:37 pm

Zum Walfänger: Ismael hat das 3. Kapitel gelesen

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Der alte Wolf wird langsam grauVorurteile stimmen immer, wahrscheinlich stinken sogar die Neger (Ambrose Bierce? Gustave Flaubert?) – natürlich außer dem einen, den man selber kennt.

Queequeg hat mich als Bub ja schwer beeindruckt. Damals kannte man noch nicht so viele so selbstverständlich Tätowierte außer den paar Schweralkoholikern, die man in der Bahnhofskneipe antraf (ich hab über einer gewohnt, verkehrt hab ich da nicht), die solche Verzierungen aus dem Knast mitbrachten. Dass sowas ein Zeichen des edlen… nun ja: Wilden sein kann, wussten wahrscheinlich nicht mal diese Exknackis selber. (Aber immerhin trugen sie die mit mehr Bewusstsein als die heutigen Minderjährigen, die sich sponsored by Oma mit Nichtssagendem vollblümen lassen.)

Queequeg auf SpermwalUnd da rumpelt plötzlich in der Hafenkneipe Zum Walfänger dieser weiß Gott kantige Typ herum, vor dem man so lange Angst haben musste, wie man ihn nicht gesehen hat. Verhökert Neuseeländerköpfe, kommt spät nach Hause, allgemein ganz sicher kein ordentlicher Christenmensch, ein Menschenfresser gar – solange man sich sein eigenes Phantom aus gewagten Hirngespinsten zusammenbaut. Wenn man erst mal die Lagerstatt mit ihm teilt, ist er doch ganz umgänglich.

Was die Charakterzeichnung wirklich rund macht: Queequeg ist ja tatsächlich kein Christ und verzehrt in besonderen Fällen schon mal Artgenossen. Unnötig anlegen sollte man sich mit ihm wiederum nicht. Der Kerl bleibt plastisch, weil er mehrere Seiten hat.

Written by Wolf

14. September 2006 at 6:33 am

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Wolfsmaels Schemen

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Wäre mir ja im Leben nie aufgefallen, was der Ismael für ein verantwortungsloser Gesell ist… Wo genau verrät er sich denn? Die „Schemen“ dauern in unseren Ausgaben acht Seiten, weit versteckt kann’s also nicht sein.

So wie mich das jetzt beschäftigt, scheint es mich etwas anzugehen. Bis gerade eben hab ich Ismael für eine Art Mann ohne Eigenschaften, was ein anderes Flaggschiff ist, gehalten, die blankgeputzte Projektionsfläche für alles, was der Mensch als menschlich erachten mag – und siehe da: Eine von vornherein verwerfliche Seite bringt er schon mit. – Nun, als ob gerade das nicht zutiefst menschlich wäre.

Mit dem Namen, den er sich aussucht – denn er verleiht ihn sich aktiv – stellt er sich nicht gerade als leuchtendes Vorbild hin. Ismael, der als Spötter in die Wüste Geschickte, Genesis 21,9 ff., bekennend verantwortungslos, faustisch unbehaust, ziellos umhertreibend – er müsste sich wirklich in einer postmodernen Generation X wohl fühlen.

Generation X gab’s nicht? Egal, Slacker gibt’s immer.

Es sind fast schon zu viele Bücher im dritten Jahrtausend, die von ihnen handeln. Warum dieses? Vielleicht, weil es leicht ist, welche zu schreiben, und weil sie immer so gewinnende rausgewachsene Lausbubencharmeure mit funkelnden Augen sind, nicht blöd, können scharf hingucken und alles in gebildete Worte fassen, die man verlagsseitig guten Gewissens auf Autorenlesungsreise schicken kann?

Durchaus ein Leben, von dem es in mir träumt fort und fort, und zu dem ich immer nur den entscheidenden Tick zu spießig war („feige“ ist ein großes, böses Wort).

Den Wal als Inbegriff des Bösen find ich nicht übertrieben umweltfeindlich dargestellt. So wie sich Ismael selbst als Abkömmling eines Mythos aufstellt, so erst recht das bis jetzt gesichts- und namenlose Untier. Der Wal taucht gerade mal als Andeutung – ist das überhaupt schon ein Symbol? – einer Naturgewalt auf.

Wofür man den Wal alles als Symbol betrachten kann! Für den Teufel, Gott, Natur, das menschliche Leben, den tierischen Tod, Reichtum, Streben, Versagen. Für alles und das Gegenteil davon, nur für nichts Nebensächliches.

Das glaub ich dann gern, dass sich ein Prinzip von derart grundsätzlichem Ernst gegen einen koketten Dauersarkastiker richtet, der erst mal gucken muss. Der Esel geht aufs Eis. Einer zieht aus, das Fürchten zu lernen. Ich glaub ja, Ismael geht (übrigens nicht zum ersten Mal!) auf See, um erwachsen zu werden.

So gesehen finde ich schon, dass Ismael wenn nicht der natürliche Feind, so doch der komplementäre Charakter zu Moby-Dick ist. Falls das keine Absicht von Melville war – und ich glaub nicht, dass er’s künstlich so hinschrauben musste –, dann haben die Figuren sich von selbst so gefügt. Und das hebt das ganze Buch endgültig ins mythische Format.

Call me Ishmael, but call me for dinner.

Auslaufen

Written by Wolf

7. September 2006 at 6:24 pm