Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for September 2006

Nennt uns Ismael

leave a comment »

Jetzt neu in der Blogroll: die Google-Group Ishmailites, die von der Melville Society ausgeht. Alles voller Akademiker, gar nicht uninteressant.

Wenn man dann noch den Leviathan dazuabonniert, nimmt das mit der Recherche ganz schöne Formen an…

Here's looking at you, sailor

Written by Wolf

30. September 2006 at 5:51 am

Posted in Reeperbahn

Ismael danach oder Man weiß es nicht und wozu auch

leave a comment »

Mir war, als blicke ich vom Gipfel des Pisga hinab in die Wälder des alten Kanaan. Ein puseyitisches Gemälde von einer Madonna mit dem Kinde, das eines der unteren Fenster schmückte, schien die einzigen Bewohner dieser Wildnis – die richtige Hagar mit ihrem Ismael – darzustellen.

Das ist aus “Die zwei Tempel”, genauer: gegen Ende des ersten Tempels in der verdienstreichen Übersetzung von Mummendey, in dem sich der Ich-Erzähler in jenen Tempel hat einsperren lassen, um heimlich einem Gottesdienst beizuwohnen, und damit von 1854.

Wie fühlt sich ein Schreiber, der drei Jahre nach seinem ersten opus magnum das Vorbild für seine damalige Hauptfigur noch einmal verwendet, diesmal als kurz aufblitzende Nebenfigur?

1854 wusste Melville noch nicht, wie das so ist, wenn sich die eigenen Kinder erschießen. Auch mir darf sich das gern so lange wie möglich verschließen, ich glaube aber nicht, dass es Balsam fürs Ego ist.

Sind Romanfiguren Schreibers Kinder? Bei einem Alter Ego, das ein Monument von einer metaphysischen Seefahrergeschichte lang durchhalten musste, liegt die Vorstellung nahe. Als Leser kann man den Ismael aus Moby-Dick mögen oder nicht oder irgendwas dazwischen, und der Ozean wogt weiter. Aus Sicht des Schreibers genauso, aber sicher war er Blut von seinem Blut.

Leicht vorzustellen, dass Melville beim Abfassen fraglicher Stelle in The two Temples leise gegrinst hat: Da is er ja nochmal; ganz tot zu kriegen is er nicht, mein einziger Überlebender der Pequod, und schau an, als sein eigenes Urbild schreibt er sich heut hin.

Von glimmender Hoffnung handelt dann auch spätestens der zweite Tempel. Gerade nach den ganzen Verrissen für Moby-Dick nebst Nachfolger Pierre, die Melville wegstecken musste, ein tröstliches Unterfangen. Spekulation gibt nie Sicherheit, aber doch: Es muss tröstlich sein, nie mit dem Schreiben aufzuhören.

Ein Linguistik-Dozent hat mal an einer Arbeit von mir bemängelt, meine Behandlung einer bestimmten Problemstellung bleibe in der Verwunderung darüber stecken. Klavier spielen soll er gehen. Ich bleibe nicht stecken, ich werfe auf. Oder nennen wir es wenigstens ein erschauerndes Verweilen vor der Schönheit solcher nicht weiter auszuräumenden Ungewissheit.

Ismael der andere

Written by Wolf

29. September 2006 at 1:51 pm

Frühstück & Straße: Wolf hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

leave a comment »

So sind sie, die Menschenfresser: Wenn sie schon ihre Frühstücksgenossen unangeknabbert lassen, muss es wenigstens was Blutiges geben, das möglichst noch zappelt.

Früshstück in der FremdeIm übrigen muss er ja einen schönen Eindruck von den so überaus Zivilisierten kriegen, zu welchen zu gehören er so guten Willens ist, und die ihm so ein eloquentes Beispiel abgeben. Beim Frühstück Maulaffen feilhalten, das muss man nicht lernen, das kann man von selber.

Was offenbar gerade ein Hobby von mir wird: Spuren von Frauen bei Melville nachzuweisen. So fruchtlos ist das auf einmal gar nicht. Auch auf der Straße der Walfanghafenstadt findet sie der Ismael an allen Ecken und Enden – “und die Frauen von Bedford, sie blühen wie ihre eigenen roten Rosen. Rosen aber blühen nur im Sommer, wohingegen das liebliche Rosarot ihrer Wangen das ganze Jahr über währt, so wie der Sonnenschein im siebenten Himmel. Anderswo Blüten zu finden, die diesen gleichen, wird euch nicht gelingen, außer in Salem, wo der Atem der jungen Mädchen, wie man mir sagt, derart nach Moschus duftet, dass ihre Matrosenliebsten sie Meilen vor der Küste erschnuppern” – es ist doch einfach herzig, wie der Mann noch eine Nase voll vom Duft der Mädchen mitnimmt (nach Moschus! Ismael, Sie erlesenes Ferkel!), bevor er sich aufs Meer begibt, das bestenfalls von allerhand kratzigen Mannsbildern befahren wird, die vor lauter Alarmbereitschaft nie zum Waschen kommen.

Und die Stelle merk ich mir als Gegenmittel, falls mir demnächst einer mit latenter Homosexualität auf der Pequod kommt – womit ich fest rechne.

Das unausweichliche Stück Bildungshuberei, das ich mir gar nicht erst zu verkneifen versuche: Der Mr. Mungo Park von Seite 75 kommt nicht nur ausführlich im erwähnten Anmerkungsteil vor, sondern vor allem als Hauptfigur von “Wassermusik“, was der erste Roman von T.C. Boyle und unser nächstes Sammelleseprojekt wert ist – weil der Gute und der Böse mit jedem Kapitel mehr die Plätze tauschen.

Written by Wolf

29. September 2006 at 1:18 pm

Posted in Steuermann Wolf

Gut gefrühstückt zum Stadtbummel: Elke hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

leave a comment »

Elke sagt:

Also, wenn ihr mich fragt, finde ich Ismaels und erst recht Melvilles Tempo, dem wir mit unserer eigenen Gemächlichkeit folgen, durchaus angemessen. Und zwar auf zweierlei Weise:

Zum Ersten haben Ismaels Erlebnisse so einen Touch von Echtzeit: man fühlt sich, in seiner kuscheligen Sofaecke hockend, doch selber mittendrin und voll dabei in diesem wilden Haufen raubeiniger Kerle. Die es furchtlos mit jedem noch so großen Wal aufnehmen, und diese erwartet munter lärmende Frühstücksrunde – schau an! – auf einmal scheu und schweigsam hinter sich bringen. Ja, auf den Weltmeeren herumzukommen, heißt halt mitnichten, weltgewandt und umgänglich zu sein. Im Gegenteil steht es zu vermuten, dass diese Walfänger und Abenteurer in ihrer Mehrzahl eine Schar von Sonderlingen und Einzelgängern sind, auf hoher See durch ihren gefährlichen Job zusammengeschweißt und dem normalen Leben so fern und entwöhnt wie nur irgendwer.

Und ich hab ja, wo wir doch längst um die hintergründige Psychologelei Melvilles in seiner Sicht auf die Welt wissen, noch einen ganz andern Verdacht: dass er damit nicht nur diese Tafelrunde meint…

Und zum Zweiten haben diese Erzählweise und Ismaels Beobachterposten, auf dem er sich ja nun im Einzelkapitel (im Gegensatz zu mir) weiß Gott nicht weitschweifig palavernd und häuslich niederlässt, ihren tiefen Sinn. Ham wir doch wieder was gelernt! Zuallererst nämlich, wie und warum der zunehmend an Queequeg einen Narren frisst. Denn der Kerl hat was in dieser Meute (noch?) gesichtsloser Gestalten: ein gelassenes und äußerst gesundes Selbstbewusstsein, „und jedermann weiß, dass Gelassenheit in den Augen der meisten Menschen auf ein vornehmes Wesen hindeutet.“ (S. 76) Denn wie man ja selber heutzutage – vom Sitzungstisch bis zum Hörsaal – immer wieder erlebt, sitzt „am Kopfe der Tafel“ entweder einer, den es aus dem Bewusstsein der Wichtigkeit seiner Person oder aus Geltungsdrang ins „Präsidium“ oder zumindest in dessen Nähe drängt, oder eben der, der sich darüber überhaupt keinen Kopp macht. So einer ist Queequeg, in sich ruhend, mit seiner höchstpersönlichen Würde. Und es schert ihn nicht mal, ob es jemanden anderen schert, dass er mit der Harpune sein halbblutiges Steak frühstückt. Im übrigen sei wohlmeinend davor gewarnt, beim nächsten Restaurantbesuch den einschlägigen Gourmet einen Wilden zu nennen.

Natürlich geht es nicht an, dem wissbegierigen Leser einen Eindruck von der Walfängermetropole New Bedford vorzuenthalten – wie wir sehen, kommen wir also auch nicht ohne das sechste Kapitel aus. Denn wer möchte schließlich gern aus dem Niemandsland auf Walfang gehen.

Sie ist voll von Seeleuten und Abenteurern unterschiedlichster Couleur, die Stadt – vom echten Menschenfresser über bunte Exoten aus aller Herren Länder bis zum auf Walfänger gestylten Bauernlümmel aus Vermont oder New Hampshire. Der heiß darauf ist, das große Geld zu machen, und, wenn es ernst wird, noch sein blaues Wunder erleben wird.

