Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for the ‘Steuerfrau Elke’ Category

But while yet all a-rush to encounter the whale, could see naught in that brute but the deadliest ill.

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Das Meer ist tief,
die Welt ist schlecht,
wie ihr’s auch dreht —
der Wal hat recht.

Robert Gernhardt: Dreh es o Seele, 2002.

Elke hat Kapitel 41 gelesen (und hol’s der Klabautermann: verstanden):

Elke HegewaldWieder ein Kapitel, groß wie der Wal und Melville. Was man, wenn nicht schon an der Anzahl der umzugrabenden Seiten, mindestens am Kapiteltitel merkt, wumm. Und daran, dass ein Naturtalent eher auf den Planken eines alten Seglers und Walfängers als in Schreib-Workshops schreiben lernt und sich einen Scheiß um welche Regeln auch immer scheren muss, sei es noch lebendig oder inzwischen tot — weil es sogar tot noch lebendig ist.

Zur Kompensierung des hochphilosophelnden Teils und des wandelnden Monomanen nehm ich mich mal der gejagten Kreatur an, auf deren “weißen Buckel den angehäuften Zorn und Hass, den sein Geschlecht seit Adam je verspürt” (Ahab), türmt. Und der Mädchenthemen: der wildromantisch auf Mocha Dicks weißem Buckel rankenden Blüten von Mythos und Aberglauben und geheimnisvoller Naturgewalt, aus denen Melvilles Moby Dick entspross. Der ihm noch viel mehr als zum Wal “zum Symbol des Phantoms des unbegreiflichen Lebens” geraten ist (Jendis, Seite 36). Und als solches dem vom Wahnsinn besessenen Ahab via Kapitel 41 zu seiner eigenen Antwort “42” gerät, nicht durchs Weiterzählen, vielmehr als die Mr. Douglas Adams vorausahnende ultimative Antwort auf madness, “life, the universe and everything”. Zu der kein rasender Monomane noch friedlicher Anhalter weiß, was eigentlich die Frage ist.

WalbuckelMeine erste Begegnung mit dem Wal — ich habs hier wohl schon mal erzählt — war eine traumatische. Also für mich jetzt, der Wal hatte es da schon hinter sich. Er lag still und stumm und nur noch präparierte Hülle unter einem bierzeltähnlichen Pavillon von pottwalischen Ausmaßen, den Blicken der sensationsarmen Gaffer auf dem Marktplatz einer ebensolchen Kleinstadt ausgesetzt. In der ich, ich war neun oder zehn, bis dato in kindlicher Unschuld aufgewachsen bin. Die Geschichte des Erlegens, die dazu nützlichen Werkzeuge sowie die Stelle des Todesstoßes wurden lang und breit illustriert. Der zutiefst getroffenen Kinderseele blieb eines mit Ahab gemeinsam: sie hat diesen Moby Dick nie verwunden. Aus ungleichen Gründen.

Drum kann sie, wenn auch längst den Kinderschuhen entwachsen, dem Einwand der Jäger aus den frühen Tagen des Walfangs durchaus folgen, dass “to chase and point lance at such an apparition as the Sperm Whale was not for mortal man. That to attempt it, would be inevitably to be torn into a quick eternity.” Und es ist ihr vollkommen wurscht, dass Herman-Ismael es vielleicht anders meint und die abergläubische Furcht der Seeleute im Sinn hat: eine solch grandiose und gewaltige Schöpfung der Natur verdiente ihr seit jenem morbid-makaberen Whale Watching nichts anderes als Ehrfurcht und das Gegenteil von Metzeln und Meucheln.

Dem (Weißen) Wal “jene beispiellose, vernunftbegabte Arglist” zu unterstellen, sieht man vielleicht noch einem traumatisierten, im Kleinholz seines Schiffes schwimmenden Owen Chase nach. (Die paar von Melville herbeizitierten Naturforscher, die ihre diesbezügliche Weisheit werweißwoher hatten, zählen hier nicht.) In ihm die “incarnation of all those malicious agencies which some deep men feel eating in them, till they are left living on with half a heart and half a lung. That intangible malignity which has been from the beginning; to whose dominion even the modern Christians ascribe one-half of the worlds; which the ancient Ophites…” zu sehen — darauf konnte nur ein entmasteter Ahab in seinem gepäppelten Wahn kommen.

Mit Verlaub und whalemännischer Broterwerb hin oder her, worüber wundern die sich? Eine Kreatur, die ihre ‘Vernunft’ im besten Falle aus diversen Begegnungen mit auf sie losgehenden Harpunenwerfern aufgesammelt hat, tobt und kämpft um ihr Leben, das die wilden Jäger ihr nehmen wollen. Wer täte das nicht und wo nähme wohl für ein derart vernunftbegabtes Tier das Böse seinen Anfang? Hat solch Szenario nicht auch was Paradoxes? — : Gerade denjenigen für die Schlechtigkeit der Welt verantwortlich zu machen, der so geworden ist, weil ihn diese Welt gnadenlos hetzt, auf Leben und Tod. Die Geister, die ich rief…

Beluga Whale WatchingWohlwollender und zugleich relativierender kommt uns da ein Exemplar der Zeitungsschreiberzunft und Melville-Zeitgenosse, der hier schon des öfteren umschlichene Mr. Jeremiah Reynolds, in seiner Seemanns(garn)geschichte über das Moby-Vorbild Mocha Dick daher. In der er es sich dankenswerterweise neben allem anderen zur Aufgabe macht, “to inform the reader who and what Mocha Dick was; and thus give him a posthumous introduction to one who was, in his day and generation, so emphatically among fish the “Stout Gentleman” of his latitudes.

Jeremiah Reynolds: Mocha Dick: Or The White Whale of the Pacific: A Leaf from a Manuscript Journal.
Knickerbocker Magazine, 1839. Deutsch im Rathjen-Moby-Dick:

Obwohl von Natur aus wild, war Dick wenig dazu geneigt, eine bösartige Veranlagung zu offenbaren, wenn er unbelästigt blieb. Ja im Gegenteil, manchmal pflegte er in aller Ruhe an einem Schiff voerbeizuschwimmen, und gelegentlich trieb er faul und harmlos zwischen den Booten dahin, die vollbemannt zur Vernichtung seiner Rasse ausgezogen waren. Diese Nachsicht brachte ihm jedoch keine Gunst ein, denn wenn kein anderer Anlass zur Beschuldigung übrigblieb, schworen seine Feinde, sie hätten in dem langen, unbekümmerten Schwung seiner Schwanzflosse eine lauernde Untat erblickt. Wie dem auch sein mag, nichts ist sicherer, als daß all diese Gleichgültigkeit mit dem ersten Stich der Harpune verschwand; während das Kappen der Fangleine und der hastige Rückzug aufs Schiff häufig die einzigen Mittel waren, sich vor der Vernichtung zu retten, die seinen geschlagenen Angreifern verblieb

wusste er von einem Nantucketer Waljäger, der Mocha Dick erlegt haben wollte — was ziemlich sicher allerdings erst 1859 durch einen schwedischen Walfänger geschah — siehe Verweis in der englischen Wiki auf Whipple, A. B. C. Whalers in the South Pacific. Doubleday, 1954: 72 und Bezug im Göske-Nachwort zu Moby-Dick. Daher der vorsichtige Einwand hinsichtlich des Seemannsgarns.

Und der dem Melvilleschen Sinnbild des “unbegreiflichen Lebens” angemessene und munter durch seine Romanseiten schwimmende Hiobswal verkörpert mitnichten das Böse in der Welt, sondern zuvörderst die Größe der Schöpfung des Überuns — behaupte ich jetzt mal, so als heidnische Bibelamateurin. Denn gebühren solche Worte etwa der Finsternis und dem Bösen?:

Kannst du seine Haut mit Spießen füllen, und seinen Kopf mit Fischharpunen? Lege deine Hand an ihn — gedenke des Kampfes, tue es nicht wieder!

Hiob 40,31—32.

In seinem Halse wohnt Stärke, und die Angst hüpft vor ihm her. Die Wampen seines Fleisches schließen an, sind ihm fest angegossen, unbeweglich. Sein Herz ist hart wie Stein, und hart wie ein unterer Mühlstein. Vor seinem Erheben fürchten sich Starke, vor Verzagtheit geraten sie außer sich. Trifft man ihn mit dem Schwerte, es hält nicht stand, noch Speer, noch Wurfspieß, noch Harpune. Das Eisen achtet er für Stroh, das Erz für faules Holz. Der Pfeil jagt ihn nicht in die Flucht, Schleudersteine verwandeln sich ihm in Stoppeln. Wie Stoppeln gilt ihm die Keule, und er verlacht das Sausen des Wurfspießes. Unter ihm sind scharfe Scherben; einen Dreschschlitten breitet er hin auf den Schlamm. Er macht die Tiefe sieden wie einen Topf, macht das Meer wie einen Salbenkessel. Hinter ihm leuchtet der Pfad, man könnte die Tiefe für graues Haar halten. Auf Erden ist keiner ihm gleich, ihm, der geschaffen ist ohne Furcht. Alles Hohe sieht er an; er ist König über alle wilden Tiere.

Hiob 41,14—26.

Soviel zur Ehrenrettung von Moby Dick und Ahabs Widerpart. Doch der Mann braucht einen Feind, dem er das Elend der Welt auf den Buckel laden kann, a man’s gotta do what a man’s gotta do — solang der da ist.

Sleeping WhaleriderBliebe noch der vielzitierte Aberglaube der harten Kerle. Man denkt ja gar nicht, was diese Legenden webende Mentalität aus solchen gestandenen Meistern ihres blutigen Handwerks macht — und aus ihrem Gegenstand, Moby Dick.

Allgegenwärtig soll er sein, unsterblich und wiederauferstehend, weiß wie ein Leichentuch und von tückischer Bosheit, die den Tod bringt. Wenn man das mal so in Worten zusammenreimt, könnte man glatt wieder mal unserm algegenwärtigen Meister Goethe Recht geben, der grad erst stolze 262 Lenze jung geworden ist. Der hat den Aberglauben die Poesie des Lebens genannt. Somit wären unsere Waljäger direktemang wahre Poeten desselbigen. Weniger glimpflich kommen sie beim alten Hume weg, der den Aberglauben und den menschlichen Verstand in die Tiefe studiert hat:

Die Hingabe eines Menschen an den Aberglauben wächst in dem Verhältnisse, in dem sein Leben vom Zufalle regieret wird; dies kann man besonders bei Spielern und bei Seeleuten beobachten, welche von allen Menschen am wenigsten zu ernsthaftem Nachdenken fähig sind, aber am stärksten vom Aberglauben und von unbegründeten Befürchtungen heimgesuchet werden.

David Hume: Natural History of Religion, 1757. Vgl. Göske-Nachwort, Seite 965.

Woher der kommt, wissen wir immerhin auch. Was dagegen als Allheilmittel hilft, will wieder der Hume wissen:

Ein wichtiger Gewinn, welcher aus der Philosophie kommt, besteht darin, dass sie das allein wirksame Gegengift gegen Aberglauben und falsche Religion liefert. Alle übrigen Heilmittel gegen diese verderbliche Krankheit sind vergeblich oder wenigstens unsicher. Schlichter gesunder Verstand und Weltkenntnis, welche für die meisten Vorfälle des Lebens ausreichen, erweisen sich hier als unwirksam…”

David Hume: Of Suicide, 1757.

Sei es wie es sei, versuchen wir es dennoch mal mit einem bisschen schlichtem gesunden Verstand, mit Welt- und Bücherkenntnis und dem berüchtigten menschlichem Entdeckerdrang.

Zur vornehmen walischen Blässe hörten wir 2007 schon mal und auch wie es zu der vermutlich kam: aus Gerüchten und Seemannsgarn um eine weiße Narbe auf Mocha Dicks Stirn, die am Ende den ganzen Wal weiß gerüchteten.

Die angedichtete Unsterblichkeit ist auch erklärbar — wo doch Hinz und Kunz mit und ohne Seemannsgarn den Wal vom Leben zum Tode befördert haben wollten — bis zum nächsten Crash mit dem weißen Buckel. Die “Arglist” hatten wir oben schon. Und die Allgegenwart hat sich endlich auch mit der durch menschliches Entdeckertum der Mythenwelt entrissenen Nordwestpassage in Wohlgefallen aufgelöst.

ArethusaWomit man immer noch nichts gegen die Mythologie gesagt haben will, vor allem angesichts einer so romantisch schönen Quelle derselbigen wie die der Arethusa, bei Melville als weiteres Beispiel für rätselhafte Strömungen angeführt. Die schöne Nymphe Arethusa wurde auf ihrer Flucht (denn sie war kein tollkühner Wal) vor dem liebestollen Flussgott Alpheios von ihrer Schutzgöttin Diana vom Peloponnes nach Sizilien versetzt und in eine Quelle verwandelt. Die Wasser des Alpheios, des alten Schwerenöters, aber suchen im Meer noch immer nach der Nymphe. Es gibt sogar Behauptungen, dass er sie gefunden habe, denn als man auf dem Peloponnes einen Weißen Wal… öh, Quatsch, eine Schale in den Fluss warf, soll sie in der Quelle wieder aufgetaucht sein.

Zum irren Walkapitän, der hier bewusst etwas kurz kam, verweise ich zuvörderst auf des Wolfes höchst erbauliche und erleuchtende Abhandlung von Kapitel 41, womit wir summa summarum einen erklecklichen Part der Ergründlichkeit desselbigen abhaken können. Obwohl — diesen Melville können wir nie “abhaken”, du findest immer wieder was. Auch dass, wie ich finde, der Ahab in seinem ganzen offenbaren Wahnsinn aus dem Zeug ist, aus dem einschlägig bekannte Rattenfänger und Verweser gemacht sind, die ihre Gemeinde mit Versprechungen des Blauen vom Himmel und Fanatismus einschwören und in den Untergang reißen.

Soundtrack des Wahnsinns heute: Blood and Thunder von den Mastodonten (die gabs hier auch schon mal blogwert), ziemlig metallic (und nochmal mit Text):

Bilder: Walbuckel;
Sleeping Whalerider;
Beluga Whale Watching;
Arethusa.

Written by Wolf

1. September 2011 at 12:01 am

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Madness maddened

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von Sonnenuntergang bis Mitternacht.

Whalemen-Schauspiele in vier Kapiteln

oder wa(h)lweise zwei Anläufen.

Elke hat Kapitel 37, 38, 39 und 40 gelesen:

Elke HegewaldSeit die Helden aus der dicken Schwarte in ihrem Gemunkel um ein weiterhin unsichtbares fettes weißes Walphantom zunehmend “auf Eisenschienen” zur Bühne streben und retardiertes Waljagen sich in düsteren bis dämmernden Selbstgesprächen Luft macht, sitzen wir dauernd in der ersten Reihe. Hey, wer, wenn nicht wir? (Auch wenn wir gelegentlich eine Weile brauchen, dort Platz zu nehmen. Oder auch ein paar wirre Anläufe.)

Erster Anlauf:

Als ich dreizehn war, fanden es meine Eltern an der Zeit und mich reif genug für Live-Kulturerlebnisse ohne böse Risiken und Nebenwirkungen. Das Bücher verschlingende Zopfmonster saß ihnen zuviel in stillen Ecken herum und verschlang unersättlich Bücher oder kramte auf dem Dachboden längst vergessene uralte Schwarten mit Wasser- und Schimmelflecken hervor, von denen es sich noch eine einschlägige Allergie holen würde. Und so verpassten sie ihm und sich ein Theateranrecht. Nicht, dass einem vor- oder nachher jemals ein besonderer Hang zu dergleichen Tun und Treiben an den Eltern aufgefallen wäre. Nicht mal Kino gehörte zu ihren Lebensgewohnheiten. Aber wer konnte schließlich das Gör unbegleitet halbe Nächte in die Bezirkshauptstadt zugfahren, geschweige denn es gen Mitternacht alleine ins traute Heim zurückgondeln lassen.

BühnenbildWie dem auch sei, so fiel ich in einen Topf mit einem wilden Gebräu der darstellenden Künste in durchwachsener Bekömmlichkeit. Der Geist von Hamlets Vater, dem Puntila sein Knecht, Goethens Götz mit der eisernen Hand, die Mutter Wolffen am Waschzuber samt Berliner Schnauze und angetrautem Schiffszimmermann, des Kleistens windiger Dorfrichter beim Geschirrzertöppern, der Ritter von der traurigen Gestalt, die untote Beinahe-Wilis Giselle und wie sie alle hießen und auch diverse seichte Tingelhelden krochen mir lebendig aus den Textbüchern und Libretti. Ich verdaute Chöre und Arien, Soli und Grand Pas de deux, große Monologe und turbulente Massenszenen.

Angetan hatten es mir ja auch damals schon die theatralischen Seeleut’, vom Fliegenden Holländer über Odysseus bis Enoch Arden, ob sie nun ihr dramatisches Seemannslos aus sich heraus und der Angebeteten ins Antlitz sangen oder es in sich hinein, in den Möwenschrei und die ewige See fabulierten. Der Ahab kam dazumal nicht vor, wieso auch, der war ja ein Romanheld. Und hey, machen wir uns mal nix vor: Jeder kennt Moby Dick, doch wer schon den mobydicken Wälzer vom alten Melville. Den hat doch schon anno dunnemals und zumal im Volltext kaum einer gelesen. Kaum einer, dem darüber aufgegangen wäre, wie bühnenreif magic Herman seinen durchgeknallten Käpt’n samt weiten Teilen der Mannschaft kapitellang aufgestellt hat und wieviel Schauspieler in dem schlummerte. Ist es dem Zopfmonster auch nicht. Dabei hat es ihn gelesen. (Tja, daran sieht man mal wieder, wozu ein zweiter Anlauf auch noch gut sein kann.) Womöglich lag das gar an der Prägung durch besagtes Anrecht auf ein Anrecht, dass es dachte, das muss so? Und auch heute zickt es deswegen noch längst nicht an Melvillen rum. Wo es inzwischen weiß, dass von dem sogar bücherlange Poeme um einen Pilger namens Clarel in ein Theater passen. Ehrenwort, ich war selber dabei.

Luca Senoner, Mind Thing, Feel the Freedom, 5. Juni 2009

Zweiter Anlauf:

Die schwere Tür klappt hinter mir ins Schloss, viel zu laut in der Stille des verschneiten Nachmittags. Wie lange bin ich nicht mehr hier gewesen. Ich husche die Treppe hoch und folge dem fernen Meeresrauschen. Die pseudobarocke Prunkloge im 1. Rang ist leer wie auch der Saal unter mir. Wie es sich in der sitzt, wollte ich schon immer mal wissen und keinen fragen müssen. Mucksmäuschenstill hocke ich mich auf den Platz ganz vorn rechts an der Balustrade…

BühnenbildUnten auf der Bühne: alles modern spartanisch. Vor einem angedeuteten (hoch gewölbten, gotischen) Kajütenfenster schaukelt eine Ölfunzel mit flackerndem Docht. In ihrem Lichtkegel nichts als ein roher Holztisch. Als Kontrast dazu echot aus den Kulissen lärmende Hektik. Füße tappen und poltern unsichtbar über die Bretter, die die Welt und heute Schiffsplanken bedeuten, aus einem Lautsprecher fiepen klagende Töne, die mir irgendwoher bekannt vorkommen. Ein Kerl mit Kapitänsmütze und einer qualmenden Tabakspfeife im Mundwinkel tritt in den Lichtschein, prüft bedächtig den Walölstand in der Funzel und beginnt vor sich hin brabbelnd um das Möbel zu hinken. Eine nervöse Stimme, offenbar die des Regisseurs, überschlägt sich: “Sogehtdasnicht sotaugtdasnix, bitteee mehrEinsatzKollegen und kannhiervielleichtmaljemandmitdenken? Verdammt, bin ich denn hier von lauter Irren umgeben?” Hihi… da spricht er wahr, denke ich und pruste los.

Ein kapitaler Fehler, wie sich herausstellt, denn nun haben sie mich entdeckt. Ein Typ mit Designerbrille schält sich von backstage aus dem düster grauen Vorhanggewirr, schaut zu mir hoch und blökt mir entgegen: “Was machen Siiie denn hier? Die. Probe. Ist. Nicht. Öffentlich!!!”

Ich rutsche von meinem samtgepolsterten Klapptrumm und suche schleunigst zu verschwinden. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie ein angestrengtes Grübeln den Blick hinter den geschliffenen Gläsern und zwei Falten die Stirn darüber kräuseln: “Heeeeee… du bist doch von der Truppe, die seit ewig und acht Tagen dem alten Melville um den Bart schreibt?!”

“Ööhm… j…aah?”, murmele ich und komme nicht mehr dazu, mir einen Reim darauf zu machen, woher der das weiß. Geschweige denn, wann wir zwei jemals zusammen Schweine gehütet haben. “Dann kennst du dich doch mit dem fetten Wal, dem Walejagen und der zusammengewürfelten Isolato-Crew hier aus. Mach, dass du hier runter kommst, aber pronto!”

Der scheint das ernst zu meinen. Ha, Regie führen bei Moby-Dick! Da träumst du von! Ich haste abwärts und die paar Stufen an der Rampe wieder hoch. Stolpere dabei beinahe über ein antikes Trichtergrammophon, das an der Kante zum Orchestergraben rumsteht. Und hastdunichtgesehen bin ich mitten in der Kulisse auf den schwanken Planken neben dem baumlangen Commander der Gauklerbande, dem ich grad mal bis zur Schulter reiche. Seine resignierte Handbewegung in Richtung Bühnenchaos deute ich als Einladung, mich in selbiges zu stürzen.

Links von mir hält sich hinter einem aufgespannten Fischernetz eine verwegen aussehende Schar in Ölzeugverkleidung bei den Schultern und übt ungelenke Tanzschritte. Das Fiepen der Walgesänge von vorhin ist immer noch da und kommt aus dem Grammophontrichter. Und unter der Funzel schmaucht und nuckelt der einbeinige Ahab-Verschnitt immer noch gemütlich an seiner Pipe. Na, denn mal Butter bei die Walfische:

Bühnenbild“Kann vielleicht grad mal jemand dem jammernden Grammophonium den Trichter stopfen! Kein Walfänger nicht tät mit dem Bauch voll Feuerwasser rum- oder whiskeyselig auf der Back tanzen, wenn irgendwo außenbords auch nur ein einziger Wal dazu singt oder bläst. Die wären schneller an den Riemen im Boot und ihren Harpunen, als der kleine Pip auch nur Piep sagen könnte.” Zum stillvergnügten Hinkebein: “Und du, Herr Kapitän: genug gequalmt und die Pfeife aus dem Maul! Der Ahab ist inzwischen Nichtraucher, weil allen Freuden des Lebens entrückt, und hat das Requisit schon vor exakt sieben Kapiteln über Bord gekickt. Außerdem sitzt du hier nicht lauschig mit Muttern vor deiner Fischerhütte und spinnst Seemannsgarn. Der Mann hat einen psychopathologischen Knacks, stellt sich auf eine Stufe mit Gott und spielt hier den großen Rächer. Also ein bissel mehr Dämonisches in den Blick, bittschön! Wer soll dir sonst den Irrsinn gewordenen Irrsinn abkaufen?”

Die Jungs auf der Back machen ihre Sache soweit ganz ordentlich, vor allem, seit der Grammophontrichter statt Walgesang irisches Fiedeln ausspuckt, Pips Tamburin scheppert und sie wieder selber Shanties grölen dürfen. Die Bande sortiert sich. Stubb mimt passabel das abwartende Publikum, das sich mit sonniger Gelassenheit das ganze Theater an Bord anschaut. Der wackere Starbuck hadert ohnmächtig mit seiner Schwäche, harrt des walischen Demogorgon und macht seiner Kapitelüberschrift alle Ehre:

“His heaven-insulting purpose, God may wedge aside. I would up heart, were it not like lead. But my whole clock’s run down; my heart the all-controlling weight, I have no key to lift again. […]

Oh, God! to sail with such a heathen crew that have small touch of human mothers in them! Whelped somewhere by the sharkish sea. The white whale is their demigorgon. Hark! the infernal orgies! that revelry is forward! mark the unfaltering silence aft! Methinks it pictures life. Foremost through the sparkling sea shoots on the gay, embattled, bantering bow, but only to drag dark Ahab after it.”

Moby-Dick, Chapter XXXVIII: Dusk.

Der maunzt nicht nur ins Dämmern, der ist die menschgewordene Dämmerung.

So wie der Rollenspieler-Captain – nun endlich doch, schau an, wie der Verzicht auf irdische Genüsse den Dämon wecken kann – inzwischen seinen Part raus hat. Er tut, what a man’s gotta do: schwafelt finster mit ebensolchem Blick, gibt überzeugend die unheilige Zweifaltigkeit von Prophet und Vollstrecker und reitet… ääh, segelt sich und seine Mannen auf den ehernen Gleisen seiner Seele in den (Sonnen)Untergang:

“I lack the low, enjoying power; damned, most subtly and most malignantly! damned in the midst of Paradise! Good night—good night! […] They think me mad—Starbuck does; but I’m demoniac, I am madness maddened! That wild madness that’s only calm to comprehend itself! The prophecy was that I should be dismembered; and—Aye! I lost this leg. I now prophesy that I will dismember my dismemberer. Now, then, be the prophet and the fulfiller one.”

Moby-Dick, Chapter XXXVII: Sunset.

***

Wind kommt auf. Die See wird unruhig. Wogen schlagen gegen die Bordwand, die Bühne beginnt zu schwanken und kleine Sturzseen gischten über die Reling. Ich ziehe die Schuhe aus, wate barfuß durch eine Salzwasserlache auf den Planken und denke, dass es Zeit ist, das verdammte Schiff zu verlassen. Die Matrosen tanzen immer noch ausgelassen. Der Seemann aus Belfast winkt mir zum Abschied zu und der Malteser und der Sizilianer passen mich am Bühnenausgang ab. Ob ich nicht noch ein wenig bleiben möchte:

Who but a fool would take his left hand by his right, and say to himself, how d’ye do? Partners! I must have partners!

