Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for July 2008

Vom Schwimmen durch Bibliotheken

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Jürgen hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteMan will ja nicht meckern, (für mich — wie für viele andere — machen solche Kapitel einen nicht unerheblichen Teil des Reizes von Moby-Dick aus), aber der unvoreingenommene Leser hat schon bei der seltsamen Traumgeschichte in Kapitel 31 die Stirn gerunzelt, doch die war kurz und am Ende gab’s den Lichtblick: Der Weiße Wal kommt ins Spiel! “Hurra!”, denkt der Leser und seine Stirn glättet sich wohlwollend, “erst 31 Kapitel gelesen und schon wird zum ersten Mal der Wal erwähnt, um den es gehen soll…”

Und dann Cetology.

Ein schier unendliches Kapitel, in dem nichts passiert. Gar nichts. NADA! Die Stirnfalten werden tief wie der Marianengraben. Was soll denn das? Gute Frage — laut Anmerkungen in der Jendis-Übersetzung ein Stilmittel, mit dem Melville “literarisches Neuland” betritt. Na, das kann man wohl sagen!

CetaceaWer einen Abenteuerroman wie Typee erwartet, der wird allerspätestens an dieser Stelle bemerken, dass er das falsche Buch gekauft hat. Melville zerschlägt mutwillig den (ohnehin schwächelnden) Spannungsbogen, den er eben so mühsam aufgebaut hat (zur Erinnerung: Ahab tritt auf — Konfrontation Ahab/Stubb — der Weiße Wal wird erwähnt). Statt dessen liefert er nicht enden wollendes Geschwafel über den Wal an sich und verschiedene Walarten (von denen die meisten in Moby-Dick nie wieder erwähnt werden).

Melville wollte “a mighty book” über “a mighty theme” schreiben. Den Wal in all seinen Facetten beleuchten. Und so muss er seinem Leser erst einmal das Subjekt vorstellen. In den 1850ern waren Wale bekannt, doch den meisten Lesern wohl eher schemenhaft. Also stellt Melville klar, wovon im folgenden die Rede sein wird. Er hätte sich da bestimmt kürzer fassen können, aber das ist nicht unbedingt seine stärkste Seite. Wie eine Buchhändler-Kollegin an dieser Stelle sagen würde: “Er konnte die Tinte nicht halten.”

Pazifischer Nordkaper, Eubalaena japonicaDas Ziel ist klar: Dem Leser soll deutlich werden, mit welch gewaltiger Kreatur sich Ahab anlegt. Der Pottwal: “the great sperm whale now reigneth!” Dabei wird z.B. der deutlich größere Blauwal (“Sulphur Bottom”) zwar erwähnt, aber nur am Rande. Um ihn wird es nicht gehen… Doch neben der offensichtlichen Absicht — deutlich zu machen, dass Moby-Dick eben mehr ist als eine Abenteuergeschichte — ist da vielleicht ein wenig Frustration im Spiel?

Immerhin ist Melville eine Koryphäe auf dem Gebiet der “Cetologie” zu seiner Zeit, von all seinen Quellen haben nur zwei (Bennett und Beale) den Pottwal lebend gesehen. Und die beiden waren Schiffsärzte auf Walfangschiffen, also keine “richtigen” Waljäger.

Melville aber hat tatsächlich Wale gejagt, “I have had to do with whales with these visible hands”, sagt er, seine Beschreibungen des Pottwals sind (für uns heute leicht nachprüfbar) erstaunlich genau, zu seiner Zeit sensationell genau. Wer wäre also besser geeignet, eine Systematik der Wale zu erstellen? Er ist “durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt.” Melville hat wirklich Ahnung vom Thema. Dieses Wissen aber dürfte ihm in wissenschaftlichen “Fachkreisen” wenig genutzt haben. War ihm das bewusst? Wusste er, dass all sein erlebtes und erlesenes Wissen wenig Eindruck auf einen Universitätsprofessor gemacht hätte? Dass man ihn vielleicht ausgelacht hätte? Und “versteckt” er deshalb diese durchaus sinnvolle und brauchbare (wenn auch spaßig formulierte) Systematik in einem Roman? Um der Nachwelt zu zeigen: “Schaut, das habe ich alles gewusst!”?

Dazu interessant dieses:

Eine der frühesten Rezeptionen des 1851 in London und New York ersterschienenen Romans findet sich 1860 in einer anonymen Miszelle der “Gartenlaube”, wo auf S. 655–656 Melvilles systematische Einteilung der Wale in Folio-, Oktav- und Duodez-Wale ohne Nennung des Werkes — nur des Autors, „sehr gelehrt in Sachen der Walfische“ — anzitiert wird.

Aus einer Besprechung der Rathjen-Übersetzung auf Cetacea.de

Zwergpottwal, Kogia brevicepsUnd was seine Definition des Wals als “a spouting fish with a horizontal tail” angeht: Das stößt dem Melville-Fan natürlich sauer auf, dass sich der Meister so geirrt haben soll. Schließlich lernt doch heute jedes Kind, dass Wale eben keine Fische, sondern Säugetiere sind. Aber das ist eben nur eine Frage der Definition, der Systematik. Bezeichnet man alle Tiere, die im Wasser leben als Fisch, dann ist auch der Wal ein solcher. Linné hat sich durchgesetzt, nicht Melville, davon aber abgesehen, ist die Melvillesche Definition ziemlich brauchbar. Zumal wenn man übers Meer segelt und wenig Gelegenheit hat, Fortpflanzungs- und Aufzuchtverhalten der Wale zu beobachten.

Und noch eine Anmerkung zu den Übersetzungen ins Deutsche. Sowohl Jendis als auch Rathjen übersetzen den schönen Satz “… I have swam through libraries and sailed through oceans” mit “[…] ich […] bin durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt”, das ergibt ja auch Sinn, Melville wird das Bild vom “Schwimmen” durch Bibliotheken bewusst gewählt haben. Dennoch übersetzen sowohl Herr Mummendey wie auch Herr Güttinger mit “ich durchpflügte Bibliotheken”! Was haben die sich dabei gedacht? So eine bodenständige, erdverbundene Metapher in ein Buch hinein zu übersetzen, das ganz offensichtlich ein Buch über das Meer ist? Es zeigt auf jeden Fall, dass eine Neu-Übersetzung sinnvoll war!

Bilder: Cetacea mit deutschen, englischen, norwegischen und noch irgendwas Walnamen, Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) und Zwergpottwal (Kogia breviceps), alle gemeinfrei;
Film: Willy Astor: Welthits im Original:
Wortwitz und Fabulierlust und ein Wal kommt sogar auch drin vor.

Written by Wolf

31. July 2008 at 12:01 am

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Weibergeburtstag

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Update zu (All together now:) Heathcliff!!:

Dramatis personae:
Emily Jane Brontë (* 30. Juli 1818; † 19. Dezember 1848);
Catherine “Kate” Bush (* 30. Juli 1958).

Ein Landhaus in Haworth, West Yorkshire, Nordengland. Trübes Juliwetter. Kate Bush nähert sich bergauf von der einzigen Bushaltestelle weit und breit.

Kate Bush (klingelt)

Emily Brontë (von innen): Sekündchen, meine Liebe!

Kate Bush: Lass dir ruhig Zeit, ich bin ja noch jung.

Emily Brontë (öffnet die Tür): Das war nicht sehr einfühlsam. Aber du bist ganz die Alte. Tritt ein.

Kate Bush: Alles Gute zum Einhundertneunzigsten, Emily.

Emily Brontë Alles erdenklich Gute zum fünfzigsten Geburtstag auch dir, Catherine. (Die Damen umarmen einander lange und herzlich.)

Kate Bush: Bah, was habt ihr bloß für ein Scheißwetter hier oben.

Emily Brontë Catherine. Immerhin achten wir auf unsere Ausdrucksweise. — Aber genug davon. Du möchtest sicher eine Erfrischung zu dir nehmen. (Sie führt Kate durch einige Zimmer in einen schlichten Salon.) Wie ist das Leben bei euch in der Hauptstadt?

Kate Bush: Du kommst immer noch nicht viel raus, stimmt’s?

Emily Brontë: Oh, du weißt… Das Klima, das euch anderen stets so zuwider war, ist das einzige mir zuträgliche. Wie steht die Welt zu dir und deinem mir so teuren Schaffen?

Kate Bush: Ach, alles halb so wild. Man lebt. Meine Fans treff ich eigentlich nur noch auf Myspace. Dich kennen die Leute fast noch besser, ab und zu wirst du mal verfilmt…

Emily Brontë: … was mir, wie du weißt, eine mitunter dem Wandel unterworfene Ehre war…

Kate Bush: Dann warte mal heute in zehn Jahren ab, wenn du zweihundert wirst.

Emily Brontë: Wir werden es erleben, meine Teure. Wir werden es erleben. — Tee?

Kate Bush: Hast du ein Likörchen?

Emily Brontë: Wie ich sagte, ganz die Alte. Pfefferminzlikör? Selbst angesetzt?

Kate Bush: Himmel, ihr Südschotten. Gut, dass ich an die Versorgung in eurem strukturschwachen Landstrich gedacht hab. (Sie wühlt in ihrem Rucksack und fördert eine Flasche amerikanischen Whisky zutage.)

Emily Brontë (untersucht das Etikett): Ein Tröpfchen aus den Kolonien? Wenn das der Papa, der Herr Landpfarrer, noch erleben müsste…

Kate Bush: Emily, der Herr ist vor 147 Jahren gestorben. Werd erwachsen.