Um nochmal beim Geld zu bleiben: Melville, ach nein, Ismael zeichnet ein knappes, aber klares und farbiges Bild des üppigen Wohlstands, den die Region den Walen verdankt. Und keine Rede davon, dass der Walboom schon in sein sieches Stadium zu fallen beginnt, weil ja längst ergiebigeres Gold gefunden wurde, schwarzes Gold. Und weil es Ismael ist, der uns das alles erzählt, darf natürlich hier seine Anspielung auf Kanaan, das Gelobte Land nicht fehlen. Auch wenn New Bedford an das natürlich nicht ganz rankommt, aber nur ganz knapp nicht. Okay, ich geb’s ja zu, dass mir die sehr kurze Anmerkung dazu nicht gereicht hat und mich eine Kurzfassung der Geschichte des entsprechenden Buch Mose inhalieren ließ – was tut man nicht alles für seine Bibelfestigkeit. Demnach wurde besagtes Gelobtes Land ja schließlich des echten Ismaels Vadder Abraham und seinen Nachkommen von Gott höchstpersönlich versprochen. Nu hatte Vadder zwar eben jenen Ismael schmählich aus dem Haus getrieben; trotzdem meint man herauszuhörn, dass der „Unsrige“ sich vorerst auch mit dem beinah Gelobten Land zufrieden gibt.

Written by Wolf

29. September 2006 at 12:39 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Hic sunt leones

with one comment

Wie weit geht überhaupt der Topos der Faszination von Reisen in ferne Länder zurück? Moby-Dick war ja nicht das erste Buch seiner Art. Nicht mal das erste von Melville; sein Erstling Typee handelte schon von allem, was so eine Seebärenrumtreiberei in der Südsee ausmacht.

Miranda kann wartenAls erstes fällt mir Shakespeare ein, The Tempest.

Vorher weiß man von Berichten aus fernen Ländern – vom alten Europa aus gesehen –, in denen die Leute zwei Köpfe haben oder gar keinen, dafür die Gesichter auf der Brust, die auf den Händen gehen und in höchst wünschenwerter Libertinage leben. Und meistens fällt man unmittelbar dahinter über den Rand der Erde ins All.

Was Herodot, Tacitus und wie die Gelahrten alle heißen, die Eco im Namen der Rose so eindrucksvoll verfeuern ließ, aus den Randgebieten der Erde wussten, bezog sich immer auf Quellen, die wir Heutigen anzweifeln sollten, diente aber immer dem gerade gültigen Verständnis von Wissenschaft.

Welches Weltwissen verbrannte wirklich mit der Bibliothek von Alexandria? Hätte es uns genützt? War es wenigstens spannend? Ist davon mehr auf Shakespeare gekommen als auf uns, bis er beruhigt in sein letztes Stück schreiben konnte: “Be free, and fare thou well”?

Im Nicholas Nickleby von Charles Dickens beschließt die fliegende Schauspielertruppe in einer flauen Zeit, statt aktuellen Theaterstücken lieber Shakespeare zu spielen, weil das ein sicherer Kassenmagnet ist.

Shakespeare fürs sensationsgeile Volk! Auf dass es herbeiströme! Sicherer als in die neuen Stücke! Nicholas Nickleby ist von 1839, das war 223 Jahre, nachdem Shakespeare seinen letzten Huster tat.

Wie wenn ein Club-DJ auf Tingeltour vorsichtshalber Mozartarien trällern wollte. Es scheint, in den 167 Jahren seither hat sich im Rezeptionsverhalten der Theaterzielgruppe noch viel mehr verändert. Und postmoderne Vortragskünstler heißen wieder Moby.

So, und jetzt dürfen Sie nach Kräften kommentieren, was Sie über vergleichende Literaturgeschichte wissen.

Ptolemäischer Sturm

Written by Wolf

27. September 2006 at 3:01 pm

Das Frühstück: Steffi hat das 5. Kapitel gelesen

leave a comment »

Steffi meint:

Habe ich schon einmal erwähnt, dass Queequeg anders ist?

Für alle, die es bisher noch nicht ganz erfasst haben: er ist sogar anders, als die anderen Walfänger, eine Klasse für sich; jemand, der sich nicht zuordnen lässt, der Sortierung in Schubladen wiedersteht und damit wohl ein perfektes, modernes Individuum darstellt.

Selbst sein Frühstück fällt anders aus, als das der anderen: Er zieht das nahrhafte Fleisch vor. Machen Extremsportler das nicht auch, wegen der Proteine?

Mir schien es, als würde er sich schon vorbereiten, auf den nächsten Extremsportausflug – nur dass der eben für einen Haufen von Männern Alltag war.

Die Schüchternheit und Zurückhaltung der anderen schien mir eigentlich auch nicht weiter verwunderlich zu sein. Die Seebären waren einfach nicht in ihrem Element. Auf dem Schiff dürfen wir sicherlich anderes von ihnen erwarten.

Diese Darstellung unseres ungewöhnlichen Freundes ist hoffentlich bald abgeschlossen – die Message ist angekommen.

Written by Wolf

27. September 2006 at 2:58 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Die Steppdecke: Steffi hat das 4. Kapitel gelesen

leave a comment »

Steffi meint:

Was für mich gilt, da ich erst die Beiträge meiner wertgeschätzten Mitsegler gelesen habe, bevor ich mich mit Herman selbst vergnügt habe; aber eben auch für die Reihenfolge des Anziehens, wie unser „wilder Freund so slapstickhaft vorgemacht hat. Kurz: ich war vorgewarnt, dass Sigmund was zu sagen hatte und las das Kapitel schon mit der Maske des Anders-lesen-Wollens:

So stimme ich Wolf zu, dass die Kindheitserinnerung sicherlich eine Schlüsselstelle zum Verstehen von Ismael ist, allerdings glaube ich, dass wir das mit der Stiefmutter durchaus wörtlich nehmen können. Seinen ironischen Ton behält er bei, doch die Bitterkeit ist deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

Also folge ich der Einfachheit halber der Argumentation von Wolf, den ich würde doch nur ähnliches schreiben.

Worüber ich am meisten gestolpert bin, war wirklich die Neugier, die Ismael bei der ganzen Ankleideprozedur an den Tag legt. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: es schimmert immer die Besonderheit von Queequeg durch, diese Andersartigkeit, die man begafft wie im Zoo.

Sicher, sie ist nicht böse gemeint und meiner Theorie nach auch nicht mal bewusst, aber diese Pastellversion von Rassismus lese ich heraus. Aber genug davon. Sicherlich ist das nicht buchentscheidend, ich sehe es nach wie vor als Indiz für die historische Verortung und soll damit weder Gevatter Melville, noch seinen Protagonisten Ismael schmälern.

Auf humorvoll, tolle Art und Weise wurde in der Tat die Freundschaft der beiden ein wenig näher gebahnt, die Andersartigkeit noch ein bisschen weiter entblößt und dargestellt, die Handlung ein klein wenig vorangetrieben.

Aber wann stechen wir denn eigentlich nun in See?

Aber so ist das nu mit guten Dramen: sie verdienen einen guten Prolog, damit man an der Seite der Helden allen Tücken standhalten kann. Es ist das Luftholen vor dem Orkan.

Und wie ich mich darauf freue!

Written by Wolf

26. September 2006 at 3:34 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Losing My Religion

leave a comment »

An Doktor Freud schon wieder: Wollen Sie übernehmen?

Ismael – also der aus der Bibel jetzt – ist ja, wenn man keine Angst vor Genre-Crossing hat, einer der Lost Boys aus dem Peter Pan.

VaterfreudenDer Unterschied ist, dass Ismael nicht versehentlich aus dem Kinderwagen gepurzelt ist, sondern aktiv rausgeschmissen wurde. Urvater Abraham, die Blaupause aller Patriarchen, schickt seinen Erstgeborenen in die Wüste, weil seine Frau mosert, dass der ja gar nicht von ihr ist. Seinen Zweiten, Isaak, opfert er wie ein Stück Vieh.

Gut, geopfert hat er ihn nicht. Dazu musste ihm aber Gott persönlich in den Arm fallen, der das Schlachtmesser hielt. Der Trick ist: Er hätte es getan.

Das konnten die Jungs nur kompensieren, indem sie ihrerseits Stammväter wurden: der eine für die Araber, der andere für die Juden.

Die Lost Boys haben sich von Peter Pan, dem größten Kindskopf unter ihnen, losgesagt und gründeten mit Mädchen wie Wendy Familien. Peter Pan durfte Tinkerbell behalten. Abraham kämmt seinen Bart.

Schöner Übervater.

Written by Wolf

25. September 2006 at 3:00 pm

Posted in Rabe Wolf

Die Steppdecke: Wolf hat das 4. Kapitel gelesen oder Mutter, lass mich dein Söhnchen sein

with 3 comments

Doktor Freud, übernehmen Sie!

Da glaubt man seit Kindheitstagen, im Moby-Dick kämen bis auf eine flüchtig vorbeihuschende Hafenkneipenwirtin keine Frauen vor – und dann liefert uns Ismael ein detailliertes frühkindliches Erlebnis mit seiner Mutter, das man in seiner entwaffnenden Beiläufigkeit, so in den Gang der Handlung hineingegossen, gar nicht überschätzen kann. Wie selektiv musste man lesen, um das selbst noch beim zweiten Durchgang auf Englisch zu übersehen?