Aye; girls and a green!—then I’ll hop with ye; yea, turn grasshopper!

Moby-Dick, Chapter XL: Midnight, Forecastle.

Sonst immer gerne, Jungs. Aber ich glaub, ich hab das alles nur geträumt.

Bühnenbilder: Mathias Wendel;
World of Elder Scrolls;
Kai-Uwe Fischer;
Luca Senoner: Mind Thing, i.e. Feel the Freedom, 5. Juni 2009.
Soundtrack: Kirsty MacColl: “Don’t Come the Cowboy With Me Sonny Jim!”, aus: Kite, 1989.

Written by Wolf

12. January 2011 at 12:01 am

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Er nennt’s Vernunft

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Elke hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen:

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Faust I. Prolog im Himmel. Mephistopheles.

Elke HegewaldSchauplatz Achterdeck.

Und was für einer in der Inszenierung der Jagd auf den weißen Wal! Mit Pathos und großem Auftritt und Monolog des entmasteten Helden und Rächers, für und wider dessen Heldenstatus weiter gestritten werden darf. Ein Aufzug mit grummelndem Konflikt und kursiv geklammerter Regieanweisung…

Das Achterdeck des Schiffes ist – ein Sternbild, in unseren Breiten nicht vollständig am südlichen Winterhimmel sichtbar. Bei den alten Griechen gehörte es noch – wie sich das für ein ordentliches Achterdeck (Puppis) auch gehört – zu einem ganzen Schiff im Sternenmeer, dem Argo Navis nämlich. In trauter Gemeinschaft mit dem heute der himmlischen Übersichtlichkeit halber sich ebenfalls eigenständig blähenden Segel (Vela) und dem am Grunde funkelnden Kiel (Carina) des Schiffes. Und der zum Navigieren des Himmelsseglers nötige Schiffskompass (Pyxis) ist ein paar läppische Lichtjahre neben der Bordwand in die Fluten der Milchstraße gefallen – na, wenn das mal gut geht!

Nun, der mythologische Ausgang der Mission des später am Firmament vertäuten Heldenklippers ist bekannt: Es ging gut, jedenfalls solange, bis Captain Jason später seine hilfreich angetraute Medea mit einer neuen Flamme und Zweckehe betrog, Orpheus stimmte einen Shanty nach dem andern an und die Mannschaft entriss dem tödlichen Drachen den Pelz des güldenen Widders. Wofür die von astraler Heroenarchitektur nur so strotzende Antike sich mit einem Platz am Himmel für Schiff und Schafbock nicht lumpen ließ.

Argo constellation on Jan Ridpath's Star TalesDoch Nantucketer Waljäger sind nicht die alten Griechen und keine Argonauten, Ahab ist nicht Jason und der weiße Wal erst recht nicht das Goldene Vlies, sondern für den Walbeinernen wohl eher der blutrünstige Drache. Wie auch, was einem hoffentlich nicht als fieser Spoiler ausgelegt wird, die Pequod in die entgegengesetzte Richtung der Argo segeln wird, nicht himmel-, sondern direktemang höllenwärts.

Die “heroische” Mission, über die der zugegeben nicht mehr ganz arglose Moses von Leser hier zusammen mit der arglosen Mannschaft ins Bild gesetzt wird, gemahnt ihn denn auch gleichsam an einen Pakt mit Satans Stellverteter persönlich. Der zieht alle Register der Versuchung und Argumentation. Nagelt den materiell aufgezogenen Fischerschädeln blankgeputztes Gold an den Mast. Kitzelt mit dröhnenden Engelszungen die Draufgänger an ihrer heldischen Verwegenheit, den berechtigten Zweifler und Warner Starbuck an der braven Handwerkerehre. Und wo die nicht reicht, rhetorikt er mit seiner manisch gepäppelten Entschlossenheit, “selbst die Sonne [zu] schlagen”, dessen (schon vor zehn Kapiteln ausgemachte) schwächelnde Seelenstärke in Grund und Boden und ihn selber ins Gefolge zurück. Diesem hämmert er wie ein Feldherr seinen Soldaten vor dem Kampf die vertrauten Schlachtrufe der ewigen Waljäger in den Isolatohirnen zurecht. Und lässt es auch an pathetischen Gesten vom Lanzenkreuzen bis zum Treueeid und an Feuerwasser im Harpunenschaft zum Besiegeln desselben nicht fehlen.

Ein Spektakel, das ungeachtet der versteckten Lacher aus der Mannschaft, der hilflos aufzuckenden Vernunft des Einen und des gelegentlichen Gedankens ‘Der hat sie nicht mehr alle!’ seine Wirkung nicht verfehlt. Er hat sie, alle! Hat das Zeug zum Volksverführer und Seelen(ver)käufer. Und er, Ahab, allein weiß, wozu er diesen Auftritt braucht: Ohne sie ist er nichts auf der nun anhebenden Hatz gegen Moby Dick, diese Mauer, hinter der nichts mehr ist. Doch er kann den uferlosen Hass gegen “dies unfassbare Ding”, der sein Ahab-Universum beherrscht, noch so großtönend als hehres Ziel verkaufen (“Wer steht denn über mir? Wahrheit kennt keine Grenzen.”), kann noch so sehr den Kolumbus spielen, der dem ersten Aussänger des Landes Wal die Belohnung verspricht. Oder den Helden, der das in seiner entmasteten Kapitänswelt ausgemachte Böse herausfordert, sei es nun Urheber oder Werkzeug.

Es bleibt der erschauernde Einwand der Vernunft:

“Rache an einem stummen Tier! […] das einfach dich aus blindem Trieb getroffen! Ein Wahnsinn! Zu wüten gegen ein stummes Ding, Kapitän, erscheint mir grad wie Gotteslästerung.”

Starbuck im Jendis, Seite 273.

Es bleibt… der Zweifel, was von einem Helden übrig bleibt, der keine Grenzen kennt. Der seine Fehde mit dem Leben, die Rettung seiner Welt und Ehre auf dem Rücken anderer austrägt. Anderer, die ihre eigenen Gründe haben, mit ihm auf einem Schiff zu fahren. Mit deren Leben er die seinen Dublone für Dublone bezahlen und sich verschulden wird. – Wovon aber die andern auch nichts mehr haben werden…

Was rumort da in ihm und kann nicht aufhören, was treibt ihn, diesen Ahab?

Der Nantucketer Nathaniel Philbrick, zwar Schreiber, doch als alter Segler (see)fest mit zwei gesunden Beinen auf schwankenden Achterdecks stehend, diagnostiziert es knallhart als Psychotrauma, die “quälende Erinnerung” geheißen. Und sein vorsorgliches Hinzuzitieren eines Philosophen (den wir uns hier schenken) lässt die darum nicht mystischer werden:

Captain Ahab by Old EtcherFür die meisten Unglücksopfer sind die wiederholten Rückblenden einer quälenden Erinnerung therapeutisch hilfreich, da sie die Leidenden nach und nach von Ängsten befreien, die andernfalls ihre Fähigkeit weiterzuleben beeinträchtigen könnten. Manche werden die Erinnerung allerdings nie los. Gestützt auf Chases Bericht, schuf Herman Melville mit seinem Kapitän Ahab einen Mann, der aus den seelischen Abgründen, in denen sich Chase in jenen… schlaflosen Nächten wand, nie auftauchte. Genau wie Chase glaubte, dass der Wal, der die Essex angegriffen hatte, mit “entschlossener, berechnender Bosheit” vorgegangen war, wurde Ahab von der Vorstellung verfolgt, der weiße Wal sei ein Wesen, bei dem sich “grenzenlose Kraft mit unerforschlicher Arglist” paarte. Eingesperrt in sein privates Horrorkabinett, war Ahab der festen Überzeugung, sein einziger Ausweg bestehe darin, Moby Dick zur Strecke zu bringen. “Wie kann der Gefangene nach draußen kommen, wenn nicht durch die Mauer? Für mich ist der weiße Wal diese Mauer, die dicht vor mir steht.”

Nathaniel Philbrick: Im Herzen der See, Karl Blessing Verlag München 2000, Seite 146.

Ein Franzose sucht es uns aus dem Moby-Dick der politischen Ökonomie des Kapitalismus, Marxens “Kapital”, herauszuoperieren, mit überraschenden und lesenswerten Erkenntnissen:

Captain Ahab by Jim Nichols UFO ArtJede Wette, dass er – abgesehen von der persönlichen Rechnung, die er mit der sublimen Käscherin, der riesigen fahlen Schneppe, der ewigen Aufreißerin der Weltmeere offen hat –, dass er also den großen Kuchen anpeilt, die legale Sprengung der Allgemeinen Seekreditbank, das Geschäft der Geschäfte, an das alle denken, seit der Kopf des Pottwals ausgeweidet wird: der ganze Reichtum, das ganze virtuelle Kapital, das das Untier im Kopf hat, der unendliche Reichtum, den eine Mutter Courage, Libuše, Zigeunerin, Gipsy von Prag in der Tasche trägt in Form eines nicht übertragbaren Talismans. […]

Ahab ist der Ungeist der List ökonomischer Vernunft, die bewirkt, dass das Vorankommen der Menschheit, ihr besseres Befinden, die Verlockung des Gewinns, die verfluchte Gier nach Gold durchmacht (auri sacra fames, wiederholt Marx kapitellang, wenn er nicht Shylock zitiert) […] ist ein Menschenführer, der die Seinen ins Verderben steuert unter dem Vorwand, er biete ihnen eine Möglichkeit zum Geldverdienen. Darin reicht seine Geschichte an die großen historischen Farcen heran: oder ähnelt dieser Hitchcock-Sequenz, in der ein toll gewordenes Karussell nicht mehr zum Stehen kommt. […] es gibt Dutzende Tote! Hier wird nur Ishmael übrigbleiben. Bis auf ihn gehen alle baden: Seeleute, Reeder, Bankiers, Versicherer.

Jean-Pierre Lefebvre: Die Arbeit des Wals. Red Moby &/or: Das Kapital, im Rathjen-Moby, Zweitausendeins. Frankfurt am Main 2004, Seite 835 f.
Erstdruck in: Schreibheft, Zeitschrift für Literatur 37, Essen 1991.

[Anmerkung: Der Rote Moby wird hier nochmal ausführlich und gehörig zu repetieren sein, der Lefebvre stellt um den kapitalen Wal und den schon mal so daherzitierten Profitjäger Ahab noch so viel anderes auf, das man selber bis zu ihm noch gar nicht gedacht hat. Und außerdem: wo wir doch Rotschopfwochen haben, oder?]

Hmm… ist er nun also eine arme, gequälte Kreatur, der finstere Ahab, ein gefährlicher Irrer, dämonischer Visionär und Verweser oder nur eine suchende verlorene Seele? Ein Mensch, der irrt, solang er strebt?
Und was hätte er denn nun endlich dem Drewermann auf der Couch erzählt, wenn der sich jemals steuerbord einer solchen therapeutisch betätigt haben täte?

Wir wissen es (noch) nicht.

Wenn wir eins wissen, dann, dass wir im Angesicht monumentaler Melvillescher Kapitel als mikroskopische Mensch- und Leserlein manchmal mit Bloggerverdrängungssymptomen reagieren – über Monate. Dass wir dann – manchmal – lieber mit den Augen am Himmel nach Argo Navis suchen. Und uns, wenn unser Walfischprinzip wieder halbwegs funktioniert und der Spuk vorbei ist, staunend und mit einem leisen Lächeln nach ihm umsehen…

Die Winde wehten wieder, die Segel blähten sich, das Schiff stampfte und schlingerte wie zuvor.

~~~|~~~~~~~|~~~

Ach, und fällt jemandem vielleicht noch ein passenderer Soundtrack ein als der hier?

Denn scheint dieser Ahab nicht irgendwie… nicht erwachsen genug (als wäre das ein Makel), nicht tragisch genug und seine Fantasie nicht düster genug – kurzum: Ist er nicht zuuu alternativ?

Aber eine lichte und hübsche Vorstellung ist’s schon: Ismael hockt auf dem Bugspriet, bläst melancholisch in seine Mundharmonika und summt vor sich hin:

And if I ever lose my legs,
I won’t moan, and I won’t beg,
Oh if I ever lose my legs, Oh if
I won’t have to walk no more.

Yeeeah-aye. Oder?

~~~|~~~~~~~|~~~

Ingoetzel, Alice in Austinland, 27. November 2009

Bilder: Jan Ridpath’s Star Tales; Old Etcher; Jim Nichols UFO Art
sowie als Tribut an die laufenden Rotschopfwochen und des Roten Lefebvres Filmschaffen:
Leah Ingoetzel mit dem Lenin: Alice in Austinland, 27. November 2009.
Soundtrack: Cat Stevens: Moonshadow aus: Teaser and the Firecat, 1971.

Written by Wolf

4. March 2010 at 12:01 am

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You hear of no domestic afflictions; bankrupt securities; fall of stocks

with one comment

Elke fasst snugly stowed in casks in Kapitel 35: Im Masttopp die Ewigkeit!

Elke HegewaldA mariner sat in the shrouds one night,
The wind was piping free;
Now bright, now dimmed, was the moonlight pale,
And the phospher gleamed in the wake of the whale,
As it floundered in the sea.

Elizabeth Oakes Smith, zitiert in den Extracts.

Mast von unten

Das Meer.

Es hat so viele Züge und Mentalitäten wie das Jahr Tage. Dem Seemann bringt es Glück oder Verderben. Uns zieht es in seinen Bann, gießt in uns Ruhe und Stille, Stürme und wilde Sehnsucht. Mal ist es sanft und friedlich, mal unmutig und launenhaft. Heute singt es und murmelt und rauscht, morgen brüllt es und gurgelt und tost.

Das Meer hat viele Dimensionen, zuvörderst die der vielleicht einzig fassbaren Ewigkeit. Doch wann hat einer, der noch nie Ausgucksteher im Masttopp war, jemals gefühlt und geahnt, dass sich zur unendlichen Weite bis hinter den Horizont und Tiefe bis zum unheimlichen Grund auch eine Dimension der Höhe gesellt, von wenigstens hundert Fuß? Nicht jedermanns Sache, wie wir seit der Phobie eines Schiffskameraden wissen. Doch hat sie, wie ich finde, durchaus ihren eigenen Reiz von Freiheit, die Vorstellung, aus dem Blickwinkel und mit dem Schrei der Sturmmöwe hoch über den Schiffsplanken und den Schaumkronen der wogenden Wogen zu schweben. Frei von den schnöden Ärgernissen und immerwährenden Pflichtkämpfen der anstrengenden Welt…:

… a sublime uneventfulness invests you; you hear no news; read no gazettes; extras with startling accounts of commonplaces never delude you into unnecessary excitements; you hear of no domestic afflictions; bankrupt securities; fall of stocks; are never troubled with the thought of what you shall have for dinner—for all your meals for three years and more are snugly stowed in casks, and your bill of fare is immutable.

Allerdings birgt der Gedanke, hoch oben auf der Bramstenge stundenlang nur auf zwei dünnen Zweiglein zu balancieren, auch für Süßwassermatrosen, die ihre Höhenangst halbwegs im Zaume halten können, schon was Ungemütliches und ein flaues Gefühl in der Magengegend. Tsss… aber Sturmvogel sein wollen! — Vielleicht würde ja vorgelagert ein Ferien-Crashkurs auf der Gorch Fock helfen?

Und auch hier müssen wir wieder erfahren, dass nie alles Gute beisammen ist. Es sei denn, man steht weniger darauf, ein Südseewaljäger zu sein, und singt seine Wale lieber auf ‘nem Grönlandfahrer aus. Der nämlich Anspruch auf ein kuscheliges Krähennest mit Ofenheizung und Hausbar hat… hmmm, oder so ähnlich. Lest’s doch selber, mit welchem Komfort Papa Melville grinsend die Erfindung des guten Käpt’n Sleet ausstattet, der beiläufig der leibhaftige Vater der von ihm kreuz und quer zitierten Waljägerlegende William Scoresby ist.

Was wir noch lernen: dass eben jene Krähennester — oder auch die Bramdwarssaling-Zweiglein der südlichen Walfänger — die eigentliche Heimat unserer wohlbekannten Isolatos sind. Und der blassen pantheistischen Aussteiger — einer Spezies, die der Herman samt den Emersonschen Transzendentalisten und ihrem großen Vorbild Goethe mit spitzer Spötterzunge gut zu pieken weiß. Okay, letztere nun nicht explizit vor Ort, dafür aber im Mardi und im Briefgeflüster mit seinem Intimus Hawthorne. Vermerkt auch das Göske-Jendis-Gespann in seinem gutbestückten Nachwort (Seite 961).

Gern hätt’ ich mich ja noch ein bissel über den heiligen Säulenbewohner Stylites auf seinem P(f)osten ausgelassen, der da oben wenigstens noch gleichzeitig allen Wettern trotzen und predigen konnte. — Im Gegensatz zu den stummen und von braven kunstfertigen Handwerkern in Bronze gegossenen Säulenheiligen in aller Welt, die inzwischen nach ihrem lebendigen Ruhm längst sorgsam das Maul halten über dem Elend zu ihren Füßen… an irgendwas hat mich das erinnert. Aber man will ja nicht schon wieder langweilig ausufern.

Alles in allem ist das 35. doch so recht ein Kapitel für Träumer und Romantiker, möchte man meinen, die sich von den Wellen einwiegen lassen und nichts als meerblaue Weite aussingen. Doch unser guter Melville ist ein Schelm, wie man weiß. Nicht nur, dass er an dessen Ende den fast vollends Entschwobenen unsanft in der harten Realität… öhm, auf den alles verschlingenden Wassern aufschlagen und in cartesianischen Strudeln untergehen lässt. Nein, ich heg ja den begründeten Verdacht, dass er wieder mal den heimlichen Dramatiker raushängen lässt, der in dem ganzen munteren Geplauder und philosophischen Herumchillen schlitzohrig vor sich hin retardiert, um dann den ahnungslosen Leser mit dem nächsten Höhepunkt zu überfallen. Jaja, ahnungslos… denn der wird doch nicht schon das nächste, das Achterdeck-Kapitel ausspioniert haben…?

Schiff von oben

Bilder: Grännäs Marina AB; Ian Burns: From the crow’s nest of the Nooderlicht, 9. Oktober 2009.

Musik von unten: Flëur: Русалочка (Russalotschka — Die kleine Seejungfrau). Offizielle Website!
Musik von oben: Great Big Sea: Mary-Mac.

Written by Wolf

2. July 2009 at 7:15 am

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Der arme Belsazar

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Elke hat Kapitel 34: An der Kajütstafel gelesen:

Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden.

Abraham Lincoln

Elke HegewaldIch nehme mir mal – ganz undefiniert – die Freiheit, mich heuer bei Tische, respektive in unserem sinnbildlichen Meer nach dem unlängst besungenen Walfischprinzip zu betragen. Zumal das melvillesk ist, wie uns unser Käpt’n glaubhaft referiert hat. Und weil dem Anschein nach die Walgründe dieses Kapitels von meinen Waljägerkollegen schon weitgehend abgefischt sind.

Zum Glück scheint ja jeder von uns sein ganz eigenes Walfischprinzip zu haben. Oder, um (joah, sind wir Melvilleasten oder sind wir Melvilleasten?) mal ein anderes Bild zu bemühen: Jegliches, das wir lesen, schicken wir durch das ganz private Prisma in uns drin. So dass das helle Licht unserer Gedanken, das hinter dem eingesogenen Plankton aufscheint, darin im höchstpersönlichen (Blick-)Winkel, am eigenen Wissen, Erinnern und Vergleichen gebrochen und reflektiert wird. Kopfkino im besten Sinne – und das ist gut so, bei aller Vorgabe.

Ich such also mal halbwegs zu sortieren, was mir beim Nachfischen noch so ins Netz gegangen und wohin meine abseitigen Lesestrahlen gefallen sind.

Ritter der Tafelrunde

Es fängt an wie stinknormaler Schiffsalltag an Deck und ist wohl auch einer. This means seinen Verrichtungen nachgehen, ‘ne ordentliche Positionsbestimmung vornehmen, sich bekochen und bedienen lassen, Essen fassen, je nach Rangordnung mit dem armen Teigkopp seine derben Späße treiben oder auch nicht. Und schon erhebt sich die erste Frage: ob denn auf einem Walfänger wie der Pequod die Anstellung eines Stewards eine Personalunion mit dem gängigen Smutje darstellt, der die für ein Walfangschiff immerhin wohl recht fürstlichen Fütterungen gemeinhin auch noch selber ausheckt, statt sie lediglich zu kredenzen. Wissen wir doch spätestens seit der Herrschaft des Londonschen Seewolfs oder so, dass die Typen in der Kombüse in aller Regel Sonderlinge sind und allerorten schon gern mal die Suppe auslöffeln müssen, die den wilden Kerlen nicht schnell oder wohlschmeckend genug auf den Tisch kömmt. Was sich wiederum, so oder so, häufig auf ihren Charakter auswirkt.

In der Begünstigung des Attentats auf die Sonne durch Herrn Jendis vermute ich eher einen Übersetzungslapsus denn einen Vorgriff auf Ahabs trutzige Ansage. – Oder benennen das die Insider gar mit diesem Translator-Terminus? Gehört hab ich es so jedenfalls noch nie und gäbe hier auch der Rathjen-Version den Vorzug.

Was die beiden in den Tischsitten verfremdet angelegten Gesellschaftsentwürfe des feudalen Sultanats und der frantic democracy angeht, die Jürgen ja bereits sehr eingängig abgehandelt hat, so ist das ja alles gut und schön, aber irgendwas stimmt an denen trotzdem nicht, da hat er Recht, der Jürgen.

Das augenscheinliche Offiziersritual, einander der Rangfolge nach an die Tafel zu rufen, das bewusst zelebriert und ganz praktikabel erscheint, motiviert ja durch die Anwesenheit ihres finsteren Kapitäns vielleicht noch das ehrfürchtige bis unterwürfige Schweigen der nachrangigen Chargen von gestandenen Seebären am Tische. Zu dem Melville beiläufig sogar einflicht, dass der Alte Tischgespräche keineswegs untersagt habe (Jendis, Seite 252). Doch erklärt es irgendwie in keiner Weise die übermäßig sklavische Befindlichkeit des kleinen Flask – von der muss wohl irgendwas aus ihm selber kommen. Und solches, nachdem er noch an Deck seinen Gang zur Tafel geradezu clownesk vorbereitet hat. Präventives Kompensationsverhalten oder was?

Als sei das nicht dicke genug, avanciert er aus lauter Angst, unbotmäßig zu sein (die ihm offenbar auch kein Schwein abverlangt – außer er selber), gar zum vor sich hin hungernden butterless man. Tsss… da lässt uns unser hausheiliger Schreiber so einiges zum Walfischen offen, mein lieber Schwan! Sollte dieses gar an den Anweisungen der noch höheren Obrigkeit liegen, der der gute Flask gleichfalls blind ergeben ist? Ich musste dabei nämlich wieder an die bigotte und zu (Lach-)Tränen rührende Abschiedsrede des alten Bildad in Kapitel 22 denken, wo der so inständig an die moralischen Tugenden und die Sparsamkeit der Männer – auch in Butterfragen – appellierte.

Jajah… und unsere herzerfrischenden frantic Demokraten und edlen Wilden mitsamt ihrer ganzen urwüchsigen Lebensfreude und der Anlage, selbiges auch noch in vollen Zügen genießen zu können, ohne dass hemmende Schranken ihnen was anhaben können? Die fastbeinah schon dem Jedem-nach-seinen-Bedürfnissen-Dingens frönen? Was malträtieren die ihren dienstbar schlotternden Oberkellner so arg? So hätt das ja nich mal der Kommunismus wollen gewollt, glaub ich. Aber hey, es ist Melville, der muss uns das Leben nicht auch noch erklären. Oder wie sagte es Jürgen so schön?

Überhaupt hab ich – ihr wisst ja, wie gern ich spinn – mich während dieses ganzen großen Fressens und vorsichtigen Bissenzählens gefragt, ob es nicht mit dieser Kapitänstafel noch eine andere Bewandtnis hat. Schließlich fängt man doch gleich an, im Kopf Bilder umzublättern mit diversen anderen Tafelungen und bacchantischen Gelagen, die schon seit biblischen Zeiten gern hergezeigt werden – wenn nicht noch viiiel länger. Ihr nicht? Siehstewoll, ich sag doch, ich spinne. Und ‘ne Antwort hab ich auch nicht.

Doch wenn einem bei der Fressorgie der Harpuniere nicht umgehend, nun, kein kannibalisches Festmahl am Südseestrand, doch eine ausgelassen fressende, bechernde und rülpsende Ritterbande des Mittelalters vor Augen steht, dann weiß ich auch nicht. Über deren berühmteste des König Artus, der ja die runde Tafel erfunden haben soll (aus Gründen, die der Ahabschen Ritterrunde wohl zuwidergelaufen wären), heißt es, dass an ihr gespeist, beraten und sich vergnügt wurde. Sie hat vom alten Geoffrey Chaucer über Sir Thomas Malory, Shakespeare, Heine etc. bis Monty Python Generationen von Schreiberlingen inspiriert – warum nicht auch Melville?

Die Runde mit den Jüngern zum letzten Abendmahl mag man vielleicht nicht unbedingt hierher zitieren. Und ob es die heuer allseits beliebten Kapitänsdinner auf Kreuzfahrtschiffen in großer Abendgarderobe und müt lüppenspützendem Büssenzählen damals schon gab, weiß kein Walfänger nich.

