Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

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All the subtle demonisms of life and thought

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Hannah hat Kapitel 41: Moby Dick gelesen und sich in ihren black & white Debütantinnensüdwester geschmissen:

Hannah BayerUnd hundert Mal den Stift zur Hand genommen und wieder weggelegt, verlassen von jeglichem Mut und ein wenig verschüchtert. Dieser Text hätte schon vor über zwei Monaten fertig werden sollen und können, doch ich bitte Sie und den Kapitän um Vergebung, auch für eventuell ungewohntes Vokabular: Ich habe erst sehr spät Deutsch gelernt.*

Also beginne ich beim Anfang, und zwar beginne ich so, wie ich in meinen eigenen Gefilden meine Leser ansprechen würde, und wir tun einfach mal alle so, als wären Sie mein übliches Publikum, das weiß, worauf es sich da eingelassen hat:

Ahoi, verehrte Leser!

So schreibt denn Phrixus tatsächlich nun über Ahab und den weißen Wal…

I, Ishmael, was one of that crew; my shouts had gone up with the rest; my oath had been welded with theirs; and stronger I shouted, and more did I hammer and clinch my oath, because of the dread in my soul.

Rockwell Kent, Moby Dick, illustration for Chapter XLI, Moby DickUnd diese Furcht in unseren Seelen, wenn wir spüren, dass wir uns gerade auf etwas einlassen, das zu groß und überwältigend, das unser Untergang und Verderben, oder schlicht eine ganz, ganz blöde Idee ist, wenn wir ehrlich sind, begleitet und trägt uns alle diese Furcht durchs Leben. Umso lauter rufen wir, umso lauter schwören wir – denn wie sonst könnten wir hinterher noch in den Spiegel blicken? Fehler einzugestehen ist eine Sache, eine ganz andere aber ist es, sich die Furcht vor der eigenen Courage, die Furcht vor dem Unbekannten und der möglicherweise unheilvollen Zukunft einzugestehen, denn immer ist da jemand in uns selbst, der uns einen Feigling nennt. Jemand, der fragt, “Scheiß drauf, warum tust du’s nicht einfach?” – Und dann wacht man mit einem neuen Tattoo oder in einem Keller voller Zombies auf, jagt einen mörderischen Wal oder ist plötzlich im siebten Monat schwanger. Je nachdem.

Warum ich so viel rumpsychologisiere? Weil das das große Thema in Kapitel 41 ist. Kurz zusammengefasst: Wer zu faul oder zu blöd ist, sich eine Interpretation der Charaktere Ahab oder Moby Dick selbst zu erarbeiten, dem nimmt Ishmael hier dankenswerterweise die Arbeit ab. Wird modernen Schriftstellern als absolutes No-Go verboten, aber Melville ist ja kein moderner Schriftsteller. Er neigt – und das gilt ja in gängigen Workshops als Anfängerfehler – dazu, ins Plaudern über Gott und die Welt zu geraten und hier gibt er eben eine schöne psychologische Deutung sowohl Ahabs als auch des Wals zum Besten. Heutzutage würde das keiner machen, nicht mal in Form eines unzuverlässigen Ich-Erzählers, der über andere Charaktere spricht. Man verkneift es sich einfach. Und wer es doch tut, gern in Kriminalromanen, muss sich schon verdammt viel Mühe geben. Melville jedoch, der ja in den vorigen Kapiteln auch einfach einen akuten Anfall von “Drehbuch” hatte, kann sich das ernsthaft leisten, sogar mit der bescheuerten Anmerkung am Schluss, dass es da noch mehr zu ergründen gäbe, als Ishmael es hier kann (haha, doch noch ein kleiner Rettungsversuch vom Herman, nur so für alle Fälle). Und überhaupt, alle Schüler der Welt sollten im noch heute auf Knien dafür danken, auch wenn er dem geübten Leser dabei nicht viel Neues verrät, das man sich nicht irgendwie schon selbst zusammengereimt hätte. Der Wal ist nicht unbedingt ein missverstandes, dummes Tier, sondern auf unheimliche Weise tatsächlich bösartiger als andere seiner Art. Und Ahab ist eben verrückt wie der Osterhase, auch wenn er das in seinem Alltagsverhalten nicht zeigt, also nicht mit seiner Unterhose auf dem Kopf herumläuft. Aus Berechnung heraus verhielt er sich zunächst gesellschaftlich akzeptabel und plante zugleich insgeheim seinen großen Rachefeldzug. Und obwohl Moby Dick mehr ist als ein Wal, so ist doch Ahabs Rachedurst noch größer und wirft die Frage auf, wer der größere Antagonist ist.

All that most maddens and torments; all that stirs up the lees of things; all truth with malice in it; all that cracks the sinews and cakes the brain; all the subtle demonisms of life and thought; all evil, to crazy Ahab, were visibly personified, and made practically assailable in Moby Dick. He piled upon the whale’s white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart’s shell upon it.

Und wir wissen aus jeder klassischen Tragödie, dass eine so schöne Obsession am Schluss alle ins Verderben reißt, es sei denn, man ist ein anderer Kapitän:

Nun habe ich leider doch keinen Anknüpfungspunkt gefunden, um über Ahabs oder Moby Dicks Beziehung zur Mutter zu spekulieren – vielleicht in späteren Kapiteln, bester Wolf. Mein Identifikationspotential mit Moby Dick wächst dafür mit jedem Tag und dem Leibesumfang – ich fühle mich immer mehr wie eine gestrandete Pottwalkuh. Im neunten Monat gibt’s dann als Dreingabe ein passendes Foto.

* Das ist natürlich eine Lüge.

Bilder: 1. Die schwarze Hannah: die schwarze Hannah;
2. Der weiße Wal: Rockwell Kent: Illustration zu Kapitel XLI: Moby Dick Rockwell Kent Gallery im Plattsburgh State Art Museum,
auf druckfähigen 300 dpi via ed ed, 2008.
Film: Star Trek: Der erste Kontakt, 1996.

Written by Wolf

1. July 2011 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Hannah