Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for December 2007

Pretty Good Kunitzburger Eierkuchen

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Update zu Prokrastination jetzt! und Warum die Doppelgängerin Moby-Dick voraussichtlich nicht lesen wird:

Liedchen

Die Zeit vergeht.
Das Gras verwelkt.
Die Milch entsteht.
Die Kuhmagd melkt.

Die Milch verdirbt.
Die Wahrheit schweigt.
Die Kuhmagd stirbt.
Ein Geiger geigt.

Joachim Ringelnatz: Liedchen, in: 103 Gedichte, Seite 7, 1933

Constantin Brancusi, Portrait James Joyce 1929Als James Joyce nach sechzehn Jahren Arbeit, wegen schleichender Erblindung mit dem Zimmermannsbleistift, mit dem verzwicktesten Buch der Welt, Finnegans Wake, fertig wurde, hatte er gut Lust, ein sehr einfaches Kinderbuch zu schreiben. Wenn dieser Salat — oder muss man es eine Bouillabaisse nennen? — hier fertig ist, was im Laufe von 2014 oder so passieren müsste, bloggen wir auch was ganz Überschaubares.

Es darf gerne etwas Deutsches sein, das recherchiert sich leichter. Kürzlich ist mir wieder jenes alte Haus-, Hof-, Leib-, Magen- und Seelengedicht von Joachim Ringelnatz ein- und aufgefallen, das mir und Ihnen und unseresgleichen von den ersten jugendlichen Manifestationen des Charakters an lebenslang an die Wand genagelt gehört.

Das Frappierende daran ist, dass man mit jeder Zeile davon ein Leben lang nicht fertig wird. Allein die Stelle mit dem Kunitzburger Eierkuchen, wie sie gesagt und wo sie eingebaut wird, ist der Anstoß zum Radikalen Konstruktivimus.

Ideal zum Bloggen; ich denke daran, jede Zeile als eigene Kategorie zu definieren und den Schreibfluss mindestens so lange durchzuhalten, wie wir für Moby-Dick — Futur II: — gebraucht haben werden. Das hätte Tiefgang und wäre schlicht genug, dass die Menschen es haben wollen. — Vorsicht, die Händebreit Wasser unterm Kiel werden gleich ein letztes Mal für heuer seichter.

Wir lesen uns 2008.

Ansprache eines Fremden
an eine Geschminkte
vor dem Wilberforcemonument

Guten Abend, schöne Unbekannte! Es ist nachts halb zehn.
Würden Sie liebenswürdigerweise mit mir schlafen gehn?
Wer ich bin? – Sie meinen, wie ich heiße?

Liebes Kind, ich werde Sie belügen,
Denn ich schenke dir drei Pfund.
Denn ich küsse niemals auf den Mund.
Von uns beiden bin ich der Gescheitre.
Doch du darfst mich um drei weitre
Pfund betrügen.

Glaube mir, liebes Kind:
Wenn man einmal in Sansibar
Und in Tirol und im Gefängnis und in Kalkutta war,
Dann merkt man erst, daß man nicht weiß, wie sonderbar
Die Menschen sind.

Deine Ehre, zum Beispiel, ist nicht dasselbe
Wie bei Peter dem Großen L’honneur. –
Übrigens war ich – (Schenk mir das gelbe
Band!) – in Altona an der Elbe
Schaufensterdekorateur. –

Hast du das Tuten gehört?
Das ist Wilson Line.

Wie? Ich sei angetrunken? O nein, nein! Nein!
Ich bin völlig besoffen und hundsgefährlich geistesgestört.
Aber sechs Pfund sind immer ein Risiko wert.

Wie du mißtrauisch neben mir gehst!
Wart nur, ich erzähle dir schnurrige Sachen.
Ich weiß: Du wirst lachen.
Ich weiß: daß sie dich auch traurig machen.
Obwohl du sie gar nicht verstehst.

Und auch ich –
Du wirst mir vertrauen, – später, in Hose und Hemd.
Mädchen wie du haben mir immer vertraut.

Ich bin etwas schief ins Leben gebaut.
Wo mir alles rätselvoll ist und fremd,
Da wohnt meine Mutter. – Quatsch! Ich bitte dich: Sei recht laut!

Ich bin eine alte Kommode.
Oft mit Tinte oder Rotwein begossen;
Manchmal mit Fußtritten geschlossen.
Der wird kichern, der nach meinem Tode
Mein Geheimfach entdeckt. –
Ach Kind, wenn du ahntest, wie Kunitzburger Eierkuchen schmeckt!

Das ist nun kein richtiger Scherz.
Ich bin auch nicht richtig froh.
Ich habe auch kein richtiges Herz.
Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk.
Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo
Im Muschelkalk.

Joachim Ringelnatz: Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument, in: Kuttel-Daddeldu, Seite 61f., 1923

Lied (Hold onto nothing as fast as you can — still: a pretty good year):
Tori Amos: Pretty Good Year, aus: Under the Pink, 1994;
Bild: Constantin Brancusi: Frontispiz aus James Joyce: Tales Told of Shem and Shaun, Paris 1929. Portrait von James Joyce ohne Antlitz.
Das untere ist eins von Gil Elvgren.

Schöne Restfeiertage von Gil Elvgren

Written by Wolf

29. December 2007 at 12:01 am

Miss You

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Update zu Rathjen geht aufs Mare:

Alle Bilder via ƒ€ñЀ®èLLÅ.

Written by Wolf

27. December 2007 at 1:05 am

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Das Land der Kuhjungen mit der Seele suchen

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Update zu Amiot! und Alle lieben Bartleby
(und Das Land der Deutschen mit der Seele suchen):

Manu Larcenet, Hundejahre. Die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud, 2001Sigmund Freud, Kind vom 6. Mai 1856, verlegte nach einer ausgiebigen Praxis der Psychoanalyse an neurotischen alten Wiener Schachteln den Schauplatz seiner Seelenforschung in den Wilden Westen.

Manu Larcenet, Kind vom 6. Mai 1969, macht die unbewussten Tatsachen dramaturgisch schlüssig. Vor allem auch die Nebenerscheinung, dass im Indianergebiet kaum jemand auf Verhaltensmuster seiner Kindheit festzunageln ist, vielmehr allzu bereitwillig Koriander gegen halluzinogene weiße Pilze, rote Kräuter aus den Hügeln und Maismehl eintauscht.

