Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for November 2010

The aspects which the strife as a memory assumes are as manifold as are the moods of involuntary meditation.

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Update zu Heute vor… und The Roof Is On Fire und ein bissel zu Hallo Wien:

Dear Herman, you big hunk ‘o literary talent…
Your Civil War poetry
sets my soul to fire
where only a Mint Julip
will put it out.
Luv,
Fenderella

ƒ€ñЀ®èLLÅ aus Richmond (sic), 2008.

Cover Herman Melville Schlachtstücke, Luftschacht VerlagWir erleben das größte Melville Revival seit der New Yorker Schwulenbewegung der 1920er Jahre: Es war wirklich bitter an der Zeit, die Battle Pieces von 1866 zu übersetzen. Jetzt heißen sie naheliegender Weise Schlachtstücke und sind ab 1. Januar 2011 zu erwerben (und nein, das Gegenteil von schwul).

Man mag es ungern eingestehen — aber weil Hanser im urdeutschen München keine Anstalten macht, in seine “Ausgewählten Werke” von Herman Melville wenigstens in Ausschnitten auch dessen Lyrik hineinzuwählen, muss nach Jung und Jung in Salzburg mit Clarel und der so hübschen wie verdienstvollen Essaysammlung jetzt Luftschacht in Wien kommen, um das zugänglich zu machen. Wenn ich nicht seit meiner Zeugung so von allem Österreichischen eingenommen wäre, ich käme spätestens jetzt nicht mehr drum herum. Mal in den Klappentext reinhören?

Als er [Melville] sich 1866 mit Battle-Pieces wieder an das Licht der Öffentlichkeit wagt, wird das kaum mehr wahrgenommen. In dem zweiteiligen Gedichtezyklus pflegt Melville einen intensiven und quälerischen Umgang mit dem Thema Bürgerkrieg, den er als eine spezielle Ausformung einer generellen Geschichte menschlicher Konflikte und Unfreiheiten auffasst. In seiner stilistischen Bandbreite und zusammen mit dem abschließenden Essay, in dem Melville für Gleichberechtigung des unterlegenen Südens beim Wiederaufbau der Union plädiert, zeigen sie einen ambitionierten, selbstbewussten Dichter, der gleichermaßen nach Erinnerung wie nach Vorausschau strebt.

Nach allen Klischees, die man über Österreich hätschelt, entspricht das doch sehr seiner Volksseele; vielleicht erklärt das manches. Danke, Österreich, danke, Wien, danke, Luftschacht.

Zur Feier des Tages nochmal die drei Musiken aus allen drei upgedateten Einträgen, solange man sie in unserer Kulturnation noch anhören darf:

Und danke an Poor Richard für Aufmerksamkeit!

Written by Wolf

29. November 2010 at 9:07 am

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Zweimal Zweitausendzehn

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Update zu Er bläst wieder (und wieder):

Weit ist es gekommen mit den literarischen Weblogs: empfehlen mehr Fernsehsendungen als Bücher. Heute, hat unser Leser und Kontributor Klaus Jost bemerkt, könnte sich’s richtig lohnen: Da bringt ARTE im Rahmen seines Filmfestivals den Spielfilm Kapitän Ahab, im Original Capitaine Achab. Der kommt in der Donnerstagnacht um 00.10 Uhr, also in den frühen Freitagmorgenstunden, typisch, Sie verstehen. Und das ist heute. Was ARTE als für einen kommerziell orientierten Fernsehsender ziemlich dickes Brett dazu bohrt, klingt durchaus raffiniert und verlockend:

Dijana Tolicki, 25. Juli 2010Philippe Ramos erzählt in “Kapitän Ahab” die fiktive Geschichte über die Kindheit des berühmten Kapitäns aus Herman Melvilles Roman “Moby Dick”. In fünf Kapiteln berichten fünf Figuren aus der Kindheit, den Jugend- und Erwachsenenjahren des Ahab.

1840, im Nordosten der USA: Noch ahnt niemand, dass aus dem zehnjährigen Ahab einst der wohl berühmteste Schiffskapitän und Waljäger der — literarischen — Welt werden würde. Der Junge wächst, nachdem sein Vater bei einem Duell ums Leben kommt, bei seiner gottesfürchtigen Tante Rose und deren strengem Ehemann Henry auf. Doch als der kleine Ahab genug von dessen Züchtigungen mit dem Stock hat, inszeniert er seinen Tod und zieht alleine in die Welt hinaus.