Natürlich ist es die katexochene böse Stiefmutter, und der Kollege Freud wird mir zustimmen, wenn ich annehme, dass Ismael, wie immer er richtig heißen mag, wegen dieser ach so herzensguten Frau seine Identität des Verstoßenen angenommen hat.

Gut spricht er von ihr – mir kommen ja die Tränen, wie er seine Kindheitswunden mit allem nötigen Sarkasmus beiseitewitzelt: „Sie war die beste und gewissenhafteste Stiefmutter von allen, und ich musste zurück auf mein Zimmer“ – hör da nur ich die passive Aggressivität eines Kishon raus?

Aus solchen Erlebnissen haben andere komplette Bücher gestrickt, weil sie anders nicht damit fertig wurden, da muss man nicht mal gleich Kafka bemühen. Es hat viel Hypnotisches, in welchen Zustand der junge Ismael gerät, wahrscheinlich ein ungebändigter Wildfang, der seine Tage mit Bäumeklettern und Maikäferfangen verbracht haben wird, wenn er bei helllichtem Tag ins Bett – nun ja: gefesselt wird. Glatt zu delirieren fängt er an.

Was für manchen perspektivlosen Depressivling die einzige Möglichkeit ist, den Tag zu überstehen – dämmernd im Bette zu liegen –, war für Klein-Ismael die schlimmste aller Strafen. So zieht man sich perspektivlose Depressivlinge. Ein Wunder, dass er später im Leben noch den Antrieb für so einschneidende Unternehmungen wie Walfang aufbringt.

Übermutter Moss Oder wie viele Äußerungen der Depression – und reden wir mal von der pathologischen Diagnose, nicht von der vagen Verstimmung – gibt’s eigentlich? Der Kollege Freud mag mich berichtigen, falls ich meinerseits deliriere, aber ich glaub, es gibt durchaus offensive bis aggressive Formen. Das bringt mich zu der Vermutung, dass Ismael sein Leben damit verbringt, es seiner Stiefmutter zu zeigen. Erst büchst er auf Meer aus, und ich darf in ihm eine gewisse Lust am eigenen Untergang wittern: Siehste Mutter, das haste nu davon; Walfang ist der sichere Tod, das glaubst du doch, Mutter, hab ich Recht? An Land hat mich ja noch nie irgendwas Besonderes gehalten. – Ismael zahlt es seiner Mutter, der alten Hexe, die ihn damals ins Bett gesteckt hat, ordentlich heim, und gelte es sein Leben. Und war nicht Thanatos die andere stärkste Triebkraft des Menschen, nebst Eros?

Interessant wäre jetzt noch, wo denn Ismaels richtige Mutter abgeblieben ist, und war je die Rede von seinem Vater? Oder ist der Begriff „Stiefmutter“ hier eine Art Grimmsche Verglimpfung: die taktvolle Maßnahme, Stiefmütter herbeizuzerren, wo man aus religiösen Gründen (viertes Gebot!) nicht über böse leibliche Mütter reden mag? – Man weiß so wenig.

Jetzt seh ich’s erst: Ismael ist ein Lost Boy wie aus dem Peter Pan. Und es sollte mich wundern, wenn nicht grade aus diesen eindreiviertel Seiten Papa Melville persönlich den kleinen Jungen Herman durch sein Alter Ego reden ließe.

Besonders über diese Stelle erwarte ich einiges von Drewermann, wenn ich endlich die 29,90 für seine Tiefenpsychologie erschwinge (oder wahlweise die Stadtbibliothek mein Desideratum erhört, hähä).

Soll ich wieder übernehmen, Doktor Freud…?

Heute beim dritten Lesen fallen mir die Stellen schon fast nicht mehr auf, über die ich vor allem beim ersten Durchgang als Zwölfjähriger am meisten gelacht hab. Poltert sich doch nicht der wilde Neger zum Stiefelanziehen diskret unters Bett, um im weiteren Verlauf in Stiefeln und Zylinder und sonst gar nix im Zimmer umherzugeistern?

Queequegs gewinnende Tollpatschigkeit hat mich damals endgültig in das Buch gezogen. Einigen Respekt hatte man damals doch vor der voluminösen Erwachsenenschwarte, das aufs Wesentliche reduzierte Reclamheft schmeckte ohnehin so nach staubtrockenem Deutschunterricht – und als ich gemerkt hab, dass es da ja richtig was zu lachen gibt, wusste ich: Das Ding hältst du durch.

Written by Wolf

24. September 2006 at 3:37 pm

Wale sprengen

leave a comment »

Was aus der Pequod geworden ist, weiß man. Was aus Moby-Dick geworden ist, schon weniger. Seine nachgeborenen Kumpels an der amerikanischen Ostküste haben, wie der Spiegel verlautet, nicht mal postmarin ihre Ruhe.

Moby tot

Written by Wolf

23. September 2006 at 8:02 am

Posted in Meeresgrund

Die Steppdecke: Elke hat das 4. Kapitel gelesen

leave a comment »

Elke war fleißig und sagt:

Uuh ja, also auf in dieses sonderbare und bemerkenswerte vierte Kapitel. Bei dem offenbar schon die Steppdecke (uns) wieder etwas be- und andeuten soll, die es betitelt und sich so eigenartig Ton in Ton mit Queequegs besitzergreifendem tätowierten Arm verbandelt – ist’s gar eine Allegorie? Wie uns dieses Kapitel überhaupt auf den schwankenden Boden der Deutung wirft und uns schier darin versinken lässt. Denn kaum hat man sich aus diesem sonderbaren “Flickwerk unregelmäßiger kleiner Quadrate und Dreiecke in allen Farben” gewühlt, überfällt einen Ismael mit seinem nicht minder seltsamen Kindertraum, der einem verrückterweise auch noch bekannt vorkommt…

Ich werde den Teufel tun und hier zu Herrn Freud in Konkurrenz treten. Mag sich jeder selber seinen Reim darauf machen, was diese fremde Hand (oder die Einbildung derselben), dieser Traum und die Erinnerung daran just in diesem Augenblick oder der Vergleich der Situationen meinen wollen. Was weiß man denn, wie die Geschichte weitergeht. Man denkt sich halt seinen Teil.

Oh, eines fasziniert: Man bekommt ein Stück von diesem Ismael zu packen, wieder eins, das man noch nicht kannte. Da sind Ängste, vor etwas, das sich nicht benennen lässt. Vor unbekannten Gefahren? Oder geboren aus einem Gefühl der… Einsamkeit? Bei diesem Kerl, der drei Kapitel vorher noch nach Entlegenem lechzte, „verbotene Meere […] besegeln und an barbarischen Küsten […] landen“ wollte? Der alles sicher Fassbare hinter sich lässt? Da ist doch etwas in dem Spötter und Aussteiger, das sich nach Geborgenheit, nach Wärme sehnt – auch wenn er dies nie offen zugeben würde. Erst recht nicht in der Lage, in der er sich von einem anderen Kerl umarmt findet.

Huch, nun bin ich ja doch nah bei der Traumdeuterei und Symbolik gelandet. Nun ja, man kann es einfach nicht nicht merken, dass das ganze Buch von (An)deutungen und Ahnungen, von Symbolen als Stilmittel und zur Abbildung der (Um)welt nur so strotzt. Hier und da wird „Moby-Dick“ als ein wichtiges Werk (auch) des Symbolismus bezeichnet. Dagegen kann man gar nichts haben. Und fragt sich dennoch, wie das sein kann, wo der doch erst zum Ende des 19. Jahrhunderts ausgebrochen ist, und zwar in Europa. Ist Melville seiner Zeit voraus? Zum amerikanischen Symbolismus in der Literatur habe ich bisher nicht so viel gefunden, außer dass der von mir hoch verehrte Herr E.A. Poe zu seinen Vorreitern zählt und eben auch Herman Melville.

Zuallererst wird aber auch dieses Kapitel von vorne bis hinten durch Queequeg und die Vorahnung (schon wieder) einer großen Freundschaft beherrscht. Herzliches Schmunzeln provoziert dessen Ankleidezeremonie, von Ismael-Melville mit köstlichem Humor geschildert. Was auffällt: die unbändige, ja geradezu penetrante, Neugier Ismaels auf das Tun und Wesen dieses sanften „Wilden“. Sie ist so groß, dass sich das Verständnis von zivilisiert und dem Gegenteil davon für den bedingungslos allen beiden geneigten Leser sogar umkehrt. Der unbefangen und gnadenlos hier in dem anderen, dem Typen aus gutem Hause, den Wilden zu sehen bereit ist. Doch nichts von alldem verhindert, dass unsereins Ismaels aufkeimende Sympathie für Queequeg erahnt.