Die Weißen werden Krieg gegen die Inhaber echter Seelen führen. Nicht den mit Gewehren, das tun sie ohnedies, und es wird vorübergehen. Ihre schlimmste Waffe werden die Krötenhäute sein, Geldscheine, die ihnen erlauben, auf einem Boden zu marodieren, den ihre Füße nie kennen werden. Wenn die mit den Seelen eines Tages nichts mehr haben, werden auch sie diese Seelen annehmen, um noch eine Weile zu überleben. Dann haben die anderen gewonnen. “Ist es das, was du willst, Vetter Hund? Eine Siegerseele?” — Spot, der Hund auf der Suche nach seiner Seele, meint mit Seele etwas anderes als der angegraute Doktor seiner selbsterfundenen Disziplin mit Psyche.

Glaube mir, liebes Kind:
Wenn man einmal in Sansibar
Und in Tirol und im Gefängnis und in Kalkutta war,
Dann merkt man erst, daß man nicht weiß, wie sonderbar
Die Menschen sind.

Deine Ehre, zum Beispiel, ist nicht dasselbe
Wie bei Peter dem Großen L’honneur. —

Joachim Ringelnatz: Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vom dem Wilberforcemonument in: Kuttel Daddeldu, 1923

Manu Larcenet, Hundejahre. Die wundersamen Abenteuer von Sigmund Freud, 2001, Seite 7

Bilder: Repodukt.

Written by Wolf

26. December 2007 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

My Mouth Is Bleeding, or: Merry Christmas, Bedford Falls

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Update for Joachim Ringelnatz: Die Weihnachtsfeier des Seemanns Kuttel Daddeldu:

It’s A Wonderful Life by Frank Capra starring James Stewart and Donna Reed, 1946, is considered one of the best films ever made — by guess whom? Especially by those who have on the q.t. their heartstrings played by it year after year after year.

Nobody is watching you. Take your 130 minutes, switch to Frame, open your mind, close your head, and watch.

If you can read this on December 24, you are the right person to watch, since the film’s message is: Get a life; whilst our message to Mr. Jesus “Reason for the Season” Christ is: Happy birthday. — This service comes to you by Moby-Dick™ for free as long as you respect Liberty Films‘ and RKO‘s copyright, right?

Film:: Liberty Films, RKO Radio Pictures;
Image: Decodog.

Written by Wolf

24. December 2007 at 12:01 am

Posted in Mundschenk Wolf

Fast geschenkt: The Tales of the Wolf

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The Tales of Beedle the Bard waren ein Geschenk an Hermi(o)ne? Von wegen. The Tales of Beedle the Bard wurden gerade wo sonst als bei Sotheby’s von wem sonst als Amazon ersteigert.

Emma Watson as Hermione Jean Weasley, née GrangerFür lasche 2,75 Millionen Euro. Sieht auf den üppigen Bildern des stolzen Käufers gar nicht schlecht aus.

Was Sie jetzt noch haben können:

  • Das abgelegene Apokryphon Weihnachten für Wellensittiche von William Kotzwinkle, als Knaur-Taschenbuch in der Übersetzung von, jawollja, Harry Rowohlt, ab 2,39 Euro (nicht Millionen);
  • das btb-Taschenbuch Mardi, Herman Melvilles seemannsphilosphische Fingerübung zum Moby-Dick in der Übersetzung von Rainer G. Schmidt, rarer als das Hardcover, ab 25 Euro;
  • das Goldmann-Taschenbuch Dr. Katzenbergers Badereise von Jean Paul für 999 Euro.

Und wo doch jetzt an Weihnachten so viele Gutscheine verschenkt werden, mach ich’s wie Joanne K. Rowling und schreibe Ihnen exklusiv von Hand ein ganzes großformatiges blanko Moleskine mit Märchen, Gedichten, Schwänken, Travestien, Parodien, Bildern aller Größen und Stimmungslagen voll — 240 Seiten. Als Unikat, alles frisch für Sie selbst erfunden, mit blauschwarzer Kalligraphietinte aus der extrafeinen Goldfeder niedergeschrieben und mit Strichzeichnungen illustriert, einschließlich der Garantie, dass der gesamte Inhalt weder veröffentlicht ist noch wiederverwendet wird. Sie schließen einen Lieferantenvertrag mit mir in meiner Eigenschaft als Firma Gute Worte ab und können sicher sein, dass ich ungleich Frau Rowling nicht erst mal sechs Stück von Ihrem Unikat an meine Kumpels verschenke. Alles seriös, nichts Schwarzes. Mach ich einfach. Schlagen Sie zu, bevor ich mir’s anders überlege, und mehr als drei solche Aufträge werde ich nicht annehmen. Das kostet Sie 10.000 Euro, so viel wie ein gern genommener Geschenkgutschein für einen Diamantring — das entspricht einem Seitenpreis von gerade mal 41,67 Euro oder 0,36 % (!) eines vergleichbaren Rowling —, und ist versandkostenfrei! Wenn Sie bis 6. Januar 2008 bestellen, liefere ich pünktlich zum 23. März 2008, dann haben Sie was Feines zu Ostern.

Na?

Bilder: Emma Watson als Hermione Jean Weasley, geborene Granger: Public Domain (jaja, ich hab’s selber nicht geglaubt…);
Titelseite Joanne K. Rowling: The Tales of Beedle the Bard: The Guardian.

Written by Wolf

22. December 2007 at 12:01 am

Posted in Reeperbahn

Plan 12/24 From Outer Space

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Update zu That same image selves see in all rivers, in oceans, in lakes and in Welles:

Santa Claus Conquers the MartiansDer Plot von Santa Claus Conquers The Martians oder Santa Claus Defeats the Aliens, 1964 könnte ohne größere Eingriffe aus dem aktuellen Jahrtausend stammen: Die Marsianer kidnappen den Nikolaus oder jedenfalls etwas, das Amerikaner dafür halten, damit sie auf dem Mars auch endlich Geschenke kriegen. Ist das world-of-warcraft-fähig oder nicht?

War als typischer Weihnachts-“Film für die ganze Familie” gedacht, wird aber heute in eine Reihe mit Plan 9 From Outer Space 1959, dem vierten Weißen Hai 1987, Showgirls 1995 oder Catwoman 2004 als einer der objektiv schlechtesten Filme aller Zeiten gestellt und ist deshalb de facto nichts für Mimosen. Joe Gandelman hat das Ding zum Nikolaustag 2007 in The Moderate Voice endlich in der gebotenen Ausführlichkeit ernst genommen.