Nach einem kurzen Zwischenstopp bei einem Pfarrer beschließt er, in die Seemannsschule einzutreten. Für ihn gibt es nur noch eines im Leben: den Ozean. Als der erwachsene Ahab schließlich bei der Jagd nach einem großen weißen Wal beinahe getötet wird, lassen ihn Rachegedanken nicht mehr los. Bevor er jedoch wieder mit neuem Schiff und neuer Mannschaft in See stechen kann, muss er sich von seinem Beinverlust erholen.

Inspiriert von der Heldenfigur aus “Moby Dick” von Herman Melville, schildert der französische Regisseur Philippe Ramos seine eigene Interpretation dieser unverwechselbaren Gestalt der US-amerikanischen Literatur. Fünf Menschen, die Ahab kannten, erzählen aus dem Off sein tragisches Schicksal und lassen einen bestimmten Abschnitt im Werdegang des Helden wieder aufleben: eine Vielzahl an Erzählperspektiven, die sich auch in der jeweils unterschiedlichen Begleitmusik widerspiegelt.

Philippe Ramos, geboren 1964 in Vaucluse, Frankreich, dreht bereits in frühen Jahren als Autodidakt Super-8-Filme und realisiert drei Kurzfilme in Folge sowie die beiden langen Filme “L’Arche de Noé” (1999) und “Adieu pays” (2002). Alle seine Filme wurden auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt. Beim Festival von Locarno 2007 erhielt er für “Kapitän Ahab” den Preis für die beste Regie. Für ARTE realisierte der Regisseur bereits 2003 einen gleichnamigen Kurzfilm zum Thema.

Gut, der ist nicht von 2010, sondern schon 2007. Wie anders könnte er unserem Jürgen 2008 schon mal aufgefallen sein.

Ahab war anno 1840 zehn Jahre alt? und kriegt schon 1851 den Roman über seinen Untergang als älterer Herr, verursacht von einem Wal, der außerhalb der Literatur bis 1838 Untergänge verursacht hat? Holla, da muss einer der Historienschaffenden wohl nochmal den Zeitstrahl geradebiegen.

So ein unverkrampfter Umgang mit dem vorgefundenen Material geht aber, liebe De- und sonstige Konstruktivisten, noch ganz anders. Unser anderer Leser und erklärter Fan Poor Richard weiß von einer ganzen Fernsehserie Moby Dick von 2010 und kommentiert uns darüber:

Lissy Laricchia Elle, , Armada, 13. Mai 2009Der Stoff wurde behutsam modernisiert. Moby Dick ist jetzt statt aus Holz und Leinwand aus Computer und ein prähistorischer Riesensaurierwal, der Ölbohrinseln, U-Boote und Kreuzfahrtschiffe versenkt und Buckelwale am Stück schlucken kann.

Kapitän Ahab kommandiert jetzt ein hochmodernes U-Boot, wird von Rocky-Horror-Barry Bostwick dargestellt und stelzt auf einer Terminatorbeinprothese einher.

Ismael hat ein ordentliches Paar Brüste bekommen, ist jetzt Meeresbiologin und hört auf den Namen Dr. Michelle Herman. Sie wird zusammen mit ihrem coolen schwarzen Sidekick Pip an Bord genommen, der es durchaus mal okay findet, dass das Böse mal weiß ist.

Queequeg schießt jetzt Atomtorpedos statt Harpunen und Ahab hat seinen Spezialtorpedo “Fedallah”.

Und um zusätzlich noch ein paar Explosionen unterzubringen, wird Ahab, anstatt einige Quäker in den Bankrott zu reiten, von der halben US-Navy gejagt.

Man sieht: Viel hat sich also nicht verändert. […]

Die Action-Version muss man ja nicht unbedingt gesehen haben. Hat halt ihren eigenen Ed-Wood-Charme. Auf Youtube ist noch ein Best-of zu finden. Die Szenen von Ismael im Bikini fehlen leider, ansonsten fasst es den Film präzise zusammen. Wenn man sich aber ‘nen schön doofen Filmabend machen will, kann man sich Moby Dick 2010 als Silly Fun durchaus anschauen. Dauert ja keine 90 Minuten und man kann sich einen Spaß daraus machen die kleinen, liebevoll verstreuten Melville-Bezüge zu suchen und finden. Allein schon die Schiffsnamen: Acushnet, Essex, Coffin.

Und das hat er doch wahrlich schön gesagt. Danke an unsere Jungs in den begleitenden Ausgucken (“Ausgücken”…?)!

Bilder: Dijana Tolicki, 2010;
Lissy Laricchia Elle: Armada, 13. Mai 2009.

