Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for May 2009

Das Hörbuch als Video: Kapitel 23: Die Leeküste

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Update zu Kapitel 22: Frohe Weihnacht:

Das 23. Kapitel (3:51 Minuten) ist fertig.

Videobild: Ralph Preston hat Bulkington aus Moby-Dick 1990 ans Steuer in seinem Modell des Walfängers Charles W. Morgan 1840 gestellt. Buddelschiff 72 Liter, Durchmesser 55,88 Zentimeter, 11 Figuren, 7 Walboote, detailgetreue Takelage, 8000 Arbeitsstunden über 13 Jahre verteilt. Heute: Technisches Museum Berlin, für eine unbekannte Summe.

Natalie Haas on Celloes

Bild: Natalie Haas.
Copyright Lesung: marebuchverlag Hamburg, 2007,
Sprecher: Christian Brückner;
Copyright Übersetzung: Zweitausendeins Frankfurt/Main, 2006;
Buch mit 2 .mp3-CDs kaufen.

Written by Wolf

27. May 2009 at 12:01 am

Posted in Siedekessel

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #29

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Song: Akron/Family: One Spring Morning (5:25 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Official band site; song playlist.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: Playboy via Never Sea Land.

Lyrics:

It was one morning in the spring
I went on board to serve the king,
I left my dearest dear behind,
Who often times told me her heart was mine.

When I came back to her father’s hall
Inquiring for my jewel
Her cruel father this reply
Her momma says if you deny

Oh she has married another man
A richer man for all his life
A richer man for all his life
And he has made her his lawful wife

Oh God curse gold and silver too
And all false women who won’t prove true
For some will take and then will break
All for the sake of richery

Oh stop young man don’t talk too fast
The fault is great but none of mine
The fault is great but none of mine
Don’t speak so hard of the female kind

If I had gold you might have part
As I have none you’ve gained my heart
You’ve gained it all with a free good will
So keep my vows and hold them still

Since hard fortune around me frowns
I’ll sail this ocean round and round
I’ll sail this ocean until I die
I’ll quit my ways on the mountain high

Explanatory liner notes by ANTI-:

Whenever sailors go to sea, they risk the loss of everything left behind. Those left onshore wait with the uncertainty of when or whether the sailor will return. Sometimes, as in this British Isles ballad, they don’t wait.

Internal news: Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #9, the Spanish Ladies song by Bill Frisell, has been equipped with a censored image as well to become G-rated in Youtube’s eyes. Shame over William-Adolphe Bouguereau, 1885.

Written by Wolf

26. May 2009 at 12:01 am

Posted in Siren Sounds

München am Meer III: Der größte Buchladen Deutschlands

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Update zu Kaufen und Flachlegen
und Alles Übersetzungsfrage:

Hugendubel München, Marienplatz: Maritimer Büchertisch, April 2009.

Herman Melville: Moby-Dick; oder: Der Wal. Deutsch von Friedhelm Rathjen, erstmals in einer deutschen Ausgabe mit allen 269 Illustrationen von Rockwell Kent, herausgegeben von Norbert Wehr. Im Anhang ein Essay von Jean-Pierre Lefebvre über “Die Arbeit des Wals”, zeitgenössische Dokumente aus dem Quellgebiet des Romans, u.a. von Owen Chase und Jeremiah Reynolds, ferner Melvilles Essay “Hawthorne und seine Moose” sowie sieben Briefe an Sophia Hawthorne und Nathaniel Hawthorne. Zweitausendeins Verlag 2004; hier: mit vollständiger Lesung von Christian Brückner auf zwei .mp3-CDs im marebuchverlag, 2007.

(Und ins Bild gedrängelt: Julien Green: Erinnerungen an glückliche Tage, Hanser 2008.)

Written by Wolf

24. May 2009 at 12:01 am

Posted in Fiddler's Green

München am Meer II: Captain’s Saloon

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Update zu Captain’s Blues:

Captain’s Saloon, Westenrieder Straße 31, München:
Nautik, Technik, Sport, Silber, Glas, Grafik — und “gefahrene” Schreibtische!

Written by Wolf

23. May 2009 at 12:01 am

Posted in Fiddler's Green

München am Meer I: If You Miss Me on the Harbour

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Update zu If You Miss Me on the Harbour,
The Poet, the Physician, the Farmer, the Scientist (My Antediluvian Baby)
und Ihr seid so gut:

Idealausguck aufs Kaufhaus Karstadt Oberpollinger vom Stachus aus.

If you miss me on the harbour
for the boat it leaves at three
take this snake with eyes of garnet
my mother gave to me.

Shane MacGowan and the Popes: The Snake With Eyes of Garnet, aus: The Snake, 1994.

Written by Wolf

22. May 2009 at 12:01 am

Posted in Fiddler's Green

Guardian of public virtue came ridin’ along

with 7 comments

Das muss ich jetzt erzählen: Endlich hab ich auch mal gegen die Community-Richtlinien von Youtube verstoßen. Ich bin böse, jaaaaa!

Jemand oder etwas nahm Anstoß daran, dass mein Video zu Robin Holcomb: Dead Horse nackte Frauenbrüste zur Schau stellte. Schlimmer noch: Jungfrauenbrüste! Ja, Seejungfrauenbrüste, wenn nicht gar noch Meerjungfrauenbrüste!

Selbstverständlich hat jemand oder etwas vollinhaltlich Recht. Wenn ich meiner zwölfjährigen Tochter in meinen bevorzugten Weltgegenden die Tiere des Waldes zeigen wollte und da hupft eine Seejungfrau hinterm Busch hervor und hängt die Hupen raus, so würde ich sie zur Ordnung rufen — die Seejungfrau, nicht meine Tochter. Vor allem so hässliche Hupen wie die, welche Herr oder Frau Isolated Instances of Non-Gravity für die Collage Darling vewendet hat.