Emily Brontë: Du magst Recht haben. Es mag daher rühren, dass er uns Geschwister alle um so viele Jahre überlebt hat.

Kate Bush (hat sich einiger Schnapsgläser aus der Vitrine bemächtigt und gießt zwei vierstöckige Whisky ein): Schon klar, Emily. Ihr habt’s nicht leicht gehabt und dann hast du mit 30 den Griffel hingelegt. Was auch niemand mehr als ich bedauert, ich hätte so gern noch mehr von dir gelesen. Da, prost. (Beide nippen an ihrem Whisky.)

Emily Brontë: Ein feines Stöffchen, Catherine.

Kate Bush: Nicht wahr?

Emily Brontë: Nun, die üblichen Vorurteile außen vor gelassen… ist auch dieser Branntwein eine von Gottes Gaben.

Kate Bush: (füllt beider Gläser in ihren Händen auf): Sag ich doch dauernd. Prost, Emily.

Emily Brontë: Zur Gesundheit und Gottes Segen, meine Liebe.

Kate Bush: (kippt den Whisky): Nicht zu fassen, dass wir zwei Hübschen das gleiche Sternzeichen haben, gell?

Emily Brontë: Oh, Tierkreiszeichen. Ich hätte es niemals bemerkt, hättest du mich nicht darauf gestoßen. Wir hängen hier keinen heidnischen Bräuchen an.

Kate Bush: “Heidnische Bräuche”! Siehst du, genau das mein ich.

Emily Brontë: Obschon ich dich heute noch nicht genug für deine Vertonung meines bescheidenen Romans…

Kate Bush: “Bescheiden”! Emily, jetzt reicht’s. Dein Wuthering Heights ist ein verdammtes Weltwunder, und du weißt es!

Emily Brontë: Ich danke dir, Catherine. Ich weiß, dass sich hinter deiner Gossensprache die aufrichtigste Anerkennung verbirgt.

Kate Bush: Worauf du aber einen lassen kannst. Deswegen bist du auch die einzige, die Catherine zu mir sagen darf.

Emily Brontë: Ist das nicht dein Taufname?

Kate Bush: Sicher ist er das. Und jetzt ruf mal Tori Amos bei ihrem Taufnamen Myra Ellen — aber bitte nur, wenn ich nicht dabei bin. Die kann sehr unwirsch werden.

Emily Brontë (nippt von ihrem Whisky und verzieht säuerlich die Miene): Tori Amos, Tori Amos… Das ist doch…

Kate Bush: Die Nordkarolinerin, die mich dauernd nachmacht. Aber sehr begabt, die junge Frau.

Emily Brontë: Ein aufstrebendes Talent? Wie jung mag sie sein?

Kate Bush: Wird im August 45, am Zweiundzwanzigsten. Aufstrebend ist gut. Hat’s schnell zur Legende gebracht. Bis zu ihrer vierten Platte mindestens hör ich andauernd mich selbst raus, aber sie hat was.

Emily Brontë: Doch nicht etwa diese… Madonna?

Kate Bush: Um Himmels willen, kein Vergleich. Die wird jetzt auch gleich 50, am Sechzehnten. Weiß noch nicht, ob ich die auch besuche.

Emily Brontë: Ich höre mit Wohlwollen, wie wählerisch du in deinem Umgang bist, Catherine.

Kate Bush: Lass die Bescheidenheit. So jung kommen wir nicht mehr zusammen. Prost Hundertneunzig! (Sie füllt erneut die Whiskygläser nach, sie stoßen klingend an und kippen beherzt.)

Emily Brontë: Man kann sich an dein geistiges Getränk gewöhnen, du Gute. Woraus ist es gebrannt?

Kate Bush: Das ist Bourbon, der ist aus Mais. Wie Popcorn. Nicht wie unserer aus Korn, wie das Brot.

Emily Brontë: Catherine, es freut mein Herz, wie du das deinige an die ewigen Werte hängst.

Kate Bush: War daran ein Zweifel?

Emily Brontë: Kein wirklicher, liebste Freundin. Auch ich habe stets geeifert, an den wahren Dingen dieser und jener anderen Welt festzuhalten, als ich auf dem Kontinent zu Brüssel weilen… musste.

Kate Bush: Jener anderen Welt? Du meinst jetzt aber nicht deine Fantasywelten, wie haben sie geheißen… Angria und Gondal und die anderen?

Emily Brontë: Nicht doch. Das waren Geistesübungen für die Poesie, die vornehmlich unsere Schwester Charlotte vorantrieb.

Kate Bush: Naja, was ich so von deinen Gedichten her kenne, hat dich das noch ziemlich lange nicht losgelassen.

Emily Brontë: Du hast sie gelesen? Die Menschen lesen sie noch? Meine Gedichte sind noch in der Welt?

Kate Bush: Darf ich dich daran erinnern, Emily, dass du mit der Komponistin deines Romans redest?

Emily Brontë: Bei all meinem höchsten Respekt vor dieser deiner Arbeit, Catherine, bin ich doch genügend informiert, um zu wissen, dass du deine Ballade nicht nach meinem Roman gedichtet hast.

Kate Bush: Aber die 1970er Verfilmung war schon okay. Vor allem der Showdown.

Emily Brontë: Vor Zeiten wurde mir wohl einmal das Privileg zuteil, ihn zu betrachten. Man vergisst so leicht. Komm du einst in mein Alter und du wirst verstehen.

Kate Bush: Emily, für mich und die anderen paar Millionen wirst du immer 30 bleiben. Euch viktorianische Leichen versteh ich sowieso besser, als du glaubst. Wahrscheinlich bin ich sogar eine von euch.

Emily Brontë: (nippt erneut an ihrem Whisky; kichernd): Und das ist es wahrscheinlich, was dich halbwegs erträglich macht.

Kate Bush: Hey, das wäre mein Spruch gewesen!

Emily Brontë: Siehst du?

Sie stoßen an und beginnen sich zu verplaudern. Die besondere Schwierigkeit bei der Darstellung in diesem Stück besteht in dieser nicht unter anderthalbstündigen Kadenz, in der die Schauspielerinnen sich in ihre Rollen gefunden haben müssen, um unter fortgesetztem Einfluss von Jack Daniel’s möglichst brillante Improvisationen auszubreiten. ———

Viel später:

Kate Bush (mit unsicherer Zunge): Emmyschwester, du nimmst es mir nicht übel, aber ich muss weiter.

Emily Brontë: Wo wir uns gerade inmitten des gedeihlichsten Austauschs befinden? Wohin, meine liebste Freundin Catherine?

Kate Bush: Arnold Schwarzenegger wird 61.

Emily Brontë (mit überraschend sicherer Zunge): Dann musst du ihm allenfalls in neun Jahren deine Aufwartung erneuern, wenn sein Lebensalter sich zum nächsten Male ründet.

Kate Bush: Du hast Recht, Emily. Verdammich, wie Recht du hast. Du hast sooooo Recht. Du hast immer Recht gehabt.

Emily Brontë: Ich weiß, Cathy. Ich weiß. — Zur Gesundheit.

Sie haben eine neue Flasche. Emily schenkt nach. Sie stoßen an und kippen synchron. Der Wind der rauen Hochheidelandschaft pfeift über den Friedhof um das Landpfarrhaus. In einem herrischen Aufheulen zwingt er einen Trupp Brontë-Touristen in Anoraks, sich zu der gottverlassenen Bushaltestelle zurückzuwenden, von der sie gekommen sind. Vorhang.

Lied: The Ukulele Orchestra of Great Britain:
Wuthering Heights aus: Top Notch, 2006.

Nutz- und Feierlink: Happy 190th, Emily!
im immer und rundum empfohlenen BrontëBlog, 30. Juli 2008.

Written by Wolf

30. July 2008 at 12:01 am

Posted in Mundschenk Wolf

Ende von Sommergewinnspiel

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Update (kein Überschreiben mehr möglich)
zum Sommergewinnspiel auf Moby-Dick™:

Sascha Zivkovic aus Frankfurt hat korrekt gelöst — womit sich alle folgenden Versuche von selbst erledigen.

Das erste Buch, das so schwer erreichbar ist, dass man sich im Antiquariat mit einem Hechtsprung darüberwerfen soll, um es unter verhalten irrem Kichern unauffällig zur Kasse zu schleppen, ist Redburn: His First Voyage, being the Sailor-Boy Confessions and Reminiscences of a Son-of-a-Gentleman, in the Merchant Service — Herman Melvilles vierter Roman, 1849. Auf Englisch in mehreren Ausgaben erhältlich, auf Deutsch ein einziges Mal von Richard Mummendey übersetzt und im vergriffenen Sammelband Redburn/Israel Potter/Sämtliche Erzählungen abgedruckt und dann nie wieder; das langweilige ist An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations von Adam Smith 1776. Das finden Sie in den Buchläden, wenn Sie es suchen, aber das wollen Sie nicht wirklich.

Wie Sascha das wohl herausgefunden hat? Und welchen der drei Preise er nun zu gewinnen begehrt? Glückwunsch, sag ich! Es gibt noch Leser.

Musik: Sir Edward Elgar: March of Pomp and Circumstances No. 1, op. 39, 1901,
dirigiert von ihm selbst.

Written by Wolf

29. July 2008 at 12:16 am

Posted in Kommandobrücke

T-Shirts sind auch für Sissies!

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Hauptsache, sie machen Sie schön und mich reich.

Wolfsleibchen Poetry is not for sissies T-Shirt

Schöne, nützliche, moderne Kleidung mit melvilleanischem, maritimem und literarischem Bezug ist in Arbeit, denn Wolfsleibchen können Ihr Sozialprestige und Ihr Selbstwertgefühl steigern.

