Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

Archive for the ‘Steuer’ Category

Faustisches in Moby-Dick

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Archegonus hat Kapitel 43: Horch! und Kapitel 44: Die Karte gelesen:

Man muss es nur abwarten können: Unser langjähriger, nicht wenig verdienter Nachbar Archegonus übernimmt das Steuer genau an der Stelle, wo uns die Flaute erwischt hat, weil es offenbar wirklich nicht mehr mitanzusehen war, was wir hier nicht treiben — und schreibt uns — nicht zum ersten Mal — unaufgefordert über ein Thema, das mich schon lange interessiert und das ich jetzt glatt zweimal verwenden kann.

Meine eigenen Verdienste an Moby-Dick™ kommen mir noch als die geringsten vor, ich hab hier nur das Passwort. Dagegen hab ich außerhalb des Internets nie so viel darüber gelernt, was eine Gemeinschaft ausrichten kann.

Archegonus hat’s um Gotteslohn getan. Gerade deshalb steht ihm einer der gleich zweimal versprochenen Buchpreise zu, ich such ihm was Schönes aus. Das werde ich immer für jeden Beitrag tun — auch bei euch offiziellen Kollegen von P.E.Q.U.O.D. Danke! sag ich — und damit hat Archegonus das Wort:

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Raymond Bishop, AhabOhne das Wirken der Hölle wäre Herman Melvilles Moby-Dick kaum zu verstehen: Die Hölle ist der Unort, in dem alle dunkle Verknüpfungen zusammenfinden (Kapitel XLIII). Hier führt uns Melville in seiner abschnittsweise unspektakulären Art, fast randnotizartig, in die Höllenkapitel seines Werkes. Auf den ersten Blick ist Kapitel XLIII nicht mehr als eine Beschreibung einer nächtlichen Sinnestäuschung, sind doch die beunruhigenden Geräusche nichts als “die drei eingeweichten Zwiebacke, die wo du zu Abend ißt, wo sich in dir umdrehen” – so klärt Cobaco seinen Kameraden Archy auf, der aber nach eigenem Bekunden “scharfe Ohren” hat und sich sicher ist, doch etwas gehört zu haben. Aber Cobaco gibt nicht nach: Nichts soll es gewesen sein, weiterarbeiten soll er, und still sein. Damit lässt Melville uns zunächst allein.

Ahabs Tätigkeiten werden in der Nacht zur kultischen Handlung, zur Beschwörung. Einen Weg zu seinem Lebensziel auszulesen auf Karten, ist sein Sinnen, in der Tiefe des Schiffsrumpfes, eingeschlossen im Grabesdunkel (Kapitel XLIV). Nicht Eintritt in das helle Reich von Isis und Osiris sucht Ahab – sondern hinab in die Kammer des Horus steigt er Nacht für Nacht. Wahrlich faustisch sein Vorhaben: Sein Plan gegen den göttlichen Plan, sein Wesen gegen die Kräfte der Natur: Die “geheime Kunde der Gottheit” in Form der “Adern” in den Weltmeeren zu erkunden & erkennen. So wird das Kartenlesen für Ahab die Arbeit am eigenen Horoskop – am Schicksal, das ihm die Götter bestimmt haben. Er jagt einen Moby Dick, der sich in den Wassern herumlungernd findet, wie die Sonne im Jahreslauf, eine Zeitspanne in “jedwedem Zeichen des Tierkreises verbummelt”. So wird Ahab zum Kartographen der Strömungen eines gänzlich unirdischen Labyrinthes, im Halbdunkel und Streiflicht selbst gezeichnet mit “Strichen und Routen über der tief markierten Karte seiner Stirne”.

Zeit und Raum will Ahab für sein Vorhaben beherrschen: Auf Hochmittag, in der “Saison am Äquator” will er den Weißen Wal aufspüren, und er schwört die Mannschaft auf dieses doch aussichtslos erscheinende Unternehmen ein. Aber wie wenig vermag hier die deutsche Übersetzung die Kräfte zu beschreiben, die Ahab sich unterwerfen will: Χρόνος και Καιρός – Chronos und Kairos – der schicksalsbestimmende Zeitpunkt, der durch göttliche Fügung allein bestimmt wird, soll kraft seines Willens ihm dienen. Ahab erliegt der Versuchung, die Natur beherrschen zu wollen, aus der bloßen Möglichkeit eine Wahrscheinlichkeit werden zu lassen und verblendet im Geiste die Wahrscheinlichkeit zur Fast-Gewissheit zu formen.

Melville legt uns in diesem Kapitel einen Schlüssel in die Hand, mit dem wir Zugang erhalten zu dem Teil unseres Wesens, den wir erst bewältigen müssen, wenn wir unsere Fahrt über die unbekannte See, das Meer der Zeit, fortsetzen wollen. Schaffen wir dies nicht, und die dunklen Kräfte beherrschen uns, so enden wir in der der “totalen Katastrophe” – sei es in “unleidlich lebhaften Nachtträumen” oder in einer todbringenden Wirklichkeit. Tötung und Verwesung bezeichnen die sinisterste und gefährlichste Operation des Alchemisten, die zugeordnete Farbe Schwarz verweist auf den Schatten im eigenen Sein: Wenn Ahab die See erkundet, so sieht er das apokalyptische Grauen, gleichwie der Prophet Daniel es beschrieb: Schauend war ich in der Schau der Nacht […] und schauend blieb ich bis getötet war das Wesen (Daniel 7,2 und 11).

Robert Shore, Ahab, 1962Ahab durchlebt die Trennung von Geist, Seele und Körper durch die seinem Wesen innewohnende Energie “[…] erstrebte es triebhaft eine Ausflucht aus der versengenden Nachbarschaft des rasenden Dings, mit welchem es nunmehr nicht länger ein gemeinsames Ganzes war”; ein geradezu alchemistischer Prozess der Abtrennung, des inneren Kampfes, in dem das “äußere Leben” abgetötet, d.h. von dem in ihm waltenden Geist befreit und zur Verwesung gebracht wird, um neu geformt zu werden. Doch bei Ahab stellt sich die Frage: Formung zu welchem Sinn & Zweck seines Daseins?

Dem erschauernden Leser öffnet sich nunmehr ein Abgrund der Finsternis in Ahab selbst:

Oftmals, wenn er aus seiner Hängematte hochgetrieben wurde von erschöpfenden und unleidlich lebhaften Nachtträumen, […] diese seelischen Wehen im Innern seine Existenz aus ihren Fundamenten warfen und sich in ihm ein Abgrund zu öffnen schien […]; wenn diese Hölle in seinem Innern sich unter ihm auftat, dann war durchs ganze Schiff hindurch ein wilder Schrei zu hören; […] Folglich war die aus leiblichen Augen hervorfunkelnde gepeinigte Seele, die Ahab zu sein schien, wenn er aus seinem Zimmer herausbrauste, in dem Augenblick nichts als ein entleertes Ding, ein formloses nachtwandlerisches Wesen […].”

Ahab hat aufgehört, Mensch zu sein, und in seinem Vorhaben, ein Götterbezwinger zu werden, lässt Melville uns als Warnung die Gestalt des Prometheus entgegentreten. Der Hass, der aus verletztem Stolz geboren wurde, wird zum symbolischen Geier, den Ahab in seinem Innern selbst genährt, ja sogar erschaffen hat. Aus dieser Hölle gibt es kein Entrinnen und so schließt dieses hoffnungslose Kapitel mit der letzten aller menschlichen Möglichkeiten, der Anrufung des Allmächtigen:

Gott stehe dir bei, alter Mann, deine Gedanken haben ein Geschöpf in deinem Innern erschaffen; und er, dessen abgründiges Denken ihn solchermaßen zu einem Prometheus macht; ein Geier nährt sich ewig von jenem Herzen, jener Geier eben das Geschöpf, das er selbst erschaffen.

Zitate nach der deutschen Fassung von Friedhelm Rathjen, Zweitausendeins, 3. Auflage 2006;
Bilder: Raymond Bishop: Ahab via then be called ten times a donkey, and a mule, and an ass, and begone, or i’ll clear the world of thee!, the art of memory, 20. Februar 2008;
Robert Shore: Moby Dick by Herman Melville, Macmillan New York, London, 1962.

Written by Wolf

25. April 2014 at 12:01 am

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Von der Weiße zur Schwärze – der Weg der verlorenen Seele

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Wenn die Besatzung der P.E.Q.U.O.D. allein — will sagen: zu dritt — nicht mehr ausreicht, muss dem Schiffsbauch ein Fedallah entsteigen: Archegonus geht aus dem neblichten Alles-und-Nichts des ozeanhaften Internets in Vorlage und bespricht uns als erster Kapitel 42: Die Weiße des Wals: unserer Aufforderung, um nicht zu sagen: unserem Hilfeschrei vom 1. Februar 2012 folgend, freiwillig und mit aller wünschbaren Grandezza wie ein umsichtiger, beherzter und blitzgescheiter Seemann.

Dafür hat er wie versprochen — und wie jeder, der Finger hat zu schreiben — ein Buch aus meinem Bestand gut.

Danke, Archegonus. Ich hab immer gewusst, dass Moby-Dick™ die besten Leser hat.

And thus by the gate of blackness thou must come in,
To light of Paradise in whiteness if you wilt win.

George Ripley: The Compound of Alchymy, 1470 f., ed. 1591.

Da aber erhob sich in unserm Pfade eine verhüllte menschliche Gestalt, sehr viel größer an Glied=Maßen, als sonst ein unter Menschen je Hausendes. Und die Tönung der Haut der Gestalt, war von der völligen Weißnis des Schnees.

E. A. Poe: Umständlicher Bericht des Arthur Gordon Pym von Nantucket, 1838,
zitiert nach Arno Schmidt, dtv weltliteratur Nr. 2123, 1984.

Rockwell Kent, Whale Beneath the SeaFragend, unter Andeutungen, gleitet Ishmael in eine Flut aus Bildern und Symbolen und zieht uns ohne Nachsicht mit: Göttliche Elemente, königliche Insignien und kaum zu fassende Merkmale eines unbestimmbaren Grauens sind Ein- und Ausdrücke der Farbe Weiß. Vom Stein und Gestein aus dem Inneren der Erde, bis in den Sternenhimmel, die Milchstraße spannt er einen Bogen, der uns den Weg weisen soll, doch sogleich wieder zerfällt: „In Angelegenheiten gleich dieser spricht Gespür auf Gespür an, und ohne Einbildungskraft mag vermag kein Mensch einem anderen in diese Hallen nachzufolgen.“ (Dieses und die folgenden Zitate aus der deutschen Fassung von Friedhelm Rathjen, Zweitausendeins, 3. Auflage 2006.)

Ishmael sucht das unergründliche Weiß zu ergründen und treibt hinaus auf die offene See: Wellengang und Erkenntnis – in gleichzeitigem Erleben lässt er uns schwanken und hoffen: Kein greifbarer Gedanke hat länger Bestand als der Seegang, der uns hebt und senkt: Dem Symbol des Höchsten stellt er sogleich das tiefste Grauen zur Seite, stärker als es uns überfiele, träfen wir auf „jene Röte, die uns am Blute entsetzt“. Weiß und Rot symbolisieren den Schrecken an der Grenze der menschlichen Wahrnehmung, des Seins, die Ishmael benennt als den „Instinkt vom Dämonismus in der Welt.“

Wagen wir es, ein Beiboot auszusetzen und uns kurz den südlichsten Meeren zuzuwenden: Vor Melvilles Ishmael stieß der von Edgar Allan Poe begonnene und von Jules Verne tragisch geendete Arthur Gordon Pym auf das Phänomen «der die Seele erschütternde[n] Weiße», als er sich der Offenbarung und dem Geheimnis des Südpols nähert: Er beschreibt den Zustand des Meeres auf unergründlicher Fahrt in bildlich gleicher Weise, beide, Pym und Ishmael, erkennen nur ahnungsloses Erschrecken, in den „milchigen Tiefen des Ozeans“ (Pym) und den „gedämpften Brechern der milchigen See“ (Ishmael). In Arthur Gordon Pyms Beschreibung erregt größten Schrecken bei Eingeborenen einer weit im Südmeer liegenden Insel ein Tier, das er beschreibt mit einem „glatten, seidigen Haarkleid, von vollkommener Weiße“, dessen Zähne und Krallen von strahlendem Scharlachrot waren. Gegen Ende seiner Reise stößt er selbst auf eine riesige verhüllte weiße Gestalt – einem Eindruck, dem keine weiteren Worte mehr folgen.

Ishmael und auch Pym sind voller Erschrecken & Entsetzen: Das für den Menschen nicht mehr bewusst wahrnehmbare, durch seine unfassbare Polarität zwischen Allem und Nichts beschriebene «überpolare» Weiß ist es, was vor unseren Augen das Grauen aufsteigen lässt.

Original ilustration from George Rouxe to novel J. Verne The Sphinx of the Ice FieldsDoch sollen wir uns „blind starren“ an der Weiße des Wals? Ahab, ja er, sieht und unterscheidet – zwischen gut und böse, ergreift Partei für seine Sache und beschwört die Kräfte des Teufels. Doch wo ist des Weißen Wals Partei oder Unterscheidung? Ishmael weiß es selbst nicht, auch will er uns in diesem Kapitel nicht von unserer Verwunderung befreien, uns unsere Urangst und instinktive Scheu nicht nehmen, denn dieses „bleiweiße Kapitel über die Weiße ist nichts anderes als eine weiße Flagge, herausgehängt von einer feigherzigen Seele.“

Scheu & Angst lassen uns nicht wagen, zu erkennen: Im Kapitel XLIII dürfen wir nur ahnen, dass es um uns, unter dem so festen Boden, auf dem wir so sicher stehen, immer noch etwas gibt, von dem wir nichts wissen, was sich unseren Augen nicht zeigt.

Ahab hat durch seine Annäherung an den Wal dessen Weiße nicht nur durchschaut, sondern sein Äußeres gewaltsam durchdrungen und die Erkenntnis mit eigener schwerer Verwundung bezahlt: Im Inneren des Weißen Wals fließt schwarzes Blut. Damit wird Weiß zu etwas, was aus einem schwarzen Inneren geboren wurde. Um die Bedeutung dieses Weiß zu verstehen, müssen wir den Blick richten auf die Schwärze – und mit Ahab hinabsteigen in seine Kajüte, in die große nachmitternächtliche Finsternis im Kapitel XLIV.

Bilder: Rockwell Kent: Whale Beneath the Sea
via then be called ten times a donkey, and a mule, and an ass, and begone, or i’ll clear the world of thee!, the art of memory, 20. Februar 2008;
George Roux: Die Expedition erreicht die Eissphinx, 1897.
Sarah McLachlan: The Beatles: Blackbird aus dem Weißen Album, 1968/2008.

Written by Wolf

20. April 2012 at 12:01 am

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But while yet all a-rush to encounter the whale, could see naught in that brute but the deadliest ill.

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Das Meer ist tief,
die Welt ist schlecht,
wie ihr’s auch dreht —
der Wal hat recht.

Robert Gernhardt: Dreh es o Seele, 2002.

Elke hat Kapitel 41 gelesen (und hol’s der Klabautermann: verstanden):

Elke HegewaldWieder ein Kapitel, groß wie der Wal und Melville. Was man, wenn nicht schon an der Anzahl der umzugrabenden Seiten, mindestens am Kapiteltitel merkt, wumm. Und daran, dass ein Naturtalent eher auf den Planken eines alten Seglers und Walfängers als in Schreib-Workshops schreiben lernt und sich einen Scheiß um welche Regeln auch immer scheren muss, sei es noch lebendig oder inzwischen tot — weil es sogar tot noch lebendig ist.

Zur Kompensierung des hochphilosophelnden Teils und des wandelnden Monomanen nehm ich mich mal der gejagten Kreatur an, auf deren “weißen Buckel den angehäuften Zorn und Hass, den sein Geschlecht seit Adam je verspürt” (Ahab), türmt. Und der Mädchenthemen: der wildromantisch auf Mocha Dicks weißem Buckel rankenden Blüten von Mythos und Aberglauben und geheimnisvoller Naturgewalt, aus denen Melvilles Moby Dick entspross. Der ihm noch viel mehr als zum Wal “zum Symbol des Phantoms des unbegreiflichen Lebens” geraten ist (Jendis, Seite 36). Und als solches dem vom Wahnsinn besessenen Ahab via Kapitel 41 zu seiner eigenen Antwort “42” gerät, nicht durchs Weiterzählen, vielmehr als die Mr. Douglas Adams vorausahnende ultimative Antwort auf madness, “life, the universe and everything”. Zu der kein rasender Monomane noch friedlicher Anhalter weiß, was eigentlich die Frage ist.

WalbuckelMeine erste Begegnung mit dem Wal — ich habs hier wohl schon mal erzählt — war eine traumatische. Also für mich jetzt, der Wal hatte es da schon hinter sich. Er lag still und stumm und nur noch präparierte Hülle unter einem bierzeltähnlichen Pavillon von pottwalischen Ausmaßen, den Blicken der sensationsarmen Gaffer auf dem Marktplatz einer ebensolchen Kleinstadt ausgesetzt. In der ich, ich war neun oder zehn, bis dato in kindlicher Unschuld aufgewachsen bin. Die Geschichte des Erlegens, die dazu nützlichen Werkzeuge sowie die Stelle des Todesstoßes wurden lang und breit illustriert. Der zutiefst getroffenen Kinderseele blieb eines mit Ahab gemeinsam: sie hat diesen Moby Dick nie verwunden. Aus ungleichen Gründen.

Drum kann sie, wenn auch längst den Kinderschuhen entwachsen, dem Einwand der Jäger aus den frühen Tagen des Walfangs durchaus folgen, dass “to chase and point lance at such an apparition as the Sperm Whale was not for mortal man. That to attempt it, would be inevitably to be torn into a quick eternity.” Und es ist ihr vollkommen wurscht, dass Herman-Ismael es vielleicht anders meint und die abergläubische Furcht der Seeleute im Sinn hat: eine solch grandiose und gewaltige Schöpfung der Natur verdiente ihr seit jenem morbid-makaberen Whale Watching nichts anderes als Ehrfurcht und das Gegenteil von Metzeln und Meucheln.

Dem (Weißen) Wal “jene beispiellose, vernunftbegabte Arglist” zu unterstellen, sieht man vielleicht noch einem traumatisierten, im Kleinholz seines Schiffes schwimmenden Owen Chase nach. (Die paar von Melville herbeizitierten Naturforscher, die ihre diesbezügliche Weisheit werweißwoher hatten, zählen hier nicht.) In ihm die “incarnation of all those malicious agencies which some deep men feel eating in them, till they are left living on with half a heart and half a lung. That intangible malignity which has been from the beginning; to whose dominion even the modern Christians ascribe one-half of the worlds; which the ancient Ophites…” zu sehen — darauf konnte nur ein entmasteter Ahab in seinem gepäppelten Wahn kommen.

Mit Verlaub und whalemännischer Broterwerb hin oder her, worüber wundern die sich? Eine Kreatur, die ihre ‘Vernunft’ im besten Falle aus diversen Begegnungen mit auf sie losgehenden Harpunenwerfern aufgesammelt hat, tobt und kämpft um ihr Leben, das die wilden Jäger ihr nehmen wollen. Wer täte das nicht und wo nähme wohl für ein derart vernunftbegabtes Tier das Böse seinen Anfang? Hat solch Szenario nicht auch was Paradoxes? — : Gerade denjenigen für die Schlechtigkeit der Welt verantwortlich zu machen, der so geworden ist, weil ihn diese Welt gnadenlos hetzt, auf Leben und Tod. Die Geister, die ich rief…

Beluga Whale WatchingWohlwollender und zugleich relativierender kommt uns da ein Exemplar der Zeitungsschreiberzunft und Melville-Zeitgenosse, der hier schon des öfteren umschlichene Mr. Jeremiah Reynolds, in seiner Seemanns(garn)geschichte über das Moby-Vorbild Mocha Dick daher. In der er es sich dankenswerterweise neben allem anderen zur Aufgabe macht, “to inform the reader who and what Mocha Dick was; and thus give him a posthumous introduction to one who was, in his day and generation, so emphatically among fish the “Stout Gentleman” of his latitudes.

Jeremiah Reynolds: Mocha Dick: Or The White Whale of the Pacific: A Leaf from a Manuscript Journal.
Knickerbocker Magazine, 1839. Deutsch im Rathjen-Moby-Dick:

Obwohl von Natur aus wild, war Dick wenig dazu geneigt, eine bösartige Veranlagung zu offenbaren, wenn er unbelästigt blieb. Ja im Gegenteil, manchmal pflegte er in aller Ruhe an einem Schiff voerbeizuschwimmen, und gelegentlich trieb er faul und harmlos zwischen den Booten dahin, die vollbemannt zur Vernichtung seiner Rasse ausgezogen waren. Diese Nachsicht brachte ihm jedoch keine Gunst ein, denn wenn kein anderer Anlass zur Beschuldigung übrigblieb, schworen seine Feinde, sie hätten in dem langen, unbekümmerten Schwung seiner Schwanzflosse eine lauernde Untat erblickt. Wie dem auch sein mag, nichts ist sicherer, als daß all diese Gleichgültigkeit mit dem ersten Stich der Harpune verschwand; während das Kappen der Fangleine und der hastige Rückzug aufs Schiff häufig die einzigen Mittel waren, sich vor der Vernichtung zu retten, die seinen geschlagenen Angreifern verblieb

wusste er von einem Nantucketer Waljäger, der Mocha Dick erlegt haben wollte — was ziemlich sicher allerdings erst 1859 durch einen schwedischen Walfänger geschah — siehe Verweis in der englischen Wiki auf Whipple, A. B. C. Whalers in the South Pacific. Doubleday, 1954: 72 und Bezug im Göske-Nachwort zu Moby-Dick. Daher der vorsichtige Einwand hinsichtlich des Seemannsgarns.