Rembrandt van Rijn, Belsazar

Doch wo der Wolf sich schon in so dankenswerter Weise um die Einführung neuer Gestalten verdient gemacht hat, wartet da noch eine mitsamt ihrer schwelgenden Tafelrunde, die bei Melville zur Beschreibung von deren Erhabenheit oder Hoffart herhalten darf. Der erwähnte Belsazar nämlich. Genau genommen gab es derer sogar zwei und er meinte sie beide: der erste, seines Zeichens König von Babylon so um Fünfhundert und paar Zerquetschte vor Christus, muss demnach die Erhabenheit des Tafelvorsitzes zelebriert haben, ist aber langweilig. Der andere war ein Sohn des biblischen Nebukadnezar und das Beispiel für die Hoffart. Denn er entweihte bei einem wilden Festmahl die Gefäße Jehovas, die sein sauberer Vadda aus dem Tempel in Jerusalem geklaut hatte, und ließ sich aus ihnen vollaufen. Woraufhin umgehend eine unheilvolle Flammenschrift an der Wand erschien, die im Suff… öh, Quatsch, weil eine überirdische Unheilverkündung, kein Mensch außer dem Propheten Daniel zu lesen vermochte – das Menetekel.

… Belsazar ward aber in selbiger Nacht
von seinen Knechten umgebracht.

schrieb später Heinrich Heine in seiner Ballade zum Ereignis. Nun, fallllls Herman uns hiermit auch eine – sehr vage – Vorahnung bedeuten wollte, eins ist sicher: Ahabs Ritter und Knappen dürfen ihre Hände in Unschuld waschen – wir wissen ja schon, wer’s war.

Bilder: King Artus: Die Tafelrunde;
Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Das Gastmahl des Belsazar, 1635.
Film: Knights of the Round Table, aus: Monty Python and the Holy Grail, 1975.

Written by Wolf

26. January 2009 at 12:10 am

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Nemo contra Moby nisi Ahab ipse

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Elke hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

Oh, Ahab! what shall be grand in thee,
it must needs be plucked at from the skies,
and dived for in the deep,
and featured in the unbodied air!

Kapitel 33, vgl. Jendis, Seite 249.

Elke HegewaldWer wundert sich hier denn noch über die sattsame Verschleppungspraxis eines Melville? Die doch nur den schwindeln machen sollte, der ausschließlich ein knapp und knackig bespanntes Walgerippe von Action-Opus erwartete. Und nicht “drei Bücher in einem […]: eine robuste Abenteuergeschichte, eine naturhistorische und mythologische Abhandlung über den Wal (aus der Perspektive seiner Jäger) und eine moralphilosophische Reflexion über die Natur des Menschen – in Melvilles Sicht ein gefährliches Wesen, beherrscht von unberechenbaren tiefen Leidenschaften, an denen alle optimistischen Utopien zunichte werden müssen”, wie Herr Dieter E. Zimmer es in seinem Beitrag zum Moby-Dick-Übersetzungsstreit (veröffentlicht in “Die Zeit” vom 15.11.2001 und im Schreibheft Nr. 57) so blumig formuliert hat. Der im ersten Teil auch noch ausnehmend gut zu unseren akuten “dämonischen” Faseleien passt.

Demnach oszillieren wir im aktuellen Kapitel wohl gerade zwischen Buch zwei und drei, stehen also voll im Stoff, nicht wahr, meine Herrn? Wobei ich nicht direkt finden kann, dass unser guter Melville bei dieser Konstellation übermäßige Rücksicht auf den Leser nimmt. Aber wollen wir das denn?

AhabWenn ich dann auch mal den hier ausreichend gewürdigten Specksjinder… Specksnyder… Speckschn… na, ihr wisst schon, diesen hochkarätigen Waloffizier, von dem der alte Ahab garantiert besser als wir wusste, was er an ihm, erst recht in Mehrfachausführung, hat, mehr oder weniger längsseits liegen lassen dürfte? Die von Jürgen an dieser Stelle angemerkten Melvilleschen Satzmonster mit erschöpfender Auskunft sind mir, glaub ich, zum ersten Mal so richtig um Weihnachten (Chapter 22) und beim schaumgewordenen Bulkington bewusst geworden.

Ich versuche ja auch immer, für mich herauszuzotteln, was unser hochverehrter Autor nun gerade mit diesem Kapitel bezwecket, das den Wal wieder mal noch friedlich und weit in der Ferne blasen lässt. Denn in der oben zitierten büchernden Dreifaltigkeit hat natürlich ein jedes von ihnen seinen tiefen Sinn – denk ich mal.

Und natürlich geht es auch hier um Ahab und sogar die ehrenwerten Harpuniere halten letztlich dazu her, den Schleier um sein finsteres Wesen wieder ein bisschen zu lupfen. Und mir kommt es so vor, als ließe bei dero ganzer Loyalität gegenüber seinen besten Männern (so sie denn bedingungslos gehorchen) doch zum ersten Mal im bisherigen Verlauf – und im halbwegs vagen Ausblick, versteht sich – die langmütige Unterschwellensympathie seitens Mr. Melville für seine Ahabsche Heldenschöpfung ein Stückchen nach. Wenn man das mal so sagen darf.

Der Wolf hat so ein schönes eingängiges Bild gebraucht: das Nah- und Fern-Zoomen dieser Kapitänsgestalt vom Individuum zum verallgemeinert passierenden Phänomen. Und aus dem schwermütigen Vorgesetzten auf einem schwankenden Schiff im großen Ozean, der die seefahrerischen Gepflogenheiten einhält, wird ein (maskierter) Diktator in seinem Reich uneingeschränkter Macht, und ein besessener mit dämonischer Ausstrahlung dazu.

Zar Nikolaus I.Der Goethe-Bezug ist recht offensichtlich und wahrscheinlich, und von “jene[m] kleine[n] Bröckchen Latein, das da lautet: “Nemo contra Deum nisi Deus ipse”, das Melville selbst späterhin im Pierre wörtlich so zitiert, bis zum Vergleich mit dem eisernen und bis ins Mark despotischen Zaren Nikolaus: “Unterwerft euch, ihr Völker, denn Gott ist mit uns” — ist es dann nur noch ein Schritt. Dessen ach so berühmtes “Manifest an die europäischen Völker”, das er anlässlich der ’48er Revolution offenbar eigenmächtig im Namen der von ihm höchstselbst wiederbelebten Heiligen Allianz verkündete, war leider nicht aufzufinden, so dass ich euch auf eine Sekundärquelle (mit Anmarkerungen) verweisen muss.

Übrigens treten Melvilles dämonisch transzendetalistische Anklänge hier nicht zum ersten Mal herfür. Erinnert ihr euch zet Be an den Text und den Shakespearischen Anmerkungskram zu Kapitel 26 um die (mangelnde) Seelenstärke des armen tapferen Knappen Starbuck im Dunstkreis seines Ritters:

… brave as he might be, it was that sort of bravery, chiefly visible in some intrepid men, which, while generally abiding firm in the conflict with seas, or winds, or whales, or any of the ordinary irrational horrors of the world, yet cannot withstand those more terrific, because more spiritual terrors, which sometimes menace you from the concentrating brow of an enraged and mighty man.

Kapitel 26, vgl. Jendis/Göske, Seite 201 f., 951.

So, und zu guter Letzt verrat ich euch noch, wie ich auf den im aktuellen Kapitel frisch anwachsenden Negativ-Touch durch Mr. Melville kömm, was seinen dämoischen Käpt’n angeht. Denn dazu musste mir einfach Kapitel 16 einfallen, wo ich in der Besprechung der herzwarmen Brandrede des alten Peleg auf den guten Menschen Ahab doch selber schon die zwei Seelen herbeiverglichen hab, die der Goethe seinem Faustus eingepflanzt. Es gibt davor eine Stelle, in der Ismael über die Waljäger-Quäker von Nantucket philosophastert und explizit da eigentlich nur den Ahab meinen kann. Und die sowohl die siebzehn Kapitel weiter herbeizitierte “Dichtung und Wahrheit” wie auch die Melvilleschen Anlehnungen geradezu erschauernd und verfinstert wiederfindet:

So that there are instances among them of men, who, named with Scripture names–a singularly common fashion on the island–and in childhood naturally imbibing the stately dramatic thee and thou of the Quaker idiom; still, from the audacious, daring, and boundless adventure of their subsequent lives, strangely blend with these unoutgrown peculiarities, a thousand bold dashes of character, not unworthy a Scandinavian sea-king, or a poetical Pagan Roman. And when these things unite in a man of greatly superior natural force, with a globular brain and a ponderous heart; who has also by the stillness and seclusion of many long night-watches in the remotest waters, and beneath constellations never seen here at the north, been led to think untraditionally and independently; receiving all nature’s sweet or savage impressions fresh from her own virgin voluntary and confiding breast, and thereby chiefly, but with some help from accidental advantages, to learn a bold and nervous lofty language–that man makes one in a whole nation’s census–a mighty pageant creature, formed for noble tragedies. Nor will it at all detract from him, dramatically regarded, if either by birth or other circumstances, he have what seems a half wilful overruling morbidness at the bottom of his nature. For all men tragically great are made so through a certain morbidness. Be sure of this, O young ambition, all mortal greatness is but disease.“

Kapitel 16, vgl. Jendis, Seite 139 f.

Und nun sage noch einer, dass da nicht Abkühlung zum 33. Kapitel hin als Gänsehaut den Rücken runterläuft. Oder? War ja auch Zeit, schon aus Rücksicht auf den Leser, nä.

Bilder: Captain Ahab: Be Awesome, 26. Februar 2008;
Zar Nikolaus I.: WDR;
Lied: AC/DC: Highway to Hell, aus: Highway to Hell, 1979.

Written by Wolf

11. November 2008 at 4:22 am

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Leben und Sein in absteigender Größe

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Elke hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Already we are boldly launched upon the deep; but soon
we shall be lost in its unshored, harborless immensities.

Chapter XXXII, beginning.

Elke HegewaldOh je, wie in diesem Kapitel den Anfang (oder das Ende?) des roten Fadens zu fassen kriegen? Ach was, ich halt mich einfach mal an die Zeitreisen in die Frühkindlichkeit, die hier grad so im Schwange sind.

Und segele in der Zopfliesenzeit los. Von Walen wusste ich damals noch nicht viel, kannte aus dem artenreichen Gewimmel eigentlich nur zwei Exemplare, deren Gegensätzlichkeit ein kleines Mädchen mehr verstörte als man denkt: das eine ein prall aufgeblasenes und verschmitzt grinsendes Spielzeugvieh, das andere riesengroß, tot und als präparierte Volksattraktion auf dem Marktplatz der heimatlichen Kleinstadt tief im Binnenland aufgebahrt – ein ebenso traumatisches wie tränenschwimmendes Erlebnis. Der Moby und die Melvillesche Cetologie kamen später. Zwar anders gelesen als heut, aber auch letztere durchaus mit glühenden Wangen, was nicht verwundert, wenn einer weiß, dass man auch noch in den Wirren der Pubertät mit seinem Opa die Begeisterung für Sielmann– und Grzimek-Serien teilte.

Wassersäugetiere, Ravensburger VerlagDas alles ist lange her und damals war nicht zu ahnen, dass ich heute mit ein paar ausgewachsenen Kerlen, nerdig verrückten Moby-Jägern, durch diese Bibliothek voller Wale im Folio-, Oktav- und Duodezformat schwimmen und in den Wellen der Allegoritäten eines Mr. Melville schlingern sollte. Was nebenbei gesagt immer noch und immer wieder einen Höllenspaß macht.

Hossa, als wäre man nicht gerade in eine mittelschwere Euphorie geraten, wo, retardiert bis an den Rand des Erträglichen, endlich der weiße Wal und damit der Plan dem finsteren Maule Ahabs entfleuchte. Nein, da lässt dieser Melville auch noch gleich ganze Schwärme von Cetacea in allen Größen auf einen los. Aber wie Steuermann Jürgen schon sehr treffend zu bemerken geruhte: Man will ja nicht meckern; schließlich sind wir lange genug und voller Spannung auf sie zugesegelt, die großangelegte Systematik und Klassifizierung der Leviathane. Die heftigst aus dem geradlinigen Handlungsfluss mäandert und den Rahmen jedes gängigen Romans nebst dessen literarischen Regeln sprengt.

Und jetzt? Wo wir bei ihr angekommen sind? – da ist es auf einmal gar keine. Keine richtige jedenfalls.

Oder doch? Nun, wenn man bedenkt, dass die ganze Walkunde bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine, wie Herr Göske nachwörtelnd palavert, “höchst spekulative ‘Wissenschaft’” war (Seite 954), hat unser guter Moby-Vadder mit seiner Cetologie durchaus einen bemerkenswerten Vorlauf vorzuweisen. Denn erst die Antarktis-Expedition der Discovery mit dem Auftrag, „so weit wie möglich die Natur, den Zustand und die Ausdehnung des Gebietes der südpolaren Lande festzustellen, das in den Bereich Ihrer Expedition fällt“, und der Anweisung, dass „keines dieser Ziele dem anderen geopfert werden darf“ (Ann Savour: The Voyages of the Discovery, via Wiki), steuerte auch walisch Erhellendes bei.

Doch wie seriös und wissenschaftlich im zoologischen Sinne will wohl etwas sein, das dieses Walgewimmel zuvörderst gleich mal als drei Buchformate in absteigender Größe sortiert? Wenn da nicht einer dahintersteckt, der lieber Schreiberling und Künstler und metaphernder Philosoph ist, der durch Bibliotheken schwimmt, denn ein auf hoher See praktizierender Waljäger, dann weiß ich auch nicht. Obwohl er ja die Walfängerei wenigstens in seiner Jugend auch betrieben hat und somit ein Reservoir einschlägiger Erfahrungen glaubhaft zelebrieren darf. Doch nicht umsonst legt er Wert darauf, ausdrücklich zu betonen: “I am the architect, not the builder” (Jendis, Seite 229). Und erwirbt damit den Spielraum zu künstlerischer Freiheit und verschmitzt spottender Mutwilligkeit.

Pottwal BrehmDenn was tut er denn fortwährend? Nicht weniger, als dass er mit populär- bis pseudowissenschaftlichen Schnurren und stellenweise geradezu verspielt wie ein Lausbub wider Logik und besseres Wissen argumentiert und so die Ernsthaftigkeit seiner hochwissenschaftlichen Einteilung oft umgehend wieder aufhebt und in Frage stellt. Was sollen wir sonst von seiner augenzwinkernden “Definition” der Wale – “Ein Wal ist ein blasender Fisch mit einem waagerechten Schwanz” – halten, die die sorgfältige Linnésche Charakterisierung mit einer Handbewegung und der Volksmeinung der Walkumpel aus Nantucket (Jendis, Seite 230) vom Tisch fegt? Oder von der Krönung des Pottwals zum König und ohne Zweifel majestätischsten und größten Bewohner des Globus (Jendis, Seite 232) – wo er doch weiß, dass der Grönlandwal dem darin nicht nachsteht, und auch den Blauwal (der bei ihm als vager Geselle und Schwefelbauch unter den Folios geführt wird) kennt? Oder gar der spitzbübischen These vom Nutzen eines narwalenen Horns als Falzbein fürs Zeitschriftenlesen?

Die Absolution für derartige Willkür und Verspottung wissenschaftlicher Systeme (und philosophischer gleich mit) erteilt er sich selbst:

I promise nothing complete; because any human thing supposed to be complete, must for that very reason infallibly be faulty. I shall not pretend to a minute anatomical description of the various species, or–in this place at least–to much of any description. My object here is simply to project the draught of a systematization of cetology.

(Vgl. Jendis, Seite 229)

Da ist er wieder, der Architekt, nicht der präzise zimmernde Handwerker: Alles fließt, alles Entwurf. So einer darf sich Selbstreflexion rausnehmen und seiner Fantasie freien Lauf lassen… mit vorgeblich festgezurrten Fakten spielen. Und sie zum eigenen Zwecke gar umwerfen.

Denn hinter alledem ist – wie wir es von Herrn Melville längst sattsam kennen – durchaus die Ernsthaftigkeit seines eigentlichen Anliegens zu erahnen und zu deuten. Und ich meine, dass da unser hochverehrter Gastautor Sascha Recht hat: Es geht am Ende um nicht mehr und nicht weniger als um Erkenntnis, um Erwerb von Wissen, dessen Wertung, Relativität und immerwährende Unvollkommenheit. Und wohl auch darum, welche Rolle menschliche Erfahrungen und Prägungen dabei spielen, welche die eigene Sicht und Handhabung der Dinge – ein weites Feld für Philosophastereien. Und ein beständig zu bestellender Acker für die schöpferischen Geister dieser Welt.

Und es wäre nicht Melville, wenn er nicht stilsicher genau da, genau bei dem Fazit der Unvollendung landete, das seinen “Whale of a Book”, sein “Book of a Whale” ausmacht – oder?:

For small erections may be finished by their first architects; grand ones, true ones, ever leave the copestone to posterity. God keep me from ever completing anything. This whole book is but a draught–nay, but the draught of a draught.

* * *

Hmm… auch wenn das jetzt nach einem runden Ende klingt, waren es wohl nur ein paar rausgepickte Rosinchen aus dem Wal-Pott – oder doch eher tote Fliegen? Ihr wisst ja, dieses verflixte Ende vom roten Faden. Außerdem haben die Jungs sowieso schon fast alles selber brillant referiert. Aber zwei tote Fliegen… öh, Fragen hab ich dann doch noch ceta-zehig einzuwerfen.

Die erste fliegt zum Wolfe und den Walrossen der Jendis respektive Rathjen: Ist nicht das Jendis’sche amphibisch “leben” korrekter als das amphibisch “sein” vom Rathjen? – wo doch wie der Wal kein Fisch das Walross selber auch keine Amphibie, sondern definitiv ein (see)hundeartiges Raub(säuge)getier ist?

Die zweite ist womöglich eine der Unvollkommenheit – von wem auch immer: Wer ist – und warum – eigentlich auf die Idee gekommen, dass der Ich-Erzähler in der Cetologie Ismael sein soll? Weil er das bis jetzt immer war? Weil er mit seinen “Händen Wale berührt” hat? Weil der Melville gefälligst in seinem eigenen Roman nix verloren hat? – Tsss, der Ismael hat als Frischling noch keinem Wal nicht ins lebendige Auge geschaut, geschweige denn einen angegrabbelt. Aber der Göske faselt nachwörtlich immerzu von Ismael. Hä? Und erfuhren wir jemals zwischen erstem und einunddreißigstem Kapitel davon, dass dieses blasse Hilfsschulmeisterlein von Ismael seine Jungfernfahrt auf dem Walfänger verbüchern wollte, und sei es als Entwurf zu einem Entwurf?

Nie war der Moby-Papa gegenwärtiger. Yeah, er hat sich selber mit entworfen, wenn ihr mich fragt. Aber wer fragt mich schon?

So, und wer meinen Sermon bis hierher ohne Schaden an Leib und Seele überlebt hat, der kriegt zur Belohnung noch den unbekannten Moby Dick Whaling Song aufs Ohr: ein Amateur, inspiriert vom Huston-Filmklassiker, etwas dilettantisch aber hoffnungsvoll, wenn ihr mich fragt. Aber das hatten wir ja gerade…

Bilder: Wassersäugetiere-Quiz: Ravensburger Verlag;
Pottwal: Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere, Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage, Kolorirte Ausgabe, Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883, Seite 7: gemeinfrei.

Captainseits empfohlener Link: der zum Verband deutscher Antiquare e.V.

Written by Wolf

11. October 2008 at 12:01 am

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Freud um Nietzsche, Ahab um Stubb

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Elke hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Elke HegewaldAls hier das große Wundern und Grübeln über die Titelung der Kapitelung und den Inhalt dahinter ausbrach, war ich spontan geneigt und bereit einzustimmen – aus vielfältigsten Beweggründen (zu denen auch die Überraschung gehört, wie Dr. Jürgen Freud in seinem großartigen traumdeutenden Beitrag bei wenigstens einer Version seine Zweifel hinsichtlich der Wahrung des Zeitbezugs kühn und vorübergehend über Bord zu werfen gewagt hat). Bis auf einmal alles (s)einen tiefen Melvilleischen Eigensinn bekam und sich irgendwie allegorisch rund legte. Meine beiden (oder anderthalben) Deutungsvorschläge:

Der erste lehnt sich so ein bisschen an meine eigenen Erfahrungen aus dem täglichen Broterwerb an und die dabei sattsam gewonnenen psychologischen Einblicke. Bei denen (auch wenn ich nicht Frau Dr. Freud bin) womöglich gleich wieder Jürgens Besorgnisse hinsichtlich Melvillebezugs und dortigen menschlichen Anders-Denkens aufhorchen werden. Aber man glaubt es kaum, was der liebe Mitmensch, das unbekannte Wesen, alles in sich selber anstellt, um ein Stückerl von seinem malträtierten Rückgrat zu behalten. Dass zu diesem Zwecke auch Träume in einem rumrumoren, weiß ja die Welt schließlich auch nicht erst seit dem Erfinder der Psychoanalyse. Die aufgesammelten und nicht mal seltenen seelischen Selbsttherapien kommen schon Wolfs Einsortierung des guten, narrischen Stubb ziemlich nahe. Der sich nämlich einen geträumten Tritt in den Hintern oder weißichwohin schönredet (also der Stubb jetzt), um sich solcherart mit Ach und Krach sein Selbstwertgefühl zu bewahren, seine menschliche Würde zu retten. Der Anschnauzer seines vorgesetzten Kapitäns macht ihm – Frohnatur und anpassungsfähiges Gemüt hin oder her – mehr als man denkt zu schaffen, wo er ihn bis in seinen wellengewiegten Schlummer verfolgt. Und was tut so einer, der wie unser Stubb nicht für das Auflehnen wider den Starken und Mächtigen geboren ist, nun dagegen? Na klar, er träumt sich’s klein. Versucht, das gesunde Empfinden einer handfesten Beleidigung herunterzuspielen, indem er in seinem tumben Stubble-Kopp den Wert Ahabs und dessen ja nur via künstliches Walbein und nicht als “a living thump” verabfolgten Tritt schmälert. Gegen den er sich anfangs sogar zu wehren sucht, “stubbing [his] silly toes against that cursed pyramid”. Na, und mit ein bissel Rückgratstärkung durch einen, wenn auch arg bucklig und marlspiekert geträumten Merman fühlt sich’s doch gleich noch ein bisschen besser an, nä.

Soweit die Alltags- und real(un)poetische Natur-des-Menschen-Version. Die mir übrigens geeignet scheint, nicht gar zu sehr (wenn überhaupt) in den Zwang einer Rechtfertigung vor Herrn Melville zu geraten: Erniedrigung bleibt Erniedrigung, Mensch angesichts einer solchen sooo Mensch – und fühlt auch so.

Sollte man gesunderweise meinen.

Wäre nicht… ja, wäre da nicht noch was in den nach Melvillescher Art eingeflochtenen Symbolismen und Anspielungen, von denen es nur so wimmelt im Kapitel. Etwas, das mir zwar dunkel, aber verdammt nochmal bekannt vorkömmt . Die müssen doch einen Sinn ergeben – hätte er ja auch einfacher haben können sonst, der Herman. Und auch ein paar heftige spöttische Grinsefältchen meint man in seinen Augenwinkeln wahrzunehmen. Was sollen also die ganzen Bilder, die Pyramide und das abbe Bein vom Stubb und das getackerte nackerte Hinterteil des Merman-Phantoms?

Max Klinger, Der Gang zur BergpredigtHa, und spätestens als der Bucklige blank zieht, fällt mir die Erleuchtung wie Schuppen aus den Haaren der feenhaften Frau Mab. Ahnt’ ichs doch! — Und nein, auch wenn es bitter und enttäuschend ist für alle einschlägigen Suchmaschinenquäler und auch wenn es Jürgens brillant freudischen Tiefenpsychologie-Exkurs nicht zu stützen scheint, kein Kindesmissbrauch des kleinen Herman, keine homoerotischen Fantasien alternder Schriftsteller und Matrosen, auch nicht Stubbs Potenz- mit Beinverlust fliegen mich an und geistern durch meinen Sinn. Sondern der alte Käpt’n Bildad ists – erinnert sich noch jemand an den? Was murmelte der nochmal andauernd durch einen guten Teil des 16. Kapitels? Jaaah, die biblische Bergpredigt wars, auf der er herumkaute! Die war’s!

Sind es nicht deren Weisheiten, die Melville da mit einem Augenzwinkern und dem uns hinlänglich bekannten freigeisternden Handhaben von Religionsfragen in den Traumbildern des braven Stubb herumstreut? Selig sind die Sanftmütigen!

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

predigt Jesus auf dem Berge (Matthäus 5,39f.). — Je nun, Bein um Bein beim Stubb und Ahab? Und reckt der alte Merman auf Stubbs angedrohte Schläge nicht gar gleich seine zwei Backen hin? Auch wenn der Gottessohn wohl eher die andern zwei meinte. Und auch die Märtyrerdornen – oder sind’s Marternägel? — gehören eigentlich woanders hin, oder?

Wohlgemerkt, die Predigt handelt in diesem Passus “vom Vergelten”. Und ei der Daus, wären dann die Stubbschen Dissonanzen mit Ahab für Melville nicht nur Mittel zum Zweck? Gingen seine Anspielungen dann nicht verflixt weit darüber hinaus? – Gesetzt den Fall, an meinen Herumdeutelungen wäre was dran: dann ginge es hier um nicht mehr und nicht weniger als um das Einläuten eines Hauptthemas des ganzen Moby-Dick, das den Handlungsfaden vorantreibt: des finstern Käpt’ns – nicht des kleinen Stubb — Drang nach Rache und Vergeltung nämlich. Großes Kino also. Ergibt somit im Zusammenhang des Romans das ganze Kapitel nicht sehr wohl einen tiefen Sinn? Und nicht von ungefähr, so deucht mich, findet gerade in diesem Moment der weiße Wal zum ersten Mal Erwähnung. Was meint ihr?