Written by Wolf

28. July 2008 at 4:16 am

Posted in Kommandobrücke

Freud um Nietzsche, Ahab um Stubb

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Elke hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Elke HegewaldAls hier das große Wundern und Grübeln über die Titelung der Kapitelung und den Inhalt dahinter ausbrach, war ich spontan geneigt und bereit einzustimmen – aus vielfältigsten Beweggründen (zu denen auch die Überraschung gehört, wie Dr. Jürgen Freud in seinem großartigen traumdeutenden Beitrag bei wenigstens einer Version seine Zweifel hinsichtlich der Wahrung des Zeitbezugs kühn und vorübergehend über Bord zu werfen gewagt hat). Bis auf einmal alles (s)einen tiefen Melvilleischen Eigensinn bekam und sich irgendwie allegorisch rund legte. Meine beiden (oder anderthalben) Deutungsvorschläge:

Der erste lehnt sich so ein bisschen an meine eigenen Erfahrungen aus dem täglichen Broterwerb an und die dabei sattsam gewonnenen psychologischen Einblicke. Bei denen (auch wenn ich nicht Frau Dr. Freud bin) womöglich gleich wieder Jürgens Besorgnisse hinsichtlich Melvillebezugs und dortigen menschlichen Anders-Denkens aufhorchen werden. Aber man glaubt es kaum, was der liebe Mitmensch, das unbekannte Wesen, alles in sich selber anstellt, um ein Stückerl von seinem malträtierten Rückgrat zu behalten. Dass zu diesem Zwecke auch Träume in einem rumrumoren, weiß ja die Welt schließlich auch nicht erst seit dem Erfinder der Psychoanalyse. Die aufgesammelten und nicht mal seltenen seelischen Selbsttherapien kommen schon Wolfs Einsortierung des guten, narrischen Stubb ziemlich nahe. Der sich nämlich einen geträumten Tritt in den Hintern oder weißichwohin schönredet (also der Stubb jetzt), um sich solcherart mit Ach und Krach sein Selbstwertgefühl zu bewahren, seine menschliche Würde zu retten. Der Anschnauzer seines vorgesetzten Kapitäns macht ihm – Frohnatur und anpassungsfähiges Gemüt hin oder her – mehr als man denkt zu schaffen, wo er ihn bis in seinen wellengewiegten Schlummer verfolgt. Und was tut so einer, der wie unser Stubb nicht für das Auflehnen wider den Starken und Mächtigen geboren ist, nun dagegen? Na klar, er träumt sich’s klein. Versucht, das gesunde Empfinden einer handfesten Beleidigung herunterzuspielen, indem er in seinem tumben Stubble-Kopp den Wert Ahabs und dessen ja nur via künstliches Walbein und nicht als “a living thump” verabfolgten Tritt schmälert. Gegen den er sich anfangs sogar zu wehren sucht, “stubbing [his] silly toes against that cursed pyramid”. Na, und mit ein bissel Rückgratstärkung durch einen, wenn auch arg bucklig und marlspiekert geträumten Merman fühlt sich’s doch gleich noch ein bisschen besser an, nä.

Soweit die Alltags- und real(un)poetische Natur-des-Menschen-Version. Die mir übrigens geeignet scheint, nicht gar zu sehr (wenn überhaupt) in den Zwang einer Rechtfertigung vor Herrn Melville zu geraten: Erniedrigung bleibt Erniedrigung, Mensch angesichts einer solchen sooo Mensch – und fühlt auch so.

Sollte man gesunderweise meinen.

Wäre nicht… ja, wäre da nicht noch was in den nach Melvillescher Art eingeflochtenen Symbolismen und Anspielungen, von denen es nur so wimmelt im Kapitel. Etwas, das mir zwar dunkel, aber verdammt nochmal bekannt vorkömmt . Die müssen doch einen Sinn ergeben – hätte er ja auch einfacher haben können sonst, der Herman. Und auch ein paar heftige spöttische Grinsefältchen meint man in seinen Augenwinkeln wahrzunehmen. Was sollen also die ganzen Bilder, die Pyramide und das abbe Bein vom Stubb und das getackerte nackerte Hinterteil des Merman-Phantoms?

Max Klinger, Der Gang zur BergpredigtHa, und spätestens als der Bucklige blank zieht, fällt mir die Erleuchtung wie Schuppen aus den Haaren der feenhaften Frau Mab. Ahnt’ ichs doch! — Und nein, auch wenn es bitter und enttäuschend ist für alle einschlägigen Suchmaschinenquäler und auch wenn es Jürgens brillant freudischen Tiefenpsychologie-Exkurs nicht zu stützen scheint, kein Kindesmissbrauch des kleinen Herman, keine homoerotischen Fantasien alternder Schriftsteller und Matrosen, auch nicht Stubbs Potenz- mit Beinverlust fliegen mich an und geistern durch meinen Sinn. Sondern der alte Käpt’n Bildad ists – erinnert sich noch jemand an den? Was murmelte der nochmal andauernd durch einen guten Teil des 16. Kapitels? Jaaah, die biblische Bergpredigt wars, auf der er herumkaute! Die war’s!

Sind es nicht deren Weisheiten, die Melville da mit einem Augenzwinkern und dem uns hinlänglich bekannten freigeisternden Handhaben von Religionsfragen in den Traumbildern des braven Stubb herumstreut? Selig sind die Sanftmütigen!

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

predigt Jesus auf dem Berge (Matthäus 5,39f.). — Je nun, Bein um Bein beim Stubb und Ahab? Und reckt der alte Merman auf Stubbs angedrohte Schläge nicht gar gleich seine zwei Backen hin? Auch wenn der Gottessohn wohl eher die andern zwei meinte. Und auch die Märtyrerdornen – oder sind’s Marternägel? — gehören eigentlich woanders hin, oder?

Wohlgemerkt, die Predigt handelt in diesem Passus “vom Vergelten”. Und ei der Daus, wären dann die Stubbschen Dissonanzen mit Ahab für Melville nicht nur Mittel zum Zweck? Gingen seine Anspielungen dann nicht verflixt weit darüber hinaus? – Gesetzt den Fall, an meinen Herumdeutelungen wäre was dran: dann ginge es hier um nicht mehr und nicht weniger als um das Einläuten eines Hauptthemas des ganzen Moby-Dick, das den Handlungsfaden vorantreibt: des finstern Käpt’ns – nicht des kleinen Stubb — Drang nach Rache und Vergeltung nämlich. Großes Kino also. Ergibt somit im Zusammenhang des Romans das ganze Kapitel nicht sehr wohl einen tiefen Sinn? Und nicht von ungefähr, so deucht mich, findet gerade in diesem Moment der weiße Wal zum ersten Mal Erwähnung. Was meint ihr?

A23H, Der teufel ist tot, 29. Dzember 2005Und wenn das so ist, wird auch der Wolf – mitsamt unserm gotteslästerlichen Herman – Recht behalten. Wie sagte er so schön?: “Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten.” — Worauf wir einen lassen… öhm, also wetten können, denn: “Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.” (Matthäus 5,41)

Dass der Stubb sich den Ahab zu allem Überfluss auch noch zur Pyramide traumzaubert, die ja auch auch als Symbol des dreidimensionalen (heiligen) Kreuzes interpretiert wird – hm, soll man das nun als Zeichen schleichend wachsender Ahab-Einschwörung und Verblendung deuten? Doktor Freud, übernehmen Sie büdde wieder!

Dochdoch, Doktor, nu ziernse sich mal nicht so! Das wäre schon deshalb angebracht, weil Mr. Melville — okayokay, Jürgen — den Freud zwar nicht kennen kunnt, aber mir ihm in Sachen Religionskritik zet Be kaum nachzustehen scheint. Nicht dass ich jetzt behaupten wöllt’, er sei ein Verfechter des blinden Rachegedankens um jeden Preis. Doch schaut es mir so aus (denn den Spötter Melville dichte ich mir doch nicht nur hinein, oder?), als wäre auch er als ein, leicht konspirativer, Gegner der berggepredigten über-menschlichen Erwartungen und deren “Sklavenmoral” auszumachen. Wie der große Freudsche Zeitgenosse Friedrich Nietzsche es sieht, der deren entschiedenster einer war und dem der Doktor zudem selber bescheinigte, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben. Nietzsches Also sprach Zarathustra wird als Gesamtwerk sogar als eine Art Anti-Bergpredigt gehandelt, wider die Demut und Unterwürfigkeit und für die Selbstbestimmtheit des Menschen. — Anmerkung: Jaha, ich bin mir bewusst, dass dies eine stark vereinfachte und unzulässige Verkürzung sowohl des Herrn Nietzsche als auch seines Zarathustra ist und ein eigenes Thema verdient hat.

Carl Bloch, Sermon on the Mount, 23. Mai 1834

Und um das Maß voll zu machen und eure Geduld bis an den Rand zu strapazieren, nehme ich mir auch schnell und – versprochen! — kurz Frau Königin Mab zur Brust. Ein ketzerischer Titel im gerade episch ausgebreiteten Zusammenhang, findet ihr nicht? Die heidnische keltische Fee, die in der Mythologie Schöpferin, aber auch Hexe ist. Die unsern eh schon verwirrten Stubb nun auch noch heimsucht. Tsss, Mister Melville, ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Ich klau da nochmal kurz beim Shakespeare, den ja auch uns’ Herman beständig alles andre als verleugnet:

… and then anon
Drums in his ear, at which he starts and wakes,
And being thus frighted swears a prayer or two
And sleeps again. This is that very Mab
That plats the manes of horses in the night,
And bakes the elflocks in foul sluttish hairs,
Which once untangled, much misfortune bodes:
This is the hag…

Sorry, das musste noch, bei Hexen und Feen kann ich nicht anders. Wo ich doch selber eine bin.