Und der dem Melvilleschen Sinnbild des “unbegreiflichen Lebens” angemessene und munter durch seine Romanseiten schwimmende Hiobswal verkörpert mitnichten das Böse in der Welt, sondern zuvörderst die Größe der Schöpfung des Überuns — behaupte ich jetzt mal, so als heidnische Bibelamateurin. Denn gebühren solche Worte etwa der Finsternis und dem Bösen?:

Kannst du seine Haut mit Spießen füllen, und seinen Kopf mit Fischharpunen? Lege deine Hand an ihn — gedenke des Kampfes, tue es nicht wieder!

Hiob 40,31—32.

In seinem Halse wohnt Stärke, und die Angst hüpft vor ihm her. Die Wampen seines Fleisches schließen an, sind ihm fest angegossen, unbeweglich. Sein Herz ist hart wie Stein, und hart wie ein unterer Mühlstein. Vor seinem Erheben fürchten sich Starke, vor Verzagtheit geraten sie außer sich. Trifft man ihn mit dem Schwerte, es hält nicht stand, noch Speer, noch Wurfspieß, noch Harpune. Das Eisen achtet er für Stroh, das Erz für faules Holz. Der Pfeil jagt ihn nicht in die Flucht, Schleudersteine verwandeln sich ihm in Stoppeln. Wie Stoppeln gilt ihm die Keule, und er verlacht das Sausen des Wurfspießes. Unter ihm sind scharfe Scherben; einen Dreschschlitten breitet er hin auf den Schlamm. Er macht die Tiefe sieden wie einen Topf, macht das Meer wie einen Salbenkessel. Hinter ihm leuchtet der Pfad, man könnte die Tiefe für graues Haar halten. Auf Erden ist keiner ihm gleich, ihm, der geschaffen ist ohne Furcht. Alles Hohe sieht er an; er ist König über alle wilden Tiere.

Hiob 41,14—26.

Soviel zur Ehrenrettung von Moby Dick und Ahabs Widerpart. Doch der Mann braucht einen Feind, dem er das Elend der Welt auf den Buckel laden kann, a man’s gotta do what a man’s gotta do — solang der da ist.

Sleeping WhaleriderBliebe noch der vielzitierte Aberglaube der harten Kerle. Man denkt ja gar nicht, was diese Legenden webende Mentalität aus solchen gestandenen Meistern ihres blutigen Handwerks macht — und aus ihrem Gegenstand, Moby Dick.

Allgegenwärtig soll er sein, unsterblich und wiederauferstehend, weiß wie ein Leichentuch und von tückischer Bosheit, die den Tod bringt. Wenn man das mal so in Worten zusammenreimt, könnte man glatt wieder mal unserm algegenwärtigen Meister Goethe Recht geben, der grad erst stolze 262 Lenze jung geworden ist. Der hat den Aberglauben die Poesie des Lebens genannt. Somit wären unsere Waljäger direktemang wahre Poeten desselbigen. Weniger glimpflich kommen sie beim alten Hume weg, der den Aberglauben und den menschlichen Verstand in die Tiefe studiert hat:

Die Hingabe eines Menschen an den Aberglauben wächst in dem Verhältnisse, in dem sein Leben vom Zufalle regieret wird; dies kann man besonders bei Spielern und bei Seeleuten beobachten, welche von allen Menschen am wenigsten zu ernsthaftem Nachdenken fähig sind, aber am stärksten vom Aberglauben und von unbegründeten Befürchtungen heimgesuchet werden.

David Hume: Natural History of Religion, 1757. Vgl. Göske-Nachwort, Seite 965.

Woher der kommt, wissen wir immerhin auch. Was dagegen als Allheilmittel hilft, will wieder der Hume wissen:

Ein wichtiger Gewinn, welcher aus der Philosophie kommt, besteht darin, dass sie das allein wirksame Gegengift gegen Aberglauben und falsche Religion liefert. Alle übrigen Heilmittel gegen diese verderbliche Krankheit sind vergeblich oder wenigstens unsicher. Schlichter gesunder Verstand und Weltkenntnis, welche für die meisten Vorfälle des Lebens ausreichen, erweisen sich hier als unwirksam…”

David Hume: Of Suicide, 1757.

Sei es wie es sei, versuchen wir es dennoch mal mit einem bisschen schlichtem gesunden Verstand, mit Welt- und Bücherkenntnis und dem berüchtigten menschlichem Entdeckerdrang.

Zur vornehmen walischen Blässe hörten wir 2007 schon mal und auch wie es zu der vermutlich kam: aus Gerüchten und Seemannsgarn um eine weiße Narbe auf Mocha Dicks Stirn, die am Ende den ganzen Wal weiß gerüchteten.

Die angedichtete Unsterblichkeit ist auch erklärbar — wo doch Hinz und Kunz mit und ohne Seemannsgarn den Wal vom Leben zum Tode befördert haben wollten — bis zum nächsten Crash mit dem weißen Buckel. Die “Arglist” hatten wir oben schon. Und die Allgegenwart hat sich endlich auch mit der durch menschliches Entdeckertum der Mythenwelt entrissenen Nordwestpassage in Wohlgefallen aufgelöst.

ArethusaWomit man immer noch nichts gegen die Mythologie gesagt haben will, vor allem angesichts einer so romantisch schönen Quelle derselbigen wie die der Arethusa, bei Melville als weiteres Beispiel für rätselhafte Strömungen angeführt. Die schöne Nymphe Arethusa wurde auf ihrer Flucht (denn sie war kein tollkühner Wal) vor dem liebestollen Flussgott Alpheios von ihrer Schutzgöttin Diana vom Peloponnes nach Sizilien versetzt und in eine Quelle verwandelt. Die Wasser des Alpheios, des alten Schwerenöters, aber suchen im Meer noch immer nach der Nymphe. Es gibt sogar Behauptungen, dass er sie gefunden habe, denn als man auf dem Peloponnes einen Weißen Wal… öh, Quatsch, eine Schale in den Fluss warf, soll sie in der Quelle wieder aufgetaucht sein.

Zum irren Walkapitän, der hier bewusst etwas kurz kam, verweise ich zuvörderst auf des Wolfes höchst erbauliche und erleuchtende Abhandlung von Kapitel 41, womit wir summa summarum einen erklecklichen Part der Ergründlichkeit desselbigen abhaken können. Obwohl — diesen Melville können wir nie “abhaken”, du findest immer wieder was. Auch dass, wie ich finde, der Ahab in seinem ganzen offenbaren Wahnsinn aus dem Zeug ist, aus dem einschlägig bekannte Rattenfänger und Verweser gemacht sind, die ihre Gemeinde mit Versprechungen des Blauen vom Himmel und Fanatismus einschwören und in den Untergang reißen.

Soundtrack des Wahnsinns heute: Blood and Thunder von den Mastodonten (die gabs hier auch schon mal blogwert), ziemlig metallic (und nochmal mit Text):

Bilder: Walbuckel;
Sleeping Whalerider;
Beluga Whale Watching;
Arethusa.

Written by Wolf

1. September 2011 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Monomaniac Incarnation

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Update for Madness Affecting One Train of Thought:

klem.jm, Tanya, 18. Mai 2011Here we’re introduced to Ahab’s monomania, his single-minded fixation on the White Whale. Basically, what’s driven Ahab crazy is that he’s not very good at symbolism. As a clever Shmoop reader, you know that things don’t just symbolize whatever you decide to make them mean; the limits of their symbolic potential are determined by context. But Ahab takes the White Whale out of context and projects onto it, and not just everything that makes him angry, but everything that’s enraged any human being ever, since time began. Nothing can really hold all that symbolic weight. Not even an inscrutable white whale.

Sometimes it helps to read old versions of Wikipedia articles. If the community consense is to delete beautiful passages, it does not mean they are not beautiful. A deletion from August 5, 2001 said:

klem.jm, Tanya, 18. Mai 2011Ahab has the qualities of a tragic hero — a great heart and a fatal flaw — and his deeply philosophical ruminations are expressed in language that is not only deliberately lofty and Shakespearian, but also so heavily iambic as often to read like Shakespeare’s own pentameters.

The White Whale swam before him as the monomaniac incarnation of all those malicious agencies which some deep men feel eating in them, till they are left living on with half a heart and half a lung. That intangible malignity which has been from the beginning; to whose dominion even the modern Christians ascribe one-half of the worlds; which the ancient Ophites of the east reverenced in their statue devil; — Ahab did not fall down and worship it like them; but deliriously transferring its idea to the abhorred white whale, he pitted himself, all mutilated, against it. All that most maddens and torments; all that stirs up the lees of things; all truth with malice in it; all that cracks the sinews and cakes the brain; all the subtle demonisms of life and thought; all evil, to crazy Ahab, were visibly personified, and made practically assailable in Moby-Dick. He piled upon the whale’s white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart’s shell upon it.

The new version says:

Ahab’s motivation for hunting Moby Dick is explored in the following passage:

Then the same passage. Meh. See the difference?

Monophiliac incarnations: klem.jm: Tanya 1 and 2, May 18, 2011.

Written by Wolf

13. August 2011 at 12:01 am

Posted in Steuermann Wolf

Weil er da ist: Madness Affecting One Train of Thought

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Wolf hat Kapitel 41: Moby Dick gelesen:

I’m mad, I’m bad, like Jesse James.
They gonna tie yo’ hands,
They gonna tie yo’ feet,
They gonna gag your throat,
Where you can’t holler none,
And crying won’t help you none.
Set you in the water,
Yeah, the bubbles coming up.
Whoa,
Rrrrrrr,
Rrrrrrr.

John Lee Hooker: I’m Bad Like Jesse James, 1966.

Die Frage ist doch: Was hat jemals einen Menschen dazu getrieben, die Nordwestpassage überhaupt zu suchen? Wenn sie schon mal da ist, wird ihr Nutzen klar, aber warum wollte jemand durch eine Stelle segeln, die für niemanden existiert?

Dorothy Lamour, ca. 1953Auf den unvollständigen Landkarten des amerikanischen Doppelkontinents bis ins neunzehnte Jahrhundert wies nichts darauf hin, dass Kap Horn eine nördliche Entsprechung haben könnte, und wie man nach abgeschlossener Forschung weiß, sieht es da oben nicht wesentlich anders aus, als die damaligen weißen Flecken nahelegten: Der arktische Archipel von Kanada war bis zu seiner Auffindung nicht bekannt, das Verhalten von Packeis schon.

Die draufgängerische Bergfexantwort: “Weil sie da ist!” funktioniert also nicht. Aber Kap Horn, das gibt’s, einen Panamakanal bohren wir auch noch in die Mitte, und die Welt ist eine bessere, wenn es eine Nordwestpassage gibt. Besser funktioniert also: “Weil es sie geben muss!”

Also wird gesucht. Das ist etwas, das Menschen tun, so sind sie halt. Ein bestimmter Schlag jedenfalls. Über Logik ist das nicht zu fassen, es wäre denn die Logik eines Siebenjährigen, der begründen soll, aus welchem Anstoß heraus das Christkind eine Playstation bringen soll: “Weil ich dann spielen kann.” Erst die Ursache, dann die Wirkung — so weit konnten sich Aristoteles, Newton und Heisenberg immer einigen.

Nicht so die George Mallorys, Robert McClures, John Franklins, Christoph Columbus’, James Cooks und wie sie alle heißen, und am allerwenigsten die Ahabs.

Kapitel 41 heißt so wie der ganze Roman, bis auf den Bindestrich, scheint also eins der wichtigen, bedeutungs- und staatstragenden. Einmal mehr hat sich Melville “seinen Leser geschaffen”, indem er ein retardierendes Moment von vier Kapiteln einschob. “Ich, Ismael, war einer aus dieser Mannschaft” knüpft nicht an Kapitel 40 an, sondern an 36, dazwischen herrscht stimmungsbildender Hexensabbat. Zuletzt hat Ahab auf dem Achterdeck seine Dublone angenagelt und frech zum erweiterten Selbstmord motiviert: “Befehlen tue ich’s euch nicht; ihr wollt es so.”

Ecuador's 8 Escudos Coin in Moby DickWenn das kein Anreiz ist: die ungeheure Summe von sechzehn Dollar, wow, o danke, Herr Kapitän — und wer braucht einen Auftrag von der Reederei, die doch gefälligst ihren eigenen Kopf und Glieder hinhalten soll, und “profitabl[e] Fahrten” voller “Gewinn […], den sie in frisch gemünzten Dollars zählen konnten” (so noch in Kapitel 41), wenn er einen Weißen Wal (ab sofort als Eigenname mit Groß-W] haben kann? Der letzte, der solche kleinmütigen Weltlichkeiten anmahnt, war Starbuck — und der ist moralisch von den Guten, aber dramaturgisch ein böser Gegenspieler, weil der irre, verwerfliche Ahab in einem modernen Roman — hallo, Hannah — der Zweitheld hinter dem Ich-Erzähler ist, Moral Schmoral. Denn

Nun ahnte Ahab tief in seinem Herzen dies: All meine Mittel sind vernünftig, all meine Gründe und mein Zweck verrückt.

Gut erkannt, Captain — ver-rückt sind sie (im Original: mad), miteinander vertauscht. So blöd ist er also nicht, seinen eigenen Irrsinn zu verkennen, aber “er wußte, daß er ohnmächtig sei, diesen Umstand zu beseitigen”, a man’s gotta do what a man’s gotta do, die Welt kann keine gute sein, wenn er sich nicht an diesem vieldeutigen Zustand von Monsterwal rächen kann, und ohne den psychologischen Begriff der monomania kommt jetzt nicht mal mehr Melville aus. Moby Dick muss erlegt werden, weil er nun mal da ist und deshalb weg muss.

Dorothy Lamour, ca. 1953“Monomanie” taucht zuverlässig in allen Charakterisierungen Ahabs auf, in den neueren auch “narzisstische Kränkung”. Daniel Göske, nach dessen Ausgabe ich die deutschen Stellen zitiere, weil sie üppiger als die Rathjensche kommentiert ist, meint zu dem Begriff ausführlich:

Monomanie: das Wort war damals [1851] recht neu. Der französische Seelenarzt Jean Esquirol hatte es 1823 geprägt, und James C. Prichards Cyclopedia of Practical Medicine (1833) wurde es als “madness affecting one train of thought” spezifiziert und er althergebrachten Bezeichnung “Melancholie” vorgezogen. Melville nennt Ahab nie melancholisch, oft aber “morbid” (“krankhaft”) oder “obsessive” (“besessen”). Die populäre Penny Cyclopedia von 1843, aus der er auch andere informationen bezog, lehrte, daß mit dem Wahn des “Besessenen” auch eine “krankhafte” Veränderung des “moralischen Empfindens” einhergehe.

“Melancholie” war mir bislang als altes Wort für Depression geläufig, also das schiere Gegenteil einer wie auch immer gearteten Manie — aber die Einschätzung, dass Depressiven moralisch nicht über den Weg zu trauen sei, hat sich gehalten.

Besessenheit im Sinne des Wortes dagegen sollte sich außerhalb betont religiös normativer Erklärungssysteme überlebt haben; so muss die römisch-katholische Kirche bis heute an den Teufel glauben, weil man ihn exorzieren kann. Was uns lehrt, dass diese siebenjährige Ahab-Krankheit gegen alle aristotelische Logik und Newtonsche samt Heisenbergsche Physik gar kein so abseitiges Ausnahmegebrechen ist. Widerleg this, Starbuck.

Jessica Gingerherring, The joys of the home library, 16. September 2008Ob diese Deduktion polemisch war oder nicht, hat Melville Recht: “Jene unfaßbare Arglist, welche von Anbeginn aller Zeiten in der Welt gewesen; welcher selbst die Christen der heutigen Zeit die Herrschaft über eine Hälfte der Welt zubilligen; welche die Ophiten des alten Orients in ihren Teufelsstatuen verehrten”, kurz: der Teufel — er bleibt, sagt Göske,

für das Verständnis von Melvilles Ahab wichtig. [Die Ophiten] beteten den Teufel in Gestalt der Schlange an, da diese, als Werkzeug des wahren Gottes, Adam und Eva im Paradies die Erkenntnis ermöglicht hatte, die ihnen der Schöpfergott verweigert hatte. Außerdem verehrten sie die großen Gegenspieler des altestamentlichen Gottes und seines auserwählten Volkes: Kain, die Stadt Sodom, Ägypten.

Das muss natürlich grundböse sein, aus Sicht aller, die den Monogott des Alten und den dreifaltigen des Neuen Testaments verehren: dessen Antagonisten anbeten, weil er ihnen das einzige schenkt, was ihnen der Schöpfer verweigert: die Erkenntnis im wohlüberlegten, ja kultischen Tausch gegen die Erlösung.

Das ist eine ganz andere Schuhnummer des Satanismus als spaßeshalber Heavy-Metal-Platten rückwärts anzuhören — und die teuflische, bei ewichter Höllenverdammnuß verbotene Erkenntnis bringende Schlange war sogar noch das Werkzeug dessen, der sie bekämpft. — Auch so ein altes Paradoxon: Wer hat den Antichristen in die Welt gesetzt, wenn nicht ausgerechnet Gott? (Und kann Gott so einen großen Stein erschaffen, dass er ihn nicht mehr werfen kann?)

“Für das Verständnis von Melvilles Ahab wichtig” (Göske): “Ahab fiel nicht vor ihr [jener unfaßbaren Arglist pp.] auf die Knie und betete sie an, wie jene es taten” (Melville),

doch indem er die Vorstellung davon wahnhaft auf den verhaßten Weißen Wal übertrug, warf er sich ihr entgegen, verstümmelt, wie er war. Alles, was uns am stärksten quält und in den Wahnsinn treibt; alles, was im Bodensatz des Lebens rührt; alle Wahrheit, die Arglist einschließt; alles, was die Sehnen zerreißt und das Hirn verhärtet; all das kaum merklich Dämonische am Leben und Denken; alles Böse schien dem irrsinnigen Ahab in Moby Dick sichtbar verkörpert und leibhaftig angreifbar. Er türmte auf des Wales weißen Buckel des angehäuften Zorn und Haß, den sein Geschlecht seit Adam je verspürt, und ließ, als wäre seine Brust ein Mörser, sein heißes Herz, das feurige Geschoß, an ihm zerbersten.

Ahab gegen das Böse in der Welt, gegen alles, das die Mühseligen und Beladenen von der Erquickung abhält; Ahab, der sich gegen die Erbsünde opfert. Bin ich wirklich der einzige, der gerade jetzt auf das Bild von Ahab am dritten Kampftag vorausschaut, wie er von den Harpunenleinen an den Bauch des Leviathan gekreuzigt untergeht? Eben war Ahab der Gottseibeiuns, wenigstens ein direkter Nachkomme des Satans mephistophelischer Prägung aus Paradise Lost oder allerwenigstens sein williges Gefäß, und plötzlich ist er auch noch Jesus. Gleichzeitig.

Jessica Gingerherring, Backyard and Beyond, 16. September 2008Es ist ein Paradox, kein Widerspruch (haben Sie das, Eckermann…?), und es ist “im 41. Kap., wo Ismael eine Diagnose von Ahabs Wahn versucht” (abermals Göske, schon auf Seite 963 zum 36. Kapitel), und zur theologischen Erörterung, was gut, was böse, was beides auf einmal ist, hilft uns einfachen Ismaels, Starbucks “mit seiner rechtschaffenen Tugend ohne Tatendrang, durch die unangreifbare, gutgelaunte Wurstigkeit eines Stubb und die alles durchdringende Durchschnittlichkeit eines Flask” schon, die theorielastigen Kapitel ohne blutig zugerichtete Mönche in Der Name der Rose ausnahmsweise nicht zu überblättern. Wenn wir geistigen Mannschaftsgrade, die wir weder gelahrte Jesuiten noch Professoren der Semiotik sind, uns mal eingelesen haben, werden wir da richtig spürbar schlauer. — In diesem Sinne mein Lieblingssatz aus 41:

Die Männer wandten ein, daß sie zwar andere Leviathane erfolgreich jagen mochten, daß es jedoch dem Menschen nicht gegeben sei, eine Erscheinung wie den Pottwal zu hetzen und mit der Lanze aufs Korn zu nehmen — daß schon der Versuch bedeuten würde, unweigerlich und unvermittelt in die Ewigkeit hinweggerissen zu werden. Zu diesem strittigen Punkte liegen einige bemerkenswerte Unterlagen vor, die eingesehen werden können.