A23H, Der teufel ist tot, 29. Dzember 2005Und wenn das so ist, wird auch der Wolf – mitsamt unserm gotteslästerlichen Herman – Recht behalten. Wie sagte er so schön?: “Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten.” — Worauf wir einen lassen… öhm, also wetten können, denn: “Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.” (Matthäus 5,41)

Dass der Stubb sich den Ahab zu allem Überfluss auch noch zur Pyramide traumzaubert, die ja auch auch als Symbol des dreidimensionalen (heiligen) Kreuzes interpretiert wird – hm, soll man das nun als Zeichen schleichend wachsender Ahab-Einschwörung und Verblendung deuten? Doktor Freud, übernehmen Sie büdde wieder!

Dochdoch, Doktor, nu ziernse sich mal nicht so! Das wäre schon deshalb angebracht, weil Mr. Melville — okayokay, Jürgen — den Freud zwar nicht kennen kunnt, aber mir ihm in Sachen Religionskritik zet Be kaum nachzustehen scheint. Nicht dass ich jetzt behaupten wöllt’, er sei ein Verfechter des blinden Rachegedankens um jeden Preis. Doch schaut es mir so aus (denn den Spötter Melville dichte ich mir doch nicht nur hinein, oder?), als wäre auch er als ein, leicht konspirativer, Gegner der berggepredigten über-menschlichen Erwartungen und deren “Sklavenmoral” auszumachen. Wie der große Freudsche Zeitgenosse Friedrich Nietzsche es sieht, der deren entschiedenster einer war und dem der Doktor zudem selber bescheinigte, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben. Nietzsches Also sprach Zarathustra wird als Gesamtwerk sogar als eine Art Anti-Bergpredigt gehandelt, wider die Demut und Unterwürfigkeit und für die Selbstbestimmtheit des Menschen. — Anmerkung: Jaha, ich bin mir bewusst, dass dies eine stark vereinfachte und unzulässige Verkürzung sowohl des Herrn Nietzsche als auch seines Zarathustra ist und ein eigenes Thema verdient hat.

Carl Bloch, Sermon on the Mount, 23. Mai 1834

Und um das Maß voll zu machen und eure Geduld bis an den Rand zu strapazieren, nehme ich mir auch schnell und – versprochen! — kurz Frau Königin Mab zur Brust. Ein ketzerischer Titel im gerade episch ausgebreiteten Zusammenhang, findet ihr nicht? Die heidnische keltische Fee, die in der Mythologie Schöpferin, aber auch Hexe ist. Die unsern eh schon verwirrten Stubb nun auch noch heimsucht. Tsss, Mister Melville, ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Ich klau da nochmal kurz beim Shakespeare, den ja auch uns’ Herman beständig alles andre als verleugnet:

… and then anon
Drums in his ear, at which he starts and wakes,
And being thus frighted swears a prayer or two
And sleeps again. This is that very Mab
That plats the manes of horses in the night,
And bakes the elflocks in foul sluttish hairs,
Which once untangled, much misfortune bodes:
This is the hag…

Sorry, das musste noch, bei Hexen und Feen kann ich nicht anders. Wo ich doch selber eine bin.

Johann Heinrich Füssli, Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788

Bilder: Max Klinger: Der Gang zur Bergpredigt, 1877;
A23H: Teufel ist tot, 29. Dezember 2005;
Carl Bloch: Die Bergpredigt, Kopenhagen 23. Mai 1834;
Johann Heinrich Füssli: Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788.

Written by Wolf

27. July 2008 at 12:01 am

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Mein Liebchen: Edle von der Pfeife

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Elke erhebt Einwände zu den Einwänden zu Kapitel 30: Die Pfeife:

Elke HegewaldIrgendwie bin ich mit keinem der verkündigten Argumente so richtig glücklich. Die “Befreiung von allem Irdischen” kömmt mir bei dieser winzigen Episode und dem Sonderling-Gebrabbel fast ein bisschen zu pathetisch daher. Naja, und die Absage ans Pfeifchenpaffen als trotzige und entschlossene Gebärde zu interpretieren, hinter der der einsame Rächer sein hehres Ziel glasklar und nicht durch vernebelnden Qualm im wachsamen Adlerauge behalten will, ist auch ein einigermaßen schräges Bild, oder? Jedenfalls wenn man selbiges Ziel eher als fixe Idee und Racheplan verletzten männlichen Stolzes denn als heldischen Vorsatz zu sehen geneigt ist.

Hey Jungs, ‘tschulljung, wenn ich mich in eure kerligen Gespräche einmische. Ich will ja auch gar nicht streiten und vielleicht liegt’s ja daran, dass ich ein Mädchen bin und mit dem sturen einsamen Cowboy respektive Walfänger nichts anfangen kann, der – koste es was es wolle – für seine Ehre in den Sonnenuntergang… na, ihr wisst schon. Und wenn doch, dann um der dramatischen Ausgeburt Melvillescher Künstlerfantasie und der menschlichen Tragik unseres unseligen Ahab willen.

Allerdings fallen meine Deutungen etwas weniger glorios aus, als Seeweib muss man doch ‘n bisschen Realität in den Disput bringen.

Da murmelt also dieser Finsterling so vor sich hin in seinen Bart (hm, hat er eigentlich einen?):

“How now… this smoking no longer soothes. Oh, my pipe! hard must it go with me if thy charm be gone! Here have I been unconsciously toiling, not pleasuring — aye, and ignorantly smoking to windward all the while; to windward, and with such nervous whiffs, as if, like the dying whale, my final jets were the strongest and fullest of trouble. What business have I with this pipe? This thing that is meant for sereneness, to send up mild white vapours among mild white hairs, not among torn iron-grey locks like mine. I’ll smoke no more — “

Parodie Martin Mißfeldt, Picasso, Junger Mann mit PfeifeTja, und was spricht er da eigentlich? Wenn man sich ganz einfach machte, könnt man sagen: Es schmeckt ihm nicht mehr, sein Pfeifchen. Himmel, seid ihr keine Raucher? Kennt doch jeder von denen, der lang genug dieser Sucht frönt. Meistens gibt sich das irgendwann wieder. Aber es wäre auch eine gute Variante – dazu noch mit einem fein theatralischen Effekt – damit aufzuhören, nä. Über Bord mit dem Ding, opfern wir es dem Meeresgott! Ahab, dem Kerl mit dem eisenharten Willen, dem Mann für radikale Lösungen, traut man sogar zu, dass er’s so packt. Und zu kaum einem passt wohl diese Geste, in einer Aufwallung von Groll auf sich selber das gute Stück in hohem Bogen in die Wellen zu werfen, so sehr wie zu ihm. Ist doch ein sturer, verbohrter Hund, der.

Doch so schnöde und schlicht ist’s dann vielleicht doch nicht. Schwingt da nicht auch eine schmerzliche Erkenntnis mit in seinem Gebrummel?: Es funktioniert nicht mehr, dieses angenehme Fünkchen Leben, der Zauber eines besänftigenden Pfeifleins im Mundwinkel, der auch ihm wohl tat, ist verflogen. Er selbst ist nicht mehr zugänglich für die kleinsten Freuden dieses Lebens, ist eine arme, einsame und verzweifelte Seele. Und diese Regung tut weh, was er sich jedoch niemals eingestehen würde:

“Was habe ich mit dieser Pfeife zu schaffen? Dieses Ding, das doch heitere Gelassenheit stiften und mildweiße Wölkchen zu mildweißem Haar emporsenden soll, statt zu zerzausten, eisengrauen Locken wie den meinen…”

Hier nun auch mein Einwand zum Einwand, lieber Jürgen: Ja, es muss die Pfeife sein — sie ist etwas Schönes, Versöhnliches, Herzwarmes. Verflucht er sich vielleicht gar für diese unzulässig sentimentale Regung, reagiert er deshalb so schroff?

Wir wissen es nicht. Und stehen, ihn beinahe scheu aus den Augenwinkeln beobachtend, neben ihm an der Reling…


Vincent van Gogh, Alter Schiffer, 1883Pfeifenraucher umschwebt doch irgendwie der Hauch des Gemütlichen, ja, eben so, wie Melville selber es beim guten schlichten Stubb beschrieben hat. Mit dem Wölkchenpaffen an sich verbindet sich doch das Gefühl von von Genuss (heute hat es manchmal sogar etwas Elitäres an sich, oder?). Ein paar von den Großen, die wir kennen, waren Pfeifenraucher, so der jüngst hier besungene Pfannkuchenschreiber Hemingway oder Albert Einstein. Pfeifen sind ein unverzichtbares Requsit der Seeleute und manche von den Nuckelschätzchen tragen gar den stolzen Namen Kapitänspfeife und sehen auch so aus.

Meisterschaften im kultivierten Pfeifenrauchen werden ausgetragen und die Kunst der Pfeifenbäckerei wissenschaftlich erforscht.

Tabakspfeifen sind Freundinnen. Der hier seinerzeit auch schon (zu weitaus mutigeren Themen) durchgehechelte selbsternannte Indianerfreund Karl May nannte die seine gar sein Liebchen und hat die Wonnen mit ihr — schauschau! — in Versen besungen. Über deren Unsterblichkeit ich mir hier zwar beileibe kein Urteil anmaße, die aber das besondere Flair des Schmökens für seine Jünger vermitteln:

Mein Liebchen

Wenn Sorge mich und Unmuth quälet,
Wenn mir’s an Moos im Beutel fehlet,
Wenn mich ein schwerer Kummer drückt,
Das Schicksal mich mit Pech beglückt:
Was ist es dann, wonach ich greife?
I nun! Die liebe Tabakspfeife!

Bei meinen Freuden, meinen Scherzen,
Beim Austausch gleichgesinnter Herzen,
In all’ den traulich frohen Stunden,
Die ich im Freundeskreis gefunden,
Bei meines Glück’s so seltner Reife
Ist stets um mich die liebe Pfeife.

Auf all’ den Reisen, die ich machte,
Wo die Natur mir freundlich lachte,
Auf all’ den einsam trauten Wegen,
Im Waldesgrün, wo ich gelegen,
In Feld und Flur, die ich durchstreife,
Begleitet mich die treue Pfeife.

Sie bleibt mir Braut durch’s ganze Leben;
Ja, sie in Adel zu erheben
Ist wohl ein Leichtes: Das Diplom
Schreibt sie sich selbst durch ihr Arom.
Sie heiße d’rum, ob man auch keife,
Von jetzt an: Edle von der Pfeife!

Ich selber mag den Geruch einer schmurgelnden Tabakspfeife. Und hab’s auch schon mal probiert, auch wenn ich gewiss nicht grad zum Freak werde.

Und ich glaube, er wird es bereuen, der alte Ahab.

Damenpfeife aus dem Pfeifenlädchen

Bilder: Martin Mißfeldt: Junger Mann mit Pfeife, nach Pablo Picasso;
Vincent van Gogh: Alter Schiffer, Bleistift, schwarze und weiße Kreide, 1883;
Damenpfeife aus dem Pfeifenlädchen.

Written by Wolf

9. June 2008 at 3:49 am

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Enter Stubb; To himself, Stubb: Du sollst nicht denken

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Elke hat Kapitel 29: Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb gelesen:

Elke HegewaldIch konnte mich ja eines Schmunzelns nicht erwehren beim Lesen der Szene mit den zwei kläffenden, zänkischen Kerls. Für mich hatte sie durchaus was Kurioses.

Zu Ahabs Ehrenrettung muss zunächst mal angemerkt werden, dass er ja mitnichten ohne Rücksicht auf Verluste und Mannschaftsschlaf allnächtlich mit seinem Knüppelfuß übers Deck poltert. Er achtet im Gegenteil sehr wohl auf die verdiente Ruhe seiner Crew. Sogar

some considering touch of humanity was in him; for at times like these, he usually abstained from patrolling the quarter-deck; because to his wearied mates, seeking repose within six inches of his ivory heel, such would have been the reverberating crack and din of that bony step, that their dreams would have been on the crunching teeth of sharks.

Verjendist siehe Seite 217.

Aber ahnen wir doch längst, was ihn umtreibt und dass es manchmal mit ihm durchgeht. Der Typ kreist doch um sich selbst – na, und diesen ominösen Wal. Und dann kommt dieser Trottel Stubb angebolzt und beschwert sich, dass er mal nicht schlafen kann.

So gesehen und in Anbetracht von dessen “scherzhafter Unterwürfigkeit” beginnt von Ahabs Seite das Geplänkel ja noch geradezu leutselig und beschwichtigend – ein Zug, den man in ihm, mit Verlaub, gar nicht vermutet hätte, oder? Nur im Nachsatz muss er dann doch noch den Boss raushängen lassen und ihn einen Hund heißen – oder hatte es gar auch der Versuch eines Scherzes werden sollen? (Melville wäre das zuzutrauen, aber das ist nun wieder der Nachteil vom Lesen, man hört ja den Tonfall nicht so recht…). Sollte es denn so gewesen sein, ging das jedenfalls kräftig daneben, um nicht zu sagen, nach hinten los. Denn so kann man selbst einem Stubb nicht kommen, schließlich hat ein ehrbarer Waljäger auch seinen Stolz.

Stubb Moby Dick! The Musical, PresentingWas das Erstaunliche daran ist: Es kommt einem beinahe so vor, als wären beider Rollen vertauscht, freilich nur für einen kleinen Moment. Denn der finstere Ahab scheint zuerst ungewohnt menschlich und milde und wird erst unversehens wieder dämonisch und aufbrausend, als ihm Widerworte entgegen wehen. So weit kommt das noch, dass der Untergebene, dieser kleine Knappe sich gegen ihn auflehnt – wer ist denn hier der Kapitän!

Stubb hingegen, dessen heiteres und gemütliches Wesen uns Kapitel 27 bekanntlich in einigermaßen epischer Breite erhellte, das ist doch der, den so schnell nix aus der Ruhe bringt – “so cheerily trudging off with the burden of life in a world full of grave pedlars, all bowed to the ground with their packs” (Kapitel 27, bei Jendis Seite 205). Der mit dieser sympathischen Fischkopp-Mentalität des küstengeborenen Inselmenschen, wie sie in derartigen Landstrichen offenbar weltweit zu Hause ist. Und der versteht den etwas verunglückt geratenen Humor seines Obersten plötzlich miss und muckt auf. Statt einfach den ollen Walbeinernen zu nehmen wie er ist und ihm dieses eine Mal nachzusehen, dass er seinen Moralischen hat und infolge seiner Behinderung in naturgemäßem Stakkato über ihren Köpfen herumtrampelt. Und den gebieterisch rauen Ton eines Käptns auf seinem Schiffe, der halt nicht mit Engelszungen daherkommt, sollten solche harten Kerls nicht gewohnt sein…? Hm, wenn diese skurrile Konstellation ihren Zündstoff, an dem sie explodiert, nicht selber ausgebrütet hat, dann weiß ich auch nicht.

Und hinterher brabbelt er ratlos wirres Zeug in sich hinein und versteht die Welt nicht mehr oder was ihn eigentlich geritten hat, sich mit dem da anzulegen. Diesem Murmelmonolog wohnt wirklich nichts weniger inne als der durchgeistigte und psychologelnde Bewusstseinsstrom späterer Autoren, da hat der Wolf schon Recht – und Melville sowieso. Denn nennen wir es doch beim Namen: Unser guter Stubb ist ein einfaches Gemüt, das eben auch mal langsamer denkt, als es spricht, und sich nicht gern den Kopf zerbricht. Nicht umsonst besinnt sich so einer zu guter Letzt gegen das Chaos in seinem Hirn auf sein höchstpersönliches elftes Gebot: Du sollst nicht denken! Und sein zwölftes: Du sollst schlafen – wenn du kannst. Schau an, nicht supergescheit aber lebenstüchtig, der Mann. Rettung durch Verdrängen – kennt doch jeder. Oder etwa nicht?

P.S. Ach ja, eine freundliche Begegnung hatte ich auch noch, beim Kramen nach der passenden Illustration. Wollt ihr hörn? Es gibt tatsächlich eine Insel, die Stubbs Island heißt. Ein winziges Stück Land im Meer an der Nordspitze des riesigen kanadischen Vancouver Island, beide voller Natur pur, ersteres besonders hübsch bei Sonnenuntergang. Und wenn ich mir einerseits auch schwer vorstellen kann, dass dieses Inselchen ausgerechnet nach Ahabs Zweitem benannt ist, spricht doch andererseits etwas Gewichtiges beinahe dafür: Es bietet nämlich eine Touristenattraktion an, wie sie einschlägiger kaum sein kann – Stubbs Island Whale Watching! So viel Zufall kanns doch gar nicht geben, oder?

Bilder: Moby Dick! The Musical; Norman Bolwell: Stubb’s Whaleboat.

Written by Wolf

16. May 2008 at 12:20 am

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Stigma diabolicum

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Elke hat Kapitel 28: Ahab gelesen und Ahabs Mal gesehen:

Elke HegewaldKapitän Ahab betritt die Bühne. Da steht er also auf seinem Achterdeck rum, der Langersehnte. Das war aber auch schon das Dramatischste, was dieses 28. Kapitel zu verkünden hat, oder? Ansonsten: ein bisschen ahnungsvolles Bauchgrimmen sowie besorgte Spekulationen über Scheffes Befehlsgebaren bei Ismael, der sich wohl auf seine schwindende Erzählerrolle im weiteren Handlungsverlauf vorbereitet, zunehmend eitel Sonnenschein und eine milde Brise auf Deck. Die sogar den finsteren bislang Unsichtbaren zunehmend ans Tageslicht lockt und beinahe hätte lächeln lassen…

Also wirklich. Auf die Gefahr hin, mit grünen Tomaten und Chowder-Bowls beworfen zu werden, frag ich mal ketzerisch: Hat der geneigte Leser (abgesehen von den eingeweihten, die eh Bescheid wussten und nur so tun als ob) von diesem Auftritt nicht was Spektakuläreres, Unheilschwangereres erwartet — und verdient? Wie hat er diesem Moment entgegengefiebert und wie viele Kapitel mit weit mehr Input über den Herrn der Pequod schon hinter sich gebracht und noch zu erwarten. Sogar von dessen Walbein — sei’s nun das rechte oder das linke — weiß er längst. Wen wundert es da noch, wenn die Moby-Projekt-Arbeiter sich “vor der Größe der Ereignisse in stubengelahrte Kniefieseleien” flüchten, wie der Wolf so schön zu formulabern pflegte? Und sich bei ihrer literierenden Waljagd vorübergehend bis an die Grenzen der Trägheit selber retardieren. Andererseits: Wer musste auch seine Erwartungen an des Leibhaftigen Erscheinen so auf die Spitze treiben?

Genug davon und ProvoZeter-Modus aus. Zumal uns doch immer eingebläut wird, positiv zu denken, nä. Und so gesehen ist diese gefühlte Ereignislosigkeit des bemotzten Kapitels nicht des guten Melvilles Schuld, sondern sein Verdienst. Und er uns, explizit was das nämliche Retardieren angeht, ein großer Lehrmeister, hihi.

Öhm… schreiten wir also mal zu einer gerafften Bestandsaufnahme der vorliegenden Nummer 28.

“Die Wirklichkeit übertraf jede Befürchtung. Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck” macht sich in jedem Falle gut als filmische Drehbuchanweisung und ist eine echte Herausforderung für jeden Regisseur, oder? Womit wir dann allerdings — nicht wahr, Stephan? — schon wieder bei Gregory Peck oder Patrick Stewart und Konsorten wären.

Der Umgang des obersten Herrn der Pequod mit seinen Steuerleuten wird uns sicher noch anders als durch geschlossene Türen offenbar; auf die bunte und für ihr Handwerk überaus kompetente Vielvölkercrew scheinen sowohl Ismael als auch Melville selbst felsenfest zu bauen.

Ruthe, Verzeih mir, 8. August 2007Wäre da noch die Sache mit dem unheimlichen und leichenfahlen (Ganzkörper-?)Mal. Diese Kreuzigung, die — wie bereits festgestellt — nicht nur Generationen von Lektoren und Übersetzern zur Verzweiflung gebracht hat, sondern mich gleich wieder in diverse Spinnereien und diffus Aufgelesenes entführt, warum der Herman ihm eine solche anhängen mag. Deutereien und Spekulationen um diese auf dem Schiff wohl als Tabu gehändelte Zeichnung gibt es im Kapitel selbst ja reichlich — vom Zeitpunkt und der Art ihres Erlangens über ihr Ausmaß bis hin zu damit erworbenen übernatürlichen Fähigkeiten. Und zu allem Überfluss spuken in mir auch noch abergläubische Überlieferungen um unheimliche Körpermale (vornehmlich an Hexen und sonstigen vom Teufel Besessenen zu finden), die Satan höchstselbst verleihen soll und die sogar Eingang in die Rechtsliteratur gefunden haben. Warum auch nicht — hat denn nicht die überlieferte Gottlosigkeit seines historisch-biblischen Namensgebers und sein In-die-böse-Ecke-Rücken nicht auch unser entwurzelter Finsterling ererbt…?

Der Gezeichnete: Ruthe, 8. August 2007.

Written by Wolf

18. March 2008 at 12:01 am

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Gay religions full of pomp and gold

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Elke hat Kapitel 27: Ritter und Knappen gelesen:

Wandering o’er the earth,
Through God’s high sufferance for the trial of man,
By falsities and lies the greatest part
Of mankind they corrupted to forsake
God their Creator, and th’ invisible
Glory of him that made them to transform
Oft to the image of a brute, adorned
With gay religions full of pomp and gold,
And devils to adore for deities.

John Milton: Paradise Lost, Book I

Stubb by Moby Dick The MusicalNatürlich bin auch ich sogleich über der Melvilleschen Untiefe ins Schlingern geraten, warum nun die Ritter und Knappen noch ein zweites Mal als Kapitelung herhalten müssen. Spinn ich halt auch ein bisschen so für mich hin — schließlich hat der Wolf damit angefangen. Eigentlich ist ja das Atemholen ganz einleuchtend, wo wir doch aus dem Mastkorb Kapitel 28 und damit den so ewig retardierten Auftritt des leibhaftigen Ahab erspähen können (der Leibhaftige ist auch ganz schön zweideutig, oder?).

Mir hingegen gefällt ja die angesprochene und plötzlich über uns hereingebrochene Systematik des Herrn Melville noch besser. Starbuck hat schon deshalb dies eigene Kapitel verdient, da er als Erster Steuermann wie kein anderer zugleich Ritter und Knappe ist, um mal in der Metaphorik des Autors zu bleiben: Ersteres in Bezug auf seine Bootsbesatzung gesehen und in seiner Position als Vertreter und Hüter der Crew — und der Vernunft; andererseits ist er des schiffsallmächtigen Ahab “Knappe”, Untergebener… Befehlsempfänger und Übermittler von solchen des Kapitäns nach unten. Diese Kombination ist es doch, die ihn (wie von uns schon ausgemacht) neben allem anderen auf der wilden Jagd zum einzigen halbwegs ernsthaften Widerpart von Ahab werden lässt. Mal abgesehen jetzt von Moby Dick selber, aber die Kreatur zählt hier nicht.

Deswegen verkommt uns Nummer 27 noch lange nicht zur bloßen Liste der Weisungsbefugnisse, nicht bei einem Herman Melville. Von der insulanischen Walfängerelite der Pequod erfahren wir hier grob schon fast alles, was man als Minimum von Leuten wissen muss und mag, mit denen man immerhin — nach der wolfschen Lesetempo-Prophezeiung — noch bis 2012 auf einem Schiff segeln wird. Inklusive Vor- und Herkommen, Spitznamen sowie — beim einen mehr, beim anderen weniger einnehmenden — ungesunden Marotten. Von denen mir Stubbs Pfeifchenpafferei nicht grad die unsympathischste ist. So viel weiß so manche Bloggerverschwisterung nicht voneinander. Zu den Isolato-Typen als Zeitgenossen könnte ich aus meinem multikulturellen Umgang glatt auch noch einen imposanten Daggoo, mit etwas Nachdenken sogar ein würdiges Stammesmitglied amerikanischer Ureinwohner beisteuern.

Jean-Baptiste du Val-de-Grâce, baron de ClootsDie Pequod ist eine Welt im Kleinen mit einem exemplarisch bunten Menschengemisch (irgendwo waren wir darauf auch schon mal gekommen):

Eine Abordnung des Anacharsis Clootz von allen Inseln der Meere und allen Ecken der Erde, die den alten Ahab auf der Pequod begleiteten, um die Beschwerden der ganzen Welt vor die Schranken jenes Gerichtes zu bringen, von dem nur wenige jemals zurückkehren.

Jendis, Seite 209

Jener Anacharsis, von Hause aus ein preußischer Baron namens Jean Baptiste du Val de Grace Cloots, hatte Melville so schwer beeindruckt, dass er ihn nicht nur hier für das Bild der Schiffsmannschaft bemühte. Auch später im Billy Budd ließ er sich nochmal anerkennend über den Kerl aus, der während der Französischen Revolution nach Paris zog und dort im Juni 1790 sich und einen buntgewürfelten Haufen Fremder “der ersten französischen Nationalversammlung als Abgeordnete des Menschengeschlechts” präsentierte. Er wurde sogar gewählt — doch zurück kehrte er nicht; 1794 endete er unter der Guillotine (siehe Göske/Jendis, Seite 953). Hmjah, ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Die offenbar Melvillescher Walfängererfahrung entsprungene Verteilung von Geist und Muskelkraft in diesem babylonischen Gewimmel bringt einen noch ein wenig ins Grübeln — ob unserm Autor da wohl schlicht die nackten Tatsachen und der Zeitgeist die Feder geführt haben oder auch ein Stückchen seiner geliebten Ironie. Man steckt ja nicht drin…

Fedallah by Cetus the WhaleWas der Schreiber auf seiner eigenen Insel allerdings genauso gut zu wissen scheint wie die ganzen My-island-is-my-castle-Typen auf dem Schiff, „…die den allen Menschen gemeinen Kontinent nicht anerkennen, sondern jeder für sich als Isolato auf ihrem eigenen Kontinent leben” (Jendis, Seite 209) ist: was zählt, wenn alle in einem Boot sitzen. “Doch nun, da sie Konföderierte eines Kiels waren — was für eine verschworene Schar stellten diese Isolatos da vor!” So als Eigenbrötler ist schwer überleben in derlei gefährlichem Handwerk. Und manchmal hilft nicht mal das Verschworensein.