Written by Wolf

25. November 2010 at 7:53 am

Posted in Moses Wolf

Sehnsucht der harten ZDF-Kunden

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Update zu Der Zweck von Metaphern:

Ich sag’s, wie’s ist: Ich schau das nicht an. Nicht wegen des Themas oder weil jeder Teil je 43 Minuten dauert, kann ja gar nicht lange genug dauern — sondern wegen der donnernden Aufreiße (“Aufmachung” wäre geschmeichelt). Schön vom Zweiten Deutschen Fernsehen, dass es dergleichen beauftragt, durchzieht und verbreitet — aber ich kann keine Dokumentationen mehr, deren Aufgeregtheit über Was bin ich? auf dem Stand von 1974 hinausgeht; mein Fehler. Aber Sie wollen sicher:

Windstärke 9. Höllenritt der Hochseefischer:

Inferno 55, Sailor BoyCeleste Tumulte, Sailor from H.M.S. HimalayaLoveday Lemon, Nice Family Group

Bilder: Inferno 55: Sailor Boy with his toy boat, c. 1885.Taken in, Mainz, Germany by Hugo Thiele. He was the court photographer for the Grand Duke of Hesse in Darmstadt. Heinrich Hoffmann famed Hitler photographer once worked under him;
Celester Tumulte: Sailor from H.M.S. Himalaya, Cdv. Photographer: J. Hooper, 3, Union Street, Stonehouse. There is a name written in very tiny letters on the back of the cdv. I read M. Gambrill;
Loveday Lemon: Nice Family Group.

Written by Wolf

20. November 2010 at 12:01 am

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Marlspiekerchen

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Update zu A Whale Off Port Bow!:

Klaus Jost, Ahab jagt Moby Dick, 2010

“Pullt, pullt, meine famosen Wackerherzchen; pullt, meine Kinder; pullt, meine Kleinchen”, seufzte Stubb schmeichelnd und zerdehnend auf seine Mannschaft ein, von welcher manche immer noch Anzeichen von Unbehaglichkeit zeigten. “Warum renkt ihr euch nicht das Rückgrat aus, meine Jungchen? Was ist’s, was ihr so anstarrt? Diese Kerle in dem Boot da? Ach was! Die sind nur fünf Mann mehr, uns beizustehen — schert mich nicht, woher —, je mehr, desto lieber. Pullt also, nun pullt schon; schert euch nicht um den Schwefel — Teufel sind eigentlich ganz famose Burschen. So, so; jetzt ist’s prima; das ist’n Schlag für tausend Pfund; das ist’n Schlag, wo die Gewinnquote abräumt! Hoch der Goldpokal von Pottwaltran, meine Helden! Dreifach hoch, Männer — alle Herzchen wacker! Ruhig, ruhig; nur nicht überhasten. Warum laßt ihr eure Riemen nicht klatschen, ihr Halunken? Beißt die Zähne zusammen, ihr Hunde! So, so, so, also; — sachte, sachte! So wird’s was — so wird’s was! lang und kräftig. Gib ihm, immer gib ihm! Der Teufel hol euch, ihr lotterlichen Lumpenkerle; ihr schlaft ja alle. Schluß mit Schnarchen, ihr Schläfer, und pullt. Pullt, wollt ihr wohl? pullt, könnt ihr nicht? pullt, wollt ihr nicht? Warum im Namen der Gründlinge und Pfefferkuchen pullt ihr denn nicht? — pullt, bis daß ihr euch was ausreißt! pullt, bis daß euch die Augen rausplatzen! Hier!” und ließ das scharfe Messer aus seinem Gürtel springen; “jeder Muttersohn von euch zieht sein Messer und pullt mit der Klinge zwischen den Zähnen. So ist recht — so ist recht. Jetzt tut ihr was; das sieht nach was aus, meine Eisenpollerchen. Ran geht’s — ran geht’s, meine Silberlöffelchen! Ran geht’s, Marlspiekerchen!”