Zu Deutsch: Man soll sich nicht anlegen, aber nachschauen kann man mal. Eine angenehm entspannte Nachsicht Melvilles, die er in seinem Schlüsselkapitel 41 schön beiläufig versteckt. Hach.

Was jetzt noch fehlt — Elke, alles für dich! — : Die Coverage zu

Man kommt nicht, wenn man weder Melville noch Göske heißt, spontan darauf, dass die beiden letzteren Posten ganz ähnliche Phänomene wie die Entdeckung der Nordwestpassage beschreiben, die bis 1853 nur den wandernden Walen bekannt war: den portugiesischen Serra da Estrêla, auf dessen Bergsee versunkene Schiffswracks auftauchen, und die sizilianische Fonte Aretusa, die von Wassern aus dem Heiligen Land sprudelt. McClures — die erfolgreiche — Expedition der arktischen Walwanderung hinterher lief noch, als Moby-Dick erschien.

Ahab sucht heute noch.

Michael Raso, Erin Russ in Ringwood State Park Graveyard, North New Jersey, 2. November 2009

Bilder: Ecuador’s 8 Escudos Coin in Moby Dick;
Dorothy Lamour 1 und 2, ca. 1953: via The Tag;
Jessica Gingerherring: The Joys of the Home Library und Backyard and Beyond, 16. September 2008;
Michael Raso: Erin Russ in Ringwood State Park Graveyard, North New Jersey, 2. November 2009.

Written by Wolf

21. July 2011 at 12:01 am

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Madness maddened

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von Sonnenuntergang bis Mitternacht.

Whalemen-Schauspiele in vier Kapiteln

oder wa(h)lweise zwei Anläufen.

Elke hat Kapitel 37, 38, 39 und 40 gelesen:

Elke HegewaldSeit die Helden aus der dicken Schwarte in ihrem Gemunkel um ein weiterhin unsichtbares fettes weißes Walphantom zunehmend “auf Eisenschienen” zur Bühne streben und retardiertes Waljagen sich in düsteren bis dämmernden Selbstgesprächen Luft macht, sitzen wir dauernd in der ersten Reihe. Hey, wer, wenn nicht wir? (Auch wenn wir gelegentlich eine Weile brauchen, dort Platz zu nehmen. Oder auch ein paar wirre Anläufe.)

Erster Anlauf:

Als ich dreizehn war, fanden es meine Eltern an der Zeit und mich reif genug für Live-Kulturerlebnisse ohne böse Risiken und Nebenwirkungen. Das Bücher verschlingende Zopfmonster saß ihnen zuviel in stillen Ecken herum und verschlang unersättlich Bücher oder kramte auf dem Dachboden längst vergessene uralte Schwarten mit Wasser- und Schimmelflecken hervor, von denen es sich noch eine einschlägige Allergie holen würde. Und so verpassten sie ihm und sich ein Theateranrecht. Nicht, dass einem vor- oder nachher jemals ein besonderer Hang zu dergleichen Tun und Treiben an den Eltern aufgefallen wäre. Nicht mal Kino gehörte zu ihren Lebensgewohnheiten. Aber wer konnte schließlich das Gör unbegleitet halbe Nächte in die Bezirkshauptstadt zugfahren, geschweige denn es gen Mitternacht alleine ins traute Heim zurückgondeln lassen.

BühnenbildWie dem auch sei, so fiel ich in einen Topf mit einem wilden Gebräu der darstellenden Künste in durchwachsener Bekömmlichkeit. Der Geist von Hamlets Vater, dem Puntila sein Knecht, Goethens Götz mit der eisernen Hand, die Mutter Wolffen am Waschzuber samt Berliner Schnauze und angetrautem Schiffszimmermann, des Kleistens windiger Dorfrichter beim Geschirrzertöppern, der Ritter von der traurigen Gestalt, die untote Beinahe-Wilis Giselle und wie sie alle hießen und auch diverse seichte Tingelhelden krochen mir lebendig aus den Textbüchern und Libretti. Ich verdaute Chöre und Arien, Soli und Grand Pas de deux, große Monologe und turbulente Massenszenen.

Angetan hatten es mir ja auch damals schon die theatralischen Seeleut’, vom Fliegenden Holländer über Odysseus bis Enoch Arden, ob sie nun ihr dramatisches Seemannslos aus sich heraus und der Angebeteten ins Antlitz sangen oder es in sich hinein, in den Möwenschrei und die ewige See fabulierten. Der Ahab kam dazumal nicht vor, wieso auch, der war ja ein Romanheld. Und hey, machen wir uns mal nix vor: Jeder kennt Moby Dick, doch wer schon den mobydicken Wälzer vom alten Melville. Den hat doch schon anno dunnemals und zumal im Volltext kaum einer gelesen. Kaum einer, dem darüber aufgegangen wäre, wie bühnenreif magic Herman seinen durchgeknallten Käpt’n samt weiten Teilen der Mannschaft kapitellang aufgestellt hat und wieviel Schauspieler in dem schlummerte. Ist es dem Zopfmonster auch nicht. Dabei hat es ihn gelesen. (Tja, daran sieht man mal wieder, wozu ein zweiter Anlauf auch noch gut sein kann.) Womöglich lag das gar an der Prägung durch besagtes Anrecht auf ein Anrecht, dass es dachte, das muss so? Und auch heute zickt es deswegen noch längst nicht an Melvillen rum. Wo es inzwischen weiß, dass von dem sogar bücherlange Poeme um einen Pilger namens Clarel in ein Theater passen. Ehrenwort, ich war selber dabei.

Luca Senoner, Mind Thing, Feel the Freedom, 5. Juni 2009

Zweiter Anlauf:

Die schwere Tür klappt hinter mir ins Schloss, viel zu laut in der Stille des verschneiten Nachmittags. Wie lange bin ich nicht mehr hier gewesen. Ich husche die Treppe hoch und folge dem fernen Meeresrauschen. Die pseudobarocke Prunkloge im 1. Rang ist leer wie auch der Saal unter mir. Wie es sich in der sitzt, wollte ich schon immer mal wissen und keinen fragen müssen. Mucksmäuschenstill hocke ich mich auf den Platz ganz vorn rechts an der Balustrade…

BühnenbildUnten auf der Bühne: alles modern spartanisch. Vor einem angedeuteten (hoch gewölbten, gotischen) Kajütenfenster schaukelt eine Ölfunzel mit flackerndem Docht. In ihrem Lichtkegel nichts als ein roher Holztisch. Als Kontrast dazu echot aus den Kulissen lärmende Hektik. Füße tappen und poltern unsichtbar über die Bretter, die die Welt und heute Schiffsplanken bedeuten, aus einem Lautsprecher fiepen klagende Töne, die mir irgendwoher bekannt vorkommen. Ein Kerl mit Kapitänsmütze und einer qualmenden Tabakspfeife im Mundwinkel tritt in den Lichtschein, prüft bedächtig den Walölstand in der Funzel und beginnt vor sich hin brabbelnd um das Möbel zu hinken. Eine nervöse Stimme, offenbar die des Regisseurs, überschlägt sich: “Sogehtdasnicht sotaugtdasnix, bitteee mehrEinsatzKollegen und kannhiervielleichtmaljemandmitdenken? Verdammt, bin ich denn hier von lauter Irren umgeben?” Hihi… da spricht er wahr, denke ich und pruste los.

Ein kapitaler Fehler, wie sich herausstellt, denn nun haben sie mich entdeckt. Ein Typ mit Designerbrille schält sich von backstage aus dem düster grauen Vorhanggewirr, schaut zu mir hoch und blökt mir entgegen: “Was machen Siiie denn hier? Die. Probe. Ist. Nicht. Öffentlich!!!”

Ich rutsche von meinem samtgepolsterten Klapptrumm und suche schleunigst zu verschwinden. Aus dem Augenwinkel sehe ich noch, wie ein angestrengtes Grübeln den Blick hinter den geschliffenen Gläsern und zwei Falten die Stirn darüber kräuseln: “Heeeeee… du bist doch von der Truppe, die seit ewig und acht Tagen dem alten Melville um den Bart schreibt?!”

“Ööhm… j…aah?”, murmele ich und komme nicht mehr dazu, mir einen Reim darauf zu machen, woher der das weiß. Geschweige denn, wann wir zwei jemals zusammen Schweine gehütet haben. “Dann kennst du dich doch mit dem fetten Wal, dem Walejagen und der zusammengewürfelten Isolato-Crew hier aus. Mach, dass du hier runter kommst, aber pronto!”

Der scheint das ernst zu meinen. Ha, Regie führen bei Moby-Dick! Da träumst du von! Ich haste abwärts und die paar Stufen an der Rampe wieder hoch. Stolpere dabei beinahe über ein antikes Trichtergrammophon, das an der Kante zum Orchestergraben rumsteht. Und hastdunichtgesehen bin ich mitten in der Kulisse auf den schwanken Planken neben dem baumlangen Commander der Gauklerbande, dem ich grad mal bis zur Schulter reiche. Seine resignierte Handbewegung in Richtung Bühnenchaos deute ich als Einladung, mich in selbiges zu stürzen.

Links von mir hält sich hinter einem aufgespannten Fischernetz eine verwegen aussehende Schar in Ölzeugverkleidung bei den Schultern und übt ungelenke Tanzschritte. Das Fiepen der Walgesänge von vorhin ist immer noch da und kommt aus dem Grammophontrichter. Und unter der Funzel schmaucht und nuckelt der einbeinige Ahab-Verschnitt immer noch gemütlich an seiner Pipe. Na, denn mal Butter bei die Walfische:

Bühnenbild“Kann vielleicht grad mal jemand dem jammernden Grammophonium den Trichter stopfen! Kein Walfänger nicht tät mit dem Bauch voll Feuerwasser rum- oder whiskeyselig auf der Back tanzen, wenn irgendwo außenbords auch nur ein einziger Wal dazu singt oder bläst. Die wären schneller an den Riemen im Boot und ihren Harpunen, als der kleine Pip auch nur Piep sagen könnte.” Zum stillvergnügten Hinkebein: “Und du, Herr Kapitän: genug gequalmt und die Pfeife aus dem Maul! Der Ahab ist inzwischen Nichtraucher, weil allen Freuden des Lebens entrückt, und hat das Requisit schon vor exakt sieben Kapiteln über Bord gekickt. Außerdem sitzt du hier nicht lauschig mit Muttern vor deiner Fischerhütte und spinnst Seemannsgarn. Der Mann hat einen psychopathologischen Knacks, stellt sich auf eine Stufe mit Gott und spielt hier den großen Rächer. Also ein bissel mehr Dämonisches in den Blick, bittschön! Wer soll dir sonst den Irrsinn gewordenen Irrsinn abkaufen?”

Die Jungs auf der Back machen ihre Sache soweit ganz ordentlich, vor allem, seit der Grammophontrichter statt Walgesang irisches Fiedeln ausspuckt, Pips Tamburin scheppert und sie wieder selber Shanties grölen dürfen. Die Bande sortiert sich. Stubb mimt passabel das abwartende Publikum, das sich mit sonniger Gelassenheit das ganze Theater an Bord anschaut. Der wackere Starbuck hadert ohnmächtig mit seiner Schwäche, harrt des walischen Demogorgon und macht seiner Kapitelüberschrift alle Ehre:

“His heaven-insulting purpose, God may wedge aside. I would up heart, were it not like lead. But my whole clock’s run down; my heart the all-controlling weight, I have no key to lift again. […]

Oh, God! to sail with such a heathen crew that have small touch of human mothers in them! Whelped somewhere by the sharkish sea. The white whale is their demigorgon. Hark! the infernal orgies! that revelry is forward! mark the unfaltering silence aft! Methinks it pictures life. Foremost through the sparkling sea shoots on the gay, embattled, bantering bow, but only to drag dark Ahab after it.”

Moby-Dick, Chapter XXXVIII: Dusk.

Der maunzt nicht nur ins Dämmern, der ist die menschgewordene Dämmerung.

So wie der Rollenspieler-Captain – nun endlich doch, schau an, wie der Verzicht auf irdische Genüsse den Dämon wecken kann – inzwischen seinen Part raus hat. Er tut, what a man’s gotta do: schwafelt finster mit ebensolchem Blick, gibt überzeugend die unheilige Zweifaltigkeit von Prophet und Vollstrecker und reitet… ääh, segelt sich und seine Mannen auf den ehernen Gleisen seiner Seele in den (Sonnen)Untergang:

“I lack the low, enjoying power; damned, most subtly and most malignantly! damned in the midst of Paradise! Good night—good night! […] They think me mad—Starbuck does; but I’m demoniac, I am madness maddened! That wild madness that’s only calm to comprehend itself! The prophecy was that I should be dismembered; and—Aye! I lost this leg. I now prophesy that I will dismember my dismemberer. Now, then, be the prophet and the fulfiller one.”

Moby-Dick, Chapter XXXVII: Sunset.

***

Wind kommt auf. Die See wird unruhig. Wogen schlagen gegen die Bordwand, die Bühne beginnt zu schwanken und kleine Sturzseen gischten über die Reling. Ich ziehe die Schuhe aus, wate barfuß durch eine Salzwasserlache auf den Planken und denke, dass es Zeit ist, das verdammte Schiff zu verlassen. Die Matrosen tanzen immer noch ausgelassen. Der Seemann aus Belfast winkt mir zum Abschied zu und der Malteser und der Sizilianer passen mich am Bühnenausgang ab. Ob ich nicht noch ein wenig bleiben möchte:

Who but a fool would take his left hand by his right, and say to himself, how d’ye do? Partners! I must have partners!

Aye; girls and a green!—then I’ll hop with ye; yea, turn grasshopper!

Moby-Dick, Chapter XL: Midnight, Forecastle.

Sonst immer gerne, Jungs. Aber ich glaub, ich hab das alles nur geträumt.

Bühnenbilder: Mathias Wendel;
World of Elder Scrolls;
Kai-Uwe Fischer;
Luca Senoner: Mind Thing, i.e. Feel the Freedom, 5. Juni 2009.
Soundtrack: Kirsty MacColl: “Don’t Come the Cowboy With Me Sonny Jim!”, aus: Kite, 1989.

Written by Wolf

12. January 2011 at 12:01 am

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Demogorgon Needs a Green

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Wolf hat Kapitel 37, 38, 39 und 40 gelesen:

(Eine hochgewölbte, gotische Kajüte; bei den Fenstern auf den Gehsteig; Wolf auf und ab prokrastinierend)

“Hinter mir lass ich ein weißes, trübes Kielgewässer; bleiche Wasser, bleichre Wangen, wo auch immer ich nur segle”, aber das ist von Ahab. Ach, dass ich gar keinen eigenen Gedanken mehr fassen kann — Monate über Monate sind’s mittlerweil. Äußere mich in Zitaten, den Reliquien aus meinen Bücherpyramiden und von DVDs — geliehenen! — und doch: Hat nicht einer vor drei Jahrtausenden gesagt, da geschehe nichts Neues unter der Sonne mehr?

Müsst ich’s dann nicht wissen, wie ich meine P.E.Q.U.O.D. ans Ziel führ’; wie wir, verbunden durch Pech, Schwefel und Social Media, die Tiefen dieser See ausloten, das uns der Melville eingelassen, das Walgerippe zu vermessen, das er uns gezeichnet?

Horch! neigt sich schon ein weiteres Jahr, ohne dass wir den Wal gesichtet, nur faul auf Deck gelegen, und weiß kaum einer mehr vom anderen, auf welcher Stenge er heut seine Segel kalfatert. Wenn wir nicht selbst genugsam mit den Blättern rascheln, so tut’s die Zeit für uns.

Jürgen

Alles nur Theater…?, 7. März 2010.

Tim Winton: Atem, 9. Juli 2010.

(Verstummt.)

Elke

Bleibe ruhig, alter Grauer, sei nur getrost. Hetzt uns doch niemand. Stehen nicht die Buchstaben gedruckt für die Ewigkeit, wölbt sich der Himmel nicht da droben, steigt und fällt nicht das Meer, hebt und senkt sich der Wind, der uns weiterträgt, und hängen wir unser Segel nicht nach ihm, wie uns selbst beliebt? Ging’s nicht bis jetzt immer irgendwie voran, haben wir nicht ein Kapitel nach dem anderen abgefrühstückt und sind uns darüber die Geschmacksnerven empfindsamer geworden, damit uns auch das nächste mundet?

Mag der Wind flau sein, wir sind es nicht. Es geht nur ein Kapitel nach dem anderen, und für diesmal hast du, unser liebender, sorgender Kapitän, gar viere aufgegeben — und dir wird bang ums Fortkommen?

Nein, nicht das stubengelahrte Aufentern in der papiernen Takelage ist’s, das uns abhanden kommt; alles andre außerbords ist es. Steht doch da oben immer noch “Leben mit Herman Melville” — das einzige an unserm ganzen Weblog, das du nie mit neuer Farbe übertünchen wolltest. Und heißt demzufolge nicht, dass wir je zu dir gekommen sind, dass wir da bleiben, wir nähmen’s uns vor oder nicht?

Hannah

Potz Bassgewitter und Drommeten, jetzt mal langsam mit den jungen Stichlingen hier. Kann man nicht mal in Ruhe fertig studieren und mit Anstand die Probezeit in seinem neuen Job rumkriegen, ohne dass einem gleich die Weisheiten aus den Fledermausärmeln purzeln sollen? Hey, ich hab mir gerade erst die Rathjen-Übersetzung gekauft und lange nicht so weit gelesen wie ihr, und jetzt kommen sie einem gleich mit vier Kapiteln auf einen Sitz. Was soll das überhaupt mit den geschwollenen Reden in verteilten Rollen? Ich hab eine Reise gebucht durch einen Roman, keine Operette.

Wolf

Na schön, meine Marlspiekerchen, wie geht’s dann weiter?

Daniel Göske

Ich, Ismael, war einer aus dieser Mannschaft: gemeint ist die im 36. Kapitel auf dem Achterdeck in Ahabs Bann gezogene Mannschaft, nicht die unbändig feiernde Schar auf der Back in dem (vielleicht früher abgefaßten) operettenhaft-szenischen Kapitel 40, das Melville zusammen mit den Monologen der Kapitel 37 bis 39 offenbar nachträglich einfügte.

Thomas Carlyle: Sartor Resartus, 3. Buch, 18. Kapitel

Picasso's Woman, 11. Dezember 2009Was ist Irrsinn […]? Der Irrsinn wird wie einst so auch in Zukunft etwas Grausig-Rätselhaftes bleiben, ein ganz und gar infernalisches Brodeln der untergründigen, chaotischen See, das durch dies hübsch bemalte Oberflächenbild der Schöpfung dringt, das auf ihr schwimmt und das wir die Wirklichkeit nennen.

Wolf

Jaja, ist gut, das unterstellt der Göske, dem Carlyle folgend, dem Ahab und dem Melville mit zugleich, und redet damit keinen von beiden besser als die Freizeit-Konstruktivisten im Ausguck. Vielleicht kaufen sich alle noch einen schwarzen Rollkragenpullover, was doch sowieso Hannahs allererster Vorschlag war, dann kriegen sie den ganzen Tag das ganze Jahr frischen Kaffee hingefahren und müssen nie mehr Wasser anschauen, als was in der Seine vorbeiplätschert.

Was Irrsinn, was Verwirrung! Wenn ihr schon die Auswahl habt, was ihr von der Welt wahrnehmt — was sucht ihr euch nicht was Gescheites aus? Das heißt auch Respekt, das heißt Verantwortung — vor euch selber und vor jedem, der euch zuhört. Wenn ihr weinen müsst, was lacht ihr nicht unter euern Tränen? Ihr habt Schauen und Schreiben gelernt — wohlan, gebraucht es, hier und jetzt!

Französischer Seemann

Beat thy belly, then, and wag thy ears. Jig it, men, I say; merry’s the word; hurrah! Damn me, won’t you dance? Form, now, Indian-file, and gallop into the double-shuffle? Throw yourselves! Legs! legs!

Wolf

Aye, mates. So will ich euch sehen.

Bild: Picasso’s Woman, 11. Dezember 2009.

Written by Wolf

1. December 2010 at 12:01 am

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Alles nur Theater…?

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Jürgen hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteEs gibt Autoren, deren Romane lesen sich streckenweise wie Drehbücher für den Film, zu dem sie einmal werden wollen. Bei manchen Passagen in den Werken von Dan Brown oder Michael Crichton kann man sich nicht nur die Szene selbst vorstellen, sondern sieht vor seinem geistigen Auge auch schon die Kameraeinstellung…

Eine solche Stelle ist auch Kapitel 36 — voller bedeutungsschwerer Handlungen, tiefer Symbolik und aufwühlender Dialoge. Der Traum eines jeden Regisseurs. Bloß: Es gab kein Filmbusiness zu Melvilles Zeit und den Moby-Dick auf eine Theaterbühne zu bringen, dürfte auch nicht in der Absicht des Autors gelegen haben.

