Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for November 2011

Sauerlanditis

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Update zu From hell’s heart I stab at thee und Capturing Lafontainitis:

Klaus Jost denkt mal wieder mit und schickt uns:

Oliver Schmeer: OB Sauerlands und Kapitän Ahabs Wa(h)lkampf. Kommentar in: Der Westen, 25. November 2011, 19:36 Uhr:

Duisburg. „Armer Kapitän Ahab“. So verglich FDP-Ratsherr Wilhelm Bies Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Einer von einigen Sätzen in der Ratssitzung zum Abwahlverfahren, die eine Betrachtung wert sind.

Armer Kapitän Ahab. So verglich FDP-Ratsherr Wilhelm Bies Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Foto dapd

Kapitän Ahab. Legendär mit Gregory Peck verfilmt, hat man Herman Melvilles Romanfigur des einbeinigen Walfängers vor Augen, der bis zu seinem Untergang Moby Dick, den weißen Wal jagt, der ihm einst ein Bein abriss. Sturheit bis zur Verblendung.

„Armer Kapitän Ahab“: Die tragische Romanfigur spiegelte FDP-Fraktionschef Wilhelm Bies in der Ratssondersitzung am Donnerstag auf Oberbürgermeister Adolf Sauerland. Ein – wenn auch harter – rhetorischer Volltreffer, aber kein Schlag – wie andere – unter die Gürtellinie. Ein Bild zudem, das Sauerland mit seiner Stellungnahme nach der Ratssitzung allzu offenbar bestätigte: Sein Moby Dick ist der politische Gegner. Allein dieses Freund-Feind-Denken, das Abtun der Abwahl als Kampagne gegen den ungeliebten CDU-Mann scheint ihn den Druck aushalten zu lassen. Sauerlands Sicht und auch die der CDU: Die „Roten“ wollen den „Schwarzen“ aus ihrem roten Rathaus, aus dem Amt jagen. Für die CDU ist Sauerland der gejagte Wal.

Shiko Derbyblue, Olive Oil Sings the Blues, 24. Mai 2011Die „Pequod“, Ahabs Walfangschiff, geht in Melvilles Roman unter. Keine Sorge, keine Dramatisierung: Das Schiff Duisburg wird nicht sinken. Doch der drohende Lager-Abwahlkampf wird die Stadt in schwere See bringen.

Kein Wort von Sauerland in seiner Reaktion, um was es bei dem Abwahlverfahren gegen ihn eigentlich geht, was Zigtausende hat das Bürgerbegehren unterschreiben lassen. Es ist die Loveparade, die politisch-moralische Verantwortung, die er hätte übernehmen müssen. Auch daran erinnerte FDP-Mann Bies. Und es geht um das Desaster nach der Katastrophe. Muss man wirklich an Pressekonferenzen, fragwürdige Gutachten, Leugnungen und Verleugnungen, an verbale Fehltritte erinnern?

Stattdessen: Wagenburg, Legendenbildungen. Spaltung der Stadt. Lähmung. Die Loveparade-Katastrophe wird zur nicht heilenden Wunde Sauerland. Auch fraglos für den Betroffenen selbst – trotz aller Bekundungen der Gelassenheit. Natürlich ist der Abwahlkampf nunmehr auch zum Kampf um die Macht im Rathaus geworden. Das politische Leben schaukelt sich hoch. All das hätte nicht sein müssen.

Auch das: Linke lobt die Verdienste des OB

In der Ratssitzung fiel ein weiterer bemerkenswerter Satz: „Sauerlands Verdienste als Oberbürgermeister gerade in der Anfangszeit sind unbenommen.“ Das sagte ausgerechnet Linken-Fraktionschef Hermann Dierkes. In der Tat: Aufgebrochene Verkrustungen mit Sauerlands Amtsantritt nach jahrzehntelanger SPD-Herrschaft, frischer Wind im Rathaus, neue Gesichter an Schaltstellen, Aufbruch namentlich in der Innenstadt, neue Attraktivität für Investoren. Alles richtig und unbenommen. Nur darum geht es längst nicht mehr.

Ein dritter Satz aus der Ratssitzung: „Ich bitte Sie, keine Gräben aufzureißen, die wir nur schwer wieder zuschütten können“, appellierte Stadtdirektor Peter Greulich. Der Satz ging im Tumult unter. Man hört sich nicht mehr zu. So richtig die Mahnung ist, auch sie kommt zu spät. Zu groß das Misstrauen zwischen Politik und Verwaltung, zu heftig die gegenseitigen Schuldzuweisungen, Verdächtigungen, Mutmaßungen.

Ein letzter Satz aus dem Rat, der fatal klingt, zweifelsohne zwiespältig ist, aber dennoch brachte Linken-Chef Dierkes das Duisburger Dilemma auf den Punkt: „Für die Stadt wäre nichts gewonnen, wenn Sauerland das Abwahlverfahren gegen zigtausende Bürger überstehen würde.“

Danke an den Westen, das Portal der WAZ Mediengruppe für Text & Bild (dapd),
Shiko Derbyblue für das Techno-Girl Olive oil Sings the Blues, 24. Mai 2011
und an Klaus Jost für die Aufmerksamkeit!

Written by Wolf

28. November 2011 at 8:01 am

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Du singst, waaßt eh, dei Schmoizmelodie

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Update zu Walgesang in seiner Sprache:

Auf geht’s, mitten in’ Himmel eine,
In a neiche Zeit, in a neiche Welt. […]
Nicht traurig sein, naa naa, is kaa Grund zum Traurigsein.
I wer’ singen, ich wer’ lachen, ich wer’ “des gibt’s net” schrei’n,
i wer’ endlich kapiern, ich wer’ glücklich sein.

Wer hätte das geglaubt, dass Ludwig Hirsch sterben kann? Der Mann war doch selber der Todesengel.

Man konnte viel gegen ihn einwenden. Das Sonderbare ist: Niemand hat es getan. Er passte nicht in die Zeit, in gar keine. Für einen Liedermacher zu schmalzig, für einen Schnulzensänger zu gemein. Sein Gesamtwerk besteht aus hinterkünftig hereinschleichenden Engelsmelodien mit Texten, aus denen nie alle lebendig rauskommen.