So, aber mehr sag ich nicht — ‘s wäre ja fies, jetzt schon zu verraten, wie’s ausgeht, nä.

Moby Dick greift an

Bilder: Stubb by Moby Dick! The Musical, 2005; Jean-Baptiste du Val-de-Grâce, baron de Cloots by Wikimedia Commons; Fedallah by Cetus the Whale; Moby Dick greift an: selber gemacht. Lizenzen im Zweifelsfall: Creative Commons.

Written by Wolf

7. November 2007 at 12:01 am

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Nochmal Starbucks für alle: aufgewärmt Kapitel 26

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Elke rafft sich vom Krankenbett auf to talk like a pirate
über Ritter und Knappen:

Elke HegewaldEr ist der Traum aller Schwiegermütter jeder verdammten Walfängerdynastie zwischen Nantucket und Cape Cod, dieser Starbuck, zweiter Mann auf der Pequod. So und nicht anders muss einer sein und aussehen, der es mit dem Wal aufnimmt. Wie das vom Habitus her rüberkommt, dazu verweise ich mal auf die Spekulationen der Jungs.

Dabei ist er nicht der Draufgängertyp wie der schaumgewordene Bulkington oder gar einer, der das Reden erfunden hat, sondern “ein gelassener, unerschütterlicher Mann, dessen Leben zum überwiegenden Teil eine beredte Pantomime aus Gebärden und Taten war, nicht ein handzahmes Kapitel aus Worten.” (Jendis, Seite 200)

Bible Code DigestEr ist einer, der dorthin gehört, ein Fighting Quaker und Ur-Nantucketer, auch wenn er mit Frau und Kind inzwischen auf dem (damals noch) Festland in Cape Cod lebt – wenn er denn mal zu Hause ist. Was übrigens John Huston in seinem Moby-Dick-Klassiker schamlos ignoriert hat, denn der lässt ihn beim Auslaufen des Schiffes aus dem Hafen von Nantucket seiner Familie zuwinken. Aber dies nur am Rande.

Erfahren in seinem Handwerk, “ungewöhnlich gewissenhaft für einen Seemann und mit einer tiefen Ehrfurcht vor der Natur versehen” (ebenda), weiß so einer genau, was er tut.

Kurz gesagt, er ist der Kerl, dem sich die Mannschaft ohne Zaudern anvertraut, wenn sie mit ihm in das schwankende Walboot springt. In dem er keinen duldet, “der keine Angst vor dem Wal hat”. Das klingt für meine Begriffe so widersinnig und unvernünftig nicht – seine Anleihen beim Aberglauben der Seeleute sind für ihn eine Art Lebensversicherung, geboren aus dem Wissen um die Gefahren des Jobs.

Jens RuschUnd den Wal tötet er nur, weil er schlicht und ergreifend davon leben muss. Schon allein dieser Beweggrund, der Ahabs fanatischem Hass auf den Einen und seiner blutrünstigen Verfolgungssucht ferner ist als nur irgendwas, macht ihn unausweichlich zu dessen Gegenpart. Und wer sollte es auch sonst sein? Allerdings macht Herr Melville des geneigten Lesers Hoffnung auf den Sieg des Guten, nachdem er ihn den Kontrahenten nun ausmachen ließ, auch gleich wieder fast zunichte. Begibt er sich doch in die Tiefen der Starbuckschen Seelenstärke und findet daselbst, warum sie im rechten Moment nicht ausreichen wird:

So tapfer er auch sein mochte, war seine Tapferkeit doch von der Art, wie man sie vor allem an jenen furchtlosen Männern sieht, die zwar im Kampf mit Wasser, Wind und Wal felsenfest zu stehen pflegen und vor dem wirren, gewöhnlichen Grauen der Welt keinen Zoll weichen, aber jenen schrecklicheren, weil inneren Schrecken nicht zu widerstehen vermögen, welche bisweilen von der gefurchten Stirne eines mächtigen, vor Wut rasenden Mannes drohen.

Moby-Dick, Jendis-Übersetzung, Seite 201 f.

Die Seele eines Ahab ist ihm fremd und unheimlich. Das Phänomen hatte Melville schon früher nicht losgelassen, war ihm auch von Shakespeares Helden haften geblieben. So ist in seiner Ausgabe von “Antonius und Kleopatra” die Stelle mit der Warnung des Wahrsagers angemarkert:

Dein Geist, der dich beschützt, dein Dämon, ist
Hochherzig, mutig, edel, unerreichbar,
Dem Cäsar fern: doch nah ihm wird dein Engel
Zur Furcht, wie überwältigt. Darum bleibe
Raum zwischen dir und ihm.

Jens RuschUnd in seinem King-Lear-Exemplar findet sich zur Rede des Verräters Edmund die hingekritzelte Notiz: “Das infernalische Wesen besitzt oft eine Seelenstärke, die der Unschuld versagt ist.” (Siehe Göske-Nachwort, Seite 951) Ich glaub, so langsam weiß man, was er meint. Es riecht geradezu nach der unausweichlichen Katastrophe…

Auf jeden Fall ist es für mich Zeugnis der ruhelosen Sinn- (und Gott-?) -suche unseres Weltenbummlers Ismael alias Melville höchstselbst, der weder seine große Sympathie für den Mann aus dem Volke noch seine Vision der Volksherrschaft als höchstem Ausdruck der “demokratischen Würde” verleugnet. Er geht sogar so weit, diese mit dem “großen und allmächtigen Gott” gleichzusetzen und den gleich zum demokratischen Gott zu machen – schon deshalb eine Vision, falls ihr mich als Atheistin fragt. Zumindest solange Gott und Religion – dochdoch, immer noch – als Werkzeug und Rechtfertigung politischer Macht und ihrer Kreuzzüge dienen. Dem Londoner Lektor ging dies zu weit – so radikal will man ja, noch dazu als Untertan einer Monarchin von Gottes Gnaden, Demokratie nich haben, nä.

Gustave Doré, Don Quixote & Sancho PansaBliebe noch die Frage nach den “Rittern und Knappen”, einer nicht gerade als selbstverständlich erwarteten Kapitelüberschrift, wenn man grad mitten auf einem Walfänger herumsegelt, oder was meint ihr? Also mir fielen dabei seltsamerweise sogleich der Ritter von der traurigen Gestalt und sein treuer Knappe Sancho Pansa ein. Oder ist es doch gar nicht so seltsam? Denn schau an, auch beim Herrn Nachwörtler fand sich dieser Bezug, zwar in einer für meine Begriffe etwas verquasten Herleitung des Melvilleschen “Geistes der Gleichheit” (siehe Göske, Seite 951), aber immerhin. Und als alter Melvilleaner weiß man schließlich auch um des Autors tiefe Verehrung für den ollen Cervantes: In seiner Erzählung “The Piazza” nennt er ihn gar “den weisesten Weisen auf Erden” – im Original: “Don Quixote [nicht, wie von Göske dahinimpliziert, Cervantes], that sagest sage that ever lived“. Was ich eigentlich sagen wollte: Das Bild der wackeren Knappen, die der Wirklichkeit leben und immer die sind, die das Übelste zu mildern und zu verhüten trachten, und ihrer Ritter, die welchem Wahne auch immer verfallen sind – passt es nicht auch hier – irgendwie?

Bilder: Bible Code Digest, 2x Jens Rusch, Gustave Doré via Así hablaba Josef K; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

20. September 2007 at 12:01 am

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So wahr mich der Erzbischof von Canterbury salbe

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Elke hat Kapitel 25: Postskriptum gelesen:

Elke HegewaldLaut Kamelopedia ist der Walrat „eine helle, wachsähnliche Zusammenrottung von alten und vergreisten Europawalen, auf denen ganz schlaue Sachen gesagt werden.“ (Merke: Kamelopedia, ugs.: Kami, ist für das wissbegierige Kamel das, was für den wissbegierigen Wikinger… äh Quatsch, internetaffinen Menschen an sich die Wikipedia, ugs.: Wiki.)

Doch selbst, wenn wir die in der letzteren enthaltene und uns Zweibeinern (noch) vertrautere Walrat-Definition zugrunde legen, glaube ich doch: Hier irrt der ehrenwerte Herr Melville. Und wir wollen es ihm zugute halten; andernfalls müssten wir nämlich von einer – als advokatischer Kunstgriff getarnten – clownesken Provokation gegen die Briten und ihr viktoria(ni)sches gekröntes (und gesalbtes!) Haupt ausgehen. Denn die krönungswilligen Häupter lassen an dieselbigen gewiss kein wachsartiges Zeug unklarer Bestimmung aus dem Kopf des Sperm Whale, sondern höchstens Wasser und – duftenden Balsam, wie er in seiner Konsistenz schon durch das zweite Buch Mose 30,22–33 geheiligt wurde. Oder sich wengstens dafür ausgeben kann.

Hach, da sprüht doch unserem rauschebärtigen Moby-Vater der blanke Schalk aus den Augen – dafür liebe ich ihn:

Es ist wohlbekannt, dass bei der Krönung von Königen und Königinnen, selbst in modernen Zeiten, eine bestimmte seltsame Prozedur vonstatten geht, um sie auf ihre Ämter vorzubereiten und gleichsam zu würzen. Es gibt da ein sogenanntes Staatliches Salzfass, und womöglich gibt es auch einen Staatlichen Pfefferstreuer… Eines allerdings weiß ich sicher, dass nämlich der Kopf des Königs bei seiner Krönung feierlich eingeölt wird, gerad wie ein Kopf Salat. Kann es jedoch sein, dass sie ihn deshalb salben, weil sein Innestes laufen soll wie ein Uhrwerk – dass sie ihn schmieren, gerad so wie man Maschinen schmiert?

Moby-Dick, Kapitel 25: Postskriptum.
Übersetzung: Matthias Jendis, Seite 197

Und vermutlich war ihm der hinterhergeschriebene Spaß sogar die todsichere Streichung des Postskriptelchens in der Londoner Ausgabe wert. Das muss er gewusst haben, dass die Königstreuen da sehr empfindsam sind und in ihrem Salzstreuer statt Meersalz dann sogar Riechsalz gebraucht hätten.

Immerhin ist die salbungsvolle Krönungszeremonie etwas so Heiliges und Intimes für sie, dass dieser Teil der Zeremonie gute hundert Jahre später, bei der noch allgegenwärtigen Elisabeth II., nicht mal im Fernsehen übertragen wurde. Wobei vor allem bemerkenswert ist, dass sie ihre Könige überhaupt bis heute noch ölen.

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist gewiss Olivenöl – mit noch was drin, was aromatisch Müffelndem. Somit könnte das hier auch gut als ein Update zum seewölfischen Offenen Brief an Herrn Melville durchgehen. Aber ich will ja nicht streiten…

40 Minuten Krönung, Film von 1953:

Elizabeth II. 1953

Bild: Historic UK, 1953.

Written by Wolf

3. July 2007 at 12:41 am

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Die Anwaltin Barbara Walesch

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Elke hat Kapitel 24: Der Anwalt gelesen:

Elke HegewaldDer kritische und wache Leser scheint sich mit seinem Kommentar zu diesem Plädoyer auf den Walfänger geradewegs und mit vollen Segeln in ein Dilemma zu manövrieren. Wo wir doch im hochaktuellen Kontext seit zwei Tagen den grandiosen Sieg der Anwälte und Retter des Wals im Ohr haben. Von dem wir – bei den Reaktionen der Gegenseite – hoffen und glauben wollen, dass es wirklich einer ist.

Doch wir setzen ja voraus, dass eine/r, die/der den Spuren von Moby-Dick und Melville bis hierher zu folgen bereit war, über die nötige Kenntnis und Qualifikation verfügt, die Ismael vom Autor in den Mund gelegte Brandrede einzusortieren – in den Rahmen ihrer Zeit, die Hoch-Zeit des Walfangs, und in des Schreibers Hintergedanken. Wobei, wie ich finde, zweierlei gesagt werden muss: Erstens, dass der Stern des klassischen Waljägerhandwerks 1851 bereits zu sinken begann – nicht Moby-Dick zuliebe, der neue Götze hieß Erdöl.

Und zweitens, dass bei aller Leidenschaft und philosophischen Poesie (oder poetischen Philosophie?) des Dichters in seinem Hohelied auf das Hohetier und seine Jäger der Stachel nicht zu überlesen ist, der den Nichtakademiker Melville angesichts der augenscheinlichen gelahrten Geringschätzung drückt. Weswegen seine Anwaltschaft neben ihrer Fundiertheit auch ein gutes Stück Provokation atmet – und sich geradezu nach einem Plädoyer in eigener Sache anfühlt.

Übersetzt (des vereinfachten Verständnisses halber) in eine der heutzutage unter Couch-Potatoes allseits beliebten Fernseh-Gerichtsshows hörte sich diese durchaus offensive Verteidigung unseres engagierten Advokaten gegen den fiktiven Ankläger womöglich in etwa so an:


Kuo Toa, LeviathanAnwalt: Was werfen Sie meinem bisher nicht vorbestraften Mandanten eigentlich vor, Herr Kollege?

Der (einstweilen ahnungslose) Ankläger: Öh… Sie müssen doch zugeben, dass er ein blutrünstiges und schmutziges Schlächterhandwerk ausübt und…

Anwalt: Aber erlauben Sie, Herr Kollege, dass der Walfang ein Schlächterhandwerk ist und dabei wie bei jedem Metzger auch Blut fließt, das leugnet er doch gar nicht. Gegen die Anschuldigung des Schmutzigen dagegen verwahren wir uns entschieden, davon können Sie sich gerne bei einem Lokaltermin auf einem Pottwalfänger überzeugen. Und wenn mir die Frage gestattet ist: wie viele Heerführer haben Sie für ihre Schlächterei der blutigsten Sorte hier schon verurteilt, statt sie in den höchsten Tönen zu preisen und mit Ehren zu überhäufen? Und welcher von denen würde es auch nur wagen, der Schwanzflosse eines wütenden Wals zu nahe zu kommen? Geben Sie’s zu, Sie wären selber zu feige…

Ankläger: Aber Sie können doch nicht leugnen, dass…

Anwalt: Was kann ich nicht leugnen? Dass alle Welt sich um das Walrat reißt, das ein Walfänger nach gut getanem Job nach Hause bringt? Dass alle Kerzen und Lampen auf diesem Globus nur dank des braven Walmanns leuchten und Sie ohne ihn im Dustern säßen? Was glauben Sie, warum die Holländer ihre Fangflotten von Admirälen befehligen ließen? Und warum der französische Ludwig XVI. unter unseren Waljägern in Nantucket Abwerbung getrieben hat? Warum das große Britannien seinen Walfängern schon vor hundert Jahren fürstliche Handgelder auf die Kralle gezahlt hat? Und überhaupt, schaunse mal lieber in die Statistiken des amerikanischen Walfangs, statt dauernd nur in ihre Paragraphen und statt hier die Nase zu rümpfen über meinen Mandanten.

Sie kennen doch sicher die Namen James Cook und VancouverKrusenstern…?

Ankläger: Aber gewiss doch, das sind berühmte Forscher und Weltrei…

Anwalt: Wissense was, die guten Walfänger haben die entlegensten Ecken auf der Weltkugel schon durchstöbert und erforscht, da war an die hochverehrten Herren noch gar nicht zu denken. Ihre namenlosen Kapitäne haben zu Dutzenden denen den Boden bereitet, damit sie von den Wilden dort nicht ohne Federlesen gleich mit Haut und Haar gefressen wurden. Wofür ein Vancouver mit seinen Berichten Ruhm und Ehre einheimste, das war “nur das lebenslange täglich Brot unserer Helden von Nantucket.” (Seite 193) Sie haben Befreiung und Demokratie an vielen Orten Vorschub geleistet, australische Auswanderer mit ihrem trockenem Schiffszwieback vorm Verhungern gerettet, für Händler und Missionare vorgearbeitet und was nicht noch alles. Und jetzt sagen Sie mir bittschön offen ins Gesicht, was sie noch gegen meinen Mandanten hier haben.

Ankläger: Das können Sie alles nicht beweisen. Keine namhaften Zeugen, keine Zeugnisse über den Wal. Unglaubwürdig die Leute, aus ungeordeten Verhältnissen und windige Abenteurer.

Anwalt: Sag ich’s nicht, Sie sind ein Paragraphendrescher und ignoranter Fachidiot. Wären es nicht Perlen, vor die Säue geworfen, würde ich Ihnen Hiobs Bericht über den Leviathan, Alfred den Großen oder Edmund Burke hier vorführen? Oder Benjamin Franklins Großmutter persönlich in den Zeugenstand rufen, die mit gutem Recht Ahnherrin einer ganzen Dynastie von Nantucketer Harpunieren heißen darf?

Ankläger: Ähm… das ändert aber doch nichts daran, dass der Walfang nicht als nicht gerade seriöser und eher niederer Job gesehen werden muss, wo ist da die Würde, die Anerkennung?

Anwalt: Erzählen Sie mir was von Würde! Ihre Vorurteile in allen Ehren, Herr Kollege, aber da hätte ich doch mal was Erfreuliches für Sie: das alte englische Satzungsrecht nämlich, das den Wal zum “königlichen Fische” erklärt. Und darf ich fragen, ob die seriöse Zunft der Juristen vielleicht auf ein berufseigenes Sternbild verweisen kann wie die Walmänner auf Cetus am südlichen Himmel? Noch Fragen? Ich beantrage Freispruch!


Wer wollte bestreiten, dass da einer (also im Original jetzt wieder) weiß, wovon er redet? Seine Quellen hat er jedenfalls gut zu nutzen gewusst. Das machte dem gewesenen Selber-Walfänger keiner der hochnäsigen Buchstabengelehrten und echten Yale- und Havard-Absolventen seiner Zeit nach. Und sonst wahrscheinlich auch keiner. Und einer hats schon damals erkannt, seines Zeichens Kritiker des John Bull:

Wer hätte je nach Philosophie in Walen oder Poesie im Walspeck gesucht? Es gibt wenig Bücher, die sich ausdrücklich der Metaphysik widmen oder ihre Abstammung von den Musen beanspruchen und so viel wahre Philosophie und echte Poesie enthalten wie diese Geschichte von der Walfahrt der Pequod.

Nach Göske/Jendis, Seite 949

Die Zerstörung des Leviathan

Written by Wolf

4. June 2007 at 1:02 am

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Dass alles tiefe, ernste Denken nur der Seele unverzagtes Mühen ist

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Elke hat Kapitel 23 gelesen trällert ehrfürchtig vor sich hin:

Elke HegewaldBulkington und kein Ende, so scheint es. Nicht dass er nun gerade mir im dritten Kapitel sonderlich aufgefallen wäre. Doch erstaunlicherweise habe ich auch eine ihn betreffende Bleistiftnotiz am Rand – ganz woanders.

Im Göske-Nachwort nämlich. Aber haben eigentlich schon alle positiv auf die das dreiundzwanzigste Kapitel dominierende Frage geantwortet?:

Kennt ihr nun Bulkington?

Sollte einer das verneinen müssen, wird er in der weiteren Handlung auch keine Gelegenheit mehr haben, ihn näher kennenzulernen. Denn er wird nie wieder vorkommen. – Warum?

Das Los des armen Bulkington, der doch als Bild von einem Seemann, edler Charakter und bei allen bisherigen Bordkameraden als “überaus beliebt” beschrieben wird (Seite 53) ist es, zu den Melvilleschen Ungereimtheiten des Buches zu gehören. (Wir haben an anderer Stelle schon über solche fabuliert.) Auf Deutsch: er wird als Romanfigur überflüssig, fällt den zahlreichen Änderungen und neuen Ideen während des Schreibens zum Opfer.

Bei Göske/Jendis (und genau da steht mein Kritzelvermerk) heißt es dazu:

Manche Motive […] werden aufgerufen, probeweise erkundet, abgewandelt anverwandelt und wieder verworfen. Dies gilt auch für die Figurengestaltung. Im dritten Kapitel zum Beispiel trifft der noch unerfahrene Ismael im Wirtshaus einen hünenhaften, bei den Seeleuten überaus beliebten Virginier namens Bulkington, der, wie er sagt, “bald schon mein Bordkamerad werden sollte (wenn auch nur sozusagen als stiller Teilhaber, was diese Erzählung betrifft)”. Der eingeklammerte Zusatz ist sicher späteren Datums, denn Bulkington steht zwar in Kapitel 23 urplötzlich am Ruder der Pequod, wird aber danach nie mehr gesehen.

Seite 891/892

Christian Roosen, Der SeebärDie Mutmaßung des Nachwortschreibers: Der gute Bulkington ist als Nebenfigur und Begleiter Ismaels entbehrlich geworden, da Melville ihm inzwischen seinen Blutsbruder Queequeg erfunden hat. Damit erhält die “grabsteinlose Gruft”, die er ihm in diesem Kapitel zimmert, neben dem tiefen Sinn der ihm verliehenen Symbolik eine ganz eigene Bedeutung. Er “hat die Figur des edlen (weißen) Seemanns […] nicht sang- und klanglos aus dem Manuskript entfernt. Nein, Bulkington kommt zu höheren Ehren. In diesem hymnischen “Westentaschenkapitel” setzt Ismael ihm ein Denkmal, […] stilisiert ihn zur Verkörperung furchtloser Wahrheitssuche, zum trotzigen “Halbgott” jener See, die die symbolische Gegenwelt des “trügerischen” sklavischen Lebens an Land bildet. Zugleich bleibt uns der heroische, allseits beliebte Bulkington als Alternative zu Ahabs menschenverachtender Ich- und Rachsucht in Erinnerung – eine Alternative freilich, die in jener Gesellschaft an Bord der Pequod keinen Platz hat.” (Seite 892)

Wow, da hat er die allegorische Verwobenheit unseres verlorenen Helden ja gleich kompakt mit ausgeleuchtet, der Herr Nachwörtler. Nur den Ahab haben sie mir fast ein bisschen arg festgezurrt: Kennt ihr nun (etwa) Ahab? – Ach, und mir hätte höchstens noch der unbändige Freiheitsdrang gefehlt, den das Bild des Meeres in einem solchen Vergleich immer verströmt. Besonders in der großen und atemberaubenden Melvilleschen Poesie des ganzen Kapitels, die mich hinsinken lässt – darf ich?:

Harry Haerendel, Alter SeebärKennt ihr nun Bulkington? Flüchtige Blicke meint ihr zu erhaschen auf diese den Sterblichen unerträgliche Wahrheit, dass alles tiefe, ernste Denken nur der Seele unverzagtes Mühen ist, ihr Meer sich weit und unabhängig zu bewahren, derweil des Himmels und der Erden ungestümste Winde sich verschwören, um sie am trügerischen Sklavenufer auf den Strand zu werfen?

Jedoch: So wie nur fern von jedem Land die höchste Wahrheit wohnt, die uferlos und unbegrenzt wie Gott, so ist es besser auch, in jener heulenden Unendlichkeit zu sterben, als bar des Ruhms an Leegestaden zu zerschellen, und wär dies auch die sichre Rettung! denn wer, o wer wohl, würde wie ein Wurm kratzfüßig krumm ans Ufer kriechen wollen! Schrecken des Schrecklichen! Ist all die Not und Pein denn ganz umsonst? Fass dir ein Herz, o Bulkington, fass dir ein Herz! Bewahr dir deinen Trotz, du Halbgott! Hinauf aus dem Geschäum, wo du im Meer versunken, schwingt deine gottgewordene Gestalt sich geradewegs empor!

Seite 189

Hach, man möchte es in Versform schreiben – und murmelt es wie ein Poem vor sich hin. Was für ein wunderbares Stück Sprache verdanken wir somit einem der unbekümmerten loose Ends im Moby-Dick!

Und nirgendwo würde es besser hinpassen, dieses Kapitel, als vor das stolze, ehrfürchtige und angriffslustige Plädoyer des Anwalts der Walfänger, oder?

Written by Wolf

21. May 2007 at 12:48 am

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Fröhliche Weihnachten: Elke hat Kapitel 22 gelesen

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Windlass Elke meint:

Anker auf – hievt!

Elke HegewaldNa, wenn das kein Weihnachtsgeschenk für die Mannschaft ist! Dass es nun endlich auf See geht nach diesem ausgedehnten und geduldigen Vorgeplänkel und wo schon keiner einen Gedanken an das Fest zu verschwenden scheint.

Und wenn anlässlich des Ablegens und steigender Spannung denn mal ein Zwischenfazit angebracht ist: Die Lesecrew in ihrer Sofaecke hat sich auf dem Weg bis hierher doch zu ganz passablen Walfängern gemausert, sich auf eigene und sonderbare Weise selbst als Leser erschaffen, oder? Die gehen mit diebischem Vergnügen auf den großen weißen Wal am Horizont, die lässt kein noch so heftiger Sturm mehr seekrank werden, der die Pequod durch die Wellen peitscht! Hat je schon wer solch ein Abenteuer aus der tiefsinnigen Geschichte von Vater Melville gemacht?