Wenn wir hier also kein verkapptes Drehbuch haben, was dann? Nun, vielleicht doch ein Theaterstück? Aber eins, das nicht für uns, die Leser, aufgeführt wird, sondern für die Crew der Pequod — die gleichzeitig Statist und Publikum ist. Regisseur & Hauptdarsteller: Captain Ahab.

Nino Sandow Arbeitsbuch. Moby Dick - AmbosskopfEine glänzende Inszenierung! Ahab ruft sein Publikum zusammen, legt dann aber nicht sofort los, sondern steigert die Erwartung, indem er erst wortlos ein paar Runden dreht:

…and as though not a soul were nigh him resumed his heavy turns upon the deck.

Das Publikum wundert sich. Dann legt Ahab los, kein langweiliges Monologisieren, gleich den Zuschauer mit einbinden:

“What do ye do when ye see a whale, men?”

“Sing out for him!” was the impulsive rejoinder from a score of clubbed voices.

Ahab hat sein Publikum von Anfang an in der Hand, und als „erste befremdete Blicke“ auftauchen, spielt er seinen nächsten Trumpf aus.

Während er seiner Crew von weißen Wal erzählt, hält er ihnen gleichzeitig ein Goldstück vor, das er dem verspricht, der als ersten diesen Wal sichtet. Ziemlich clever, statt Furcht kommt gierige Vorfreude auf.

“Huzza! huzza!” cried the seamen, as with swinging tarpaulins they hailed the act of nailing the gold to the mast.

Juneau Empire, Subsistence, obsession and a new Moby DickEs ist nicht Ahab, der den Namen des Wals als erster nennt, Tashtego ist es — und den anderen Harpunieren ist er auch kein Unbekannter. Ihre Worte und Starbucks Frage “Captain Ahab, I have heard of Moby Dick — but it was not Moby Dick that took off thy leg?” bringen Ahab etwas aus dem Konzept:

“Who told thee that?” cried Ahab; then pausing,

Dann gelingt es ihm, seine Leidenschaft auf die Mannschaft zu übertragen:

“Aye, aye!” shouted the harpooneers and seamen, running closer to the excited old man: “A sharp eye for the white whale; a sharp lance for Moby Dick!”

Nur einen kann er nicht überzeugen: Starbuck. Mit ihm muss er „tiefer schürfen“, ihm erklärt er seine Philosophie: „I’d strike the sun if it insulted me.“ Doch auch das ist eine Vorstellung, eine Privatvorstellung für Starbuck. Als Ahab seinen Text abgeliefert hat, wendet er sich — (Aside) — an wen eigentlich? Doch an uns, die Leser? Oder vielleicht an jemanden, mit dem er auch sonst seine Pläne bespricht, der aber noch gar nicht aufgetaucht ist?

Jedenfalls schein Ahab zufrieden zu sein mit seinem Monolog:

Starbuck now is mine; cannot oppose me now, without rebellion.

Moby Dick Returns to YoughalDass Ahab hier falsch liegt, wird schnell klar: Stoßseufzen, Lachen aus der Last, Wimmern des Windes, Schlagen der Segel — Special Effects würden wir das heute nennen, die in diesem Fall wirklich an den Leser gerichtet sind:

But in his joy at the enchanted, tacit acquiescence of the mate, Ahab did not hear his foreboding invocation; nor yet the low laugh from the hold; nor yet the presaging vibrations of the winds in the cordage; nor yet the hollow flap of the sails against the masts, as for a moment their hearts sank in. For again Starbuck’s downcast eyes lighted up with the stubbornness of life; the subterranean laugh died away; the winds blew on; the sails filled out; the ship heaved and rolled as before. Ah, ye admonitions and warnings! why stay ye not when ye come? But rather are ye predictions than warnings, ye shadows! Yet not so much predictions from without, as verifications of the fore-going things within. For with little external to constrain us, the innermost necessities in our being, these still drive us on.

Nun folgen noch ein paar magisch anmutende Rituale, gemeinsames Trinken, die gekreuzten Lanzen (fast eine Art Segnung), schließlich der Todesschwur auf Moby Dick, verdeutlicht durch den Trunk aus den Harpunenmuffen. Das alles dient ganz offensichtlich nur dem Zweck, die Mannschaft zu beeindrucken. Ihn selbst bewegt das wenig, wie man an seinem Abgang sieht, eine Handbewegung, „alle gingen auseinander, und Ahab zog sich in seine Kajüte zurück.“

Bilder: Nino Sandow Arbeitsbuch: Moby Dick — Ambosskopf;
Juneau Empire: Subsistence, obsession and a new Moby Dick, 17. Mai 2001;
Moby Dick Returns to Youghal, 30. März 2009.

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Rotschopf des Tages: Sonny Burgess: Red-Headed Woman.

Written by Wolf

7. March 2010 at 12:01 am

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Er nennt’s Vernunft

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Elke hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen:

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst, wie alles sich bei uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst,
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,
Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,
Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;
Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,
Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Faust I. Prolog im Himmel. Mephistopheles.

Elke HegewaldSchauplatz Achterdeck.

Und was für einer in der Inszenierung der Jagd auf den weißen Wal! Mit Pathos und großem Auftritt und Monolog des entmasteten Helden und Rächers, für und wider dessen Heldenstatus weiter gestritten werden darf. Ein Aufzug mit grummelndem Konflikt und kursiv geklammerter Regieanweisung…

Das Achterdeck des Schiffes ist – ein Sternbild, in unseren Breiten nicht vollständig am südlichen Winterhimmel sichtbar. Bei den alten Griechen gehörte es noch – wie sich das für ein ordentliches Achterdeck (Puppis) auch gehört – zu einem ganzen Schiff im Sternenmeer, dem Argo Navis nämlich. In trauter Gemeinschaft mit dem heute der himmlischen Übersichtlichkeit halber sich ebenfalls eigenständig blähenden Segel (Vela) und dem am Grunde funkelnden Kiel (Carina) des Schiffes. Und der zum Navigieren des Himmelsseglers nötige Schiffskompass (Pyxis) ist ein paar läppische Lichtjahre neben der Bordwand in die Fluten der Milchstraße gefallen – na, wenn das mal gut geht!

Nun, der mythologische Ausgang der Mission des später am Firmament vertäuten Heldenklippers ist bekannt: Es ging gut, jedenfalls solange, bis Captain Jason später seine hilfreich angetraute Medea mit einer neuen Flamme und Zweckehe betrog, Orpheus stimmte einen Shanty nach dem andern an und die Mannschaft entriss dem tödlichen Drachen den Pelz des güldenen Widders. Wofür die von astraler Heroenarchitektur nur so strotzende Antike sich mit einem Platz am Himmel für Schiff und Schafbock nicht lumpen ließ.

Argo constellation on Jan Ridpath's Star TalesDoch Nantucketer Waljäger sind nicht die alten Griechen und keine Argonauten, Ahab ist nicht Jason und der weiße Wal erst recht nicht das Goldene Vlies, sondern für den Walbeinernen wohl eher der blutrünstige Drache. Wie auch, was einem hoffentlich nicht als fieser Spoiler ausgelegt wird, die Pequod in die entgegengesetzte Richtung der Argo segeln wird, nicht himmel-, sondern direktemang höllenwärts.

Die “heroische” Mission, über die der zugegeben nicht mehr ganz arglose Moses von Leser hier zusammen mit der arglosen Mannschaft ins Bild gesetzt wird, gemahnt ihn denn auch gleichsam an einen Pakt mit Satans Stellverteter persönlich. Der zieht alle Register der Versuchung und Argumentation. Nagelt den materiell aufgezogenen Fischerschädeln blankgeputztes Gold an den Mast. Kitzelt mit dröhnenden Engelszungen die Draufgänger an ihrer heldischen Verwegenheit, den berechtigten Zweifler und Warner Starbuck an der braven Handwerkerehre. Und wo die nicht reicht, rhetorikt er mit seiner manisch gepäppelten Entschlossenheit, “selbst die Sonne [zu] schlagen”, dessen (schon vor zehn Kapiteln ausgemachte) schwächelnde Seelenstärke in Grund und Boden und ihn selber ins Gefolge zurück. Diesem hämmert er wie ein Feldherr seinen Soldaten vor dem Kampf die vertrauten Schlachtrufe der ewigen Waljäger in den Isolatohirnen zurecht. Und lässt es auch an pathetischen Gesten vom Lanzenkreuzen bis zum Treueeid und an Feuerwasser im Harpunenschaft zum Besiegeln desselben nicht fehlen.

Ein Spektakel, das ungeachtet der versteckten Lacher aus der Mannschaft, der hilflos aufzuckenden Vernunft des Einen und des gelegentlichen Gedankens ‘Der hat sie nicht mehr alle!’ seine Wirkung nicht verfehlt. Er hat sie, alle! Hat das Zeug zum Volksverführer und Seelen(ver)käufer. Und er, Ahab, allein weiß, wozu er diesen Auftritt braucht: Ohne sie ist er nichts auf der nun anhebenden Hatz gegen Moby Dick, diese Mauer, hinter der nichts mehr ist. Doch er kann den uferlosen Hass gegen “dies unfassbare Ding”, der sein Ahab-Universum beherrscht, noch so großtönend als hehres Ziel verkaufen (“Wer steht denn über mir? Wahrheit kennt keine Grenzen.”), kann noch so sehr den Kolumbus spielen, der dem ersten Aussänger des Landes Wal die Belohnung verspricht. Oder den Helden, der das in seiner entmasteten Kapitänswelt ausgemachte Böse herausfordert, sei es nun Urheber oder Werkzeug.

Es bleibt der erschauernde Einwand der Vernunft:

“Rache an einem stummen Tier! […] das einfach dich aus blindem Trieb getroffen! Ein Wahnsinn! Zu wüten gegen ein stummes Ding, Kapitän, erscheint mir grad wie Gotteslästerung.”

Starbuck im Jendis, Seite 273.

Es bleibt… der Zweifel, was von einem Helden übrig bleibt, der keine Grenzen kennt. Der seine Fehde mit dem Leben, die Rettung seiner Welt und Ehre auf dem Rücken anderer austrägt. Anderer, die ihre eigenen Gründe haben, mit ihm auf einem Schiff zu fahren. Mit deren Leben er die seinen Dublone für Dublone bezahlen und sich verschulden wird. – Wovon aber die andern auch nichts mehr haben werden…

Was rumort da in ihm und kann nicht aufhören, was treibt ihn, diesen Ahab?

Der Nantucketer Nathaniel Philbrick, zwar Schreiber, doch als alter Segler (see)fest mit zwei gesunden Beinen auf schwankenden Achterdecks stehend, diagnostiziert es knallhart als Psychotrauma, die “quälende Erinnerung” geheißen. Und sein vorsorgliches Hinzuzitieren eines Philosophen (den wir uns hier schenken) lässt die darum nicht mystischer werden:

Captain Ahab by Old EtcherFür die meisten Unglücksopfer sind die wiederholten Rückblenden einer quälenden Erinnerung therapeutisch hilfreich, da sie die Leidenden nach und nach von Ängsten befreien, die andernfalls ihre Fähigkeit weiterzuleben beeinträchtigen könnten. Manche werden die Erinnerung allerdings nie los. Gestützt auf Chases Bericht, schuf Herman Melville mit seinem Kapitän Ahab einen Mann, der aus den seelischen Abgründen, in denen sich Chase in jenen… schlaflosen Nächten wand, nie auftauchte. Genau wie Chase glaubte, dass der Wal, der die Essex angegriffen hatte, mit “entschlossener, berechnender Bosheit” vorgegangen war, wurde Ahab von der Vorstellung verfolgt, der weiße Wal sei ein Wesen, bei dem sich “grenzenlose Kraft mit unerforschlicher Arglist” paarte. Eingesperrt in sein privates Horrorkabinett, war Ahab der festen Überzeugung, sein einziger Ausweg bestehe darin, Moby Dick zur Strecke zu bringen. “Wie kann der Gefangene nach draußen kommen, wenn nicht durch die Mauer? Für mich ist der weiße Wal diese Mauer, die dicht vor mir steht.”

Nathaniel Philbrick: Im Herzen der See, Karl Blessing Verlag München 2000, Seite 146.

Ein Franzose sucht es uns aus dem Moby-Dick der politischen Ökonomie des Kapitalismus, Marxens “Kapital”, herauszuoperieren, mit überraschenden und lesenswerten Erkenntnissen:

Captain Ahab by Jim Nichols UFO ArtJede Wette, dass er – abgesehen von der persönlichen Rechnung, die er mit der sublimen Käscherin, der riesigen fahlen Schneppe, der ewigen Aufreißerin der Weltmeere offen hat –, dass er also den großen Kuchen anpeilt, die legale Sprengung der Allgemeinen Seekreditbank, das Geschäft der Geschäfte, an das alle denken, seit der Kopf des Pottwals ausgeweidet wird: der ganze Reichtum, das ganze virtuelle Kapital, das das Untier im Kopf hat, der unendliche Reichtum, den eine Mutter Courage, Libuše, Zigeunerin, Gipsy von Prag in der Tasche trägt in Form eines nicht übertragbaren Talismans. […]

Ahab ist der Ungeist der List ökonomischer Vernunft, die bewirkt, dass das Vorankommen der Menschheit, ihr besseres Befinden, die Verlockung des Gewinns, die verfluchte Gier nach Gold durchmacht (auri sacra fames, wiederholt Marx kapitellang, wenn er nicht Shylock zitiert) […] ist ein Menschenführer, der die Seinen ins Verderben steuert unter dem Vorwand, er biete ihnen eine Möglichkeit zum Geldverdienen. Darin reicht seine Geschichte an die großen historischen Farcen heran: oder ähnelt dieser Hitchcock-Sequenz, in der ein toll gewordenes Karussell nicht mehr zum Stehen kommt. […] es gibt Dutzende Tote! Hier wird nur Ishmael übrigbleiben. Bis auf ihn gehen alle baden: Seeleute, Reeder, Bankiers, Versicherer.

Jean-Pierre Lefebvre: Die Arbeit des Wals. Red Moby &/or: Das Kapital, im Rathjen-Moby, Zweitausendeins. Frankfurt am Main 2004, Seite 835 f.
Erstdruck in: Schreibheft, Zeitschrift für Literatur 37, Essen 1991.

[Anmerkung: Der Rote Moby wird hier nochmal ausführlich und gehörig zu repetieren sein, der Lefebvre stellt um den kapitalen Wal und den schon mal so daherzitierten Profitjäger Ahab noch so viel anderes auf, das man selber bis zu ihm noch gar nicht gedacht hat. Und außerdem: wo wir doch Rotschopfwochen haben, oder?]

Hmm… ist er nun also eine arme, gequälte Kreatur, der finstere Ahab, ein gefährlicher Irrer, dämonischer Visionär und Verweser oder nur eine suchende verlorene Seele? Ein Mensch, der irrt, solang er strebt?
Und was hätte er denn nun endlich dem Drewermann auf der Couch erzählt, wenn der sich jemals steuerbord einer solchen therapeutisch betätigt haben täte?

Wir wissen es (noch) nicht.

Wenn wir eins wissen, dann, dass wir im Angesicht monumentaler Melvillescher Kapitel als mikroskopische Mensch- und Leserlein manchmal mit Bloggerverdrängungssymptomen reagieren – über Monate. Dass wir dann – manchmal – lieber mit den Augen am Himmel nach Argo Navis suchen. Und uns, wenn unser Walfischprinzip wieder halbwegs funktioniert und der Spuk vorbei ist, staunend und mit einem leisen Lächeln nach ihm umsehen…

Die Winde wehten wieder, die Segel blähten sich, das Schiff stampfte und schlingerte wie zuvor.

~~~|~~~~~~~|~~~

Ach, und fällt jemandem vielleicht noch ein passenderer Soundtrack ein als der hier?

Denn scheint dieser Ahab nicht irgendwie… nicht erwachsen genug (als wäre das ein Makel), nicht tragisch genug und seine Fantasie nicht düster genug – kurzum: Ist er nicht zuuu alternativ?

Aber eine lichte und hübsche Vorstellung ist’s schon: Ismael hockt auf dem Bugspriet, bläst melancholisch in seine Mundharmonika und summt vor sich hin:

And if I ever lose my legs,
I won’t moan, and I won’t beg,
Oh if I ever lose my legs, Oh if
I won’t have to walk no more.

Yeeeah-aye. Oder?

~~~|~~~~~~~|~~~

Ingoetzel, Alice in Austinland, 27. November 2009

Bilder: Jan Ridpath’s Star Tales; Old Etcher; Jim Nichols UFO Art
sowie als Tribut an die laufenden Rotschopfwochen und des Roten Lefebvres Filmschaffen:
Leah Ingoetzel mit dem Lenin: Alice in Austinland, 27. November 2009.
Soundtrack: Cat Stevens: Moonshadow aus: Teaser and the Firecat, 1971.

Written by Wolf

4. March 2010 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Pequod’s End (There is a captain Ahab in all of us)

with one comment

Heute vor 170 Jahren, am 6. Januar 1840, ist die Pequod untergegangen. Dan Matlaga von der Google Group der Ishmailites tut den Job der P.E.Q.U.O.D. und seziert in einem Vorgriff auf Kapitel 132: Die Symphonie die sich aufdrängenden großen Themen.

The Symphony beschreibt noch die Ereignisse des 1. Januar 1840. Nach den pausenlosen Ankündigungen des Untergangs über die letzten 131 Kapitel ist dieser Anfang derjenige vom Ende. Konsequent dazu handeln die folgenden letzten Kapitel an Epiphanias nicht von einem Erscheinen, sondern einem Verschwinden.

170 years from today, on January 6th, 1840, the Pequod sank. Dan Matlaga from Google Group Ishmailites does a P.E.Q.U.O.D. job describing Chapter 132: The Symphony in several entries. In context, without the doublets, all by Dan Matlaga:

The Symphony, part 1

Hello All…

It is morning January 1, 2010.

Most appropriate for this date and this time is an analysis of Chapter 132 The Symphony. One hundred seventy years ago on this morning of this new decade of 1840 Melville has Ahab at the bulwarks gazing into the sea and sky.

I have remnants of my High School paperback copy of Moby-Dick. Underlined in red:

“On such a day – very much such a sweetness as this – I struck my first whale – a boy harpooneer of eighteen! Forty – forty – forty years ago! – ago!”

I underlined that sentence in The Symphony in red, along with this thought also in red: “M gives away the store here… date???”

I realized how important the date of The Symphony is. It could provide a more cohesive understanding of certain information provided in the novel. Certainly anyone who has progressed to chapter 132 is capable of mathematical addition. The question as it would appear in a blue book exam: “Question: If in chapter 132 Captain Ahab states he was 18 years old forty years ago, how old is Captain Ahab now?” The answer: 18 + 40 = 58, Captain Ahab is 58 years old while gazing into sea and sky in chapter 132.

This bit of information is interesting but limited. A similar situation occurs, it seemed to this high school student, in Chapter 28 Ahab. With reference to the scar on Ahab’s face down his neck to disappear beneath his clothing: “Whether that mark was born with him, or whether it was the scar left by some desperate wound, no one could certainly say.”
An old Gay-Head Indian believed that Ahab was branded when he was forty years old in an elemental strife at sea. A grey Manxman believed Ahab had this scar as a birthmark, and the scar extended head to foot.

Both comments concerning the origin of Ahab’s scar are correct. But what concerns here is this repeat of Melville’s use of the number forty. Without the date the voyage takes place, it is difficult to understand how this scar information can be of much use. If your mind wraps around the fossilized interpretation of Moby-Dick, the petrified interpretation – mummified, desiccated view, that Mr. Melville was not interested in detail, certainly these passages will open up much to wild speculation. If the date of the voyage can be determined, the speculation can be narrowed.

But hey… what did I know; I was a High School student.

 

The Symphony, part 2

Suzanna, Ave Maria, October 17, 2008So the subsequent submissions don’t read as magic, I think it appropriate to briefly describe how we can determine the year of the last voyage of the Pequod.

In 1999 John F. Birk published a book titled: “Tracing the Round: The Astrological Framework of Moby-Dick.” In his book John divides the novel into six blocks. Chapters 1 – 25 falls under the astrological signs of Aries and Taurus, chapters 26 – 69 Gemini and Cancer constitute Birk’s second block while Chapter 70 The Sphynx is block three. Birk’s block four includes chapters 71 – 92 and tokens the astrological signs of Virgo and Libra, chapters 93 – 126 fall under the astrological signs of Scorpio and Sagittarius. The final number six block which includes chapters 127 – 135 rounds out the astrological zodiac with the three astrological signs of Capricorn, Aquarius and Pisces. As the Pequod sails from one ocean to the next in search of the whale, it is according to Birk, sailing from one astrological section of the zodiac to the next.

While John was writing his book he and I had more than a few lunches on campus. During one of these lunches, John mentioned that no one really understands the gams, and of all the gams the least understood is Chapter 54 The Town Ho’s Story. I told John not to worry. I’ll figure it out.

