Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for the ‘Steffis Koje’ Category

Die Schwulendebatte am Rande von Melville

with one comment

Marcel sagt:

Das Ergebnis einer für Schmidt nicht weniger bezeichnenden Marotte scheint ebenfalls sein Buch “Sitara und der Weg dorthin” (1963) zu sein, eine – so der Untertitel – “Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl Mays”. Nicht etwa, daß es überflüssig wäre, Werk und Wirkung des seit einem halben Jahrhundert höchst populären Schriftstellers einmal genauer zu untersuchen. Indes ist fast die ganze Monographie dem Nachweis einer einzigen These gewidmet, der eine angebliche Entdeckung Schmidts zugrunde liegt: Karl May sei homoerotisch veranlagt gewesen … Schmidts Begegnung mit der Welt der Psychoanalyse muß, gelinde gesagt, sehr flüchtig gewesen sein. Während das Buch über Fouqué skurril, doch seriös, aber schon des Themas wegen nicht gerade nötig ist, wäre eine Monographie über Karl May gewiß nötig, nur daß mir diejenige von Arno Schmidt skurril und unseriös zu sein scheint.
Marcel Reich-Ranicki in: Die Zeit, 13. Oktober 1967.

Wolf sagt:

Wie lange muss man denn Psychoanalyse studiert haben, um auf keine schwulen Gedanken zu kommen, wenn sich die Kumpels in der Weihnachtsgeschichte von Herrn May mit “Sappho” anreden?

Thank heaven for little girls.

Steffi sagt:

Karl May entstammt bekanntlich einer sehr armen Weberfamilie, die alles daran gesetzt hatte, dem klugen Sohn ein besseres Leben zu verschaffen, was der so aber gar nicht wollte. Weil sie aber für seine Ausbildung gehungert und gefroren haben, musste er wohl oder übel Lehrer werden, auch wenn es ihn nicht lange in diesem Berufsstand gehalten hat. Ich sehe also in dieser Passage mehr Ausruck eines autobiographischen Bezuges als weitere Wasser auf den homoerotischen Mühlen.

Wolf sagt:

Das wäre ja dann umso schwuler, wenn all die Unterjublerei organisch geformter Gebirge auch noch biografisch zu begründen wäre… Was versuchen wir hier eigentlich zu beweisen?

Im Ernst glaub ich ja nicht, dass Karl May seine Bücher ausschließlich mit Sachen vollgeschrieben hat, mit denen er eventuell eine wie auch immer geartete Homoerotik etabliert hätte. Damit hätte er zu leicht einbrechen können: Entweder es fällt niemandem auf – außer einem Herrn (ausgerechnet) Schmidt, 51 Jahre nach seinem Tod – oder er riskiert, auf den kaiserlichen Index zu kommen – und das bei was für einem Erfolg, falls es denn tatsächlich funktioniert? – Sein Coming-out hat man ja zu Kaisers Zeiten sorgsam vermieden: Schwule Neigung war in Deutschland bis 1969 ein Straftatbestand. (Heute ist sie in. Ich erwarte täglich, dass sie Pflicht wird.)

Wir reden hier über je nach Verlag zwischen 60 und 120 seit einem geschlagenen Jahrhundert rasend erfolgreiche Bücher. Sowas schreibt man in dieser Häufung, in dieser Kontinuität, weder aus Versehen, noch indem man einem Volk von Homophoben einfach eine Arschlandschaft nach der anderen ins Unterbewusstsein flüstert. Mal pragmatisch gesehen, mag ein Erfolgsschreiber durchaus solche Scherze einfließen lassen, aber nicht sein Gesamtwerk danach ausrichten.

Elke sagt:

Mir ist als Leserin, nebenbei gesagt, herzlich egal, ob Karl May nun schwul war oder nicht. Er ist Kult und kaum einem, dem er je, und das fast unausweichlich, über den Weg laufen musste, zu verderben. Womöglich würde der Karl sich totlachen über die ganze Aufregung und Interpretiererei, die es um seine gelegentlichen anzüglichen Späßlein mit dem Leser gibt, sofern der die überhaupt checkt. Sein Riesenerfolg kommt jedenfalls woanders her.