Stubbs Vorpredigt an seine Mannschaft wird hier in aller Breite wiedergegeben, weil er eine eigentümliche Art hatte, mit ihnen zu reden, im allgemeinen und insonderheit beim Einschärfen des Glaubensbekenntnisses vom Rudern. Aber ihr müßt nach dieser Kostprobe seiner Predigereien nicht annehmen, daß er bei seiner Gemeinde jemals in handgreifliche Zürnerei verfallen sei. Ganz und gar nicht; und darin bestand seine hauptsächliche Eigentümlichkeit. Er pflegte seiner Mannschaft die scheußlichsten Dinge zu sagen, und dies in einem von Witz und Wüterei so seltsam zusammengesetzten Tonfall, und die Wüterei schien solchermaßen bloß als Würze für den Witz berechnet, daß kein Rudersmann solche verqueren Beschwörungen anhören konnte, ohne um sein liebes Leben zu pullen, und doch zu pullen nur um des bloßen Witzes an der Sache willen. Überdem schaute er die ganze Zeit selbst so lässig und unbeschwert aus, führte seinen Steuerriemen so schlendrig und gähnte so breit — offenen Mundes zuweilen —, daß allein schon der Anblick eines solchen schlaftrunkenen Befehlshabers durch die bloße Macht des Gegensatzes wie eine Verzauberung auf die Mannschaft einwirkte. Noch dazu war Stubb einer von dieser drolligen Art von Spaßvögeln, deren Lustigkeit bisweilen so kurios zweischneidig ist, daß alle Untergebenen in der Frage des Gehorsams ihm gegenüber wohl auf der Hut sind.

Kapitel XLVIII: Das erste Wegfieren (mit Auftritt Fedallah), Übs. Friedhelm Rathjen.

Bild: Klaus Jost: Ahab jagt Moby Dick. 2-teiliges Ensemble, Stahl, Holz (Schiffskörper), Räder drehbar.
Gesamtbreite des Ensembles ca. 200 cm, Höhe ca. 60 cm.
Zurzeit ausgestellt bei Galerie Anders, Lünen.

Danke an den Künstler!

Written by Wolf

16. November 2010 at 7:03 am

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Of the Monstrous Pictures

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Update zu Berkshire Athenaeum and Their Daguerreotype:

Consider! Most of the scientific drawings have been taken from the stranded fish; and these are about as correct as a drawing of a wrecked ship, with broken back, would correctly represent the noble animal itself in all its undashed pride of hull and spars. Though elephants have stood for their full-lengths, the living Leviathan has never yet fairly floated himself for his portrait. The living whale, in his full majesty and significance, is only to be seen at sea in unfathomable waters; and afloat the vast bulk of him is out of sight, like a launched line-of-battle ship; and out of that element it is a thing eternally impossible for mortal man to hoist him bodily into the air, so as to preserve all his mighty swells and undulations.

Chapter 55: Of the Monstrous Pictures of Whales.

Die Älteren unter uns werden sich erinnern: Vor elf Jahren, da stellte die Old Dartmouth Historical Society am New Bedford Whaling Museum von Juni 1999 bis Januar 2000 Maritime Prints from Herman Melville’s Collection of Art aus. Der Kurator Robert K. Wallace, Regents Professor an der Northern Kentucky University (besuchet seine MOBY page!), regte damit eine Zusammenarbeit zwischen dem ausstellenden Whaling Museum, der Melville Society und dem Center for Teaching and Learning an der UMass Dartmouth an.

So weit die Fakten. Setzen wir voraus, dass die angestrebte Zusammenarbeit funktioniert, denn die Melville-Forschung erfährt in Amerika den meisten, gerade auch finanziellen Rückhalt unter allen Literaturforschungen über Einzelautoren; die Melville Society ist als florierend und publikumswirksam sehr umtriebig vorzustellen. Außerdem gibt es den Ausstellungskatalog immer noch für zwei Dollar im New Bedforder Museumsshop, woher ihn mir der liebe Mäuserich mitgebracht hat.

Joseph Mallord William Turner, The Whale Ship, ca 1845, oil on canvasSo wie unsereins .jpg-Dateien zur eigenen Erbauung und Belehrung auf einer Festplatte versammelt, trug Melville Drucke von Holz- und Kupferstichen der Gemälde seines Interesses zusammen. Stiche von Gemälden im Druck waren zu Melvilles Zeit die übliche Technik, visuelle Information zu verbreiten, und Melville investierte für einen Literaten überdurchschnittlich viel Aufwand und Geld in seine private Galerie. Über 400 Drucke aus seinem Besitz sind überliefert — zuerst von seiner Witwe Elizabeth Shaw Melville bewahrt, an beider Tochter Frances Melville Thomas vermacht, von derselben an ihre vier Töchter verteilt, von diesen wiederum an die Sammler und Institutionen weitergegeben, von denen Kurator Wallace sie für die Ausstellung 1999 zusammenlieh, darunter die in jeder Hinsicht vorbildliche Stadtbibliothek Berkshire Athenaeum (mit dem Melville Memorial Room!) und das Mystic Seaport Museum (mit unserem musikalischen Kollegen Hulton Clint als Nachbarn).