With a start time of 6 p.m. that evening and an all nighter until about 2p.m. aided by a dozen or so magnificent Churchill cigars, I was able to determine the astronomical references of the gams. Chapter 52 The Pequod meets the Albatross references the constellation Argo. The constellation noted on star maps of 1840’and 50’s no longer exist on modern star maps. Chapter 54 The Town Ho’s Story is related to Halley’s comet. Chapter 71 The Pequod meets the Jeroboam is without question a reference to a comet designated in the history books as Comet 1840 1. Chapter 81 The Pequod meets the Virgin is Melville’s inclusion of the planet Jupiter while the planet Venus can be affiliated with Chapter 91 The Pequod meets the Rose Bud. The planet Saturn is the basis for Chapter 100 The Pequod meets the Samuel Enderby of London. Melville had in mind the planet Mercury for Chapter 115 The Pequod meets the Bachelor, and Mars for Chapter 128 The Pequod meets the Rachel. One of the more interesting gams is Chapter 131 The Pequod meets the Delight. This gam was written with the planet Uranus in mind, and as previously submitted occurred on Christmas of 1839.

We can ask the question: was there ever a time when Mercury was in either Capricorn, Aquarius, or Pisces while Venus was in the constellation of Virgo or Libra, Mars in Capricorn, Aquarius or Pisces, Jupiter in Virgo or Libra, Saturn in the astronomical constellation of Scorpius or Sagittarius, and Uranus in either Capricorn Aquarius or Pisces? The answer is yes; all conditions are met from December 17th 1839 through January 5th, 1840. With consideration of the illumination of the moon described in Chapter 22 Merry Christmas, we can be certain this window occurs at the closing of the voyage and not the start of the voyage.

It is worth noting the necessary change of treating Birk’s astrological signs to astronomical constellations. If we continue to use Birk’s six blocks as astrological signs we do not arrive at a date. The planet Venus becomes particularly quarrelsome. This is one of two smoking guns Melville provides to inform the reader astrological considerations are not the important guide John Birk believes.

Chapter 22 Merry Christmas informs the reader the day the Pequod set sails. We can now state with confidence the date is December 25, 1838. If the reader navigates through the 135 chapters guided with the additional thought whale encounters occur during the period of two nights and three days of new moon, the reader arrives with the Pequod’s demise January 4th, 1840.

 

The Symphony, part 3

Suzanna, Ariadne, November 2, 2008The astute reader referenced in part two will conclude Chapter 132 The Symphony occurs the morning of January 1, 1840, which parallels the date of this posting of not just a new year but also a new decade. In 1840 Ahab informs the reader he is 58 years old. If we subtract 58 from 1840 we arrive at the year 1782. Captain Ahab was born in the year 1782. According to a document in the archives of the Berkshire Historical Society, Allan Melvill, Herman’s father’s birth date is presented as April 7, 1782. John Birk can take some comfort here since he lists Aries as Ahab’s astrological sign (March 21 – April 20).

We learn in The Symphony Ahab becomes a boy harpooneer at age 18. If we add 18 to 1782 we arrive at the year 1800. This is the year Allan made his first ocean voyage to Europe where he would eventually set up an export business to the United States. Another document, titled: “Recapitulations of Voyages and Travels from 1800 to 1822 both inclusive,” this document written by Allan lists 1800 as his first voyage and the year 1822 as his last. Allan then was forty years old when he made his last voyage. Recall the statement in Chapter 28 Ahab by the Gay – Head Indian with respect to Ahab’s scar: “…not till he was full forty years old did Ahab become that way branded, and then it came upon him, not in the fury of any mortal fray, but in an elemental strife at sea.” We can narrow Ahab’s strife at sea to November 9, 1822 to a major meteor shower. Melville’s treatment of meteor showers in Moby-Dick will remain for another posting.

Some may conclude Mr. Melville had issues with his father and therefore patterned Ahab after those issues. Along similar lines, Moby Dick was a whale, there is a constellation of Cetus a sea monster, Moby Dick must be represented by Cetus. The Pequod was a sailing ship. There was the constellation of Argo, a sailing ship, the Pequod must have been represented in the sky as Argo. Mr. Melville was a world class author and a much greater artist than these simple conclusions warrant.

 

The Symphony, part 4

Suzanna, Arachne, November 2, 2008There is information in Chapter 132 The Symphony that can help determine when Moby Dick took Ahab’s leg.

The Pequod leaves Nantucket Christmas Day 1838. We know from reading The Symphony, the Ahabs had a child equipped with outside plumbing. That son had to have been born before the Ship left harbor. Mr. and Mrs. Ahab must have gotten together nine months earlier, which would place Ahab in Nantucket April 1838.

We can make some general, rounded number calculations. The distance from the tip of South America to Nantucket is 8,100 miles. Chapter 41 Moby Dick informs us Ahab went mad while traversing the Patagonian Cape at mid winter, months and weeks after his leg was bitten off by the whale. Recall from 5th grade geography class the seasons are reversed in the Southern Hemisphere so mid winter at the Patagonian Cape translates as June 21 at the tip of South America. The distance, again in round numbers between the southern tip of South America to Nantucket is 8, 100 miles. From other considerations described later, a ship of the Pequod’s design was capable of 80 statute miles in a 24-hour day. It would take the Pequod roughly 100 days to achieve the distance from the southern tip of South America to Nantucket. This would place Ahab back home late August or early September 1837. This is certainly enough time for the Ahab’s to conceive a child April 1838.

Another leg of that voyage involves the distance from the place where Ahab’s leg was taken by the whale to the Patagonian Cape. Remember the passage past the southern tip of South America occurred June 21st. The first paragraph of Chapter 130 The Hat informs the reader the Pequod was “… hard by the very latitude and longitude where his tormenting wound had been inflicted…” The Pequod crossed the equator heading southward in the previous chapter. The distance from this area, in round numbers was the equator at 150 degrees west longitude to the Patagonian Cape. That distance is 5,900 miles. The Pequod could achieve this distance in 74 days. It places the amputation of Ahab’s leg no earlier in the year of April 1837.

The time from the point of amputation to Nantucket is based on a speed a ship such as the Pequod can attain while cruising from one hunting ground to the next. With the wounded captain aboard, the ship was no doubt rigged with sails to achieve the greatest speed. This would have the effect of shortening the time of the Pacific and Atlantic legs of the remainder of the voyage but allow for a mid winter passage through the Patagonian Cape.

It is interesting to note that May 4, 1837 a partial eclipse of the sun occurred in the north Atlantic. Melville associates whale encounters with new moon, and solar eclipses with Ahab’s leg. A solar eclipse is after all, a special case of new moon. May 1837 was the start of deep recession very much like what we are going through today. It was the month Maria Gansevoort Melville, Herman’s mother, lost her fortune and inheritance in the great recession of 1837. She had to live modestly and on handouts from that month on.

It might be worth noting of an incident before the Pequod’s sail of Ahab being found one night “… lying prone upon the ground, and insensible; by some unknown, and seemingly inexplicable, unimaginable casualty, his ivory limb having so violently displaced, that it had stake-wise smitten, and all but pierced his groin; nor was it without extreme difficulty that the agonizing wound was entirely cured.” The incident is reported in Chapter 106 Ahab’s Leg. Interesting to note this chapter occurs during a solar eclipse of September 08 1839 though the eclipse was not visible from the Pequod’s location in the South China Sea. September 18 1838 however, marks an annular eclipse of the sun visible at sunset from Nantucket. As we can relate Ahab’s leg to solar eclipses; September 18 1838 is the date of the incident addressed in the body Chapter 106.
I contend it less likely Ahab would have mounted a voyage to satisfy revenge on the whale if that sunset accident did not occur. After all while on dry land he was home, fathered a child and surrounded with “…comfort, hearthstone, supper, warm blankets, friends, all that is kind to our mortalities.” All dissolves with the solar eclipse visible from Nantucket and the accident that nearly unmanned him. Those forces that animate the whale are not confined to the watery world. Ahab, now a storm tossed ship must forgo land for the sea.

November of 1838 Mr. Melville earned certificates in surveying and engineering. He needed these for employment on the Erie Canal. The employment never materialized, but June 4th 1839 he was aboard ship to his first sea voyage to Europe.

 

The Symphony, part 5

Suzanna, Alcyone, November 2, 2008I believe the chapter The Symphony was properly titled. When Mr. Melville was writing Moby-Dick, The rather narrow definition of this musical form was not as structured as it is today. It was still in its formative years and thanks to the classical musical giants it gained it’s modern form about the time of Shostakovitch. I believe it was Claude Levi-Strauss who wrote what many of us have felt through the ages: music was closer to the mythic experience than either the written or visual expression. If we take the concept of the symphony in it’s simplest idea, a full orchestral composition that is the some of its parts, we can understand from this five part exercise how Melville provided the reader with clues in The Symphony to determine Ahab was an amalgam of his father and mother. Ahab was the sum of many parts. Herman Melville fits in this amalgam but that is for another submission.

Some time ago there were discussions on a paragraph found in Chapter 41 Moby Dick. From memory, the discussion centered on Melville’s reference to the Hotel de Cluny. I believe the thrust of that paragraph is history. The underground abandoned nature of the hotel suggests a hidden past. The paragraph opens with: “This is much; yet Ahab’s larger, darker, deeper part remains unhinted.” The underground hotel is a reference to this darker, deeper part of Ahab. We have yet to read Chapter 54 The Town Ho’s Story. A chapter that reveals in a kind of nautical way how Steelkilt, the personification of the Ahab we have come to know and love in the main body of Moby-Dick, took over control of the ship from the captain who is Ahab before he received his scar, and Radney, the Ahab after the scar but before the loss of his leg. The surfacing of these personas becomes more evident if we change the name of the “Town-Ho” to a ship named “Ahab.”

One of my favorite chapters is 60 The Line. After a discussion on the terrors associated with the line, the last paragraph contains a point sadly missed in our busy lives above ground. It says in part: “All men live enveloped in whale-lines. All are born with halters round their necks; but it is only when caught in the swift, sudden turn of death, that mortals realize the silent, subtle ever-present perils of life. And if you be a philosopher, though seated in a whale-boat, you would not at heart feel one whit more of terror, than though seated before your evening fire with a poker and not a harpoon, by your side.”

There is a captain Ahab in all of us.

Discuss.

Movie clip: Orson Welles reading an excerpt from Moby-Dick Chapter 132: The Symphony, adapted text, in: Oja Kodar et al.: Orson Welles: The One-Man Band by Medias Res Filmproduktion München/Berlin in association with Bayerischer Rundfunk, 1995.

Images: Suzanna Wurzeltod: Ave Maria, Ariadne, Arachne, and Alcyone; being the Lady Scratch.

Written by Wolf

6. January 2010 at 12:33 am

Posted in Steuermann Wolf

Das ganze verkehrte Wesen (Frisches Basilikum)

with 5 comments

Wolf hat Kapitel 36: Das Achterdeck gelesen und macht ein Update zu I’ll Shoot the Sun:

… ein persönlich niemandem bekannter Mann mit einer Vorliebe für mittelmäßige Frauen, der diese Vorliebe gleichwohl nie ausleben hat können, weil er nämlich selbst für das Auftreiben mittelmäßiger Frauen viel zu schüchtern war, dieser Mann soll einmal gesagt haben, er wolle ja schon lange nicht mehr, stehe aber unabhängig davon jeden Morgen doch wieder auf, um einen weiteren Tag dranzuhängen an etwas, das er sich scheue, sein Leben zu nennen, und dann soll dieser Mann aus der Straßenbahn ausgestiegen sein, und zwar einfach so…

Benjamin Schiffner/Martin Sonneborn: Schaulimauli, in: Partner TITANIC August 2009, Seite 57.

… und next thing you know sehen wir ihn mittenmang der Mannschaft stehen, die sich auf dem Achterdeck um Captain Ahab versammelt, diesen Ismael, der sonsteinen Namen tragen kann, der niemanden interessiert, diesen Nobody und Jedermann, dieses Gefäß für Magermilch, hundertjährigen Portwein, Whisky oder flüssigen Teer gleichermaßen, diesen Mann, der voraussetzt, nicht zu leben, stillschweigend, aber schon gar nicht mal mehr ängstlich.

Helden sind zum Sterben da” — was auch heißt, sie müssen zuvor leben. Ist das schon Konsens, dass Ahab als Held betrachtet wird? Ab den anstehenden zwei Verfilmungen wird es einer.

Was wird da William Hurt die Dublone an den Mast nageln, sein gregorypeckstes Gesicht schneidend, wie wird er zischen, dass er selbst die Sonne schlagen würde, wenn sie ihn beleidigt, mit welchem Schuss-Gegenschuss wird Moby Dick (richtig: der Wal selbst ohne Bindestrich) seine erste namentliche Erwähnung finden, samt Personenbeschreibung:

einen weißköpfigen Wal mit runzliger Stirn und schiefem Maule […] der drei Löcher in seiner Steuerbordfluke trägt […] Aye, Queequeg, die Harpunen stecken allesamt verdreht und verbogen in ihm; aye, Daggoo, sein Spaut ist mächtig groß, wie eine Weizengarbe, und weiß wie ein Haufen unserer Nantucketwolle nach der großen Schafschur; aye, Tashtego, und sein Schwanz wedelt und flattert wie ein zerfetzter Klüver in einer Sturmbö.

Alle Zitate: Jendis-Übersetzung; hier: Seite 270 f.

So sieht er aus, der Titelheld, den die Harpuniere aus ihrer Berufserfahrung schon kennen, und dessen Namen wir persönlich niemandem bekannten Leser auf Seite 271 endlich so nebenbei erfahren — außerhalb des Umschlags; Tashtego spricht ihn aus. Nur gerecht: Was strummeln wir auf dem Sofa und lesen, statt einem Traum zu folgen. Oder einem monomanischen Rachegedanken wie der überaus lebendige Ahab.

Wobei wir denselben in keiner der Verfilmungen beobachten werden: wie er ab kurz nach dem Frühstück bis der Tag seinem Ende zugeht sinnend auf dem Deck einherklackert (Holzbein!). “Stunde um Stunde verstrich” — untauglich für jede Verfilmung in graphic novel style (außer, es wäre denn Nicolas-Mahler-Style) — trotzdem: Der Mann nimmt nur Anlauf,

wobei er so seltsam dumpfe und undeutliche Laute von sich gab, daß es sich wie das mechanische Summen anhörte, mit dem die Räder seiner Lebenskraft in ihm rotierten.

Die Steuerleute tuscheln schon. Das gibt etwas Vitales. Vielleicht schließt das Kapitel deswegen so explizit ans dreißigste an: “Nicht lange nach der Episode mit der Pfeife”, wo Ahab so kurzentschlossen die Pfeife über Bord gefeuert hat. Rauch aufgeben, länger leben.

Und wie er vor uns namenlosen Ismaels, zu deren größten Ereignissen es zählt, einfach so aus einer Straßenbahn auszusteigen, auflebt und uns teilhaben lässt. Langsam rückt er raus: “Das ist es, wofür ihr angeheuert habt!” (Seite 272) Hat er nicht ein großes Herz? Und einen großen Eimer Grog für alle hat er ja auch und eine Unze spanischen Goldes im Wert von sechzehn Dollar für einen von uns — bei der wir uns allerdings immer verwundern müssen, wie viel von dem Verkehrswert übrig bleibt, wenn Ahab in seiner Entflammung ihr ein Loch ins Herz, nein: durch die Mitte treibt. Wir Straßenbahnmatrosen trauen uns ja kaum einen angeschmuddelten Zwanziger wechseln zu lassen.

Warum er das macht? Weil er uns mitreißen will, der Großherzige? Quatsch: weil er uns braucht. Den Wal, der ihn entmastet hat, kriegt er niemals allein erlegt. Der Held ist kein Held für sich allein, er muss als einer angesehen werden. Da kann seine Rache so persönlich sein wie sie will, der Held muss sich über die anderen erheben und sie auf seine Seite bringen. Networking nennt das der namenlose Ismael in der Tram 27 Richtung Petuelring, und: “Man sollte sich mal mit anderen zusammentun”, so wie sich überhaupt oft Sätze mit “Man sollte mal” in ihm zusammendenken. Da kommt der lebenslodernde Ahab bei Starbuck, der Nummer 2 an Bord, aber an den Richtigen.

Der ist ebenfalls unter die Lebenden zu rechnen, mit Heldenpotenzial. Der ist weniger Feuer und Flamme, der ist seemannsgemäß das Wasser und bleibt in seinem Job, mit dem Blick auf den Nantucketer Wal Mart, nein falsch: Walmarkt:

Aber ich bin hierher gekommen, um Wale zu jagen, nicht um meinen Kapitän zu rächen. Wieviel Fässer wird dir deine Rache bringen, wenn sie dir denn gelingt, Kapitän Ahab? Sie wird dir wenig einbringen auf Nantuckets Markt.

Da kann Ahab nur drauf spucken:

Nantuckets Markt — pah! […] Mann, wenn Geld das Maß aller Dinge sein soll und eie Buchhalter ihr großes Kontor, den Erdball, ausgerechnet haben, indem sie ihn mit Guineen gürten, eine für jeden Drittelzoll — dann, so laß es dir gesagt sein, wird meine Rache reichlich Zinsen tragen — und zwar hier!

und schlägt sich an die dröhnende, hohl tönende Brust. Der Ton fällt Stubb auf, der sich allerdings geradezu darüber definiert, dass er immer noch Pfeife raucht. Und damit vertritt Ahab wohl die deutschromantische Ansicht, dass, wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen (Novalis) das ganze verkehrte Wesen fortfliege.

Ahab ein Romantiker, ein Idealist? — Daniel Göske, dem wir selbstverständlich jedes Wort glauben, weil wir hierin auf ihn angewiesen sind, wendet ein:

Ahab könnte Starbuck so weismachen wollen, daß seine monomanische Jagd auf den weißen Wal, den er als “Maske”, als Symbol des Bösen ausgibt, einem hohen idealistischen Ziel dient: dem allgemeinmenschlichen Streben nach letzter Erkenntnis. Dieser rhetorische Trick setzte damit materialistisches Gewinnstreben und philosphisch-ethische Wahrheitssuche in eins.

Hier liegt the little lower layer, die etwas tiefere Schicht oder die etwas niedriger angesetzte Lay. Ein Wortspiel, das Ahab hoffentlich selber versteht, das aber Melville wohl nur den entscheidenden Moment zu lange in seinen Bart geschmunzelt hat, um es doch noch zu unterdrücken, und unsereins zermartert sich das Hirn darüber; ab hier wird’s aber sowieso langsam zu kinky.

Zurück auf die Planken: Wie gesagt, könnte Ahab etwas weismachen wollen. Und was bitte bleibt von der Handlung übrig, wenn Moby Dick auf einmal nicht mehr böse, sondern nur von Ahab so eingefärbt ist? Ein Konflikt zwischen Ahab und Starbuck? Sind wir hier in der Weltliteratur oder einer Vorabend-Soap? Und worin soll der Unterschied zwischen matierellem Wert und letzter Erkenntnis liegen? In einem auf Kerzenlicht und frischem Basilikum über den Aldi-Spaghetti heruntergekochten Romantikbegriff? Denn wer ist hier der tragische Held und wer die international erfolgreiche Franchise-Kette? Und was davon sollte man genau verurteilen? Welchen der Idealisten, die nur zusammenrumpeln, weil sie beide Moral im Leibe haben? Komm, Göske, kauf dir eine Monatskarte und geh Straßenbahn fahren.

Das soll nicht einmal respektlos gegenüber Herrn Göske sein. Der Druck auf den Ohren rührt bei den wiederholt bemühten namenlosen Ismaels womöglich vom Außen-, nicht vom Innenmilieu des Kopfes. Selbst Schopenhauer, notorisch unverdächtig des unkontrollierten Optimismus, empfiehlt gegen Leiden an Herz und Kopf: Kunst. In diesem 36. Kapitel steckt ja nahezu alles drin, dabei haben wir bislang noch nicht mal den Drewermann mit reingezogen.

Ein anderer, der einem bei den Ermittlungen zu Melville immer wieder begegnet, ist Orson Welles. Der hat das Format, sich zum Wal zu äußern und ihn zu Ölen zu sieden, die uns die Herzen und Köpfe erquicken: Orson Welles — The One Man Band von 1995: ungekürzte 87 Minuten, Deutschland/Frankreich/Schweiz, deutsch-englisches Original mit Christian Brückner, including a clip from his one-man show of Moby-Dick with Welles playing all parts sans makeup or costume.

Wir anderen stehen um Orson Welles herum, gaffen mauloffen auf ihn wie die Mannschaft auf Ahab und warten, dass der Harpunenschaft voll Grog einmal nicht an uns vorüberzieht — gezeichnet von Selbstzweifeln, Lebensverweigerung, der Angst, dass man so lange auf wir wissen nicht was gewartet haben, bis es schon wieder vorbei ist, und der Hoffnung, dass da nicht noch was nachkommt, weil es uns eigentlich reicht.

Solcherlei Innenleben sind eine fremde Welt für Ahab. Der hört uns dabei zu und

die Winde wehten wieder, die Segel blähten sich, das Schiff stampfte und schlingerte wie zuvor.