Zurück zu Whalemans Weihnacht. Was so ein richtiger Seebär ist, der tanzt auf Deck nicht um den Christbaum, sondern – um das Gangspill.

Und wenn er das nicht mit dem nötigen Eifer tut, fängt er sich schon mal einen Tritt ins Hinterteil vom wild herumkommandierenden Käptn Peleg. Während der eigentlich zuständige Ahab weiterhin hartnäckig durch Abwesenheit glänzt und damit ausdauernd an seinem melvillegewollten unheimlichen Mythos zimmert. Dabei weiß eh jedermann längst, mit welcher Rolle er in dem gebotenen Schauspiel besetzt ist, mag unser guter Ismael im inneren Kampfe gegen seine Vorahnungen sich auch noch so stichhaltige Entschuldigungen für dieses Schattendasein zurechtdrechseln. Dessen Ende ist jedenfalls in Sicht.

Der Wolf ist ja schon auf diversen unlektorierten Seltsamkeiten rumgeritten, von denen die Tante Charity – bei geordneten Familienverhältnissen – entweder mit dem frömmelnden Bildad eine weitere gemeinsame Schwester hat, Stubbs Ehefrau nämlich, oder selbst einen Stubbschen Bruder geehelicht haben dürfte. Da werf ich halt auch noch eine kleine Ungereimtheit in die Runde: Woher weiß Ismael eigentlich, welche Befehle “seit dreißig Jahren” zum Ritual des Seeklarmachens auf der Pequod gehören? Da werkelt doch Ismelville wieder leibhaftig mit auf Deck.

Und das Bild dieses kalten Weihnachtstages auf See, das er malt, verrät den alten Waljäger, der noch immer an der Seefahrt und dem Meere hängt, obwohl er inzwischen im trauten Arrowhead sein Nest gebaut hat. Hätte er sonst solche Worte gefunden? – :

… und als der kurze Tag des Nordens mit der Nacht verschmolz, standen wir schon beinahe auf der hohen See des winterlichen Weltmeeres, dessen gefrierende Gischt uns in Eis hüllte wie in einen glänzenden Harnisch. Die langen Zahnreihen auf der Reling leuchteten weiß im Mondeslicht; riesige, krumme Eiszapfen hingen wie die weißen, elfenbeinernen Stoßzähne eines gewaltigen Elephanten vom Bug herab.

Der hagere Bildad hatte die erste Wache unter sich. Während die alte Bark ohne Unterlaß tief in die grünen Wogen tauchte und sich mit frostiger Gischt bedeckte, während die Winde heulten und die Takelage sang, ertönte unbeirrbar sein Lied…” (S. 184)

Paul Gauguin, Près de la mer, 1892Na, das ist doch mein Stichwort. Endlich kann man aufhören, über die Songs the Whalemen sang nur zu spekulieren und palavern. Selbst den frommen Singsang des Lotsen Bildad, mit dem er die Männer an den Handspaken im Takt hält, kann man ja inzwischen als Capstan-(Gangspill-) oder Windlass-(Bratspill-) -Shanty klassifizieren – der als besondere Art des Homeward-Bound-Songs beim letzten Ankerlichten für die Heimfahrt zelebriert wurde.

Wobei ich schon gerne den grölenden Volltext des Kehrreims der Matrosen gelesen hätte, natürlich nur, um zu wissen, wie sich der Refrain um die Mädchen aus der Booble Alley zu Watts’ Chorälen gesellt.

Das beinahe tränenreiche Scheiden der beiden Schiffseigner, bei dem es sogar den derben Peleg fast hinreißt, wird zu aller Glück durch die zu Lachtränen reizende Abschiedsansprache des bigotten Bildad gerettet. Die gibt uns nicht nur weiteren Aufschluss über den Zwiespalt zwischen Quäker- und Walfängersein:

“Geht mir an den Tagen des Herrn nicht zu sehr auf den Wal aus, Männer, aber lasst auch keine günstige Gelegenheit verstreichen, denn das hieße, des Herrn gute Gaben zu verschmähen.” (S. 186)

Nein, er warnt auch gleich noch vor Unzucht auf den fernen Inseln, mahnt, nicht mit der teuren Butter zu aasen und hält überhaupt jedermann zur Sparsamkeit an allen Ecken und Enden an – einfach köstlich, der Gute.

Auch wenn das Herze nun allen schwer genug ist ob des blinden Schicksals, das der Mannschaft harrt: Endlich Schiff ahoi! Oder: Ab dafür! – um’s mit der Pelegschen Feinfühligkeit zu sagen.

“Ihr da, die Großrah backgebrasst!”

Written by Wolf

22. March 2007 at 12:47 am

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Hier spricht Elke Wallace

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Elke orakelt übers Kapitel 21: Es geht an Bord:

Elke HegewaldIch stelle mir gerade die Szene vor: diesen frostigen Morgen, an dem man im Stockdunkeln aus dem warmen Bett krabbeln muss, um sich im Nebel zum zugigen Hafen aufzumachen. Zu diesem seltsamen Schiff dieses noch viel seltsameren Kapitäns, das heut in sein lebensgefährliches Abenteuer segeln wird. Man spürt geradezu das Frösteln, das einem als ausgewachsene Gänsehaut den Nacken hochkriecht – ungemütlicher und unheimlicher geht’s nimmer.

Oder doch? Da verschwinden nicht nur die Schatten der Seeleute – vermutlich die künftigen Bordkamerden – vor unseren zwei Freunden wieder im Dunst. Nein, aaaaaah… plötzlich wird man an der Schulter gepackt und – dieser Unglücksprophet steht wie aus dem Nichts plötzlich wieder vor einem. Da hätte nicht nur unser Ismael ihm ein “Pfoten weg!” entgegengezischt. Solides Grusel-Feeling, fast wie in einem ollen Edgar-Wallace-Schinken mit der dicken Nebelsuppe am Themse-Ufer.

Hm, und auch diesmal wird man diese Klette von Elias nicht los. Wird auch diesmal nicht schlauer aus seinen halbirre gemurmelten Andeutungen und Warnungen bis hin zum Hohen Gericht – was immer er damit meint.

Und wären wir nicht schon eine ganze Weile in der Melvilleschen Bibelverwobenheit und -symbolik des Moby-Dick gefangen – bei Ahab und Ismael und wie sie alle heißen – man würde in ihm ja eher eine orakelnde Pythia denn einen Propheten sehen wollen. Von ersterer weiß man ja, wie mehrdeutig und missverständlich ihre Weissagungen waren. Davon konnte nicht nur der sprichwörtliche Krösus nach seinem Fiasko gegen die Perser ein Lied singen.

Da hätte es für unsere zwei Freunde, nachdem sie den aufdringlichen Seher endlich abgeschüttelt haben, doch auf dem Schiff ruhig ein bisschen heimeliger werden können. Pustekuchen! Kein Ende der gespenstischen Stimmung:

Als wir endlich das Deck der Pequod betraten, fanden wir alles in tiefster Stille vor; nicht eine Menschenseele war zu sehen. Das Schott zur Kajüte war von innen verschlossen; die Luks waren alle verschalkt und mit Tauwerkrollen beschwert.”
(S. 177/178)

Na toll! Und uuurgemütlich! Hier soll man sich nun für zweidrei Jährchen zu Hause fühlen?

Da muss es vielleicht auch keinen wundern, dass Queequeg ein seltsamer Übermut packt und er in die wilden Sitzgewohnheiten seines Südseekönigreiches zurückfällt. Irgendwie muss man sich doch gegen diese beklemmende Umgebung wehren, selbst wenn’s auf Kosten des armen Takelgastes und seines friedlichen Schlummers geht.

Na, langsam kommt ja nun doch Leben in die Bude. Der Wolf hat uns ja schon den braven Starbuck ans Herz gelegt und unsere Neugier geweckt. Ha, und sogar der – immer noch unsichtbare – Ahab soll sich ja inzwischen wenigstens schon mal in seiner Kapitänskajüte verschanzt haben.

Written by Wolf

23. February 2007 at 4:08 am

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Reger Betrieb: Elke hat das 20. Kapitel gelesen

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Galionsfigurine Elke glaubt an gar nix mehr:

Dieses heftige Gewusel und Geschleppe an Bord macht einen ganz aufgeregt und nervös. Ist das jetzt Reisefieber? Und dann steht man auch noch das ganze Kapitel lang irgendwie im Weg rum, wo überall wer was herankarrt, verstaut und in die richtigen Luken dirigiert.

Und wieso zum Teufel muss eigentlich Ismael, dieser nichtsnutzige Hilfsmatrose, der gerade mal für den dreihundertsten Teil in der Musterrolle steht, da nicht mit zupacken? So ein Walfänger ist doch sowas wie ein kleines Wirtschaftsunternehmen mit allem Drum und Dran, für zweidrei Jährchen auf dem weiten Meer auf sich allein gestellt. Eine eigene kleine Welt, von ein paar knauserigen und profitgeilen Quäkern finanziert – kann sich so ein Laden solch müßige (Zu-)Schauermänner überhaupt leisten? Oder darf der Kerl sich ein bisschen im Licht seines privilegierten Superharpuniers Queequeg sonnen?

Ordentliche Verpflegung scheint ja wenigstens schon mal vorgesehen zu sein, wo sogar Rindfleisch in den Laderaum wandert. Eine Selbstverständlichkeit war nämlich das Bei-Kräften-und-bei-Laune-Halten der wilden Waljäger durchaus nicht überall. Erfährt man jedenfalls aus einschlägigen Berichten eines bekannten und allseits beliebten Küstenvolkes über das Leben auf hoher See:

Trotz großer Mengen Proviant brachte der Küchenzettel auf einem Walfänger nicht viel Abwechslung und fast unverändert bekamen die Waler Woche für Woche:

  • Sonntag Graue Erbsen mit Pökelfleisch
  • Montag Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Dienstag Graue Erbsen mit Fleisch
  • Mittwoch Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Donnerstag Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Freitag Graue Erbsen mit Fleisch
  • Samstag Gelbe Erbsen mit Stockfisch

Nur selten gab es weiße Bohnen oder Sauerkraut.

Wenn vielleicht solcherart Abwechslung aus der Kombüse droht – ins Neuenglische übersetzt, vermutlich eine chowderhafte – ist doch die Initiative und rührende Emsigkeit von Omma Charity mit ihrem sauer Eingelegten gar nicht hoch genug zu schätzen. Bejahen wir sie also ohne Wenn und Aber – zumal die aufdringliche Fürsorge auf zwei Beinen an Land zurückbleibt.

Stutzen ließ mich allerdings Ismaels Reaktion auf das Erscheinen der alten Dame auf dem Schiff. Die zunächst ein weiteres Mal unsere Ausgangsthese von der Abwesenheit des weiblichen Geschlechts in der mannsbildokkupierten Handlung widerlegt. Ismael findet ihr Auftauchen erschreckend. Und ich frage mich, ob vielleicht noch mehr als sein frühkindlicher Stiefmutterkomplex dahinterstecken mag. Er ist ob des unheimlichen, weil hartnäckig unsichtbaren, Ahab eh schon von Zweifeln und Ahnungen hin- und hergerissen. Und dann das! Wo doch jeder Seemann weiß, dass – im Gegensatz zu KatzenFrauen an Bord Unglück bringen!

Da kann er noch so cool tun (Bloooß nicht pfeifen! – das lockt den Sturmwind heran) und sich im Verdrängen üben. “Wenn aber ein Mann den Verdacht hegt, daß etwas nicht stimmt” (S. 175), fällt dann nicht der ganze Aberglaube der christlichen Seefahrt auf fruchtbaren Boden? Oder dichte ich dem guten Melville schon wieder was Abseitiges in seine Charaktere rein?

Voyage Route of the Pequod, Literary Map

Written by Wolf

19. February 2007 at 1:58 am

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Cabidoulin is too seldom

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Elke hat noch ein Monster gefunden:

But where there’s a monster there’s a miracle.
Ogden Nash: Dragons Are Too Seldom

Elke HegewaldHach, beim Hinterhersurfen hinter all den ganzen Propheten wurde ich doch an einen anderen von denen erinnert, der es auch heftig mit der Orakelei und düsterem Menetekeln hat. Den alten Cabidoulin hat die Mannschaft sogar auf ihrem Kahn die ganze Zeit am Hals. Und es ist – man höre und staune – ein Walfängerschiff. Und auch hier ist der Anlass für das anschließende Chaos ein Monster auf See. Diese Geschichte ist, glaube ich, nicht allzu bekannt, was einen bei dem umfänglichen Gesamtwerk des Autors vielleicht nicht sonderlich wundern muss.

Naaa, wer hat’s erfunden? Nö, diesmal nicht die Schweizer. Ein Franzose war’s, den der Wolf in weiser Voraussicht und aus gutem Grund schon längst im Schatzkästlein der Literaturliste verewigt hat: Tadaa! – Unser aller Jules Verne!

Written by Wolf

1. February 2007 at 12:50 am

19. Kapitel: Prophetens Los: Verkannt und unerhört

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Elke hält auch in Kapitel 19 zu Ismael:

Elke HegewaldDa kann man schon misstrauisch werden, wenn auf einmal so ein abgerissener Kerl, wie sie zuhauf in jeder Hafenszene rumlungern, etwas von einem will.

Sogar in der Hochstimmung darüber, gerade einen ordentlichen Job in trockene Tücher gebracht zu haben. Den lässt sich doch ein Ismael nicht von so einem Irren und Wichtigtuer vermiesen. Am Ende ist’s gar ein Gauner, der ihm und seinem Queequeg ans Leder will, so gruselig wie er ausschaut.

Und was will der überhaupt mit seinen wirren Reden und Anspielungen und orakelnden Mahnungen? Am besten gibt man ihm gleich mal ordentlich Bescheid, dass ihre Seelen ihn ein feuchtes Walblasen angehen, und die vom Käpt’n Ahab auch. Der Alte versucht doch glatt, ihnen den zu einem gottlosen Monster zu machen. Nun ja, irgendwie unheimlich ist er Ismael aber doch mit seinen rätselhaften Offenbarungen, die kein Mensch versteht. Und da haben wir es doch wieder, das laute Pfeifen im dunklen Wald – oder wie soll man das Loswettern gegen den armen Kerl sonst deuten, der ihnen nichts Böses, sondern eher das Gegenteil will. Und es zumindest schafft, dass in unserem guten Ismael wieder mal “alle möglichen dumpfen Ahnungen und unausgegorenen Befürchtungen aufsteigen, die allesamt mit der Pequod zu tun hatten und mit Kapitän Ahab und mit dem Bein, das er eingebüßt hatte, und mit seinem Anfall bei Kap Hoorn und mit der silbernen Kalebasse […] und mit hundert anderen Dingen, die mir schemenhaft blieben.” (S. 171)

Schemenhaft sind sie allerdings, die Warnungen dieses selbsternannten Propheten, und vage wie nur irgendwas. Ob das etwas damit zu tun hat, dass er selber noch an den Folgen verhängnisvoller Walfahrerei laboriert?

Der Wolf hat es sehr wohlwollend formuliert, ich hingegen fragte mich zum ersten Mal seit Beginn unserer Jagd auf Moby-Dick, ob man in diesem Kapitel wohl ausnahmsweise mal ein Schwächeln unseres großen Meisters Melville entdecken darf – scheint mir das alles doch ein bisschen diffus und halbherzig nicht auf den Punkt, sondern allenfalls aufs Komma gebracht. Oder ist es gerade das, was den Charme und die authentische Atemlosigkeit eines Melville ausmacht, die der Wolf besingt?

Ist es vielleicht gar noch mehr?: eine Wertschätzung und Auszeichnung für den geneigten Leser, der ihm ebenbürtig und ein mündiger Leser sein soll? Der schon ganz alleine herausfinden wird, was es mit diesem Propheten und seinem sehr wohlgewählten Namen – Elias – auf sich hat? Das sähe dem Erfinder des amerikanischen Symbolismus ähnlich. Dann fühlte ich mich aber ganz besonders geehrt, wo ich doch eine bin, der die solide Bibelfestigkeit nicht an der Wiege gesungen wurde. Deshalb krame ich ja mit Feuereifer und Wissbegier den biblischen Pendants hinterher, denen er beinahe jeden seiner Helden ein Stückchen nachgebaut hat. Und finde das todspannend. Dass der biblische Elias des dortigen Königs Ahab direkter Widerpart ist, wissen wir ja schon vom Wolf und den Herren Jendis und Göske.

Und er gilt als der zweitwichtigste unter den Propheten nach Moses höchstselbst. Und wenn man denn aus seiner Begegnung mit unseren beiden Walfängern noch eine weitere Parallele zu biblischen Vorkommnissen und Vorhersagen finden mag, dann in der alttestamentlichen Prophezeiung, dass er wiederkehren werde, um als letzter Prophet vor dem Ende zur Umkehr zu rufen:

Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.” (Maleachi 3,23)

Der heruntergekommene Alte am Hafen ist unserer beider Abenteurer letzte Chance, bevor sie endgültig und ohne Umkehr mit dem Dämon Ahab in ihr Unglück segeln. Und wie es verkannte Propheten häufig erleben, geht denen seine Warnung trotz eines leicht mulmigen Gefühls am Arsch vorbei… öhm, wird selbige nicht erhört, wollt ich sagen. Passt scho. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf…

Written by Wolf

31. January 2007 at 2:53 am

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Kapitel 18: Elkes Zeichen

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Elke setzt im 18. Kapitel ihr Zeichen:

Elke HegewaldEin guter Name ist mehr wert als Reichtum“, wie wir vom geistigen Vater des Ritters von der traurigen Gestalt wissen.

Nun ist zum Glück unser guter Queequeg alles andere als ein solcher. Er ist sogar das ganze Gegenteil, steht mit beiden Beinen fest auf den Decksplanken und weiß, worauf es im Bewerbungsgespräch um einen ordentlichen Job ankommt. Das demonstriert er denn auch gleich eindrucksvoll mit seinem zielsicheren Harpunenwurf. Und zwar so überzeugend, dass für die zwei Quäker, die ihn anheuern, im Nu alle Glaubensfragen zweitrangig werden. Naja, zumindest für einen von ihnen. Der geschäftstüchtige Peleg checkt blitzgeschwind, was er da für einen Star-Walfänger einkauft. Das Szenario ist komisch, ja, aber nichts weniger als komödiantisch. Das ist die Kunst eines Herrn Melville, des virtuosen Puppenspielers, dessen Figuren sehr glaubhaft an den Fäden zappeln. Denn wer wollte sagen, dass die beiden Schiffseigner ihren biblischen Namen nicht alle Ehre machen?

Genau, wir waren ja bei Namen und Zeichen. Queequeg geht es da zunächst mal nicht anders als unsereinem und diversen unserer eigenen Zeitgenossen: wer, wenn er nicht gerade einen gängigen Allerweltsnamen sein eigen nennt, hat nicht schon die mal amüsante, mal ärgerliche Situation erlebt, dass sein Gegenüber sich etwas schwer tat mit Aussprache und Schreibweise? So mag man unser Schiffseignerpärchen nicht a priori der vorsätzlichen Verballhornung des exotischen Lautgebildes, dem man nicht mal einen Sinn erlauschen kann, verdächtigen.

Mount QueequegDa ist Quakquak gar nicht mal so abwegig als erster Versuch – klingt es doch vertraut. Und meine weitgehend fruchtlosen Surftouren im worldwide Net lassen mich zumindest vermuten, dass „Quohog“ so etwas wie eine landschaftlich gebräuchliche Wortverwendung (Wortschöpfung?) ist, somit für Nantucketer etwas Bekanntes. Meine kühne, allerdings nicht verbürgte Vermutung: es handelt sich um eine Muschelart oder was Ähnliches, nach der unter anderem ein Ort auf Martha’s Vineyard und andere Sachen benannt sind. Übrigens gibt es in antarktischen Gefilden einen Berg, der Queequeg heißt. Vermutung Nummer zwei: hier wurde Melvilles sympathischem Helden, dem Südseekönigssohn, ein Denkmal gesetzt.

Den ficht das Herumdoktorn an seiner Identität überhaupt nicht an, trägt er doch seinen Namen unauslöschbar als Zeichen auf seiner Haut. Dieses sein Zeichen setzt er mit sicherer Hand unter den Vertrag. Und interessanterweise – wo man doch an Bord, wie’s zunächst scheint, so pingelig in Religionsfragen ist – erinnert es an ein Kreuz.

Wichtig neben diesen Querelchen erscheint mir dennoch die Besonderheit von Queequegs Namen, wo wir ja wissen, dass Melville seine Figuren im Moby-Dick nicht von ungefähr recht hintergründig – und vorzugsweise nach biblischen Vorbildern – „tauft“. Und ich lande mit meinen spinnerten Gedanken wieder bei meiner Orakelei aus dem 12. Kapitel: der eigenen Symbolik der Queequeg-Figur nämlich, die vielleicht ein heimliches Ideal Melvilles sein mag. Das neu und anders und besser ist als all das, was Ismael in Zwiespalt bringt mit der Religion und der Welt…

Und prompt springt dieser seinem blutsbrüderlichen Freund mit einer geradezu revolutionären Predigt auf Gottes Menschenkinder bei, die sogar einem Vergleich mit dem einzigartigen Vater Mapple standhält. Und das will schon etwas heißen bei den störrischen Nantucketern. Müßig zu erwähnen, dass seine Art von Gottesfürchtigkeit den Puritanern, für die die Londoner Ausgabe gedruckt wurde, wieder mal nicht zuzumuten war.

Bild: Queequeg in Moby Dick the Musical.

Written by Wolf

15. January 2007 at 3:29 am

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Elke befindet: Wo Ramadan draufsteht, ist auch Ramadan drin

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Elke hat mit 39° Fieber das 17. Kapitel gelesen:

Elke HegewaldWas Queequegs Fasten- und Gebetsritual angeht, sucht diese Bezeichnung wohl das, was er da tut, mit bekannten, wenn auch nicht zu bekannten christlichen, religiösen Handlungen zu vergleichen. Betet er doch seinen heidnischen Götzen, den hölzernen Jojo an, und das mit Ernst und gläubiger Konsequenz. Und wo wir ja – bei allem Melvilleschen vagen Orakeln im 12. Kapitel – ziemlich sicher sind, dass er auf einer Südseeinsel das Licht der Welt erblickt hat, dürfte er dort kaum etwas vom Islam gehört haben.

Ismael ist ob seines Respekts vor dem Glauben des Freundes wie vor jedem anderen weiterhin auch meiner Sympathie und Zustimmung sicher. Er hat “gegen keines Menschen Religion etwas einzuwenden, gleich welcher Art sie sei, solange dieser Mensch keinen anderen umbringt oder beleidigt, weil dieser andere nicht ebenfalls daran glaubt” (S. 158), und damit so manchem seiner wie auch unserer Zeitgenossen einiges voraus. Drein mischt sich wieder der Hader, der ihn mit seinem eigenen Glauben und der Welt umtreibt: “…und der Himmel erbarme sich unser aller, Presbyterianern wie Heiden gleichermaßen, denn in gewissem Sinne haben wir alle einen schrecklichen Sprung im Schädel und bedürfen dringlich der Heilung.” – Auch eine ziemlich moderne Erkenntnis, wie ich finde…

Herzlich gelacht habe ich, als dann zum Ende des in sich gehenden Kapitels Ismaels Toleranz angesichts Queequegs körperlicher Torturen doch an ihre Grenzen stieß: “Dabei bemühte ich mich fortwährend, Queequeg zu zeigen, dass all diese Fastenzeiten, die Ramadans und das andauernde Hocken auf den Hacken in kalten, freudlosen Kammern schierer Blödsinn waren, schlecht für die Gesundheit, nutzlos für die Seele, kurz gesagt: den selbstverständlichen Gesetzen der Hygiene und des gesunden Menschenverstandes zuwiderlaufend… Mit einem Wort, Queequeg,… [d]ie Hölle ist eine Vorstellung, die sich ursprünglich einem unverdauten Apfelknödel verdankt und seither durch die erblichen, von Ramadanfesten genährten Gallenbeschwerden fortgeschrieben wurde” (S. 158 f.) Dass der zuletzt zitierte Satz in der Londoner Erstausgabe wieder mal weggelassen wurde, hätte ich nicht mal nachzuschlagen brauchen.

Was wir außerdem gelernt haben: was man unter Walfängern eine Plumpuddingfahrt nennt sowie ein gängiges Rezept für die Zubereitung eines Menschenfresserfestmahls.

Na, dann können wir ja jetzt an Bord gehen.

Plum Pudding Island, Namibia

Written by Wolf

8. January 2007 at 1:46 am

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Kapitel 16: Sailor, can you hear the Pequod’s sea wings?

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Elke hat alles mögliche gelesen und weiß:

Elke HegewaldOh ja, dieses sechzehnte Kapitel verdient die Ehrfurcht, die es gebietet. Es hat was zum Dran-Herumzausen und verbindet sich mit einer diffusen Erwartung, die zunehmend in einem selber rumort und sich schwer artikulieren lässt…

Ich für meinen Teil wurde beim Anblick dieses “Kannibale[n] unter den Schiffen, der sich mit den erjagten Gebeinen seiner Feinde schmückt” (S. 133), von einer wahren Sturmflut an Bildern heimgesucht, die aus meinem Kopf, meinem Bauch oder von sonstwoher kamen. Eine ganze Schiffsflotte segelte da tollkühn am Horizont entlang. Travens “Totenschiff” nur eines davon – in illustrer, gruselig-unheilvoller Gesellschaft. Der Schatten eines mit wilden Trophäen geschmückten Wikingerschiffes (das des wüsten Thorkill-Hake?) spukte mir ebenso durch den Sinn wie Charon, der Fährmann des Totenreichs der alten Griechen oder Wilhelm Hauffs Geschichte von dem Gespensterschiff.