Wallace gilt mit Veröffentlichungen in Essays in Arts and Sciences, Melville Society Extracts und dem Harvard Library Bulletin als führender Experte für die Beziehungen zwischen Literatur und darstellender Kunst, vor allem als die Koryphäe für Melvilles Bildersammlung. In Melville and Turner hat er Melville als Fan von William Turner ausgemacht, worauf man angesichts Turners Seemotiven in der Darstellungsweise aus einer Welt, die man bei Melville ständig antrifft, hätte kommen können. Ein eingegrenztes Thema oder einen bestimmten Maler sammelte Melville nicht, sein Schwerpunkt liegt aber auf Landschaften, Meeresbildern, Portraits und Historienszenen, aus unterschiedlichen Perioden und Stilen, von italienischen, französischen und holländischen Alten Meistern bis zur damals modernen Kunst — wie Manet und eben Turner. “All of them depict scenes he had visited with his eyes and in his mind”, findet Wallace als roten Faden.

In gewisser Weise war der einstige Bestsellerschreiber und Titan des Moby-Dick in seiner Bildersammlerzeit in einer finanziellen Situation wie ein Schulbub: Seine deutsche Biographie Ein Leben von Daniel Göske verortet ihn in 1877–85 bis auf weiteres in seiner so langen, aufreibenden wie prekären Anstellung als Zöllner im New Yorker Hafen, die nur deswegen noch gerade genug zum Leben abwarf, weil er mit seinen 58 Jahren noch einmal verlängerte Arbeitszeiten in Kauf nahm.

Da erbte seine Frau Elizabeth im September 1878 von einer ihrer Bostoner Tanten den enormen Geldsegen von 10.000 Dollar, von denen sie ihrem Herman ein Taschengeld von 25 Dollar monatlich gewähren konnte. Er verwendete sie für Bücher — und eben Stiche.

Dann kamen die Einschläge um ihn herum näher: Seine Tochter Elizabeth erkrankte an Arthritis, sein Sohn Stanwix in Kalifornien an Tuberkulose, sein gerade drei jahre älterer Freund und Verleger Evert Duyckinck, die letzte Verbindung zu seinen ehemaligen Literatenkreisen, starb 1878 und sein Bruder Thomas im März 1884. Melville flüchtete sich in Bücher, schrieb an seinem lyrischen Werk — zum Beispiel den lange verschollenen Burgundy Club Sketches mit Portraits alternder Sonderlinge –, während sein ehrgeiziges Versepos Clarel schon wieder eingestampft wurde, sammelte seine Bilder und fing sogar an, Rosen zu züchten.

Am 31. Dezember 1885 quittierte er, 66-jährig nach 19 Arbeitsjahren, den ungeliebten Dienst als New Yorker Hafenzollinspektor — bewusst, um seine verbleibenden Kräfte für seine anstehende Spätlyrik zu behalten. Ohne seine Frau Elizabeth und deren tote Tante aus Boston gäbe es diese Sammlung nicht, und immerhin hat die nachmalige Witwe noch über sie verfügt. Über die elegische Dimension davon, mit welchen Mitteln Melville seine Bildersammlung zusammentrug, wusste der liebe Mäuserich 2010 nichts, als “er” mir den Ausstellungskatalog schenkte; Robert K. Wallace 1999 bestimmt schon. Dergleichen gehört viel offener gewürdigt.

Na gut, es ist ja auch ein dünner Katalog (20 Seiten, 2 Dollar).

Stanka mit dem Ausstellungskatalog, 10. November 2010

Bilder: Joseph Mallord William Turner: The Whale Ship, oil on canvas, ca 1845:
Metropolitan Museum of Art, New York;
Claude Lorrain: Seaport with the Embarkation of the Queen of Sheba, 1638: National Gallery, London.

An den lieben Mäuserich und die bezaubernde Stanka: Danka!

Written by Wolf

11. November 2010 at 12:01 am

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Update zu Hunderttausend heulende Höllenhunde:

Mare 82: Die Globalisierung eines Romans.

Der Vor-, mare– und Moby-Dick™-Leser Klaus Jost meint: “Nicht viel wirklich Neues, aber schön gemacht.” Was begehrt man mehr für 8,50 Euro?

Written by Wolf

7. November 2010 at 1:44 pm

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Suchbild: Wo ist die Katze?

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Egoshooting, Struppwolf, 6. November 2010

Aus unserer halbjährlich fortgesetzten Chronik des Verfalls: Rotkäppchen und der Wolf.