Pia Zadora, 1980erInsiderwissen: Wir können darin der 80er-Softporono- und Sangesmieze Pia Zadora mit ihren acht Jahren beim Debütieren als Jungmarsianerin “Girmar” zuschauen. Ihr nächster Film war erst wieder 1981 Butterfly — dafür jetzt gleich richtig mit Orson Welles. Auf Deutsch hieß er Der blonde Schmetterling und setzte für Frau Zadora einen Golden Globe als beste Newcomerin, für den selbst Meister Welles als beste Nebenrolle nur nominiert war, weil das 1964er Weihnachtsdebüt gnädig übergangen wurde, und eine Goldene Himbeere als schlechteste Newcomerin, und noch eine solche als schlechteste Schauspielerin.

Die Vollversion dauert 81 Minuten; ihre Zugänglichkeit in der Public Domain ist legal, wahrscheinlich weil dergleichen von soziologischem, nicht aber kommerziellem Interesse sein kann. Zum Anfixen und Eingewöhnen tut’s erst mal das zehnminütige Mashup, das keine gute Stelle auslässt.

Bilder: Wikimedia Commons, Taskboy.

Written by Wolf

21. December 2007 at 1:17 am

Posted in Moses Wolf

Verschwinde aus meinem Leben, Baby

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Update zu Ich habe euch immer gesagt, dass wir die Menschen fröhlich machen müssen:

Musik: Funny van Dannen oder SoKo.

Ich hab Keira Knightley abgesägt.
Mit mir geht manches nicht, und das wusste sie.
Eigentlich wollte ich nicht, dass sie sich so erschreckt.
Die Beziehung war tot, und sie nur noch geprägt
von Botox und Bulimie.

Es reicht eben nicht, das hat sie vergessen,
sich zu unterwerfen: Es kam nicht von innen.
Wie ihre Zehen lackiert sind, konnte ich in der Bunte nachlesen.
Unser Küchentisch taugte nicht mal mehr zum Essen
für Berufsbulimikerinnen.

(Wanderklampfensolo!!)

Jetzt säuft sie wieder und ich soll schuld sein, auch wenn sie
lallte: “Mach dir mal du keinen Kopp.”
Ich hatte schon wieder Dates mit MacKenzie.
“Mit den Hüftknochen”, sagte ich noch, “lass ich dich nicht ins Fernseh.” —
“Lass mich”, würgte sie. — Hey, so ist der Job.

(Fade out.)

Keira Knightley in Jane Austen, Pride and Prejudice

Bild: Keira Knightley als Elizabeth Bennet in Jane Austen: Pride and Prejudice (Stolz und Vorurteil), 2005, erste Einstellung.

Written by Wolf

19. December 2007 at 4:32 am

Posted in Vorderdeck, Wolfs Koje

Herz des Positivismus

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Update zu Was man überhaupt noch glauben soll:

Das Garn der Seeleute ist von einer rückhaltlosen Einfältigkeit, deren ganzer Sinn in einer aufgeknackten Nußschale liegt. Aber Marlow war nicht typisch (wenn man von seiner Neigung, ein Garn zu spinnen, absieht), und für ihn lag der Sinn einer Begebenheit nicht in dieser eingeschlossen wie der Nußkern, sondern draußen, rings um die Geschichte, die ihn lediglich sichtbar machte, so wie eine Feuersglut einen Dunst sichtbar macht — ähnlich einem jener Schleierhöfe, die mitunter im gespenstischen Licht des Mondscheins sichtbar werden.

Joseph Conrad: Herz der Finsternis 1899/1902,
Übersetzung von Urs Widmer 2004.

Joseph Conrad, rätselhafte ZeichnungMarlow darf Conrad den vorgeschobenen Rahmenerzähler machen, all seinen Rassismus schultern und sich dann noch einfältig schimpfen lassen. Gut, dass Novellenfiguren so wehrlos sind und ihrem Schreiber nur dann was husten können, wenn er es entweder so einbaut oder Flann O’Brien ist.

Mal ganz langsam mitdenken.

Der Sinn einer Begebenheit wohnt ihr nicht inne, sondern umwabert sie.

Der Sinn wäre demnach nicht kleiner, sondern größer als eine Begebenheit.

Der Sinn einer Begebenheit ergibt sich also nicht zwingend aus ihr, vielmehr ist eine Begebenheit einer von vielen Wegen, die zu ihrem Sinn führen.

Der Sonderfall, den eine Begebenheit darstellt, führt zu einem Allgemeinen, ihrem Sinn. In der Lehre von der Folgerichtigkeit des Denkens, vulgo Logik, nennt man das Induktion.

Im Positivismusstreit von 1961, den vor allem Karl Popper gegen Theodor W. Adorno anzettelte, wollte Popper neue Theorien innerhalb der Sozialwissenschaften ausschließlich anhand des Kritischen Rationalismus gebildet sehen. Grob gesagt, darf danach innerhalb der Sozialwissenschaften, sofern sie den Status einer Theorien bildenden Wissenschaft einnehmen wollen, ausschließlich induziert, niemals deduziert werden. Man sagt entlang der klassischen Syllogistik:

Praemissa maior: James Wait ist ein Nigger.
Praemissa minor: James Wait ist doof.
Conclusio: Nigger sind doof.

Timthy Lantz, Her Heart of Darkness, 2007Das wäre anhand des Beispiels einer anderen Novelle von Joseph Conrad, die mit selbstverständlich rein stilistisch gemeinter Gottgegebenheit das böse N-Wort für stark pigmentierte Leute verwendet, eine zulässige Induktion. Der Klassiker “In Holland erscheint mindestens eine Kuh mindestens drei Menschen von mindestens einer Seite schwarz” hätte auch funktioniert, aber es geht ja um Joseph Conrad und Karl Popper. Hören wir dem letzteren zu:

Sechste These (Hauptthese):
a) Die Methode der Sozialwissenschaften wie auch die der Naturwissenschaften besteht darin, Lösungsversuche für ihre Probleme — die Probleme von denen sie ausgeht — auszuprobieren.
Lösungen werden vorgeschlagen und kritisiert. Wenn ein Lösungsversuch der sachlichen Kritik nicht zugänglich ist, so wird er eben deshalb als unwissenschaftlich ausgeschaltet, wenn auch vielleicht nur vorläufig.
b) Wenn er einer sachlichen Kritik zugänglich ist, dann versuchen wir, ihn zu widerlegen; denn alle Kritik besteht in Widerlegungsversuchen.
c) Wenn ein Lösungsversuch durch unsere Kritik widerlegt wird, so versuchen wir es mit einem anderen.
d) Wenn er der Kritik standhält, dann akzeptieren wir ihn vorläufig; und zwar akzeptieren wir ihn vor allem als würdig, weiter diskutiert und kritisiert zu werden.
e) Die Methode der Wissenschaft ist also die des tentativen Lösungsversuches (oder Einfalls), der von der schärfsten Kritik kontrolliert wird. Es ist eine kritische Fortbildung der Methode des Versuchs und Irrtums (“trial and error”).
f) Die sogenannte Objektivität der Wissenschaft besteht in der Objektivität der kritischen Methode; das heißt aber vor allem darin, daß keine Theorie von der Kritik befreit ist, und auch darin, daß die logischen Hilfsmittel der Kritik — die Kategorie des logischen Widerspruchs — objektiv sind.
Man könnte die Grundidee, die hinter meiner Hauptthese steht, vielleicht auch folgendermaßen zusammenfassen.
Siebente These:
Die Spannung zwischen Wissen und Nichtwissen führt zum Problem und zu den Lösungsversuchen. Aber sie wird niemals überwunden. Denn es stellt sich heraus, daß unser Wissen immer nur in vorläufige[n] und versuchsweisen Lösungsvorschlägen besteht und daher prinzipiell die Möglichkeit einschließt, daß es sich als irrtümlich und also als Nichtwissen herausstellen wird. Und die einzige Form der Rechtfertigung unseres Wissens ist wieder nur vorläufig: Sie besteht in der Kritik, oder genauer darin, daß unsere Lösungsversuche bisher auch unserer scharfsinnigsten Kritik standzuhalten scheinen.
Eine darüber hinausgehende positive Rechtfertigung gibt es nicht. Insbesondere können sich unsere Lösungsversuche nicht als wahrscheinlich (im Sinne der Wahrscheinlichkeitsrechnung) erweisen.
Man könnte diesen Standpunkt vielleicht als kritizistisch bezeichnen.

Karl R. Popper: Die Logik der Sozialwissenschaften,
in: Der Positivismustreit in der deutschen Soziologie,
1961/1993, Seite 105f.

Und ob man das könnte. Alles was man sich zu wissen einbildet, sei einer fortgesetzten Selbstfrustration unterworfen, werde so lange kritisiert, bis es widerlegt ist, ansonsten sei es Nichtwissen. Induktion. Die einzig zulässige Art des Wissens. Kein Wunder, dass man so, ohne sich auf jemand anders außer sich selbst zu berufen, Streit anzettelt.

Marlow aus dem Herz der Finsternis, der unbedarfte Seebär, weiß davon nichts, er induziert einfach so, weil es ihm liegt. Das macht ihn jedenfalls nicht ganz so einfältig wie Poppers Widerpart Adorno. Eine wie depressive Persönlichkeitsstruktur man jedoch dafür braucht, beginnen wir nach Poppers Hauptthese ganz vage zu ahnen.

Induktiver Logiktest:

Praemissa maior: Sokrates war ein Mensch.
Praemissa minor: Synchronschwimmer sind Menschen.
Conclusio: Sokrates war Synchronschwimmer.

Gut, lassen wir Popper den einen Punkt. Mir schwindelt. Zu Ende denken können Sie ab hier selbst. Wenn mich jemand sucht, ich bin was Unverfängliches gucken.

Bilder: Joseph Conrad: gemeinfrei;
Her Heart of Darkness: Timothy Lantz, 2007;
Film: Steamboat Willie, die Erscheinung der Maus, 1928.

Written by Wolf

17. December 2007 at 4:07 am

Posted in Rabe Wolf

Call me Fishmael

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Update zu (… und hört schon auf, mich dauernd Ismael zu nennen):

Volker Jahr berichtet in der Lesemaschine seit Aberwochen darüber, wie er Georg Forster: Reise um die Welt. Illustriert von eigener Hand nicht liest. Man hat schon weit Unspannenderes mitverfolgt.

Salzte James Cook nach?

“Stattlich und feist erschien James Cook am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen.”

Das könnte der erste Satz im hochpreisigen Forsterband sein: Forster beobachtet seinen Kapitän aus der Kajüte heraus bei der Morgentoilette, während er selbst über einer Tierzeichnung brütet. Aber vielleicht auch nicht. Ich habe ja keine Ahnung, bis Weihnachten ist es noch lang und ich habe damit begonnen, mir mögliche Buchanfänge auszudenken, um nicht in völliger Duldungsstarre ausharren zu müssen. Waren die Forsters zum Essen in der Offiziersmesse zugelassen? Dann könnte der erste Satz lauten James Cook salzte nach. Aber auch dies eher unwahrscheinlich, denn dann hätte er ja heimlich bei Grass abgeschrieben und den alten Zausel so vor 200 Jahren schon salonfähig gemacht.

Ich fange noch mal von vorne an und variiere ein wenig, vielleicht geht es ja mit einer Selbstbeobachtung los:
Stattlich und feist stand ich am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen. Könnte passen, denn Forster schien einen Hang zur Fettleibigkeit aufzuweisen, wie die Notiz eines Zeitgenossen in seinen späteren Jahren nahe legt: “Er war dicker geworden, dicker denn je. Die Knöpfe vom Halskragen seiner Hemden sprangen ab.” Aber kann diese Anlage angesichts der Schiffszwieback-und-Pökelfleisch-Diät auf der Erdumrundung zum Tragen gekommen sein? Doch wohl eher nicht.

Hat er seinen Bericht möglicherweise mit einem Nachruf auf seinen schwierigen Vater begonnen?
Heute ist Papa gestorben. Vielleicht auch gestern, ich weiss es nicht.
Unsinn, denn Reinhold Forster hat die Reise ja lebendig beendet und seinen Sohn letztlich sogar überlebt. Vielleicht hat er stattdessen seine der fliegenden Gicht geschuldete Unfähigkeit porträtiert, an den allmorgendlichen Bordspielen teilzunehmen:
Reinhold Forster war schon vierzig Jahre alt und immer noch so langsam, dass er keinen Ball fangen konnte.
Nein, das klingt zu uninteressant für einen Buchanfang, aber lagen in dieser Verweigerung eventuell die gegen Reinhold Forster verhängten Sanktionen begründet und wurden vom Sohn sogleich literarisch verarbeitet?
Jemand musste Reinhold verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. Könnte schon eher zutreffen, wenn man sich anschaut, dass sein Vater mehrmals von Cook unter Kajütenarrest gestellt worden ist.
Oder breitet Georg zum Anfang minutiös seinen Tagesablauf vor uns aus?
Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen. Auch das nicht unwahrscheinlich, denn was soll man ohne Fernseher, I-Phone und Internet in seiner kleinen Kabine schon anfangen, 1111 Tage lang.
Luana, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden… Denkbar, möglicherweise hatte er ja auf einer der angesteuerten Südseeinseln nach einem Landgang was am Laufen, der Junge war 17 und auf einem Schiff voller Männer unterwegs, aber würde man so einen wissenschaftlichen Reisebericht beginnen?