Das allzeit indifferente Universum weiß es schon besser, und es wird Recht behalten. Über Helden und Verlierer kann es nicht mal milde lächeln: Es ist, wie es ist. Ganz wie in den letzten Worten 99 Kapitel später:

und das große Leichentuch des Meeres wogte weiter wie vor fünf Jahrtausenden.

weil es früher oder später aufs gleiche hinausläuft, welcher Art die Moral ist, die der eine oder der andere in seinem sterblichen Leib spazieren trägt: Am Schluss sind sie beide tot.

Immer diese leidigen Unterbrechungen des künstlerischen Schaffens durch das, was man sich scheuen muss, sein Leben zu nennen.

Written by Wolf

7. October 2009 at 12:06 am

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You hear of no domestic afflictions; bankrupt securities; fall of stocks

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Elke fasst snugly stowed in casks in Kapitel 35: Im Masttopp die Ewigkeit!

Elke HegewaldA mariner sat in the shrouds one night,
The wind was piping free;
Now bright, now dimmed, was the moonlight pale,
And the phospher gleamed in the wake of the whale,
As it floundered in the sea.

Elizabeth Oakes Smith, zitiert in den Extracts.

Mast von unten

Das Meer.

Es hat so viele Züge und Mentalitäten wie das Jahr Tage. Dem Seemann bringt es Glück oder Verderben. Uns zieht es in seinen Bann, gießt in uns Ruhe und Stille, Stürme und wilde Sehnsucht. Mal ist es sanft und friedlich, mal unmutig und launenhaft. Heute singt es und murmelt und rauscht, morgen brüllt es und gurgelt und tost.

Das Meer hat viele Dimensionen, zuvörderst die der vielleicht einzig fassbaren Ewigkeit. Doch wann hat einer, der noch nie Ausgucksteher im Masttopp war, jemals gefühlt und geahnt, dass sich zur unendlichen Weite bis hinter den Horizont und Tiefe bis zum unheimlichen Grund auch eine Dimension der Höhe gesellt, von wenigstens hundert Fuß? Nicht jedermanns Sache, wie wir seit der Phobie eines Schiffskameraden wissen. Doch hat sie, wie ich finde, durchaus ihren eigenen Reiz von Freiheit, die Vorstellung, aus dem Blickwinkel und mit dem Schrei der Sturmmöwe hoch über den Schiffsplanken und den Schaumkronen der wogenden Wogen zu schweben. Frei von den schnöden Ärgernissen und immerwährenden Pflichtkämpfen der anstrengenden Welt…:

… a sublime uneventfulness invests you; you hear no news; read no gazettes; extras with startling accounts of commonplaces never delude you into unnecessary excitements; you hear of no domestic afflictions; bankrupt securities; fall of stocks; are never troubled with the thought of what you shall have for dinner—for all your meals for three years and more are snugly stowed in casks, and your bill of fare is immutable.

Allerdings birgt der Gedanke, hoch oben auf der Bramstenge stundenlang nur auf zwei dünnen Zweiglein zu balancieren, auch für Süßwassermatrosen, die ihre Höhenangst halbwegs im Zaume halten können, schon was Ungemütliches und ein flaues Gefühl in der Magengegend. Tsss… aber Sturmvogel sein wollen! — Vielleicht würde ja vorgelagert ein Ferien-Crashkurs auf der Gorch Fock helfen?

Und auch hier müssen wir wieder erfahren, dass nie alles Gute beisammen ist. Es sei denn, man steht weniger darauf, ein Südseewaljäger zu sein, und singt seine Wale lieber auf ‘nem Grönlandfahrer aus. Der nämlich Anspruch auf ein kuscheliges Krähennest mit Ofenheizung und Hausbar hat… hmmm, oder so ähnlich. Lest’s doch selber, mit welchem Komfort Papa Melville grinsend die Erfindung des guten Käpt’n Sleet ausstattet, der beiläufig der leibhaftige Vater der von ihm kreuz und quer zitierten Waljägerlegende William Scoresby ist.

Was wir noch lernen: dass eben jene Krähennester — oder auch die Bramdwarssaling-Zweiglein der südlichen Walfänger — die eigentliche Heimat unserer wohlbekannten Isolatos sind. Und der blassen pantheistischen Aussteiger — einer Spezies, die der Herman samt den Emersonschen Transzendentalisten und ihrem großen Vorbild Goethe mit spitzer Spötterzunge gut zu pieken weiß. Okay, letztere nun nicht explizit vor Ort, dafür aber im Mardi und im Briefgeflüster mit seinem Intimus Hawthorne. Vermerkt auch das Göske-Jendis-Gespann in seinem gutbestückten Nachwort (Seite 961).

Gern hätt’ ich mich ja noch ein bissel über den heiligen Säulenbewohner Stylites auf seinem P(f)osten ausgelassen, der da oben wenigstens noch gleichzeitig allen Wettern trotzen und predigen konnte. — Im Gegensatz zu den stummen und von braven kunstfertigen Handwerkern in Bronze gegossenen Säulenheiligen in aller Welt, die inzwischen nach ihrem lebendigen Ruhm längst sorgsam das Maul halten über dem Elend zu ihren Füßen… an irgendwas hat mich das erinnert. Aber man will ja nicht schon wieder langweilig ausufern.

Alles in allem ist das 35. doch so recht ein Kapitel für Träumer und Romantiker, möchte man meinen, die sich von den Wellen einwiegen lassen und nichts als meerblaue Weite aussingen. Doch unser guter Melville ist ein Schelm, wie man weiß. Nicht nur, dass er an dessen Ende den fast vollends Entschwobenen unsanft in der harten Realität… öhm, auf den alles verschlingenden Wassern aufschlagen und in cartesianischen Strudeln untergehen lässt. Nein, ich heg ja den begründeten Verdacht, dass er wieder mal den heimlichen Dramatiker raushängen lässt, der in dem ganzen munteren Geplauder und philosophischen Herumchillen schlitzohrig vor sich hin retardiert, um dann den ahnungslosen Leser mit dem nächsten Höhepunkt zu überfallen. Jaja, ahnungslos… denn der wird doch nicht schon das nächste, das Achterdeck-Kapitel ausspioniert haben…?

Schiff von oben

Bilder: Grännäs Marina AB; Ian Burns: From the crow’s nest of the Nooderlicht, 9. Oktober 2009.

Musik von unten: Flëur: Русалочка (Russalotschka — Die kleine Seejungfrau). Offizielle Website!
Musik von oben: Great Big Sea: Mary-Mac.

Written by Wolf

2. July 2009 at 7:15 am

Posted in Steuerfrau Elke

Up the rigging very leisurely

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Jürgen hat Kapitel 35: Im Masttopp gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteIch stand schon mal auf dem Münchener Olympiaturm – und fragte mich, ob der Boden wohl hält.

Ich stand schon mal auf dem Berliner Fernsehturm – und fragte mich, ob man sich wirklich gegen die Scheiben lehnen sollte.

Ich stand schon mal auf dem Petersdom in Rom – und fragte mich, wie ich da wieder runterkommen sollte.

Jürgen im Masttopp, ca. 1975Und das Foto zeigt mich in jungen Jahren nicht etwa beim Ersteigen des Klettergerüsts – sondern am höchsten Punkt meines Aufstiegs. Die Verzweiflung im Blick rührt daher, dass ich ja auch wieder runter musste. Rückwärts (Urlaub in Ostfriesland, ca. 1975).

Falls Sie es noch nicht verstanden haben, lieber Leser: ich leide unter Höhenangst. Ein äußerst unangenehmes und ziemlich nutzloses Gefühl. Was das mit Moby-Dick zu tun hat?

There you stand, a hundred feet above the silent decks, striding along the deep, as if the masts were gigantic stilts, while beneath you and between your legs, as it were, swim the hugest monsters of the sea,…

Hundert Fuß – das sind über dreißig Meter! Am Ende eines langen Stocks (etwas anderes ist ein Mast doch nicht!), der auf einer Nussschale festgemacht ist, die im Meer umher geworfen wird. Einen noch wackligeren Platz kann man sich kaum denken, oder? Allein die Vorstellung verursacht mir feuchte Hände. Und dann ja auch nicht in einem Krähennest, sondern gänzlich ohne Sicherung, nur auf zwei schmalen Brettchen:

Your most usual point of perch is the head of the t’ gallant-mast, where you stand upon two thin parallel sticks (almost peculiar to whalemen) called the t’ gallant crosstrees.

Und dann beschreibt der Herr Melville auch noch seinen (bzw. Ismaels) Aufstieg in den Masttopp als einen kleinen Sonntagsspaziergang, komplett mit freundlichen Plaudereien:

For one, I used to lounge up the rigging very leisurely, resting in the top to have a chat with Queequeg, or any one else off duty whom I might find there; then ascending a little way further, and throwing a lazy leg over the top-sail yard, take a preliminary view of the watery pastures, and so at last mount to my ultimate destination.

Entweder ist Melville der Fluch der Höhenangst völlig fremd – oder er gibt sich hier bewusst so nonchalant, um darüber hinweg zu täuschen. Immerhin, er gesteht dem Neuling zu, dass er sich da oben unwohl fühlen darf:

Jürgens SchlingernHere, tossed about by the sea, the beginner feels about as cosy as he would standing on a bull’s horns.

Aus ganz persönlichen Gründen also mag ich nicht mehr zu diesem Kapitel sagen. Pantheismus und die alten Ägypter, Nelson und Napoleon – da können sich andere mit vergnügen. Mir reicht die Vorstellung von schwindelnder Höhe und wildem Umhergeworfenwerden. Mehr braucht’s gar nicht.

Und vielleicht soll’s uns auch gar nicht mehr sagen: wir sitzen alle mal im Masttopp und werden herumgeschleudert. Und wenn wir uns nicht gut festhalten, dann versinken wir im Chaos um uns herum…

In diesem Sinne: freuen wir uns auf das Achterdeck! Fester Boden unter den Füssen (relativ)!

Bilder: Allesamt von Jürgen, ca. 1975, 2008, 2009.

Written by Wolf

24. March 2009 at 12:01 am

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Call me Ödipus (Vorübergehender Wahnsinn in ungewöhnlich jammervoller Stunde)

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Wolf hat Kapitel 35: Im Masttopp gelesen
und macht ein Update zu Mutter, lass mich dein Söhnchen sein:

     Roll on, thou deep and dark blue Ocean — roll!
     Ten thousand fleets sweep over thee in vain;
     Man marks the earth with ruin — his control
     Stops with the shore; upon the watery plain
     The wrecks are all thy deed, nor doth remain
     A shadow of man’s ravage, save his own,
     When, for a moment, like a drop of rain,
     He sinks into thy depths with bubbling groan,
Without a grave, unknell’d, uncoffin’d, and unknown.

     Roll’ an tiefblauer Ocean, roll’ an!
     Es fegen spurlos dich zehntausend Flotten,
     Der Mensch zerstört das Land, soweit er kann,
     Doch auf der Flut ist dein Werk: auszurotten!
     Und vor dem Greul der Menschen, dieser Motten,
     Bleibt keine Spur, — ihr Schatten höchstens blos
     Wenn stöhnend er zu deinen tiefen Grotten,
     Ein Regentropfen, sinkt in deinen Schoos,
Vergessen — ohne Klang — sarglos und grabeslos.

Lord Byron: Childe Harold’s Pilgrimage, 1818, Canto the Fourth, CLXXIX. stanza,
übs. Adolf Böttger, Leipzig 1854.

In die Kneipe nehm ich ja immer Schreibzeug mit. Irgendwer fragt immer, was man da zu schreiben hat. Je nach Konstitution des Fragenden macht man dann eine gedeihliche Bekanntschaft, ist fürchterlich mit künstlerischem Schaffen beschäftigt oder hat am Ende wenigstens einen schönen Brief geschrieben. In Münchens einziger Hafenkneipe Zur Gruam ist das besonders wichtig, damit die kontaktfreudigen paar Jahrhunderte Knast, die sich dort jeden Abend versammeln, einem das Messer nur in den Thekenplatz und nicht in den Ranzen rennen.

Whaleman at the Masthead. J. Ross Browne, Etchings of a Whaling Cruise. New York, Harper Brothers 1846Einer blitzte weniger wild mit den Augen als die anderen. Geradezu umgänglich wirkte er. Als ich von meinem Schreibwerk aufschaute, fragte er:

“Was schreibst’n da?”

Na bitte, es funktioniert immer.

“Sag ich dir, wenn du mir sagst, was du hier treibst.”

“Das gleiche wie du. Umschauen, ausgucken, zurück in den Mutterleib streben und gleichzeitig in ein frühes Grab.”

“Immer diese Freudianer.”

“Selber einer, wenn du das so schnell merkst.”

“Du bist auch hier drin wegen Hafenkneipe?”

“Sicher. Als mannhafte Station zwischen Mutterschoß und seliger ewiger Ruhe.”

“So hab ich’s noch gar nicht gesehen. Schiffen traut man’s zu, aber Kneipen…”

“Man kann nicht immer nur segeln.”

“So tot bist du schon?”

“Nicht toter als du. Ich bin nur öfter am Wasser.”

“Und wie ich deine John-Lennon-Brille einschätze, meistens darüber. Im Ausguck.”

“Süßwasserwalfänger.”

“Und? Bläst er oft?”

“Nicht, wenn ich oben bin.”

“So siehst du aus. Was treibt dich denn dahin? Andere verstecken sich in einem ruhigen Job beim Zollamt oder so.”

“Hat doch unser gemeinsamer Freund Melville später auch getan. Jetzt ist noch die Zeit, das Leichentuch in einer gewissen Größe auszusuchen.”

“71 Prozent der Erdoberfläche, nicht schlecht.”

“Bescheidenheit kommt erst mit dem Alter.”

“Wenn du wie der Schmied mit Mitte siebzig Frau, drei Kinder, Haus und Hof versoffen hast?”

“Ja, das sollte genügen. ‘Ein Vagabund im Trauerkleide, ohne Mitleid für [m]ein Elend, [m]ein graues Haupt ein Spott für blonde Locken.””

“Mir kommen die Tränen.”

“Das sollten sie. Du bist nämlich auch so einer.”

“Zwei Jahre und zwei Bücher zuvor, im Redburn, hat sich das noch viel lebensfreudiger angehört, findest du nicht?”

“Doch, unbedingt. ‘Träume und Sehnsüchte, sein Glück zur See zu versuchen’, das hält nicht weit über die Pubertät hinaus. Außerdem war das 1849 eine Auftragsarbeit.”

“Und 1851 weiter mit ‘hegen fast alle Menschen, ob sie’s wissen oder nicht, in etwa dieselben Gefühle für das Weltmeer’?”

“Klar. ‘Auf ewig vereint sind Wasser und Tiefsinn.'”

“Und nach den zwei Erfolgsbüchern hat er nicht da weiter gemacht, sondern dort, wo er vor drei Büchern mit dem Mardi eingebrochen ist.”

“So geht Thanatos!”

“Warum hängen sich dann nicht alle deine Kollegen bei der ersten Nachtwache an der Besanstenge auf?”

“Würdest du dir das wünschen? So ein andauernder Selbstmord, ohne sterben zu müssen, das ist doch was Praktisches. Und die Weiber stehn drauf, wenn man ihnen die Fackel trägt.”

“In Form von Walrat?”

“Du bist gut, Mate.”

“Ist aber nicht viel mit Weibern auf hoher See, oder trefft ihr viele Sirenen?”

“Nur innerlich. Das muss schon so sein. Die innere Mutter ist noch lange nicht befriedigt.”

“Igitigitt, seid ihr widerlich.”

“Gar nicht. Ist doch alles freudsch.”

“Gesundheit.”

“Langsam kommst du drauf. Das ist weder ein Ansinnen, Muttern flachzulegen noch Vatern zu erschlagen, die ganze Einrichung von Wohnstätten, Herstellung von Nahrungsmitteln…”

“Prost übrigens.”

“Prost. Und dass du dir was überwirfst, bevor du in die Kneipe rennst, das ist schon genug Nachbildung von Ureinheit mit deiner Mutter.”

“Call me Ödipus.”

“Du mich auch.”

“Kennst du noch mehr Bücher?”

“Eins vor Moby war schon dran, eins danach, Israel Potter, kenn ich noch.”

“Was steht drin, sag?”

“‘Die Einsiedelei im Wald ist die Zuflucht des engherzigen Menschenhassers; die Hängematte auf dem Ozean ist das Asyl für die Betrübten großmütigen Geistes. Der Ozean läuft über von natürlichen Tragödien und Unglück, und der Kummer eines Menschen ist nur ein einziger Tropfen in dieser Wasserunendlichkeit des Schreckens’, das steht drin.”

“Was du alles weißt.”

“Man kommt rum.”

“Bist du denn so betrübten Geistes?”

“Nicht mehr als die natürliche Grundbetrübnis von unsereinem. Oder findest du mein Gebaren besonders bedrückt?”

“Wenn du so fragst… könnte das aber auch am geistigen Gebräu liegen.”

“Na klar, weil Denken und Fühlen aus lauter chemischen Reaktionen besteht.”

“Was sagt Freud dazu?”

“Will ich gar nicht wissen.”

“Über die Art von Witzelsucht, die wir gerade an die Nacht legen, sagt er schon was.”

“Und zwar?”

“Na, die ganze Arie mit Schutzdistanz, den Schmerz fernhalten und Coolsein.”

“So eine Illusion von geistiger Überlegenheit und Leckmichamarsch?”

“Mit Betonung auf Illusion.”

“Held sein, ohne zu leisten.”

“Passt doch. Wie leben, ohne sterben zu müssen.”

“Und irgendwann sterben, ohne zu leben zu müssen.”

“Siehst du, was ich meine?”

“Klar. Lachen, um nicht weinen zu müssen.”

“Steht da nichts dazu bei deinen großmütig begeisterten Betrübten?”

“Im Pierre? Doch: ‘Wenn sich in ungewöhnlich jammervoller Stunde die Gelegenheit dazu bietet, finden manche Menschen ihre hysterische Erleichterung in einem wilden verdrehten Humor, der um so verlockender ist, da er dem Anlaß vollkommen entgegensteht… Die kühle Krittelei der bloßen Philosophen würde solches Betragen wohl mehr oder minder als vorübergehenden Wahnsinn bezeichnen, und vielleicht ist es das ja auch, da in den unerbittlichen und unmenschlichen Augen der schieren, unverdünnten Vernunft jeglicher Gram, sei’s um uns selber, sei’s um andere, nur blanke Unvernunft und Irrsinn ist.'”

“Jetzt hör aber auf. Das kannst du dir so merken?”

“Ins Internet komm ich selten.”

“Naja, so in euren Walfanggründen habt ihr’s wohl mehr mit Bordfunk.”

“Nichts, was ich vermisse.”

“Dann kennst du auch die Shanty-Sammlung von Hulton Clint gar nicht.”

“Sollte ich?”

“An der Stelle rentiert sich Internet wirklich. Der ist den Moby-Dick-Film mal durchgegangen…”

“Den kenn ich! Den von 1956 mit Gregory Peck, nä?”

“Ja, der andere zählt nicht. Und in dem hat er die Shanties rausgezogen und zeigt, dass John Huston nicht ausschließlich gestelltes Studiomaterial hergenommen hat. Zwei Videos voll.”

“Nicht? Sondern?”

“Live-Mitschnitte. Es hält jedenfalls dem Wissen deines Gewerbes stand.”

“Nicht zu fassen.

“1956!”

“Mhm. Und woher kommt das in diese ganze Schlaf-, Todes- und Witzelsucht rein?”

“Na, ich dachte, das ist der Moment, an dem so ein Ausguck auch mal aufwacht.”

“Nicht, wenn er’s vemeiden kann.”

“Ach ja, ich vergaß. Du bist so einer von den Pantheisten aus Kapitel 35.”

“Jaja, der Schluss. Aber geh mir doch mit Gott.”

“Ad vocem gehen: Gehn wir noch ins Gap?”

“Die andere hiesige Hafenkneipe?”

“Was dieses verträumte Städtchen an Stelle von Hafenkneipen so hat.”

“Ist eigentlich ganz gut sortiert, dafür, dass es nicht mal einen Hafen hat.”

“Muss man hier eigentlich zahlen?”

“Du wolltest mir sagen, was du da schreibst.”

“Och, ich schreib mit.”

“Mami, Mami, ich bin im Internet.”

“Das kostet dich die Zeche.”

Lieder: Moby-Dick: Video 1, Video 2, 1956;
Freddy Quinn: Junge, komm bald wieder, 1963.
Fachliteratur: Eugen Drewermann: Moby Dick oder: Vom Ungeheuren, ein Mensch zu sein. Eine tiefenpsychologische Deutung, 2004 (und entgegen der Amazon-beschreibung nicht auf 340, sondern 560 Seiten).
Bild: Whaleman at the Masthead: courtesy of J. Ross Browne: Etchings of a Whaling Cruise, New York: Harper Brothers, 1846.

Written by Wolf

23. February 2009 at 12:01 am

Der arme Belsazar

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Elke hat Kapitel 34: An der Kajütstafel gelesen:

Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden.