Westwärts WikingGanz vorne auch der verfluchte Fliegende Holländer, der bis zum jüngsten Tag in Sturm und Flaute über die Meere jagt, wie nicht nur Heines Herr von Schnabelowopski bereits wusste. Sind sie nicht alle – jedes auf seine Weise – vom Hauch des Todes, von einer düsteren Unausweichlichkeit des Schicksals und/oder dem Fluch und der (Ohn)macht ihrer Kapitäne umweht, die ihre Besatzungen in selbiges mitreißen?

Nicht zu vergessen Davy Jones, die Mutation des Flying Dutchman, dessen Legende neben anderen der Erfinder der amerikanischen Kurzgeschichte Washington Irving Leben einhauchte. In seinen Adventures of the Black Fisherman nämlich.

Besagter Davy Jones treibt übrigens auch in Fluch der Karibik 2 mit seinem sinnigerweise eben Flying Dutchman benannten Schiff sein Unwesen. Sollte es noch der Erwähnung bedürfen, dass er ein Holzbein trägt und für viele Seeleute ein Symbol für den Teufel des Meeres ist, um meine ausufernden Gedanken um die Pequod und Käpt’n Ahab zu entschuldigen und den Bogen zurück zu schlagen? Na gut, für den, dem das nicht genügt, hier noch eine gängige Deutung des Nachnamens von Davy Jones: er könnte auf den Propheten Jona hinweisen, dessen Geschichte in und um den Wal für Seeleute Unglück bedeutet, woran wir uns dunkel aus Vater Mapples Predigt erinnern.

Mhja, der geheimnisvolle und unsichtbare Käptn Ahab – aus mehr oder weniger unklar angedeuteten Gründen abwesend. Obwohl: Für den Leser ist er das eigentlich gar nicht. Seine gewichtige Präsenz wird ja von Peleg und Ismael geradezu herbeigeredet. Und – schau an! – dieser Kapitän Peleg, schlitzohrig und geschäftstüchtig, hält doch tatsächlich mit Wärme ein Plädoyer ganz eigener Art auf Ahab. Dabei dringt ihm eine verschrobene Sympathie und Verehrung aus allen Knopflöchern, für diesen unheimlichen Sonderling, unter dem er einst Steuermann war. Er nennt ihn aus Überzeugung einen guten Menschen, gottlos und gottgleich in einem, voller Schwermut und Wildheit, mit Weib und Kind, und trifft damit weise wohl ziemlich genau den Grat zwischen seiner Menschlichkeit und der Tragik seines krankhaft-fanatischen Stolzes. “Denn alle tragischen Männer gewinnen ihre Größe durch etwas Krankhaftes in ihnen”, sagt Melville (S. 140). Und manchmal fürchtet man, er könnte Recht haben…

Selbst Peleg gewinnt während seiner Ansprache an Ismael an Menschlichkeit; er sucht ihm und sich das unheildrohende Orakel um Ahab und seinen Namen auszureden. Und in seinem fast rührenden Eifer wird eben jener Ahab zu diesem wohlbekannten, sehr menschlichen Wesen, dem zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust.

Fliegende GespensterSchade, nun kommen mir hier wohl die beiden Quäker mit den biblischen Namen, jeder für sich seine eigene Legende, etwas zu kurz. Dabei hätten sie ein würdiges Plätzchen hier durchaus nochmals verdient, nicht nur wegen der hintergründigen Bibelsymbolik, der versteckten Gleichnisse darin und dem Anspielungen aus der Bergpredigt vor sich hin murmelnden Bildad.

Man möchte gern noch ein bisschen in der wechselvollen und nicht widerspruchsfreien Geschichte der Society of Friends, der “Fighting Quakers”, wie Melville sie zweideutig nannte, kramen. Nun ja…

Doch zumindest scheint es mir angebracht, auf das auch von Jendis/Göske (Seite 945) erwähnte Gedicht The Quaker Graveyard of Nantucket des zweifach pulitzerpreisbekränzten Robert Lowell zu verweisen, mit dem dieser Melvilles Darstellung der Quaker sailors, Ahabs Pequod und Moby-Dick ein Denkmal setzte:

… They died
When time was open-eyed,
Wooden and childish; only bones abide
There, in the nowhere, where their boats were tossed
Sky-high, where mariners had fabled news
Of IS, the whited monster. What it cost
Them is their secret. In the sperm-whale’s slick
I see the Quakers drown and hear their cry:
“If God himself had not been on our side,
If God himself had not been on our side,
When the Atlantic rose against us, why,
Then it had swallowed us up quick.

Der flatternde Herzogenauracher

Written by Wolf

19. December 2006 at 4:18 am

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Kapitel 15, Chowder: Elke kennt sich aus mit manschigem Fischsuppenbrei

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Elke hungert:

Elke HegewaldHolla, na das nenne ich doch mal eine üppige Mahlzeit. Nahrhaft – und vor allem sehr abwechslungsreich – scheint es in der Küche von Mrs. Hussey zuzugehen. Nichts gegen die Spezialität im “Trankessel”, aber bei so viel Meeresgetier in einer bis zwei Schüsseln fürchtet man ja, dass einem Schwimmhäute zwischen den Zehen wachsen.

Ich weiß ja nicht, wie es euch ging, aber ich bin mit den landestypischen Gerichten Neuenglands nicht so vertraut und musste, um ehrlich zu sein, erst nachschlagen, was da Leckeres im Topfe der Frau Wirtin köchelt.

Schauder-ChowderDas Ergebnis war durchaus überraschend, denn es scheint, als sei dieses Chowder-Zeugs nicht nur was zum ordentlich Sattwerden, sondern Gegenstand eines wahren Kultes: Es füllt mit unterschiedlichsten Grundzutaten ganze Kochbücher, von denen wir aus unserem Primärmaterial lediglich die Muscheln und den Kabeljau kennen, nicht aber das Huhn, diverse Feldfrüchte und andere vegetarische Ingredienzien oder was da sonst noch so reinwandert. Chowder-Tage, Chowder-Festivals und Chowder-Kochwettbewerbe werden landesweit veranstaltet, und Restaurants und Imbissbuden heißen Chowder-House, Chowder-Bar oder – sehr hübsch – Chowder-Bowl.

Was für ein Siegeszug dieses manschigen Suppenbreis! Mhja… ich glaube, ich lass heute das Frühstück ausfallen.

Was sonst noch erwähnenswert ist: die abenteuerliche Navigation unserer zwei Walfänger zur wärmstens empfohlenen Unterkunft und Ismaels dunkle (Todes-)Ahnungen beim Anblick des an einen Galgen erinnernden Wahrzeichens der Herberge. Die ihm wohl mehr zu schaffen machen, als er merken lassen mag. Oder ist nur mir aufgefallen, wie krampfhaft und betont er den Spaßvogel mimt? – sogar sein Intimus ist vor seinen Foppereien nicht sicher. Das kennt man doch selber – laut pfeifend durch den dunklen Wald laufen! Nun, soll er erstmal eine Nacht darüber schlafen und was Ordentliches essen – was gabs doch gleich nochmal zum Frühstück?

Hussey ohne Mrs.Ach ja, und dann ist da noch Mrs. Hussey, die wirklich resolute Chefin des gastlichen Hauses, in der wir ja nun offenbar das angekündigte einzige handelnde Weibsbild der ganzen Geschichte kennenlernen durften, oder? Und ihre wortkarge, doch stimmgewaltige Autorität muss es schon in sich haben – wer hätte wohl sonst Queequeg von seiner geliebten Harpune trennen können?

Written by Wolf

13. November 2006 at 6:25 am

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Kapitel 14: Elke’s Whalesong into Nantucket

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Elke ist praktisch schon da:

Yeah, Nantucket, wir kommen!

Elke HegewaldHerrje, und wäre ich nicht an der Seite unserer zwei Helden an Bord der “Moss” (also dieses zielsicheren Fährschiffchens jetzt) gegangen, ehrlich, ich hätte dieses wundersame Eiland, die wahre Heimat der Waljäger und Seefahrer, ganz woanders vermutet, mehr in Richtung des unwirtlichen Neufundland… irgendwie.

Denn denkt man sich nicht alles, was mit Walfängerei zu tun hat, ganz von selber in nördlichere Breiten? Ha, Moby-Dick als Bildungsbuch! Aber das hätten wir ja spätestens bei der noch etliche Kapitel voraus liegenden Melvilleschen Cetologie eh gemerkt. Jedenfalls weiß man jetzt endlich auch als Nicht-Nantucketer, dass selbiger nur ein paar läppische hundert Seemeilen östlich von New York und sogar um einige Breitengrädelchen näher zum Äquator hin als der Ostfriese, der Neufünfländer und ja, auch der Franke zu Hause ist. Der freundliche Hinweis, in die Karte zu schauen, war gar nicht so schlecht.

Da schwanken wir noch auf den Planken vor der Küste dieses “Ellenbogens aus Sand”, und schon purzeln uns die Legenden nur so vor die Füße. Und zuerst erinnern sie uns tatsächlich an Anekdoten über ein uns wohlbekanntes heimatliches Küstenvölkchen. Bis man merkt, dass Herr Melville doch recht liebevoll mit diesem Menschenschlag umgeht – er wird gewusst haben, warum…

Nantucket von untenÜberhaupt scheint die Gegend recht mythenträchtig zu sein, nicht zuletzt auf geheimnisvolle und besondere Weise verwoben mit “der mächtigsten Masse Leben, welche die Sintflut überlebt hat… einem wahren Ungeheuer, gewaltig wie ein Berg!” (S. 124) Irgendwo (wüsste ich doch nur noch wo) habe ich die Legende der fast zufälligen Erfindung des Pottwalfangs auf Nantucketisch gelesen, die ja mehr sowas wie der verzweifelte Befreiungsschlag eines von diesen Riesenviechern umzingelten Fischfängers gewesen sein soll. Auch die verhängnisvolle Fahrt der Essex auf den Wal, vielleicht das reale Vorbild unserer Geschichte, deren schiffbrüchige Reste der Mannschaft nur als Menschenfresser überleben konnten, nahm hier ihren ihren Anfang.

Und, nicht zu vergessen: schließlich liegt die “Pequod” des Captain Ahab, beide inzwischen ihr eigener Mythos und bereit zur Jagd auf Moby-Dick, im Hafen von Nantucket.

Martha's WeingartenHach, und beim Erkunden der empfohlenen Landkarte entdeckte ich, dass sogar Martha’s Vineyard, des Eilands nordwestliche Nachbarinsel, die Form eines verwesenden Wals ohne Kopf hat. Bisher wusste man ja nur, dass Haustiere ihren Herrchen mit den Jahren immer ähnlicher werden sollen (oder umgekehrt?) – aber ganze Landschaften?

Auf jeden Fall scheinen wir uns mit Melville (und mittlerweile auch Scharen von lästigen Touristen) über die Faszination dieses Fleckchens Erde einig zu sein. Also: Alle Mann von Booord!

Written by Wolf

7. November 2006 at 7:56 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 13: Elke kennt sich aus mit Schubkarren

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Elke redet noch von was anderem als dem Wetter:

Elke HegewaldOh ja, es wird Zeit für unsere zwei Busenfreunde, sich zur Überfahrt nach Nantucket einzuschiffen. Und Melville geleitet sie sicher dorthin. Ging er doch als einundzwanzigjähriger Abenteurer selbst im New Bedforder Hafen an Bord der Acushnet, um achtzehn Monate später von seiner ersten und einzigen Walfangreise zurückzukehren – zum gestandenen Manne gereift und lebend, denn Mocha Dick ist er wohl nicht begegnet…

An diesem ruhigen… hm, nach des Wolfes Zeitforschung und Herrn Adam Riese müsste – nach zwei gemeinsamen Nächten des frischvermählten Freundespaares – grad das zweite Adventswochenende vorbei sein… an diesem ruhigen Montagvormittag also schieben sie, einander brav abwechselnd, ihren Schubkarren mit diversem Gepäck zum Einchecken an den Kai. Das Wetter ist akzeptabel, wenn man von ein paar Windböen, die es ja in diesem Kapitel wegen der Dramaturgie und gemäßigten Dramatik noch brauchen wird, einmal absieht.

Seamen's BethelEin paar Straßen weiter, in Seamen’s Bethel, dem Gottesort der Walfänger, wird Vater Mapple nun auch sie in seine Gebete einschließen, denn es wird langsam ernst mit dem Abenteuer Mann gegen Wal.

Der Schubkarren, in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (und vielleicht sogar Nicht-Erscheinungs-Formen) sicher sowohl für Mundartforscher als auch für die Jünger der einschlägigen urbanen und ruralen Historie ein lohnendes Objekt, gibt nicht nur dem 13. Kapitel seinen Namen, sondern darf gleich noch für einen (zumindest für mich in meiner beruflichen Prägung) deliziösen Exkurs herhalten. Über Missverständnisse kultureller Art nämlich. Und schau an: Unser guter Queequeg erweist sich durchaus nicht als drolliger Wilder, der ulkige Bräuche praktiziert, sondern offenbart eine Weisheit, gepaart mit offensichtlichem Humor und gesunder Selbstironie, wie sie die ach so zivilisierten Weißen, die durchs Bild stolpern, heftigst vermissen lassen. Also, in heutiger, globalisierender Lesart würde ich ja dem Jungen mit der Harpune ohne Zögern interkulturelle Kompetenz bescheinigen. “Na, was du jetz denken? Unsere Leute nicht lachen müssen?”

Zudem weiß er sich bei einem Angriff auf seine Würde durchaus seiner Haut zu wehren und sich handfest Respekt zu verschaffen. Und seine mit gelassener Ruhe vollbrachte Rettungstat enthüllt eine Selbstlosigkeit und Menschlichkeit, die mich in meinem schon woanders geäußerten heimlichen Verdacht nur noch bestärkt, dass Melville mit ihm so eine Art weißen Raben als Ideal der (christlichen?) Nächstenliebe in die Geschichte schnitzen wollte. Für den die “Welt […] eine Gesellschaft auf Gegenseitigkeit mit unbeschränkter Haftung [ist], und zwar in allen Breiten”, in der “[w]ir Menschenfresser […] diesen Christenmenschen beistehen [müssen]”. (S. 122) Hmm…

Written by Wolf

6. November 2006 at 5:40 pm

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Elke 11: Schlafrock; Elke 12: Biographisches

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Elke had a dream:

Ahoi Mannschaft,

Elke Hegewaldsteigen da nicht, gleich schillernden Luftblasen, vertraute Bilder vom Meeresgrund der Erinnerung herauf? – An die schlaflos durchschwatzten Nächte kindlicher und halbwüchsiger Pyjamapartys oder an das Bei-der-besten-Freundin-Übernachten? Was gibt es Innigeres und Verklärteres als diese Momente, da man, Schulter an Schulter in wärmende Decken gehüllt und gegen die Welt da draußen verschworen, einander seine Geheimnisse anvertraute und über das Leben fabulierte.

Und das Unterbewusstsein taucht nach diesen versunkenen Perlen, während man, schon wieder schamlos und gespannt lauschend, Queequegs Geschichte hört und endlich sein Geheimnis erfährt: ein Königssohn ist er also, ein rebellischer dazu, geboren auf einer paradiesischen Insel – auf der Suche nach dem Guten und Wahren.

Und als er aufbrach, ausbrach, hat er wohl nicht geahnt, dass “sein unbändiges Verlangen, die Länder der Christenheit kennenzulernen” und “das Licht der Aufklärung zu seinen ungebildeten Landsleuten zu tragen”, ihm dereinst die ganze Welt in Frage stellen würde. Hat er sich etwa deshalb von seiner Menschenfresserinsel auf dieses fremde Schiff gestürzt, nur um zu erfahren, “dass selbst Christenmenschen so jämmerlich wie böse sein konnten, und dies unendlich viel mehr, als alle Heiden seines Vaters zusammengenommen”?! (S. 113)

Da wundert es denn auch keinen noch groß, dass ausgerechnet den der Ismael finden muss, genau so ein Aussteiger. Auch er ein Suchender und Zweifler vor dem Herrn und der hergebrachten bürgerlichen Gesellschaft so fern und fremd, wie Queequeg der seinen. So braucht es nur noch den liebevoll sanften Heidenfreund, dass ihm nun gänzlich alle Werte seiner Abkunft fragwürdig werden, nichts mehr heilig, alles vorläufig und offen scheint (Jendis/Göske: Nachwort, S. 893 f.), was ihn wieder mal zur faszinierenden Übersetzung seines biblischen Pendants ins Irdische macht (Genesis 16,12).

Ich find ja Wolfs Vorstellung vom Puppenspieler Melville sehr reizvoll und treffend. Der lässt nicht nur seine selbst zurechtgeschnitzten Figuren an selber gesponnenen Fäden nach seiner Pfeife tanzen – die Kunst des Meisters dabei, dass sie – “leben” –, nein, er ist auch ein Teil von ihnen. Und gibt in jeder einzelnen zwischen den Zeilen ein gutes Stück seines Innersten preis, des eigenen zerrissenen Bildes von der Welt.

Dem hochverehrten Publikum verlangt er dabei Erkleckliches ab – es erstarre gefälligst nicht vollends in Faszination und Ehrfurcht, sondern begebe sich selbst auf den Weg zu ergründen, was er ihm zu sagen hat:

Dieses seltsame Wesen Queequeg, das so durch und durch gut ist – hat es nicht irgendwas von einer Vision, einem heimlichen, diffusen und unfertigen Ideal? Das nach einem Weg tastet, einem Leben, das man leben kann. “I have a dream”, meint man doch geradezu Melville hier und da vor sich hin murmeln zu hören, oder geht jetzt wieder meine Fantasie mit mir durch?

Ist nicht vielleicht der ganze Queequeg für Melville vielmehr ein gewichtiges Symbol, als eine wahrhaftige Figur? – fragt etwas in mir. Oder hat es so gar nichts zu bedeuten, dass die Urheimat des weltenwandernden Königskindes, eine “Insel weit im Westen und Süden” mit exotischem Namen, auf keiner Landkarte verzeichnet ist?

Und wie man sie dort so hocken zu sehen meint, unsere zwei, blitzt ein Gedanke auf, der hier schon mal da war – und es drängt mich danach, dem Wolf Recht zu geben: Ja! Sie sind die Lost Boys aus dem Peter Pan, einer wie der andere. Auf der Suche nach einer anderen, glücklicheren Welt, auf dem Flug ins lockende Abenteuer, weit weg von schicksalhaften Bindungen und Zwängen – und doch bereit, an etwas zu glauben. Sie wissen nicht, was sie finden werden, und die Pequod mag ihnen ihr Nimmerland scheinen.

Und keiner ahnt auch nur, dass die alte Welt sie gerade dort unentrinnbar einholen wird, weil nicht Peter Pan, sondern Captain Ahook auf sie wartet – auf einem Schiff, beladen mit dieser Welt bis obenhin – und statt der Hand fehlt ihm ein Bein. Nun, vielleicht würde bei dieser Assoziation nicht nur Herr Melville widersprechen und sich dagegen verwahren, sie weiter auszumalen – doch die Parallelität menschlicher Träume und Sinngebungen fasziniert schon … und kann doch nicht nur ein Zufall sein. – Herr Dr. Freud??

Written by Wolf

30. October 2006 at 5:01 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Elkes Kapitel 10: Busenfreunde vs. Blutsbrüder?

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Elke sagt:

Hach, was für eine herzerwärmende, intime Szene darf der neugierige Leser da miterleben – und empfindet die eigene Anwesenheit ja beinah als Indiskretion. Dabei ahnten wir es doch längst: Ismaels und Queequegs Seelen haben sich gefunden in einer “jäh auflodernde[n] Flamme der Freundschaft”.

Und für mich gibt es kein besseres Wort als Busenfreunde für das, was die zwei, die unser Herz nicht erst heute erobert haben, da vor unseren Augen geworden sind.

Herr Jendis musste bei der (wörtlichen) Übersetzung nicht mal ins Schwitzen geraten. Und den Sprachfreak fasziniert ganz am Rande, dass es offenbar in vielen Sprachen 1:1 dasselbe bedeutet – nicht anzüglich und den übertragenen Sinn vermittelnd. Auch wenn es heutzutage meist medienlastig – vorzugsweise zur Umschreibung einer undurchschaubar-diplomatischen Liaison zwischen Politikern – als satirische Ironie daherkommt. Unsere beiden Helden waren jedenfalls noch echte Intimi.

Nichts geht doch über eine große, bedingungslose Männerfreundschaft – soweit man darüber als weibliches Wesen überhaupt zu befinden befugt ist. Zu Lesers Glücke verfügt Ismael selbst über Stimme und Seele genug zu offenbaren, wonach er, der Kerl ohne innere Heimat, sich sehnt und was er in diesem seltsamen Wilden gefunden, der “sich selbst genug und stets er selber” ist.

Queequeg wird für ihn sowas wie ein verlässlicher Hafen in diesem kalten, tödlichen Leben, in dem jeder, Wolf unter Wölfen, einsam und verbissen vor sich hin kämpft: “Etwas in mir schmolz dahin. Nicht länger wütete mein arg zerspelltes Herz und meine rasende Hand wider die wölfische Welt. Der sanfte Wilde hatte sie erlöst.” (S. 105) Und sogar gegen seinen Hader mit der Christenheit ist der Heidenfreund die Therapie, “denn Christenliebe hat sich nur als hohle Höflichkeit erwiesen”. Was wiederum, mitsamt dem im Götzengottesdienst des Herzens endenden “katechetischen” Frage- und Antwortspiel Ismaels und der so missverständlich-sündig wie nur geht ausgelegten Bettszene, ein ach so gefundenes Fressen für die Zensoren der Londoner Ausgabe gewesen sein muss.

Da schmauchen sie also ihr friedliches Pfeifchen und statt des blutsbrüderlichen Rituals nimmt Queequeg den Ismael um die Taille und berührt dessen Stirn mit der seinigen – tja, andre Länder, andre Sitten, sag ich da nur. Welche man sorgsam auch bei der stehenden Fußes erfolgenden “Vermählung” im Auge behalten sollte, die “in seinem Lande soviel besagte wie: dass wir Busenfreunde seien; er wolle mit Freuden für mich sterben, so das nötig sei.” (S. 106) In diesem Sinne folgen weitere entsprechende Metaphern (!) zuhauf. Schlagt mich tot, aber ich kann hier immer noch keine zärtlichen homoerotischen Bande zwischen zwei ausgewachsenen Kerlen erkennen, auch wenn die Szenen einer rührenden Innigkeit sowenig entbehren wie der genuinen heiteren Ernsthaftigkeit Queequegs und der hier und da geradezu liebevoll humorigen (Nach-)Sicht Ismaels. Von sexuell motivierten Regungen und Gesten jedoch weit und breit keine Spur, oder?

Vielleicht liegt es ja auch an meinem Unfrieden mit Herrn Freuds Triebtheorie. Was hätte der wohl an einem von der sündigen Welt unverdorbenen Wilden, der stets er selber ist, zum Rumdoktern gefunden? Und, nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: von mir aus soll einer schwul oder anders glücklich werden. That’s life! – aber sowas von. Aber ob ich das hier so nennen würde? Hm, und kommts darauf hier überhaupt an? Wer wäre – Hand aufs Herz! – bei den Karl Mayschen berühmtesten Blutsbrüdern ever je auf einen solchen Gedanken gekommen? Na gut, wenn wir den “Schuh des Manitu” nicht mitzählen – und selbst da musste Abahachis Zwillingsbruder herhalten.

Okay, okay, von Backbord und Steuerbord war man als (un)voreingenommener Leser ja einschlägig vorgewarnt. Leslie Fiedler beispielsweise, scharfzüngiges Enfant terrible der amerikanischen Literaturwissenschaft, konstatiert in „Love and Death in the American Novel“ nicht nur besagte homoerotische Tendenzen z.B. bei Melville und Mark Twains “Huckleberry Finn“, sondern montiert selbige auch gleich in einen prägenden Unterscheidungszusammenhang des amerikanischen Romans gegenüber dem europäischen. Mach was, die Gedanken sind frei – meine auch.

Und vielleicht muss man ja ein Mann sein, um das so zu lesen? Allerdings nicht unbedingt Amerikaner.

Ich halt’s da eher mit – Gott hab ihn selig! – Johann Michael Sailer, einem guten Katholiken, seines Zeichens Bischof von Regensburg und Vertreter eines positiven Christentums: “Die wahre Freundschaft hat nur zwei Gesetze: Erstens, daß einer des anderen Freund sei; zweitens, daß er’s von ganzem Herzen sei.”

Der hätte seine helle Freude an unseren zwei Busenfreunden gehabt.

Written by Wolf

18. October 2006 at 6:22 am

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Die Predigt: Elke hat das 9. Kapitel gelesen und vielleicht sogar verstanden

Elke denkt mit und spricht:

Ach ja, nicht mal der gottloseste Kerl der Gemeinde könnte sich dagegen wehren, diesem Prediger sein Ohr zu leihen. Der doch die einst für sonstwen gedrechselten Worte der Heiligen Schrift in die Sprache ‘übersetzt’, die so einer jeden Tag selber im Maule führt.

Und spätestens nach dem inbrünstig jubilierten Choral, an den Melville höchstpersönlich Hand angelegt hat (die Anspielungen auf Jona im Wal sind seine Umdichtungen, verrät uns Herr Jendis) hat Vater Mapple sie alle da, wo er sie haben will. Der Leser hadert einzwei Seiten lang noch ein bisschen mit dem leicht widerspenstigen, absatzarmen Text – und merkt erst dann, dass längst auch er gebannt dem flammenden Lehrstücklein einer Predigt lauscht.