Und falls mich selber einer fragte (wo wir ja eh schon einen etwas ausschweifenderen Ausflug um das Thema machen): Ich würde nur mal so zum Beispiel mehr als vor allem anderen davor warnen, uns Mädels und Jungs vor dem Angesicht unserer Kultbücher so tiefenpsychologisch teilen zu lassen. Diese Versuche (in denen – meine Meinung – oft ‘ne Menge gequirlter Unsinn steckt), haben mit ganz anderen Dingen zu tun, für die sich in jedermanns Leben irgendwann einer (wenn nicht eine ganze Gesellschaft) findet, sie ihm mehr oder weniger erfolgreich einzubläuen.

Wer suggeriert nur ganzen Generationen der westlichen Zivilisation, dass ein Mann nicht weinen darf, weil es weibisch ist? Wer will nur die Frau immer anschmiegsam, schutzbedürftig und abhängig sehen? Wer verbietet abwechselnd dem einen oder anderen Geschlecht, Dinge zu tun, die angeblich wider dieses Geschlecht stehen und doch von Natur aus jedem menschlichen Wesen einfach gegeben sind, ob er nun ein zartes Weib oder ein stattlicher Kerl ist?

Warum müssen Hobby-, Tiefen- und sonstige Psychologen in allem gleich etwas Abseitiges oder gar Abartiges sehen wollen (wozu Schwulsein btw nicht gehört). O Welt, wie hast du uns verbogen!

Aber es besteht Hoffnung – drum lese jeder seinen May-Melville, wie er mag. Ach ja, und ich kenne schon Kerle, die auch heut noch ihren Busenfreund genau so nennen und ohne Identitätskrise ihr Haupt neben das des Kumpels oder Schicksalsgenossen aufs selbe Kissen betten. Ganz zu schweigen von den ungezählten Busenfreundschaften und zärtlich umarmenden Verbrüderungen, die täglich an unzähligen Kneipentresen verkündet werden. Nix für ungut, Steffi, wollt ich sagen, diese Tirade geht gar nicht gegen dich. Und wenn ihr wollt, dürft ihr mich auch einen Nestbeschmutzer nennen – schließlich komm ich ja auch aus dem Stall… dieser Welt und der Literaturchirurgen.

Written by Wolf

20. October 2006 at 8:59 am

Wie schwul geht es bei Karl May wirklich zu?

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Auszug aus Steffis Hausarbeit:

Als Arno Schmidt in seiner 1963 erschienen Studie „Sitara und der Weg dorthin“ veröffentlichte, war ihm klar, dass Karl May schwul sein musste. Er sah bei May „eine für Leser faszinierende, aber nicht bewusst wahrnehmbare “Sexualberieselung”, die der vermeintlich schwule May seinen Lesern unterjubelt.

Zu erkennen glaubte er das an den Organabbildungen, die Schmidt in rein sexuellem Sinne zu deuten wusste. Mit einfachen Pinselstrichen macht Arno Schmidt klar, wie Karl May in seinen Augen die Landschaft konzipiert hat. Die Sekundärliteratur jüngeren Datums hat seinen eigenen Blick auf Arno Schmidt:

“So richtig geht die Interpretationspost [bei Schmidt] aber ab, wenn man alles Doppeldeutige beäugt und mit einem etwas eigenem Freud-Verständnis – alles was höher ist als breit, ist ein Phallus – liest. Beispiele wären das Potenzgehabe mit den Flinten, das häufige Eindringen in Höhlen, die Landschaftsbeschreibungen, die angeblich nur so wimmeln von Verweisen: Hintern als Felsenkessel; Hintern als Tälchen (wo ‘Rote’ ruhen auf Rasengrund, (‘gleich bei der Hand, in voller Erwartung’ geht’s weiter); Hintern als Höhlen schlimme Klüfte ….”