Johann Heinrich Füssli, Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788

Bilder: Max Klinger: Der Gang zur Bergpredigt, 1877;
A23H: Teufel ist tot, 29. Dezember 2005;
Carl Bloch: Die Bergpredigt, Kopenhagen 23. Mai 1834;
Johann Heinrich Füssli: Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788.

Written by Wolf

27. July 2008 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Galee’e vo’aus

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Update zu Benito Cereno:

Galeeren sind eine ziemlich fitte Art, was man daran erkennt, dass sie sich in der langen Spanne ihrer Existenz kaum verändert haben. Belegt sind Galeeren seit den Assyrern und Phöniziern, also gegen 850 vor Christus, und seit den ersten Beschreibungen bei Thukydides (um 460–396 v.C.) und Polybios (um 200–120 v.C.) bis zur letzten nennenswerten Schlacht, die mit Galeeren geführt wurde, der Türkenschlacht bei Lepanto zwischen Spanien im Verbunde mit Venedig gegen die Türken am 15. Oktober 1571, hatten diese Urtiere von Schiffstyp einfach eine ungeheure Länge, kaum Masten, schon gar keine Rahen, und wenn, dann windschnittig achterwärts geneigt, und ein auffallend hohes Heck. Sprichwörtlich wendig und deshalb für Kriegseinsätze prädestiniert waren sie durch ihren menschlichen Antrieb: Typischerweise saßen an jedem Riemen vier Mann, fünfzig Riemen hintereinander, so als Baubeispiel: zweihundert Rudersklaven pro Schiff.

Zweihundert Sklaven für dreißig Mann richtige Besatung. Gerade genug, um Segel für die hohe See zu setzen und im Einsatzfall Kanonen zu bedienen, und einen halbwegs taktfesten Vortrommler natürlich. Kein Wunder, dass man die Arbeiter in extrem prekärer Anstellung, Sträflinge allesamt, sorgfältig an ihre Ducht ketten musste. Wer auf eine Galeere verbannt kam, wurde ein für alle Male angeschmiedet und erst wieder losgeschroben, wenn man ihn tot über Bord schmeißen wollte. Das hilft Gefängnisse an Land entlasten.

Wer so schwer arbeitet, muss besonders gut essen. Wer so gut isst, muss auch das Gegenteil davon. Geputzt wurde nicht viel, zum Deckschrubben wie auf anständigen Schiffen müsste man seine Sklaven von der Kette lassen, wovon man vorsichtshalber Abstand nahm, und Offiziere putzen nur bei Lust, Gelegenheit und in echten Notfällen. Es führt keine Beschönigung daran vorbei: Galeeren stinken.

Aber gut schauten sie aus. Von weitem eine Galeere zu beobachten, malt ein Bild von schönem organischen Gleichmaß, das Wasser um die Ruder spritzt und blitzt bei jedem Eintauchen hell in der Sonne (Mittelmeer!). Die römische Poesie verstand unter den “weißen Schwingen” eines Schiffes dessen Riemen in kraftvoller Bewegung. Eine Möwe im Flug mit der selbstverständlichen Grazie eines Tausendfüßlers. Es führt keine Sozialkritik daran vorbei: Galeeren sind schön.

DSL-betrieben über Leute an Supermarktkassen mokieren, die sich nicht ganz so ansehnlich gewanden, wie man das als gutaussehender, moderner, kritischer Blogger, der sich doch so leicht fremdschämt — eine der würdelosesten Bloggersitten –, erwarten kann, und dabei heißen Kaffee saufen, den man nicht selbst gezüchtet hat: Schämen muss man sich, und zwar für sich alleine. Man kann überhaupt kein zu grelles und zu düsteres Bild davon malen, was die Menschen sich gegenseitig für eine Hölle schüren.

Fakten nach Cecil Scott Forester: Mr. Midshipman Hornblower, 1950; Wikipedia;
das Bild via Deutsches Asterix Archiv rechts zu zweitoberst aus Albert Uderzo, René Goscinny: Astérix en Corse, 1975, mit Link zu Wilhelm Raabe: Die schwarze Galeere, auf dem der schwarze Pirat im Ausguck “Galee’e vo’aus” ruft, wurde wegen sprichwörtlicher Nickeligkeit der Éditions Albert René vorauseilend verworfen, ich bitte also selbst dahin zu surfen;
Filme: Ben Hur, 1925; Ben Hur, 1959.

PS: Das Sommergewinnspiel geht noch bis 31. Juli!

Written by Wolf

26. July 2008 at 12:01 am

Posted in Meeresgrund

Thought is a powerful formidable essence

with one comment

Update zu To Sail You Home:

The media likes to put labels on people. Polly the Sex Goddess, Bjork the Pixie, Tori the Fairy Princess. If you call me a new-age, airy-fairy, hippie-dippy airhead I will shove my crystals up your ass.

Tori Amos (unsourced)

Tori Amos, Tattoo

Traut jemand Künstlern, die ihr Medium wechseln? Singenden Schauspielern und “Promis”, die Sätze krachen lassen wie: “Nur weil ich ein paar Schauen gelaufen bin, bin ich doch nicht gleich ein Model”?

Tori Amos ist eine Fee, die dürfen das. Das Bösartigste, was sich über ihren neuen Umtrieb sagen lässt: Inker sind ja nur die, die in den Comics die Striche nachmalen.

Inker sind die, die den Comics ihre Handschrift verleihen. Über 80 Comicmacher haben ihren Liedern zugehört und 50 Comics auf 480 Seiten daraus gemacht. Pia Guerra, Leah Moore, John Reppion David Mack, Hope Larson, Ryan Kelly, Jonathan Hickman, Colleen Doran, Eric Canete, Ted McKeever, Jock, Anthony Johnston, Dame Darcy, Carla Speed McNeil, Kelly Sue DeConnick, Mark Buckingham, Ivan Brandon, C. B. Cebulski. Von denen kenne ich noch keinen einzigen, aber so weit reicht mein Vertrauen. Vor allem auch, weil Frau Amos mit den richtigen Argumenten begründet, warum die Comics in Comic Book Tattoo Tales Inspired by Tori Amos gut geworden sind:

I have been surprised, excited and pleasantly shocked by these comics that are extensions of the songs that I have loved and therefore welcome these amazing stories of pictures and words because they are uncompromisingly inspiring. It shows you thought is a powerful formidable essence and can have a breathtaking domino effect.

Tori Amos im Official Press Release: Comic Book Tattoo,
9. April 2008

Soso, zeichnen kann sie jetzt auch? Klar kann sie. Feen dürfen nicht nur, die können auch alles.

Neil Gaiman geistert immer wieder mal als Anspielung durch ihre Lieder. 1997 hat sie ihm das Vorwort zu Death: The Time of Your Life geschrieben, jetzt hat er sich dem Vorwort zu Tattoo revanchiert. Alles was Gaiman schreibt, spare ich mir immer ängstlich auf, weil es zu schnell alle sein könnte — normalerweise dürfte ich noch nicht mal mit der Sandman-Kernserie durch sein — hören wir also noch kurz den Verleger Rantz Hoseley:

While the connections between comics and music have been long established by generations of creators, Comic Book Tattoo is the pure distillation of how these two art forms inspire and feed off of each other across all the classifications, genres and styles of comic storytelling. Like Tori’s music, these stories run the gamut of human experience, emotion and imagination brought to life by some of the most compelling and innovative creators in the field of comics.

Editor Rantz Hoseley nach Undented, 10. April 2008.

Das Buch erscheint heute, am 23. Juli. Kaufempfehlung ergeht für die Vorzugsausgabe (104,99 Euro) und die Normalausgabe (20,99 Euro), vielleicht sogar über den Tori Store.

Tori Amos in the Little Earthquakes Era, 1992--1993

Bilder: Comic Book Tattoo Tales Inspired by Tori Amos, 2008 via Myspace;
Everything Tori, Little Earthquakes Era, 1992–1993.

Written by Wolf

23. July 2008 at 12:01 am

Posted in Moses Wolf

Pöse, pöse PR

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Written by Wolf

18. July 2008 at 12:01 am

Posted in Kommandobrücke

Die einen sagen so, die andern so

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Update zu Like as the waves make towards the pebbled shore
und Hallo Shakespeare, adiós Cervantes:

Die deutsche Schulbildung verschweigt, dass Shakespeare vor der immer noch üblichsten Schlegel-Tieck-Ausgabe (August Wilhelm Schlegel, Wolf von Baudissin, Ludwig Tieck und Dorothea Tieck, 3. und endgültige Auflage 1843f.) eine Übersetzung durch Christoph Martin Wieland erfuhr. Warum das so ist? Wahrscheinlich, weil Wieland selten und meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlegt wird.

Al Pacino as Shylock in The Merchant of Venice, 1596/2004Goethe war in erster Linie Goethefan, Shakespeare ließ er gelten. Angeblich konnte er Englisch, aber ohne Wielands Einsatz wäre selbst Goethe nicht auf Shakespeare gestoßen. 22 Dramen (keine Versepen und Sonette), die heute noch als Shakespeares wichtigste angesehen werden, gab Wieland 1763 bis 1766 in eigener Übersetzung in Zürich heraus und verursachte damit den ersten deutschen Shakespeare-Hype.