Seine erste Platte sollte aus elf Watschn bestehen, die er denen zurückgab, die es verdienten. Was folgte, war federbettweiche Gemeinheit, zugleich knüppelharter Trost. Jeder erinnert sich, wann und unter welchen Umständen er Ludwig Hirsch begegnet ist, diese Samtstimme war so eindeutig wie eindrucksvoll. Vielleicht ist ihm nicht jeder verfallen, aber keiner ist ihm ausgekommen.

Man lernte von ihm: Nein, du musst nicht cool bleiben, wenn dein Gefühl stärker wird als du; du musst nicht stark tun, wenn du etwas Größeres triffst. Du darfst dich einlullen lassen von einem, der das drauf hat, du darfst sogar zusammenzucken, wenn er dich hinterher zwickt. Dann schau genau nach, ob er das böse meint oder ob du ein Stück Weisheit davon mitnehmen kannst. Du darfst weinen. Du darfst lachen. Wenn dir danach ist, auch gleichzeitig. Aber wenn du kannst, sollst du deine Worte wählen. Wer eine Platte von Ludwig Hirsch besitzt, braucht keine andere mehr, die eine trägt bis zum Tod. Woanders endet sowieso keiner.

Hat schon mal jemand Ludwig Hirsch hergegeben, ohne ein Backup davon zu behalten? Man braucht sie alle, glaubt man alsbald. Ungestützt fällt mir genau ein Lied von ihm ein, in dem keiner der Handelnden gewaltsam zu Tode kommt, das ist sein Gel du mogst mi — sein breitenwirksamer Hit, ein Elvis-Cover, 1983 (na gut, in erkennbaren Watschnliedern wie I kann auf meiner Wampn Motorradl fohrn stirbt auch nicht direkt einer). Es war das zum Anfixen allzu lebenszugewandter Jünglinge und vor allem Madln, denen noch nicht klar ist, worauf das alles hinausläuft. Eins zum Tanzen, Anfassen und Flachlegen. Wer erst mal weiterhörte, begriff unmittelbar den Zusammenhang von Liebe und Tod, und dessen Schönheit gleich mit: Es tut nicht weh. Sowas können nur Österreicher.

Ja, das kann nerven, diese ewige Todessehnsucht im Wiener Lied, dieses ständige mondsüchtige Taumeln auf ein Seidenkissen zu, um nur ja nicht mehr mühsam aufstehen zu müssen. Junge Leute sollten mit ihrer besten Lebenszeit etwas anderes vorhaben als sie mit luxuriösem Totentanz und morbidem Getändel hinzubringen. Der Flirt mit der eigenen Gruft findet immer zur Unzeit statt, die wird einen schon auffinden — und wer schon mal jemanden erlebt hat, der sterben muss, obwohl er leben will, kann sich schwer etwas noch Frivoleres ausdenken, als den Tod mit seiner Poesie zu besingen. Sich mit der eigenen Endlichkeit abfinden, ist das nicht am Ende — und vor allem so lange davor — schon zynisch?

Kann sein; es gibt Argumente. Bei Ludwig Hirsch haben die Leute wenigstens ernsthafte Sorgen, gestorben muss werden. Meistens wissen sie es lange vorher und haben viel Zeit, es verdammt noch mal hinzunehmen, die unvermittelten verdienen es nicht anders. Ein Problem schien er immer mit Vätern zu haben — die den Kindern im Tode vorausgehen, für die hörbar eine große Liebe in ihm lebte (wofür es würdigere Belege gibt als Spuck den Schnuller aus). Wenn das Gras hoch steht, muss es geschnitten werden, damit das junge nachwächst. Daran ist nichts Befremdliches, es lässt sich in ein Schlaflied fassen, und es sitzt alles und stimmt und ist so wahr wie das Leben selber.

Einmal, ungefähr mit siebzehn, hab ich angefangen, einen Brief an ihn zu schreiben. Bei mir muss da schon was kommen, ich bin nicht so der Groupie-Typ, und jetzt wäre es Fanpost geworden; ich war besoffen. In meinem Jungszimmer saß ich bei einem Kasten Bier, Kulturgut draufschaffen, was Siebzehnjährige halt so mit ihren Samtagabenden machen. Da ging mir — ich glaube, es war unter dem Eindruck der Landluft und der Traurige Indianer — unfreundliche Kellner — die enorme, dabei lebensnützliche Schönheit dieses selbst im Österreichischen monolithisch dastehenden Schaffens auf sowie eine Ahnung, dass ich mir mit diesem Manne was zu sagen haben könnte. In dieser Nacht drehte sich mein Weltverständnis ein Stück weiter, dafür war die Sauferei in Wechselwirkung mit der psychogenen Musik gut. Im Morgenlicht fand ich auf meinem Schreibtisch ein schlimmes Gekrakel, das ich am allerwenigsten jemandem zumuten mochte, dem ich Respekt aussprechen wollte. Es wäre um die Bedeutung seiner Musik für die Welt und speziell für mich gegangen — nichts, was er von anderen noch nicht genügend und nüchterner erfahren hätte.

So ist es mal wieder der Todesfall eines mir persönlich unbekannten Menschen, der mir mehr ausmacht, als er müsste: Wenn dieser Mann sterben kann, dann meinen sie’s ernst. Er hat uns gewarnt, mit allen seinen fünfundzwanzig Platten, mit seinen Büchern und seinen Auftritten in seltenen Filmen, öfter am Theater, immer wie der Tod persönlich, leicht zerzaust, aber sobald er den Mund aufmachte, mit einer echten Botschaft, und bei dieser Stimme konnte man nun wirklich nicht mehr weghören. Bei ihm war Lage nie ernst, aber nicht hoffnungslos — bei ihm war die Lage immer hoffnungslos, aber hey, noch lange nicht ernst.

Das darf man jetzt nicht falsch auffassen, wenn wir es mal so formulieren, dass es eigentlich schon immer so war, als sei dieses Lebenssinn stiftende, quicklebendig anwesende Mannsbild schon immer tot gewesen. Dafür wird es immer so sein, als ob er noch lebt. Die Frage von oben bleibt: Hat schon mal jemand Ludwig Hirsch hergegeben, ohne ein Backup davon zu behalten? Es zählt zu den besten Sachen in dieser vom Stirb und Werde gezeichneten Welt, dass er da war.