Die ironische Schreibweise verrät auch schon die Distanz der Autoren zu Schmidt, dem sie eigene Motive unterstellten wie etwa, „dass Schmidt hier eine Les- und Schreibart fand, die ihn inspirierte, die ihn als Autor zu neuen Ufern aufzubrechen erlaubte.“

Fairerweise muß man aber sagen, dass Arno Schmidt im Nachhinein indirekt widerrufen hat.

Doch mal ganz abgesehen von der Frage, ob Arno Schmidt Recht hat oder nicht: Ist erst mal der Blickwinkel justiert, fallen einem als Leser schon Phrasen und Sätze auf, die eine durchaus sexuelle Botschaft tragen können.

Martin Lowsky, der Arno Schmidts Forschungsstandpunkt kritisch gedeutet hat, gibt aber zu, dass Schmidt in dem Sinne recht behält, „dass sich in Mays Männerbündnissen der Freundschaftsbegriff von vorpubertären Knaben kundtut, die die Neigung zum anderen Geschlecht nicht kennen und so generell homosexuell sind.“

Es begegnen den Helden selten Frauen und sie sehnen sich auch nicht nach ihnen, wohl auch weil sie eine Einschränkung ihrer absoluten Freiheit bedeuten würden und die Bindungslosigkeit, mit der die Freundschaften zwischen den Männern gekennzeichnet sind, beenden würden.

Eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang nimmt der Artikel von Barbara Sichtermann ein, die Karl May als Jugendautor verstanden haben will und damit auch implizit mit einer sexuellen Botschaft beladen.

FilmkurierDadurch, dass es keine weiblichen Identifikationsfiguren gibt, ist die weibliche Leserin darauf angewiesen, sich in die männlichen Protagonisten hineinzuversetzen. Zwar ist die Ideenwelt von Karl May nicht gänzlich frauenlos, aber die existierenden Weiblichkeiten bieten nur wenig Projektionsfläche für Frauen. Zumal sexuell attraktive Frauen der Abenteuerromane meist böse sind, wie die Judith in ‚Satan’. „Von physischer Attraktivität bei Frauen ist nur selten die Rede; vor allem die guten zeichnen andere Eigenschaften aus. Sie sind edel und verkörpern geistige und sittliche Macht wie Marah Durimeh, Hanneh und Nscho-tschi, führen in Ausnahmefällen ein ganz unweibliches Leben in der Wildnis wie Kolma Puschi […] oder sie agieren als komische Figur wie Rosalie Ebersbach im ‚Ölprinz’.“

Doch sind eben nicht nur die mangelnden weiblichen Rollen, nicht nur weil die dramaturgische Autokratie des Ich-Erzählers keine Alternative zuließ, der Grund für die Identifikation mit den männlichen Protagonisten – Barbara Sichtermann gibt auch an, dass sie in der Zeit kein besonderes Bedürfnis hatte, weiblich zu sein.

Damit ist keine homosexuelle Neigung von ihr als Kind gemeint, vielmehr ist darauf hingewiesen, dass es in der Entwicklung von Kindern eine Phase gibt, in der sie spielerisch ihr eigenes und das fremde Geschlecht erforschen. Sie haben in ihrer Beziehung zum Geschlecht noch keine Starrheit erreicht, die sie als Erwachsene haben werden.

„[…] Mädchen lassen sich von Scout-Kult und Reiterromantik fesseln, ohne das Gefühl zu haben, sie liehen ihr weibliches Interesse einer fremden Welt, wie umgekehrt Knaben sich ohne Schwierigkeiten vom Roman einer verkannten Komtess faszinieren lassen.“

Kinder zeichnen sich da in ihrer Themenwahl und in ihren Identifikationswillen als sehr tolerant aus. Dass dies nicht unbedingt ein neumodisches Phänomen ist, zeigen die Bilder, die Karl May in seinem Leseralbum zusammengestellt hatte. So gibt es durchaus Frauen, resp. Kinder, die sich mit Karl Mays Welt identifizierten.