Bei dieser grandiosen Schweinigelei von Good Ship Venus konnte man vorher so schlau sein und dem offenbar gerade gestern volljährig gewordenen Mädel züchtig die Bikinizonen verhüllen; noch böser als Ausdrücke wie “Hupen raushängen” zu verwenden und überhaupt zu wissen, was “Spreizbildchen” sind (schuldig geworden am 1. April 2009), bin ja nicht mal ich. In nimmermüdem Einsatz für unsere Leser wurde deshalb das Video selbstverständlich umgehend durch eine entschärfte Version ersetzt.

Gegen mein Youtube-Konto wurde eine Warnmaßnahme gemäß den Community-Richtlinien ergriffen, die in sechs Monaten abläuft. Weitere Verstöße können dazu führen, dass ich vorübergehend keine Inhalte mehr in YouTube posten darf bzw. mein Konto gekündigt wird. Youtube-Feind Nr. 1 — der sowieso andauernd dafür notorisch wird, dass er Videos von Element of Crime aufzurufen versucht, die für “mein Land” nicht verfügbar sind. Gut, dass wenigstens Moby-Dick™ seit 2007 R-rated ist, was in Deutschland einer Freigabe ab 16, in den USA sogar ab 17 Lebensjahren entspricht. Und außerdem bin ich neugierig, ob ich jetzt auch so viele Suchanfragen für “hässliche Hupen” wie bisher für “sexy Zehen” reinkrieg.

In diesem Sinne: Eleni Mandell: Afternoon, aus: Afternoon, 2004, die jugend- und hupenfreie Collage aus wenig Meer und viel Country.

[Edit:] Wir könnten auch anders. [/Edit]

Written by Wolf

19. May 2009 at 4:50 am

Posted in Kommandobrücke

Ja, wie gesagt, sie war ja noch so jung

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Update zu Melville total versaut:

Aus der Reihe “Verschollene Preziosen, unterdrückte Genies und schwule Seemänner”: Ulrich Roski.
Wiki, Website (gebaut von Sven “Daily Ivy” Knoch).

Des Schleusenwärters blindes Töchterlein, 1972;
durchsetzt mit Fachausdrücken aus der Binnenschifffahrt; Klavierversion.

Aus: Das macht mein athletischer Körperbau, 1971.
(Hätte gestern zum 17. Mai noch besser gepasst, aber jetzt haben Sie ihn 40 Jahre lang nicht gekannt.)

Written by Wolf

18. May 2009 at 2:58 am

Posted in Wolfs Koje

Save my soul but bring your toys

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Schon wieder ein Update zu Country Mermaid
(und nebenbei zu And it will be the last thing I do):

(Muss leider sein, außerdem wird’s nach unten zu spannender.)

Die Geschichte fängt an, wie seit den aristotelischen Poetiken des Barocks keine Geschichten mehr anfangen sollten: Ich lag im Bett und wachte mit einer Textschleife im Ohr auf. Wahrscheinlich schwebte ich sogar im dramaturgisch hilfreichen Ausnahmezustand eines Urlaubs, in dem man sich auf den Haupthandlungsstrang beschränken kann.

In groben Zügen hörte sich der Text schon so an, wie der aufmerksame, treue Moby-Dick™-Leser ihn kennt. Zur Erinnerung:

R.: Cowgirl is yearning
Mermaid is burning
Cowgirl is dreaming
Mermaid is screaming.

1. Cowgirl went the stormy sea to look
Mermaid showed her how the country shook
Cowgirl tried a big ship out without her shoes
Mermaid can’t take boots on but she even got the blues. — R.

2. Cowgirl called the winds and gave no damn two cities drowned
Mermaid watched her heart break, as the third one died she frowned
Cowgirl rode the whale and watered the electric bull
Mermaid can’t take step by step to unbreak the rule. — R.

3. Cowgirl pushed three buttons and the sirens all went on
Mermaid pulled the sailors down their boats now three are gone
Cowgirl shot the sirens out but only hit the boys
Mermaid Mermaid save my soul but bring your toys. — R.

Der Trick daran ist: Ich will nicht entscheiden müssen, ob es darin um ein oder zwei Mädchen geht. Von mir aus sehen Sie’s als zwei Seelen, ach, in einer Brust oder zwei widerstrebende Mächte, denen die Jungs auf dem Meer ausgesetzt sind. Und hey, das Meer symbolisiert so ziemlich alles, oder was haben wir bei Melville gelernt?

Auf jeden Fall sind es ein oder zwei sehr reizvolle Mädchen — Cowgirls, Seejungfrauen, Sirenen und wie solche Grenzgängerinnen zwischen den Elementen alle heißen blicken auf eine enorme Fanbasis herab. Schon wenn man sie im banalen Leben antrifft, erkennt man ihre mythische Dimension; mich wundert niemand, der von ihnen gebeutelt wird. Für diese Country Mermaid(s) stelle ich mir jemanden zwischen Idgie Threadgoode und Amelia Earhart (nicht identisch mit Elli Pirelli) vor, womöglich, ich wette was, auch noch mit roten Haaren. Solche sind hinreißend und machen einen fertig. Der Text ist demnach in seinem Surrealismus höchst lebensnah.

Ein mythischer Text mit dem Zeug zum Volkslied also. Erst mal in den Weblog damit, dann kann man’s vorzeigen. In den Monaten, seit ich das Ding geschrieben hab, gab es Anwandlungen, da wollte ich nicht mal der Urheber davon sein. Dergleichen wächst auf den Bäumen, wabert in der Luft, lauert als Nährstoff im Essen (meistens in Bier) und manifestiert sich nur durch jemanden. Volkslieder haben keinen Urheber, außer juristisch vielleicht. Das macht es zum Folk Song, was ein bisschen anders definiert ist als das deutsche Konzept vom Volkslied, aber nahe dran.

