Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for June 2007

Chez Pierre

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An infixing stillness, now thrust a long rivet through the night, and fast nailed it to that side of the world.

Herman Melville: Pierre

Da durchschlug ein Keil von Stille die Nacht und nagelte sie wie mit einem langen Bolzen fest an diese Seite der Welt.

Übersetzung: Christa Schuenke

Es ging nicht gut. Ein Absturz, der mit dem Straucheln Mardi eingeleitet und mit Moby-Dick angefangen wurde, nahm mit Pierre seinen Lauf.

Herman Melvilles Buch #7 Pierre oder die Doppeldeutigkeiten von 1852, das ist: ein Jahr nach Moby-Dick, war sein größter Skandal. Die Handlung und ihre moralische Bewertung, oder vielmehr der Mangel daran, braucht kein puritanisch-viktorianisches 19. Jahrhundert, um skandalös zu wirken. Laut Daniel Göske ein radikales Experiment.

Die andere Besonderheit: Es ist derjenige von Melvilles Romanen, der am wenigsten mit Seefahrt zu tun hat – und in dem Frauen tragende Rollen spielen. Es geht um das Leben der gehobenen Gesellschaft von New York, und die Frauen sind nicht die gewohnten dramaturgischen Elemente, in die sich verschiedene Handlungsträger zu verlieben haben, sondern ausgebildete Charakter, eigentlich dominierender als die männlichen Figuren. Drittens: Melville zeichnet in der Hauptfigur ein verfremdetes Selbstportrait.

Pierres Verlobte Lucy – das, was es im unaristokratischen Amerika statt Hoher Töchter gibt – ist anfangs ein konventionelles Heimchen, wie es bei Austen und den Brontës neuerdings geleugnet wird, wächst jedoch im Verlauf zu einer eigenen Größe heran. Dann nämlich, als sie ihrem abtrünnigen Pierre nachzieht, der mit der finsteren Schönheit Isabel, Lucys Gegenteil, nach New York durchgegangen ist.

Das Isabel sich nebenbei als Pierres Halbschwester herausstellt, ist nur der Anfang einer wüsten Geschichte um Inzest mit Mutter, Schwester, Vater gar. Die leichthin unterhalende, dabei nur unterschwellig moralisierende Darstellung solcher Ungeheuerlichkeiten begründete Melvilles Ruf, ernsthaft geistesgestört zu sein, was ihm noch länger anhängen sollte.

Wenn David Lynch je Charlotte Brontë verfilmen sollte, kommt Pierre dabei raus. Etwas in der Richtung ist schon lange fällig. Ein veritabler Jammer, dass Herman Melville keine Filme gedreht hat.

Code Civil

Written by Wolf

30. June 2007 at 11:09 pm

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The still unannotated Melville

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Update zu Als sei der gewaltige Nichtstuer der kunstvolle Werber:

Alice Pleasance LiddellIm Vergleich zu den durcherklärten Versionen von Lolita 1991, Alice im Wunderland 2002 (die Annotated Alice von 1999) und Huckleberry Finn 2003 (der Annotated Huckleberry Finn von 2001) mit einem echten Stellenkommentar – einem an der Stelle, an der man ihn braucht – schlagen sich die Melvillischen Neuübersetzungen doch ganz wacker. Ein Annotated Moby-Dickdas wäre doch mal eine Ausgabe!

Mein Vorschlag zur Friedensstiftung zwischen Friedhelm Rathjen und dem Hanser Verlag: Rathjen, der schon den Huckleberry Finn sehr ordentlich möbliert hat, soll schnell für den Hanser-Melville alle Erzählungen und die ganze Lyrik runterübersetzen, dann haben wir von “Ausgewählte Werke” auf eine Gesamtausgabe aufgestockt, fürs Weihnachtsgeschäft wird der Moby-Dick auf eine annotated Version umgelayoutet, und alle sind glücklich – vor allem auch die ganzen Schulkinder, die regelmäßig auf der Suche nach dem Lightning-Rod Man auf Deutsch bei mir rauskommen. Und ich erst mal.


Bild: Alice Pleasance Liddell als The Beggar-Maid von Lewis Carroll 1858; Lizenz: Public Domain.

Written by Wolf

28. June 2007 at 2:57 am

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Erfolg ist eine Nutte

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Update zu The People of Poets and Philosophers:

Randall Enos, MelvilleIst Herman Melville eine gescheiterte Existenz, wie sich das für einen Künstler gehört?

Wie man’s nimmt. Angefangen hat er mit seinen größten Erfolgen, zwei Bestsellern am Stück, die ihn zum Popliteraten machten (Typee, Omoo). Nach einem kommerziellen Einbruch (Mardi) schaffte er in vier Monaten zwei sehr dicke Romane, einer wieder kommerziell, einer beispiellos politisch erfolgreich (Redburn, White Jacket).

Danach beschloss er einfach, mit solchen pot boilers aufzuhören und den Inbegriff der Weltliteratur zu schreiben (Moby-Dick). Für einen, der eine Familie durchzubringen hat, bestimmt keine leichte Entscheidung, aber you get what you pay for.

Die 3000 Stück Startauflage der amerikanischen Harper-Ausgabe wurden nicht verkauft. Melville verdiente daran insgesamt 556,37 $, an der britischen Bentley-Ausgabe überhaupt nichts, weil das internationale Copyright erst eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist.

Melville setzte noch vier Romane in den Sand (Pierre, Israel Potter, The Isle of the Cross, The Confidence-Man), von denen einer vollends verschollen ist (The Isle of the Cross), wandte sich absehbar erfolgloser Lyrik zu (Clarel et al.) und verdiente seinen Lebensunterhalt beim Zoll im New Yorker Hafen. Seine literarische Karriere mit zehn Romanen und einem ganzen Schwung Erzählungen, von denen etliche ins Weltkulturerbe gehören, beläuft sich damit auf keine zwölf Jahre.

Als er nach weiteren 40 Jahren starb, staunten seine früheren Bewunderer, dass er überhaupt noch gelebt hatte. Seine Todesanzeige in der New York Times nannte ihn “Hiram Melville”.

Er hat nie etwas geschrieben, hinter dem er nicht stand, und er hat damit sein Leben lang nicht aufgehört. Erfolg findet im Kopf statt.

Mit diesem Stoff dürfen die Lehrer unter Ihnen gern zwei Schulstunden bestreiten: eine in Englisch, eine in Ethik.

Bild: Randall Enos.

Written by Wolf

26. June 2007 at 2:47 am

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Warum liegt hier überhaupt Stroh rum?

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Be the first person to mark this question as interesting!
Yahoo Answers

Kristine Rolofson, A Wife for Owen Chase

Das Bild: Kristine Rolofson: A Wife for Owen Chase. Montana Matchmakers, Temptation 842, 2001.

Das Buch: Owen Chase: The Loss of the Ship Essex, Sunk by a Whale. Penguin Classics 2000. Die Prework zur Prework von Nathaniel Philbrick: In the Heart of the Sea: die ungefilterten Berichte Überlebender, Erinnerungen und Apokryphen vom Schiffsunglück am 20. November 1820. Herman Melville bekam eine frühe Version der volkstümlichen Broschüre auf seiner eigenen Walreise 1840 von einem der fünf Überlebenden der Essex geschenkt und las sie in den südpazifischen Jagdgründen seines nachmaligen Moby-Dick. Eine Lektüre von weittragendem Eindruck.