Den Teufel werd ich tun und zum Nachrufen auf den Freund Hein unter den Musikpoeten Raffelvideos seiner eigenen Lieder herbeizerren, so passend viele — die meisten — auch wären: Wie viele Menschen haben aufgehört, den Tod, vor allem den eigenen, als fernes, ungreifbares Gespenst zu betrachten, sobald sie I lieg am Ruckn kannten? Wie viele Menschen haben über seine Sichtweise im skurrilsten aller Kurzwestern Billy, Bobby und Jack erst verstanden, was in jedem Western erzählt wird? Wie viele haben über sein Konzeptalbum Bis zum Himmel hoch erkannt, was die Mordgeschichten im Alten Testament mit dem verständigen Heranwachsen von Kindern zu tun haben — und zwar erst, dafür dann umso schlagender, wenn das letzte Lied ins Schloss schnappt? Wie selbstverständlich ist es nach der Kenntnis einer beliebigen ganzen Platte von ihm geworden, eigentlich nur noch unter Tränen zu lachen? Ist ein Glück ohne das heilige Flennen, das man von Komm, großer schwarzer Vogel kriegt, überhaupt denkbar? Wie viele Menschen haben sich genau damit schon über einen Todesfall getröstet? Wie viele davon erfolgreich?

Und wie nah hat er sich selber an dem interpretationsbedürftigen, nur mutmaßlich todessehnsüchtigen Anstaltsinsassen aus dem traurigsten und hoffnungsfrohesten Vogellied der Welt orientiert, und wie viel sagt uns das über den Ernst makabrer Späße und wie viel über die Nähe der Poesie zu tödlichen Vorgängen, als er sich gestern, mit 65, aus dem Krankenhausfenster gestürzt hat?