Und sobald die ersten vergleichenden Exegeten ankommen, um vorzurechnen, dass Ladyhawke genau die selben Reimwörter für den Refrain auf Paris is Burning verwendet hat, will ich mich noch nicht mal auf Kryptomnesie hinausreden — sondern darauf hingewiesen haben, dass es um andere Themen und vor allem eine grundlegend andere Musik geht. Im Marketing sagt man: Das kannibalisiert sich nicht. Als ich oben, anfangs der Geschichte, mit der Textschleife im Ohr aufwachte, mag das Radio gelaufen sein, vielleicht hat sogar der Zündfunk Ladyhawke gespielt. Vor erstaunlich wenigen Jahrhunderten lebten mehrere literarische Genres davon, dass sich, o Wunder, Herz auf Schmerz reimt, da ist Yearning auf Burning noch lange nicht ausgereizt.

Näher besehen ist der Vierklang aus Yearning/Burning/Dreaming/Screaming sogar überraschend tragfähig: zwei defensive und zwei aktive Wörter, je eins aus jedem Reimpaar — die in dieser Reihenfolge geradezu alleinstehend eine Geschichte konstituieren. Das funktioniert in der Reihenfolge 1–3–2–4 ebenso logisch wie in 1–2–3–4, liegt sauber geflochten wie ein Zopf vor uns und trägt offenbar die Wahrheit selbst in sich. Wünschen wir Ladyhawke, dass wenigstens sie da selbst drauf gekommen ist.

Das ist der Refrain. Die drei Strophen fackeln eine atmosphärisch stimmige Geschichte ab, die dem Cowgirl nautische und der Mermaid erdverbundene Merkmale zuweist — so ist das gedacht. Das Mädchen, das zwei ist, richtet aus Neugier, aus Mangel an Vorsicht und Sorgfalt, vielleicht auch aus blankem Mutwillen, ihre Jungs zugrunde. Ihr Schiff kentert, zwei Städte versinken, so sind die nämlich. Drunter mach ich’s nicht.

Alles in diesem Lied ist 2, wenn nicht gar 2×2, wobei die Paarungen eher entzweit denn gebildet werden — alles voller Melvilleanischer Ambiguitäten, Dialektik und — typisch Mermaid: Widerspruch. Den What about Carson bin ich deshalb dankbar, dass sie auf diesen anthrazitfarbenen Text eine übermütig gut gelaunte Melodie gebastelt haben — so konterkarierend macht sie das Gebilde plastischer als mit redundantem Runterziehen. Text und Musik bilden das einzige Paar des Liedes, und das kabbelt mitsammen. Und es ist das, von dem man am meisten hat, so als Zuhörer. Toller Job, die Herrschaften Carson.

Auf Textverbesserungen werde ich aufmerksam und freundlich hören. Co-songwriting, anyone?

Die Illustration Remix hat Paperboatcaptain nach einem E-Maildialog aus dem Untertitel Melvilleanean Country Mermaid Heartbeat Remix gebaut. Mir entfällt, wie das im Oktober bis November 2008 zeitlich ineinandergreift, und was Paperboatcaptains Inspiration dabei war. Meiner Erinnerung nach hat sie zugängliche Momente und kann von interessierten Leuten sicher in einer Wortwahl, die ihr zusagt, danach gefragt werden.

Überhaupt der Untertitel: Die englische Wortbildung und Syntax gehen hier ineinander über und bilden je nach der Lesart, in der man Adjektive von Substantiven unterscheidet, eine andere Semantik (got it…?): Ist es ein Country Mermaid Heartbeat Remix, der Melvilleanean aussieht? ein Mermaid Heartbeat Remix aus einem Melvilleanean Country? oder doch der Heartbeat Remix einer Melvilleanean Country Mermaid? Englischlehrer, you tell me.

Ein zufriedenstellender Text, der bildgebend Verfahrende zu sehr ordentlichen Collagen inspiriert — zu schade, um ihn tonlos in einem Weblog vergammeln zu lassen. Für die Vertonung wünschte ich mir jemanden, der mindestens Country kann, Seemannslieder wären vermessen gewesen: Für sowas waren immer nur Shantychöre zuständig, die nach Heidi Kabel klingen, was sich erst im jüngeren Independent-Geschehen gebessert hat. Es fällt tatsächlich auf: Seit wir paar durchgeknallten Kulturnerds Moby-Dick™ betreiben, versteht sich plötzlich noch jemand anders als Freddy Quinn auf Seemannsromantik. Was dabei Ursache und Wirkung ist, will ich gar nicht so genau wissen.

Was machen eigentlich Carson Sage and the Black Riders? Von denen war ich im ausgehenden 20. Jahrhundert mal sehr angetan — für ein zahlendes Mitglied bei Radio Z und bekennenden Hörer des Erlangener Radio Downtown, es ruhe in Frieden, waren die mal schwer zu überhören. Die verstanden sich als erste Folkpunkband Deutschlands, und in die Sängerin Edda war damals über Nacht halb Franken verliebt, als sie auf den Regionalcharts mit ihrer Gebirgsbachstimme Garten Mother’s Lullabye trällerte. Ein Seemannslied hatten die auch, schon 1993: eine energische Version von Sally Brown. Letzte CD leider schon von 1995, aber klasse war die, für mich war die nie alt oder gar weg. Herrschaften, die wären’s.

Und siehe, als ob man drauf gewartet hätte, covern die sich seit 2007 selber als What about Carson. In leicht gewechselter Besetzung, aber die Verliebestimme — who the heck is Lucinda Williams? — und das charmante Gerotze sind immer noch da.