Bei dem Suchbild gibt’s diesmal nichts zu gewinnen; ich zähl immer nur zeitraubend mein Altpapier auf, und Sie durchschauen’s ja doch und quittieren es mit dem fundamentalen Desinteresse, das es verdient. Die Bücher aus dem Oktobergewinnspiel behalte ich bis auf weiteres.

Rotkäppchen und der Wolf, Egoshooting 6. November 2010Outtake: Rotkäppchen und der Wolf:

Bilder: Egoshooting, 6. November 2010.

Written by Wolf

6. November 2010 at 11:26 am

Posted in Kommandobrücke

Like the Starfish on the Beach, on cherchait le même port (Schwöckorie!)

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Update zu Wief la Schohsoh:

Reife Menschen ermutigen mich, auch mal was für Senioren zu bringen. Das war anlässlich einer endlich mal verwendbaren Transkription von Jacques Brel: Ne me quitte pas. Man sollte viel mehr auf reife Menschen hören.

Vor allem zu Allerheiligen, wo man seiner Toten gedenkt und sich in der Folge davon seiner eigenen Endlichkeit bewusst wird — und das meine ich nicht halb so sarkastisch, wie solche morbide Lebensfreude geradezu klingen muss; sarkastisch werd ich dann später, damit Sie den Unterschied sehen.

Wer heute anfängt, sich mit der Begrenztheit seines Erdenlebens auseinanderzusetzen, hat ziemlich sicher an den Lagerfeuern seiner Jugend Seasons in the Sun zur Wanderklampfe gesungen. Vielleicht kam es sogar in der Schule dran, weil der Englischlehrer das auch kannte und es ein ernstes Thema war, dazu noch für Elftklässler einwandfrei verständlich gesungen.

Französische Lieder kamen an den Lagerfeuern niemals zu Aufführung und Gehör. Das kommt, weil immer die Jungs singen mussten und das Französische auf eine viel zu weibliche, wenn nicht: weibische Weise als schön gilt. Seine Coolness zu verteidigen war an damals noch unbeleuchteten Baggerseen mit damals noch ungewohnten zwei Promille in einem Schädel, der sich bis in die frühen Morgenstunden auf Liedertexte und die zugehörigen Gitarrengriffe besinnen musste, anstrengend genug, auch ohne schwule Schlager zu näseln.

So entging dem jugendlichen Bewusstsein Jacques Brel. Wie affig sein Gesäusel in deutschen Ohren immer klang, so nahe kommt der Mann in Thematik und Qualität an, sagen wir, den amerikanischen Großlyriker Bob Dylan, dessen Kompetenz in Coolnessfragen man ja bis heute fraglos hinnimmt. Das war, wie man heute weiß, ein Fehler, mindestens ein Verlust. Junge Französinnen geraten selbst bei so befremdlichen Gestalten wie Serge Gainsbourg heute noch in kleine Ekstasen, und gegen den wirkt Jacques Brel fast schon wieder nachvollziehbar.

In Frankreich, so viel Einigkeit herrscht damals wie heute, leben die schönsten, liebsten und zugänglichsten Mädchen der Welt (außer in Irland, Norwegen, Polen, Russland und Schweden natürlich. Und Österreich). Ein Wissen, das mit der vergehenden Zeit immer wertvoller wird, denn in jedem französischen Film kann man meist sehr detailliert sehen, dass die alle schon mit 15 auf Kerle im Alter ihrer Großväter stehen. Gar nicht alt, hässlich, arrogant und begriffsstutzig können sie sein, offenbar wird das als Zeichen der Männlichkeit begriffen (siehe: Godard, Rohmer, Truffaut et al., 1945 ff.).

Etwas Wichtiges scheinen wir also von diesen exaltierten Oh-là-là-Säcken lernen zu können, weil die Französin an sich nicht lange fackelt. Vielleicht hört sie, wie auch wir wenige Absätze weiter oben beschlossen haben, auf reife Menschen. So wenig Skrupel sie haben wird, sich in Frage kommende Sexualpartner aktiv vom Boulevard oder vom Lavendelfeld zu pflücken, so unmissverständlich wird sie einen wissen lassen, dass ihr sa gueule nicht passt. Das spart allen Beteiligten sehr viel Herzschmerz und Lebenszeit — womit wir wieder bei der Vergänglichkeit menschlichen Lebens wären.

Seasons in the Sun, hieß es, handelt von ernsten Dingen: Es handelt von nichts Geringerem als vom Sterben aus der Sicht des Sterbenden. Das Original zu dieser Nachdichtung von Terry Jacks — Le moribond von Jacques Brel, hat schon die prinzipell gleiche Handlung, nennt sie aber schon unverhohlener im Titel: Gegen Der Moribunde nimmt sich Zeiten in der Sonne reichlich weichgespült aus.