Wenn man heute mit Shakespeare malträtiert wird, dann meistens in der Schlegel-Tieck-Fassung. Bei den neueren Versuchen, am bekanntesten der von Erich Fried, der bis zu seinem Ableben immerhin 27 Stücke geschafft hat, zählt eher die Unternehmung als solche — wobei ich die neue Gesamtausgabe von Frank Günther im Cadolzburger ars vivendi nicht weniger denn bahnbrechend finde.

Schade um Wieland: 2002 hat, hihi, Zweitausendeins alle 22 Wieland-Fassungen einbändig neuaufgelegt, und siehe: Das alte Zeug liest sich um Klassen verständlicher als Schlegel & Kollegen. Ich weiß nicht, mit welcher Protektion letztere sich derart durchgesetzt haben, jedenfalls ist auch schon egal, ob man die liest oder gleich das Original, man versteht genau so wenig. Wieland ist mehr als der gelehrte Besserwissersport, nur um angeberisch daherzunäseln: “Die deutsche Schulbildung verschweigt, dass Shakespeare vor der immer noch üblichsten Schlegel-Tieck-Ausgabe (August Wilhelm Schlegel, Wolf von Baudissin, Ludwig Tieck und Dorothea Tieck, 3. und endgültige Auflage 1843f.) eine Übersetzung durch Christoph Martin Wieland erfuhr.”

Mal reinlesen? — Der Kauffmann von Venedig, Schylok spricht:

Some men there are love not a gaping pig;
Some, that are mad if they behold a cat;
And others, when the bagpipe sings i’ the nose,
Cannot contain their urine: for affection,
Mistress of passion, sways it to the mood
Of what it likes or loathes.

William Shakespeare: The Merchant of Venice, 1596.
Shylock, Act IV, Scene 1.

Es giebt Leute, die einen Abscheu vor einem gähnenden Schwein haben, andre die von Sinnen kommen, wenn sie eine Kaze sehen, andre die aus einer besondern Affection ihren Urin nicht halten können, wenn ihnen ein Dudelsak in die Nase schnarrt. Die Meister über unsre Leidenschaften können durch die Stärke der musicalischen Sympathie oder Antipathie aus uns machen was ihnen beliebt.

Übersetzung von Christoph Martin Wieland:
Der Kauffmann von Venedig, Zürich 1762 bis 1766,
Neuausgabe von Hans und Johanna Radspieler 1993.

Zum Vergleich August Wilhelm Schlegel:

Es gibt der Leute, die kein schmatzend Ferkel
Ausstehen können; manche werden toll,
Wenn sie ‘ne Katze sehn; noch andre können,
Wenn die Sackpfeife durch die Nase singt,
Vor Anreiz den Urin nicht bei sich halten;
Der Leidenschaften Meister lenken sie
Nach Lust und Abneigung.

Und das um den Preis, die Versform eingehalten zu haben, zu Deutsch: das Zeug untereinander zu schreiben? Da macht mir allemal mehr Spaß, von Wieland dazu zu erfahren:

Dieser Umstand scheint aus J. Cäsar Scaligers Exoticis Exercitationibus wider Cardani Buch de Subtilitate genommen zu seyn; einem Werke, woraus unser Autor seine meisten physicalischen Kenntnisse genommen hat, indem es damals in grossem Ansehn stund, und auch in der That vortrefflich, obgleich längst vergessen ist. In der 344. Exercit. Sect. 6 sind die Worte: Narrabo nunc tibi jocosam Sympathiam Reguli Vasconis, Equitis: Is dum viveret audito phormingis sono urinam illico facere cogebatur – – Um die Sache lächerlicher zu machen, übersezte Shakespear phorminx duch Sakpfeiffe. Wobey ich noch bemerken will, daß, so wie Scaliger das Wort Sympathiam braucht, welches er anderswo durch communem affectionem duabus rebus erklärt, unser Autor durch das Wort Affection übersezt:
     cannot contain their Urine for Affection.

Interessant nicht nur der Vergleich, wie durch die Zeichensetzung in Wielands Vorlage und der, welche der Open Source Shakespeare (besuchen Sie bloß nie wieder eine andere Online-Fassung, ich hab heut meinen Dogmatischen) benutzen, die Bedeutung verschoben wird — sondern auch die neuzeitliche Anmerkung der Herrschaften Radspieler:

Fußnote: Julius Cäsar Scaliger: Exotericarum Exercitationum liber quintus decimus de Subtilitate, ad H. Cardanum. Paris 1557. — Narrabo nunc…: Ih erzähle dir jetzt eine spaßige Neigung des Ritters Regulus Vasco: Er stand zeit seines Lebens unter dem Zwang, augenblicklich Wasser lassen zu müssen, sobald er den Klang einer Phorminx (eine Leier mit 4 Saiten) hörte. — communem…: gemeinsame (wechselseitige) Zuneigung zwischen zwei Dingen. — Affection: Zuneigung, Gewogenheit. — Die Fußnote stammt von Warburton. — Die peinliche Wirkung des Dudelsacks hat Wieland so amüsiert, daß er auch in seinen Werken auf sie zurückkommt: in dem gleichzeitig mit der Shakespeare-Übersetzung entstandenen Roman Der Sieg der Natur über Schwärmerey, oder die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva (Ulm 1764), im 3. Buch gegen Ende des 10. Kapitels, und in der Vorrede zum 1. Band der Sammlung Dschinnistan oder auserlesene Feen- und Geister-Mährchen (Winterthur 1786).

Um auch diese Spur weiterzuverfolgen: Don Sylvio, Zehendes Capitel:

Genug, daß diese Sympathie sich eben so würklich in der Natur befindet, als die Schwere, die Anziehung, die Elasticität, oder die magnetische Kräfte, und daß man es, alles wohl überlegt, der schönen Donna Felicia eben so wenig übel nehmen kan, daß sie, von der magischen Gewalt dieses Geheimnißvollen Zugs bezwungen, sich nicht erwehren konnte, für unsern Helden etwas zu empfinden, das sie noch nie empfunden hatte, als man es einem gewissen Regulo Vasconi übel auslegen konnte, daß er, nach Scaligers Bericht, das Wasser nicht zurück halten konnte, so bald er eine Sack-Pfeiffe hörte.

Dschinnistan steht sowohl bei Gutenberg als auch in der Bücherquelle jeweils ohne Vorrede online. Ihre Hausaufgabe ist deshalb, den Wortlaut von Wielands zweiter Wiederverwertung dieser überaus nutzhaltigen Information beizubringen.

Denn das ist doch das Wissen, mit dem man mal beim Jauch protzen kann.

PS in eigener Sache:
Hier herrscht immer noch Sommergewinnspiel!

Bild: Al Pacino als Shylock in The Merchant of Venice, 1596/2004
via Sarah Harris: School falls down league tables after pupils boycott ‘anti-Semitic’ Shakespeare (“Pupils refused to take a Shakespeare test because they were offended by his play The Merchant of Venice which has been branded anti-semitic”), in: Mail Online, 29. Februar 2008.

Written by Wolf

16. July 2008 at 2:48 am

Posted in Wolfs Koje

Making Books

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Update for Irgendwas mit Büchern and
Die Zukunft war noch nie, was sie mal werden sollte:

Film (9:54 minutes): Encyclopedia Britannica Films in collaboration
with Luther H. Evans, Ph.D., The Library of the Congress, 1947, via Ziptrivia.

Bonus track: Your Life Work: The Librarian, 1946!:

Film (10:13 minutes): US Government Vocational Guide Films:
Your Life Work: The Librarian. Iowa State College 1946.

Written by Wolf

15. July 2008 at 3:16 am

You know how curious all dreams are

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Merkwürdige Sache, Kapitel 31,

meint Jürgen,

Jürgen Jessebird Schmittemerkwürdig der Traum, merkwürdig auch die Tatsache, dass Stubb ihn Flask erzählt. Darauf ist Wolf ja schon eingegangen. Aber der Traum an sich ist auch nicht ohne. Zum einen enthält er viele Elemente, die man aus eigenen Träumen kennt: Da verwandeln sich Dinge so mir-nichts-dir-nichts in etwas anderes (Ahab in eine Pyramide), tauchen aus dem Nichts Gestalten auf (der merman), und am Schluss wird sogar ein bisschen geflogen: „With that, he all of a sudden seemed somehow, in some queer fashion, to swim off into the air.“ So.

Nun gibt es zwei Optionen. Entweder ist Melville ein verflucht guter Schriftsteller, der es fertig bringt, einen Traum so realistisch unrealistisch zu schildern, dass man ihn glaubt (einschließlich dieser Momente, in denen man beim Erzählen eines Traums selber merkt, dass es nicht logisch ist: „And then, presto!“ und „With that, he all of a sudden…“ und auch das entschuldigende „But what was still more curious, Flask — you know how curious all dreams are…“), oder das Kapitel verrät uns etwas über Melvilles eigene Befindlichkeit, es ist die (sicherlich etwas angepasste) Nacherzählung eines eigenen Traums.

Und das eröffnet uns dann wieder zwei Möglichkeiten, womit ich wieder bei Freud und meinen Zweifeln an ihm lande. Wenn der Traum tatsächlich „nur“ ein schriftstellerisches Produkt ist, dann, finde ich, ist eine Interpretation nach Freud fehl am Platze. Denn Melville kannte Freuds Ideen nicht, kann also auch nicht auf dessen Baukastenklötzchen zurückgegriffen haben, um Stubb den Traum zu basteln. Wenn es aber ein „echter“ Traum ist, der hier beschrieben wird, dann könnte man ihn schon tiefenpsychologisch deuten, denn auch die Träume von Menschen, die keine Ahnung von Freud haben, sollen ja – laut Freud – etwas bedeuten.