Das Buch auf Deutsch: Owen Chase: Der Untergang der Essex. Europäische Verlagsanstalt, 2000. Bei Piper, 2002 komischerweise teurer.

Die berechtigte Frage aus der Überschrift: ein unbekannter Meister der Dialogführung.

Written by Wolf

23. June 2007 at 4:57 pm

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In 100 Jahren möchte ich geblogrollt werden

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Update zu Grimme Non-Mine Award:

Johannes Sprick, Annette von Droste, 1838Wie schön, dass der Grimme Online Award endlich vergeben ist; dann hat das ganze Gekabbel, wer denn nun wann aus welchen Beweggründen aus der Jury ausgetreten wurde, damit man ihn selber prämieren kann, das man gar nicht im einzelnen verlinken mag, sein Ende gefunden.

Besonders schön: Der Preis geht an ein ähnliches Projekt wie Moby-Dick 2.0 – literarisch, 19. Jahrhundert, interaktiv, versucht einen einzelnen Autor (jaja, es ist eine Autorin, geschenkt, geschenkt) zu verstehen, zeigt Spaß an bleibenden Werten – das seit langem da rechts in der Linkrolle wohnt.

Kann sein, dass Nach 100 Jahren möchte ich gelesen werden innerhalb ein paar Tagen fertig geschrieben war: Aus dem Gutenberg-Projekt abkopieren, in eintraglange Abschnitte aufteilen, alle auf einmal mit verschobenem Datum abschicken, damit sie sich in einzwei Jahren nach und nach veröffentlichen sollten, und was Gutenberg nicht hat, aus der dtv-Ausgabe abscannen.

Wenn man da vorher draufgekommen wäre. Aber will man sich wirklich messen mit all den sonstigen Zweitverwendungsplattformen und kritischen Organen für Stromgeräte?

Siehste.

Written by Wolf

22. June 2007 at 7:49 pm

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Als sei der gewaltige Nichtstuer der kunstvolle Werber

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Jendis gegen Rathjen: Ein Fall aus der Übersetzerszene, 1991–2004

Update zu Vom Umgang mit Ungeheuern und Urtexten:

Manches darf eine Melville-Übersetzung sein, nur nicht zaghaft und harmoniebedürftig.

Paul Ingendaay

… als gälte es den Nachweis, daß Melville ein miserabler Schriftsteller war.

Dieter E. Zimmer

Der Vorgang ist Jahre her und zuverlässig abgeschlossen. Die Primär- und die Sekundärmaterialien sind vollständig versammelt. Betrachten wir sie desto klarer aus der Distanz.

Matthias Jendis mit seiner ÜbersetzungMan könnte einen moderneren Vergleich wählen, wenn es einen passenderen gäbe – aber die Moby-Dick-Übersetzung von Matthias Jendis ist die Beatles, die von Friedhelm Rathjen ist die Rolling Stones.

Dass die beiden Übersetzungen, die siebte und achte deutsche insgesamt, in Konkurrenz zueinander herausgegeben wurden, ist kein Insider-Geheimnis; der Streit wurde öffentlich ausgetragen: vornehmlich im Schreibheft 57 vom September 2001.

1991 stand Herman Melvilles 100. Todestag an. Norbert Wehr, der Herausgeber der Literaturzeitschrift Schreibheft, erkannte die Wichtigkeit des Datums, gab 1990 (leider vor der Zeit der Online-Archive) eine Sondernummer zu Melville heraus und plante die Maßstäbe setzende deutsche Werkausgabe, die man schon lange schmerzlich vermisste.

Herausgeber heißt: weder Autor noch Übersetzer noch Verleger. Das sind Funktionen, die ein Herausgeber selbst versehen kann, die er aber normalerweise vergibt. Als Übersetzer beauftragte er Friedhelm Rathjen, der sich als ein Übersetzer vom Mark Twain und Robert Louis Stevenson sowie als Experte für Joyce und Beckett empfahl, als Verlag zeigte sich nach dessen ersten Übersetzungsproben für Moby-Dick Hanser interessiert. Alles wunderbar.

Friedhelm Rathjen, GASL-MitgliedHanser benannte den Initiator Norbert Wehr, den Literaturkritiker Hermann Wallmann und Paul Ingendaay als Herausgeber, Rathjen übersetzte in Rekordzeit bis 1993 den Moby-Dick fertig.

Und dann passierte erst mal gar nichts mehr. Warum, muss man Hanser fragen, vielleicht antwortet ja jemand. Rathjens Manuskript ruhte fünf Jahre beim Verlag, die drei Herausgeber hatten sich schon 1996 Aussichtsreicherem zugewandt.

Unversehens winkte das Jahr 2001, was bedeutet: zehn Jahre nach Wehrs Ausgangsidee und 150 Jahre nach Ersterscheinen von Moby-Dick. Nun erkannte seinerseits der Hanser Verlag die Wichtigkeit des Datums und fand einen neuen Herausgeber für die Melville-Ausgabe: Daniel Göske, Professor für Amerikanistik/Literaturwissenschaft in Kassel. Guter Mann, 1988 über Melville promoviert, Übersetzer für Joseph Conrad, keine Gegenanzeigen. Aber dann las er Rathjens Moby-Dick und befand: Geht nicht, kommt nicht in meine Melville-Ausgabe – und zog Matthias Jendis hinzu. Guter Mann, Seefahrer, Übersetzer für seekriegshistorische Romane, keine Gegenanzeigen. Göske einigte sich mit Rathjen, mit dem dritten Mann Jendis eine Kompromisslinie anhand der schon mal vorliegenden Version zu verfolgen.

Nun arbeitete Jendis allerdings dermaßen gründlich, dass Rathjen sein Manuskript nicht wiedererkannte, nichts mehr damit zu tun haben wollte und seinen Namen davon zurückzog. Rathjen bekam die Rechte an seiner Übersetzung zurück, Jendis firmierte bei Hanser als neuer Übersetzer. Ob aus unüberbrückbaren Differenzen, verlagspolitischer Taktik, Qualitätsbedenken oder Finanzierungsproblemen, plötzlich haben wir 2001 zwei Moby-Dick-Übersetzungen. Den Leser freut’s.

Die Jendis-Übersetzung bei Hanser war am 17. September 2001 pünktlich zum 150. käuflich, zur selben Zeit brachte der alte Herausgeber Norbert Wehr im Schreibheft 57: Die Weiße des Wals Auszüge aus der ursprünglichen Rathjen-Übersetzung nebst kritischen Besprechungen der beiden Versionen, als ob es Zufall wäre.

Das war die Vorlage für die meisten folgenden Besprechungen. Ein Feuilletonist konnte Jendis gut finden oder Rathjen oder sogar beide, es gab Argumente für alles und das Gegenteil davon. Wer in dieser berüchtigten Nummer 57 nicht zu Wort kam: der konkurrierende Übersetzer Jendis.

Nun das deutsche Feuilleton die Übersetzungen nebeneinander vergleichen konnte, stellte sich einmal mehr heraus, wie sperrig Rathjen doch übersetzen konnte. Texttreu, ja – aber um welchen Preis! Dieter E. Zimmer, einer der hellsten Köpfe für Wissenschaftsjournalismus und brillantesten Überseter, die wir haben, bescheinigte Rathjen in der „Zeit“ vom 15. November 2001, „das Befremdende an der Sprache des Moby-Dick in ein ebenso befremdendes, verkorkstes Deutsch zu überführen“. Das Info-Blatt 6 des ADÜ Nord (Assoziierte Dolmetscher und Übersetzer Norddeutschlands e.V.) vom Dezember 2001 beherbergt online Zimmers „Zeit“-Artikel einschließlich der Vergleiche zwischen nicht nur den beiden inkriminierten Übersetzungen: im .pdf ab Seite 4.