Auch sonst ist Brels Vorlage zu einem nicht vollends uncoolen, bei näherem Hinhören jedoch ängstlich mehrheitsfähig zurechtgebogenen Welthit weit knorriger und von einem viel trotziger entschlossenen Lebenshunger. Jacks leidet (wenngleich aus Gründen), Brel lacht unter Tränen.

Allein die Interpretation: Wenn einer auf dem Totenbett liegt und Abschied von allem Liebgewonnenen nimmt — wird der um sein Leben aus sich pressen, soviel noch geht, oder wird der sich an einem sphärischen Streichersatz entlangsäuseln? Na also.

Was ich Terry Jacks fast übel nehme, seit ich von dem Unterschied weiß: Brel verabschiedet sich von seiner Frau und von deren Liebhaber, wobei er klar Schiff macht und ihnen leider unbequeme Wahrheiten sagen muss. Die “Michelle” bei Terry Jacks dagegen war bestimmt seine Erste und Einzige, und angestellt hat sie anscheinend auch nicht Großes. Was man im außerlyrischen Leben sich und jedem anderen wünschen will, scheint mir für ein Sterbelied zu knochenlos. Michelle, you gave me love and helped me find the sun, pff. Wahrscheinlich trägt sie weiße Rüschenkleider mit rosa Schnallenschühchen und Margeritenkränze und singt amerikanische Pendants zu “Heile, heile, Gänschen” — was sie gerne soll, aber dann will ich es erfahren, Mister Feet-back-on-the-ground. So — und von welchem der zwei ist jetzt der schwule Schlager? (Was die zwei Kollegen, die sich meines Wissens nie getroffen haben, verbindet: Brel stammt als echter Franzose aus Belgien, Jacks stammt als echter Amerikaner aus Kanada. Doch, das ist ähnlicher Effekt.)

Niemand will das Verdienst von Seasons in the Sun mindern. Das ist ein nett zurechtgeschnulztes Späthippieliedchen, das man immerhin seinem Englischlehrer und seinen Eltern anbieten konnte, ohne dass es gleich wieder “Negermusik” war. Und dabei behält es das ganze Zeug zum jahrzehntelang haltbaren Ohrwurm und zum Lieblingslied. Das ist enorm viel. Selbst als Nachdichtung geht es in seiner musikalischen Leistung über eine Cover-Version hinaus; zum Vergleich: Adieu Emile von Klaus Hoffmann 1974 (auf LP 1975), das war eine Cover-Version. Außerdem entstammt Seasons in the Sun immer noch keiner Schlagerfabrikation, sondern dem Songwriting: Ich will Terry Jacks unterstellen, dass er nicht aus kommerziellen Erwägungen, sondern aus persönlicher Neigung den Text entschärft hat, er wollte das eben so und hat es getan. Das rettet ihn.

Beide Versionen sind ausgesprochene Allerheiligenlieder, auch wenn in beiden ausdrücklich im Frühling gestorben wird, weil’s so trauriger ist. Und als Weltpremiere bringe ich unten beide in Transkriptionen, die man endlich einfach ablesen und singen kann, ohne sich zuvor im Englisch- oder schlimmer: Französischunterricht einen abzubrechen (die Stelle mit dem Sarkasmus liegt übrigens schon lange wieder hinter uns; haben Sie ihn bemerkt?). Oder wie es mein Vater ausdrückt, der seit mindestens vierzig Jahren mit seiner Endlichkeit herumkokettiert: “Kammer des ned af Deidsch soong?!”

Fällt Ihnen was an der Form der Strophen auf? Die sind fünfzeilig, also ähnlich getaktet wie Limericks. Das ist selten und hohe Schule, wenn es auf eine Melodie passen soll, und eindeutig Jacques Brels Leistung. Chapeu, Monsieur.

Schack Brell: Lö Morriboooh (1961)

1.: Adjölemiel schötemme bjeh,
adjölemiel schötemme bjeh tüsäh.
Onnaschohteh lehmähm Wäh,
onnaschohteh lehmähm Vieh,
onnaschohteh lehmähm Schagräh.

Pong: Adjölemiel schöwäh murier!
Se dürdmurier opräntoh tüsäh,
mähschpahr oflöhr labäh dohlahm.
Karwück tüwä boh kommdü Pähbloh,
schßähk tüprohdra swoäd Mafamm.