Man muss auch mal merken, wann es Zeit ist, die Klappe zu halten. Herrgott, Ludwig Hirsch ist tot. Kann danach noch jemand sterben?

~~~\~~~~~~~/~~~

A geh, weil’s eh scho wurscht is: Nochmal sein alttestamentarisches Waltriptychon Jonas I/In deiner Sprache/Jonas II, bis jetzt legal anklickbar in: In meiner Sprache, 1991.

Written by Wolf

25. November 2011 at 8:23 am

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Nun, o Unsterblichkeit

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Update zu Den stärksten Trieb zum Wasser:

Heute: 200. Todestag von Adolphine Sophie Henriette Vogel (* 9. Mai 1780; † 21. November 1811).

Heinrich von Kleist und die Frauen by JudithMein Heinrich,

mein Süßtönender, mein Hyazinthenbeet, mein Wonnemeer, mein Morgen- und Abendrot, meine Äolsharfe, mein Tau, mein Friedensbogen, mein Schoßkindchen, mein liebstes Herz, meine Freude im Leid, meine Wiedergeburt, meine Freiheit, meine Fessel, mein Sabbath, mein Goldkelch, meine Luft, meine Wärme, mein Gedanke, mein teurer Sünder, mein Gewünschtes hier und jenseits, mein Augentrost, meine süßeste Sorge, meine schönste Jugend*, mein Stolz, mein Beschützer, mein Gewissen, mein Wald, meine Herrlichkeit, mein Schwert und Helm, meine Großmut, meine rechte Hand, mein Paradies, meine Träne, meine Himmelsleiter, mein Johannes, mein Tasso, mein Ritter, mein Graf Wetter, mein zarter Page, mein Erzdichter, mein Kristall, mein Lebensquell, meine Rast, meine Trauerweide, mein Herr, Schutz und Schirm, mein Hoffen und Harren, meine Träume, mein liebstes Sternbild, mein Schmeichelkätzchen, meine sichre Burg, mein Glück, mein Tod, mein Herzensnärrchen, meine Einsamkeit, mein Schiff, mein schönes Tal, meine Belohnung, mein Wert(h)ester!**, meine Lethe, meine Wiege, mein Weihrauch und Myrrhen, meine Stimme, mein Richter, mein Heiliger, mein lieblicher Träumer, meine Sehnsucht, meine Seele, meine Nerven, mein goldener Spiegel, mein Rubin, meine Syringsflöte, meine Dornenkrone, meine tausend Wunderwerke, mein Lehrer und mein Schüler, wie über alles Gedachte und zu Erdenkende lieb ich Dich.

Meine Seele sollst Du haben.

Henriette

Mein Schatten am Mittag, mein Quell in der Wüste, meine geliebte Mutter, meine Religion, meine innere Musik, mein armer kranker Heinrich, mein zartes Lämmchen, meine Himmelspforte. H.

Henriette Vogel an Heinrich von Kleist, 9. (!) November 1811.

Fachliteratur:

Fürs Frauenbild danke an Tatjana “Judith” Traurig! Sterbebild: Jochen Jansen, 5. August 2009.

Written by Wolf

21. November 2011 at 12:12 am

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Totensonntag

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Update zu den Barfußläuften nebenan:

Der Eingang sieht aus wie die Stufen zur Glyptothek. Nicht das, was man einladend nennt oder was man normalerweise träumt. Aber einmal muss da jeder durch. Wenn schon nicht einmal im Leben, dann eben jetzt, wo ich gestorben bin. Vermute ich.

Wie immer in solchen großklassizistischen Einschüchterungsbauten darf ich nicht durch eine Flügelpforte, die sich vor meiner Majestät beiseite schiebt, sondern muss durch den unspektakulären Windfang hinter den Säulen. An einem marmornen Tisch, an dem man in der Glyptothek Eintritt zahlen würde, sitzt ein Rauschebart in einer Art Bademantel und tippt zehnfingrig in einen Laptop. Kein Apple, stelle ich fachmännisch fest. Daneben ein Stapel unausgefüllter Formulare und ein Stapel ausgefüllter.

Laurelie, 2,99€ oder Ein schöner Abend mit Lampan, 9. Oktober 2009“Grüß Gott.”

“Grüaß Eahna. Moment, i mach schnell no die Seele vor Eahna fertig.”

Tipp, tipp, tipp. Tipp!

“So! Grüß Gott!”

“Ich soll hier anscheinend vorsprechen oder so.”

“Ja, des hat scho sei Richtigkeit. Was führt Sie zu uns, wissens des, könnens des sagn?” Petrus nimmt ein Blatt vom unausgefüllten Stapel und einen Zimmermannsbleistift.

“Na, weil i gstorben bin, nehm i an.”

“Jaja, des is die Voraussetzung, dass Sie vorglassen wern. Aber an was Sie gstorben sind, könnens des aa sagn?”

“Ich glaub, ich hab einen Kalauer zuviel gerissen über die Namen von Gottfried Benn und Ben Cartwright.”

“Au weh zwick. Da könnens von Glück sagen, dass Sie bei sowas überhaupt no rauf zu mir kommen. Normalerweis gengen solche Bestände glei nahtlos zum Kollegen owewartse, wenns ma folgen können. Ohne lange Fegefeuerzuteilung.”

“Ich weiß es zu schätzen.”

“Des is scho recht. Des kann bloß daher kommen, dass Sie sowieso dran gwesn wärn, wenn Sie von der Generation übrig san, die noch den Ben Cartwright kennt.”

“Ja… Was mach ma dann etza mit mir? Komm i da etza in Himmel nei oder für was hab i mi da die ganzen Jahrzehnte abkaschpert, Herr Petrus?”

“Des sehng ma jetztn. Aber Petrus. Einfach Petrus. Ohne Herr oder Sir oder Sahib oder -san, wir hams herobm net so mit die Titel und Dienstgrade. Aber Sie san doch aus Europa, wenn ich Ihren Dialekt richtig einordn, nent? Irgendwas Nördlichs bestimmt. Österreich, Irland, Lappland oder was da alles liegt.”

“Deutschland”, sag ich. “München, ursprünglich aber Nürnberg, bloß den Zungenschlag nie losworn.”

“Franken oder Frankreich, Wales oder Wallis, Galizien oder Gallizien, und des dritte vo de zwoa habts scho wieder eigstampft, und des München in der Oberpfalz is nach Dings eingmeindet.”

“Hirschbach. Kenn i scho, da wolltns amal a Brauerei ham. Münchner Bier aus der Oberpfalz, dass i net lach. Fürn Baugrund hättns fast no was rauskriegt.”

“In der Oberpfalz, da hams fei aber oft a richtig grüabigs Bier! Bei Etzelwang in der Näh, da hab i moi…”

“Scho. Aber bei die zweiahalb Hektoliter Ausstoß pro Jahr hält si ja nix. Des grenzt an Schwarzbrennerei als Hobby.”

“Manchmoi kummt ma echt nimmer mim Zuaschaun nache bei eich.”

“Wos Galizien sagn. Mei Urgroßvater war glaub i noch aus Czernowitz.”

“Is des net neilich explodiert?”

“Naa, Tschernobyl war des. Czernowitz müsst scho no wo rumsteh.”

“Omeiomei, ein Gfrett, was ihr habts. Na Hauptsach, ihr kennt eich aus.”

“Fei aa net wirklich.”