Melville weiß uns im hier strapazierten Kapitel durchaus zu überzeugen, dass er auch mit unserem Dichterfürsten und des Herrn Geheimrats „Dichtung und Wahrheit“ auf gutem Fuße steht. Allerdings ist für mich die Stelle, wo Ismael Queequeg „ein Geschöpf im Übergang von einem Zustand in den nächsten – weder Raupe noch Schmetterling“ nennt, noch nicht fertig erzogen und „gerade zivilisiert genug, seine fremdländischen Sitten so befremdlich wie möglich vorzuführen“, nicht zuerst deshalb interessant. Ich fühlte mich irgendwie an die hehre und selbst auferlegte Bildungs-, Erziehungs- und Läuterungsmission in Werken von Väterchen Tolstoi und anderen alten Russen erinnert – mit der sie im übrigen, manchmal sogar seelisch, scheiterten. Dieser Missionierungsdrang klingt bei Melville auch an, wenngleich wir längst wissen, dass aus „Moby-Dick“ (das nehme ich mir einfach mal heraus und dem weiteren Verlauf vorweg) ein ganz anderes Buch geworden ist…

Written by Wolf

23. September 2006 at 7:10 am

Posted in Steuerfrau Elke

Hatte Herman Melville Kinder?

leave a comment »

„Wie hat Herman Melville überhaupt ausgesehen?“

„Wie der Nikolaus.“

„Du meinst, wie ein calvinistischer Patriarch.“

„Aber ich bin fies, gell?“

„Wie ein Quäkerpilgervater?“

„Er wird keine Weltreise davon entfernt sein.“

„Wie viele Kinder hat der denn gehabt?“

„Weiß ich auch grade nicht auswendig…“

„Solche Sachen sind’s aber, die die Leute interessieren!“

„Und nicht, welche Bücher sie noch von ihm kaufen können?“

„Das kommt später. Erst will man hören, dass Angelina Jolie die zehn kleinen Negerlein adoptiert hat – dann guckt man einen Film mit ihr.“

„Moment, ich weiß, wo’s steht. Im Jendis ist eine zehnseitige Biografie.“

„Da ist der moderne Leser zu faul. Die Information muss sofort greifbar sein.“

„Warum googelt er’s nicht, der moderne Leser?“

Du bist doch der Experte. Den modernen Leser interessieren deine nerdigen Schulaufsätze ex cathedra nicht. Wozu führst du denn deinen Weblog?“

„Damit ich besser weiß, welcher von deinen modernen Lesern mich langsam mal kreuzweise kann. Unerhebliche Fragen stellen und zu hedonistisch, die Antwort anzuhören.“

„Ein Glück, dass du nicht arrogant bist.“

„Söhne Malcolm, 16. Februar 1849 in Boston, und Stanwix, 22. Oktober 1851 in Pittsfield, Töchter Elizabeth, 22. Mai 1853 auch in Pittsfield, und Frances, 2. März 1855 erst recht in Pittsfield. Den Malcolm hat er am 11. September 1867 mit Kopfschuss nach dem Waffenreinigen in seinem Zimmer aufgefunden, Stanwix ist am 23. Februar 1886 in San Francisco an Tuberkulose gestorben. Ta-daa.“

„Und die Mädels? Leben noch?“

„Glaub ich nicht. Sind eben nicht so detailliert überliefert, weil sie den Vater überlebt haben, bei dem sie in der Biografie vorkommen.“

„Und weil Frauen in der Historie…“

„Sag jetzt nichts, Liebling.“

„Die CD von Paris Hilton ist gefälscht und heimlich in den Plattenläden verteilt worden.“

So viel zur Entschleunigung. Leben mit Melville.

So sieht der aus

Written by Wolf

21. September 2006 at 11:57 am

Moby-Dick ist ein Gummitier,

with one comment

wie Elke weiß,

jawohl, so eins zum Aufblasen, mit Ventil und Stöpsel. Er war nicht weiß, sondern blau, und planschte vor vielen Jahren mit einem kleinen, blondbezopften Mädchen in den Ostseewellen. Meine erste Erinnerung an diesen Namen hat ein süß lächelndes Gesichtchen mit Kulleraugen und so überhaupt nichts mit diesem mythischen Wesen, dem Bild des gewaltigen und unheimlichen Gegenspielers des Kapitän Ahab zu tun.

Wie so vieles andere übrigens auch nicht, wofür Moby-Dick heutzutage alles herhalten muss. Das hätte der gute Herman Melville, der den Welterfolg seines Buches nicht mehr erlebt hat, sich nicht träumen lassen, welch unvorstellbaren Siegeszug auf bisweilen recht eigenwillige, ja kuriose Weise sein weißer Wal ein gutes Jahrhundert später sogar bis in die letzten Ecken des Alltagslebens antreten würde. Ihn gar für werbeträchtig zu halten, wäre ihm erst recht niemals nicht eingefallen. Und als aufrechte reale Poeten hoffen wir nur, dass er sich nicht im Grabe umdrehen möge angesichts des schwungvollen Handels mit nicht nur den erwähnten Schwimmhilfen (die ja noch eine gewisse, wenn auch seeehr entfernte Ähnlichkeit mit dem Namensgeber haben), sondern auch Kinderplanschbecken, Fischtellern, Surfbrettern und anderen Fortbewegungungsmitteln, Ferienunterkünften und was sonst noch alles von findigen Geldmachern mit Moby in Verbindung gebracht wird.

Dem Weißwal, der einstens sein eigenes Geheimnis den Rhein stromaufwärts bis nach Bonn getragen und retour wieder mitgenommen, dazu noch der Umweltbewegung einen kräftigen Push gegeben hat, legt man da allerdings gern und ehrfürchtig ein „Nennt mich Moby-Dick“ ins Maul.

Und ganz bestimmt werden sich auch die Täufer von Kindertagesstätten und die Sauna- und Muckibudenbetreiber bei den symbolträchtigen Benamsungen ihrer Häuser was Großes gedacht haben – fragt sich nur: Was?

Moby Dick, DresdenEines tiefen Nachdenkens wert finde ich vor allem die Namensidee für ein ohne Frage sehr lobenswertes Kindergesundheitsprojekt – ob man sie wohl etwas skurril nennen darf? Oder habe ich den tiefen Sinn des Ganzen nur nicht verstanden?

Die Begegnungen mit ähnlichen Merkwürdigkeiten sind Legion. Und lassen einen mit einem leisen Kopfschütteln auf die „Pequod“ zurückkehren wie an einen Zufluchtsort, an dem Moby-Dick noch das ist, was Melville um ihn gewoben hat. Unergründlich… vielleicht – aber auf jeden Fall ganz anders.

Moby Blau-aber-Nützlich

Written by Wolf

20. September 2006 at 11:36 am

Posted in Smutjin Elke

Clarel und kein Ende

leave a comment »

672 Seiten vollendete TatsachenAls ob Clarel noch nicht lang genug wäre. Das Beste: Wo die Österreicher vollendete Tatsachen geschafft haben, müssen die Deutschen noch lange rumzoffen. A geh, gehns schäääßn.

Written by Wolf

15. September 2006 at 10:40 am

Posted in Mundschenk Wolf

Von Ismaeliten

with one comment

An klaren Tagen kann man Damaskus sehen. Eran Riklis
Die syrische Brautführerin

Nochmal zum Thema Ismael. In der Packungsbeilage zu “Die syrische Braut” lernen wir:

Religionsstifter der Drusen war der Sultan al-Hakim Biamrillah, Herrscher der ägyptischen Fatimiden, einer schiitischen Dynastie, die sich auf Fatima, die einzige Tochter des Propheten Mohammed, zurückführt. Die Fatimiden betrachteten Ismael, einen Sohn des sechsten Imam, als ihren Erlöser. Der Sultan betrachtete sich als Manifestation Gottes auf Erden, und sein Tod im Jahre 1021 wird von seinen Anhängern als Übergang in einen Zustand der Verborgenheit verstanden, aus dem er nach 1000 Jahren wieder zurückkehren wird, um die Herrschaft über die Welt anzutreten.Nachdem al-Hakim in die Verborgenheit ging, entwickelten die beiden schiitischen Gelehrten Hamza ibn-Ali und Mohammed al-Darazi die theologische Lehre der Drusen, worin der Kalif al-Hakim als Inkarnation Gottes gilt. Die Bezeichnung Drusen stammt eventuell von al-Darazi (Jünger des Darazi) oder von daraza (studieren, d.h. der heiligen Schriften).

Die Mission und Konvertierung Andersgläubiger wird von den Drusen nicht betrieben, auch freiwillig kann man nicht zum Drusentum übertreten. Außenstehende wurden nur zu Zeiten der Gründung der Religion aufgenommen; heute ist nur Druse, wer Kind drusischer Eltern ist.

Obwohl der Glaube der Drusen stark von der ismailitischen Tradition geprägt ist, sind die Unterschiede so groß (z.B. Beimischung des Platonismus und Neoplatonismus, Seelenwanderung), dass man von einer eigenständigen Religion und nicht von einer Richtung des Islam sprechen muss. Insbesondere die Ablehnung des Propheten Mohammed und die Ansicht, dass der Koran keine absolute Offenbarung sei, setzt die Drusen von allen Richtungen des Islam ab.

Und dafür werden sie einmal mehr verfolgt, die Nachfahren des Ismael.

An klaren Tagen geht man lieber an den Strand. Nahman Igbar
Die Syrer

Written by Wolf

14. September 2006 at 6:48 am

Zum Walfänger: Ismael hat das 3. Kapitel gelesen

leave a comment »

Der alte Wolf wird langsam grauVorurteile stimmen immer, wahrscheinlich stinken sogar die Neger (Ambrose Bierce? Gustave Flaubert?) – natürlich außer dem einen, den man selber kennt.