Auch ich habe mich gefragt, welch dunkler Punkt in seinem Leben wohl dem braven Priester selbst zu schaffen machen mag. Über die Prägungen einer katholischen Erziehung hin zu latenten oder akuten Schuldgefühlen kann ich nun nicht so recht mitreden, durfte ich mir doch von Kindheit an meinen eigenen freien Glauben zimmern, mal in die Irre und wieder geradeaus gehen… Und doch kann unsereins des Predigers eigenes Ringen und Jonas innere Qualen nachfühlen – so fremd ist es einem denn doch nicht. Menschen neigen nun mal dazu, sich schwer zu tun mit dem eigenen rechten Weg. Was für ein weites und dankbares Feld für die Drewermanns oder gar die Berufsnachfolger von Herrn Freud – und natürlich einen Herman Melville.

Nun könnte man sichs einfach machen und sagen: Klar muss es die Geschichte von Jona und dem Wal sein, sind wir nicht im “Moby-Dick“? Und man liegt bestimmt auch nicht falsch, dass sie auf das Kommende hindeutet. Hm, und vielleicht stimmt es sogar, dass sie so etwas wie eine Warnung ist, nicht den Schöpfer selber zu erzürnen, der mit allen seinen Kreaturen mitleidig, gnädig und barmherzig ist, ob nun mit unbotmäßigen Propheten, dem weißen Wal oder denen, die ihn jagen.

Für mich ist da allerdings mal wieder das Unausgesprochene spannend, das, was der Prediger auslässt von der „nur vier Garne“ langen Mär .

Denn dieser Jona, der – auf seiner Flucht vor dem Gebot des HERRN in die entgegengesetzte Richtung das blanke schlechte Gewissen selber – seinen Auftrag schließlich doch noch erfüllt, dem sündigen Gesocks von Niniwe zu predigen und mit Gottes Strafe zu drohen nämlich, ist er nicht immer noch ein widersprüchlicher Kerl?

Ehrliche Reue? Ha! Aber woher denn! Der ist dem Chef sauer, weil der gnädig ist mit den ganz fix und heftig reuigen Sündern in Sack und Asche und ihm die Lehre erteilt, dass Güte und Gnade mehr wert und wichtiger sind in der Welt als Zorn, Hass und Strafe. Jona, der will Vergeltung. Will… Rache? Und da fiele mir schon einer ein, der diesem Drang bis zum bitteren Ende folgen wird. Nun ja, vielleicht ist ja diese Deutung auch etwas fürwitzig…

Außerdem würde ich ja hier auch gerne eine Anknüpfung an die verlorenen Seelen von den Marmortafeln sehen wollen. Denn die Verschlingung und Rettung Jonas wird in der Bibelinterpretation ja auch als ein Symbol für Tod und Auferstehung gedeutet. Oder sagen wir es weltlicher: es ist für den suchenden Menschen auch ein Bild von einem Neubeginn nach dem Ende, nach Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Ich kenne mich, wie ja schon zugegeben, mit Predigten nicht übermäßig gut aus. Aber ein treuer Gottesmann, wie Vater Mapple einer ist, der predigt doch nicht einfach so mit Leidenschaft daher und entlässt seine überwiegend trauernde Gemeinde dann ohne ein Licht am Ende des dunklen Tunnels aus seiner Kirche, nicht wahr. Oder sehe ich das falsch?

“Aber ach, Kameraden! An Steuerbord von jedem Schmerz, da wartet sichere Freude, und der Gipfel dieser Freude ist höher, als der Grund des Wehs tief.”

Was für ein Hirte!

Written by Wolf

12. October 2006 at 10:43 am

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Kirche & Kanzel: Elke hat das 7. & 8. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Da folgen wir ihm also in die kleine Kirche, dem frischgebackenen Walfänger, fast auf Zehenspitzen – an einen Ort der Stille und leisen Andacht… So meinen wir jedenfalls. Und dann geraten wir aus diesem Schneesturm da draußen vor der Tür, ehe wir’s uns versehen, schon wieder in einen neuen – und der tobt in unserem guten Ismael selber, will mir scheinen. Oder hören wir hier gar ziemlich unverfremdet Herrn Melville höchstselbst, in seiner eigenen Not zwischen Glauben und Zweifel?

Jaja, hier kommt noch eine daher, die wohl mehr Fragen als Antworten hat. Und die hat’s auch nicht so mit den religiösen Spielarten. Wen wundert’s, könnte wer sagen, wenn er sich’s einfach machen wollte. Wo ich mir doch die Hand reichen könnte mit dem ungetauften Queequeg… irgendwie. Der – auch das wundert kaum noch einen – natürlich mitten in der andächtigen Gemeinde hockt. Was ich eigentlich sagen wollte: vielleicht kommts darauf gar nicht an, wes Geistes Kind man ist, welcher Religion mit ihren Grundsätzen, Geboten oder Regeln man folgt? Selbst wenn einer gar keine hat, heißt das noch lange nicht, dass er an nichts glauben will. Ich nenne es die Suche nach dem Sinn.

Und auch ich habe mich gefragt: Diese trostlosen Tafeln, diese – o ja! – kaltfröstelnden Inschriften, so überdeutlich vor des Lesers Auge gebaut, was sollen sie bedeuten? Sie haben etwas mit Ismaels (oder Hermans?) Gedankensturm zu tun, mit der “ungewollte[n] Ungläubigkeit in jenen Zeilen, die den Glauben selbst zu zersetzen scheinen und jenen Geschöpfen die Auferstehung verweigern, die ohne bleibende Stätte, ohne Grab zugrunde gehen”. Ist es der Versuch einer ohnmächtigen Beschwörung, dass da doch etwas bleibt, bleiben muss; einer Beschwörung, die bis zur sympathetischen Vereinigung der „stillschweigenden Inseln“ einsamen Grams getrieben wird? Weil das ganze doch einen Sinn haben muss, weil „der Glaube […] sich, wie der Schakal, seine Nahrung zwischen den Gräbern [sucht] und […] gerade aus diesen tödlichen Zweifeln seine lebensspendende Hoffnung [zieht]“?

Mir kommt es ja so vor, wandele sich Ismael am Ende des siebenten Kapitels beinah zum Fatalisten, den möglichen Ausgang seines Walfängerschicksals auf einmal so plastisch-sarkastisch vor Augen. Aber wenn da was dran sein sollte, dann ist es ein recht kämpferischer Fatalismus, denn sein wahres Ich, seine – jawohl, reine, – „Seele zermalmen, das kann selbst der Höchste nicht.“

Selbstverständlich war dieser sein (und Melvilles?) ketzerischer Gedanke den englischen Puritanern nicht zuzumuten und las sich desterwegen in der Londoner Ausgabe so: „meine Seele zermalmen, wer kann das?“

Meiomei, wie viel Zeit man sich wieder lässt, um endlich an dieser nun wirklich einzigartigen Kanzel anzukommen! Zu der Vater Mapple – vom Wolf bereits gebührend besungen – mittels einer Strickleiter hinaufklimmt, die (wäre einer nicht drauf gekommen?) mitsamt der ganzen Kanzel natürlich auch wieder ein Sinnbild darstellt, den Bug eines Schiffes – und das Schiff ist die Welt.

Melville sagt es andersherum: „Wahrlich, die Welt ist ein Schiff…“ – und ich mag diesen letzten Satz des Kapitels, mag dieses Bild des Schiffes auf dem Meer, im Sturm … des Lebens? Und bin damit in bester Humboldt-Gesellschaft.

Calvinisten

Written by Wolf

6. October 2006 at 7:02 am

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Gut gefrühstückt zum Stadtbummel: Elke hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Also, wenn ihr mich fragt, finde ich Ismaels und erst recht Melvilles Tempo, dem wir mit unserer eigenen Gemächlichkeit folgen, durchaus angemessen. Und zwar auf zweierlei Weise:

Zum Ersten haben Ismaels Erlebnisse so einen Touch von Echtzeit: man fühlt sich, in seiner kuscheligen Sofaecke hockend, doch selber mittendrin und voll dabei in diesem wilden Haufen raubeiniger Kerle. Die es furchtlos mit jedem noch so großen Wal aufnehmen, und diese erwartet munter lärmende Frühstücksrunde – schau an! – auf einmal scheu und schweigsam hinter sich bringen. Ja, auf den Weltmeeren herumzukommen, heißt halt mitnichten, weltgewandt und umgänglich zu sein. Im Gegenteil steht es zu vermuten, dass diese Walfänger und Abenteurer in ihrer Mehrzahl eine Schar von Sonderlingen und Einzelgängern sind, auf hoher See durch ihren gefährlichen Job zusammengeschweißt und dem normalen Leben so fern und entwöhnt wie nur irgendwer.

Und ich hab ja, wo wir doch längst um die hintergründige Psychologelei Melvilles in seiner Sicht auf die Welt wissen, noch einen ganz andern Verdacht: dass er damit nicht nur diese Tafelrunde meint…

Und zum Zweiten haben diese Erzählweise und Ismaels Beobachterposten, auf dem er sich ja nun im Einzelkapitel (im Gegensatz zu mir) weiß Gott nicht weitschweifig palavernd und häuslich niederlässt, ihren tiefen Sinn. Ham wir doch wieder was gelernt! Zuallererst nämlich, wie und warum der zunehmend an Queequeg einen Narren frisst. Denn der Kerl hat was in dieser Meute (noch?) gesichtsloser Gestalten: ein gelassenes und äußerst gesundes Selbstbewusstsein, „und jedermann weiß, dass Gelassenheit in den Augen der meisten Menschen auf ein vornehmes Wesen hindeutet.“ (S. 76) Denn wie man ja selber heutzutage – vom Sitzungstisch bis zum Hörsaal – immer wieder erlebt, sitzt „am Kopfe der Tafel“ entweder einer, den es aus dem Bewusstsein der Wichtigkeit seiner Person oder aus Geltungsdrang ins „Präsidium“ oder zumindest in dessen Nähe drängt, oder eben der, der sich darüber überhaupt keinen Kopp macht. So einer ist Queequeg, in sich ruhend, mit seiner höchstpersönlichen Würde. Und es schert ihn nicht mal, ob es jemanden anderen schert, dass er mit der Harpune sein halbblutiges Steak frühstückt. Im übrigen sei wohlmeinend davor gewarnt, beim nächsten Restaurantbesuch den einschlägigen Gourmet einen Wilden zu nennen.

Natürlich geht es nicht an, dem wissbegierigen Leser einen Eindruck von der Walfängermetropole New Bedford vorzuenthalten – wie wir sehen, kommen wir also auch nicht ohne das sechste Kapitel aus. Denn wer möchte schließlich gern aus dem Niemandsland auf Walfang gehen.

Sie ist voll von Seeleuten und Abenteurern unterschiedlichster Couleur, die Stadt – vom echten Menschenfresser über bunte Exoten aus aller Herren Länder bis zum auf Walfänger gestylten Bauernlümmel aus Vermont oder New Hampshire. Der heiß darauf ist, das große Geld zu machen, und, wenn es ernst wird, noch sein blaues Wunder erleben wird.

Um nochmal beim Geld zu bleiben: Melville, ach nein, Ismael zeichnet ein knappes, aber klares und farbiges Bild des üppigen Wohlstands, den die Region den Walen verdankt. Und keine Rede davon, dass der Walboom schon in sein sieches Stadium zu fallen beginnt, weil ja längst ergiebigeres Gold gefunden wurde, schwarzes Gold. Und weil es Ismael ist, der uns das alles erzählt, darf natürlich hier seine Anspielung auf Kanaan, das Gelobte Land nicht fehlen. Auch wenn New Bedford an das natürlich nicht ganz rankommt, aber nur ganz knapp nicht. Okay, ich geb’s ja zu, dass mir die sehr kurze Anmerkung dazu nicht gereicht hat und mich eine Kurzfassung der Geschichte des entsprechenden Buch Mose inhalieren ließ – was tut man nicht alles für seine Bibelfestigkeit. Demnach wurde besagtes Gelobtes Land ja schließlich des echten Ismaels Vadder Abraham und seinen Nachkommen von Gott höchstpersönlich versprochen. Nu hatte Vadder zwar eben jenen Ismael schmählich aus dem Haus getrieben; trotzdem meint man herauszuhörn, dass der „Unsrige“ sich vorerst auch mit dem beinah Gelobten Land zufrieden gibt.

Written by Wolf

29. September 2006 at 12:39 pm

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Die Steppdecke: Elke hat das 4. Kapitel gelesen

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Elke war fleißig und sagt:

Uuh ja, also auf in dieses sonderbare und bemerkenswerte vierte Kapitel. Bei dem offenbar schon die Steppdecke (uns) wieder etwas be- und andeuten soll, die es betitelt und sich so eigenartig Ton in Ton mit Queequegs besitzergreifendem tätowierten Arm verbandelt – ist’s gar eine Allegorie? Wie uns dieses Kapitel überhaupt auf den schwankenden Boden der Deutung wirft und uns schier darin versinken lässt. Denn kaum hat man sich aus diesem sonderbaren “Flickwerk unregelmäßiger kleiner Quadrate und Dreiecke in allen Farben” gewühlt, überfällt einen Ismael mit seinem nicht minder seltsamen Kindertraum, der einem verrückterweise auch noch bekannt vorkommt…

Ich werde den Teufel tun und hier zu Herrn Freud in Konkurrenz treten. Mag sich jeder selber seinen Reim darauf machen, was diese fremde Hand (oder die Einbildung derselben), dieser Traum und die Erinnerung daran just in diesem Augenblick oder der Vergleich der Situationen meinen wollen. Was weiß man denn, wie die Geschichte weitergeht. Man denkt sich halt seinen Teil.

Oh, eines fasziniert: Man bekommt ein Stück von diesem Ismael zu packen, wieder eins, das man noch nicht kannte. Da sind Ängste, vor etwas, das sich nicht benennen lässt. Vor unbekannten Gefahren? Oder geboren aus einem Gefühl der… Einsamkeit? Bei diesem Kerl, der drei Kapitel vorher noch nach Entlegenem lechzte, „verbotene Meere […] besegeln und an barbarischen Küsten […] landen“ wollte? Der alles sicher Fassbare hinter sich lässt? Da ist doch etwas in dem Spötter und Aussteiger, das sich nach Geborgenheit, nach Wärme sehnt – auch wenn er dies nie offen zugeben würde. Erst recht nicht in der Lage, in der er sich von einem anderen Kerl umarmt findet.

Huch, nun bin ich ja doch nah bei der Traumdeuterei und Symbolik gelandet. Nun ja, man kann es einfach nicht nicht merken, dass das ganze Buch von (An)deutungen und Ahnungen, von Symbolen als Stilmittel und zur Abbildung der (Um)welt nur so strotzt. Hier und da wird „Moby-Dick“ als ein wichtiges Werk (auch) des Symbolismus bezeichnet. Dagegen kann man gar nichts haben. Und fragt sich dennoch, wie das sein kann, wo der doch erst zum Ende des 19. Jahrhunderts ausgebrochen ist, und zwar in Europa. Ist Melville seiner Zeit voraus? Zum amerikanischen Symbolismus in der Literatur habe ich bisher nicht so viel gefunden, außer dass der von mir hoch verehrte Herr E.A. Poe zu seinen Vorreitern zählt und eben auch Herman Melville.

Zuallererst wird aber auch dieses Kapitel von vorne bis hinten durch Queequeg und die Vorahnung (schon wieder) einer großen Freundschaft beherrscht. Herzliches Schmunzeln provoziert dessen Ankleidezeremonie, von Ismael-Melville mit köstlichem Humor geschildert. Was auffällt: die unbändige, ja geradezu penetrante, Neugier Ismaels auf das Tun und Wesen dieses sanften „Wilden“. Sie ist so groß, dass sich das Verständnis von zivilisiert und dem Gegenteil davon für den bedingungslos allen beiden geneigten Leser sogar umkehrt. Der unbefangen und gnadenlos hier in dem anderen, dem Typen aus gutem Hause, den Wilden zu sehen bereit ist. Doch nichts von alldem verhindert, dass unsereins Ismaels aufkeimende Sympathie für Queequeg erahnt.

Melville weiß uns im hier strapazierten Kapitel durchaus zu überzeugen, dass er auch mit unserem Dichterfürsten und des Herrn Geheimrats „Dichtung und Wahrheit“ auf gutem Fuße steht. Allerdings ist für mich die Stelle, wo Ismael Queequeg „ein Geschöpf im Übergang von einem Zustand in den nächsten – weder Raupe noch Schmetterling“ nennt, noch nicht fertig erzogen und „gerade zivilisiert genug, seine fremdländischen Sitten so befremdlich wie möglich vorzuführen“, nicht zuerst deshalb interessant. Ich fühlte mich irgendwie an die hehre und selbst auferlegte Bildungs-, Erziehungs- und Läuterungsmission in Werken von Väterchen Tolstoi und anderen alten Russen erinnert – mit der sie im übrigen, manchmal sogar seelisch, scheiterten. Dieser Missionierungsdrang klingt bei Melville auch an, wenngleich wir längst wissen, dass aus „Moby-Dick“ (das nehme ich mir einfach mal heraus und dem weiteren Verlauf vorweg) ein ganz anderes Buch geworden ist…

Written by Wolf

23. September 2006 at 7:10 am

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Zum Walfänger: Elke hat das 3. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Im Zweiten kommt er ja mal wieder so richtig einnehmend als Poet rüber, der Ismael. Dessen Anspielungen auf Lazarus offenbar wegen des Verdachts latenter Gotteslästerei nicht nur größtenteils weggelassen wurden (in der Londoner Ausgabe des ‘Whale’ nämlich), sondern sich vor allem wunderschön lesen: “Welch schöne, frostige Nacht! Wie der Orion glitzert! Was für prächtige Nordlichter! Lasst sie nur schwärmen von ihren morgenländischen Breiten ewigen Sommers und immergrüner Gärten; gewährt mir das Vorrecht mit meinen eigenen Kohlen meinen eigenen Sommer zu machen.” (S. 45)

Ha, und ein Mann mit Stil ist er auch. Denn an Bord eines Walfängers geht ein Kerl, der auf sich hält, natürlich niemals nicht vom größten Walfängerhafen wo gibt, sondern nur vom echten, traditionellen und einzig wahren Nantucket. Ich wusste es: ein Romantiker!

Was mich immer wieder fasziniert, auch in der echten Welt: wie sehr das Meer und die Seefahrt und das ganze Drumherum die Gegend um einen Hafen und an der Küste prägen. Geh durch die Gassen und Straßen an Ost- oder Nordsee (von denen man ein ganz paar kennt) – die Namen der Hafenkneipen, ihr Ambiente, das Fernweh und der Atem des Meeres, die dir förmlich zur Tür heraus entgegenwehen, das kann es nur da und nirgendwo anders geben. ––– Unser Held kann überhaupt nirgendwo anders als in den “Gekreuzten Harpunen” oder dem “Walfänger” landen…

Und die Ankunft daselbst, die sich ja nun wirklich als erster Schritt in das große mannhafte Abenteuer fixieren lässt, mit dem Ismael die Zwänge und Regeln eines braven Landschulmeisterlebens hinter sich lässt, ist nur folgerichtig eine tiefere und bange Ahnung des Abenteuers selbst. Der Wal kommt näher, ist schon ein optisches, wenn auch verschwommenes und unheimliches (Ab)Bild. Und ja, seine Beschreibung in einer derartigen Intensität, mit dem Gefühl einer unheilvollen Erhabenheit und Faszination, könnte man wohl eine Vorausdeutung nennen. Ein Kunstgriff Melvilles, der sich wiederholen und steigern wird?

Der lärmende Einfall des Seefahrervolkes in die Schankstube lässt einen irgendwie an die Glückssucher der Goldgräberzeit oder die “Geschichten auf See” von Jack London denken, dessen Helden schon ein Remarque den “wilden Atem des Lebens” bescheinigte. Und die Begegnung mit dem ‘Wilden’ Queequeg ist so spektakulär, wie es dem künftigen Gefährten gebührt. Ich kann in den Szenen übrigens kaum was von dem sogenannten alltäglichen Rassismus oder wie immer man es nennen mag, finden. Aber jeder hat da – völlig legitim – seine Sicht, der eine so, der andere so… Für mich ist es die Angst vor Fremdem, die man überwinden oder in Vorurteilen zementieren kann. Ismael sagt es selbst: “Unwissenheit erzeugt Angst, und da ich ob dieses Fremden vollkommen verwirrt und durcheinander war, muss ich zugeben, dass ich jetzt solche Angst vor ihm hatte, als wäre der Leibhaftige höchstselbst mitten in der Nacht so in mein Zimmer eingebrochen.” Und wie schnell sich diese Angst verliert, als er ihn als freundlichen, gleichgesinnten Kerl erlebt! “…der Mann ist ein Mensch, gerade so wie ich… Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen, als mit einem trunkenen Christenmenschen.”

Der Wirt – er ist nicht der Kontrast, für mich, wohlgemerkt. Er ist ein Schelm, der seinen Spaß hat an Ismaels Reaktion, die er sicher vorausgesehen hat. Ein mit allen Wassern gewaschener Menschenkenner, der mit den Leuten auf seine Art umgeht, und das durchaus nicht unsympathisch, finde ich. Für mich haben diese Szenen so gar nichts von der Diskriminierung in sich, wie sie beispielsweise ein Robinson Crusoe seinem Gefährten entgegenbrachte. Ich rechne dies Melville als Verdienst seines Humanismus an.

Hach, wie zeitgemäß ist dieses Buch! Da hat die Matrosin Steffi nun wieder absolut Recht. Wenn ich da nur an die Unsendung eines privaten Fernsehsenders denke, in der man zu den “Wilden” leben geht… Die gleichberechtigte Menschen einer – genau! – lediglich anderen Kultur sind! Tssss, westliche Zivilisation schützt vor Dummheit nicht… oder so. ;o)

Written by Wolf

13. September 2006 at 10:46 am

Posted in Steuerfrau Elke

Elkes Schemen

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Elke sagt:

Hach, nun geht die Reise wirklich los, und gleich so rasant. Ach, eigentlich wollte man ja nur nicht der vorlaute Moses sein: als letzter an Bord gegangen, aber als erster das Maul aufreißen. ;o)

Na gut, ich gebe zu, ich habe das Buch schon einmal gelesen, von einem um meine musische Bildung sich sorgenden Onkel empfohlen, wenn ich mich recht erinnere. Es sollte so in den letzten Zügen der Pubertät gewesen sein. Das mir verehrte Exemplar muss dann irgendwann in der Zeit verloren gegangen sein, als ich pünktlich mit dem Erreichen der Volljährigkeit meine Sesshaftigkeit vorübergehend aufgab, aufs Meer des Lebens hinaussegelte, sozusagen… Ich hab es auch lange nicht sehr vermisst, es war von damals als ein etwas anstrengendes Leseerlebnis weniger haften geblieben als verblasst. Umso deutlicher spukte mir seit meiner Kindheit viele Jahre lang das Bild aus dem Finale des John-Huston-Films im Gedächtnis: der ‘winkende’, an den riesigen Körper des Wals gefesselte Fanatiker Ahab alias Gregory Peck, dessen Schicksal sich erfüllt. Immer wieder mit dem Schauer im Nacken erwartet, immer wieder einen kleinen Albtraum wert.

Nun läuft einem dieses Projekt übern Weg und suggeriert: das ist es vielleicht noch nicht gewesen… Man liest sich wieder hinein in die ersten Seiten und — mag nicht aufhören. Entdeckt so schnell so vieles neu. Oder gar zum ersten Mal? Stellt sich die Frage: kann man wohl ein Buch zur Unzeit gelesen haben? Und weiß plötzlich mal wieder, warum man mit so vielen Büchern lange nicht oder niemals fertig wird, sich immer wieder hineinstürzt und sie jedesmal anders erlebt. Das sind die, bei denen dich keiner davon abbringen kann, dass sie gut sind, für dich gut sind…

Autsch, da verplaudere ich mich grad grauslich. Ich gelobe Besserung, wusste doch, es wird ein Abenteuer. Und ihr wartet ja noch auf meine Schemen, in denen wir uns augenscheinlich vorerst auf Ismael und den Wal einschießen.

Für mich ist Ismael zunächst – wir streifen wohlgemerkt immer noch durchs erste Kapitel – ein unruhiger Geist, der alles offen lässt, sogar sich selbst. Wer ist er, der sich lediglich so ‘nennen’ lässt – auch nur wenig mehr als ein Schemen? Nicht ein Bild, das sich uns als bekannt (gemacht) vorgaukelt und sich doch nicht mehr preisgibt als durch diesen selbstverliehenen Namen? Ein Stück Leichtfuß voller Selbstironie, ein Stück distanzierter Betrachter, bibelfest und wortgewandt? Er ist ein melancholischer Sturkopf, der sich der eigenen Widersprüchlichkeit und seiner Außenseiterrolle bewusst ist. Keine Verantwortung zu übernehmen (wenn man es denn so ausdrücken will) bedeutet für ihn doch eigentlich, frei zu sein von ihn beengenden Regeln des täglichen langweiligen Einerlei, von ödem Festgefahrensein – sei es auch um den Preis, dem harten Kommando eines Kapitäns zu gehorchen. Wenn man sich einreden kann, dass dies aus eigenem Willen geschehe…

Hach, dieses Sich-Selbst-In-Frage-Stellen und all das andere, gepaart mit einer guten Portion Humor, dieser seelenrettenden Fähigkeit, sich selbst nicht todernst zu nehmen, machen ihn mir sympathisch, diesen Ismael. Ich steh auf solche Kerle, nennt sie meinetwegen verschroben – langweilig sind sie gewiss nicht.

Der Wal? Ja, der Wal ist sogar für Ismael etwas Ernsthaftes, Großes. Eine unbekannte Herausforderung. Ein Ziel einstweilen, dazu so recht eins nach ismaelschem Sinne – ein Schemen.

Written by Wolf

8. September 2006 at 8:32 pm

Posted in Steuerfrau Elke