“Aber Deutschland is gut. De Deitschn kamma fast ganz unbürokratisch von der oana auf die andre Autorität umgwöhnen, des ham mir anno 510, 820 und 1945 zuletzt mit euch probiert. Dankbars Publikum, da in Deutschland.”

“Und 1918?”

Petrus denkt nach. “Naa, des war koa so rechter Autoritätenwechsl. Bloß andere Titel. Umgekehrt wie 1989, verstengens?”

“Glaub schon.”

“Glauben is auch gut. München, München, München… Da seid ihr doch gern so katholisch und evangelisch und wie des alles bei euch heißt, gell?” Petrus rudert mit den Händen nach den Wörtern und amüsiert sich ein Loch in die Toga.

“Ausgetreten, katholische Grundausbildung”, knurre ich durchs Gebiss.

“Recht hams, guader Moo, recht hams! Ihr Zeug glauben könnens auch daheim.”

“Des hätt i jetz gar net glaubt, dass aus der Kirch austreten bei Ihnen a Bonus sei könnt.”

“Ach, gehns. Was da der Junior vor zweitausend Jahr in eierm Judäa drunt amal gaudihalber für an Fischerverein aufgmacht hat, des spielt heut nimmer so die Rolln.”

“Jesus is gaudihalber am Kreuz gstorbm?”

“Was glaum denn Sie? Der Moo is a Drittl Dreifaltigkeit, der is allmächtig. Der lebt und der stirbt wann und wiarer mog.”

“Ham Sie wieder recht.”

“Aber warns bei einer parakirchlichen Vereinigung? Sans bittschön gleich ehrlich, Ihre Angaben wern leider nomal prüft. Scientology und Opus Dei waar jetzat schlecht, Freimaurer waar jetzat positiv. Seit a paar hundert Jahr wern die allerdings immer weniger.”

“Freimaurer? Um Gotts willn, i war doch bei keim Geheimbund drin.”

“Die Freimaurer?” Petrus ist aufrichtig erstaunt. “Wo san de geheim, die Freimaurer? Die missioniern bloß nix, des rechnt bei uns scho was. Da haltens auch an Frieden auf Erden, da ham mir unsern Wohlgefalln, wenns mei Redeweise gstattn.”

“I kann scho folgn, Petrus.”

“Ja, i siehg scho, Sie san a Gstudierter. Die Freimaurer, die wolln solche, des is bei denen richtig gwünscht, sogar Ihre Studienfächer. Aber wenns net hinwolln ham… Ihr Entscheidung.”

“Kann ja ich net wissn.”

“Freilich net, deswegen heißts Glauben. Was hamsn gessn? Vegan, vegetarisch, zoophag, kannibalisch?”

“Ich bitt Sie, Petrus. Ich war aus Franken.”

“Ja, scho klar. Fragen muss i halt danach. Da warns bestimmt auch alle Tag gscheit unter Drogen?”

“Ach, woher. Ganz selten mal besoffen. Und wenn, dann a Bier, schlimmstenfalls einzwei Flaschn Schnaps.”

“A so, ja warum denn? Was meinens denn, für was der Chef des ganze Zeigl wachsn lasst? A Bier, scho recht, aber die ganzn andern guadn Sachan? Hams dann wenigstens jeden Tag gscheit was weggvögelt?”

“Bitte??”

Laurelie, 2,99€ oder Ein schöner Abend mit Lampan, 9. Oktober 2009“Hatten Sie täglich Geschlechtsverkehr?”

“Eminenz, ich bin verheiratet. War.”

“Å, å, å, å…” Petrus macht mit seinem Zimmermannsbleistift einen energischen Strich.

“Ihnen is schon klar, guader Moo: Für jeden Tag ohne Vögln muaß i Eahna… na, was sagn ma… samma gnädig… sagn ma fuchzg Jahr Fegefeuer draufhaun.”

Ich schlucke. “Des wern Sie scho richtig machn.”

“Lebt Ihr Frau noch, so als Witwe, die sich ab jetzat fröhlich an Ihre ehelichn Pflichtn erinnert? Ja? Na, die muss leider dann später des gleiche, logisch…”

Petrus schreibt in meiner Akte herum, sucht im beistehenden Aktenreiter unter meinem Buchstaben noch eine heraus, notiert vorne drauf herum, schaut wieder hoch zu mir und sagt betrübt:

“Ach, i sags Ihnen: Des is alles so eine sinnlose Verschwendung von Seligkeit.”

“Keuscher Lebenswandel zählt nix?”

Langsam wird Petrus unwillig: “Keuscher Lebmswandl, keuscher Lebmswandl. Herrschaftzeitn, i kanns bald nimmer hörn vo eich christliche Abendländer, mit eicherer Keuschheit und Enthaltsamkeit und Monogamie und gar koa Gamie und Zölibat und Sublimierung und Fuizleis und hunderttausnd wichtigere Sachan ois wiares Vegln! Des seids immer bloß ihr, die eier Frau im Bett neber eich rumschimmln lassts und glangts net oo. Ja Greizdeife halleluja nomoi nei, die gschlechtliche Fortpflanzung, des wor a Gschenk! Unser gressts! Da hamma lang an die Windbestäubung dro hiigschraubt, bis ma des in der Evolution überhaupts möglich gmacht ham, dass eier Balz es ganze Johr lang durchdauert! Hat des irgend a anders Viech? A Privileg is des! Ja duad denn des weh oder wos?!”

“Da hab i scho von Möglichkeitn ghört…”

“Jajaja, net in dem Internetzeigl Buidl vo dem Dekadenzschmarrn ooschaun. I red davoo, dass ihr endlich mit eirer Frau veglts. Da hättns Ihrer Frau zoagn kenna, wia gern dasses ham, oder wia deitlich hättnses denn no braucht? A Möglichkeit hättns da ghabt, dass Eahnern Ausdruck findn, Sie Schreibhansl Sie windiger.”

“‘WEnn ich mit Menschen vnd mit Engel zungen redet / vnd hette der Liebe nicht / So were ich ein donend Ertz oder eine klingende Schelle.’ A so war des gmeint?”

“Sehngs, Sie wissns doch alles. Und durchschauns sogar. Und nutzns net. Entschuidigns scho, wenn i da so drastisch werd, da könna Sie persönlich wahrscheinlich gar net so viel dafür, aber des is halt so allgemein worn die letztn zwoa-dreihundert Johr.”

“Des tut ma jetz scho leid, Petrus.” Ich meine es ehrlich.

“Jaja, glaub i Ihnen sogar. Wissns, in a paar Jahr hab ja ich in dem Job da herin mei Zweitausendjährigs, des ham vielleicht Sie mitkriegt, als Kathol. Da seh i jedn Tag tausnd da reinkommen und meinen, sie ham oisamt richtig gmacht. Und wann ma fragt, ja was hams denn so gmacht? I sogs Eahna, was gmacht ham. Nix hams gmacht.”

“Des kenn i aus meim Job aa”, versuche ich zaghaft.

“Ja, genau des sagns alle, wann ma nachfragt. An Job hättns doch ghabt. Oder no besser: a Arbeit. Oder des Beste is immer: an Beruf. Wenn i des scho oiwei hör. Berufen dan oiwei no mir.”

“Da müssns etz aa unser Position verstehn, Petrus. Des Vögln kann falsch sei, des Gegenteil kann genauso falsch sei. Des is so mit allem, was ma macht. Machen oder unterlassen, ruckzuck is scho wieder Schuld aufgladn.”

“Ach, des mit der Schuld.” Petrus winkt ab. “Was glaum Sie, wer mir san? Ihr Kindermadl? Mir san doch auf Eahnerner Seitn. Mir erschaffm Eahna ja net, bloß dass Sie nachat schuldbeladn umanandalaffa, do hättn doch mir sejber koa Freid damit. Bei uns zählt leicht amal der Versuch.”