Queequeg hat mich als Bub ja schwer beeindruckt. Damals kannte man noch nicht so viele so selbstverständlich Tätowierte außer den paar Schweralkoholikern, die man in der Bahnhofskneipe antraf (ich hab über einer gewohnt, verkehrt hab ich da nicht), die solche Verzierungen aus dem Knast mitbrachten. Dass sowas ein Zeichen des edlen… nun ja: Wilden sein kann, wussten wahrscheinlich nicht mal diese Exknackis selber. (Aber immerhin trugen sie die mit mehr Bewusstsein als die heutigen Minderjährigen, die sich sponsored by Oma mit Nichtssagendem vollblümen lassen.)

Queequeg auf SpermwalUnd da rumpelt plötzlich in der Hafenkneipe Zum Walfänger dieser weiß Gott kantige Typ herum, vor dem man so lange Angst haben musste, wie man ihn nicht gesehen hat. Verhökert Neuseeländerköpfe, kommt spät nach Hause, allgemein ganz sicher kein ordentlicher Christenmensch, ein Menschenfresser gar – solange man sich sein eigenes Phantom aus gewagten Hirngespinsten zusammenbaut. Wenn man erst mal die Lagerstatt mit ihm teilt, ist er doch ganz umgänglich.

Was die Charakterzeichnung wirklich rund macht: Queequeg ist ja tatsächlich kein Christ und verzehrt in besonderen Fällen schon mal Artgenossen. Unnötig anlegen sollte man sich mit ihm wiederum nicht. Der Kerl bleibt plastisch, weil er mehrere Seiten hat.

Written by Wolf

14. September 2006 at 6:33 am

Posted in Steuermann Wolf

Zum Walfänger: Elke hat das 3. Kapitel gelesen

leave a comment »

Elke sagt:

Im Zweiten kommt er ja mal wieder so richtig einnehmend als Poet rüber, der Ismael. Dessen Anspielungen auf Lazarus offenbar wegen des Verdachts latenter Gotteslästerei nicht nur größtenteils weggelassen wurden (in der Londoner Ausgabe des ‘Whale’ nämlich), sondern sich vor allem wunderschön lesen: “Welch schöne, frostige Nacht! Wie der Orion glitzert! Was für prächtige Nordlichter! Lasst sie nur schwärmen von ihren morgenländischen Breiten ewigen Sommers und immergrüner Gärten; gewährt mir das Vorrecht mit meinen eigenen Kohlen meinen eigenen Sommer zu machen.” (S. 45)

Ha, und ein Mann mit Stil ist er auch. Denn an Bord eines Walfängers geht ein Kerl, der auf sich hält, natürlich niemals nicht vom größten Walfängerhafen wo gibt, sondern nur vom echten, traditionellen und einzig wahren Nantucket. Ich wusste es: ein Romantiker!

Was mich immer wieder fasziniert, auch in der echten Welt: wie sehr das Meer und die Seefahrt und das ganze Drumherum die Gegend um einen Hafen und an der Küste prägen. Geh durch die Gassen und Straßen an Ost- oder Nordsee (von denen man ein ganz paar kennt) – die Namen der Hafenkneipen, ihr Ambiente, das Fernweh und der Atem des Meeres, die dir förmlich zur Tür heraus entgegenwehen, das kann es nur da und nirgendwo anders geben. ––– Unser Held kann überhaupt nirgendwo anders als in den “Gekreuzten Harpunen” oder dem “Walfänger” landen…

Und die Ankunft daselbst, die sich ja nun wirklich als erster Schritt in das große mannhafte Abenteuer fixieren lässt, mit dem Ismael die Zwänge und Regeln eines braven Landschulmeisterlebens hinter sich lässt, ist nur folgerichtig eine tiefere und bange Ahnung des Abenteuers selbst. Der Wal kommt näher, ist schon ein optisches, wenn auch verschwommenes und unheimliches (Ab)Bild. Und ja, seine Beschreibung in einer derartigen Intensität, mit dem Gefühl einer unheilvollen Erhabenheit und Faszination, könnte man wohl eine Vorausdeutung nennen. Ein Kunstgriff Melvilles, der sich wiederholen und steigern wird?

Der lärmende Einfall des Seefahrervolkes in die Schankstube lässt einen irgendwie an die Glückssucher der Goldgräberzeit oder die “Geschichten auf See” von Jack London denken, dessen Helden schon ein Remarque den “wilden Atem des Lebens” bescheinigte. Und die Begegnung mit dem ‘Wilden’ Queequeg ist so spektakulär, wie es dem künftigen Gefährten gebührt. Ich kann in den Szenen übrigens kaum was von dem sogenannten alltäglichen Rassismus oder wie immer man es nennen mag, finden. Aber jeder hat da – völlig legitim – seine Sicht, der eine so, der andere so… Für mich ist es die Angst vor Fremdem, die man überwinden oder in Vorurteilen zementieren kann. Ismael sagt es selbst: “Unwissenheit erzeugt Angst, und da ich ob dieses Fremden vollkommen verwirrt und durcheinander war, muss ich zugeben, dass ich jetzt solche Angst vor ihm hatte, als wäre der Leibhaftige höchstselbst mitten in der Nacht so in mein Zimmer eingebrochen.” Und wie schnell sich diese Angst verliert, als er ihn als freundlichen, gleichgesinnten Kerl erlebt! “…der Mann ist ein Mensch, gerade so wie ich… Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen, als mit einem trunkenen Christenmenschen.”

Der Wirt – er ist nicht der Kontrast, für mich, wohlgemerkt. Er ist ein Schelm, der seinen Spaß hat an Ismaels Reaktion, die er sicher vorausgesehen hat. Ein mit allen Wassern gewaschener Menschenkenner, der mit den Leuten auf seine Art umgeht, und das durchaus nicht unsympathisch, finde ich. Für mich haben diese Szenen so gar nichts von der Diskriminierung in sich, wie sie beispielsweise ein Robinson Crusoe seinem Gefährten entgegenbrachte. Ich rechne dies Melville als Verdienst seines Humanismus an.

Hach, wie zeitgemäß ist dieses Buch! Da hat die Matrosin Steffi nun wieder absolut Recht. Wenn ich da nur an die Unsendung eines privaten Fernsehsenders denke, in der man zu den “Wilden” leben geht… Die gleichberechtigte Menschen einer – genau! – lediglich anderen Kultur sind! Tssss, westliche Zivilisation schützt vor Dummheit nicht… oder so. ;o)

Written by Wolf

13. September 2006 at 10:46 am

Posted in Steuerfrau Elke

Zum Walfänger: Steffi hat das 3. Kapitel gelesen

leave a comment »

Steffi sagt:

Da haben wir ihn wieder!

Diesen humorvollen Ton, diese ernst gespielten und doch eindeutig aufs lachen zielende Beschreibungen der Stätte einer großen Begegnung.

Es ließe sich sicherlich schon viel über die Beschreibung des dunklen Bildes sagen, dass sich so beharrlich der Interpretation entzieht und doch am Ende wieder auf den Kampf von Mann gegen Wal zielt.

Eine Vorausdeutung?

Doch an so dunkle Dinge mag man gar nicht denken, wenn man in dieser strahlenden Sprache seine Auseinandersetzungen mit dem Wirt verfolgt; wie er sich dagegen wehrt, mit dem unbekannten Harpunier das Bett zu teilen und deswegen allerlei Gedanken anstellt, wobei dem Leser sofort klar sein dürfte, dass all zu heftige Wehr am Anfang immer zu einer großen Freundschaft führt.

Gesetze des Buddy-Movies gelten auch in der gänzlich unmedialen Zeit eines Melville. Allzu köstlich werden die Vorurteile dem Fremden gegenüber dargestellt, um am Ende doch wieder ad absurdum geführt zu werden.

„Trotz all seiner Tätowierungen war er alles in allem doch ein reinlicher, schmucker Kannibale. Wozu habe ich eigentlich den ganzen Aufstand veranstaltet, frage ich mich – der Mann ist ein Mann, gerade so wie ich: […] Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen als mit einem trunkenen Christenmenschen.“ (S. 67)

Ja, genau – warum eigentlich diese ganze Szene?

Es geht doch nichts über einen glanzvollen Auftritt!

Wir, die Leser, haben genügend Zeit, uns mit der Andersartigkeit des Queequeg zu beschäftigen, uns zu vergegenwärtigen, warum es ein besonderer Mensch ist, im neutralen Sinn gemeint.

Und aus der Perspektive eines Zeitgenossen des Autors?

So richtig kann man sich nicht vorstellen, was so einer gedacht haben muss – sicherlich war Queequeg so exotisch für ihn wie für uns ein Marsmensch. Damit ist die offene Einstellung Ismaels nicht hoch genug einzuschätzen!

Als Kontrastmittel möchte ich mal auf den Wirt hinweisen, der einen so freundlichen Eindruck macht und doch als Kind seiner Zeit nicht anders kann: wenn er mit dem Harpunier spricht wie mit einem kleinen Kind („Du vastehn mich – du vastehn?“), weil dieser der englischen Sprache nicht mächtig ist, zeigt er doch, wie es in den Köpfen der Menschen in dieser Zeit bestellt ist.

Und dann denke ich daran, dass es bei vielen meiner Zeitgenossen auch nicht viel anders ist. Ein Mensch, der augenscheinlich aus Afrika kommt, wird automatisch auf Englisch angesprochen, wenn überhaupt. Beim Gespräch mit dem Türken an der Ecke wird überlegt, ob man Fremdwörter zumuten kann und bei der polnischen Putzfrau versucht man es auch mal mit dieser infantilen Babysprache, die wir keinem Dreijährigen mehr zumuten würden. („Du hier nix putzen, du verstehen?“) So weit weg sind wir nicht von den Menschen des Schlags Peter Coffin, den ich ganz sicher nicht als Rassist beschimpfen möchte.