So besitzt Mays Werk für Mädchen den Reiz des Transsexuellen und für Jungen die erotische Qualität der Neigungen und Antipathien, der Tierliebe und der Jagdlust, der Freundschaften und der Verfolgungen.

„Das schwule Antlitz der berühmtesten Liebe im (als Jugendliteratur gängigen) Werk von May, die zwischen Winnetou und Old Shatterhand“, so Sichtermann, „ist klar genug.“

Written by Wolf

19. October 2006 at 7:10 am

Busenfreundschaft und der Weg dorthin

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Steffi sagt:

Ich hatte in der Schlußphase meines Studiums das (wirkliche) Vergnügen, eine Hausarbeit über Gender in den Karl-May-Werken zu schreiben und nutzte in dieser Zeit auch die Studien des geschätzten Arno Schmidt. Die Gedanken waren nachvollziehbar und einleuchtend, dazu gab es im Werk noch ansprechende Illustrationen, die die sexuellen Eindeutigkeiten nicht nur offenlegten, sondern bloßstellten.

In vielen Gesprächen mit meinem Mentor (und bei meiner mündlichen Examinierung zum Magister) hatte ich Gelegenheit, mich noch genauer mit einem Karl-May-Experten auseinaderzusetzen. Von ihm erfuhr ich dann auch, dass Arno Schmidt, so plastisch er auch sein mag, nicht mehr den letzten Stand der Forschung darstellt und somit die sexuelle Konnotierung bei Karl May nicht mehr so evident ist, wie Herr Schmidt es uns nahegelegt hat.

So sehe ich mittlerweile die Freundschaft dieser zwei Männer eher als Ausdruck einer Gesinnung aus dem Kaiserreich, in dem noch andere Männerideale galten und klar war, dass wirkliche Freundschaft – mit der ganzen Unschuld, die dieser Begriff beinhalten kann – nur zwischen Männern zu finden war.

Auch wenn unser Melville zeitlich anders einzuordnen ist, glaube ich auch hier, dass Queequeg und Ismael diesen Typus Männerfreundschaft zelebrieren. Elke hat ja auf sehr famose Art den Begriff der Busenfreundschaft unter die Lupe genommen, so dass mir nichts mehr bleibt, als zu applaudieren und hinter vorgehaltener Hand ein Aber einzuwerfen, dass die Qualität eines Wortes auch immer mit der aktuellen Konnotation zu verbinden ist, und wie treffend und unschuldig die Bedeutung Busenfreund auch mal gewesen sein mag – heute würde kein Mann, den ich kenne, von seinem besten Freund behaupten, er sei sein Busenfreund.

Aber Zeiten ändern sich, haben sich geändert, werden sich ändern. Ich kenne auch keinen Mann, der in heutigen Zeiten so unbeschwert und – pardon – rein mit einem anderen Mann das Bett teilen könnte, ohne in einer Sinnkrise seine sexuelle Orientierung in Frage zu stellen.

Ismael und Queequeg hingegen kaufe ich es hingegen vollkommen ab. Auch da kann ich Elke nur unterstützen. Diese Freundschaft, so spontan und schnell sie sich entwickelt hat, besitzt doch alle Qualitäten einer echten Bande der Herzen, wie man sie heute vielleicht noch bei kleinen Jungen findet und nach der wir uns doch alle sehnen (sollten).

Also: Es ist doch einfach toll, was die beiden haben – Freundschaft bis in den Tod, eine Brücke über alle Kulturen und mit Verlaub – nachts immer warme Füße.

Ich beneide sie.

Written by Wolf

19. October 2006 at 6:24 am

Posted in Steffis Koje