Cover Rathjen-ÜbesetzungWie aus Trotz beheimatete Wehr, ein Lapsus in der Zahlenmystik, am 8. Dezember 2004 “seine” Übersetzung in ihrer Gesamtheit doch noch bei Zweitausendeins, dem Verlag für abgelegene Kuriositäten.

In den Anhang ist Rathjens Werkstattbericht „Öffentliche Erinnerungen und Bekenntnisse eines selbstgerechten Übersetzers“ unter der Überschrift „Wie ich Moby-Dick übersetzte“ aufgenommen, der sich wie eine ausführliche Rechtfertigung für seine Arbeitsmethode liest. Eine boshafte Erklärung dafür ist, dass Rathjen in seinem vorgelegten Rekordtempo ein Ergebnis abgeliefert hat, das seinen eigenen Ansprüchen nicht genügte, und diesen „Pfusch“ nun auf eine rationale Ebene hob.

Ist es Zufall, dass er sich mit seiner eigenen Arbeitsmethode ausgerechnet auf die von Daniel Göske beruft, der in der Frühphase des Geschehens 1991 Melvilles Tagebuch der Europareise 1856/57 für Gachnang & Springer mit ähnlichen Ansprüchen übersetzte und Rathjen später auf seiner Übersetzung sitzen ließ? Hat Rathjen seine Übersetzung schnell runtergehackt – heißt er sie doch selbst eine „Übersetzerfron“ – und lieber den Aufwand der nachträglichen Rechtfertigung in Kauf genommen? Dann wäre die ganze Auseinandersetzung aus Arbeitsökonomie und Angstbeißen entstanden.

Moby-Dick Melville/Jendis/GöskeIm jüngeren deutschen Verlagsgeschehen zählt dieses wohl doch nicht ausschließlich sachlich zu begründende, sich immerhin über 13 Jahre hinziehende Hickhack zu den durchaus spektakulären Streitigkeiten. Verlage gelten als Kuschelbranche, was daher kommt, dass sie auch in materialistischen Zeiten Menschen anlocken (und in Führungspositionen vorlassen), die sich als Liebhaber von Büchern und stiller, geistiger Betätigung verstehen. Auch wenn Verlage natürlich wirtschaftliche Gewinne anstreben, denn ein bankrotter Verlag ist ein schlechter Verlag. Erklärte Liebhaber von Geld fahren besser, wenn sie Investmentbanker werden.

Der Übersetzerstreit wollte eigentlich gar keiner sein, meint deshalb Elke Biesel in Vom Umgang mit der „Monstrosität“. Streit um eine Melville-Übersetzung in jenem möglicherweise in kriegerischer Absicht melville-thematischen Schreibheft 57. Das Duell ist aus Sicht des Lesers, der sich weder um Verlagsinterna noch um persönliche Nickeligkeiten unter Übersetzern scheren muss, ein Duett.

Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht der Beitrag von Paul Ingendaay im gleichen Heft: Walgesänge bei Gegenwind. Vom Lesen, Übersetzen und Rezitieren sowie einigen Besonderheiten in Friedhelm Rathjens Moby-Dick. Ingendaay war, wir erinnern uns, einer der drei zuerst vorgesehenen Herausgeber der Rathjen-Version. Auch wenn in seinem Direktvergleich letztendlich Rathjen gewinnt, nimmt er die Lösungen, zu denen Jendis gelangt ist, anständigerweise ernst. In seiner Darstellung wird deutlich, was Rathjen den Ruf als sturster Übersetzer Deutschlands eingetragen hat.

Nicht nur John Hustons Verfilmung ist ein solcher Kompromiß. Auch Friedhelm Rathjens Übersetzung, die hier als Stapel von Kapiteln vor mir liegt, ist es. Denn sie strebt Reinheit, Genauigkeit, Sperrigkeit, Knorrigkeit an – wenn’s sein muß knorriger als das Original –, sie kündigt jede Übereinkunft mit lieblichem Übersetzerdeutsch auf und ist doch nur eine weitere Variation der langen Aneignungsgeschichte dieses Romans. Nicht Schaufenster, sondern Sprachlabor und Wortmuseum, das ist Rathjens Moby-Dick. […]

Das laute Lesen hat mir Ohren und Augen geöffnet. Plötzlich nämlich wurde die manchmal kauzige Orthographie, zu der Rathjen sich bemüßigt fühlt, gegenstandslos (was sie in Wahrheit ja auch ist). Ich löste mich von der gedruckten Seite und überließ mich dem Klang und dem Rhythmus dieses Deutsch, das Rathjen schreibt. Jetzt zeigten sich Wucht und Klarheit des Textes, nicht trotz, sondern gerade wegen der sprachhistorisierenden Syntax, des älteren Vokabulars und der völligen Unerschrockenheit gegenüber langen Satzperioden. […]

Und dann doch wieder zusammenfassend:

Zu Recht beklagen Übersetzer und Lektoren, wie leicht es sich Rezensenten mit der Übersetzungskritik machen. Drei Belege, knackig zitiert, und das Urteil ist fertig. Mehr als sechs Zeilen braucht man dafür nicht. Im vorliegenden Fall kann und darf es darum nicht gehen. Jeder muß sich selbst in Rathjens Moby-Dick fallen lassen und sehen, wie und wohin der Wal ihn trägt. Wenn die Gewißheiten darüber, wie Weltliteratur des 19. Jahrhunderts auf deutsch zu klingen habe, erschüttert werden, ist viel gewonnen.

Ingendaays angenehm unprätenziöse Implikation: dass dieses gelehrte Vergleichen von Übersetzungen doch ein höchst elitärer Sport ist. Man weiß von Leuten, die kennen Moby-Dick als Film oder bestenfalls in einer zuschanden gekürzten Kinderausgabe, die taktvoll verschweigt, welche Altübetzung sie da verunglimpft hat – und leben in der gleichen schönen Gewissheit wie ein englischer Philologe, sie kennten ihn.

Der Roman konnte ohnehin über alledem stehen, er erlebte dergleichen nicht zum ersten Mal: Schon die Urausgabe 1851 war in zwei Versionen erschienen, einer britischen und einer US-amerikanischen.

Unabhängig davon, auf welchen Wegen gleich zwei Übersetzungen entstanden sind, deren jede die bis auf weiteres gültige sein will, für das lesende Publikum ist die Doppelung ein Gewinn. Wir haben Jendis als überaus ordentliche, lesefreundliche, moderne Version, und wir haben Rathjen als Schnellreferenz, um im eigenen Mutteridiom festzustellen, welchen Tonfall Melville gemeint hat, beides reife Leistungen mit allen Vor- und Nachteilen. Jendis, um vor interessierten Laien anzugeben, und Rathjen als Gelehrtenspaß, um kleine Mädchen zu erschrecken.