Einfach schön, wenn man manchmal angestupst wird und über das eigene Verhalten nachdenken kann. Ach – ich liebe gute Bücher!

„Ich legte mich hin und schluf so gut wie nie zuvor in meinem Leben.“

Written by Wolf

13. September 2006 at 10:34 am

Posted in Steuerfrau Steffi

Da klebt er

leave a comment »

Walreisen sind vom Sofa aus doch am bequemsten. Da kann man seinen Enkeln beim Ordnen kleiner bunter Schnipsel erzählen, wie’s früher war.

Keine Ahnung, ob mit Briefmarkensammeln oder Walefangen mehr vedient ist. Bei den Briefmarken lernt man jedenfalls mehr Geschichte; viel mehr ist bisher bei der ganzen Bloggerei auch nicht rumgekommen.

Danke an Elke für den Link.

Written by Wolf

13. September 2006 at 9:04 am

Posted in Krähe Elke, Rabe Wolf

Mummendey hatte Recht

leave a comment »

Also mein persönlicher Internet-Fund des Monats sind ja die beiden Links zu Putnam’s Monthly Magazine und Harper’s New Monthly Magazine, in denen Melvilles abgelegenere Geschichten erschienen sind. Schön, das schon Mitte des Monats zu wissen.

In meinem alten Melville, übersetzt, kommentiert, erläutert, bibliografiert, herausgegeben und auch sonst mit selbstangebautem Grießbrei gefüttert von Richard Mummendey, stehen seit vor 1960 kryptische Quellenangaben, die von lange vergessenen und eingestampften amerikanischen Literaturzeitschriften handeln. Fünfzig Jahre später ist die Menschheit so weit, sie morgens um drei im Internet nachgucken zu können. Über Mummendeys Übertragungen kann man stellenweise diskutieren, aber insgesamt war es schon a piece of lion work, und wenn man nach seinen Arbeiten seine Bücherliste verlinken will – : Batz! ist alles da.

Die USA sind für alles mögliche beliebt und berüchtigt, nur nicht für geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung. Making of America erinnert einen dann wieder daran, dass sie non solum den einen oder anderen Krieg, sed etiam die systematische Ausbildung in Creative Writing erfunden haben, und der nächste, der ich weiß nicht wem nachsabbelt, “Die Amis ham ja ka Kuldur, nix Eigns und alles vo di andern Länder abgschaut”, fängt eine. Es ist eine junge Kultur, auf irgend einen anderen Steinbruch wird sie sich beziehen müssen. Wie weit waren die Deutschen nach 300 Jahren ihrer eigenen Geschichte? Jedenfalls anderthalb Jahrtausende von dem Wissen entfernt, wer sie überhaupt sind.

Ich stelle mir vor, wie ein entsetzter Hiwi dazu abgestellt wurde, aus dem Uniarchiv so viele Jahrgänge von Putnam’s und Harper’s auszuleihen, wie er auf seinen Ausweis kriegen konnte, und sie zum Scanner in dem staubigen Büro der Bibliothek von Cornell zu schleppen. Missmutig und mit den Gedanken bei seinen Kumpels, mit denen er am Freitagabend wieder im Cabrio beim Table-Dance vorfahren wollte, brach er jedem Einzel-Issue das Kreuz, dass vergilbter Papierabrieb herausrieselte, und legte manche Blätter ein bisschen schief auf.

Der Nächste, der sich von dem selbstverständlich geißbärtigen, vieräugigen projektleitenden Professor misshandelt vorkam, war der mit einer Staubschicht überzogene Nerd im Computerraum, der aus den Scans eine Website bauen sollte. Das hielt ihn wochenlang vom Counterstriken ab, aber wenigstens hielt der Prof danach bis auf weiteres den Mund.

Und es war den beiden überhaupt nicht klar, was sie da zum Fortschritt der Menschheit beitrugen: Grundlagenforschung aus der Zeit, als ihr Land, auf das stolz zu sein man sie ihre ganze Education lang gelehrt hatte, genau halb so alt war wie jetzt. Als ihnen auffiel, dass eine Geschichte von Melville in der selben Ausgabe wie eine Fortsetzung eines Dickens-Romans ersterschienen war, unterlief ihnen eben doch ein anerkennendes Nicken.

Die etwas davon haben, sollen gern noch eine Zeitlang ihr Web 2.0 durchs Dorf treiben. Der wahre Wert des Internet ist doch, dass in ihm das Wissen über die Zeiten und Plattformen getragen werden kann.

Putnam und der Wolf

Written by Wolf

12. September 2006 at 4:00 pm

Steffis Reisetasche

leave a comment »

Steffi sagt:

Nachdem wir im ersten Kapitel zur See verführt sind, darüber nachgedacht haben, was der Wal für uns ist, und uns am Rauschen der See, dem Kreischen der Möwen und grauen, eisigen Blau des Meeres und des Himmels ergötzt haben, warten wir ungeduldig darauf, dass es endlich los geht.

Wohl jeder von uns kennt dieses kribbelige Erwarten vor einer großen Fahrt und diese schiere Unerträglichkeit des Wartens. So auch hier in diesem kleinen Intermezzo – in dem so wenig passiert, kaum Handlung erfolgt, dafür aber umso mehr Selbstgespräche, humorvolle Lichtblitze, wie die Gedanken über den Schenkenbesitzer Coffin; alles gespickt mit Anspielungen biblischer Art oder Verweisen auf Zeitgenössisches.

Was mir ins Auge sprang: Der Eichelkaffee (S. 44 Mitte). Das sind doch die schönen kleinen Details, die das ganze Setting so exotisch machen! Genauso, wie ich als Kind immer staunte, wenn die Figuren bei Astrid Lindgren “Milchbrötchen” aßen, so staunte ich, wenn meine Eltern von Getreidekaffee erzählten, ich meinen ersten Carokaffee trank (dabei Reinhard Mey im Ohr hatte) und noch mehr staunte, als ich erfuhr, dass man Kaffee früher auch aus Eicheln machte, weil man sich sonst nichts leisten konnte.

So einen Ersatzkaffee kann man heute für gutes Geld bei Manufactum kaufen, wollte ich auch immer mal machen – einfach um zu schmecken, wie Kindheit ist.

Also Ismael: Geh in das “Gasthaus zum Walfänger” und trinke eine Tasse Eichelkaffee für mich.

Written by Wolf

12. September 2006 at 3:38 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

In diesem Sinne

with one comment

Auf einem Bein Ein Wunschkind läßt sich ganz einfach durch die entsprechende Lektüre beim Geschlechtsverkehr bestimmen. Lesen Sie dabei „Onkel Toms Hütte“ und „Moby Dick“, dann bekommen Sie einen einbeinigen Neger. Lesen Sie jedoch „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ und „Das Russlandhaus“, dann bekommen Sie einen schwulen Spion.

Walter Moers. Genauere Quellenhinweise werden dankbar vermerkt.

Written by Wolf

12. September 2006 at 9:42 am

Posted in Mundschenk Wolf

Bartleby, Michaela und ich

leave a comment »

I would prefer not to.
Bartleby

„Ich bin ein ziemlich bejahrter Mann“, fängt Herman Melville: Bartleby, 1853, in der Übersetzung von Elisabeth Schnack, 1962 für die sechsfache Anthologie „Der Connaisseur“ bei Diogenes, Band 2: „Eine Sammlung von Hassgeschichten von Rudyard Kipling bis D.H. Lawrence, für den Literaturfreund ausgewählt von Mary Hottinger“, an.

Trotzdem ersteht vor meinem Geist noch plastisch, wie ich mit meiner neuen Freundin eines Sonntagmorgens in meinem viel zu engen Single-Bett lag und mit ihr tat, was man mit seiner neuen Freundin sonntagmorgens in einem viel zu engen Single-Bett tun sollte: uns gegenseitig Geschichten vorlesen.

Wir waren noch mitten dabei, einander kennenzulernen. Darum rezitierten wir uns nicht irgendwas, sondern was uns etwas bedeutete. Bartleby zum Beispiel – obwohl oder weil das von Melville ist und deshalb von einer fundamentalen Asexualität.

Besser noch: Gerade bei diesem rätselhaften Allroundverlierer, dem verhuschten Schreibgehilfen Bartleby, der sich aus eigentlich überhaupt keinen Gründen in den Ruin verweigert, stellt sich das Thema der Erotik überhaupt nicht. Außer vielleicht, man liegt neben einem Mädchen von der Farbe und dem Geruch bettwarmer Vanillemilch. Sie hieß Michaela und sollte später todsicher eine Lady werden.

„‚Stellen wir uns einen Mann vor, der infolge von Veranlagung und Missgeschick schon einer fahlen Hoffnungslosigkeit zuneigt – welche Beschäftigung wäre wohl geeigneter, ihn darin noch zu bestärken, als das tägliche Hantieren und Sichten unbestellbarer Briefe für ein Ende in den Flammen? Denn ganze Wagenladungen voll werden alljährlich verbrannt. Manchmal nimmt ein blasser Angestellter aus dem zusammengefalteten Papier wohl einen Ring – der Finger, für den er bestimmt war, modert vielleicht längst im Grabe; oder eine Banknote, aus Hilfsbereitschaft eiligst fortgesandt – doch der, dem sie zu Hilfe kommen sollte, ist jenseits allen Hungers; oder er liest von Verzeihung für solche, die verzweifelt starben, von Hoffnung für andere, die ohne Hoffnung starben, von froher Botschaft für alle, die die unter der Bürde ungelinderten Unglücks zusammenbrachen und starben. Mit Leben befrachtet, eilten diese Briefe in den Tod.