Schwierige Kiste. Wollen uns mal dran versuchen. Zuerst den Traum in leicht verdaubare Häppchen aufteilen:

1. Ahab tritt Stubb;
2. Stubb tritt zurück, dabei verliert Stubb sein Bein;
3. Ahab wird zur Pyramide;
4. Stubb denkt sich den Tritt schön;
5. Der merman tritt auf und packt Stubb;
6. Stubb droht ihm (dem merman) mit einem Tritt, der bietet sein Hinterteil dar, das voller Stacheln steckt;
7. Der merman redet den Tritt schön.

Erstmal versuchen wir uns dann an einer Traumdeutung mit freudianischen Grundkenntnissen, wie man sie halbgar in der Schule serviert bekommt und später in Nachmittags-Talkshows aufgewärmt.

Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930, Freud-Lacan-GesellschaftZu 1.: Stubb wird mit einem künstlichen Bein getreten, womöglich in den Allerwertesten? Ist Ahabs Prothese ein Phallussymbol? Ganz sicher! Wenn das mal keine homoerotische Tendenz erkennen lässt!
Zu 2.: Und Stubb verliert sein Bein? Das deutet doch auf Impotenz, oder?
Zu 3.: Ahab wird eine Pyramide! Bei Freud ist die „Dreizahl“ ein „mehrseitig gesichertes Symbol des männlichen Genitals“! (S. Freud, Die Traumdeutung, Ftb 6344, Frankfurt a.M.: Fischer 1977, Seite 297)*, eine Pyramide besteht aus Dreiecken, das dürfte auf die starke Männlichkeit Ahabs deuten.
Zu 4.: Ahab ist superpotent, Stubb dagegen impotent, das ist hart. Irgendwie muss er sich das schöndenken.
Zu 5.: Ein buckliger alter Mann packt Stubb an den Schultern und dreht ihn herum. Hat Stubb (oder der Träumer) vielleicht in seiner Jugend schlechte Erfahrungen gemacht mit älteren Männern?
Zu 6.: Wieder ein eindeutig homoerotisches Bild: den nackten Hintern darbieten. Allerdings weiß Stubb (oder der Träumer), dass es sich um etwas Verbotenes handelt, deshalb die abweisenden Marlspieker.
Zu 7.: Auch der Alte redet den Tritt schön: So schlimm ist es doch gar nicht, von einem Stärkeren missbraucht zu werden.

Das ist ein ziemlich finstere Sache, die man da finden kann. Missbrauch in der Jugend, durch einen älteren Erwachsenen? Aber, wie schon gesagt, es kann nicht Melvilles Intention gewesen sein, das in dieser Form in Stubbs Biographie zu schreiben, dazu fehlte ihm das Rüstzeug. Wenn man so interpretieren will, muss man davon ausgehen, dass Melville eigene Erlebnisse verarbeitet hat.

Aber: Im Leben nicht würde ich diese laienhafte Analyse auf einen echten Menschen anwenden wollen. Auf eine literarische Gestalt schon, die ist in der Regel auch übersichtlicher.

(Anm. des Bio-Checkers: Melvilles Vaterfiguren in der Prägungsphase werden, vor allem auch in der neuesten Biografie Ein Leben, als eher stärkend und wohlwollend dargestellt: harmonische, glückliche Familie in gesicherten Verhältnissen, Vater in traditioneller Ernährerrolle. Jedenfalls bis zum Verarmen der Familie, weil der Vater Büro und Wohnung in West Village Manhattan verzockt hat. Unabsichtlich bis leichtsinnig — gerade in vorfreudianischer Zeit weiß man da nie, wie traumatisch das von einem Zwölfjährigen wahrgenommen und weiterverarbeitet wird. — Zurück an Jürgen.)

Nehmen wir an, dass Melville „nur“ brillant war, dann kann man den Traum natürlich auch weniger freudianisch deuten:

Zu 1: Die Sache mit dem Tritt kommt ja schon in Kapitel 29 auf: „Maybe he did kick me, and I didn’t observe it, I was so taken aback with his brow, somehow.“ Hier verarbeitet Stubb sie weiter.
Zu 2: Stubb hat keine Chance, es Ahab mit gleicher Münze heim zu zahlen. Ahab ist schließlich der Kapitän. Den tritt man nicht.
Zu 3: Eine Pyramide ist auch ein Symbol für Macht (des Pharaos), Dauer (ist für die Ewigkeit gebaut) und – Tod (ein Grabmal). Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist!
Zu 4: Das mit dem Schöndenken hat Wolf schon schön ausgeführt: „wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert.“
Zu 5: Stubb ist ja nicht so der Selber-Denken-Typ (siehe Kapitel 29: „But that’s against my principles. Think not, is my eleventh commandment“), vielleicht taucht deshalb jemand auf, der ihn lobt („’Wise Stubb,’ said he, ‘wise Stubb“) und in seinen Ideen bestärkt.
Zu 6: Soll der Alte vielleicht Stubbs Gewissen sein? Das er nicht zum Schweigen bringen kann? Da werd ich nicht so recht schlau draus…
Zu 7: Und wieder wird der Tritt „schöndefiniert“.

Sehr viel konventioneller, diese Deutung. Aber so im Zusammenhang des Romans ergibt das ganze Kapitel eigentlich wenig Sinn, oder? Als einzig nützlicher Fakt springt das raus: Erstmals wird der Weiße Wal erwähnt! Weiß denn eigentlich keiner der Besatzung, dass Ahab sein Bein an Moby Dick verloren hat?

* Dieses Freud-Zitat inklusive Quellenangabe habe ich dem wunderbar-seltsamen Buch „Der Ernst des Lesens – Beinharte Forschung zu Arno Schmidt und Consorten“ von Friedhelm Rathjen entnommen! Erschienen in der EDITION ReJOYCE, lieferbar über den Buchhandel (ISBN 3-00-020219-6) oder z.B. über booklooker direkt beim Herausgeber, da sogar auf Wunsch signiert!

Johann Zahn, Vir marinus, 1696. Wassermann, Nix

Bilder: Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930: A. W. Freud et al., by arrangement with Mark Paterson & Associates
via Freud-Lacan-Gesellschaft/Psycoanalytische Assoziation Berlin e.V.;
Johann Zahn, Augsburg 1696: Vir marinus episcopi specie.

Film: Capitaine Achab, Frankreich 2007.

Written by Wolf

14. July 2008 at 12:40 am

Posted in Steuermann Jürgen

Sommergewinnspiel auf Moby-Dick™!

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Update zu Korrekt gekleidete Melville-Leser weiter auf eigene Zukäufe angewiesen! und Perissodactyla:

Vergangene Gewinnspiele lehren mich, dass Moby-Dick™-Leser lieber nach Schweinkram googeln, statt sich an ihm zu beteiligen. Darum heute was Hochliterarisches in zwei Teilen:

  1. Aus welchem Buch stammt der folgende Ausschnitt?
  2. Von welchem Buch ist darin die Rede?

Bitte in beiden Fällen Autor und Buchtitel; wenn Sie aufs eine gekommen sind, wissen Sie auch das andere. Zulässig sind deutsche und englische Antworten. Von mir aus auch Französisch und Latein, wenn Sie Freude dran haben; was anderes versteh ich nicht. Wer mitmachen will, hat so viele Versuche, bis es mich nervt; gewertet werden grundsätzlich alle.

Zu gewinnen gibt es wahlweise, weil es nur einen geben kann:

  1. Einen Gastbeitrag auf Moby-Dick™, was bedeutet, dass Sie in diesem Weblog einen Beitrag lang schreiben dürfen, was Sie wollen. Bitte keine Viecherpornos oder Auschwitzleugnungen oder solchen Scheiß, aber die Zensur fällt milde aus. 200 Leser am Tag garantiert, an guten Tagen schon mal 300.
  2. Ein .mp3 von meinem Lieblingslied zum Zeitpunkt der Preisverleihung. Das ist hier eine Privatveranstaltung, deshalb ist das legal. Sie dürfen auch eingreifend mitwünschen.
  3. Einen Cartoon von mir, Strichzeichnung Druckbleistift Stärke HB/1.0 auf Moleskine kariert, Auflage strikt auf 1 limitiert.

Als Tipps:

  • Keines der Bücher ist Moby-Dick.
  • Keines von beiden wurde je verfilmt.
  • Beide sind im Original auf Englisch verfasst.
  • Eines ist spannend, das andere ist langweilig.
  • Eines ist so schwer erreichbar, dass man sich im Antiquariat mit einem Hechtsprung darüberwerfen soll, um es unter verhalten irrem Kichern unauffällig zur Kasse zu schleppen, das andere ist in ausreichend vielen preiswerten Ausgaben erhältlich.