Der Vorteil beim Jendis-Buch: der üppige Anhang mit Nachwort und Stellenkommentar auf dem aktuellen Stand der Forschung; der Vorteil beim Rathjen-Buch: der ebenfalls üppige Anhang mit “Texten aus dem Quellgebiet”, die wichtigsten davon erstmals deutsch und überhaupt mal allgemein zugänglich, und die 1930er Illustrationen von Rockwell Kent, erstmals vollständig in einer deutschen Ausgabe. Handliche Schmöker und Bücher fürs Leben sind sie beide.

Vor diesem Hintergrund etwas genauer skizziert, ist Jendis doch nicht die Beatles, sondern die Beatles mit Charlie Watts am Schlagzeug, und Rathjen doch nicht die Rolling Stones, sondern die Rolling Stones in einer Besetzung mit Captain Beefheart.

Walkampf, ADÜ Nord, Info-Blatt Dezember 2001

Written by Wolf

20. June 2007 at 1:51 am

Wenn Roger-Martin Buergel Moby-Dick geschrieben hätte

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Update zu Moby-Dick als Comic:

Die Documenta läuft. Der Kurator Roger-Martin Buergel legt bei der 12. Ausfertigung Wert auf den “Dialog mit den Besuchern”, und die Studis, die sich mit Fremdenführen was dazuverdienen wollen, und das in Kassel, dürfen es ausbaden.

Einer von denen muss die Buergelmaschine erfunden haben – und endlich versteht man sogar seine eigene Kunst.

Ismael Wolf, Die Weisheit des Wals

Coming to us via Hamlet Hamster.

Written by Wolf

18. June 2007 at 11:57 pm

Posted in Mundschenk Wolf

Schwören wir auf Moby-Dick!

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Elke macht das nötige Update zu The secret’s in the sauce:

“Hardcover, Rotschnitt, die Ausgabe wird nicht ersichtlich.”
Wolf, 11. Juni 2007

Elke HegewaldEine Frage bleibt ja offen in diesem ganzen Grüne-Tomaten-Salat: Auf welche „Bibel“ hat der gute Reverend Scroggins denn nun geschworen?

Wo ich doch so ein neugieriges Mädchen bin und Mr. J. Larry Voyer sich die dankenswerte Mühe gemacht hat, uns eine ansehnliche Graphical Bibliography of published editions, in English, prior to 1970 of Moby Dick by Herman Melville zur Verfügung zu stellen – kramen wir doch einfach mal.

Also, ich finde ja, dass die Ausgaben von Harper & Brothers von 1855 und 1950, vielleicht sogar die von 1851, gut als Bibel durchgehen könnten. Oder wie wärs mit der 1930er von Oxford University Press? Schick sind ja fraglos noch die drei Bände vom Chicagoer Lakeside Press, 1930, illustriert von Rockwell Kent. Oder die die 1926er von Carleton House, New York, aber die wäre wohl zu auffällig gewesen, wie einige andere Schnuckelchen auch.

Hm, so als religionsferner Mensch würde mich ja noch interessieren: Wie ist das eigentlich dann mit dem Eid auf die falsche Bibel? So ähnlich wie bei Kindern, die mit gekreuzten Fingern hinterm Rücken lügen? Ich würde ja jederzeit auf Moby-Dick schwören, so als lesende Waljägerin jetzt…

Und immerhin hat seine literarisch-filmische Schwanzflosse sogar schon mal reale kirchliche Belange aufgemischt. Seamen’s Bethel in New Bedford sieht schließlich erst seit 1961 aus wie Father Mapples Gottesort, nachdem ungezählte enttäuschte Touristen dort unmutig nach einer Kanzel wie ein Schiffsbug geröhrt hatten.

Father Mapples Walfängerkirche

Written by Wolf

16. June 2007 at 2:16 pm

Posted in Krähe Elke

Eingesang

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Update zu With Life to His Fingertips:

Im April 1864 besuchte Herman Melville mit seinem Bruder Allan aus einem patriotischen Bedürfnis heraus die Schlachtfelder des Bürgerkriegs in Virginia. Auch seinen Landsitz Arrowhead hatte er dem kleinen Bruder (*1823) weitergegeben. Kurz nachdem er wieder zu Hause in New York war, musste er aus der Zeitung erfahren, dass man seinen Freund Nathaniel Hawthorne am 19. Mai tot im Bett aufgefunden hatte, ebenfalls auf Reisen mit einem Freund.

Ungeklärt ist, ob sich Melvilles Totenklage in seinem einzigen Gedicht versteckt, das es zu einigem Ruhm und zum Schulstoff gebracht hat. Dagegen spricht, dass es keine Hinweise auf eine Entfremdung zwischen den beiden gibt, wie sie das Gedicht beklagt; der andere mögliche Adressat wäre Melvilles Erstgeborener Malcolm, der 1867 mit Kopfschuss in seinem Zimmer aufgefunden wurde. Da war er 18, und von wem sind 18-Jährige nicht entfremdet. Die Unglücksfälle verteilen sich, die Klage darüber ist nicht eindeutig zu datieren.

Gedruckt wurde Monody erst 1891 in Timoleon. Aber eine Abschrift von Melvilles Hand steht auf der Titelseite seiner Ausgabe von Hawthornes Englandbuch Our Old Home, und das ist von 1863.

Monody

To have known him, to have loved him
     After loneness long;
And then to be estranged in life,
     And neither in the wrong;
And now for death to set his seal–
     Ease me, a little ease, my song!

By wintry hills his hermit-mound
     The sheeted snow-drifts drape,
And houseless there the snow-bird flits
     Beneath the fir-trees’ crape:
Glazed now with ice the cloistral vine
     That hid the shyest grape.

 

Monodie

Ihn gekannt, geliebt zu haben
     Nach langer Einsamkeit
Und dann einander fremd zu werden
     Und keiner ging im Streit;
Und nun setzt noch der Tod das Siegel –
     Erlöse, löse mich, mein Lied.

Das Grab bedeckt aus weichem Schnee
     Ein sanftes Leichentuch,
Der Schneefink schwirrt nun heimatlos
     Am Waldrand durch die Luft,
Und Eis bedeckt die keusche Rebe,
     Die trug die scheuste Frucht.

Übersetzung: Werner Schmitz in: Ein Leben, Hanser 2004.

Chara Williams, Dirge

Bild: Chara A. Williams, CD-Cover Dirge; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

15. June 2007 at 6:44 pm

Posted in Laderaum

Glory Glory

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Update zu Aspects of Abraham:

A Great RushWhen Vicksburg fell, and the moody files marched out,
Silent the victors stood, scorning to raise a shout.

Herman Melville: A Meditation.
Schluss der Battle-Pieces, August 1866.

Es hatte ein Krieg begonnen, der wegen seiner langen Dauer von genau vier Jahren, wegen der Anstrengungen und Opfer auf beiden Seiten, wegen des großen Materialeinsatzes und wegen der technischen Neuerungen als der erste moderne Krieg angesehen wird, der viele Aspekte der beiden “totalen” Kriege des 20. Jahrhunderts vorwegnahm. Auch der amerikanische Bürgerkrieg war ein Zermürbungskrieg; wirtschaftliche, soziale und psychologische Momente sowie die von den Zeitungen gesteuerte öffentliche Meinung spielten eine große Rolle. Zum ersten Mal und mit überwältigender Wirkung wurde die Photographie zur Darstellung der Kriegsgreuel eingesetzt.

Giampiero Carocci:
Kurze Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs.
Der Einbruch der Industrie in das Kriegshandwerk
, 1996.