O Bartleby! O Menschenlos!’“ schloss ich.

Michaela hatte ernst zugehört, an ihren Daumennägeln herumknapsend.

„Warum liest du mir das vor?“ fragte sie endlich, kurz bevor ich aufstehen und Frühstück machen wollte.

Erwischt.

„Weil der Refrain von dem Wurstel mit ‚Ich möchte lieber nicht’ schmissiger übersetzt ist als von Mummendey in meinen Sämtlichen Erzählungen mit ‚Ich würde vorziehen, es nicht zu tun.’“

„Red dich nicht raus.“

Doch, natürlich redete ich mich raus. In Wahrheit hatte es damit zu tun, dass ich eigentlich gar nicht vorlesen kann, weil meine Stimme ein nach innen gerichteter Gießkannenbariton ist, und ich das Vorlesen von vornherein bleiben lasse, wofern es an dem Samstagabend vor dem Sonntagmorgen nicht gerade Whisky gab, weil als Stimmbalsam weder Bier noch Obstler hilft. Und damit, dass ich an einem Sonntagmorgen nach einem whiskyschwangeren Samstagabend nur mühsam neben nackten Mädchen stille liegen kann, die nach Vanillemilch duften und denen schon früh im Leben von den Zehenschildchen widerspiegelt, dass sie mal eine Lady werden, und mich mit 75 Seiten langen Geschichten von fundamentaler Asexualität ablenken muss.

„Lass mich doch rausreden“, quakte ich.

Michaela lachte hell; unsere Liebe war jung.

„Komm mal her“, ließ sie von ihren Daumennägeln ab und begann mit Armen und Beinen in der abgestandenen Luft einer Junggesellenbude an einem ungefrühstückten Sonntagmorgen herumzurudern. Dann waren wir uns ein Stündchen gut.

Michaela und ich lernten aneinander, Beziehungen zu führen. Das war eine ihrer Lektionen. Weitere Lektionen waren, dass ich mir besser merken kann, mit welcher Tonlage und Ausdauer Mädchen im Zustand der Wonne stöhnen, als welche für ihr Seelenleben bedeutsamen Geschichten sie mir ihrerseits vorgelesen haben, und dass sie sich auch oberhalb der Schienbeine rasieren.

Dafür konnte sie fortan niemals eine fadenscheinige Migräne vorschützen, ohne dass ich sie anfeixte: „Ich möchte lieber nicht.“ Man glaubt nicht, wenn man nicht erlebt hat: wie anzüglich „Mach mir den Bartleby“ klingen kann. Und plötzlich wird sich den Bartleby vorlesen im wörtlichsten Sinne kinky.

Das war ein Tipp, Jungs.

Gescheitert ist es an etwas anderem.

Oder doch?

Written by Wolf

11. September 2006 at 10:04 am

Elkes Schemen

leave a comment »

Elke sagt:

Hach, nun geht die Reise wirklich los, und gleich so rasant. Ach, eigentlich wollte man ja nur nicht der vorlaute Moses sein: als letzter an Bord gegangen, aber als erster das Maul aufreißen. ;o)

Na gut, ich gebe zu, ich habe das Buch schon einmal gelesen, von einem um meine musische Bildung sich sorgenden Onkel empfohlen, wenn ich mich recht erinnere. Es sollte so in den letzten Zügen der Pubertät gewesen sein. Das mir verehrte Exemplar muss dann irgendwann in der Zeit verloren gegangen sein, als ich pünktlich mit dem Erreichen der Volljährigkeit meine Sesshaftigkeit vorübergehend aufgab, aufs Meer des Lebens hinaussegelte, sozusagen… Ich hab es auch lange nicht sehr vermisst, es war von damals als ein etwas anstrengendes Leseerlebnis weniger haften geblieben als verblasst. Umso deutlicher spukte mir seit meiner Kindheit viele Jahre lang das Bild aus dem Finale des John-Huston-Films im Gedächtnis: der ‘winkende’, an den riesigen Körper des Wals gefesselte Fanatiker Ahab alias Gregory Peck, dessen Schicksal sich erfüllt. Immer wieder mit dem Schauer im Nacken erwartet, immer wieder einen kleinen Albtraum wert.

Nun läuft einem dieses Projekt übern Weg und suggeriert: das ist es vielleicht noch nicht gewesen… Man liest sich wieder hinein in die ersten Seiten und — mag nicht aufhören. Entdeckt so schnell so vieles neu. Oder gar zum ersten Mal? Stellt sich die Frage: kann man wohl ein Buch zur Unzeit gelesen haben? Und weiß plötzlich mal wieder, warum man mit so vielen Büchern lange nicht oder niemals fertig wird, sich immer wieder hineinstürzt und sie jedesmal anders erlebt. Das sind die, bei denen dich keiner davon abbringen kann, dass sie gut sind, für dich gut sind…

Autsch, da verplaudere ich mich grad grauslich. Ich gelobe Besserung, wusste doch, es wird ein Abenteuer. Und ihr wartet ja noch auf meine Schemen, in denen wir uns augenscheinlich vorerst auf Ismael und den Wal einschießen.

Für mich ist Ismael zunächst – wir streifen wohlgemerkt immer noch durchs erste Kapitel – ein unruhiger Geist, der alles offen lässt, sogar sich selbst. Wer ist er, der sich lediglich so ‘nennen’ lässt – auch nur wenig mehr als ein Schemen? Nicht ein Bild, das sich uns als bekannt (gemacht) vorgaukelt und sich doch nicht mehr preisgibt als durch diesen selbstverliehenen Namen? Ein Stück Leichtfuß voller Selbstironie, ein Stück distanzierter Betrachter, bibelfest und wortgewandt? Er ist ein melancholischer Sturkopf, der sich der eigenen Widersprüchlichkeit und seiner Außenseiterrolle bewusst ist. Keine Verantwortung zu übernehmen (wenn man es denn so ausdrücken will) bedeutet für ihn doch eigentlich, frei zu sein von ihn beengenden Regeln des täglichen langweiligen Einerlei, von ödem Festgefahrensein – sei es auch um den Preis, dem harten Kommando eines Kapitäns zu gehorchen. Wenn man sich einreden kann, dass dies aus eigenem Willen geschehe…

Hach, dieses Sich-Selbst-In-Frage-Stellen und all das andere, gepaart mit einer guten Portion Humor, dieser seelenrettenden Fähigkeit, sich selbst nicht todernst zu nehmen, machen ihn mir sympathisch, diesen Ismael. Ich steh auf solche Kerle, nennt sie meinetwegen verschroben – langweilig sind sie gewiss nicht.

Der Wal? Ja, der Wal ist sogar für Ismael etwas Ernsthaftes, Großes. Eine unbekannte Herausforderung. Ein Ziel einstweilen, dazu so recht eins nach ismaelschem Sinne – ein Schemen.

Written by Wolf

8. September 2006 at 8:32 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Elke geht an Bord

leave a comment »

Elke sagt:

Huch, Mannschaaaft!! Wartet doch auf mich!

Erst Flaute… und dann legt der Schoner unter vollen Segeln ohne mich ab? Nu aber fix hinterher geschwommen! Jaja, selber schuld, das hat man davon, wenn man meint, nebenbei noch einer geregelten Arbeit nachgehn zu müssen. ;o)

Noch eine überraschende Entdeckung: wir lesen rückwärts? – und sind mittlerweile beim nullten Kapitel. Wäre das nächste dann das einhundertfünfunddreißigste – oder der Epilog?

Ernst beiseite! – was für eine Frage, na klar hab ich meinen Livestream-Button bedient und gespannt wie ein Flitzebogen den komprimierten Melvillien gelauscht. Wenn man schon so charmant und nutzerfreundlich mit der Nase drauf gestoßen wird… Und schließlich kann man auf die Art sich ja glatt ein ganzes Regal voller Sekundärliteratur sparen – denkt mancher da vielleicht ahnungslos. Pustekuchen! Nach spätestens zehn Minuten füllte sich ein Spickzettel, wonach man jetzt noch alles kramen will in Sachen des hochinteressanten und sonderbaren Mister Melville, der offenbar bei den meisten seiner Werke bestens wusste, worüber er schreibt. Später soll sich das etwas verloren haben… meinen zumindest seine Rezipienten. Achja, Moby-Dick kam auch vor: die Erstausgabe wurde verrissen, und man erfuhr auch, warum….

Langer Rede kurzer Sinn: ich habe die knappe Stunde an den Boxen sehr genossen und hätte gern nochmalsolange zugehört. Ein Extra-Dankeschön hiermit an den Seewolf!

Ja, und falls ich mit dem, was des Alltags noch so getan sein will, fertig werde, schrubb ich auch gern noch ein paar Sätze über die Startimpressionen…

Volle Kraft voraus, Walfänger!