Abraham Lincoln

Elke HegewaldIch nehme mir mal – ganz undefiniert – die Freiheit, mich heuer bei Tische, respektive in unserem sinnbildlichen Meer nach dem unlängst besungenen Walfischprinzip zu betragen. Zumal das melvillesk ist, wie uns unser Käpt’n glaubhaft referiert hat. Und weil dem Anschein nach die Walgründe dieses Kapitels von meinen Waljägerkollegen schon weitgehend abgefischt sind.

Zum Glück scheint ja jeder von uns sein ganz eigenes Walfischprinzip zu haben. Oder, um (joah, sind wir Melvilleasten oder sind wir Melvilleasten?) mal ein anderes Bild zu bemühen: Jegliches, das wir lesen, schicken wir durch das ganz private Prisma in uns drin. So dass das helle Licht unserer Gedanken, das hinter dem eingesogenen Plankton aufscheint, darin im höchstpersönlichen (Blick-)Winkel, am eigenen Wissen, Erinnern und Vergleichen gebrochen und reflektiert wird. Kopfkino im besten Sinne – und das ist gut so, bei aller Vorgabe.

Ich such also mal halbwegs zu sortieren, was mir beim Nachfischen noch so ins Netz gegangen und wohin meine abseitigen Lesestrahlen gefallen sind.

Ritter der Tafelrunde

Es fängt an wie stinknormaler Schiffsalltag an Deck und ist wohl auch einer. This means seinen Verrichtungen nachgehen, ‘ne ordentliche Positionsbestimmung vornehmen, sich bekochen und bedienen lassen, Essen fassen, je nach Rangordnung mit dem armen Teigkopp seine derben Späße treiben oder auch nicht. Und schon erhebt sich die erste Frage: ob denn auf einem Walfänger wie der Pequod die Anstellung eines Stewards eine Personalunion mit dem gängigen Smutje darstellt, der die für ein Walfangschiff immerhin wohl recht fürstlichen Fütterungen gemeinhin auch noch selber ausheckt, statt sie lediglich zu kredenzen. Wissen wir doch spätestens seit der Herrschaft des Londonschen Seewolfs oder so, dass die Typen in der Kombüse in aller Regel Sonderlinge sind und allerorten schon gern mal die Suppe auslöffeln müssen, die den wilden Kerlen nicht schnell oder wohlschmeckend genug auf den Tisch kömmt. Was sich wiederum, so oder so, häufig auf ihren Charakter auswirkt.

In der Begünstigung des Attentats auf die Sonne durch Herrn Jendis vermute ich eher einen Übersetzungslapsus denn einen Vorgriff auf Ahabs trutzige Ansage. – Oder benennen das die Insider gar mit diesem Translator-Terminus? Gehört hab ich es so jedenfalls noch nie und gäbe hier auch der Rathjen-Version den Vorzug.

Was die beiden in den Tischsitten verfremdet angelegten Gesellschaftsentwürfe des feudalen Sultanats und der frantic democracy angeht, die Jürgen ja bereits sehr eingängig abgehandelt hat, so ist das ja alles gut und schön, aber irgendwas stimmt an denen trotzdem nicht, da hat er Recht, der Jürgen.

Das augenscheinliche Offiziersritual, einander der Rangfolge nach an die Tafel zu rufen, das bewusst zelebriert und ganz praktikabel erscheint, motiviert ja durch die Anwesenheit ihres finsteren Kapitäns vielleicht noch das ehrfürchtige bis unterwürfige Schweigen der nachrangigen Chargen von gestandenen Seebären am Tische. Zu dem Melville beiläufig sogar einflicht, dass der Alte Tischgespräche keineswegs untersagt habe (Jendis, Seite 252). Doch erklärt es irgendwie in keiner Weise die übermäßig sklavische Befindlichkeit des kleinen Flask – von der muss wohl irgendwas aus ihm selber kommen. Und solches, nachdem er noch an Deck seinen Gang zur Tafel geradezu clownesk vorbereitet hat. Präventives Kompensationsverhalten oder was?

Als sei das nicht dicke genug, avanciert er aus lauter Angst, unbotmäßig zu sein (die ihm offenbar auch kein Schwein abverlangt – außer er selber), gar zum vor sich hin hungernden butterless man. Tsss… da lässt uns unser hausheiliger Schreiber so einiges zum Walfischen offen, mein lieber Schwan! Sollte dieses gar an den Anweisungen der noch höheren Obrigkeit liegen, der der gute Flask gleichfalls blind ergeben ist? Ich musste dabei nämlich wieder an die bigotte und zu (Lach-)Tränen rührende Abschiedsrede des alten Bildad in Kapitel 22 denken, wo der so inständig an die moralischen Tugenden und die Sparsamkeit der Männer – auch in Butterfragen – appellierte.

Jajah… und unsere herzerfrischenden frantic Demokraten und edlen Wilden mitsamt ihrer ganzen urwüchsigen Lebensfreude und der Anlage, selbiges auch noch in vollen Zügen genießen zu können, ohne dass hemmende Schranken ihnen was anhaben können? Die fastbeinah schon dem Jedem-nach-seinen-Bedürfnissen-Dingens frönen? Was malträtieren die ihren dienstbar schlotternden Oberkellner so arg? So hätt das ja nich mal der Kommunismus wollen gewollt, glaub ich. Aber hey, es ist Melville, der muss uns das Leben nicht auch noch erklären. Oder wie sagte es Jürgen so schön?

Überhaupt hab ich – ihr wisst ja, wie gern ich spinn – mich während dieses ganzen großen Fressens und vorsichtigen Bissenzählens gefragt, ob es nicht mit dieser Kapitänstafel noch eine andere Bewandtnis hat. Schließlich fängt man doch gleich an, im Kopf Bilder umzublättern mit diversen anderen Tafelungen und bacchantischen Gelagen, die schon seit biblischen Zeiten gern hergezeigt werden – wenn nicht noch viiiel länger. Ihr nicht? Siehstewoll, ich sag doch, ich spinne. Und ‘ne Antwort hab ich auch nicht.

Doch wenn einem bei der Fressorgie der Harpuniere nicht umgehend, nun, kein kannibalisches Festmahl am Südseestrand, doch eine ausgelassen fressende, bechernde und rülpsende Ritterbande des Mittelalters vor Augen steht, dann weiß ich auch nicht. Über deren berühmteste des König Artus, der ja die runde Tafel erfunden haben soll (aus Gründen, die der Ahabschen Ritterrunde wohl zuwidergelaufen wären), heißt es, dass an ihr gespeist, beraten und sich vergnügt wurde. Sie hat vom alten Geoffrey Chaucer über Sir Thomas Malory, Shakespeare, Heine etc. bis Monty Python Generationen von Schreiberlingen inspiriert – warum nicht auch Melville?

Die Runde mit den Jüngern zum letzten Abendmahl mag man vielleicht nicht unbedingt hierher zitieren. Und ob es die heuer allseits beliebten Kapitänsdinner auf Kreuzfahrtschiffen in großer Abendgarderobe und müt lüppenspützendem Büssenzählen damals schon gab, weiß kein Walfänger nich.

Rembrandt van Rijn, Belsazar

Doch wo der Wolf sich schon in so dankenswerter Weise um die Einführung neuer Gestalten verdient gemacht hat, wartet da noch eine mitsamt ihrer schwelgenden Tafelrunde, die bei Melville zur Beschreibung von deren Erhabenheit oder Hoffart herhalten darf. Der erwähnte Belsazar nämlich. Genau genommen gab es derer sogar zwei und er meinte sie beide: der erste, seines Zeichens König von Babylon so um Fünfhundert und paar Zerquetschte vor Christus, muss demnach die Erhabenheit des Tafelvorsitzes zelebriert haben, ist aber langweilig. Der andere war ein Sohn des biblischen Nebukadnezar und das Beispiel für die Hoffart. Denn er entweihte bei einem wilden Festmahl die Gefäße Jehovas, die sein sauberer Vadda aus dem Tempel in Jerusalem geklaut hatte, und ließ sich aus ihnen vollaufen. Woraufhin umgehend eine unheilvolle Flammenschrift an der Wand erschien, die im Suff… öh, Quatsch, weil eine überirdische Unheilverkündung, kein Mensch außer dem Propheten Daniel zu lesen vermochte – das Menetekel.

… Belsazar ward aber in selbiger Nacht
von seinen Knechten umgebracht.

schrieb später Heinrich Heine in seiner Ballade zum Ereignis. Nun, fallllls Herman uns hiermit auch eine – sehr vage – Vorahnung bedeuten wollte, eins ist sicher: Ahabs Ritter und Knappen dürfen ihre Hände in Unschuld waschen – wir wissen ja schon, wer’s war.

Bilder: King Artus: Die Tafelrunde;
Rembrandt Harmenszoon van Rijn: Das Gastmahl des Belsazar, 1635.
Film: Knights of the Round Table, aus: Monty Python and the Holy Grail, 1975.

Written by Wolf

26. January 2009 at 12:10 am

Posted in Steuerfrau Elke

Der arme Dough-Boy

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Jürgen hat Kapitel 34: An der Kajütstafel gelesen (und dazu die passende Musik gehört):

Democracy is two wolves and a lamb voting on what to have for lunch.
Liberty is a well-armed lamb contesting the vote.

Benjamin Franklin

Jürgen Jessebird SchmitteMan könnte sich vorstellen, dass ein “normaler” Leser des Moby-Dick dieses Kapitel liest – und gleich wieder vergisst. Selbst wenn man es liest mit dem festen Vorsatz, etwas darüber zu schreiben, bleibt nicht gleich etwas hängen. Das, was hängenbleibt, ist eigentlich fast schon zu offensichtlich.

Zum Einen werden uns en miniature zwei gegensätzliche Gesellschaftsentwürfe aufgetischt. Da haben wir die bis zur Selbstzerfleischung gezwungen wirkende Tischgesellschaft der Offiziere (das dürfte ein feudales System sein – Sultan und Emire) und die buchstäblich wilde Ungezwungenheit der Harpuniere („frantic democracy“).

Dann ist da noch der arme Flask, der trotz seines gesellschaftlichen Aufstiegs vom Matrosen zum Steuermann in einer blöden Situation steckt: von den „Großen“ ist er der „Kleine“ – und damit der Gekniffene, kommt zuletzt, muss als erster fertig sein mit dem Essen und wird einfach nicht mehr satt…

Warum das so ist? Eine wirklich schlüssige Erklärung bleibt Melville uns schuldig. Eine der Merkwürdigkeiten der „sea-usages“ eben. Vielleicht fühlen sich die Steuerleute unwohl am „ivory-inlaid table“ des Kapitäns, nicht in ihrem Element? Das würde zwar die devote Haltung gegenüber Ahab erklären (der nun auch wahrhaft eine respekteinflößende Person ist, ein „mute, maned sea-lion“), aber nicht die strikte Beachtung der Rangfolge untereinander. Wenige Seiten vorher hat Stubb seinem Untergebenen Flask von einem ziemlich respektlosen Traum über Ahab erzählt – und nun hat Flask darauf zu achten, wann Stubbs Mund leer ist – denn er muss ja vorher fertig sein. So ganz passt das nicht zusammen. Will uns der Autor damit was sagen?

In starkem Kontrast dazu die zweite Tischgesellschaft. Die Harpuniere, „frantic democracy“. Das Essen als sinnliches Erlebnis, ohne lästige Regeln und Schranken. Hier sind alle gleich, jeder frisst, was er kann. Keiner bleibt hungrig. „Edle Wilde“? So scheint es auf den ersten Blick, so stellt man sich das Zusammenleben „solcher“ Menschen doch vor…

Das wäre doch jetzt nachvollziehbar und politically correct: Demokratie vs. Pseudo-Feudalismus. And the winner is… Demokratie (natürlich).

Es gibt aber ein Detail, das mir keine Ruhe lässt. Das ist der Steward, Dough-Boy. Mal ehrlich, so als Durchschnitts-Mitteleuropäer oder was auch immer, jedenfalls ganz entschieden als Nicht-Harpunier: Wo würden Sie lieber das Essen servieren – in der Runde um Ahab oder bei den wilden Kerls? Ahab und die Steuerleute werden Dough-Boy wohl nicht groß beachten, sie lassen ihn seine Arbeit tun. Tashtego, Daggoo & Queequeg dagegen drangsalieren den armen Kerl und werden sogar handgreiflich. Nur zum Spaß sicher – aber Dough-Boys Furcht ist echt.

Dieses kleine Detail ist es, das die ganze idealisierte Darstellung wieder ins rechte, sprich realistische, Licht rückt. Gesellschaftsentwürfe, gleich welcher Ausrichtung, sind eine feine Sache – man sollte darüber aber nicht das wirkliche Leben vergessen. Mancher (wie Flask) lebt nicht gut unter dem einen System, mancher (wie Dough-Boy) leidet unter einem ganz anderen.

Das ist dann der Melville, wie ich ihn mag, nicht dogmatisch, sondern praktisch, mit einem Blick aufs richtige Leben statt auf irgendwelche Ideologien.

The Crew of the Pequod, Dunechaser, 28. Februar 2006

Bild: Dunechaser: The Crew of the Pequod, 28. Februar 2006.
Film: Walt Disney: Ben and Me, 1953: Part 1, Part 2, Part 3.

Written by Wolf

14. January 2009 at 12:10 am

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I’ll Shoot the Sun

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Wolf blickt anhand Kapitel 34: An der Kajütstafel auf 2008 zurück:

I appeal to any white man to say, if ever he entered Logan’s cabin hungry, and he gave him not meat; if ever he came cold and naked, and he clothed him not.

Chief Logan’s Lament 1774, rendered 1782.

Walfischprinzip bedeutet, dass einer durch ein meist sinnbildliches Meer pflügt und das Vorhandene wahllos wie Plankton aufsaugt.

Er sei ein pathologischer Leser, der nach dem Walfischprinzip Unmengen von Seiten in sich hineinsaugt, damit zwei, drei Gedanken hängenbleiben. Er lese überall, auf dem Klo, in der Wanne, im Bett, brauche circa drei Stunden für ein Buch.

Never Sea Land, Boat Babesbeschreibt sich Hans Magnus Enzensberger. Genau so. Und gar nicht so verschieden von dem, was Moby-Dick™ im dritten Jahr — and still counting — treibt. Und noch viel näher an dem, was Herman Melville in der Primärliteratur, dem echten Moby-Dick getan hat: wild brainstormen, aus dem schöpfen, was er zuvor erlebt und gelesen hat, kurz durchkauen und auf Tauglichkeit prüfen, das Beste wieder von sich speien. Man hat schon appetitlichere Bilder fürs Kunstschaffen gefunden, aber der zweite Teil von Reader’s Digest bedeutet verdauen.

2008 war ein Jahr, in dem Menschen meinen Gesichtsradius betraten, denen ich was glaube. You know who you are, folks. Jemand hat mir ein Lied geschenkt. Jemand hat für mich gebastelt, andere haben mir Bilder und Bücher ans Herz gelegt — was soll man mir auch groß schenken, gell — und ein Buddelschiff war dabei, das ich wenigstens endlich mal zusammensetzen könnte. Einer hat sich darum gerissen, uns einen Gastbeitrag zu schreiben. Was die Menschen mir mitteilen wollten, hatte immer mit Literatur, Musik, Seefahrt, deutsch-amerikanischen Interferenzen und liebreizenden Frauen zu tun, sie haben sich Gedanken zu mir gemacht und ich fühlte mich verstanden. Andere konnten mir schlüssig begründen, warum die Rathjen-Übersetzung vielleicht doch besser ist als ihre Bearbeitung, die zur Jendis-Übersetzung wurde: Der schroffe Felsen Rathjen kommt dem Original wohl doch näher denn Jendis’ geschliffene Kiesel. Da waren freundliche Gesichter, ich hab hellen Köpfen zugehört, angenehmen Umgang gepflogen, bin lauter wertvollen Menschen begegnet, und mich wandelt das aberwitzige Bedürfnis an, mich bei jemandem oder etwas dafür zu bedanken, dass ich dergleichen noch erleben darf.

Ahab treffen wir wieder, wie er “soeben die Sonne geschossen” hat — bitte was, Herr Jendis? Soll ein langweiliges taking an observation of the sun ein Vorgriff auf seine Drohung an die Sonne sein: I’d strike the sun if it insulted me? Rat steht bei Rathjen: “soeben die Sonnenhöhe vermessen” — ach so. Der neue Mensch in unserem Gesichtsradius ist der Steward Dough-Boy, der Ahab zum Essen an den Cabin-Table ruft.

Was Melville in weiteren Verlauf aus seinem Seemannswissen serviert, ist ein denkbar tristes Bild von einer Mahlzeit unter Schiffsoffizieren, für die einer den anderen rituell einlädt, obwohl der Steward Teig- oder Blaßkopp, das “Zittern und Zagen” auf zwei Beinen, bestimmt pünktlich anrichtet. Das hätte man den verwegenen Seefahrern Starbuck, Stubb und Flask gar nicht zugetraut, dass sie ausgerechnet für die Zeit der Energiezufuhr zu solchen Mimosen mutieren und so eine “saft- und kraftlose Familienfeier” abziehen. Melville begründet es uns: Das ist so mit den oberen Chargen, “nicht die geringste der Merkwürdigkeiten”. Das will ich mal so glauben, unkorrigierter Neigung nach bin ich ja mehr so der Nichtesser.

In grellem Gegensatz dazu stehen die zweithöchsten Chargen: Die Harpuniere nutzen traditionell als zweite die Kapitänskajüte zum Futtern — und verleihen der Tätigkeit schon allein durch ihre Herangehensweise ungleich mehr Sinn.

Nur, weil es Wilde sind? Wir erinnern uns, dass die drei Vizes der Pequod Melvilles Repertoire der exotischen Völker entstammen: Queequeg einer aus “Kokovoko” in der Südsee, Tashtego ein Indianer, Daggoo der beeindruckendste aller Neger. — Nein, bestimmt auch, weil das die Ersten sind, die körperlich arbeiten: mit den Händen, mit ihren gestählten, wettergegerbten Körpern, und mit dem Kopf noch dazu. Das zehrt.

Und einmal mehr handelt Melville nach dem Prinzip des Walfischs und nimmt die Gelegenheit wahr, für seine Politik zu werben: Der ausgelassene Haufe der ehrbaren edlen Wilden besteht einfach aus den besseren, unverfälschteren, kurz: menschlicheren Leuten, die jede liebe Mahlzeit wieder eine almost frantic democracy feiern, wohingegen der Unterste der Oberen, der dritte Steuermann Flask, schon ein butterless man in einer undankbaren Sandwich-Position war. Daggoo, der Queequeg wohl bald den Rang in Naturwüchsigkeit ablaufen wird, ernährt sich geradezu metaphysisch:

But, doubtless, this noble savage fed strong and drank deep of the abounding element of air; and through his dilated nostrils snuffed in the sublime life of the worlds.

Ihr energisches Treiben ist deshalb die blanke Vitalität; sie steinigen uns mit Essensresten aus jeder weichbirnigen Interpretation.

Chief James Logan, Ohio Historical SocietyDa kreuzt noch ein Neuer unsere Sicht: Chief Logan, entgegen Göskes Daten in allen anderen Quellen nicht 1800, sondern schon 1780 mutmaßlich von seinem Neffen ermordet, außerdem Häuptling nicht der Shawnees, sondern der Mingos (die ihre entfernten Verwandten sind). Dieser leidgeprüfte Märtyrer der Menschlichkeit ernährt sich so trostlos wie nicht einmal die Offiziere der Pequod, die immerhin vom Besten bekommen, wenngleich in etwas trüber Atmosphäre. Logan, hinterbringt uns Melville, saß den Winter über in einer Baumhöhle gefangen und lutschte am Daumen.

Gegen die Not, an sich selbst zu knabbern, um nicht einzugehen, ist Masturbation, mit Verlaub, eine Orgie. Das Kapitel endet mit der übelstmöglichen Vorstellung von Ernährung. Die hat sich Chief Logan nicht ausgesucht, nachdem er zusehen musste, wie seiner hochschwangeren Tochter das Kind aus dem Leib gerissen und skalpiert wurde; man bedarf nach Erlebnissen wie dem Yellow Creek Massacre der Kräftigung, nicht noch mehr Folter. Melville lässt seine Stimme diese historischen Fakten darstellen und dann verhallen, und das klingt mahnend: Indianer, Neger, Südseekannibalen, die 1851 wie heute als unzivilisiert Gehandelten, gewinnen die Runde. Sie sind die Gefolterten, aber die Lebendigen. Wenn sie schon die Fresse kriegen müssen, dann bitte auch was Nahrhaftes, erst bei Logans ultimativer Tristesse ist Schluss.