“Des is ja dann aa erleichternd und alles. Aber unter die eignen Leut und grad bei der Arbat und der eignen Frau, da zähln halt oft die Resultate. I kann ja net hergehn und vögln wolln, wenn die Beziehung net passt. Und die passt erst vom hundertsten Prozent an aufwärts.”

“Und Sie glaum, Ihr Beziehung werd besser, wenns einfach net vegln?”

“Wenns es a so hiistelln…”

“So leicht waars gwesn.”

“Aber wissns scho: Da ghörn fei zwaa dazu.”

“Oha, gä? Net no über Eahna Frau herziang, gä? So vui konn i Eahna versprecha: De kimmt uns aa net aus. De hat iatz aba no a paar Johr, dass ihr evolutionäre Bestimmung eilöst.”

“Soll mi des etz beruhign?”

“Sie? Sie ham ab sofort andre Sorgn. Was hams gmacht, solangs net grad garbat ham? Gern a Gsetzl glesn, hab i recht?”

“Scho.”

“Als Lieblingsbiacher?”

“Och, des übliche. Moby-Dick, Alice im Wunderland, aber bloß mit die richtign Illus, vom Goethe die Werther-Leidn…”

“Genau des moan i. De ganzn Hirntratzer, wo mit Sicherheit nirgends gveglt werd.”

“Was Sie jetz dauernd ham mit dem Vegln.”

“Koa Angst, des hams hinter sich, is scho abghakt.”

“Musik war noch wichtig.”

“Den Tom Waits, wettn?”

“Ja, den. Fehlt mir leider die Stimm, dass i den selber sing.”

“Na, selber gschriem hams einige Liadl, siehg i grad.”

“Was man kann.”

“Den Tom Waits, den mog i aa. Hättns Eahna a Beispui an dem gnumma, der machts richtig. Do gfrei i mi scho, wann der zu uns kimmt.”

“Dem hams aa die Stimm mitgebm und des Hirnkastl.”

“Da verrat i Eahna was, weils für Sie scho wurscht is: Sie können heut alles im Lebm erreichen, Sie dürfens bloß net wollen oder gar versuchen.”

“I hab dacht, andersrum? Ma müsst bloß wolln, dann geht alles?”

“Ach, viel so Hollywoodfilme hams gwiss gern angschaut, gell? Sehngs, da dauert a oanziger neinzg Minutn Minimum. In der ganzn Zeit hättns besser feste gveglt. Des hams jetzt.”

Fee Feuer, Hin & Weg, 4. April 2011Durch den anliegenden Saal der Glyptothek haben sich hallende Schritte von Badeschlappen genähert. Jetzt steht ein vollbärtiger Hippie in der gleichen Tracht wie Petrus neben dem Marmorschreibtisch.

“Grüß dich, mein Sohn”, sagt er zu mir, und dann zu Petrus: “Und, oider Wetterfrosch, wia kummstn heint rum? Kannst mit Mittag machen?”

“I hab no gar net gschaut, was gibtsn heit? Schüttlst du wieder deine fünftausnd Fischsemmln ausn Ärml?”

“Eh klar. TGIF!” Übermütig lässt der Hippie die Fingerknöchel krachen. Zwei runde, verheilende Wundmale auf den Handrücken.

“Ja, is recht. I verräum no gschwind die Seele do.”

“Der da?” Der Hippie mustert mich milde. “Au weh zwick. Wara bei die Freimaurer?”

“A woher. Nixn.”

“Aber dem Gsicht und dem Aufzug nach oversexed and underfucked, stimmts?”

“Jaja, aus Frankn.”

“Wohnhaft in München”, blöke ich dazwischen.

“München, München, München… Des in der Oberpfalz, wos die Brauerei ham wolltn? Da hättns fürn Baugrund…”

“Naa, des andere.”

“Dann is des doch des mit der Asamkirch neber dem kloana Buachladn mit die hübschn Buachhändlerinnen, oder? Des hams schee eigricht, meine Sterblichn, des mag i eigntlich. Naja, da samma gnädig, dass ma fertig wern.”

“Is Nammittog no was Wichtigs?”

“Ach ja: Der Senior moant, wir braucha langsam des Meeting fürs Weihnachtswetter. Da stehst du obligatorisch drin.”

“Hab i fast scho denkt. November is halt immer schwierig, und dann jedsmal glei des Weihnachtn hinterdrei.”

“Selig sind die Schifahrer.”

“Was mach ma jetz mit dem?”

“Ach mei, Fegefeuer bis zum nächstn Zeitalter halt, was meinst?”

“Ja, hab i aa gmoant, um den Dreh. Oder lass man glei zum übernächstn?”

Der Hippie überlegt. “Zu wem kaam er denn? Satan oder Luzifer?”

Petrus checkt in seinem Laptop: “Der Mephisto hätt grod wos frei, weil heit der Sokrates aufsteigt. Dem sein Plootz kannt er übernehma. Dass er net koit werd, haha.”

“Ui jegerl, der Mephisto, der macht den fertig, scho alloa rhetorisch. Der Bua war doch verheirat, oder?”

“Grad deswegn hab ich ja gmoant, zum übernächstn. Mit seiner ehelichn Pflicht schauts mau aus.”

“A geh weider, da is er gstraft gnua. Des hat der aa net aus lauter Bosheit gmacht. Und vielleicht hat er Germanistik studiert, vielleicht hat er nia koa Auto net besessn, vielleicht hat er an greislichn Orsch, vielleicht wor er a Blogger und a Brillnträger is er aa. Des muaß ma ois sehng.”

Petrus seufzt. “Oiso recht. Aber i nehm eahm net, wann er in zwoahunderttausnd Johr scho wieder dosteht und frohlocken wui. Dann nimmstn nämlich du.”

“Des passt scho. De wo beim Mephisto warn, des wern hinterher der angenehmste Umgang.” Und zu mir: “Wärst du damit einverstanden, mein Sohn?”

“Kann i was ändern?”

“Wahrlich, wahrlich. Na, mit der Einstellung wundert mi nix. Mir sprecha uns dann am Jüngstn Tog. Gehe hin in Frieden.”

Er segnet mich, es scheppert, und dann nehmen mich zwei krokodilsköpfige Legionäre mit rotglühenden Hellebarden in ihre Mitte.

Und Sie, wenn Sie jetzt glauben, es wäre ein Happy End, wenn ich jetzt aufwachte und es war alles nur ein Traum, dann haben Sie weder eine Ahnung vom Aufwachen noch vom Träumen.

Buidln: Laurelie aus München: 2,99€ oder ein schöner Abend mit Lampan, 9. Oktober 2009;
Fee Feuer, auch aus München: Hin & weg, 4. April 2011.

Soundtrack: Johnny Cash: I Corinthians 15:55 (King James Edition) (2003) (in Deutschland nicht zugelassenes Video, daher dürfen Sie dafür auch nicht Stealthy installieren, womit dieses wunderschöne Lied funktionieren würde), aus: American VI: Ain’t No Grave (2010).

Written by Wolf

20. November 2011 at 12:01 am

Posted in Wolfs Koje

Religion, nicht Liebe

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Update zu Das ganze verkehrte Wesen (Frisches Basilikum)
und Vom Eindringen in die Materie:

Novalis meint:

Dorian Cleavenger, The Catch, Today's Mermaid 21. September 2008N[atur]L[ehre]. Je lebhafter das zu Fressende widersteht, desto lebhafter wird die Flamme des Genußmoments seyn. Anwendung aufs Oxigène. /Nothzucht ist der stärkste Genuß./ Das Weib ist unser Oxigène –./