Ich sehe schon, das bringt alles nichts, ich sollte einfach geduldig abwarten und mich wie ein Maulwurf langsam aber stetig auf die greifbar nahen Festtage zubewegen. Jan Schumacher vom Eichborn-Verlag ist zum Punkt geworden, ich bin eine Linie. Ich komme voran.

Kaufen, kaufen, kaufen (in dieser Reihenfolge):

Und für mich einmal den Forster, bitte.

Written by Wolf

15. December 2007 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

Wie ihr’s auch dreht — der Wal hat Recht

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Elke tut meinen Gedenkjob. Sogar schon zum zweiten Mal:

Melville meets Gernhardt.

Dreh es, o Seele

Die Stirn so feucht,
das Aug’ so fahl,
so kenn ich ihn,
den Grönlandwal.

Im Nordmeer, da
ist er zuhaus,
er kommt nie aus
dem Wasser raus.

Und holt man ihn,
so sagt er knapp:
“Ihr schaufelt mir
das trock’ne Grab.

Das Meer ist tief,
die Welt ist schlecht,
wie ihr’s auch dreht —
der Wal hat recht.

Ein Jammer, dass man ihn nicht mehr fragen kann, den Robert Gernhardt, wo er Walisch gelernt hat. Denn er hat sich im vorletzten Sommer davongemacht, dorthin, wo Herman schon lange ist. Dabei hätten wir nur allzu gern gesehen, was er als munterer Siebziger noch alles für uns auf Lager gehabt hätte.

So müssen wir und Moby-Dick uns mit dem Meer von Robert Gernhardt trösten. Wetten, es hätte ihn gefreut. Und walfreundlich ist es bestimmt auch, sein Meer, oder? Na, unser großer Weißer hätt’s ihm schon gesagt…

Happy Birthday, Robert! Dort im weiten, fernen Meer…

Robert Gernhardt, Schnuffi auf hoher See

Bild: Robert Gernhardt: Schnuffi auf hoher See.

Written by Wolf

14. December 2007 at 12:05 am

Posted in Smutjin Elke

To sail you home

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Update zu Die Zeit steht still und mir ist kalt und Das bleibt:

Tori Amos, die einzige bekannte echte Fee, hat bis jetzt nicht viele betont nautische Videos machen lassen, muss aber nach ihrem inspirierenden Einfluss unbedingt mal mit Primärmaterial vorkommen.

Tori Amos Close-up1000 Oceans aus To Venus and Back, 1999 ist noch ihr maritimstes Lied. Video-Uploads in diskutabler Qualität werden vom Label offensichtlich noch untersagt.

Das Herz aber, das bei dem Melodieschlenker auf

Over Silbury hill
through the solar field
you know that I will follow you

nicht in eine Gurgel hüpft — wo war denn das vorher?

 

 

Bild: Tori Amos auf dem Meet & Greet vor ihrem Berliner Konzert, 17. Juni 2007.

Written by Wolf

13. December 2007 at 4:26 am

Posted in Mundschenk Wolf

Die fröhliche Cetologie

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Update zu Gewiss kann es kein Olivenöl sein:

Kann ein allmächtiges Wesen einen so schweren Stein schaffen, dass es ihn selbst nicht heben kann?

Es ist möglich, die Frage auf die folgenden Arten zu betrachten:

  1. Das Wesen kann entweder einen Stein schaffen, welchen es selbst nicht heben kann, oder es kann keinen Stein schaffen, den es selbst nicht heben kann.
  2. Wenn das Wesen einen Stein erschaffen kann, welchen es nicht heben kann, so ist es nicht allmächtig.
  3. Wenn das Wesen keinen Stein schaffen kann, welchen es selbst nicht heben kann, so ist es nicht allmächtig.

Dies gleicht einem ähnlichen Paradoxon: “Was geschieht, wenn eine unaufhaltsame Kraft auf ein unbewegliches Objekt trifft?” Eine Antwort ist, dass es der Definition entsprechend kein wirklich unbewegliches Objekt geben kann, wenn es eine unaufhaltsame Kraft gibt; dementsprechend kann auch keine tatsächlich unaufhaltsame Kraft existieren, wenn es ein unbewegliches Objekt gibt. Bei der Übertragung des Paradoxons bleibt die Grundaussage erhalten, allerdings wird hierbei nicht die Definition von Allmacht berücksichtigt.

Es kann auch versucht werden, das Paradoxon durch das Postulat aufzuheben, dass ein allmächtiges Wesen nicht notwendigerweise alles zu jeder Zeit tun können muss. So könnte man argumentieren:

  1. Das Wesen kann einen Stein schaffen, welchen es in diesem Moment nicht heben kann.
  2. Gleichwohl kann es als allmächtiges Wesen jederzeit später das Gewicht des Steines so weit verringern, dass es ihn heben kann. Dadurch könne das Wesen dann noch als allmächtig angesehen werden.

Nach dieser Argumentation lässt sich das Paradoxon aber weiterstricken: Kann ein allmächtiges Wesen einen Stein schaffen, der so schwer ist, dass es ihn nicht heben kann und so unveränderbar, dass es dessen Gewicht nicht reduzieren kann? Zudem stellt diese Situation Anforderungen an das allmächtige Wesen, zum Beispiel, dass es das Gewicht des Steines reduziert, wodurch sich die Frage stellt, ob sein freier Wille dadurch nicht gewissermaßen eingeschränkt wird.

Teilweise gibt es naturwissenschaftliche Aussagen, die bekannten Beispielen für Paradoxa widersprechen, allerdings sprechen diese nicht gegen die Paradoxa an sich. Sie beeinflussen lediglich die Wahl der Beispiele, um jene zu verdeutlichen. Das klassische Beispiel — ein Stein, welcher so schwer ist, dass sein allmächtiger Schöpfer ihn nicht heben kann — beruht auf einem Aristotelischen Weltbild. Heutzutage stellen sich neue Fragen, beispielsweise ob ein Stein nur relativ zur Planetenoberfläche angehoben werden kann. Betrachtet man die Position des Steines relativ zur Sonne, könnte man von einem konstant gehobenen Stein sprechen. Kleinlich betrachtet ergibt sich aus Sicht der modernen Physik das Ergebnis, dass das Beispiel des zu hebenden Steines ein schlechtes ist. Dies spricht aber nicht gegen das grundsätzliche Konzept des Allmächtigkeitsparadoxons. Den Gedankengängen Stephen Hawkings über die Beziehung zwischen Gottheit und Naturgesetzen folgend, ließe sich die Frage wie folgt umformulieren:

  1. Ein allmächtiges Wesen schafft ein Universum, welches den aristotelischen Gesetzen der Physik folgt.
  2. Könnte ein allmächtiges Wesen in diesem Universum einen so schweren Stein schaffen, dass es ihn selbst nicht heben kann?