3:52 Minuten. Musik: Amazing Grace

Der Bürgerkrieg war mit Abstand der verlustreichste Krieg in der Geschichte der USA. Über 550.000 Soldaten starben. Die Zahl der reinen Gefechtstoten lag dabei mit knapp 200.000 nahe an der des Zweiten Weltkriegs, bei einer Gesamtbevölkerung, die mit 31 Millionen ein Fünftel betrug. Allein in den zwölf Stunden der Schlacht von Antietam wurden 23.000 Amerikaner getötet oder verletzt, mehr als Amerikaner, Briten, Kanadier und Deutsche zusammengenommen bei der Landung in der Normandie 1944.

Ein Grund war die neue Form der Kriegsführung. Die technischen Neuerungen, die sich im Krim-Krieg angedeutet hatten, wurden erstmals im großen Stil eingesetzt. Der Civil War wurde damit zum ersten “modernen”, industrialisierten Krieg. Es gab primitive Maschinengewehre, Land- und Seeminen (damals “Torpedos” genannt), gepanzerte Schiffe, U-Boot-Angriffe und Experimente mit Flammenwerfern. Truppen wurden per Eisenbahn transportiert, Befehle über Telegraphen erteilt.

Scot W. Stevenson: Das wirkliche nationale Trauma der USA,
7. Februar 2007.


4:07 Minuten. Musik: Ashokan Farewell

Ohne den Bürgerkrieg 1861–1865 wäre heute noch nicht mal der Irakkrieg möglich. Endlich erstreckte sich ein Krieg nicht mehr auf eine auserlesene Kaste von Militärs mit fachlich eingeschränkten Zielen, sondern bezog die gesamte Zivilbevölkerung ein. Der erste Krieg 2.0.


3:18 Minuten. Musik: Kathleen Mavournee from Gettysburg

Bild: New-York Historical Society via American Memory;
Film 1, 2 und 3: Creative Commons;
Lizenz: Public Domain.

Written by Wolf

13. June 2007 at 1:04 am

The secret’s in the sauce

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Fried Green Tomatoes. Idgie, Ruth, SoßeIn handelsüblichen Hollywood-Filmen kommt Moby-Dick immer nur in Kontexten vor, in den deutsche Filmschaffende etwa Klopstock-Oden stellen würden: Schon mal gehört, sollte man vielleicht gelesen haben, laaaaangweilig.

Spaß gemacht hat’s in Grüne Tomaten von Jon Avnet, 1991 (gibt’s auch als Buch von Fannie Flagg, in dem sich die Handlung nicht erheblich unterscheiden wird).

Idgie Threadgoode, eine burschikose junge Frau aus Alabama, die durch barfüßiges Umherstapfen, ein loses Mundwerk und einen naturwüchsigen Gerechtigkeitssinn auffällt, wird des Mordes am Ehemann ihrer latent lesbischen Freundin angeklagt. Leider ist der Zeuge der Verteidigung ihr schwarzer Angestellter, mit dem sie das Whistle Stop Café betreibt, und dem die Ordnungskräfte des Südstaaten-Ortes mit starker Ku-Klux-Klan-Vertretung schon wegen seiner Hautfarbe kein Wort glauben.

Zweiter und letzter Zeuge der Verteidigung ist allerdings Reverend Herbert Scroggins (Richard Riehle), dem die besagten Ordnungskräfte aus ebenfalls ideologischen Gründen eben doch glauben müssen. Zur Zeugenvereidigung besteht er darauf, auf seine eigene Bibel zu schwören; ein ohnehin als leicht verschroben geltender Geistlicher darf das.

Sein Argument, mit dem er Idgie das entscheidende Alibi verschafft:

Nun, falls Sie zu einer unserer Erweckungsversammlungen gegangen wären, müsste Ihnen bekannt sein, dass sie drei Tage und drei Nächte dauern.

Der Tote, ohnehin nie aufgefunden, muss somit seinen Pickup betrunken in den See gesteuert haben, Tod durch Unfall, Klage abgewiesen.

Idgie arbeitet nach der Verhandlung ihren Freispruch mit ihrer Freundin auf:

I can’t believe he actually swore on the bible.

Well, not really. If that judge had looked any closer, he would have seen it was really a copy of Moby-Dick.

But why did he do it?

Well, sure of joy of seeing you in church again, which I suggested to him might be your penance.

You didn’t promise him…

Yes ma’am I did, and I never break my word.

If I live a thousand years, I’ll never forgive you for this. I don’t know what’s worse, church or jail.

Oder synchronisiert:

Ich kann es nicht glauben – er hat tatsächlich auf die Bibel geschworen.

Nun, hat er auch nicht. Hätte der Richter genau hingesehen, hätte er erkannt, dass es eigentlich eine Ausgabe von Moby-Dick war.

Warum hat er das getan?

Nun, wahrscheinlich aus reiner Freude, dich endlich wieder in der Kirche zu sehen. Das hab ich ihm als deine Buße vorgeschlagen.

Du hast es ihm doch hoffentlich nicht versprochen?

Doch, das habe ich, und ich breche niemals mein Wort.

Und wenn ich tausend Jahre alt werde, das werde ich dir niemals verzeihen. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Kirche oder Kittchen.

Der Reverend leistet also seinen Meineid und wendet ihn mit einem juristisch fadenscheinigen Kniff ab, um ein verlorenes Schaf in seine Gemeinde zurückzuholen. Fraglich, ob er das auch getan hätte, “nur” um den Schwarzen zu retten.

Der Moby-Dick wird im Film nur dieses eine Mal erwähnt und bleibt stehen als bibelähnlicher Wälzer (Hardcover, Rotschnitt, die Ausgabe wird nicht ersichtlich), den keiner so genau anschaut. Aber er rettet als tragendes Requisit einer Eulenspiegelei zwei gesellschaftliche Schwache vor der Todesstrafe, und das sähe Herman Melville durchaus ähnlich.

Reverend Herbert Scroggins (links) schwört auf den Moby-Dick, Filmminute 1:27:45:

Richard Riehle in Grüne Tomaten

Screenshots aus Grüne Tomaten; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

11. June 2007 at 1:25 am

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The Little Lower Layer

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Update zu Melville total versaut:

Hark ye yet again—the little lower layer.

Chapter 36, The Quarter-Deck

Nathaniel Hawthorne by Charles Osgood, 1840Schreiber lesen viel, darum kennen sie sich aus der Ferne.

Herman Melvilles Erstling Typee war Nathaniel Hawthorne über Evert A. Duyckinck aufgefallen, Hawthornes Verleger, der später auch Melvilles werden sollte. Einstweilen ließ er Hawthorne für den Salem Advertiser vom 25. März 1846 den Typee rezensieren. Der war nämlich in Wiley and Putnam’s Library of American Books erschienen, wo auch Hawthorne veröffentlichen ließ, und gefiel ihm gut genug, dass er mehr aus der Reihe anforderte (deutsch in den Erzählungen bei Winkler, 1977).

Hawthornes Bestellung bei Duyckinck war wohl echt emotional. Der Mann war Erzähler, kein Kritiker; seine wenigen erhaltenen Kritiken sind Gelegenheitsarbeiten aus Gefälligkeit. Wenn man ihm nicht unterstellen mag, er wollte von seinem Stammverleger gratis Rezensionsexemplare abstauben, regte sich da wohl die Seelenverwandtschaft.

Als nächstes sehen wir die Verlagskollegen Melville und Hawthorne vier Jahre später, nachdem Melville nebst Familie sein Landhaus Arrowhead bezogen hatte, am 5. August 1850. David Dudley Field hatte eine größere Gesellschaft zum Picknick geladen; es ging zum Monument Mountain bei Stockbridge, Massachusetts. Das erste Treffen der zwei Nachbarn – der eine 31 und gerade über seinem Magnum Opus Moby-Dick, der andere 46 und gerade über seinem ersten Roman The Scarlet Letter. Man verstand sich:

Wie es auf Picknicks so ist, brach ein Gewitter los, vor dem die Gesellschaft Schutz suchen musste, wobei die zwei anfangs eher schüchternen Mannsbilder sich endlich zusammenfanden – und “found they held so much of thought, feeling, and opinion in common, that the most intimate friendship for the future was inevitable” (Godfrey Greylock: Taghconic: The Romance and Beauty of the Hills, 1879).

Dann gibt eins das andere: Zwei Tage später, am 7., schreibt Hawthorne in einem Brief: “I liked Melville so much that I have asked him to spend a few days with me”, und am 17. und 24. erscheint zweiteilig in der New York Literary World Melvilles wichtigster Essay: Hawthorne and His Mosses. By a Virginian Spending July in Vermont über Hawthornes Mosses from an Old Manse, das allerdings schon 1846, in gleichen Jahr wie der Typee erschienen war.

“Zwei Kollegen und Nachbarn, die gelegentlich miteinander einen heben? Das macht sie doch nicht schwul?”

Nein. Hat auch noch keiner gesagt.

Nathaniel Hawthorne's Red House Cottage Tanglewood
The Red Cottage Where Hawthorne Wrote
The House of the Seven Gables bei Studies in the House of the Seven Gables.

Written by Wolf

10. June 2007 at 3:16 am

Posted in Rabe Wolf

Irgendwas mit Büchern

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Update zu Das bleibt und Kaufen und Flachlegen:

Quiet, please!Wer seine Jugend lieber besorgniserregend still mit dem Lesen (!) von Büchern (!!) verschwendet (!!!) als mit dem Frisieren von Mofas, einträglichem Drogenhandel und geradezu zwangsläufig daraus resultierenden Flachlegen von Weibern genutzt hat, konnte irgendwann nicht mehr hören, dass er doch endlich mal an die Luft sollte. Bis mehrere Jahrzehnte nach Eintritt der eigenen Volljährigkeit war ja noch nicht mal Lehrereltern zu vermitteln, dass man mit Gedichteschreiben einfach die besseren Mädels kriegt. Eltern gar mit richtigen Berufen grummelten auf die lauernde Frage, was aus dem verdrucksten Rotzlöffel denn noch mal werden sollte, ausweichend: “Och, irgendwas mit Büchern.”

Wie immer hätten es die kulturlosen Besatzer schon 1946 vorgemacht: Wenn man es nur richtig verkauft, muss selbst die Arbeit des Bibliothekars keine Beihilfe zum Rumhängen sein, sondern ein kriegsentscheidendes Lebenswerk für wahre Helden.

Film: US Government Vocational Guide Films: Your Life Work: The Librarian. Iowa State College 1946.

Mythicnorms by Kit Allen

Written by Wolf

8. June 2007 at 2:40 pm

Posted in Wolfs Koje

Aspects of Abraham

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Ganz bestimmt kein Update zu Losing My Religion:

mathew Brady, Abraham mit Tad LincolnWer sich mit der Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs befasst, lernt alsbald:

Abraham Lincoln war ein hünenhafter Bauernsohn aus einer Quäkerfamilie in Kentucky mit langen Armen, auffallend großen Händen und noch größeren Füßen und Ohren wie Dumbo. Mit seinen grundsätzlich abgenutzten, immer verknitterten schwarzen Anzügen mit zu kurzen Ärmeln und Hosenbeinen und dem Ausdruck von Melancholie, der nie aus seinem Gesicht wich, erinnerte er an einen Leichenbestatter.

Dabei war er berüchtigt für seinen derben Humor, den vor allem er selbst komisch fand, während er seinen Gesprächspartnern meist die Sprache verschlug. Eine Karikatur von John Cameron stellt noch 1864 bei fortgeschrittenem Bürgerkrieg dar, wie ihm in einer Regierungsversammlung als erstes ein kapitaler Witz einfällt.

Abgesehen davon nahm er durch die Einfachheit und Güte seiner knorrigen Gesichtszüge ein. Durch seine Mischung aus Bodenständigkeit, Frömmigkeit, Gutherzigkeit, Leutseligkeit und einer fundamentalen Ehrlichkeit vermittelte er eine geheimnisvolle innere Größe, gerade auch, weil er sich im Gegensatz zu seinen aktionistischen Mit-abolitionists gern zur Kontemplation zurückzog, um aus einer nicht näher ergründbaren Kraftquelle in seinem Unbewussten zu schöpfen.

Bei öffentlichen Auftritten überragte sein zerfurchtes Gesicht auf dem Geierhals die Menge, sein Rednerpult erklomm er etwas ungelenk. Beim Sprechen hatte er die wenig elegante Angewohnheit, in die Knie zu gehen und sich an den wichtigen Stellen ruckartig zu seiner vollen Länge zu strecken.

Im Lincoln Memorial in Washington thront der Marmorne mit einem mysteriösen Gesicht auf dem Hinterkopf und vor allem: in absichtlich verzerrte Körperproportionen gemeißelt – weil er sonst, aus der Sicht seiner Bewunderer von unten, erst recht verzerrt wahrgenommen würde. Die tiefere Bedeutung dieser Information dürfen Sie jetzt erst mal auf sich wirken lassen.

Die thematische Parallele für Verschwörungstheoretiker: Melville und Lincoln: beide vier Kinder, beide mutmaßlich schwul.

Warum werden solche Käuze mit einer eindeutigen, wenngleich undogmatischen Message heute keine Präsidenten mehr? – Die Zeiten sind visuell. Mit so einem valentinesken Gestell konnte man es mal auf den Fünf-Dollar-Schein und in den Mount Rushmore schaffen, weil man 1861 weder in Fernsehduellen beurteilt noch hinterrücks von Handy-Kameras an die Bildzeitung gesimst wurde. Darum geht Honest Abe Lincoln heute noch als richtig cooler Hund durch.

Come to think of it, hätte ich nicht ein Arbeitsleben lang ausschließlich unverknitterte Anzüge getragen (und mich etwas strebsamer um eine Arbeitsgenehmigung da drüben bemüht), hätte ich’s wer weiß noch zum amerikanischen Präsi bringen können.

Bilder: Wiki, Superfreaky Memories; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

7. June 2007 at 12:34 am

Posted in Moses Wolf

More done with pens than swords [and whips]

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Update zu Work in Congress und
erst recht Bürgerkriegsware:

Price, Birch & Company, 1865

Einmal, ein einziges Mal, nahm Herman Melville mit einem seiner Bücher Einfluss auf die Politik seines Landes.

Gewerbeträchtigem Schreiben hatte er sich nach ein paar juvenilen Versuchen überhaupt wieder zugewandt, weil die Leute so gern seinem Seemannsgarn zuhörten und er sich ihren Ermunterungen, das doch mal alles aufzuschreiben, nicht länger widersetzen mochte. Zwei Bücher lang lief’s ganz gut, dann kam ein Einbruch mit Mardi, dann eine Erholung mit Redburn, und dann kam White Jacket, seine Nr. 5 anno 1850, eins vor Moby-Dick, siehe Bücherliste.

Zu dem Seemannsgarn gehörte, dass Melville sich einmal gezwungen sah, von seinen Schiffen zu desertieren: den 9. Juli 1842 vom Walfänger Acushnet, was zu den Erlebnissen in Typee führte; vom nächsten Walfänger Charles and Henry Richtung Hawaii und danach dem Kriegsschiff United States nach Boston über die Marquesas, Tahiti, Valparaiso, Callao, Lima und Rio de Janeiro wurde er ordnungsgemäß abgemustert. Die Erlebnisse zwischen den beiden letzteren mündeten in White Jacket.

Weißjacke (auf Deutsch nur im vergriffenen Sammelband) geriet zu einem Pamphlet gegen die Zustände in der US-amerikanischen Marine.

Am historischen Horizont drohte schon der Sezessionskrieg (1861–1865), in dem Sklavenhaltung zur Glaubensfrage erhoben wurde. Gestrenge, knochenharte Puritaner hatten höfliche, gottvergnügte Quäker abgelöst und leiteten aus dem Alten Testament und einigen Stellen der Paulus-Briefe Argumente pro Sklaverei ab, denn auch Bibeldruckpapier ist geduldig. Und darauf stand geschrieben, dass seine Kinder züchtigt, wer sie liebt. Und seine Sklaven dann ja wohl erst recht.

Auspeitschungen kannte Melville. Vom Man-o-War United States. Und fand sie schlimm genug, um gegen sie anzuschreiben. White Jacket schenkt dem Leser nichts, es liest sich stellenweise engagiert bis brutal.

Jemand im Kongress höchstselbst glaubte ihm. Und die alte Manesse-Ausgabe weiß im Nachwort:

Das Buch wurde jedem Kongressmitglied auf das Pult gelegt, und bald ging ein Gesetz durch, das die Auspeitschung in der Flotte untersagte und keine andere Strafe an deren Stelle setzte.

Konteradmiral Franklin nach John Freeman:
Herman Melville, cit. H. M.: Weißjacke,
Nachwort von Dr. Walter Weber, Manesse 1948

So wurde die Prügelstrafe in der Marine 1850 vom amerikanischen Kongress wenn schon nicht faktisch abgeschafft, so doch offiziell verboten. Eins der verdienstreichsten Beispiele der Geschichte, dass Literatur sehr wohl etwas bewirken kann.

Zwischenrechnung für die Lohnschreiber unter uns: 1850 bestand der US-amerikanische Kongress aus 233 Abgeordneten. Allein die Aktion, jeden davon mit einem Exemplar seines Romans zu versorgen, brachte Melville also eine Auflage, von der er bei seinen späten Gedichtbänden nur träumen konnte: Der letzte davon, Timoleon vom Mai 1891, erschien in 25 Exemplaren.

Harriet Beecher-StoweÜberhaupt war die Zeit sensibel für literarische Eingriffe in die Politik, sogar im ruppigen, provinziellen Süden: Uncle Tom’s Cabin von Harriet “There is more done with pens than swords” Beecher-Stowe erschien 1852, ziemlich genau zwei Monate nach Moby-Dick. Noch 1862, da der Bürgerkrieg schon rundum tobte, begrüßte Abraham Lincoln Frau Beecher-Stowe mit dem denkwürdigen Satz:

So you’re the little woman who wrote the book that started this Great War.

Das ist doch die Art von Anerkennung, die sich der Elfenbeintürmer wünscht.

Written by Wolf

5. June 2007 at 2:44 am

Posted in Rabe Wolf

Die Anwaltin Barbara Walesch

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Elke hat Kapitel 24: Der Anwalt gelesen:

Elke HegewaldDer kritische und wache Leser scheint sich mit seinem Kommentar zu diesem Plädoyer auf den Walfänger geradewegs und mit vollen Segeln in ein Dilemma zu manövrieren. Wo wir doch im hochaktuellen Kontext seit zwei Tagen den grandiosen Sieg der Anwälte und Retter des Wals im Ohr haben. Von dem wir – bei den Reaktionen der Gegenseite – hoffen und glauben wollen, dass es wirklich einer ist.

Doch wir setzen ja voraus, dass eine/r, die/der den Spuren von Moby-Dick und Melville bis hierher zu folgen bereit war, über die nötige Kenntnis und Qualifikation verfügt, die Ismael vom Autor in den Mund gelegte Brandrede einzusortieren – in den Rahmen ihrer Zeit, die Hoch-Zeit des Walfangs, und in des Schreibers Hintergedanken. Wobei, wie ich finde, zweierlei gesagt werden muss: Erstens, dass der Stern des klassischen Waljägerhandwerks 1851 bereits zu sinken begann – nicht Moby-Dick zuliebe, der neue Götze hieß Erdöl.

Und zweitens, dass bei aller Leidenschaft und philosophischen Poesie (oder poetischen Philosophie?) des Dichters in seinem Hohelied auf das Hohetier und seine Jäger der Stachel nicht zu überlesen ist, der den Nichtakademiker Melville angesichts der augenscheinlichen gelahrten Geringschätzung drückt. Weswegen seine Anwaltschaft neben ihrer Fundiertheit auch ein gutes Stück Provokation atmet – und sich geradezu nach einem Plädoyer in eigener Sache anfühlt.

Übersetzt (des vereinfachten Verständnisses halber) in eine der heutzutage unter Couch-Potatoes allseits beliebten Fernseh-Gerichtsshows hörte sich diese durchaus offensive Verteidigung unseres engagierten Advokaten gegen den fiktiven Ankläger womöglich in etwa so an:


Kuo Toa, LeviathanAnwalt: Was werfen Sie meinem bisher nicht vorbestraften Mandanten eigentlich vor, Herr Kollege?

Der (einstweilen ahnungslose) Ankläger: Öh… Sie müssen doch zugeben, dass er ein blutrünstiges und schmutziges Schlächterhandwerk ausübt und…

Anwalt: Aber erlauben Sie, Herr Kollege, dass der Walfang ein Schlächterhandwerk ist und dabei wie bei jedem Metzger auch Blut fließt, das leugnet er doch gar nicht. Gegen die Anschuldigung des Schmutzigen dagegen verwahren wir uns entschieden, davon können Sie sich gerne bei einem Lokaltermin auf einem Pottwalfänger überzeugen. Und wenn mir die Frage gestattet ist: wie viele Heerführer haben Sie für ihre Schlächterei der blutigsten Sorte hier schon verurteilt, statt sie in den höchsten Tönen zu preisen und mit Ehren zu überhäufen? Und welcher von denen würde es auch nur wagen, der Schwanzflosse eines wütenden Wals zu nahe zu kommen? Geben Sie’s zu, Sie wären selber zu feige…

Ankläger: Aber Sie können doch nicht leugnen, dass…

Anwalt: Was kann ich nicht leugnen? Dass alle Welt sich um das Walrat reißt, das ein Walfänger nach gut getanem Job nach Hause bringt? Dass alle Kerzen und Lampen auf diesem Globus nur dank des braven Walmanns leuchten und Sie ohne ihn im Dustern säßen? Was glauben Sie, warum die Holländer ihre Fangflotten von Admirälen befehligen ließen? Und warum der französische Ludwig XVI. unter unseren Waljägern in Nantucket Abwerbung getrieben hat? Warum das große Britannien seinen Walfängern schon vor hundert Jahren fürstliche Handgelder auf die Kralle gezahlt hat? Und überhaupt, schaunse mal lieber in die Statistiken des amerikanischen Walfangs, statt dauernd nur in ihre Paragraphen und statt hier die Nase zu rümpfen über meinen Mandanten.