Der Blick – (die Rede) – die Händeberührungder Kußdie Busenberührungder Grif an die Geschlechtstheile – der Act der Umarmung – dis sind die Staffeln der Leiter – auf der die Seele heruntersteigt – dieser entgegengesezt ist eine Leiter – auf der der Körper heraufsteigt – bis zur Umarmung. Witterung – Beschnüffelung – Act. Vorbereitung der Seele und d[es] K[örpers] zur Erwachung des Geschlechtstriebes.

Seele und K[örper] berühren sich im Act. – chemisch – oder galvanisch – oder electrisch – oder feurig – Die Seele ißt den K[örper] (und verdaut ihn?) instantant – der Körper empfängt die Seele – (und gebiert sie?) instantant.

MenschenL[ehre]. Ein Mensch kann alles dadurch adeln (seiner würdig machen), daß er es will.

MenschenL[ehre]. Ewige Jungfrau ist nichts, als ewiges, weibliches Kind. Was entspricht der Jungfrau bey uns Männern. Ein Mädchen, die nicht mehr wahrhaftes Kind ist, ist nicht mehr Jungfrau. (Nicht alle Kinder sind Kinder).

Bis hier zitiert nach: Novalis: Das Allgemeine Brouillon 1798–1799 in original belassener Schreibung. Weiter nach der Studienausgabe, hg. Gerhard Schulz:

Jantzen most beautiful most beautifying swinsuits in the worldTräume der Zukunft — ist ein tausendjähriges Reich möglich — werden einst alle Laster exulieren? Wenn die Erziehung zur Vernunft vollendet wird.

Fragmente und Studien bis 1797.

Über die Sphäre der Frauen — die Kinderstube — die Küche — der Garten — der Keller — das Speisegewölbe — die Schlafkammer — die Wohnstube — das Gastzimmer — der Boden oder die Rumpelkammer.

Fragmente und Studien 1799–1800.

Es gibt nur Einen Tempel in der Welt und das ist der menschliche Körper. Nichts ist heiliger, als diese hohe Gestalt. Das Bücken vor Menschen ist eine Huldigung dieser Offenbarung im Fleisch.

(Göttliche Verehrung des Lingam, des Busens — der Stauen.) Man berührt den Himmel, wenn man einen Menschenleib betastet. Über die Tötung krüppelhafter, alter und kranker Menschen.

Fragmente und Studien 1799–1800.

Der Schleier ist für die Jungfrau, was der Geist für den Leib ist, ihr unentbehrliches Organ dessen Falten die Buchstaben ihrer süßen Verkündigung sind; das unendliche Faltenspiel ist eine Chiffern-Musik, denn die Sprache ist der Jungfrau zu hölzern und zu frech, nur zum Gesang öffnen sich ihre Lippen. Mir ist er nichts als der feierliche Ruf zu einer neuen Urversammlung, der gewaltige Flügelschlag eines vorüberziehenden englischen Herolds. Es sind die ersten Wehen, setze sich jeder in Bereitschaft zur Geburt!

Die Christenheit oder Europa, 1799.

Nicht alles vom Obigen hat Novalis zur Veröffentlichung freigegeben oder auch nur vorgesehen. Der Trick ist jedoch: Er hat es gedacht; unter Zwang wird es ihm niemand diktiert haben, und zumindest Die Christenheit oder Europa wird als das Standardwerk angeführt, wenn es zu beweisen gilt, dass man sich aus dem Novalis nicht nur “die Schwindsucht herauslesen” kann (Heine), sondern dass der Mann — Bergstudent — auf der Höhe des theoretischen Wissens seiner Zeit stand.

Da war Novalis um die 26. Mit 23 hatte er sich mit einer Drezehnjährigen verlobt (“Ich habe zu Söphchen Religion — nicht Liebe. Absolute Liebe, vom Herzen unabhängige, auf Glauben gegründete, ist Religion.”), die sich der drohenden Ehe fünfzehnjährig durch ihren eigenen Tod entzog.

Im Kommentar der Studienausgabe unternimmt Gerhard Schulz mit keinem Wort, Novalis’ Aussagen zu mildern, historisch einzuordnen oder auch nur aufs Fadenscheinigste irgendwelche semantischen Verschiebungen seit vor 1800 anzuführen. Ich hab solche Stellen (nicht ausgerechnet bei Novalis) gesucht, aber gefunden, und muss erleben, wie der gefühlsselige junge Mann in seinen privaten Aufzeichnungen der Vergewaltigung und dem Missbrauch Minderjähriger das Wort redet, es philosphisch untermauert und mal besser vom öffentlichen Herumtrompeten ausgenommen. Da kann man sich jetzt schon fragen: Wie weit hatte der Mensch den Arsch eigentlich noch offen?

Adam Rhoades, Anticipation, 12. August 2009

Bilder: Dorian Cleavenger: The Catch, via Today’s Mermaid, 21. September 2008;
Jantzen most beautiful most beautifying swim suits in the world: Pete Hawley, via Plan59, 1955;
Adam Rhoades: Anticipation, 12. August 2009.

Sondtrack: Miss Derringer: Better Run Away From Me, aus: Lullabies, 2008.

Written by Wolf

12. November 2011 at 12:01 am

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Murr

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Aus unserer halbjährlich fortgesetzten Chronik des Verfalls: Murr.

Wolf

Nicht im Bild: das Geistertrio.



Kater MurrDie ersten vier Takte enthalten das Hauptthema, der siebente u. achte Takt im Violoncell aber enthält das Nebenthema, aus welchen beyden Sätzen, wenige Nebenfiguren ausgenommen, die zwischen die Ausführung jener Hauptideen geworden sind, das ganze Allegro gewebt ist. Um so zweckmässiger war es, den im ganzen Stück vorherrschenden Gedanken in vier Octaven unisono vortragen zu lassen; er prägt sich dem Zuhörer fest und bestimmt ein, und dieser verliert ihn in den wunderlichsten Krümmungen und Wendungen, wie einen silberhellen Strom, nicht mehr aus dem Auge. Uebrigens offenbart sich in diesem Thema auch schon ganz der Charakter des Trios, das weniger düster, als manche andere Instrumental-Composition B.s gehalten, eine heitere Gemüthlichkeit, ein frohes, stolzes Bewusstseyn eigner Kraft und Fülle, ausspricht. Ausser der canonischen Imitation des zweyten Thema’s giebt es in dem ersten, nur 75 Takte langen Theile des Allegro’s keine weitern contrapunctischen Ausführungen. Der Schlussgedanke, den zu einem Unisono des Violoncells und der Violine erst der Flügel vorträgt, und den dann jene Instrumente zu einem Unisono des Flügels in Achtelfiguren aufgreifen, kommt erst ohne weitere Ausführung bey dem Schlusse des zweyten Theils, jedoch in veränderter Gestalt, wieder. Der erst Theil giebt überhaupt nur die Exposition des Stücks. Im zweyten Theile fängt nun ein kunstreiches, contrapunctisches Gewebe an, das bis zum Eintritt des Hauptthema’s, D dur, in seiner ursprünglichen Gestalt, fortdauert. Der Bass des Flügels nimmt ein Thema auf, das aber beynahe wie die Figur des zweyten Takts im Nebenthema, welches im ersten Theile von dem Violoncell vorgetragen wurde, in rückgängiger Bewegung erscheint, und wozu das Violoncell und die Oberstimme des Flügels abwechselnd das abgekürzte Hauptthema ausführen, die Violine aber mit noch einem kleineren Theile des Hauptthema’s in einer canonischen Imitation hinzutritt.