Edda, in jeder, auch öffentlichkeitsbetreuender Hinsicht, die Stimme der Kapelle, konnte sich mit dem Text anfreunden, und was soll man sagen: Country Mermaid hatte am 2. Mai 2009 in der Bamberger Blues Bar (kenn ich nicht, klingt aber ganz lustig) Uraufführung. Den ganzen Terz mit der Übermittlung von Vorabversionen aus den Bandproben — die Ärmsten arbeiten ja noch mit MiniDisc, was weder der Mixer noch der Roadie aus meiner Nachbarschaft nachvollziehen können — soll man erheiternd und belehrend auffassen. Ein Probenmitschnitt mit dem Handy klang wie durch zwei Türen aus der Besenkammer, dafür stehe ich heute in stolzem Besitz einer tollen, kaum je gebrauchten MiniDisc. Das Wichtige ist: Es hat Ohrwurmqualität und der Band gefällt’s.

Die Uraufführung hab ich verpasst, die zweiten Aufführungen werden aber erfahrungsgemäß sowieso immer die besseren — und die Sänger sind textfest geworden und verteilen die Silben geläufiger auf die Melodie, gell, Edda? Also eine Woche später auf zum Brauereifest des Schanzenbräu — abermals verwirrender Weise nicht auf dem Gelände der Brauerei zu Gostenhof, sondern auf dem der Nürnberger AEG, Halle 50. Das Bier soll laut Edda das beste Nürnbergs sein, was sich meiner lückenhaften Kenntnis des Expat entzieht, weil es das Zeug zu meiner Nürnberger Zeit noch nicht gab — was man aber allein daran erkennt, dass der Saitenhengst Linus neuerdings über dem Bräu wohnt: basisdemokratisches Indiebier für basisdemokratische Indiebands.

Wie’s war? — Schwer zu finden. Man konnte sich an ein paar anderen Versprengten orientieren, die aussahen, als ob sie dringend auf ein Brauereifest strebten, einer von ihnen kannte die Handynummer des Bruders vom Veranstalter und konnte uns fernlotsen lassen. Außerdem: der Parkplatz voller Oldsmobile, von denen die mitgeführte Wölfin begeisterter war als von der lauten Musik, die keiner versteht, Ford Thunderbirds, Pontiac Sunbirds, tiefergelegte Chevrolet Pickups und in welche Überbleibsel der Sechziger man sein Geld noch so reinhängen kann. Schwer, über die entspannten Beine der dazwischen lagernden Punks einen Weg zu finden, irgendwo dröhnte Musik. Das Lied erkannte ich: die letzte Strophe Country Mermaid. Pünktlich zum Schlussakkord (G7, glaub ich) stand ich vor der Bühne.

Edda schwitzte vor Hitze, Begeisterung und Schanzenbräu Rot und rief: “Ist vielleicht der Wolf da?”

Himmel, die meint mich. Ich winkte. Die Band winkte zurück. “Welcome, Mr. Melville!” rief Edda noch, dann spielten sie Red is the Rose mit einem hinreißend zweistimmig a cappella zusammengeschnulzten Intro und den alten Lyrics-Killer Heather on the Moor und noch eins und eins, das ich gar nicht kannte.

Und dann mussten sie räumen, hinterher wollten Smokestack Lightning rauf, schließlich waren die auf dem Event-Flyer am größten gedruckt. Jemand erbarmte sich und verlangte nach “Zugabe!”

Meine Stunde — in der sich endlich mal der Archos AV400 von 2004 bezahlt machte. Außer Backups behalten kann der nämlich auch Tonaufnahmen. Klingt fast so gut wie das bandeigene Handy (vielleicht sogar wie eine MiniDisc) mit dem Vorteil, dass man die Sounddateien, die drin sind, auch wieder rauskriegt. Und meinen Enkeln kann ich jetzt erzählen: Die Leute haben dazu getanzt.

Hinterher musste es schnell gehen, Pouty und Linus fingen eilig mit dem Abbauen an, kaum dass Edda den Sprung ins Publikum zu mir runter tun konnte. So hab ich sie aufgekratzt und euphorisch vom Spielen gekriegt — und ein hinreißend herzlich freundliches (und verschwitztes) großes Mädchen erlebt. Das Gegenteil von einer Zicke. Die Gebirgsbachstimme wohnt in einem Pfundshaus.

Gleich darauf deckte sich Getümmel darüber. Die Bandjungs riefen Edda zu sich, nach hinten raus die Schießbude verräumen, schnellschnell, wir kriegen alle nix geschenkt. “Ich komm gleich wieder!” versprach Edda noch, was die Wölfin dazu benutzte, mich am Hemdzipfel zu ziehen, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass es hier heiß, voll und stickig sei. Wer da widersprechen wollte. Die ebenfalls mitgeführte Welpin der Wölfin spendierte Holundersaft, Thunderbirds mussten bewundert werden, und dann war’s schon wieder so spät und ein langer Tag und wir auch nicht mehr die Jüngsten.

Nächstes Mal wird sich wohl ein genaueres Kennenlernen mit allen drei Carsons einrichten lassen, es sind noch nicht alle Lieder der Welt geschrieben, am Ende sogar ein zusätzliches Seidel Schanzenbräu oder was immer vor Ort zum Ausschank kommt. Dass sie einen Country-Rap bestellt haben, kann ich ohne Preisgabe von Geheimnissen verraten; mehr als dass es der erste seiner Art wird, weswegen mir diesmal der Verdacht des Plagiarismus noch ferner liegen wird, weiß ich nämlich selber nicht.

Von Elke, unserem Mann in Berlin, weiß man, dass manche Städte für aufstrebende Bands Studios samt Equipment verleihen und ihnen sogar einen Tonmeister nebendran setzen. Das könnte Nürnberg ruhig mal für seine alten Recken Carson leisten. Bedienen können die ein Studio schon selber, schließlich reden wir hier nicht von Beschäftigungstherapie für zehnjährige Hiphopper, sondern einer Neustarthilfe für gestandene Zirkusgäule. Da hat Nürnberg bedeutend mehr davon, stimmt’s, Nürnberg?

Was genau hält einen eigentlich davon ab, eine neue CD zu bauen? Nach 15 Jahren mal wieder eine neue Platte von einer Kapelle zu kaufen, die man mal gemocht hat, finde ich nicht übertrieben — mir fallen aus dem Stand mindestens drei sehr viel beklagenswertere Comebacks ein.

Nochmal Elke: Die Gute hat Beziehungen zum Berliner Tschechow-Theater. Über’s Jahr winkt daselbst eine Weblog-Lesung mit Moby-Dick™, beschallt von What about Carson. Schreibt schon mal ein paar Lieblingsartikel, die ihr da vortragen wollt, Jungs — das geht an Jürgen und Stephan, oder muss ich wieder alles allein machen?

Soundtrack ist, was Wunder, der Mitschnitt vom 9. Mai der Country Mermaid. Auf Feinheiten in der Abmischung kann ich bei dieser Aufnahmetechnik keine Rücksicht nehmen — mal abgesehen davon, dass ich im Arrangement eine Fiddle oder wenigstens Steel Guitar vermisse. Betrachten Sie’s als Preview. Von zwei Leuten wurde innerhalb der ersten Woche eine Studioversion bestellt, es muss also ohnehin weitergehen. Bilder vom Event auf Flickr.

Abschließend lässt mir Miss Wet T-Shirt Nürnberg Edda “Mann o Mann, wie seh ich denn da aus” Ruß keine Wahl als fürchterlich anzugeben mit ihrer, jawohl, Stimme:

Wolf du bist ein echter Hammer!! Ich find das Youtübchen klasse und der Sound is gar nicht so schlecht. Schöner Live-Eindruck mit echten, riesigen Schweißflecken!

Was nach der dritten Strophe aus Cowgirl und Mermaid wird, heißt Realität außerhalb des Mediums. Neugierig wär ich schon gewesen: Was eine Geschichte ist, die hört ja nach ihrem Ende nicht auf zu funktionieren. In zehn Jahren vielleicht. Gut gemacht — und jetzt weitermachen.

What about Carson, Schanzenbräufest Nürnberg, 9. Mai 2009

What about Carson sind:

  • Edda Ruß (Gesang, Heimorgel);
  • Dietrich Pfund (Gitarre, Schlagzeug)
  • Andreas Linus Steinert (Gitarre, Mandoline, Banjo, Akkordeon, Gesang)

und spielen am Donnerstag, den 21. Mai 2009 in der Nürnberger Desi nachmittags und draußen, jedenfalls irgendwann zwischen 15 und 4 Uhr, auf dem Radio-Z-Sommerfest!

Written by Wolf

17. May 2009 at 8:30 am

Posted in Reeperbahn

Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #28

with 5 comments

Song: Bryan Ferry & Antony,
which is Antony Hegarty from Antony and the Johnsons;
featuring Kate St John on oboe:
Lowlands Low (2:36 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Images: Alkalinemouse: just hanging around, April 6, 2009;
Uncle Kuntz: ^uk^ LOST takes another twist, May 4, 2009.

Lyrics:

Our packet is the island lass,
Low lands lowlands lowlands low.
There’s a laddie howlin’ at the main topmast,
Low lands lowlands lowlands low.

The old man hails from Barbados.
He’s got the name of Hammer Toes.
He gives is us bread as hard as brass.
Our junk’s as salt as Balaam’s arse.

(Solo)

The monkey’s rigged in a soldier’s clothes.
Now, where he got ’em from, no one knows.
We’ll haul ’em high and let ’em dry.
We’ll trice ’em up into the sky.
It’s up aloft that yard must go.
Up aloft from down below.

(Solo)

Lowlands, me boys, and up she goes.
Get changed, me boys, to your shore-going clothes.

Explanatory liner notes by ANTI-:

This is a classic halyard chantey once popular in the West Indies. Many of the verses are direct references to getting the sails aloft. The lowlands was originally a reference to the Netherlands.

And Hulton “Ranzo” Clint adds:

This is a direct copy/cover of the recording by Ian Campbell, not the of “tradition” generally. Basically, Stan Hugill learned it from a chanteyman named “Tobago Smith,” and he printed it in his 1961 book. Campbell, presumably, read it in that book and made the recording. [He changed the objectionable word “nigger” to “laddie.” However, this was a song sung by Black sailors, who used that word in those days. By use of the word “laddie,” I think it perpetuates the misconception that chanteys were the domain chiefly of English/Irish/Scottish.] There is little or no other documentation of the chantey outside of Hugill’s text, so it is really stretching that ANTI calls it “a classic halyard chantey.” Also, “lowlands” in this obviously has nothing to do with the Netherlands! Their liner notes are a bit sketchy…

Written by Wolf

12. May 2009 at 12:01 am

Posted in Siren Sounds

Mein Leben im Konjunktiv: Herz ist Trumpf

with 15 comments

Update zu Before Sunrise:

Sextant, 5. Mai 2009Jeden Tag les ich mein Horoskop in der Bild.
(Was dann? Was dann?)
Dann koch ich mir ein Ei, weil man ja fit sein will.
(Was dann? Was dann?)

Trio: Herz Ist Trumpf, 1983.

Altwerden steckt voller Vorteile. Zum Beispiel kann man, sobald man erst eine Zeitlang durchgehalten hat, halbwegs sicher sein, nicht mehr aus barem ennui Hand an sich zu legen. Man hat schon so viel gesehen und weiß jetzt, dass man nicht so ein Gewese um die eigene Person machen muss. Man fragt nicht mehr, ob das alles sein soll, und ist dankbar, wenn da nicht mehr kommt.

Dabei wollte ich auf der Welt nie etwas Weitergehendes vom Leben, als mich ins Bett zu mummeln und mir von einem klassischen Radiosender den Sinn der Kammermusik erklären zu lassen. Es kann doch nicht so schwer sein, jemanden mit einem so zurückgenommenen Lebenswandel für lau zu ernähren.

Im Gegenzug gäbe ich bereitwillig von meinem Wissen weiter. Einmal die Woche käme eine E-Mail, die mich nach dem Langsamen Satz in einem kaum noch gehörten Schubert-Stück fragt. Das gäbe meinem Ego Auftrieb.

Meine beste Freundin käme am nächsten Tag und tauschte meinen Bierkasten aus. Sie würfe die Schuhe von sich, lehnte sich gegen das Fußende meines Bettes, um ein wenig zu verschnaufen, und wir unterhielten uns über meine Leistungen der vergehenden Woche.

Mein tiefes Fachwissen wäre bekannt und gerne in Anspruch genommen. In meinem Berg von Kissen wäre ich umgeben von zahllosen Büchern über die Fachgebiete, die mich gerade in Atem hielten. Ein paar abseitige Frühromantiker um Bettine von Arnim, die Hauptwerke des Konstruktivismus, Herman Melville in Northwestern-Newberry-Fassung sowie in der aktuellen deutschen Übersetzung und bisschen was Musiktheoretisches.

Das Radio liefe den ganzen Tag. Oft hätte ich einen sehr schwer zu empfangenden Tropensender “drin”, denn mein Radio wäre ein extrem leistungsfähiger Weltempfänger mit einer märchenhaft teuren Antenne vor dem Fenster. Damit hörte ich Nachrichten auf Russisch und Gälisch und brächte mein Wissen über fernöstliche Populärmusik auf Stand. Wenn sie italienisch oder spanisch redeten, drehte ich geschwind weiter, weil mich das hektische, heißblütige Geplapper ungebührlich aufregte. Wenn ich Aufmunterung bräuchte, suchte ich diesen einen Country-Sender live aus Nashville heraus.

Alle zwei oder drei Tage schaltete ich meinen Laptop ein, um meine Mails abzufragen und nach dem Nötigsten zu googeln. Wenn ich ansehnliche Damen in provokanter Pose fände, würde ich sie unter Eigene Bilder speichern. Ganz selten einmal bekäme ich eine Mail des Inhalts, dass ich ein schamloser Parasit an der Gesellschaft sei. Sie müsste ich ungerührt daran erinnern, dass in anderen Kulturen Menschen wie ich als heilige Männer respektiert würden. Die Antwort, dass diese Kulturen untergegangen seien, ignorierte ich, weil ich anonyme Querulanten nicht ernst nähme.

Ja, ich hätte Feinde. Jedoch verwendeten sie einen Sprachschatz, der sie von vornherein disqualifizierte. Meine Freunde dagegen schätzten mich als steten Quell der Weisheit und Lebensfreude.

Ein Angebot, mich als Ziereremiten in einem nach der Mode des 19. Jahrhunderts angelegten Gartengrundstück anzustellen, würde ich geschmeichelt überdenken. Die Stelle wäre gut dotiert: freie Kost und Logis in einer einfachen, aber angemessenen Hütte. Dafür müsste ich regelmäßig dekorativ in dem Grundstück lustwandeln, in geistigen und moralischen Dingen stets Rat wissen und, angesprochen, was Weises sagen.

Leider müsste ich die Stelle trotz allem dankend ablehnen, weil ich ohnehin schon nichts anderes täte, von meinen Brosamen aber nicht immer gerade dann abgäbe, wenn es jemandem anders in den Sinn käme. Die Bedürfnisse meiner reduzierten Lebenshaltung bestritte ich auch ohne diese abhängig machenden Almosen.

Ich lebte viel von Kartoffeln und Kohl, dem köstlichsten Gemüse von allen wegen seines imposanten Gehaltes an Vitaminen. Fleisch? Selten. Und wenn, dann nur aus vertrauenswürdiger Haltung, die ihre Tiere so fair wie Kriegsgefangene behandelte. Den verderblichen Fisch ließe ich links liegen zugunsten der nahrhaften Nudel. Dann natürlich Brot, Molkereiprodukte sowie ausreichend Spirituosen und bewusstseinsbefördernde Rauch- und Rauschmittel.

Bei besonders aufgeräumter Laune büke meine beste Freundin mir gerne einen Gesundheitsschatt, den wir gemeinsam zu einer Kanne grünen Tees verzehrten.

In Bekleidungsfragen wäre ich so anspruchslos und haushälterisch wie mit allen anderen Äußerlichkeiten. Viele Kleider bräuchte man nicht, wenn man sich so wie ich kaum noch unters Volk begäbe. Ein Schlafanzug zum Wechseln, ein Morgenrock für kalte Tage und dicke Socken, das genügte mir alltags. Für meine kurzen Besorgungen hätte ich noch Jeanshosen und einige Hemden aus meiner Studentenzeit übrig. Für offizielle Anlässe ein sauberes Jackett. Sollte einmal eine Reise anstehen, kaufte ich mir aus Beständen zweiter Hand das Unabdingliche zusammen. Ein Paar gut eingelaufener Bergstiefel ist unverwüstlich und taugte auch für die allerstrengsten Winter. Ersatz für ein Stück, das nun wirklich ausrangiert werden müsste, wäre schon für den Gegenwert zweier Gläser Wein zu haben.

Im Kino wäre es bekanntlich so dunkel, dass man niemanden nach seinem Äußeren beurteilen könnte, in den Gaststätten säßen die Zecher allemal noch nachlässiger gekleidet als ich.

Ohnedies wäre ich in beiden Einrichtungen aus angeborener Sparsamkeit ganz selten und nur dann anzutreffen, wenn mich verzweifelt nach geistiger Anregung dürstete. Nach solch einem aushäusigen Exzess hätte ich eine Zeitlang wieder genug von menschlicher Gesellschaft.

Meine Nachbarn grüßten mich im Treppenhaus flüchtig. Sie wären einfache, aber grundanständige Leute. Wahrscheinlich hegten sie ihre volkstümlichen Vermutungen darüber, womit ich wohl meine Tage verbrächte, ließen mich jedoch in Ruhe. Die jungen Mädchen sähen in mir eine Art geheimnisvollen Fremden, der mitten unter ihnen wohnte. In ihren privatesten Momenten stellten sie sich vor, wie es wäre, mit mir allein zu sein. Immerhin wüchse mir kein Buckel oder eine andere Verunzierung. Ich stänke nicht. So viel wäre ich ihnen und mir selbst schuldig. Zu jeder Zeit wäre ich im besten Mannesalter, mit mir wäre grundsätzlich zu rechnen. So betrachteten und beobachteten mich meine Nachbarn aus respektvoller Ferne. Sie bräuchten mich nicht, und umgekehrt wäre ich froh darum, nicht auf ihresgleichen angewiesen zu sein. Wenn ich um die Ecke wäre, tuschelten sie mitsammen, denn meine Anmutung legte dergleichen nahe, ob ich früher zur See gefahren sei.

Aus vergleichbaren Gründen hätte ich noch nie ein Fernsehgerät besessen. Übrigens auch keinen Führerschein für irgend eine Art von Kraftfahrzeugen. Derlei irdische Nichtigkeiten belasteten nur alle verfügbaren Kapazitäten und lenkten vom Wesentlichen ab.

Immer wenn sich ein genügend großer Vorrat an Gedanken in mir angesammelt hätte, würde ich nicht zögern, ihn auf geeignete Datenträger umzuschichten. Meine theoretisch-philosophischen Ergießungen fänden Platz in einem elektronischen Schreibprogramm, später auf meinem mit großem Engagement betriebenen Tagebuch im Internet. Für meine Gedichte und anderes lediglich schön sein Wollende wäre bestes Papier das einzig in Frage kommende Medium. Mit schwarzer, englischer Tinte beschriebe ich Bögen schweren Büttens. Anstrengungen, die Resultate für bare Münze zu veröffentlichen, unternähme ich nicht, denn die Verlage wünschten leicht verdauliches, jedoch episch breites Lesefutter, zu dem mir die Zeit fehlte. In Wahrheit sähe ich mich als Meister des Fragments.

Was mir abginge, wäre allein die Zufriedenstellung meiner Geschlechtlichkeit. Darüber sollte ein großer Geist wie meiner jedoch erhaben sein. Wie der Buddhismus und die Tiefenpsychologie unabhängig voneinander lehren, ginge ein Übermaß an fleischlichem Tun auf Kosten der intellektuellen Tätigkeit. Deshalb würde ich meine wildwüchsigen Triebe bezähmen und hernach sublimieren. Am Ende des Tages auf einen geistigen Erguss zurückzublicken könnte ebenso, wenn nicht noch nachhaltiger befriedigen als ein körperlicher.

Meine beste Freundin bezeigte wie immer alles Verständnis der Welt dafür, obschon sie mich heimlich anhimmelte und geschlechtlich begehrte. Nicht anders wäre zu erklären, warum sie sich bei jedem Besuch in so aufreizender Weise des Schuhwerks entledigte und mit ihren ausdrucksvollen Zehen, die ich wie Tierchen in ihre selbst gestrickten Socken gekuschelt wüsste, meine Bettdecke zerwühlte, indessen wir meine jüngsten Arbeiten besprächen. Nicht etwa, dass ich das anstößig, gar widerwärtig fände. Als ungebundener Geist dächte ich mir eben meinen Teil.

Gelegentlich käme sie mit einem Stellenangebot aus der freien Wirtschaft an. Aber nein, mich überredete sie nicht zur Lohnsklaverei. Zu kostbar wäre mir meine hart erkämpfte Unabhängigkeit. Auch als der Lebenskünstler, der ich wäre, hätte ich genügend Sorgen um die Ohren. Da müsste ich mir nicht noch eine Familie aufbürden, womöglich noch Kinder. Die Welt rechnete es mir als Leistung ebensogut wie als Stigma an, der Vater von nichts und niemandem zu sein.

Ich wäre ein weit herumgekommener Mann, der die Fährnisse der Welt kennte, und hätte bereits ein Familienleben hinter mir. Mein vorausgegangenes Schicksal hätte angedauert, bis meine Mutter, die noch irgendwo leben muss, mir die Tür gewiesen hätte. Das wäre ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben gewesen, der Eintritt zu meiner wahren Bestimmung.

Allenfalls wäre ich verliebt in die süße Stimme einer Moderatorin, die bei einem skandinavischen Sender regelmäßig zu meiner Badezeit etwas hunnisch anmutende Schlagermusik präsentierte. Mit munterem Geklingel sagte sie ihre Lieder an und vermittelte bestimmt höchst wissenswerte Fakten dazu. Von brühheißem Badewasser umspült, lauschte ich ihr hingegeben und malte mir aus, wie sie außerhalb meines Lautsprechers Umgang mit mir pflöge.

Als mutmaßliche Schwedin wäre sie natürlich groß, gerade gewachsen und rothaarig, mit einem Dekolleté wie Alabaster und langen, schmalen Händen wie aus nordischer Tanne geschnitzt. Sie verstünde sich auf die Herstellung und Zubereitung von Stockfisch und obläge einer liebenswerten Schwäche für die Preiselbeermarmelade ihrer thulischen Heimat. Man könnte sie sich trotz ihres elfengleichen Körperbaus leicht mit einer Holzkiepe auf dem Rücken vorstellen. Eigentlich wäre sie ein Geschöpf der Wälder, paradierte aber ebenso gut im Kleinen Schwarzen.

Sie spräche ein kindlich gebrochenes Deutsch mit einem hinreißend säuselnden Akzent. Manchmal verwechselte sie Vokabeln. Dann lachte sie glockenhell über ihre Ungeschicklichkeit auf und nähme einen noch rosigeren Teint an, sodass man sie einfach umhalsen müsste und stundenlang küssen. Wenn ich endlich groß herauskäme, wollte ich sie heiraten.

Nach meinem Bad riefe meistens meine Mutter an. Ich ließe sie den Anrufbeantworter vollquasseln, während ich mich dem erlesenen Genuss der ersten Zigarette nach dem Zähneputzen hingäbe, der sich nur wenigen erschließt. Eventuell rasierte ich mich sogar, weil mir das leise, aber beständige Jucken in der Kuhle zwischen Unterlippe und Kinn nach zwei oder drei Wochen lästig fiele. Mutters Nachricht auf dem Anrufbeantworter löschte ich.

Mit einer Flasche Bier machte ich mich fertig für die Nacht. Aus meinem raumgreifenden Bücherregal wählte ich meine Lektüre und läse und tränke mich bei nostalgisch knisternden LPs von Richard Wagner in den Schlaf.

Die Garderobe für den nächsten Tag wäre rasch zusammengestellt. Schließlich müsste ich nur zum Geldautomaten und weiter zu Aldi, das Abgehobene in Lebensmittel umzusetzen.

Glück? Ach Gott, Glück. Gehn Sie mir doch mit Glück. Wer strebte denn in meinem Alter noch nach diesem zerbrechlichen Zeug, und anständige Bürger begreifen sich ohnehin nicht hienieden, um pausenlos “glücklich” zu sein. Glück wäre die Abwesenheit von Schmerz, mehr geht nicht im Leben. Die Schönheit darin zu mehren, ist Arbeit und nichts, wovon man etwaige Glückszustände gewärtigen sollte.

Ein schönes, aber auch verantwortungsreiches Leben, was ich hätte. Da muss doch in Gottes Namen was zu deichseln sein.

Sextant, 5. Mai 2009

Bilder: Egoshooting, Mai 2009;
Soundtrack: Tracy Bonham: Sharks Can’t Sleep, 1996 (“No, it wasn’t okay.” Ruhig die Werbung abwarten!);
Sextant: Vroni, 2008.

Written by Wolf

6. May 2009 at 12:01 am

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Alle die mit uns auf Kaperfahrt fahren

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Update zu Brush your teeth for America!:

1851 war ein besonders günstiges Jahr für die Seefahrt: Die Qualifikation, Seemann zu werden, bestand in der Renitenz, sich zu rasieren, und Schopenhauer schrieb, ausnahmsweise nicht in seinem überzitierten, wenngleich fachkundigen Essay Über die Weiber:

Der Bart als Geschlechtszeichen mitten im Gesicht ist obszön. Daher gefällt er den Weibern.

Schatzkarte an mich: Ich könnte auch mal wieder (mich rasieren, mein ich).

Die Streuner: Männer mit Bärten, bekannt von den Ärzten in: Le Frisur, 1996.

Written by Wolf

5. May 2009 at 12:01 am

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Neues Kartenzimmer

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Update zur Kategorie Kartenzimmer:

Die Kategorie Kartenzimmer hat fünf ausgewechselte Bilder: Die bisherige Präsentation schien mir denn doch selbst für Cartoons zu pixelig und verschwommen. Die Illustrationen für die ersten fünf Einträge habe ich deshalb neu gezeichnet, diesmal in zeitloses, in (für Internetbegriffe) Ewigkeit gültiges Moleskine, und statt es im Zwielicht an den Kühlschrank zu tackern und mit null Kenntnissen über Ausleuchtung abzuknipsen, auf 300 dpi eingescannt. Ist doch gleich ganz was anderes.

Hochauflösend auf Flickr:

Einträge innerhalb des Weblogs:

Flickr Flickr Flickr Flickr Flickr

Written by Wolf

4. May 2009 at 12:01 am

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Rogue’s Gallery: The Art of the Siren, #27

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Song: Nick Cave: Pinery Boy (3:15 minutes)
from Rogue’s Gallery: Pirate Ballads, Sea Songs, and Chanteys, ANTI- 2006.
Buy CD in Germany and elsewhere.
Image: Patrick Fraser: Ghostparties, April 2, 2009.

Lyrics:

“O father, o father, build me a boat,
Then down the Wisconsin I may float,
And every raft that I pass by
There I will inquire for my sweet Pinery Boy.”

As she was rowing down the stream
She saw three rafts all in a string.
And she hailed the pilot as they passed by
And there she did inquire for her sweet Pinery Boy.

“O pilot, o pilot, tell me true,
Is my sweet Willie among your crew?
Oh, tell me quick and give me joy,
For none other will I have but my sweet Pinery Boy.

Oh, auburn was the color of his hair,
His eyes were blue and his cheeks were fair.
And his lips were of a ruby fine;
Ten thousand times they’ve met with mine.”

“O dear dear lady, he is not here.
He has drownded in the dells I fear.
‘Twas at Lone Rock as we passed by,
Oh, there is where we left your sweet Pinery Boy.”

She wrung her hands and tore her hair,
Just like a lady in great despair,
She rowed her boat against Lone Rock
For a Pinery Boy her heart was broke.

Explanatory liner notes by ANTI-:

An early American folk ballad which tells of a young woman’s desperate search for her timber raftsman lover on the Wisconsin river. She takes to a raft herself to find him, but alas, he has drowned. This is the American version of an older British song, A Sailor’s Life [known by Fairport Convention].

Written by Wolf

1. May 2009 at 12:01 am

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