Written by Wolf

8. September 2006 at 8:20 pm

mare für nix

leave a comment »

Es ist ja immer so, wenn man anfängt, sich systematisch für etwas zu interessieren: Auf einmal handelt die ganze Welt von nichts anderem mehr. Man zieht den Gegenstand seines Interesses magnetisch an. Das hat etwas Esoterisches, aber es funktioniert auch, wenn man nicht dran glaubt.

Ich bin letzthin wieder auf die mare gestoßen. Eine der allerbesten Zeitschriften überhaupt, hab ich beim ersten Treffen gefunden und musste mich nie korrigieren.

Soeben erreichen mich zwei Ausgaben von 2005, die einem der Verlag stiftet, wenn man an seiner derzeitigen Online-Umfrage teilnimmt. Anfang Oktober kommt noch die neue Ausgabe dazu. Kostet nix!

Na gut, man muss aktiv absagen, damit das nicht in ein einjähriges Abo übergeht, das dann eben doch kostet. Aber wenn einem im Leben nie etwas Schlimmeres passiert, als dass man aus Versehen die mare abonniert, soll man Neptun auf Knien danken. Wir reden hier nicht über die Bildzeitung. Eine mare zerrt man einfach zu selten aus dem Altpapier.
mare erscheint nur alle zwei Monate. Das deutet auf besonnenen, gründlichen Journalismus. Stimmt. Die Einzelhefte geraten jedes Mal zu einem Standardwerk über das jeweilige Schwerpunktthema. Visuell gestalten könnte man sie nicht schöner.

Die Schwerpunktthemen sind sehr spezialisiert bis verschroben. Das kommt, weil sie nicht alle zwei Monate wieder mit einer Einführung in Adam und Eva anfangen, sondern sich alle notwendige Zeit zur Vertiefung lassen. Und das umfassende Thema der Zeitschrift, das Meer, hat genügend Tragweite, um immer einen Bezug zu jedermanns Leben zu behalten. Das gibt es viel zu selten. Außerhalb von mare womöglich überhaupt nicht.

Meine Lieblingshefte, das über Seeleute, das über Piraten & Meuterer und dann noch eins, sind vergriffen, aber mare wird von großen Stadtbibliotheken gesammelt.

Auch haben?

mare 4mare 7mare 31

Written by Wolf

7. September 2006 at 6:59 pm

Posted in Rabe Wolf

Wolfsmaels Schemen

leave a comment »

Wäre mir ja im Leben nie aufgefallen, was der Ismael für ein verantwortungsloser Gesell ist… Wo genau verrät er sich denn? Die „Schemen“ dauern in unseren Ausgaben acht Seiten, weit versteckt kann’s also nicht sein.

So wie mich das jetzt beschäftigt, scheint es mich etwas anzugehen. Bis gerade eben hab ich Ismael für eine Art Mann ohne Eigenschaften, was ein anderes Flaggschiff ist, gehalten, die blankgeputzte Projektionsfläche für alles, was der Mensch als menschlich erachten mag – und siehe da: Eine von vornherein verwerfliche Seite bringt er schon mit. – Nun, als ob gerade das nicht zutiefst menschlich wäre.

Mit dem Namen, den er sich aussucht – denn er verleiht ihn sich aktiv – stellt er sich nicht gerade als leuchtendes Vorbild hin. Ismael, der als Spötter in die Wüste Geschickte, Genesis 21,9 ff., bekennend verantwortungslos, faustisch unbehaust, ziellos umhertreibend – er müsste sich wirklich in einer postmodernen Generation X wohl fühlen.

Generation X gab’s nicht? Egal, Slacker gibt’s immer.

Es sind fast schon zu viele Bücher im dritten Jahrtausend, die von ihnen handeln. Warum dieses? Vielleicht, weil es leicht ist, welche zu schreiben, und weil sie immer so gewinnende rausgewachsene Lausbubencharmeure mit funkelnden Augen sind, nicht blöd, können scharf hingucken und alles in gebildete Worte fassen, die man verlagsseitig guten Gewissens auf Autorenlesungsreise schicken kann?

Durchaus ein Leben, von dem es in mir träumt fort und fort, und zu dem ich immer nur den entscheidenden Tick zu spießig war („feige“ ist ein großes, böses Wort).

Den Wal als Inbegriff des Bösen find ich nicht übertrieben umweltfeindlich dargestellt. So wie sich Ismael selbst als Abkömmling eines Mythos aufstellt, so erst recht das bis jetzt gesichts- und namenlose Untier. Der Wal taucht gerade mal als Andeutung – ist das überhaupt schon ein Symbol? – einer Naturgewalt auf.

Wofür man den Wal alles als Symbol betrachten kann! Für den Teufel, Gott, Natur, das menschliche Leben, den tierischen Tod, Reichtum, Streben, Versagen. Für alles und das Gegenteil davon, nur für nichts Nebensächliches.

Das glaub ich dann gern, dass sich ein Prinzip von derart grundsätzlichem Ernst gegen einen koketten Dauersarkastiker richtet, der erst mal gucken muss. Der Esel geht aufs Eis. Einer zieht aus, das Fürchten zu lernen. Ich glaub ja, Ismael geht (übrigens nicht zum ersten Mal!) auf See, um erwachsen zu werden.

So gesehen finde ich schon, dass Ismael wenn nicht der natürliche Feind, so doch der komplementäre Charakter zu Moby-Dick ist. Falls das keine Absicht von Melville war – und ich glaub nicht, dass er’s künstlich so hinschrauben musste –, dann haben die Figuren sich von selbst so gefügt. Und das hebt das ganze Buch endgültig ins mythische Format.

Call me Ishmael, but call me for dinner.

Auslaufen

Written by Wolf

7. September 2006 at 6:24 pm

Steffis Schemen

with one comment

Steffi sagt:

Nun endlich ist es soweit.

Ich darf das Buch nicht nur in den Händen halten, sondern es aufschlagen, verschlingen, es mir aneignen und darin aufgehen, wie es gute Bücher von einem verlangen.

Ich bin etwas skeptisch, schließlich hatte ich viel von der Sperrigkeit des Moby-Dick gelesen und war mit gebremster Euphorie an das ganze herangegangen.

Aber jeder Vorbehalt wurde hinweggeweht von einer frischen Brise Humor und Zeitkolorit! Ismael erzählt locker, witzig und manchmal auch etwas hochtrabend von einer Welt, die vor meinem geistigen Auge entsteht und tatsächlich: Ich kann das Meer hören; die Wellen klatschen an die Kaimauer, die Möwen kreischen und das graue Blau des Himmels und des Meeres vermischen sich am Horizont, wohin es sein und mein Herz drängt.

Er beschreibt die Menschen, die Straßen, die Schiffe, und alles kann ich sehen.

Was für ein guter Anfang!

Ich lese, dass es ihn hinauszieht, dass er fort muss und ich denke dabei an die Hobbits aus einer ganz anderen Welt, die doch auch mit einer Sehnsucht nach der Ferne beseelt sind, wie ich sie selbst im Herbst oft spüre, von der ich mich beim Eintauchen in diese fremde Welten anstecken lasse. Ja, diese Gedanken an die Ferne kann ich verstehen, ich kann sie teilen und so bin ich freudig dabei, diesen Außenseiter eines ehemaligen Schulmeisters auf seinem Weg zu begleiten und ihm über die Schulter zu gucken.

Kann ich Ismael verstehen, mich mit ihm identifizieren?

Noch ist es wohl zu früh. Die Welt vor meinem geistigen Auge ist zwar sichtbar, doch noch nicht echt. Was ist eigentlich die Zeit, in der diese wunderbare Geschichte spielt, frage ich mich. Die Motive von Ismael kann ich verstehen, aber doch nicht teilen – als Kind meiner Zeit kann ich einen Wal nicht mehr als Bestie sehen, sehe sämtliche Tiere in einem anderen Licht, als die Bewohner der Zeit inmitten des 19. Jahrhunderts.

Aber wer kann es ihnen verübeln, dass sie diese Giganten des Meeres fürchten, wo sie doch so leicht ein Schiff zerstören können? Wo das Leben überhaupt menschenfeindlich und schwierig ist, wo die Seefahrt ein Abenteuer ist, das jederzeit tödlich enden kann, jede Reise über den Ozean ein Wagnis ist.

Nein, Ismaels Einstellung kann ich verstehen, bin vielleicht auch stolz auf ihn, dass er als aufgeklärter Mensch dem Wal nicht gleich alles Schlechte zuspricht. Und ja, er hat mich angesteckt, ich will auch raus aufs Meer, will mit auf den Walfänger, will das Monstrum sehen.

Ismael beginnt für mich ein Freund zu werden, ein Begleiter auf einer wunderbaren Reise, und ich glaube, er ist ein guter Gefährte. Mit guter Beobachtungsgabe und einer Portion ironischen Abstand zu sich und der Welt führt er mich auf den Weg.

Und doch gibt es da etwas an ihm, das an mir kratzt, wie ein rauer Hals vor einer Erkältung. Ich stoße mich an seiner Aussage, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, andere entscheiden und handeln zu lassen und das erklärt er dazu mit Funken sprühendem Charme und einer Unernsthaftigkeit, die mich sofort fragen lässt, was für ein Schelm sich mir da vorstellt.

Super! denke ich. Ein vielschichtiger, ambivalenter Mensch! Und freue mich auf das zweite Kapitel.

Written by Wolf

7. September 2006 at 5:53 pm

Posted in Steuerfrau Steffi