Allmächtigkeitsparadoxon, Philosophische Antworten

Vereinfachend hat ♥ Marilyn ♥ dazu noch einen:

A little girl was talking to her teacher about whales.

The teacher said it was physically impossible for a whale to swallow a human because even though it was a very large mammal its throat was very small.

The little girl stated that Jonah was swallowed by a whale.

Irritated, the teacher reiterated that a whale could not swallow a human; it was physically impossible.

The little girl said, “When I get to heaven I will ask Jonah”.

The teacher asked, “What if Jonah went to hell?”

The little girl replied, “Then you ask him”.

Linton Baldwin, Sinner's Game

Written by Wolf

12. December 2007 at 4:43 am

Posted in Mundschenk Wolf

Happy Birthday nachträglich,

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Emily Dickinson.

If I can stop one heart from breaking,
I shall not live in vain:
If I can ease one life the aching,
Or cool one pain,
Or help one fainting robin
Unto his nest again,
I shall not live in vain.

Quasi als Update zu Das Schwirren eines Vogels auf Blütenblättern, der Aufprall einer Nippesfigur auf dem Fußboden, Teil 2, wurde erst anno 2000 die angeschlossene Photographie von ca. 1850 entdeckt.

Und zwar auf Ebay. Es ist das zweite Foto von Emily Dickinson, das je bekannt wurde.

Sogar erst vor zehn Minuten wurden ihre sämtlichen Gedichte entdeckt, aber nur von mir… Wenn man sich die .zip-Datei saugt, was wegen ausgelaufenem Copyright legal sein sollte, kann man sich die 2006er Hanser-Ausgabe ihrer Gedichte sparen, was trotzdem schade wäre. Die ist nämlich zweisprachig.

Das lebenslange Fräulein Barfuß-Dichterin wird mir die paar Stunden Verspätung nachsehen. Sie war eh ein so wenig greifbares Wesen.

Probably Emily Dickinson, ca. 1850

Die Bildrechte an Emily Dickinson bleiben trotz der mehr als 70 Jahre post mortem auctoris wie immer bei ihren Inhabern.

Written by Wolf

11. December 2007 at 2:06 am

Posted in Rabe Wolf

So dürft ihr nach eurem eigenen Gesetz heute nicht hier stehen, sondern müsstet alle tot sein, wenn euer Gesetz wahrhaftig wäre

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Update zu Über die Magie des Bösen:

Ich möchte nun zu gerne wissen, wer es war, der den Befehl gab, mich festzunehmen und zu hängen. Ich lebte friedlich dort mit meiner Familie im Schatten der Bäume und tat genau das, was General Crook mir geraten hatte zu tun. Ich habe oft um Frieden gebeten, aber Ärger kam immer von den Agenten und Dolmetschern. Ich habe nie Unrecht ohne Grund getan, und wenn ihr von Unrecht redet, oder auch nur an Unrecht denkt, so tätet ihr besser daran, an das Unrecht zu denken, das ihr dem Roten Manne zugefügt habt, und das tief und weit wie ein Ozean ist, durch den niemand mehr waten kann, ohne darin zu ertrinken.

Geronimo bei San Bernardino Springs
zu General George Crook, 25. März 1886.

Je ne suis pas d’accord avec ce que vous dites, mais je me battrai jusqu’à la mort pour que vous ayez le droit de le dire.

Voltaire

Skull & Bones LogoGeorge Walker Bush, der erste ungewählte Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hat noch nie in seiner Amtszeit, wozu er die Befugnis und eine moralische Verpflichtung hätte, eine einzige Begnadigung von einer Todesstrafe ausgesprochen. Vielmehr hat er auch Frauen, geistig Behinderte und Minderjährige braten lassen. Seinen Erbfeind Saddam Hussein, erst ein Verbündeter der USA, später Kriegsgegner seines Vaters George Herbert Walker Bush, hat er als den Inbegriff des Bösen, nicht wesentlich über dem Satan stehend, stilisiert. Husseins Strafverteidiger Ramsey Clark, früherer Justizminister und schon Verteidiger von Slobodan Milošević, spricht nicht von einem Prozess, sondern einer Zirkusnummer mit ziemlich vielen Clowns und festgelegtem Ausgang (“Wir brauchen keinen Prozess, sondern eine Hinrichtung!”).

Geronimo, 76Ferner gehört George Walker Bush jun. der diskreten Gesellschaft Skull & Bones an, die der Yale University angeschlossen ist und über deren Gebräuche man naturgemäß nicht viel weiß, außer dass ihre Mitglieder bei der Initiation Blut aus einem Schädel trinken, und das vermutlich nicht, um ihre besondere Friedfertigkeit zu demonstrieren. Besonders geeignet schien Bushs Großvater, dem Senator Prescott Bush, dafür der Schädel des Apachenhäuptlings Geronimo; er stahl ihn 1918 aus dem Grab in Fort Sill bei Oklahoma und schenkte ihn seinen Mit-Bonesmen. Himmelangst kann einem werden, wenn man Ismael bekennen hört: “A whale-ship was my Yale College and my Harvard.”

Persönlich imponiert mir in dem ganzen Gruselkabinett Ramsey Clark: Der äußert sich so missbilligend wie jeder moralisch Empfindende auch über seine Schützlinge, steht aber nicht an, einige der schlimmsten Verbrecher der Welt zu verteidigen, weil sie ein Recht auf einen fairen Prozess haben — einzig aus dem Grund, dass sie, was schwer zu widerlegen wäre, Menschen sind und den Menschenrechten unterliegen. In der Bewertung meiner weiland Facharbeit über Günter Wallraff: Ganz unten hat mir mein Deutschlehrer “engagierte Sachlichkeit” bescheinigt und nur den letzten von 15 möglichen Punkten verweigert: weil ich nicht deutlich genug zwischen Äußerungen der “linken” und “rechten” Presse unterschieden hatte. Dabei wäre mir unwohl gewesen. Wichtiger finde ich heute noch das positiv moralische Handeln nach Kant, das sich von der Kohlschen Überbewertung dessen, “was hinten rauskommt”, durch knochenharte Stringenz in der Pflichterfüllung unterscheidet:

Der Begriff der Pflicht fordert also an der Handlung, objektiv, Übereinstimmung mit dem Gesetze, an der Maxime derselben aber, subjektiv, Achtung fürs Gesetz als die alleinige Bestimmungsart des Willens durch dasselbe.

Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, 1788

Ab 1952 hieß das: A man’s gotta do what a man’s gotta do. Es gibt nämlich auch anständige Amerikaner. Schon der allerfrüheste Donald Duck sah am Ende seines ersten Filmauftritts 1934 die Fragwürdigkeit seines Tuns ein und bestrafte sich gegenseitig mit seinem Kompagnon selbst.

Bild: Skull & Bones Logo, Geronimo: Public Domain;
Film: The Wise Little Hen, 1934.

Written by Wolf

10. December 2007 at 12:01 am

Posted in Rabe Wolf

Das Bild zur Geschichte hinter der Geschichte

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Update zu The Life of Moby and the Death of Mocha:

Stephan hat gestern den Originalartikel aus dem Independent beigebracht. Musste auf drei Mal gescannt werden, das Mittelstück davon einzupassen war das Gesellenstück für einen DTP-Redakteur, dafür können Sie den Text vom 4. Dezember jetzt durch einfaches Anklicken groß stellen. Sieht doch viel besser aus.

The stories behind some of literature’s best-known novels, The Independent, 26 November 2007

Written by Wolf

9. December 2007 at 12:01 am

Posted in Rabe Stephan

Wo der Nikolaus wohnt

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Vom Seeleuteretten, Kinderbeschenken
und Urlaubmachen

Elke hat fast das Christkind gesehen und macht ein Update zu Stephans Only that day dawns to which we are awake:

Elke HegewaldDurch die Landschaft von Lykien in der heutigen Türkei fließt das Flüsschen Myros. Nicht weit von der Stelle, wo der Myros in das Mittelmeer mündet, liegt das Städtchen Patara. Das Städtchen liegt dort schon sehr lange, ist voll von Geschichte und deren Ruinen, voll von wundersamen und wundertätigen Legenden.

Ich bin dort gewesen, vor ein paar Jahren, in einem Urlaub zwischen Ruhe und Abenteuer fernab vom wuselnden Touristentrubel. Patara liegt für mich am Ende eines unvergesslichen Tages, an dem ich an eben jener Mündung des Myros aus einem Kanu stieg, das mich flussabwärts dorthin getragen hatte. Die Haut von der Sonne verbrannt und die Fußsohlen vom kochendheißen Sand an einer Schwefelquelle in der Wildnis. Deren heilsamer Schlamm war uns nach dem Bade in der Gluthitze vom Leib geplatzt, bevor wir, gefühlte Halbwilde, uns in einem Teich mit silberklarem Nass wieder in Zivilisationsmonster verwandelten. Ein bisschen erschöpft vom Fulltime-Manövrieren mit dem Stechpaddel und den Aufregungen beim Umschiffen tückischer Baumstämme und Überwinden harmlos sprudelnder Stromschnellen stand ich am Meer – atemlos. Denn zur Rechten streckte die Sonne grad den großen Zeh in die See und vor mir, auf dem Weg zum Wasser, lag – ein riesiger Teppich aus strahlend weißem, feinem Sand, wie ich noch nie einen gesehen hatte. Ein Paradies. Feenstaub, in den man die Zehen wühlen musste. Und sie ließen ihn auch dann nicht los, als die Wellen die Füße umspülten, die weit, weit in das flache nasse Glitzern hinauswaten konnten… am Strand von Patara.

Hl. NikolausSommer, Sonne und Wasser – man mag es nicht glauben, dass gerade von dorther der Alte kommt, aus dem wir den Rauschebart mit dem roten Mantel gemacht haben, der den Kindern Süßes in die Schuhe steckt. Und doch hat es den Heiligen Nikolaus wirklich gegeben. Und in “meinem” Patara ist er vor fast zweitausend Jahren geboren. Allzu viel weiß man allerdings nicht über ihn und Belegtes gibt es kaum, dafür Legenden zuhauf. Scho recht, wie es sich halt für den Nikolaus gehört, möchte man beinahe sagen. Als Bischof von Myra – das ist da gleich um die Ecke – soll er ein richtiger Powertyp gewesen sein und in dieser Eigenschaft viel Gutes an den Menschen getan haben: Jungfrauen vor dem Los der Prostitution gerettet, Hinrichtungen verhindert, verschleppte Kinder heimgeführt oder gegen den Hunger Korn vermehrt.

Auf dass solches fortdauere, wurde er von aller Welt als Schutzpatron erkoren. Eine Tatsache, die ich schon deshalb sehr begrüße, weil sie mich endlich die Kurve kriegen lässt und rechtfertigend den Bogen schlagen zu Moby-Dick. Denn der Heilige Nikolaus von Myra ist auch der Schutzheilige der Fischer und Seeleute, aus gutem Grund. War er doch neben sonstigen Wundertaten kompetent, Seestürme zu stillen, die Segel zu sortieren und die Navigation zu übernehmen.

Der Mannschaft der Pequod hats allerdings nix genützt. Vielleicht weil sie mehrheitlich Quäker waren und auch sonst nicht die richtige orthodoxe Religion hatten? Hm, ich versteh ja als religionsfernes Mädchen nicht so viel davon, aber sollte ein Patron nicht ohne Ansehen der Person schutzheiligen? Also ich glaub ja, dem hat der Ahab dazwischengepfuscht – welcher heilige Beschützer will schon den Satan retten? Und Herr Melville hatte da wohl auch ein Wörtchen mitzureden. Obwohl er das – so – wahrscheinlich nie zugegeben hätte…

Ich weiß, meine Niklausgeschichte kommt einen Tag zu spät. Wünsche trotzdem allen, was zum Naschen im Schuh gehabt zu haben. Nikolaus sei Dank!

Ach ja, und fahrt mal nach Patara.

Nikolausschiff

Bilder: Tintoretto: Nikolaus von Myra via Christkindls Weihnachtsseiten;
Lorenzo Monaco, 15. Jahrhundert: Nikolaus rettet die Schiffbrüchigen,
Galleria dell’ Academia Venecia via Die Kelten.

Written by Wolf

7. December 2007 at 4:39 am

Posted in Krähe Elke

Prokrastination jetzt!

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Fachartikel ist in Arbeit. Ahoi derweil.

Sari the German Pin-up Girl

Bild: Sari, das deutsche Aufhängemädchen.

Written by Wolf

6. December 2007 at 4:06 am

Posted in Reeperbahn

Weihnachts, wenn die Teufelin kam

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Update zu Die Rache der Wortteufelin, Part römisch zwo:

Fast hätt ich übersehen, wie da mal wieder ein Stöckchen vorbeischwirrt. Ist ja auch so ein kurzes. Wie üblich kommt es von der Kollegin Wortteufel.

Nachts, wenn der Teufel kam. Filmplakat 19573 (materielle) Wünsche zu Weihnachten

Oh, nur keine Umstände! Überweisen Sie mir einfach alles, was Sie haben. Auf Anfragen zu meiner Bankverbindung antworte ich gewöhnlich innerhalb von 24 Stunden. Sollten Sie zu den verantwortungslosen Sozialromantikern gehören, die verbreiten, Geld verderbe den Charakter: Meine Amawuli umfasst im Moment 18 Seiten, von denen auch die verbuddeltsten von 2001 noch ernst genommen werden dürfen. Bitte nichts Selbstgebasteltes.

3 Menschen, mit denen ich gern Weihnachten feiern würde

Starbuck, Stubb und Flask, wer sonst. Zur Not tun’s auch Nicole Kidman, Kate Moss und Tori Amos. Zieht euch nicht zu warm an, Mädels. Oder ich wollte schon immer mal eine entspannte Runde mit den inzwischen etwas rausgewachsenen Jungs von der Biermösl Blosn verbringen. Bildungsbauern — ein unterschätzter Menschenschlag.

3 Menschen, die von mir ein Weihnachtsgeschenk erhalten

Die Wölfin, Mami und Papi. Sonst schenkt mir auch keiner was.

3 Menschen, die das Stöckchen fangen sollen

Wer sich das positiv zu Weihnachten wünscht, kriegt von mir dieses einwandfrei erhaltene Stöckchen geschenkt. Da bin ich nicht so.

Written by Wolf

5. December 2007 at 2:38 am

Posted in Mundschenk Wolf

The Life of Moby and the Death of Mocha

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Update for Zwischen Elephant Island und den Jagdgründen von Mocha Dick:

Stephan did some research and found in The Independent from 26 November a collection of insider knowledge to what we all have read since we can read. Beside the following paragraph about Moby-Dick, there are bits to Joseph Heller: Catch-22 (1961), PG Wodehouse: My Man Jeeves (1919), F Scott Fitzgerald: The Great Gatsby (1925), George Orwell: Nineteen Eighty-Four (1949), Vladimir Nabokov: Lolita (1955), William Shakespeare: Hamlet (c. 1600), Jules Verne: Around the World in Eighty Days (1872), TS Eliot: The Waste Land (1922), and Anthony Burgess: A Clockwork Orange (1962). One, two:

The stories behind some of literature’s best-known novels

Stephan De Maria

Moby-Dick (1851)

Moby-Dick was a real whale. In the days when whales were not sages of the deep but floating oil repositories, sailors would give names to individual whales who were particularly dangerous or unkillable. One of the most famous was “Mocha Dick”, named after the island of Mocha off the Chilean coast. An albino sperm whale (like Moby-Dick), Mocha Dick was said to have drowned over 30 men, sunk five ships and been harpooned 19 times, which probably accounted for his mood.

Herman Melville’s chief source was an article by Jeremiah N Reynolds in the Knickerbocker Magazine of 1839 entitled “Mocha Dick Or, the White Whale of the Pacific”. He also took from the article the ship’s name the Penguin, changing it to the Pequod.

The change from Mocha to Moby is more difficult to explain. It may have had its origin in another project that was on Melville’s desk at the time he was writing his whale story: this was “The Story of Toby” about a seafaring friend, Tobias Greene. It may be that “Toby” influenced the change from Mocha Dick to Moby-Dick.

So much for the title of Moby-Dick, one might think. But there is an odd twist in the tale. Moby-Dick was not the title of the book at all. The title was The Whale when it was first published in London by Richard Bentley on 18 October 1851. Now rare, the English edition was substantially different textually from the American Harper edition, which followed later on 14 November 1851, and bore the familiar title Moby-Dick.

And, as if to give its imprimatur to the true, the pure American edition, an odd circumstance heralded its publication. On 5 November 1851, just nine days before its appearance, news reached New York that the whaler Ann Alexander, out of New Bedford, had been rammed and sunk by a whale. Despite stories of vicious and malignant whales, this was still a rare event, and the news spread rapidly throughout the globe.

Melville could barely hide his glee. On 7 November he wrote animatedly to his friend Evert Duyckinck: “Crash! comes Moby Dick himself, & reminds me of what I have been about for part of the last year or two. It is really & truly a surprising coincidence – to say the least. I make no doubt it IS Moby Dick himself, I wonder if my evil art has raised this monster.”

Randall Enos, The Life and Death of Mocha Dick. A Suite of Linoleum Cuts

Image: Randall Enos: The Mocha Dick Project: A Suite of Linoleum Cuts. Cover.

Written by Wolf

4. December 2007 at 1:05 am

Posted in Rabe Stephan

Dass man immer so deutlich werden muss

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Update zu Schrott für alle:

Ich kann recherchieren bis es blutet, mir lesen die Kunden hier immer nur das Geständnisstöckchen und das alte hingeschlonzte Ding über Pinguine, wobei wenigstens im letzteren noch eine Melvillestelle vorkommt, die es sonst nirgends on- oder offline auf Deutsch gibt und die ich im Schweiße meiner Künstlerpfötchen abgetippt hab.

Für eine fruchtbare Beschäftigung mit Herman Melville braucht’s heutzutage nicht einfach eine Kaugummiautomatenausgabe Moby-Dick, sondern da schaffen Sie sich, wo Sie so schön seit August 2006 durchhalten, endlich die Inkunabeln der Melvilleforschung an:

Warum genau die alle, erfahren Sie in den einschlägigen Weblog-Einträgen und der angeschlossenen Bücherliste. Die Suchfunktion ist rechts oben. Ich empfehle das und werde wissen warum und deswegen wird das jetzt gemacht. Eigentlich bin ich ein ganz unautoritärer Mensch, aber über meine Sexualgewohnheiten und die Zubereitung von Pinguinen haben Sie jetzt genug herausgefunden und dürfen die verbleibenden Informationen ab sofort zu dem nutzen, wozu sie gedacht waren.

Der Unterschied zwischen meinen und den “Geschenke-Tipps”, die Sie sonst zu lesen kriegen: Ich denk mir was anderes dabei, als wie viele Anschläge (mit Leerzeichen) mir der PR-Arsch von einem namhaften Marktartikelunternehmen bezahlt. Niemand zahlt mir das. Aber ich würd’s nehmen.

Ist doch Advent und so. Soll man sich doch besinnen und alles. Also: Bitte.

Reading Sailorette

Bild: Juliette.

Written by Wolf

1. December 2007 at 10:47 am

Posted in Kommandobrücke