Röfräh: Schwöckorie! Schwöckodohs!
Schwöcko samühs kommdefuh!
Schwöckorie! Schwöckodohs!
Koh säckomö mettra doltruh.

2.: Adjöküreh schötemme bjeh,
adjöküreh schötemme bjeh tüsäh.
Onnetäh bah dümähm Bohr,
onnetäh bah dümähm Schömäh,
mäsong scherschäh lömähm Bohr.

Pong: Adjöküreh schöwäh murier!
Se dürdmurier opräntoh tüsäh,
mähschpahr oflöhr labäh dohlahm.
Karwück tüwötä song Kongfidong,
schßähk tüprohdra swoäd Mafamm.

Röfräh: Schwöckorie! Schwöckodohs!
Schwöcko samühs kommdefuh!
Schwöckorie! Schwöckodohs!
Koh säckomö mettra doltruh.

3.: Adjölongtwann schöttmäh bah bjeh,
adjölongtwann schötmäh bah bjeh tüsäh.
Schong kräft kröweh oschurdwüi,
aloch ktwa tüwä bjehwiwong,
emähm plüssolied klennüi.

Pong: Adjölongtwann schöwäh murier!
Se dürdmurier opräntoh tüsäh,
mähschpahr oflöhr labäh dohlahm.
Karwück tüwötä song Among,
schßähk tüprohdra swoäd Mafamm.

Röfräh: Schwöckorie! Schwöckodohs!
Schwöcko samühs kommdefuh!
Schwöckorie! Schwöckodohs!
Koh säckomö mettra doltruh.

4.: Adjömafamm schötemme bjeh,
adjömafamm schötemme bjeh tüsäh.
Mäschbrohl Träh purl Bohdjöh,
schbrohl Träh kijett awohltjäh,
mäsongbrong dull Träh kong böh.

Pong: Adjömafamm schöwäh murier!
Se dürdmurier opräntoh tüsäh,
mähschpahr oflöhr Lesjöhfermeh Mafamm.
Karwück schlesähfermeh suwong,
schßähk tüprohdra swoäd Monamm

Röfräh: Schwöckorie! Schwöckodohs!
Schwöcko samühs kommdefuh!
Schwöckorie! Schwöckodohs!
Koh säckomö mettra doltruh.

Terri Tschex: Siesen Sinser Sann (1973)

1.: Gubeitujumei Trastepfrend,
wiff nounitschawwer sinzwiewer neinotenn.
Tugewwer wickleim Hilsentries,
lörnbaut lafen Äibisiehs,
skindau Harzen skindau Nies.

Britsch: Gubeimei Frenditz hatudei,
wenolzer Börza singen ihnzerskei,
nausetzer Springi sinzi Her.
Priddi Gölza ewriwehr,
finkof miehen eilbisehr.

Kohrus: Wiehe Tscheu, wiehe Pfann,
wiehe Ziesens inzersann,
batzer Hilsetwi kleim
wörtschas Ziesen sautofteim.

2.: Gubei Papaplies präifomieh,
eiwoser Bleckschiep ofser Fähmilie.
Jutreitu tietschmi Reitfromrong.
Tumatsch weinen tumatsch Song,
wonder Hauei gatterlong.

Britsch: Gubei Papahitz hatudei,
wenolzer Börza singen ihnzerskei,
nausetzer Springi sinzi Her.
Liddl Tschildren ewriwehr,
wenju sisem eilbisehr.

Kohrus: ||: Wiehe Tscheu, wiehe Pfann,
wiehe Ziesens inzersann,
batzer Weinenzer Song
leixer Ziesen hewolgonn. :||

3.: Gubeimi Schelma liddelwann,
jugäfmi Lafen helpmifein zersann,
enewri Teimenei wosdaun
juwudowes Kammeraund
engetma Fitbeck onzergraund.

Britsch: Gubeimi Schelitz hatudei,
wenolzer Börza singen ihnzerskei,
nausetzer Springi sinzi Her,
wiffer Flauers ewriwehr,
Eiwischset wikudboff bisehr.

Kohrus: ||: Wiehe Tscheu, wiehe Pfann,
wiehe Ziesens inzersann,
batzer Stah swikudrietsch
leixer Stafisch onzerbietsch. :||

Fäidaut: Wiehe Tscheu, wiehe Pfann,
wiehe Ziesens inzersann,
batzer Weinenzer Song
leixer Ziesen hewolgonn.

Ohlau Leif wiehe Pfann,
wiehe Ziesens inzersann,
batzer Hilsetwi kleim
wörtschas Ziesen sautofteim.

Written by Wolf

1. November 2010 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf