Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for December 2008

Das Hörbuch als Video: Kapitel 18: Sein Zeichen

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Update zu Kapitel 17: Der Ramadan:

Das 18. Kapitel (10:46 Minuten) ist fertig.

Kleines Mädchen München Rindermarkt

Copyright Lesung: marebuchverlag Hamburg, 2007.
Sprecher: Christian Brückner;
Copyright Übersetzung: Zweitausendeins Frankfurt/Main, 2006;
Buch mit 2 .mp3-CDs kaufen.

Bild: Leonie (Name geändert) will noch nicht nach Hause, Rindermarkt München, 9. August 2008.

Written by Wolf

31. December 2008 at 12:01 am

Posted in Siedekessel

Überall ist Entenhausen

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Update zu Proposing a city in which I would not, in fact, be allowed to exist
und Ich verbitte mir solche zoologischen Spitzfindigkeiten! (Eine regelrechte Walschule):

Vielleicht gibt es ja sogar Bielefeld?

Nadja, ca. 2001.

It is not down in any map; true places never are.

Chapter XII: Biographical.

Everything you can think of is true.

Tom Waits/Kathleen Brennan, aus: Alice, 1992/2002.

An seinem 23. Geburtstag traf ihn der Schlag. An der Kasse vom Getränkemarkt, in dem er das Bier für die Feier zahlen wollte, war es plötzlich “so, als hätte jemand die Luft aus meiner linken Körperhälfte gelassen”. Durchblutungsstörung im Gehirn, Schlaganfall, die linke Körperhälfte erschlafft, seine Frau verließ ihn, er konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben: Kartograph.

Das war 1969. Statt dessen wurde Jürgen Wollina Diplomingenieur für Landkartentechnik. 1994 wurde alles besser: Da trat er der D.O.N.A.L.D. bei und gründete alsbald die Unterorganisation M.Ü.C.K.E. (Meisterhafte Überarbeitung chaotischer Kartengrundlagen Entenhausens) mit dem Ziel, den einzig wahren Stadt- und Umgebungsplan von Entenhausen zu erstellen [Update: Jetzt mit Wikipedia-Artikel]. Das hat sinnigerweise ziemlich genau 13 Jahre gedauert.

Noch sinnigerer Weise präsentierte Wollina diesen Meilenstein der Kartographie in einer Stadt, die nur unter den wohlwollendsten Definitionsverrenkungen überhaupt existiert, und dann noch zum 31. Kongress auf der Burg und Festung Sparrenberg.

Alles einhändig? Nicht ganz: Wollina gewann außer allerhand Gratisanfeuerung aus donaldistischen Reihen auch Christian Pfeiler, verdientes Mitglied bei S.N.O.W.L.S., anno 2008 f. aktuelle PräsidEnte und beruflich mit Stadtplanung vertraut, als rechte — oder hier passender: linke Hand.

Für das, was im Laufe der Forschung außer dem Stadtplan entstand, wäre das Wort “Nebenprodukt” eine Beschimpfung: Das bildgenaue Barks/Fuchstext-Stichwortregister von 740 DIN A4-Seiten heißt inzwischen respekt- und liebevoll Der Große Wollina. Leider wird die Konkordanz mit ihren 52.313 Stichworten immer noch nicht regulär verlegt — nicht einmal vom hassgeliebten Ehapa —, nur zum Selbstkostenpreis von 85, Leinen mit Silberprägung 120 Euro, von Wollina auf Zuruf hergestellt. Als Sonderheft 45 des Der Donaldist erschien schon mal “Entenhausen deine Brücken”, eine Beschreibung und Darstellung aller 61 Brücken in Entenhausen, die im Werk von Carl Barks vorkommen, mit umfangreichen kartographischen Angaben auf 112 Seiten. Beim Versuch, einen Verleger zu finden, musste sich Wollina angesichts des gemutmaßten Zeitaufwands fragen lassen: “Mal ganz im Vertrauen: Haben Sie gesessen?”

Das Korpus, nach dem geforscht wurde, war spätestens 2000 mit Carl Barks’ Tod abgeschlossen. Sein Gesamtwerk, erhältlich in der Carl Barks Library in 30 Bänden in 10 Schubern, umfasst etwa 700 Entenhausener Berichte. Wollina und Pfeiler analysierten demnach rund 6.500 Seiten — 52.000 Bilder, eins nach dem anderen, auf denen Barks ganz selten einen tatsächlichen Stadtplanausschnitt sichtbar macht. Jede einzelne Erwähnung von Ortsnamen in der Übersetzung von Frau Dr. Erika Fuchs wurde berücksichtigt und ins vorhandene Material eingepasst. Eine Auffassung “Es wird schon irgendwie stimmen” kam nie in Frage.

Das Begleitbuch in Falk-Planoptik zum Stadtplan, der soeben als Sonderheft 55 an die Mitglieder der D.O.N.A.L.D. verschickt wurde, gibt außer einem erschöpfenden Register Wollinas Forschungsgeschichte wieder: die Mühen der Erhebung, Relationierung, die immer wieder auftretenden Widersprüche in Barks’ unanfechtbarem real existierenden Duckiversum, die oft genug nahelegten, den Bettel hinzuschmeißen; gibt es doch kaum etwas Donaldischeres denn Scheitern.

Und dann die Digitalisierung als standardisiertes Bildmaterial. Schließlich mussten Barks’ vorgegebene Bilder aus den Frames gehoben, in plane Perspektive gerückt und auf Maßstab gebracht werden. Ohne CAD-Programmierung mit Pfeilers stadtplanerischen Kenntnissen in Rasterentzerrung wäre das gar nicht möglich gewesen. Wollina dokumentiert es mit anschaulichen Arbeitsproben.

Jürgen Bröker hat Jürgen Wollina für Die Zeit 49 vom 27. November 2008 in seinem Wohnort Pocking interviewt — für die letzten Zweifler: nicht auf der Witzseite Leben, sondern im Teil Wissen — und gleich zwei Artikel daraus gemacht: Ächz!! würdigt die Bedeutung von Wollinas Arbeit, Dem Erpel auf der Spur ihn selbst — und bringt einen sehr schönen, sehr großen Scan des Gesamtplans der lauschigen Weltstadt an der Gumpe von der Vulkaninsel bis zum Großen Erpelsee, von der Big-Dollar-Ranch bis zur Satanszacke, einschließlich sämtlicher bekannten Wohnsitze von Donald Duck, Daisy und Gustav Gans, aller Geldspeicher von Dagobert, aller Laboratorien von Daniel Düsentrieb, aller Brücken sowie aller nachweisbaren Straßennamen und Verläufe der ÖPNV-Linien auf dem Forschungsstand November 2008.

Der einzig wahre Stadt- und Umgebungsplan von Entenhausen im Format DIN A0 quer, gerollt kann beim Kassenwart der D.O.N.A.L.D. für ein Nichts bestellt werden, weil das N in D.O.N.A.L.D. für “Nichtkommerziell” steht.

Bei seiner Projektidee war Wollina 47. Heute wird er 62. Hoffentlich kann er für den Rest seiner Karriere noch anständig Orden für dieses Lebenswerk abstauben, das wäre donaldisch. Noch einmal die Hymne für M.Ü.C.K.E.!

Der einzig wahre Stadt- und Umgebungsplan von Entenhausen

Bild: Jürgen Wollina/Christian Pfeiler/M.Ü.C.K.E./D.O.N.A.L.D., Dezember 2008.

Written by Wolf

30. December 2008 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #12

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Plus a perfectly peachy keen Dezembergewinnspiel!

Song: David Thomas: Dan Dan (0:47 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: Alberto Vargas, April 1945.

Lyrics:

My name, it is Dan Dan
My name, it is Dan Dan
Somebody stole my rum
He didn’t leave me none
That no good son of a gun
My name, it is Dan Dan
A sailor man I am
Somebody took my wife
Somebody took my knife
My name, it is Dan Dan

Explanatory liner notes by ANTI-:

A West Indian work chant which was first used ashore and later taken to sea as a simple halyard chantey.

Interpretation by Hulton “Ranzo” Clint from the comments:

“Dan Dan” is a rare chantey. In all probability, David Thomas has based his recording directly from a recording by singers from Mystic Seaport (in my home state of Connecticut, U.S.A.). THEIR version, I would guess, is their unique re-creation based off of Hugill’s text [Stan Hugill: Shanties and Sailors’ Songs, 1969]. The text is not very explicit, so they probably had to use a lot of imagination to develop it from such scanty notes.

December Contest:

Understanding the lyrics for the song above has been a complete failure. I encourage you — and you and you and even you — why, especially you — to provide them, by searching, by listening or by asking Mr. Thomas, write them into a comment, and win one of the following prizes:

  • 1 CD containing 26 songs by The Muffs (private copy as raffled before);
  • 1 CD by Carson Sage and the Black Riders, a Nuremberg independent band (rare and happy music by nowaday’s What about Carson as lauded before, private copies):
    • Final Kitchen Blowout (1993);
    • Walk With an Erection (5-song-EP 1993); or
    • Great Music in Stereo (1995);
  • 1 copy of Herman Melville: The Lightning-Rod Man in German, translation by Richard Mummendey on reprographic paper, c. 10 pages. Absolutely rare and in great demand on Moby-Dick™;
  • 1 permission to write a guest article (and get it published) containing whatever you always wanted to say.

Get ready until Sunday, January 11th, 2009.

Edit: Molten Hulton Clint posted the lyrics — one day late and someplace else. Regardless of the date, since I prolonged the contest ad infinitum, Mr. Clint is winner. Congratulations and feel free to pick up your prize. /Edit

Written by Wolf

28. December 2008 at 12:01 am

Posted in Siren Sounds

I’ll Shoot the Sun

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Wolf blickt anhand Kapitel 34: An der Kajütstafel auf 2008 zurück:

I appeal to any white man to say, if ever he entered Logan’s cabin hungry, and he gave him not meat; if ever he came cold and naked, and he clothed him not.

Chief Logan’s Lament 1774, rendered 1782.

Walfischprinzip bedeutet, dass einer durch ein meist sinnbildliches Meer pflügt und das Vorhandene wahllos wie Plankton aufsaugt.

Er sei ein pathologischer Leser, der nach dem Walfischprinzip Unmengen von Seiten in sich hineinsaugt, damit zwei, drei Gedanken hängenbleiben. Er lese überall, auf dem Klo, in der Wanne, im Bett, brauche circa drei Stunden für ein Buch.

Never Sea Land, Boat Babesbeschreibt sich Hans Magnus Enzensberger. Genau so. Und gar nicht so verschieden von dem, was Moby-Dick™ im dritten Jahr — and still counting — treibt. Und noch viel näher an dem, was Herman Melville in der Primärliteratur, dem echten Moby-Dick getan hat: wild brainstormen, aus dem schöpfen, was er zuvor erlebt und gelesen hat, kurz durchkauen und auf Tauglichkeit prüfen, das Beste wieder von sich speien. Man hat schon appetitlichere Bilder fürs Kunstschaffen gefunden, aber der zweite Teil von Reader’s Digest bedeutet verdauen.

2008 war ein Jahr, in dem Menschen meinen Gesichtsradius betraten, denen ich was glaube. You know who you are, folks. Jemand hat mir ein Lied geschenkt. Jemand hat für mich gebastelt, andere haben mir Bilder und Bücher ans Herz gelegt — was soll man mir auch groß schenken, gell — und ein Buddelschiff war dabei, das ich wenigstens endlich mal zusammensetzen könnte. Einer hat sich darum gerissen, uns einen Gastbeitrag zu schreiben. Was die Menschen mir mitteilen wollten, hatte immer mit Literatur, Musik, Seefahrt, deutsch-amerikanischen Interferenzen und liebreizenden Frauen zu tun, sie haben sich Gedanken zu mir gemacht und ich fühlte mich verstanden. Andere konnten mir schlüssig begründen, warum die Rathjen-Übersetzung vielleicht doch besser ist als ihre Bearbeitung, die zur Jendis-Übersetzung wurde: Der schroffe Felsen Rathjen kommt dem Original wohl doch näher denn Jendis’ geschliffene Kiesel. Da waren freundliche Gesichter, ich hab hellen Köpfen zugehört, angenehmen Umgang gepflogen, bin lauter wertvollen Menschen begegnet, und mich wandelt das aberwitzige Bedürfnis an, mich bei jemandem oder etwas dafür zu bedanken, dass ich dergleichen noch erleben darf.

Ahab treffen wir wieder, wie er “soeben die Sonne geschossen” hat — bitte was, Herr Jendis? Soll ein langweiliges taking an observation of the sun ein Vorgriff auf seine Drohung an die Sonne sein: I’d strike the sun if it insulted me? Rat steht bei Rathjen: “soeben die Sonnenhöhe vermessen” — ach so. Der neue Mensch in unserem Gesichtsradius ist der Steward Dough-Boy, der Ahab zum Essen an den Cabin-Table ruft.

Was Melville in weiteren Verlauf aus seinem Seemannswissen serviert, ist ein denkbar tristes Bild von einer Mahlzeit unter Schiffsoffizieren, für die einer den anderen rituell einlädt, obwohl der Steward Teig- oder Blaßkopp, das “Zittern und Zagen” auf zwei Beinen, bestimmt pünktlich anrichtet. Das hätte man den verwegenen Seefahrern Starbuck, Stubb und Flask gar nicht zugetraut, dass sie ausgerechnet für die Zeit der Energiezufuhr zu solchen Mimosen mutieren und so eine “saft- und kraftlose Familienfeier” abziehen. Melville begründet es uns: Das ist so mit den oberen Chargen, “nicht die geringste der Merkwürdigkeiten”. Das will ich mal so glauben, unkorrigierter Neigung nach bin ich ja mehr so der Nichtesser.

In grellem Gegensatz dazu stehen die zweithöchsten Chargen: Die Harpuniere nutzen traditionell als zweite die Kapitänskajüte zum Futtern — und verleihen der Tätigkeit schon allein durch ihre Herangehensweise ungleich mehr Sinn.

Nur, weil es Wilde sind? Wir erinnern uns, dass die drei Vizes der Pequod Melvilles Repertoire der exotischen Völker entstammen: Queequeg einer aus “Kokovoko” in der Südsee, Tashtego ein Indianer, Daggoo der beeindruckendste aller Neger. — Nein, bestimmt auch, weil das die Ersten sind, die körperlich arbeiten: mit den Händen, mit ihren gestählten, wettergegerbten Körpern, und mit dem Kopf noch dazu. Das zehrt.

Und einmal mehr handelt Melville nach dem Prinzip des Walfischs und nimmt die Gelegenheit wahr, für seine Politik zu werben: Der ausgelassene Haufe der ehrbaren edlen Wilden besteht einfach aus den besseren, unverfälschteren, kurz: menschlicheren Leuten, die jede liebe Mahlzeit wieder eine almost frantic democracy feiern, wohingegen der Unterste der Oberen, der dritte Steuermann Flask, schon ein butterless man in einer undankbaren Sandwich-Position war. Daggoo, der Queequeg wohl bald den Rang in Naturwüchsigkeit ablaufen wird, ernährt sich geradezu metaphysisch:

But, doubtless, this noble savage fed strong and drank deep of the abounding element of air; and through his dilated nostrils snuffed in the sublime life of the worlds.

Ihr energisches Treiben ist deshalb die blanke Vitalität; sie steinigen uns mit Essensresten aus jeder weichbirnigen Interpretation.

Chief James Logan, Ohio Historical SocietyDa kreuzt noch ein Neuer unsere Sicht: Chief Logan, entgegen Göskes Daten in allen anderen Quellen nicht 1800, sondern schon 1780 mutmaßlich von seinem Neffen ermordet, außerdem Häuptling nicht der Shawnees, sondern der Mingos (die ihre entfernten Verwandten sind). Dieser leidgeprüfte Märtyrer der Menschlichkeit ernährt sich so trostlos wie nicht einmal die Offiziere der Pequod, die immerhin vom Besten bekommen, wenngleich in etwas trüber Atmosphäre. Logan, hinterbringt uns Melville, saß den Winter über in einer Baumhöhle gefangen und lutschte am Daumen.

Gegen die Not, an sich selbst zu knabbern, um nicht einzugehen, ist Masturbation, mit Verlaub, eine Orgie. Das Kapitel endet mit der übelstmöglichen Vorstellung von Ernährung. Die hat sich Chief Logan nicht ausgesucht, nachdem er zusehen musste, wie seiner hochschwangeren Tochter das Kind aus dem Leib gerissen und skalpiert wurde; man bedarf nach Erlebnissen wie dem Yellow Creek Massacre der Kräftigung, nicht noch mehr Folter. Melville lässt seine Stimme diese historischen Fakten darstellen und dann verhallen, und das klingt mahnend: Indianer, Neger, Südseekannibalen, die 1851 wie heute als unzivilisiert Gehandelten, gewinnen die Runde. Sie sind die Gefolterten, aber die Lebendigen. Wenn sie schon die Fresse kriegen müssen, dann bitte auch was Nahrhaftes, erst bei Logans ultimativer Tristesse ist Schluss.

Essen, Leben, Zusammenleben, Demokratie. Man trifft sich; die Versuche, Abseitiges zu vergesellschaften, funktionieren, der Bauch des Wals verträgt viel Plankton. Was Melville — und wir nach ihm — unternehmen, ist nicht mehr wie üblich, die Handlung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, sondern eine Perspektive aus verschiedenen Handlungen. Fühlen wir uns, als letzten Klimmzug 2008, dadurch an einen anderen Künstler erinnert, der uns ein politisch Lied singen wollte: Sergej Eisenstein mit seinem Plan, Das Kapital zu verfilmen. Das hätte ein Monument werden können. Was Moby-Dick mit der Umverteilung des Kapitals und Aufhebung der Klassen-, am Ende gar der Rassengesellschaft verbindet, hätte an dieser Stelle schon längst kommen sollen: anhand Jean-Pierre Lefebvre: Die Arbeit des Wals. Red Moby &/or: Das Kapital. Kommt noch, Genossen, kommt noch.

Das waren ein paar Konjunktive zu viel.

Gay Collier, Playboy Centerfold July 1965Ich selbst muss mich nämlich schuldig bekennen, einen tollen Weblog (bei mir heißt das automatisch der Weblog) in die Gosse geritten zu haben. Nicht zur Entlastung, jedoch zur Erklärung vorbringen kann ich nur meine ursprüngliche Idee, in dieses Jungsthema eine weibliche Note zu bringen, worüber ich die Perspektiven verwechselt haben muss: Es ist bestenfalls Beihilfe zur Autoerotik geworden, ja schlimmer noch: keine besonders wirksame. Ich hab versucht, euch meinen Begriff von der einzig wahren Musik, hübschen Mädchen, struppig eloquentem Deutsch und nachlässig verhohlen geklautem Englisch reinzudrücken; das war selbstherrlich und faul von mir. Man schaut eben doch immer nur aus sich heraus, niemals in andere hinein.

Zu dieser Erkenntnis bin ich bei einer Qualitätsschau gelangt, und die gängigsten Suchbegriffe (“Gisele Bündchen”, “Bettie Page Mermaid”, “sexy Zehen”, “hässliche Tiere”, “Lolita”, “Pinguine”) deuten nicht auf hohe Wissenschaftlichkeit; an den Zugriffszahlen hätte ich es nicht bemerken können. Das sagt mir wiederum, dass die Leute zu mir, zu uns stehen. Es ist gut, euch zu haben — euch auf der P.E.Q.U.O.D., euch in der Linkrolle, euch, die ich darin aus schnöder Schnöselei vergessen hab, euch, die ich klandestin im Blick behalte, und euch Underground-Leser, die uns in der Stille der Tiefe umschwimmen. Mal seid ihr ganz nah, mal habt ihr anderweitig zu tun, aber man weiß voneinander und geht sich jetzt schon eine für einen Weblog ganz ansehnliche Spanne nicht verloren. Nur ganz gelegentlich gebt ihr Laut. Es waren ausnahmslos freundliche Meldungen, meistens haben sie uns handfest bereichert. Schön, solche Leser und Fellow Freaks zu haben — wenn Stolz nur nicht so ein albernes Gefühl wäre…

2008 hat mir auch jemand einen Sextanten geschenkt. I’ll shoot the moon for you — das Mindeste, was ich tun kann. Danke fürs Da-Sein, danke für euch — I mean it.

Ist, die Herren Eisenstein, Enzensberger, Göske, Jendis, Lefebvre, Logan, Melville, Rathjen (alphabetisch) und ihr anderen alle, ist Kommunismus Demokratie? Ist er nicht, aber trotzdem etwas vom Volk Geregeltes — wer immer das sein soll. Ist Christentum Kommunismus? Ist es nicht, genuin demokratisch aber auch nicht. Beabsichtigen alle drei wenigstens ihren Theorien nach, dass es allen gut geht und den Menschen ein Wohlgefallen — jedem nach seinen Fähigkeiten und seinen Bedürfnissen? Scheißsuggestivfrage: Ja, das wollen sie.

Na also.

So, und jetzt raus mit uns, Essen fassen, das Bier wird kalt. Alles Gute.

Bilder: Never Sea Land: Boat Babes, 5. Oktober 2007;
Chief Logan, also known as James Logan: The Ohio Historical Society, 1982;
Gay Collier: Playboy Centerfold Miss July 1965 via
If Charlie Parker Was a Gunslinger, There’d Be a Whole Lot of Dead Copycats, 7. April 2007.
Soundtrack: Spillsbury: Die Wahrheit
(“Schon gut — ja, ich weiß jetzt, was du meinst.
Na klar — war doch alles trotzdem gut.
Hau rein — und ich kenn ja dein Gesicht und find dich immer wieder.”),
aus: Raus, 2003.

Written by Wolf

26. December 2008 at 12:01 am

Posted in Steuermann Wolf

Kuttel Daddeldu und die Kinder

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Update zu Denn das Herz ist durstiger als Kehle
und Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu:

Wie Daddeldu so durch die Welten schifft,
Geschieht es wohl, daß er hie und da
Eins oder das andre von seinen Kindern trifft,
Die begrüßen dann ihren Europapa:
»Gud morning! – Sdrastwuide! – Bong Jur, Daddeldü!
Bon tscherno! Ok phosphor! Tsching–tschung! Bablabü!«
Und Daddeldu dankt erstaunt und gerührt
Und senkt die Hand in die Hosentasche
Und schenkt ihnen, was er so bei sich führt,
— — Whiskyflasche,
Zündhölzer, Opium, türkischen Knaster,
Revolverpatronen und Schweinsbeulenpflaster,
Gibt jedem zwei Dollar und lächelt: »Ei, ei!«
Und nochmals: »Ei, Ei!« — Und verschwindet dabei.

Aber Kindern von deutschen und dänischen Witwen
Pflegt er sich intensiver zu widmen.
Die weiß er dann mit den seltensten Stücken
Aus allen Ländern der Welt zu beglücken.
Elefantenzähne — Kamerun,
Mit Kognak begoss’nes malaiisches Huhn,
Aus Friedrichroda ein Straußenei,
Aus Tibet einen Roman von Karl May,
Einen Eskimoschlips aus Giraffenhaar,
Auch ein Stückchen versteinertes Dromedar.

Und dann spielt der poltrige Daddeldu
Verstecken, Stierkampf und Blindekuh,
Markiert einen leprakranken Schimpansen,
Lehrt seine Kinderchen Bauchtanz tanzen
Und Schiffchen schnitzen und Tabak kauen.
Und manchmal, in Abwesenheit älterer Frauen,
Tätowiert er den strampelnden Kleinchen
Anker und Kreuze auf Ärmchen und Beinchen.

Später packt er sich sechs auf den Schoß
Und läßt sich nicht lange quälen,
Sondern legt los:
Grog saufen und dabei Märchen erzählen;
Von seinem Schiffbruch bei Helgoland,
Wo eine Woge ihn an den Strand
Auf eine Korallenspitze trieb,
Wo er dann händeringend hängenblieb.
Und hatte nichts zu fressen und saufen;
Nicht mal, wenn er gewollt hätte, einen Tropfen Trinkwasser, um seine Lippen zu benetzen,
Und kein Geld, keine Uhr zum Versetzen.
Außerdem war da gar nichts zu kaufen;
Denn dort gab’s nur Löwen mit Schlangenleiber,
Sonst weder keine Menschen als auch keine Weiber.
Und er hätte gerade so gern einmal wieder
Ein kerniges Hamburger Weibstück besucht.
Und da kniete Kuttel nach Osten zu nieder.
Und als er zum drittenmal rückwärts geflucht,
Da nahte sich plötzlich der Vogel Greif,
Und Daddeldu sagte: »Ei wont ä weif.«
Und der Vogel Greif trug ihn schnell
Bald in dies Bordell, bald in jenes Bordell
Und schenkte ihm Schlackwurst und Schnaps und so weiter. —
So erzählt Kuttel Daddeldu heiter, —
Märchen, die er ganz selber erfunden.
Und säuft. — Es verfließen die Stunden.
Die Kinder weinen. Die Märchen lallen.
Die Mutter ist längst untern Tisch gefallen,
Und Kuttel — bemüht, sie aufzuheben —
Hat sich schon zweimal dabei übergeben.
Und um die Ruhe nicht länger zu stören,
Verläßt er leise Mutter und Göhren.

Denkt aber noch tagelang hinter Sizilien
An die traulichen Stunden in seinen Familien.

Joachim Ringelnatz: Kuttel-Daddeldu, 1924.

Married to the Sea, If ou have books in your house, your kids will eventually find them.

Bild: Married to the Sea, Januar 2008.

Written by Wolf

25. December 2008 at 12:01 am

Posted in Laderaum

Bleeding Life

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Written by Wolf

24. December 2008 at 12:01 am

Posted in Laderaum

But someone stole my record player

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Written by Wolf

23. December 2008 at 12:01 am

Posted in Mundschenk Wolf

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #11

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Song: Mark Anthony Thompson: Haul Away Joe (4:11 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: John William Waterhouse: The Siren, 1900.

Lyrics:

When I was a little boy, or so my mother told me
Way, haul away, we’ll haul away Joe
That if I did not kiss the girls, my lips would soon grow moldy
Way, haul away, we’ll haul away Joe.

Way, haul away, the good ship is a-blowing,
Way, haul away, the sheet is now a-flowing.

King Louis was the king of France before the Revolution,
But then he got his head cut off, not good for his constitution.

First I got a Spanish girl, but she got fat and lazy,
Now I have a Brooklyn girl, she damn near drives me crazy.

Way, haul away, we’ll haul and hang together,
Way, haul away, we’ll sail for better weather.

Way, haul away, I’ll sing to you of Nancy,
Way, haul away, for she’s my cup and fancy.

Way, haul away, we’ll haul away together,
Way, haul away, we’ll sail through nasty weather.

Tack and sheet chantey.
Comes on the word Joe!.

Written by Wolf

22. December 2008 at 12:04 am

Posted in Siren Sounds

Die neuen alten Mobys

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Jürgen beschenkt sich selbst und uns:

Seit kurzem sind vier neue Mitglieder in der Moby-Dick-Familie hier im Hause. Drei, zu denen in oben genannter Bücherliste bis dato noch genauere Informationen fehlen. Eines, das noch nicht in der Liste steht (und eigentlich auch keinen Platz darin verdient hat…)
Die Informationen will ich jetzt nachreichen.

H. Trausil

H. Trausil

Erstens: Sonderausgabe für die Stuttgarter Hausbücherei, Copyright Verlag Deutsche Volksbücher, Stuttgart (erstmals 1958), übersetzt und bearbeitet von Hans Trausil. 474 Seiten plus Inhaltsverzeichnis. Das erste Kapitel heisst “Des Meeres Ferne tut sich auf” und beginnt: “Nennt mich Ismael.”

Prolog fehlt komplett, aus Cetology wird “Rangordnung der Wale und Waljäger”.
Die Vergleichsstelle aus Kapitel 28 klingt so:
“Keine Spur von körperlichem Leiden oder überstandener Krankheit war an ihm wahrzunehmen. Er wirkte wie einer, der dem Scheiterhaufen entrissen wurde, als die Flammen schon sengend an ihm emporgeleckt hatten, ohne seinen Körper zu verzehren, ohne seiner ehernen Altersrüstigkeit etwas anzuhaben. Seine hohe, breitschultrige Gestalt sah aus wie in Bronze gegossen, Cellinis Perseus gleichend, geprägt in unvergänglichem Guß. Unter dem grauen Haar hervor verlief eine fahle Narbe seitlich über sein sonnenverbranntes Gesicht bis unter den Hemdkragen, wie von dem Hieb einer schlanken Gerte. Sie glich der senkrechten Naht am hochragenden Stamm eines Baumes, den der Blitz von oben bis unten, eine Rille grabend, durchzuckt, ohne einen einzigen Zweig zu knicken. So stand Ahab, gezeichnet, aber in voller Kraft.”
Garnicht mal so schlecht…

G. Lorenz

G. Lorenz

Zweitens: im Eduard Kaiser Verlag erschienen, übersetzt und bearbeitet von Gerhard Lorenz, ohne Jahr und ohne ISBN (was auf eine Veröffentlichung vor 1972 schliessen lässt – vom Gefühl her würde ich aber sagen: deutlich früher, Ende 50er, Anfang 60er?) [Edit: Fast drei Jahre später, am 6. Oktober 2011 kommentiert uns Tobi zu diesem Eintrag: “Ihre Ausgabe aus dem Eduard Kaiser Verlag kann ich auf Grund einer Widmung in meinem Exemplar auf das Jahr 1961 datieren”, s.u. Danke, Tobi!]. 392 Seiten inkl. 2 Seiten Nachwort von Herrn Lorenz. Das erste Kapitel heißt “Zum Beginn” und beginnt: “Nennt mich Ismael.”
Den gesamten Prolog lässt Herr Lorenz weg, das Kapitel 32: Cetology gibt es immerhin, es heisst hier “Walkunde”.

Im Ahab-Kapitel (28) liest es sich wie folgt:
“Keine Spur einer noch bestehenden oder einer überstandenen Krankheit war an ihm zu erkennen. Er sah vielmehr wie einer aus, den man im letzten Augenblick dem Scheiterhaufen entrissen hatte, an dem die Flammen schon emporgezüngelt waren, ohne jedoch seine Glieder im Geringsten zu zerstören oder ihrer Altersrüstigkeit Schaden zu tun. Seine hohe und breite Gestalt schien aus kompakter Bronze gegossen zu sein, für die Dauer geformt, gleich Cellinis Perseus. Unter seinem grauen Haar hervor lief über die linke Gesichtshälfte und den sonnengegerbten Nacken eine weißliche Narbe. Ihr weiterer Verlauf war durch den Kragen verdeckt; sie glich einem Peitschenhieb oder der senkrechten Spur, wie sie der Blitz manchmal am Stamme eines Baumes hinterlässt, ohne an diesem auch nur einen Ast zu knicken; sie verliert sich im Boden, aber der Stamm ist, wenn auch noch lebendig, doch gezeichnet.”
Herr Lorenz ist der einzige, der die Narbe auf die linke Seite legt (im Original heisst es: “…and continuing right down one side of his tawny scorched face and neck…”). Und ich habe den Eindruck, dass er die Übersetzung von Hans Trausil kannte…

K. Bahnmüller
K. Bahnmüller

Drittens: im Ensslin & Laiblin Verlag erschienen, übersetzt und bearbeitet von Karl Bahnmüller, 1950 erschienen (lt. DNB), ohne ISBN, als Jugendausgabe bezeichnet. 392 Seiten inkl. Anhang und Inhaltsverzeichnis. Das erste Kapitel wird hier als “Vorrede” bezeichnet und heisst: “Ihr könnt mich Ismael nennen”. Der erste Satz beginnt dann mit “Vor ein paar Jahren…”

Auch hier: Prolog fehlt, Cetology findet sich auch hier (!) als Kapitel 19: Walkunde. Mit Fussnote: siehe Walkunde nach dem heutigen Stand der Wissenschaft S.381 – dort findet sich der Anhang, durchaus informativ, aus der Zeitschrift “Fette und Seifen”, Berlin, Heft 1 – 1938.
Aus dem Ahab-Kapitel:

“Er sah nicht aus, als habe er eine Krankheit hinter sich, auch nicht, als ob er von einer genesen wäre. Weit eher glich er einem Mann, dem die Flammen schon die Haut versengt hatten, bevor er vom Marterpfahl geschnitten und aus dem Feuer gezerrt worden war. Wie aus Bronze schien er gegossen und für immer geformt. Er war hoch gewachsen, breit. Eine bläulichweiße Narbe lief ihm unter dem grauen Haar hervor, ein dünner Strich, der sich über Gesicht und Hals hinzog und unter den Kleidern verschwand. Er war gezeichnet wie eine Eiche, in die der Blitz eingeschlagen hatte.”
Für eine ausgewiesene Jugendausgabe nicht schlecht… Und auch ziemlich erfolgreich: im Katalog der DNB lässt sich die Übersetzung bis 1994 nachweisen175. – 177. Tsd.

H. Hecke
H. Hecke

Und schliesslich Viertens: (diese Ausgabe ist meine erste gewesen, lange vergessen und durch Zufall wieder entdeckt) im Verlag Tosa erschienen, Neubearbeitung von Hans Hecke, Sonderausgabe, deshalb wohl ohne Jahr und ohne ISBN. 272 Seiten inkl. Inhaltsverzeichnis. Das erste Kapitel heisst “Das weite Meer ruft” und beginnt: “Ich heiße Ismael.”

Prolog: Fehlanzeige. Cetology: Fehlanzeige.
Das Ahab-Kapitel:
“Man konnte ihm keine Spur eines körperlichen Leidens oder einer überstandenen Krankheit ansehen. Seine hohe, breitschultrige Gestalt wirkte wie aus Bronze gegossen. Unter dem grauen Haar hervor verlief eine fahle Narbe seitlich über sein sonnenverbranntes Gesicht bis unter den Hemdkragen, wie von dem Hieb einer schlanken Gerte. So stand Ahab gezeichnet, aber in voller Kraft vor uns.”
Wahrhaftig mächtig gekürzt und stark bearbeitet. Keine empfehlenswerte Ausgabe. Ist ja glücklicherweise auch nicht mehr erhältlich…

Und hier, zum Vergleich, die Stelle aus Kapitel 28 in der Übersetzung von Friedhelm Rathjen:

“Es schien da kein Zeichen gewöhnlicher körperlicher Krankheit an ihm zu sein, noch solche der Erholung von einer solchen. Er sah aus wie ein Mann, den man vom Scheiterhaufen abgeschnitten, als das Feuer blitzschnell all seine Glieder versehrt hatte, ohne sie zu verzehren oder ihnen ein Jota von ihrer verdichteten gealterten Robustheit zu nehmen. Seine ganze hohe, breite Gestalt schien aus solider Bronze gemacht und in eine unwandelbare Form gebracht wie Cellinis gegossener Perseus. Sich einen Weg bahnend von unterhalb seiner grauen Haare, sich geradewegs fortsetzend die eine Seite seines lohbraun versengten Gesichtes und Halses hinab, bis es in seiner Kleidung verschwand, sah man ein schlankes, gertenartiges Mal von fahler Weißlichkeit. Es glich einer senkrechten Naht, wie sie bisweilen dem aufrechten, hochragenden Stamm eines einsamen Baumes einbeschrieben wird, wenn der Blitz von hochdroben zerfetzend daran niederjagt und, ohne einen einzigen Zweig abzureißen, die Borke von der Spitze bis in den Boden abschält und ausfurcht, ehe er in die Erde springt, den Baum immer noch bei grünem Leben, aber gezeichnet zurücklassend.”

Written by Wolf

21. December 2008 at 12:01 am

Posted in Moses Jürgen

Moby-Dick – The True Story

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Elke segelt mit Owen Chase: Der Untergang der Essex
und macht ein Update zu Warum liegt hier überhaupt Stroh rum?:

… all their enchanted eyes intent upon the whale, which from side to side strangely vibrating his predestinating head, sent a broad band of overspreading semicircular foam before him as he rushed. Retribution, swift vengeance, eternal malice were in his whole aspect, and spite of all that mortal man could do, the solid white buttress of his forehead smote the ship’s starboard bow, till men and timbers reeled.

Moby-Dick Chapter 135: The Chase–Third Day.

Elke HegewaldEs ist der 15. Dezember 1820. In der endlosen Weite des Pazifik, auf 21° 42′ südlicher Breite.

Die Sonne brennt erbarmungslos auf die zwanzig Schiffbrüchigen in den drei zerbrechlich gewordenen Booten herab. Kein Schutz vor ihren sengenden Strahlen. Der Durst wird immer unerträglicher, schlimmer als der Hunger, aber sie können die winzige tägliche Trinkwasserration nicht noch weiter kürzen. Die Lage der Männer ist verzweifelt, denn seit Tagen herrscht Windstille; sie kommen dem rettenden Land, das über 1000 Seemeilen entfernt liegt, nicht näher und werden immer schwächer. Owen Chase, vor einem Monat noch Erster Maat des stolzen Walfängers Essex aus Nantucket, schreibt auf ein paar lose Blätter aus seiner Seemannskiste, die sein Logbuch sind:

Ständig redeten wir davon, wir müssten “Geduld haben und ausharren”. Wir nahmen uns vor – so fest die Entschlüsse der Seele eben sein können –, uns so lange ans Leben zu klammern, wie uns Hoffnung und die Luft zum Atmen blieben…

Owen Chase: Der Untergang der Essex. Verlag Die Hanse, 2000; Seite 78.

Whaleship EssexOwen Chase ist nicht der Abklatsch eines Starbuck aus einem billigen Vor-Melville und erst recht kein Ismael. Nein, den gab es wirklich. Und seine Geschichte ist kein Roman mit ausgeklügelter Dramaturgie, sondern der schlichte Bericht eines whaleman und unfreiwilligen Chronisten vom realen Untergang seines Schiffes und der Tragödie danach, die nur acht von zwanzig Seeleuten überstanden. Von einem Geschehen freilich, nie dagewesen und so unvorstellbar, dass die kollektive Erinnerung der über hundertjährigen Geschichte des Walfangs von Neuengland kein Beispiel dafür kannte: Am 20. November 1820 hatte ein riesiger Pottwal westlich der Galapagos-Inseln die Essex angegriffen, sie mit seiner gewaltigen Stirn zweimal gerammt und zum Sinken gebracht. Chase, rechte Hand seines Kapitäns George Pollard und Walbootführer, gehörte zu den Überlebenden der darauffolgenden monatelangen Strapazen.

Im Spätherbst 1821 veröffentlichte er, nach Nantucket zurückgekehrt, seine Aufzeichnungen von der Odyssee unter dem unaussprechlichen Titel

Owen Chase‘s Narrative of the Most Extraordinary and Distressing Shipwreck of the Whale-Ship Essex, of Nantucket; Which was Attacked and Finally Destroyed by a Large Spermaceti-Whale, in the Pacific Ocean; with An Account of the Unparalleled Sufferings of the Captain and Crew During a Space of Ninety-Three Days at Sea in Open Boats; in the Years 1819 & 1820.

in dem schon das ganze Buch steckte. Und man darf darüber spekulieren, ob es der authentische Bericht aus dem Boot war, womöglich dezent lektoriert, oder ob er – was bei einem whaleman, der die Harpune besser als die Feder führt, wahrscheinlicher ist – einen andern die Arbeit tun ließ. Bei Nathaniel Philbrick wird ein gewisser William Coffin, Jr. als Ghostwriter gehandelt (auch auf deutsch), und in Melvilles Randnotizen an seinem eigenen Owen Chase heißt es:

There seems no reason to suppose that Owen Chase himself wrote the Narrative. It bears obvious tokens of having been written for him; but at the same time, its whole air plainly evinces that it was carefully and conscientiously written to Owen’s dictation of the facts.

Owen ChaseVon der Auflagenhöhe des Chase-Berichtes weiß man ja nix. Aber es fielen wohl auch ein paar Exemplare für den Familienclan ab, was für die Weltliteratur späterhin noch ein Segen werden sollte.

Denn 20 Jahre später geriet eins von denen in die Hände des Waljäger-Greenhorns und künftigen Schriftstellers Herman Melville und beeindruckte ihn so nachhaltig, dass der Angriff des tobenden Wals ihm zur Inspiration für den Handlungshöhepunkt seines dereinst berühmtesten Roman geriet. Frisch auf dem Walfänger Acushnet angeheuert, begegnete er 1841 mitten im Pazifik, sogar in der Nähe des Ortes, an dem die Essex untergegangen war, dem sechzehnjährigen William Chase, der auf dem Nantucketer Walschoner Lima unterwegs und der Sohn von Owen Chase höchstpersönlich war. Der hatte das Büchlein seines Vaters im Seesack und lieh es Melville zu treuen Händen – ohne es wohl jemals wiederzusehen. Verwurstet hat es Melville in mindestens zwei Kapiteln des Moby-Dick, wenn man mal voraussetzt, dass sein ganzes Buch an allen Ecken und Enden eine Hommage an solche Helden der Walfängerzunft wie die Crew der Essex ist. Und wenn man dabei nicht vergisst, dass die Geschichte von Moby Dick an der Stelle aufhört, wo die von Owen Chase anfängt.

Im Kapitel 45: The Affidavit bezieht er sich ausführlich und unmittelbar auf seine Kenntnis der Chase’schen Schilderungen, um dem ungläubigen Leser neben allem anderen zuvörderst die Wahrhaftigkeit schiffeversenkender Wale vor den Bug zu rammen. Dort erwähnt er auch seine Begegnung mit Chases Sohn auf hoher See.

Und das oben angeführte Zitat aus Kapitel 135 The Chase–Third Day, das den Augenblick des Angriffs Moby Dicks auf die Pequod wiedergibt, die nach seinem Rammstoß untergeht, lautet nahezu wörtlich wie die Darstellung des Maats der Essex. Den Vergleich hier daherzudeklamieren spar ich mir, da ich vom Chase (vorerst) nur im Besitz der deutschen Fassung bin und vom Moby (inzwischen) derer drei hab.

(Bei dieser Sachlage wundert man sich doch ein bisschen, warum die – vom Wolf zutreffend in der Literaturliste genannte – etwas rar und zögerlich erscheinende Haltung der Quellenforscher nicht weit nachdrücklicher daherkommt… was ja vielleicht inzwischen vonstatten geht, wenn man zet Be die Tatsache, dass die zur Zeit vergriffene deutschsprachige Ausgabe der Chase-Story bei Amazon kürzlich als Gebrauchtexemplar dreistellig gehandelt wurde, dahingehned deutet. Ätsch, ich hab sie voriges Jahr noch zu einem volkstümlichem Preis erhandelt.)

Nathaniel Philbrick by Ellen Warner, Random House BertelsmannAus dem unspektakulär schlichten Berichten des Owen Chase schriftstellerte Nathaniel Philbrick sein aufgepepptes In the Heart of the Sea. Was vielleicht etwas respektlos formuliert ist, denn schließlich erhielt er für das 2001 erschienene Buch den National Book Award. Philbrick, seines Zeichens Nantucketer, Segelfreak, Direktor des Egan Institute of Maritime Studies und Mitglied der Nantucket Historical Association, stellt die Geschichte in ihren wirtschaftlich-historischen Kontext. Er zeichnet fundiert und mit Liebe zum Detail das Bild der neuengländischen Walfangregion und der Nantucketer Gesellschaft jener Zeit und sortiert das Schicksal der Essex da hinein. Außerdem nutzt er – eine kleine Sensation – eine weitere Quelle des Ereignisses: das erst 1980 entdeckte Notizbuch des Schiffsjungen der Essex, Thomas Nickerson.

Zu dem gibts hier jetzt nix mehr, sondern vielleicht gelegentlich ein Update. Wie auch zu anderen Dokumenten um den Schiffsuntergang, dem sogenannten Paddack Letter beispielsweise, der die Rettung des zweiten Walbootes erhellt. Oder zu den Tagebuchaufzeichnungen der englischen Missionare Tyerman und Bennet, denen Kapitän Pollard irgendwo in der Südsee seine Geschichte erzählte. Weil – juchhei, was findet man nicht alles bei der ganzen Moby-Dick-Kramerei – in der aktuellen englischsprachigen Ausgabe des Chase-Buches bei Penguin Classics The Loss of the Ship Essex, Sunk by a Whale sind diese und noch weitere und sogar die Melvilleschen Randbemerkungen enthalten. Weil, was noch viel besser ist, das Büchlein sich grad aus U.K. in mein Melvillealien-bestücktes Bücherregal aufgemacht hat, jahaaa.

Owen Chase, Der Untergang der Essex, Verlag Hanse, Europäische Verlagsanstalt eva by Elke

So, und um die Schiffbruch-Odyssee zu Ende zu bringen, nu aber nochmal ein paar (Schiffs)Nägel mit Köpfen:

Kurz nach der Flaute vom 15. Dezember landeten die Seeleute auf einer kleinen Insel mit Trinkwasser und Essbarem, die heute Henderson Island heißt und von den Männern damals irrtümlich für das Nachbareiland Ducie gehalten wurde. Dort ließen sie drei ihrer Kameraden auf deren ausdrücklichen Wunsch zurück. Dass auch die gerettet wurden, erfuhr unser guter Chase erst, als sein Buch längst erschienen war.

Den anderen Mitgliedern der Crew stand das Schlimmste noch bevor: Die Boote wurden in einem Sturm getrennt und fanden nicht wieder zueinander, eines von ihnen fand vermutlich vollends aus dieser Welt – es ward nie wieder gesehen. Die Strapazen – widrige Winde, zur Neige gehende Rationen und einsetzender Wahnsinn – wurden unermesslich und sind menschlicher Vorstellung nicht zugänglich. Am Ende tranken sie den eigenen Urin und aßen das Fleisch ihrer gestorbenen Leidensgefährten. Und doch überlebten fünf von ihnen: Chase, Thomas Nickerson und Benjamin Lawrence wurden am 18. Februar vor der Küste Chiles von der Indian gerettet. Im Boot des Kapitäns Pollard inszenierte sich indessen noch eine Extratragödie: Ein Kamerad wurde ausgelost und erschossen, um den andern als Nahrung zu dienen. Die beiden Überlebenden nahm am 23. Februar die Dauphin an Bord.

Käpt’n Pollard erlitt auf seiner nächsten Reise einen weiteren Schiffbruch und fuhr nie wieder zur See. Melville traf ihn, einen stillen, bescheidenen und von Schuldgefühlen geplagten Mann, der inzwischen in Nantucket als Nachtwächter arbeitete, 1852 bei einem Besuch auf der Insel. Seine Sympathie für ihn war unverhohlen. Jahre später, selbst längst ein bescheidener Zollinspektor, setzte er ihm in ein paar Zeilen seines Poems Clarel (1876) ein Denkmal:

Nie lächelte er;
Rief man ihn, kam er;
nicht bitteren Geistes,
demütig und versöhnt;
Geduldig war er, widersetzte sich keinem;
Oft versank er in Gedanken an etwas Geheimes.

Deutsch von Rainer G. Schmidt, 2006.

Owen Chase hingegen wurde ein erfolgreicher und angesehener Walkapitän.

Auf seiner letzten großen Fahrt klagte er jedoch über Kopfschmerzen. Ursächlich waren dafür wohl die Qualen, die er nach dem Schiffbruch der Essex durchgemacht hatte. Zwar lebte er nach seiner Pensionierung im Februar 1840 noch viele Jahre, doch die Kopfschmerzen peinigten ihn weiter. Zunehmend plagte ihn auch zum Ende seines Lebens die Furcht vor dem Verhungern. Dies führte unter anderem dazu, dass er auf dem Dachboden seines Hauses Hartkekse und andere Lebensmittel hortete. Am 7. März 1869 starb er im Alter von siebzig Jahren.

Nachwort von Iola Haverstick und Betty Shephard
in: Owen Chase: Der Untergang der Essex, Seite 137 f.

Bilder: Thomas Nickerson für Wikimedia Commons;
Nantucket Historical Association für PBS Ocean History;
Ellen Warner für Random House;
Elke.

Lied: The Pogues: Greenland Whale Fisheries aus: Red Roses For Me, 1984.

Written by Wolf

20. December 2008 at 12:02 am

Posted in Krähe Elke

Happy Christmas your arse, I pray God it’s our last (and the bells were ringing out for Christmas day)

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Update zu Das heldische Leiden an der Welt:

I went out playing the afternoon around the block got lost, so busy telling all the other kids a fairy tale of New York. That my real father was a tycoon and my mother a princess…

James Patrick Donleavy: A Fairytale of New York, 1973

‘Round yon virgin mother and Child,
Holy infant so tender and mild,
Sleep in heavenly peace,
Sleep in heavenly peace.

Wann immer jemand außerhalb der Weihnachtszeit — was immer noch zwischen erstem Advent und Mariä Lichtmess bedeutet — ein Weihnachtslied singt, stirbt ein Mitglied seiner Familie, wie man von Herbert Rosendorfer weiß.

Nachdem mein pausenloser Versuch gescheitert ist, meine Familie auszurotten, indem mich seit 1987 ganzjährig A Fairytale of New York aus der If I Should Fall From Grace With God begleitet, stehe ich selbst unter Lebensgefahr: An dem Lied entwaffnet mich immer noch und immer wieder die Manier, Weihnachten anhand wüster Beschimpfungen als Wechselgesang zu feiern, das erinnert mich an meine Kindheit — und The Ghosts of Oxford Street ist ein weitgehend verschollener Film. Wer kann so leben?

Das Lied heißt nach dem gleichnamigen Roman von James Patrick Donleavy von 1973, der wiederum nach dessen eigenem Theaterstück von 1961 heißt. Die Melodie ist von Marcia Farquhar inspiriert und musste ein paar Jahre auf kleiner Flamme köcheln, bis Shane MacGowan aus ihr machen konnte, was sie ist. So durchschaubar, so gut.

Der Film jedoch stammt erst von 1991, das ist praktisch vorgestern. Der Regisseur Malcolm McLaren hatte die Finger in den Soundtracks zum zweiten Kill Bill und der Coppolaschen Marie Antoinette, was verdienstreich scheint, aber nicht für den obermegaschimpansentittenspitzengeilen Ruhm reicht. Aber schaut doch den Soundtrack zur Oxford Street mal an!

Belegt sind genau zwei Ausschnitte: einer mit dem o.a. Fairytale of New York — wie es sich gehört, vom einzig wahren und echten, schon zahnlos geborenen Shane MacGowan von den Pogues –, einer mit Stille Nacht — von Sinéad O’Connor.

Das ist als Besetzung für eine britische Fernsehproduktion über windige 56 Minuten Hammers genug. Die Handlung bezieht sich, wie der Titel nahelegt, auf Charles Dickens, entsprechend ist der Film als viktorianischer Kostümschinken aufgemacht: ein Musical aus zweitverwendetem Musikmaterial über den 200. Geburtstag einer Londoner Einkaufsstraße. Es existiert weder auf Video noch DVD, nur den Soundtrack gibt’s — mit dem Regisseur, den Pogues in Variationen, Charles Brown und, irgendwas ist ja immer, Tom Jones.

Dabei hätten wir in dem Film die einmalige Gelegenheit, Kirsty MacColl, MacGowans Duettpartnerin, in ihrer einzigen anständigen Filmrolle zu erleben. Sie war noch in drei Folgen French and Saunders, ansonsten Musikerin. Sie verfügte über eine ganz unwahrscheinliche Nashville-Röhre und eine Bühnenangst, die sie auch als anerkannte Singer-Songwriterin nie so richtig überwand.

Heute vor acht Jahren, am 18. Dezember 2000, riss sie ihren Sohn beim Baden in gefährlichem Gewässer vor Cozumel bei Mexiko aus der Fahrbahn eines Motorboots und rettete ihm unter Einsatz ihres eigenen das Leben. An den Verletzungen, die sie sich dabei zuzog, starb sie mit ihren zarten 41. Als Mutter soll sie wirklich hingebungsvoll gewesen sein.

Der steuernde Matrose zahlte den Schnäppchenpreis von 1034 Pesos für fahrlässige Tötung.

Das Verfahren schwebt.

Am südlichen Eingang zum Londoner Soho Square steht eine Parkbank zu ihren Ehren, wegen An empty bench in Soho Square/If you’d have come you’d have found me there. Hätten sie mal lieber eine DVD von Oxford Street gemacht.

Shane MacGowan behilft sich bei seinen verbleibenden Live-Aufführungen mit Katie Melua.

Weihnachtslieder außerhalb Weihnachten und Badeurlaub außerhalb der Sommerferien, das geht nicht gut.

Das Musikmaterial:

Written by Wolf

18. December 2008 at 12:01 am

Posted in Moses Wolf

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #10

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Song: Joseph Arthur: The Coast of High Barbary (4:02 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Snappy redhead: Tyson for Dark Casket.

Lyrics:

There were two lofty ships from Old England came,
Blow high, blow low, and so sailed we.
One was the Prince of Luther and the other Prince of Wales,
Cruising down along the coast of High Barbary.

“Aloft there, aloft,” our jolly boatswain cried,
Blow high, blow low, and so sailed we.
“Look ahead, look astern, look the weather, look a lee,
Look down along the coast of High Barbary.”

“There’s naught upon the stern, there is naught upon the lee,
Blow high, blow low, and so sailed we.
But there’s a lofty ship to windward and she’s sailing fast and free
Down along the coast of High Barbary.”

“Oh hail her, oh hail her,” our gallant captain cried.
Blow high, blow low, and so sailed we.
“Are you a man of war or privateer or merchant ship?” said he,
Cruising down along the coast of High Barbary.

“I am not a man of war or privateer,” said he,
Blow high, blow low, and so sailed we.
“But I’m a salt sea pirate a-lookin’ for my fee,
Down along the coast of High Barbary.”

For broadside, for broadside a long time we lay,
Blow high, blow low, and so sailed we,
Until the Prince of Luther shot the pirate’s mast away
Down along the coast of High Barbary.

For quarter, for quarter those pirates then did cry.
Blow high, blow low, and so sailed we.
But the answer that we gave them, we sunk them in their sea,
Cruising down along the coast of High Barbary.

Explanatory liner notes by ANTI-:

High Barbary was the romantic name of the once highly dangerous Riff Coast of North Africa, home of the dreaded Barbary Pirates. Also known as Corsairs, these often state-sponsored pirates preyed on European shipping for over 300 years. This song, sometimes used as a chantey, has many versions. All of them end with the pirates’ demise.

Written by Wolf

15. December 2008 at 2:01 am

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Bangs and a Hairbrush († December 11, 2008)

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Update for Red Moby:

I was not trying to be shocking, or to be a pioneer. I wasn’t trying to change society, or to be ahead of my time. I didn’t think of myself as liberated, and I don’t believe that I did anything important. I was just myself. I didn’t know any other way to be, or any other way to live.

Betty Mae Page

Los Angeles Times: Pinup queen Bettie Page dies at 85, December 12, 2008.

Written by Wolf

13. December 2008 at 12:48 pm

And it will be the last thing I do.

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Update zu Walgesänge mit Begleitung
und Who pays the piper calls the tune:

Es war eine schöne Zeit: Das Erlanger Radio Downtown brachte Regionalcharts nicht als subventionierte Alibinische für Sonderlinge, sondern nahm Musiker aus Franken ernst, aber nicht so arg. Die besten klangen irgendwie irisch, man wollte schon an eine Wesensverwandtschaft zwischen Nürnbergern und Dublinern glauben (und haben Sie mal die Phonetik der Idiome verglichen…?). Bonny Glee, Fiddler’s Green, Marginal Prophets, Merlons of Nehemiah — oder Carson Sage and the Black Riders.

Es gibt Beweise dafür, die allerdings niemand kennt, dass Carson Sage and the Black Riders Deutschlands erste Fun-Punk-Band waren. Auch sonst sind Anfang bis Mitte der 1990er Jahre allerhand Fragen offen geblieben. Zum Beispiel, wer denn dieser Carson Sage ist. Darum hat sich die Band 2007 leicht modifiziert wieder zusammengetan, um sich quasi selbst zu covern: Es gibt jetzt What about Carson.

In dieser Form klingen sie weitgehend wie früher, was für alte Nürnberg-Fürth-Erlanger Independent-Haudegen sehr herzerwärmend klingt, auch wenn die Besetzung wegen der Unruhe der Lebensläufte gewechselt hat. Heute machen das Edda Russ (Gesang, Heimorgel), Dietrich Pfund (Gitarre, Schlagzeug) und Andreas Linus Steinert; ausgefallen sind Manne, Frank und Peter. Insgesamt etwas ruhiger als die alten Carson Sage, handwerklich ausgereifter, und neue Lieder wachsen hinzu. Tim O’ Reagan und Flogging Molly waren mit ihnen als Vorband schon ganz glücklich.

Eins der Lieder, die sie damals wie in ihrer wiederauferstandenen Form spielen, ist Courier. Das ist auch nützlich, weil es von der Great Music in Stereo 1995 gerade mal tausend Exemplare gab. Formal fällt es wohl unter die Balladen. Die Melodie bildet geradezu den Idealfall eines Erzählbogens: will einfach nicht zu Ende kommen; es könnte quälend sein, wenn es nicht so schön wäre. Wenn sie schließlich doch noch von hinten wieder nach Hause kehrt, fühlt man sich richtig erleichtert. Wer braucht Sex, wenn er so ein Lied haben kann?

Obwohl die letzte keine der relevanten Fragen ist, die sie beantworten werden, sind What about Carson ein ausgesprochen zu- und umgänglicher Haufe, allen voran die bezaubernde Edda mit der Gebirgsbachstimme. Am 23. Dezember 2008 spielen sie in der Kofferfabrik (Lange Straße 81 in Fürth, 21.00 Uhr, fünf Euro Eintritt) und am 26. in der Gostenhofer Schanzenbräuwirtschaft (Adam-Klein-Straße 27 in Nürnberg, 21.00 Uhr, Eintritt frei). Sie kommen doch auch?

Written by Wolf

11. December 2008 at 3:17 am

Posted in Mundschenk Wolf

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #9

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Capstan shanty. Earliest known reference in the logbook of the Nellie of 1796 (though a ballad by the same name, registered in England December 14, 1624 with the Stationers’ Company, may also be related to it). Opening Chapter 40: Midnight, Forecastle of Moby-Dick.

Song: Bill Frisell: Spanish Ladies (2:22 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: William-Adolphe Bouguereau: Femme Coquillage, 1885.

Lyrics:

Farewell and adieu to you, Spanish Ladies,
Farewell and adieu to you, ladies of Spain;
For we’ve received orders for to sail for old England,
But we hope in a short time to see you again.

Chorus: We will rant and we’ll roar like true British sailors,
We’ll rant and we’ll roar all on the salt sea.
Until we strike soundings in the channel of old England;
From Ushant to Scilly is thirty five leagues.

We hove our ship to with the wind from sou’west, boys
We hove our ship to, deep soundings to take;
‘Twas forty-five fathoms , with a white sandy bottom,
So we squared our main yard and up channel did make. — Chorus.

The first land we sighted was called the Dodman,
Next Rame Head off Plymouth, off Portsmouth the Wight;
We sailed by Beachy, by Fairlight and Dover,
And then we bore up for the South Foreland light. — Chorus.

Then the signal was made for the grand fleet to anchor,
And all in the Downs that night for to lie;
Let go your shank painter, let go your cat stopper!
Haul up your clewgarnets, let tacks and sheets fly! — Chorus.

Now let ev’ry man drink off his full bumper,
And let ev’ry man drink off his full glass;
We’ll drink and be jolly and drown melancholy,
And here’s to the health of each true-hearted lass. — Chorus.

As featured in Roy Plamer (ed.): The Oxford Book of Sea Songs, 1986,
given with annotations in Wikipedia.

Written by Wolf

8. December 2008 at 5:02 am

Posted in Siren Sounds

Die Verschollenen zur See singen ein Lied zum Weihnachtstag.

with 6 comments

Update zu !מזל טוֹב:

Anfang Januar war klar, was die Platte des Jahres wird. Da erschien die Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon von Get Well Soon. Allein das Veröffentlichungsdatum war schon ein Wahn — und dann noch das Repertoire aus luxusdepressiven Hymnen, als die Zielgruppe Weihnachtslieder über hatte. Dabei sollte Konstantin Gropper, Kopf und Kehlkopf der Kapelle, es besser wissen, der hat nämlich ein Examen von der Popakademie Baden-Württemberg und versteht sich bestimmt trefflich auf die Kontrapunktik des Elektrobasses, Historie der südamerikanischen fünfsaitigen Holzschlaginstrumente unter besonderer Berücksichtigung der [hier irgendwas weblogtypisch Oberskurriles einsetzen] und das Dirigieren eines Hausfrauenchors. Was erringt man dort eigentlich für einen Abschluss? Dipl. zupf. blas. et hau.? Nur in Product Release Timing hat er gefehlt, das spätbarocke Wunderkind. Für die Flops von Wim Wenders lässt man sich nicht ungestraft protegieren, wenn man als Hauptinstrument Symphonieorchester gelernt hat. Was reden wir: Das Ding funktioniert auch außerhalb von Weihnachten, macht mit seinem ganzen Weltschmerz aus Kissenseide und Sofabrokat grinseglücklich und ist gar nicht die Platte des Jahres, sondern der 2008er Alltime-Klassiker. Denken Sie in zwanzig Jahren an meine Worte.

Das Pathos von Liedern mit bedeutungsschwerem Walgesang und unheilschwangerem Echolot als Melodieträger war ab Ludwig Hirsch 1991 bis Smoke City 1997 ausgereizt, darum ist Listen! Those Lost at Sea Sing a Song on Christmas Day auf der Normalversion ihres bisher leider einzigen Longplays gar nicht drauf, nur auf der weihnachtlichen EP-Erweiterung Songs Against The Glaciation. Außerdem, das verlautbare ich jetzt einfach so unbefugt, ist es genau das Video, für das Youtube kürzlich auf Breitwandformat umgestellt hat. Keine halben Sachen jetzt: Lautsprecher auf und Vollbild bitte:

Ihre Beschäftigung fürs Restnikolauswochenende: Widersprechen Sie mir! Finden Sie Get Well Soon doof und eine dekadente Streberklasse voll oscar-wilde-geschniegelter Zierbengel (“Hallo? Hilfe, Alder, das is doch sowas von deutsch!”), verteilen Sie Ihre eigenen Privatgrammys und ersparen Sie sich glühweinbasierte Rauschzustände. Vielleicht nehm ich dann auch Herrn Melville die entwürdigende Betty-Page-Mütze wieder ab.

Weiterhören:

[Edit:] Eine Erwähnung findet das propagierte Lied auch in der Indiepedia: nämlich unter Songtitel, die inklusive Leerzeichen länger als 50 Zeichen sind, was auf eine Aktion im Spreeblick zurückgeht. Genau da sollte man Lieder von Get Well Soon auch zuerst suchen, heiße Anwärter auf viele Buchstaben mit allenfalls metaphysischem Bezug zum Restlied sind die alle. [/Edit]

Written by Wolf

6. December 2008 at 12:01 am

Posted in Moses Wolf

Capturing Lafontainitis

with 2 comments

Unsere verdiente Gastautorin Constanze lässt nicht nur finden, sondern sogar suchen. Ihr Suchmich im November beinhaltet neben anderen Schätzen folgende Auszüge. Niemand konnte ernsthaft bezweifeln, dass Moby-Dick™ die klauen und dann noch kürzen muss:

Cohu

Donnerstag, 27. November 2008 um 14:44 Uhr

kapitän ahab liberalismus kapitalismus
Sorry, da muss ich passen. Vielleicht fällt den Experten was dazu ein. Ahab scheint jedenfalls nicht in erster Linie aus Gewinnerzielungsabsicht zu handeln. Außerdem geht er samt Anhängerschaft mit fliegenden Fahnen unter. Sehe da eher Parallelen zum Kommunismus.

Wolf hat am Montag, 1. Dezember 2008 um 02:35 Uhr gesagt…

Es hört grade auf, aktuell zu sein, aber Kapitän Ahabs politische Bezüge sind eher als gleiche Krankheit bei dem illiteraten Weltpräsi mit dem Pflanzennamen: Call Me Bushmael: George W. Contracts Ahab-itis, nochmal beim Cruel Animal belegt. Kapitalistisch kann ich das nicht finden, der Mann versemmelt anderer Leute Produktionsmittel ja mit aller Gewalt, und liberal schon gleich gar nicht. Fällt Zynismus eigentlich schon unter die politischen Ausrichtungen?

cohu hat am Montag, 1. Dezember 2008 um 10:12 Uhr gesagt…

Ah, sehr interessant, danke für die Expertise!
(wobei man einschränkend zum Ahab-Bush-Vergleich sagen muss, dass Bush nach eigenen Angaben jeden Tag 9 Stunden schläft. Da fehlt irgendwie vollständig das Ahabsche Sich-Quälen…gut, warum sich selbst quälen wenn man auch andere waterboarden kann)

mars hat am Mittwoch, 3. Dezember 2008 um 10:09 Uhr gesagt…

Ich denke die ganze Ahab-Geschichte ist vielleicht eine Parabel auf die Geschichte des revolutionären europäischen Kapitalismus (falls man davon sprechen kann. wenn nicht, dann einfach “europäischen Kapitalismus”).

Ahab, Sohn aus gutem Hause, entschließt sich, alle Grenzen zu durchbrechen und aufs Meer zu gehen. Eine aggressive Urkraft treibt ihn dazu, Tiere zu jagen. Viele Menschen sterben für ihn.

Europa, Tochter einer jahrhundertelangen protektionnistischen Adelsherrschaft (inkl. Louis XIV), beschließt, die Grenzen der nationalen Souveränität zu durchbrechen und die Regeln des internationalen Warenaustausches zu liberalisieren. Hierbei entspringt eine entfesselte Urkraft, die viele Menschen ins Unglück stürzt (viele sterben im Krieg für ihre Ideale).

Einziger Unterschied: in der zweiten Version ist der Ausgang bisher offen. Wer Europas Kameraden sind, und ob sie sterben werden, ist genauso offen wie die Frage, ob Europa selbst den freien Markt überlebt.

mars hat am Mittwoch, 3. Dezember 2008 um 14:42 Uhr gesagt…

freunde, das rätsel ist gelöst.

zitat reinhard mohr:

Aber so ist er, der Kapitalismus. Am Ende wird er auch noch den Oskar-Lafontaine-Komplex schlucken wie der weiße Wal den Käpt’n Ahab.”

Selbst wenn man ausnahmsweise nur so Mittelrecht hatte, möchte man vergehen vor Schönheit und Harmonie der Beweisführung.

Moby Dick Whale Meat for Pets, by kqedquest, 1. März 2007

Bild: “Moby Dick” Pet Food by kqedquest, 1. März 2007.

Written by Wolf

4. December 2008 at 4:37 am

Posted in Rabe Wolf

Campinos Tante

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Update zu Absurd and Nonprofit:

Ich habe mich in meinem ganzen Denken den Toten Hosen immer sehr verwandt gefühlt.

Else Stratmann-Heidenreich, August 2006.

Elke Heidenreich 1972Internetvolk hat eine Aufmerksamkeitsspanne von annähernd 28 Minuten? Wenn sich das durchsetzt, hat Ranickel vielleicht nicht ganz umsonst über das rumgemosert, worüber unsereins schon das Augenrollen zu anstrengend findet. Ist ja sein Rentnerhobby, dreinreden will ihm schon gleich gar niemand, seinen Fernsehpreis hat er ja dann doch noch mitgenommen, und die Heidenreichsche wird auch nicht gleich auf Hartz 4 kommen.

Else Stratmann selig wird wieder moderieren gelassen — etwas dérangée sieht sie dabei aus — und der Drei-Goschen-Opa Campino kann lesen. Das alles mag man begrüßen oder nicht, aber eine Titelmusik von Element of Crime ist ja schon mal ein ordentlicher Anfang. Also: Gucken.

War nicht mal die Rede davon, dass bei der Guten unser aller Lieblingsbuch von Christian Brückner vorgelesen wird? Kennt jemand Aufzeichnungen davon? Das wär mal ein Fernsehereignis seit der Erstausstrahlung von Pippi Langstrumpf.

Bild: Elke Heidenreich 1972: Freunde de Hauses der Toten Hosen, August 2006.

Film: Die Toten Hosen: 3 Akkorde für ein Halleluja auf Video, 1989, featuring Elke Heidenreich.

Written by Wolf

3. December 2008 at 1:54 pm

Posted in Moses Wolf

What Would Jesus … erm … Think?

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What could be more extreme than crucifixion and resurrection? Well, maybe listening to the Van Warped Tour CD while eating EXTREME™ Fruit Snacks, grinding mean slopes on my snowboard with guitar in hand playing insane solos using only my teeth, with my EXTREME™ Teen Bible while fighting against the system and being a true revolutionary like Jesus, but resurrection comes close in extremeness. If it was anymore EXTREME™, we’d call it the Koran.

Man A in Amazon.com, September 10, 2005

What do we care reading fat books about fat fish (with nobody taking any pity on Chapter 34), when we can have the real McCoy in EXTREME™?

An extreme Bible for an extreme generation. For the less extreme kids out there: NKJV means New King James Version (1979 et seqq.). Remember Jesus’s birthday jamboree coming up! Be good!

Soundtrack: Violent Femmes: Jesus Walking on the Water, from: Hallowed Ground, 1990.

Written by Wolf

2. December 2008 at 2:28 am

Posted in Meeresgrund

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #8

with one comment

Song: Robin Holcomb: Dead Horse (2:55 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: Isolated Instances of Non-Gravity: Darling, January 21, 2008.

Lyrics:

1. Poor old man came ridin’ along
And we say so,
And we hope so.
Poor old man came ridin’ along,
Poor old man.

2. Well poor old man your horse he must die.

3. Well thirty days have come and gone.

4. And now we are on a good month’s pay.

5. So give them grog for the thirtieth day.

6. Then up hail ox to the old main yard arm
And we say so,
And we hope so.
Then cut him drip and do him no harm,
Poor old man.

Explanatory liner notes by ANTI-:

A highly revered tradition on early sailing ships was the ceremony of “paying off the dead horse”. Merchant sailors typically received their first month’s pay in advance. Thus, it was not until after the first 30 days of a voyage that new wages were being earned. A canvas horse effigy was dragged across the deck, hoisted to the main yardarm to this chantey, and dropped into the sea.

Written by Wolf

1. December 2008 at 12:01 am

Posted in Siren Sounds