E.T.A. Hoffmann: Deux Trios pour Pianoforte, Violon et Cioloncelle,
comp. et ded. a Mad. la Comtesse Marie d’Erdödy [– — par Louis van Beethoven.

Oeuvr. 70. a Leipzic, chez Breitkopf et Härtel. No. 1. (Pr. 1 Thlr. 12 Gr.) No. 2. (2 Thlr.),
in: Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitschrift, 3. März 1813.

Written by Wolf

6. November 2011 at 3:46 pm

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The Watercolors of the Astrokater

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Update zu Der alte Mann und der Miez und
This mere painstaking burrower and grubworm of a poor devil of a Sub-Sub:

Spineless Classics, Moby-Dick

Das muss ich erzählen. Statt mich, wie mit selbst gesetztem Termin zum verflossenen Halloween vorgenommen, um Kapitel 42 zu kümmern — auf dem Bilde oben schauen wir das Lesezeichen schon auf Höhe 42 vorgerückt —, hab ich den Deutschen Klassiker Verlag im Taschenbuch entdeckt; insel macht die, und der ist eine Unterabteilung von Suhrkamp, wer kennt sich schon noch aus mit diesen ganzen Aufkäufen, Imprints und Elefantenhochzeiten. Das waren diese wahnwitzig teuren Ausgaben verstorbener, als elitär verschrienen Deutschunterrichtsstoffe, da waren hundert Euro pro Band noch gar nichts.

Ja, und bei denen gibt’s auch die einzig wahre Ausgabe meines angestammten, fast hätte ich gesagt angeborenen Hausheiligen E.T.A. Hoffmann. In den Taschenbuchversionen, inzwischen angejahrt genug, dass man sie bei Amazon.de für den Gegenwert weniger Seidel Bier erwischt, dabei seitengleich mit den feudalpreisigen Hardcovers, les ich gerade, und deshalb fasse ich andere Leute in so viel Geduld mit dem Kapitel 42.

Ausgerechnet die Lebensansichten des Katers Murr sind noch nicht ins Taschenbuch übergegangen. Davon gibt’s aber eine etwas verbraucherfreundlichere Ausgabe — auch bei insel, die ja geradezu für sowas zuständig sind. Die Illustrationen von Maximilian Liebenwein sind hinreißend: lauter kleine, aber zahlreiche, sinnvoll in den Text eingestreut, dass es richtig Spaß macht, an jeder Ecke über ein nettes Katzenbild zu stolpern. Es sind scherenschnittartige Tuschezeichnungen oder etwas ähnliches, sichtlich Kleinformate, aber voller Details, mit einem sehr liebevollen Blick auf die Anatomie der Katze und die Lebenswelt von Bamberg im frühen Ottocento.

Die les ich aber gar nicht. Sondern die große, auf die ich nur zugreifen kann, weil ich die mal an jemanden verschenkt hab, mit dem ich heute zusammenwohne; dabei war das Hauptgeschenk das Vorlesen eines vollständigen belletristischen Werks, wobei ich natürlich an den beigelegten Kater Murr dachte. Das ist das Praktische am Verschenken von Gutscheinen: Sie werden wirklich nie eingelöst. Auch das Zusammenwohnen mit dem Kater Murr mit den Illustrationen von Michael Mathias Prechtl (ich hab die Sonderausgabe der Büchergilde Gutenberg, die sie mir erst gar nicht verkaufen wollten, weil ich kein Mitglied bei denen bin, aber bei dem Preis wollten sie dann doch nicht so sein) hat seine Vorteile: Prechtl hat nicht einfach den Text paraphrasiert, sondern eine eigene Galerie berühmter Katzen aus Literatur und Malerei eingeflochten. Das sind jeweils ganzseitige (Großformat!) Aquarellmischtechniken von Katzen, von denen man schon mal vage gehört hat, auf die man aber erst kommen muss, um ihre Verdienste für Kultur und Gesellschaft überhaupt zu erkennen.

Michal Mathias Prechtl, Astrokater SchrodingerSchrödingers Katze kennt man. Prechtl hat auch den Astrokater Schrodinger aufgetan:

Die beste amerikanische Astronautin, Amanda Jaworksi, anerkannte Physikerin, Expertin in Atomphysik, Strahlenkunde, Astronomie, Geologie und Photometrie hat ihren Kater Schrodinger benannt, nach dem Physiker und Philosophen Erwin Schrödinger, der mit seinem theoretischen Experiment der “Katze im Kasten” berühmt wurde. Amerikaner leugnen die Notwendigkeit von Pünktchen auf dem o und anderswo, so daß sich der arme Schrödinger unnötig schnöde verödet vokalisiert vorkommen muß. Kater Schrodinger verschluckt zwei vom Subpartikel Tachyon verlorene Evolutionsmoleküle, fängt an zu zeichnen (ausschließlich Amandas Füße) und wird von den blauen Robotern zum Planeten Epsilon Erdani entführt, vierzig Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt. Amanda, die mit ihrem Raumschiff zum Mars fliegen soll, ändert ihren Kurs dahin, um ihren geliebten Kater zu retten.

Wem dies alles wie Science ichweißnichtwas vorkommt, der liegt richtig, aber um die wunderbare Story zu durchschauen, muß er unbedingt Carol Hills dickes Buch lesen, mindestens zweimal.

Ein Kater in einem dicken, physikbeschwipsten Roman von einer Frau über eine Frau für Frauen, der malen kann. Prechtl stellt ihn in einem klassischen Motivdreieck dar, deren wichtigste Ecke ich die links untere finde: Die Frau schaut versonnen zu, wie ihr lieber Kater ihren Fuß abbildet, und sieht so glücklich dabei aus, wie man sich Frauen wünscht, mit denen man zusammenwohnt: Sie fühlt sich durch Kater Schrodingers Blick gewertschätzt und schätzt zurück. Auch in einer Astronautin steckt ein anerkennungsbedürftiges Mädchen. Amanda. The Eleven Million Mile High Dancer ist für 1 Cent bestellt, für Sie gibt’s noch mehr Exemplare.

So wird das freilich nix mit dem Kapitel 42.

Bilder: Daheim mit Spineless Classics, 2011;
Michael Mathias Prechtl: Astrokater Schrodinger aus der Galerie berühmter Katzen aus Literatur und Malerei, 1997.

Written by Wolf

3. November 2011 at 2:34 pm

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