Sie kennen doch sicher die Namen James Cook und VancouverKrusenstern…?

Ankläger: Aber gewiss doch, das sind berühmte Forscher und Weltrei…

Anwalt: Wissense was, die guten Walfänger haben die entlegensten Ecken auf der Weltkugel schon durchstöbert und erforscht, da war an die hochverehrten Herren noch gar nicht zu denken. Ihre namenlosen Kapitäne haben zu Dutzenden denen den Boden bereitet, damit sie von den Wilden dort nicht ohne Federlesen gleich mit Haut und Haar gefressen wurden. Wofür ein Vancouver mit seinen Berichten Ruhm und Ehre einheimste, das war “nur das lebenslange täglich Brot unserer Helden von Nantucket.” (Seite 193) Sie haben Befreiung und Demokratie an vielen Orten Vorschub geleistet, australische Auswanderer mit ihrem trockenem Schiffszwieback vorm Verhungern gerettet, für Händler und Missionare vorgearbeitet und was nicht noch alles. Und jetzt sagen Sie mir bittschön offen ins Gesicht, was sie noch gegen meinen Mandanten hier haben.

Ankläger: Das können Sie alles nicht beweisen. Keine namhaften Zeugen, keine Zeugnisse über den Wal. Unglaubwürdig die Leute, aus ungeordeten Verhältnissen und windige Abenteurer.

Anwalt: Sag ich’s nicht, Sie sind ein Paragraphendrescher und ignoranter Fachidiot. Wären es nicht Perlen, vor die Säue geworfen, würde ich Ihnen Hiobs Bericht über den Leviathan, Alfred den Großen oder Edmund Burke hier vorführen? Oder Benjamin Franklins Großmutter persönlich in den Zeugenstand rufen, die mit gutem Recht Ahnherrin einer ganzen Dynastie von Nantucketer Harpunieren heißen darf?

Ankläger: Ähm… das ändert aber doch nichts daran, dass der Walfang nicht als nicht gerade seriöser und eher niederer Job gesehen werden muss, wo ist da die Würde, die Anerkennung?

Anwalt: Erzählen Sie mir was von Würde! Ihre Vorurteile in allen Ehren, Herr Kollege, aber da hätte ich doch mal was Erfreuliches für Sie: das alte englische Satzungsrecht nämlich, das den Wal zum “königlichen Fische” erklärt. Und darf ich fragen, ob die seriöse Zunft der Juristen vielleicht auf ein berufseigenes Sternbild verweisen kann wie die Walmänner auf Cetus am südlichen Himmel? Noch Fragen? Ich beantrage Freispruch!


Wer wollte bestreiten, dass da einer (also im Original jetzt wieder) weiß, wovon er redet? Seine Quellen hat er jedenfalls gut zu nutzen gewusst. Das machte dem gewesenen Selber-Walfänger keiner der hochnäsigen Buchstabengelehrten und echten Yale- und Havard-Absolventen seiner Zeit nach. Und sonst wahrscheinlich auch keiner. Und einer hats schon damals erkannt, seines Zeichens Kritiker des John Bull:

Wer hätte je nach Philosophie in Walen oder Poesie im Walspeck gesucht? Es gibt wenig Bücher, die sich ausdrücklich der Metaphysik widmen oder ihre Abstammung von den Musen beanspruchen und so viel wahre Philosophie und echte Poesie enthalten wie diese Geschichte von der Walfahrt der Pequod.

Nach Göske/Jendis, Seite 949

Die Zerstörung des Leviathan

Written by Wolf

4. June 2007 at 1:02 am

Posted in Steuerfrau Elke

Das Ende ist auch nicht mehr, was es mal war

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Früher:

The end is near

Heute:

  • tut selbst das Ende so 2.0, als wäre es interaktiv.

Och Mönsch. Die eine Version hätte so schön sein können. Und dann muss sie irgendwer als erstes so affig übersetzen und alle anderen benutzen sie ungebremst weiter.

 

 

 

 

 

 

 

Bild: Sexy Librarians

Written by Wolf

3. June 2007 at 1:55 am

Posted in Mundschenk Wolf

Vom Umgang mit Ungeheuern und Urtexten

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Update zu Moby-Dick; oder: Der Wal. Der Rathjen:

Meer und Walfang verweigern sich jeder romantischen Etikette. […] Und genau so ist es der Sache angemessen.

Robert Habeck

By no means the sort of book for youAch ja: Was die Rathjen-Übersetzung noch so schön wertvoll macht: Da sind nämlich außer den aufgeführten Leckereien auch noch alle Illustrationen von Rockwell Kent drin. Das sind die historischen, bei denen man sofort an Moby-Dick denkt, wenn man sie irgendwo nur aufblitzen sieht. Erst von 1930, aber die 79 Jahre konnte das Buch warten, bis es so kongenial bebildert werden durfte.

Die Tonart der Bilder singt nämlich genau von den Gründen, aus denen Herman Melville selbst, ein kommerzieller Selbstrufmord mit den Mitteln des Mikromarketing, seiner Nachbarin und potenziellen Leserin Sarah Morewood von seinem neuen Buch abriet:

Don’t you buy it – don’t you read it, when it does come out, because it is by no means the sort of book for you. It is not a piece of fine feminine Spitalfields silk – but is of the horrible texture of a fabric that should be woven of ships’ cables and hausers. A Polar wind blows through it, & birds of prey hover over it. Warn all gentle fastidious people from so much as peeping into the book – on risk of a lumbago and sciatics.

Oder im Deutsch von Matthias Jendis:

Kaufen Sie dieses Buch nur ja nicht – lesen Sie es nur ja nicht, wenn es herauskommt, denn es ist ganz und gar nichts für Sie. Es ist kein feines weibliches Stück Spitalfields-Seide, sondern aus jenem grauenhaften Gewebe, das aus Schiffstrossen und Tauen gemacht ist. Ein Polarwind pfeift hindurch, & Raubvögel umflattern es. Warnen Sie alle zartbesaiteten Seelen davor, auch nur einen flüchtigen Blick in dieses Buch zu werfen – sie riskieren Hüftweh und Hexenschuss.

Holzschnitte sind es, von der Sprödigkeit und dem Pathos, die dem Sozialistischen Realismus innewohnen. Lieblich sind sie nicht, aber sie illustrieren, ja sie sind selbst Männersachen wie harte Arbeit, grundlegende Philosophie und die Schonungslosigkeit unser aller Leben.

Ob Jendis oder Rathjen besser gearbeitet hat, lässt sich diskutieren (was wir noch tun werden), jedenfalls kommt Jendis bei Hanser ganz ohne Bilder aus, und im Rathjen bei Zweitausendeins sind sie größer als in der englischen Ausgabe bei Modern Library Classics, die sämtliche Rockwell Kents bringt.

Immerhin Kent hat seinen Melville verstanden.

Birds of prey hover over it

Written by Wolf

2. June 2007 at 1:23 am

Posted in Rabe Wolf