Das erste gefragte Buch über das zweite gefragte Buch:

Aber an diesem Sonntag holte ich mir ein Buch heraus, von dem ich mnir großen Nutzen und eine solide Belehrung versprach. Ich hatte es von Mr. Jones als Geschenk erhalten. Dieser besaß eine ganze Bibliothek und hatte es von hoch oben aus einem Regal heruntergeholt, wo es ganz verstaubt gelegen hatte. Als er es mir gab, sagte er, ich ginge zwar jetzt zur See, aber ich dürfe die Wichtigkeit einer guten Bildung nicht vergessen. Es gebe kaum eine Situation im Leben, sei sie auch noch so bescheiden und demütig, so finster und trübe, daß man nicht Muße finde, seine Kenntnisse zu vermehren und sich in den exakten Wissenschaften weiterzubilden. Und dann fuhr er fort: wenn es für meine zukünftigen Aussichten auch ziemlich ungünstig sei, daß ich so früh in meinem Leben als einfacher Matrose zur See führe, so werde es sich doch am Ende zu meinem Besten wenden. Auf jeden Fall werde es, falls ich nur auf mich selbst achtete, für meine Körperkräfte vorteilhaft sein, wenn auch sonst nichts dabei herauskomme, und das sei nicht zu gering zu bewerten, denn wie viele reiche Leute würden für meine jugendliche Gesundheit alle ihre Wertpapiere und Hypotheken hingeben.
   Ich dürfe, fuhr er fort, keine leichte alltägliche Lektüre erwarten, die nur kurzweilig und sonst nichts sei. Vielmehr fände ich hier Unterhaltung und Erbauung aufs schönste und harmonischste vereint, und wenn es mir vielleicht anfangs auch langweilig vorkäme, so werde es doch, wenn ich das Buch ganz durchstudierte, bald verborgene Reize und unerwartete Anziehungspunkte offenbaren und mich überdies vielleicht lehren, die Armut meiner Familie zu überwinden und sie alle wieder wohlhabend in der Welt zu machen.
   Mit diesen Worten händigte er mir das Buch aus. Ich blies den Staub davon weg und sah auf seinem Rücken: “[Autor, Titel].” Damit nicht zufrieden, warf ich einen Blick auf das Titelblatt und stellte fest, daß es eine “[Untertitel]” des besagten [Titels] sei. Als ich aber zufällig weiter unten hinschaute, sah ich “Aberdeen”, wo das Buch gedruckt war, und da ich glaubte, etwas, was aus Schottland kam, aus einem fremden Lande, müsse sich auf die eine oder andere Weise für mich als unterhaltsam herausstellen, dankte ich Mr. Jones sehr herzlich und versprach, den Band sorgfältig durchzustudieren.
   So lag ich also in meiner Koje und begann das Buch methodisch mit Seite eins, entschlossen, mir nicht etwa einige flüchtige Blicke hinein zu gestatten, damit diese, wenn ich sie vorwegnahm, mich nicht daran hinderten, regelrecht zu dem Kernpunkt und Gehalt des Buches vorzudringen. Denn dort lag, wie ich mir einbildete, etwas wie der Stein der Weisen verborgen, ein geheimer Talisman, der alles Pech und Teer in Silber und Gold verwandeln würde.
   Angenehme, wenn auch verschwommene Bilder zukünftigen Wohlstandes umgaukelten mich, als ich das erste Kapitel begann, das die Überschrift trug: “[Überschrift].” Trocken wie Zwieback und Käse, zweifellos! Und das Kapitel selbst war nicht viel besser. Aber das war ja nur die Einleitung, und wenn ich weiterlas, würde sich hier das große Geheimnis noch offenbaren. So las ich weiter und weiter, über “[das Thema]“, ohne selbst irgendeinen Nutzen für meine Mühe des Durchstudierens zu finden.
   Trockener wurde es und immer trockener. Sogar die Blätter des Buches schmeckten nach Sägemehl, bis ich schließlich einen Schluck Wasser nahm, ehe ich mich wieder daran machte. Aber bald gab ich es als verlorene Liebesmüh auf. Und dann fiel mir unser altes Tricktrackbrett ein, das wir zu Hause hatten und das auf dem Rücken den Titel “Römische Geschichte” trug und genauso gehaltvoll und ein gut Teil unterhaltsamer war. Ich überlegte mir, ob Mr. Jones den Band jemals selbst gelesen hatte, und mußte daran denken, daß er auf einen Stuhl hatte steigen müssen, als er es von seinem staubigen Regal herunterholte. Das sah auf jeden Fall verdächtig aus.
   Die interessantesten Seiten waren noch die Vorsatzblätter, und als ich sie umwandte, fand ich einige halbverwischte Bleistiftzeilen folgenden Inhalts: “Für Jonathan Jones von seinem vertrauten Freunde Daniel Dodds 1798.” So mußte es ursprünglich Mr. Jones’ Vater gehört haben, und ich überlegte mir, ob der es je gelesen habe oder überhaupt irgend jemand, sogar der Verfasser selbst, es je gelesen habe. Aber auch die Verfasser lesen, wie man sagt, ihre eigenen Bücher nicht, da sie mit dem Schreiben wahrlich genug geleistet haben.
   Schließlich schlief ich, das Buch in der Hand, ein und habe nie zuvor so gut geschlafen. Danach pflegte ich meine Jacke um das Buch zu wickeln und es als Kopfkissen zu benutzen. Dazu eignete es sich sehr gut. Nur wachte ich bisweilen auf und fühlte mich ganz dumpf und dumm, aber natürlich konnte das Buch nicht daran schuld sein.

Einsendeschluss — bitte in den Kommentar oder per E-Mail — ist am, sagen wir, 31. Juli 2008, ist das okay, fast drei Wochen zum Recherchieren? “Rechtsweg” hab ich überhört, weil der fiese Onkel doch nur Spaß macht.

Weiter mit Musik.


[Edit:] Bislang stand unten Pulp: This is Hardcore (uncut version), aus: This is Hardcore, 1998, weil das stylish ist und sieben Minuten dauert. Zu einem Gewinnspiel passt aber sehr viel besser und featuret ebenfalls haufenweise Tarantinika:

Lied: Die Ärzte: Das Lied vom Scheitern (“Dein Spiegelbild ist anderen egal”),
aus: Jazz ist anders, 2007. [/Edit]

Written by Wolf

11. July 2008 at 3:27 am

Posted in Mundschenk Wolf

Die Walsichtung zum Tage

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Update zu Fröhliche Weihnachten,
im Dienstweblog previously released, extended dance remix:

10. Juli 1682: In Pulsnitz, Oberlausitz kommt Bartholomäus Ziegenbalg zur Welt, der als evangelischer Missionar im südindischen Trankebar das Neue Testament ins Tamilische übersetzen wird.

Und dann heißt’s wieder, die Werber dächten sich alles aus.

Büste von Bartholomäus Ziegenbalg in Tranquebar, Tamil Nadu, South India

Bild: Büste von Bartholomäus Ziegenbalg in Tranquebar,
Tamil Nadu, Südindien, 1993;
Literatur: Bartholomäus Ziegenbalgs Genealogie der malabarischen Götter: Edition der Originalfassung von 1713 mit Einleitung, Analyse und Glossar von Daniel Jeyaraj, Franckesche Stiftungen 2003.

Written by Wolf

10. July 2008 at 12:01 am

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And then dreams he of cutting foreign throats

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Wolf hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Mercutio. Nun seh’ ich wohl, Frau Mab hat euch besucht.

Romeo. Frau Mab, wer ist sie?

Mercutio. Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kömmt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit einem Spann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
Des Wagens Deck’ aus eines Heupferds Flügeln,
Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
Das in des Mädchens müß’gem Finger nistet.
Die Kutsch’ ist eine hohle Haselnuß,
Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
Zurecht gemacht, die seit uralten Zeiten
Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
Verliebter, und sie träumen dann von Liebe;
Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen
(Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
Weil ihren Odem Näscherei verdarb).
Bald trabt sie über eines Hofrats Nase,
Dann wittert er im Traum sich Aemter aus.
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt:
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann.
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken:
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelt’s ihm ins Ohr: da fährt er auf,
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete,
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht,
Und flicht in strupp’ges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie –

William Shakespeare: Romeo and Juliet, 1596,
Act I, Scene 4, line 553ff.;
dt. August Wilhelm von Schlegel, 1891

Warum das Kapitel ausgerechnet “Mab, die Feenkönigin” heißt, hätt ich ja im Leben nicht von selbst rausgefunden. Kurzer Check: ein Übersetzungsfehler? Nein, in den restlichen Übersetzungen heißt es ähnlich, und das Original heißt “Queen Mab”. Ohne Anklang an Feen, aber na gut. Aufklärung bringt die Anmerkung in der Jendis-Übersetzung: Die Feenkönigin Mab (gälisch gern auch Medb, Meḋḃ, Medhbh, Meadhbh, Meab°, Meabh, Méabh, Maeve oder Maev, das ist: die Berauschende) bringt Träume. Die Sandfrau.

Schade eigentlich. Seit Kapitel 20: All Astir wurde in Moby-Dick keine Frau mehr gesichtet, da hätte man sich schon über die Krone der Schöpfung, eine Fee gefreut. Und dann erzählt einem nur wieder der olle Stubb seine krausen Träume, über die man womöglich, weil vor Freudischen Zeiten erlebt und dokumentiert, nicht mal allzuviel aussagen kann.

Jedenfalls ist das ein Bedenken, das Jürgen aufgebracht hat (Weblog-Eintrag folgt, wenn sich die Diskussion auf Xing darüber rentiert!), und zwar nicht ganz unbegründet.

Auch ohne freudianisches Fachwissen zu bemühen, kommt mir Stubb schon fast selbstverletzerisch vor, wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert. Einen geträumten Tritt, dazu noch aus einem Traum, der sich aus Erlebnissen des vergangenen Tages zusammengebraut haben mag, immerhin aber kein Erlebnis aus einem Wunschtraum. Gegen den Strich gedacht, hätte Stubb sich danach erst recht gegen Ahab aufregen können; das wäre bei seinem Eifer leicht in einer Überreaktion in die andere Richtung geendet, aber nachvollziehbarer. Gut, man liest lieber von Skurrilitäten als von einem Dahinplätschern, in das man die Handlung nicht einmal groß vorantreiben müsste. Mit dem schrittweisen Zurechtdenken von der Beleidigung zur Ehrung erschreckt mich Stubb.

Irish Pound Note Queen Medb

Was steckt der Gute überhaupt so viel Denkarbeit in einen Traum? Und behelligt sogar seinen Kollegen damit? Ist das Sitte unter Raubauzen zur See, dass die ihre Träume ausdiskutieren?

Erstmals seit seiner Einführung in Kapitel 27: Ritter und Knappen erhält Flask eine Daseinsberechtigung in der Handlung: Der zweite Steuermann erzählt dem dritten seinen Traum. Kein Dienstgespräch von oben nach unten, mehr eine symmetrische, kumpelhafte Unterhaltung. Und Flask hat dabei vorerst nur zuzuhören, weiter charakterisiert wird er nicht. Vielleicht ist das an dieser Stelle sogar ganz gut: Je mehr der Zuhörer Flask im Hintergrund bleibt, desto verblüffter und sprachloser kann man ihn sich vorstellen: Was palavert mich dieser Stubb da mit seinen Träumen zu? “Weiß nicht, aber er kommt mir ein bisschen närrisch vor.” — das ist die Hauptsache, die er zu sagen hat. Recht hat er. Ein bisschen närrisch, der Traum, Stubbs Auslegung davon, und nicht zuletzt der ganze Stubb.

Soll ich mal raten? Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten. Als ob das dramaturgisch noch nötig wäre, hat er gerade seinen eigenen Untergang eingesungen.

Na? Treffer, Frau Königin Medb? Wenn nicht, geb ich meinen Titel als Feenversteher zurück.

Fairy Queen Mab

Bilder: Fairy Queen Medb; Fairy Queen Mab.

~~~|~~~~~~~|~~~

Feenmusik: Tom Waits: Watch Her Disappear aus: Alice, 2002.

Written by Wolf

8. July 2008 at 12:34 am

Posted in Steuermann Wolf

Heute vor…

with 2 comments

Update zu Brush Your Teeth for America! und Geopfert:

  • 954 Jahren: Chinesen, Araber und Indianer sichten in der Nähe des Sternbildes Stier eine Supernova, die monatelang hell genug strahlt, um bei Tage wahrgenommen zu werden. Ihre Überreste bilden heute den Krebsnebel;
  • 232 Jahren: Der zweite Kontinentalkongress verabschiedet die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten;
  • 82 Jahren: Der erste NSDAP-Parteitag in Weimar gründet die Hitler-Jugend.

Skimming lightly, wheeling still,
     The swallows fly low
Over the field in clouded days,
     The forest-field of Shiloh–
Over the field where April rain
Solaced the parched ones stretched in pain
Through the pause of night
That followed the Sunday fight
     Around the church of Shiloh–
The church so lone, the log-built one,
That echoed to many a parting groan
     And natural prayer
Of dying foemen mingled there–
Foemen at morn, but friends at eve–
     Fame or country least their care:
(What like a bullet can undeceive!)
     But now they lie low,
While over them the swallows skim,
     And all is hushed at Shiloh.

Herman Melville: Shiloh. A Requiem (April 1862),
in: Battle-Pieces and Aspects of the War, 1866.

The Declaration of Independence, 1819

Bild: John Trumbull: The Declaration of Independence, 1819.


Film: Susan Hayward as Jane Froman in With a Song in My Heart, 1952.

Written by Wolf

4. July 2008 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

Kein Wunsch, 125 zu werden: And Anxiety’s Plenty For Me

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Update zu Wenn Kafka “Moby-Dick” geschrieben hätte:

Franz Kafka 1888, 5-jährigWenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glattgemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf.

Franz Kafka: Wunsch, Indianer zu werden in: Betrachtung, 1913.

Tagsüber als Sachbearbeiter bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen, die Nacht durch atemlos Tagebücher aus der wundgelebten Seele schreiben, eins nach dem anderen, eins surrealer und luzider als das andere, und sich entsetzt wehren, dass die paar fertig gewordenen und unfertig gebliebenen Sachen veröffentlicht werden, die man ihm gegen seinen letzten Willen aus dem Kaminfegefeuer ringen musste, statt der Skizzen zur Unfallverhütung, die der Menschheit und seinem inneren Vater doch viel besser gedient hätten — geht das gut?

Julie WohryzekFür uns ja, für ihn nicht. Man weiß viel über Franz Kafka, mehr als über die meisten Schreiber, selbst die noch am Leben sind. Nicht aus den Tagebüchern, die ein Leben ausbreiten, das in ihm getobt hat, mehr aus den Briefen. Vor allem an Felice Bauer und Milena Jesenská, seine Verlobten, an die er wahrscheinlich nicht mal richtig dran durfte. Kafkas Leben ist geradezu tageweise rekonstruierbar, Tag für Tag, besser als bei Goethe, auch ohne Eckermann. Was die Wahrheit ist, wie er sich darin gefühlt hat, wusste er selber wohl am schlechtesten.

Er hat gebrannt vor ewiger Schuld — an nichts, der brave Mann –, vor Angst, nicht zu genügen. Die ihn kannten, beschreiben ihn als Mädchentyp, gesellig, unbescholten, unterhaltsam, eloquent, ein Mann zum Heiraten, ein Kumpel zum Pferdestehlen. Und dann wurde es jeden Tag Nacht, in der er um sein Leben schrieb.

Habe ich an einem Abend Gutes geschrieben, brenne ich am nächsten Tag im Bureau und kann nichts fertig bringen.

Dieses Hinundher wird immer ärger. Im Bureau genüge ich äußerlich meinen Pflichten, meinen inneren Pflichten aber nicht, und jede nicht-erfüllte innere Pflicht wird zu einem Unglück, das sich aus mir nicht mehr rührt.

Tagebücher, 1911

Die Geschichten von diesem Nachtgespenst gleißen. Sie blenden wie ein Blick in die Sonne. Sein Process ist eine Luftnummer, sein Amerika ein hanebüchener Hirnfurz, seine runtergeratterten One-Night-Stands wie der Brief an den Vater, In der Strafkolonie und Die Verwandlung eine Abfolge von Fußtritten in die Magengrube:

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.

Gerard Bertrand, Kafka MétamorphoseSo geht das weiter — kompakte Information, es geht nie ums Wie, immer ums Was. Das hat es 2007 immerhin zum zweitschönsten Satz der deutschen Literatur gebracht. Typisch, hätte er gesagt, second winner is first loser.

Man kennt ihn noch, er ist präsent, mehr als zu seinen Lebzeiten, als er allenfalls in der Kneipe auffiel. In der Schule nimmt man ihn gern durch, weil man bei dem nicht viel lesen muss. Von dem ständigen, heißen, vibrierenden Weltschmerz des ewigen Vaterjüngelchens mit den rührenden Segelohren fühlen sich die Emos und perspektivlosen Ritzer in der Neunten sowieso zutiefst verstanden. Alles unfertig, alles schön kurz und vollgepackt, wer tut sich denn die zu Tode durchgestylten Thomas-Mann-Backsteine an. Und schön billig, die dünnen Heftchen, vor allem seit 1994, als nach 70 Jahren sein Copyright frei wurde und jeder Gemüsestand den tollen populären Klassiker fleddern, beklauen und missbrauchen durfte, wie es der Public Domain nicht belieben kann, die Sämtlichen Erzählungen gibt’s heute für den Gegenwert von keiner Halben Bier. Und Kafka hätte sie dafür hergegeben.

Am Ende soll er sogar ein bisschen Glück gefunden haben, weg von dem Versicherungsbau wie aus seinem Schloss, auf dem Land, mit seiner Lieblingsschwester Ottla ehrlich Kartoffeln buddeln, bis ihn in einem Krankenzimmer, das besichtigt werden kann, wohin sich aber die Anreise touristisch etwas ungünstig gestaltet, die Tuberkulose holte.

Man kommt sich ganz zynisch und schofel vor, so einem Glück zu wünschen. Trotzdem danke, Franz, dass du das seit 125 Jahren durchstehst.

George Gershwin and Franz Kafka Try to Write a Musical

Bilder: Der fünfjährige Franz Kafka: gemeinfrei;
Julie Wohryzek: franzkafka.de;
Kafka et la Métamorphose: Gerard Bertrand;
Paris, 1922: George Gershwin and Franz Kafka Try to Write a Musical:
Franz Kafka Cartoons.

Written by Wolf

3. July 2008 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

Das Hörbuch als Video: Kapitel 11: Nachtrock

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Update zu Kapitel 10: Ein Busenfreund:

Das elfte Kapitel (5:42 Minuten) ist fertig.

Shorpy, Record Time, 1940

Copyright Lesung: marebuchverlag Hamburg, 2007.
Sprecher: Christian Brückner;
Copyright Übersetzung: Zweitausendeins Frankfurt/Main, 2006;
Buch mit 2 .mp3-CDs kaufen.

Bild: Record Time, Crawford County, Illinois, May 1940. Daughter of Farm Security Administration rehabilitation borrower listening to phonograph. Medium format safety negative by John Vachon for the Farm Security Administration.


Und weil das ein so kurzes Kapitel war, kriegen Sie noch ein langes Lied von Sigur Rós dazu. Es handelt ebenfalls von Homophilie in vage maritimer Umgebung. Ruhig die ganzen 7:02 Minuten dabeibleiben, es hat einen Plot. Viorar Vel Til Loftarasa (Gutes Wetter für Luftangriffe) aus Ágætis Byrjun (Ganz guter Anfang), 1999.

Written by Wolf

1. July 2008 at 7:39 am

Posted in Siedekessel