Essen, Leben, Zusammenleben, Demokratie. Man trifft sich; die Versuche, Abseitiges zu vergesellschaften, funktionieren, der Bauch des Wals verträgt viel Plankton. Was Melville — und wir nach ihm — unternehmen, ist nicht mehr wie üblich, die Handlung aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, sondern eine Perspektive aus verschiedenen Handlungen. Fühlen wir uns, als letzten Klimmzug 2008, dadurch an einen anderen Künstler erinnert, der uns ein politisch Lied singen wollte: Sergej Eisenstein mit seinem Plan, Das Kapital zu verfilmen. Das hätte ein Monument werden können. Was Moby-Dick mit der Umverteilung des Kapitals und Aufhebung der Klassen-, am Ende gar der Rassengesellschaft verbindet, hätte an dieser Stelle schon längst kommen sollen: anhand Jean-Pierre Lefebvre: Die Arbeit des Wals. Red Moby &/or: Das Kapital. Kommt noch, Genossen, kommt noch.

Das waren ein paar Konjunktive zu viel.

Gay Collier, Playboy Centerfold July 1965Ich selbst muss mich nämlich schuldig bekennen, einen tollen Weblog (bei mir heißt das automatisch der Weblog) in die Gosse geritten zu haben. Nicht zur Entlastung, jedoch zur Erklärung vorbringen kann ich nur meine ursprüngliche Idee, in dieses Jungsthema eine weibliche Note zu bringen, worüber ich die Perspektiven verwechselt haben muss: Es ist bestenfalls Beihilfe zur Autoerotik geworden, ja schlimmer noch: keine besonders wirksame. Ich hab versucht, euch meinen Begriff von der einzig wahren Musik, hübschen Mädchen, struppig eloquentem Deutsch und nachlässig verhohlen geklautem Englisch reinzudrücken; das war selbstherrlich und faul von mir. Man schaut eben doch immer nur aus sich heraus, niemals in andere hinein.

Zu dieser Erkenntnis bin ich bei einer Qualitätsschau gelangt, und die gängigsten Suchbegriffe (“Gisele Bündchen”, “Bettie Page Mermaid”, “sexy Zehen”, “hässliche Tiere”, “Lolita”, “Pinguine”) deuten nicht auf hohe Wissenschaftlichkeit; an den Zugriffszahlen hätte ich es nicht bemerken können. Das sagt mir wiederum, dass die Leute zu mir, zu uns stehen. Es ist gut, euch zu haben — euch auf der P.E.Q.U.O.D., euch in der Linkrolle, euch, die ich darin aus schnöder Schnöselei vergessen hab, euch, die ich klandestin im Blick behalte, und euch Underground-Leser, die uns in der Stille der Tiefe umschwimmen. Mal seid ihr ganz nah, mal habt ihr anderweitig zu tun, aber man weiß voneinander und geht sich jetzt schon eine für einen Weblog ganz ansehnliche Spanne nicht verloren. Nur ganz gelegentlich gebt ihr Laut. Es waren ausnahmslos freundliche Meldungen, meistens haben sie uns handfest bereichert. Schön, solche Leser und Fellow Freaks zu haben — wenn Stolz nur nicht so ein albernes Gefühl wäre…

2008 hat mir auch jemand einen Sextanten geschenkt. I’ll shoot the moon for you — das Mindeste, was ich tun kann. Danke fürs Da-Sein, danke für euch — I mean it.

Ist, die Herren Eisenstein, Enzensberger, Göske, Jendis, Lefebvre, Logan, Melville, Rathjen (alphabetisch) und ihr anderen alle, ist Kommunismus Demokratie? Ist er nicht, aber trotzdem etwas vom Volk Geregeltes — wer immer das sein soll. Ist Christentum Kommunismus? Ist es nicht, genuin demokratisch aber auch nicht. Beabsichtigen alle drei wenigstens ihren Theorien nach, dass es allen gut geht und den Menschen ein Wohlgefallen — jedem nach seinen Fähigkeiten und seinen Bedürfnissen? Scheißsuggestivfrage: Ja, das wollen sie.

Na also.

So, und jetzt raus mit uns, Essen fassen, das Bier wird kalt. Alles Gute.

Bilder: Never Sea Land: Boat Babes, 5. Oktober 2007;
Chief Logan, also known as James Logan: The Ohio Historical Society, 1982;
Gay Collier: Playboy Centerfold Miss July 1965 via
If Charlie Parker Was a Gunslinger, There’d Be a Whole Lot of Dead Copycats, 7. April 2007.
Soundtrack: Spillsbury: Die Wahrheit
(“Schon gut — ja, ich weiß jetzt, was du meinst.
Na klar — war doch alles trotzdem gut.
Hau rein — und ich kenn ja dein Gesicht und find dich immer wieder.”),
aus: Raus, 2003.

Written by Wolf

26. December 2008 at 12:01 am

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Nemo contra Moby nisi Ahab ipse

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Elke hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

Oh, Ahab! what shall be grand in thee,
it must needs be plucked at from the skies,
and dived for in the deep,
and featured in the unbodied air!

Kapitel 33, vgl. Jendis, Seite 249.

Elke HegewaldWer wundert sich hier denn noch über die sattsame Verschleppungspraxis eines Melville? Die doch nur den schwindeln machen sollte, der ausschließlich ein knapp und knackig bespanntes Walgerippe von Action-Opus erwartete. Und nicht “drei Bücher in einem […]: eine robuste Abenteuergeschichte, eine naturhistorische und mythologische Abhandlung über den Wal (aus der Perspektive seiner Jäger) und eine moralphilosophische Reflexion über die Natur des Menschen – in Melvilles Sicht ein gefährliches Wesen, beherrscht von unberechenbaren tiefen Leidenschaften, an denen alle optimistischen Utopien zunichte werden müssen”, wie Herr Dieter E. Zimmer es in seinem Beitrag zum Moby-Dick-Übersetzungsstreit (veröffentlicht in “Die Zeit” vom 15.11.2001 und im Schreibheft Nr. 57) so blumig formuliert hat. Der im ersten Teil auch noch ausnehmend gut zu unseren akuten “dämonischen” Faseleien passt.

Demnach oszillieren wir im aktuellen Kapitel wohl gerade zwischen Buch zwei und drei, stehen also voll im Stoff, nicht wahr, meine Herrn? Wobei ich nicht direkt finden kann, dass unser guter Melville bei dieser Konstellation übermäßige Rücksicht auf den Leser nimmt. Aber wollen wir das denn?

AhabWenn ich dann auch mal den hier ausreichend gewürdigten Specksjinder… Specksnyder… Speckschn… na, ihr wisst schon, diesen hochkarätigen Waloffizier, von dem der alte Ahab garantiert besser als wir wusste, was er an ihm, erst recht in Mehrfachausführung, hat, mehr oder weniger längsseits liegen lassen dürfte? Die von Jürgen an dieser Stelle angemerkten Melvilleschen Satzmonster mit erschöpfender Auskunft sind mir, glaub ich, zum ersten Mal so richtig um Weihnachten (Chapter 22) und beim schaumgewordenen Bulkington bewusst geworden.

Ich versuche ja auch immer, für mich herauszuzotteln, was unser hochverehrter Autor nun gerade mit diesem Kapitel bezwecket, das den Wal wieder mal noch friedlich und weit in der Ferne blasen lässt. Denn in der oben zitierten büchernden Dreifaltigkeit hat natürlich ein jedes von ihnen seinen tiefen Sinn – denk ich mal.

Und natürlich geht es auch hier um Ahab und sogar die ehrenwerten Harpuniere halten letztlich dazu her, den Schleier um sein finsteres Wesen wieder ein bisschen zu lupfen. Und mir kommt es so vor, als ließe bei dero ganzer Loyalität gegenüber seinen besten Männern (so sie denn bedingungslos gehorchen) doch zum ersten Mal im bisherigen Verlauf – und im halbwegs vagen Ausblick, versteht sich – die langmütige Unterschwellensympathie seitens Mr. Melville für seine Ahabsche Heldenschöpfung ein Stückchen nach. Wenn man das mal so sagen darf.

Der Wolf hat so ein schönes eingängiges Bild gebraucht: das Nah- und Fern-Zoomen dieser Kapitänsgestalt vom Individuum zum verallgemeinert passierenden Phänomen. Und aus dem schwermütigen Vorgesetzten auf einem schwankenden Schiff im großen Ozean, der die seefahrerischen Gepflogenheiten einhält, wird ein (maskierter) Diktator in seinem Reich uneingeschränkter Macht, und ein besessener mit dämonischer Ausstrahlung dazu.

Zar Nikolaus I.Der Goethe-Bezug ist recht offensichtlich und wahrscheinlich, und von “jene[m] kleine[n] Bröckchen Latein, das da lautet: “Nemo contra Deum nisi Deus ipse”, das Melville selbst späterhin im Pierre wörtlich so zitiert, bis zum Vergleich mit dem eisernen und bis ins Mark despotischen Zaren Nikolaus: “Unterwerft euch, ihr Völker, denn Gott ist mit uns” — ist es dann nur noch ein Schritt. Dessen ach so berühmtes “Manifest an die europäischen Völker”, das er anlässlich der ’48er Revolution offenbar eigenmächtig im Namen der von ihm höchstselbst wiederbelebten Heiligen Allianz verkündete, war leider nicht aufzufinden, so dass ich euch auf eine Sekundärquelle (mit Anmarkerungen) verweisen muss.

Übrigens treten Melvilles dämonisch transzendetalistische Anklänge hier nicht zum ersten Mal herfür. Erinnert ihr euch zet Be an den Text und den Shakespearischen Anmerkungskram zu Kapitel 26 um die (mangelnde) Seelenstärke des armen tapferen Knappen Starbuck im Dunstkreis seines Ritters:

… brave as he might be, it was that sort of bravery, chiefly visible in some intrepid men, which, while generally abiding firm in the conflict with seas, or winds, or whales, or any of the ordinary irrational horrors of the world, yet cannot withstand those more terrific, because more spiritual terrors, which sometimes menace you from the concentrating brow of an enraged and mighty man.

Kapitel 26, vgl. Jendis/Göske, Seite 201 f., 951.

So, und zu guter Letzt verrat ich euch noch, wie ich auf den im aktuellen Kapitel frisch anwachsenden Negativ-Touch durch Mr. Melville kömm, was seinen dämoischen Käpt’n angeht. Denn dazu musste mir einfach Kapitel 16 einfallen, wo ich in der Besprechung der herzwarmen Brandrede des alten Peleg auf den guten Menschen Ahab doch selber schon die zwei Seelen herbeiverglichen hab, die der Goethe seinem Faustus eingepflanzt. Es gibt davor eine Stelle, in der Ismael über die Waljäger-Quäker von Nantucket philosophastert und explizit da eigentlich nur den Ahab meinen kann. Und die sowohl die siebzehn Kapitel weiter herbeizitierte “Dichtung und Wahrheit” wie auch die Melvilleschen Anlehnungen geradezu erschauernd und verfinstert wiederfindet:

So that there are instances among them of men, who, named with Scripture names–a singularly common fashion on the island–and in childhood naturally imbibing the stately dramatic thee and thou of the Quaker idiom; still, from the audacious, daring, and boundless adventure of their subsequent lives, strangely blend with these unoutgrown peculiarities, a thousand bold dashes of character, not unworthy a Scandinavian sea-king, or a poetical Pagan Roman. And when these things unite in a man of greatly superior natural force, with a globular brain and a ponderous heart; who has also by the stillness and seclusion of many long night-watches in the remotest waters, and beneath constellations never seen here at the north, been led to think untraditionally and independently; receiving all nature’s sweet or savage impressions fresh from her own virgin voluntary and confiding breast, and thereby chiefly, but with some help from accidental advantages, to learn a bold and nervous lofty language–that man makes one in a whole nation’s census–a mighty pageant creature, formed for noble tragedies. Nor will it at all detract from him, dramatically regarded, if either by birth or other circumstances, he have what seems a half wilful overruling morbidness at the bottom of his nature. For all men tragically great are made so through a certain morbidness. Be sure of this, O young ambition, all mortal greatness is but disease.“

Kapitel 16, vgl. Jendis, Seite 139 f.

Und nun sage noch einer, dass da nicht Abkühlung zum 33. Kapitel hin als Gänsehaut den Rücken runterläuft. Oder? War ja auch Zeit, schon aus Rücksicht auf den Leser, nä.

Bilder: Captain Ahab: Be Awesome, 26. Februar 2008;
Zar Nikolaus I.: WDR;
Lied: AC/DC: Highway to Hell, aus: Highway to Hell, 1979.

Written by Wolf

11. November 2008 at 4:22 am

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Der Zar dankt ab

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Jürgen hat da zum 9. November noch ein Update zu Kapitel 33:

Jürgen Jessebird SchmitteÜbersetzungen des Moby-Dick ins Deutsche gibt es einige. Das eröffnet dem begeisterten Leser einiges an Möglichkeiten:

Erstens – er kann sammeln. Immer eine feine Sache. So eine Reihe Moby-Dicks im Regal machen was her.

Zweitens – er kann die verschiedenen Ausgaben vergleichen, um vielleicht den einen oder anderen Lapsus zu entdecken. Und bei Kapitel 33 wird er dann tatsächlich fündig.

Eine der Übersetzungen (und nicht die schlechteste) ist die von Alice und Hans Seiffert, gegenwärtig lieferbar im Insel-Verlag als Taschenbuch [Anm. der Büchersüchtel: Das war auch die Übersetzung für Reclam und Aufbau.] In Kapitel 33 lässt sie allerdings den Hinweis auf Zar Nikolaus ganz und gar weg. Das fällt natürlich nur auf, wenn man Original und Übersetzung vergleicht.

Original: „But when, as in the case of Nicholas the Czar, the ringed crown of geographical empire encircles an imperial brain; then, the plebeian herds crouch abased before the tremendous centralization.“

Übersetzung: „Schmückt aber die Krone weltlicher Herrschaft ein wahrhaft kaiserliches Haupt, dann neigen sich die Völker in Demut vor dem Einen, Gewaltigen, der alle Größe in sich vereint.“

Nun wundert man sich. Warum nur? Hielten die Seifferts die Anspielung für unwichtig? Oder unverständlich? Tatsächlich ist sie ja heutigen Lesern nicht ohne weiteres zugänglich (darum gibt es ja die Anmerkungen in der Jendis-Ausgabe). Seltsam. Erst heute morgen unter der Dusche kam mir eine Eingebung, die eigentlich ganz klar hätte sein sollen. Der Blick ins Impressum bestätigte den Verdacht: Copyright Sammlung Dieterich Verlagsgesellschaft: Leipzig, 1956,1992.

Politik. Sozialismus. DDR. Und darum wohl kein Hinweis auf einen russischen Zaren, der als absolutistischer Tyrann in die Geschichte einging. Interessanterweise findet sich im Buch selbst kein Hinweis auf diesen Umstand.

Film: Tagesthemen vom 9. November 1989.

Written by Wolf

9. November 2008 at 11:44 am

Posted in Steuermann Jürgen

One for the punctilious externals of the quarter-deck

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Jürgen hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

Are you trying to insinuate something?

Monty Python’s Flying Circus: Nudge Nudge, 1969.

Jürgen Jessebird SchmitteGeht das nur mir so, oder ist Kapitel 33 schwer zu fassen? Ich könnte mir vorstellen, dass der „normale“ Leser einfach drüberfliegt – und sich keine weiteren Gedanken mehr macht. Das kann ich ihm nicht übelnehmen.

Was soll das also? Inhaltlich bringt es ja nicht viel – der „Specksynder“ ist ein schon zu Melvilles Zeiten nicht mehr gebräuchlicher Begriff, anders ist es ja nicht zu erklären, dass die Fehlschreibung in Melvilles Quelle es ins Buch geschafft hat. Und zur Erklärung der Tatsache, dass die Harpuniere in der gleichen Kabine essen wie Ahab, hätte ein Halbsatz zu Beginn des nächsten Kapitels auch gereicht.

Aber mit Halbsätzen gibt sich Melville ja nicht ab. Im Gegenteil. Lesen Sie mal das hier:

Though the long period of a Southern whaling voyage (by far the longest of all voyages now or ever made by man), the peculiar perils of it, and the community of interest prevailing among a company, all of whom, high or low, depend for their profits, not upon fixed wages, but upon their common luck, together with their common vigilance, intrepidity, and hard work; though all these things do in some cases tend to beget a less rigorous discipline than in merchantmen generally; yet, never mind how much like an old Mesopotamian family these whalemen may, in some primitive instances, live together; for all that, the punctilious externals, at least, of the quarter-deck are seldom materially relaxed, and in no instance done away.

Und jetzt lesen Sie’s nochmal und achten auf Interpunktion. Das ist nur ein Satz – ein Satzungetüm, bei dem einem schwindelig werden kann. Und genau das ist der Eindruck, den Kapitel 33 bei mir hinterlässt – schwindelig wird einem davon.

Neben solchen Satzmonstern finden sich darin auch sprachliche Perlen wie diese:

…that in some royal instances even to idiot imbecility they have imparted potency.

Wenn Sie mich fragen: dieses Kapitel ist reine Aufschneiderei – hier zeigt Melville, was er schreiben könnte, wenn er nicht so viel Rücksicht auf seine Leser nähme.

Das scheint ihm auch selbst bewusst – die Anspielung auf Ahabs tyrannische Natur hat er so gut versteckt, dass er lieber nochmal darauf hinweist:

Nor (…) ever forget a hint (…) as the one now alluded to.

Harpooneer. A Dead Whale or a Stove Boat, by cmiper, 26. Januar 2008Der einzige „hint“, den ich finde, ist der mit dem Zaren Nikolaus – der laut Anmerkung von Herrn Göske in der Jendis-Übersetzung „ein damals notorisches Beispiel für absolutistische Tyrannei“ war. In Nikolaus verbinden sich „intellectual superiority“ und „the ringed crown of geographical empire“ — also geistige und weltliche Überlegenheit. Eben genau wie bei Ahab.

Hat der Leser das Kapitel also drei- oder viermal gründlich gelesen, dann ahnt er: Da kommt nix Gutes auf uns zu.

Ganz zum Schluss aber doch noch ein bisschen Ehrenrettung für Ahab, da wird Melville auch wieder weniger anspielungsreich. Ahab hat er in einen Kontext mit Königen und Kaisern gestellt, dabei hat der Arme weder Krone noch einen schicken Purpurmantel. Statt dessen muss alles, was Großes an ihm sein soll „be plucked at from the skies, and dived for in the deep, and featured in the unbodied air!“

So schlecht klingt das doch gar nicht: keine weltlichen Zutaten zu seiner Herrschaft, eben keine Krone und kein Zepter, sondern eine Größe, die ohne derartigen Firlefanz auskommt, die sich aus den Elementen selbst ergibt… Ob diese Größe dann zum Guten oder zum Schlechten sich wenden wird, das werden wir sehen (und darüber diskutieren). Aber ein Großer ist er allemal, unser Ahab!

Bild: Harpooneer by cmiper, 26. Januar 2008.
Film: Nudge Nudge, from: Monty Pathon’s Flying Circus, series 1, episode 3: How to Recognise Different Types of Trees From Quite a Long Way Away, 14 September, 19 October 1969, as performed in And Now for Something Completely Different, 1971.

Written by Wolf

4. November 2008 at 12:01 am

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Ahab via Goethe

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Wolf hat Kapitel 33: Der Specksijnder gelesen:

»Je höher ein Mensch,« sagte Goethe, »desto mehr steht er unter dem Einfluß der Dämonen, und er muß nur immer aufpassen, daß sein leitender Wille nicht auf Abwege gerathe.«

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe, 24. März 1829

This seems as good a place as any to set down noch einen Taktschlag Verzögerung, damit nur ja keine Spannung aufkommt. Einer erschöpfenden Darstellung der Wale folgt jetzt eine ebensolche der operations of the whaling ship and its hierarchy, framing the role of the harpooner or Specksynder in comparison with the rest of the crew (GradeSaver), oder wie? Nun, es hat niemand versprochen, dass es ein Hollywoodfilmchen wird, die immer das Beste dem “Tempo” opfern.

Der Schreibfehler in der Überschrift ist nicht (von mir und auch nicht) von Melville, sondern von William Scoresby, und von dem wahrscheinlich — man korrigiere mich bitte — aus dem work urging the prosecution of the search for the Franklin expedition and giving the results of his own experience in Arctic navigation. Man liest ihn sich immer automatisch zurecht, will also aus seinen intuitiven Niederdeutschkenntnissen heraus partout Specksnyder da stehen haben; meine alte Seiffert-Übersetzung hat das noch stillschweigend dahin korrigiert.

Oft sind es allein die Setzer, die dem Text den verwirrenden Opalglanz geben, den der Schriftsteller aus eigenem ihm nicht zu geben vermocht hatte. Klagen wir nicht über Druckfehler. Man weiß nicht, wodurch man tief wird.

Alfred Polgar

Was ein Specksynder oder -snyder Seemannsromantisches macht, schenk ich euch, auch den Anklang ans verflossene Kapitel 24: The Advocate, in dem abermals betont werden muss, was Walfänger für Pioniere sind. Interessant find ich’s ab der Stelle, wo der Lobgesang auf die Harpuniere auf Ahab zufährt, ihn fixiert, nicht mehr loslässt und Allgemeinmenschliches über ihn herausfindet. Von einer Betrachtung zu einem Sonderfall zu zoomen und von dem aus wieder weg in die Welt, das ist sehr groß. Deduktion und Induktion in einem weiten, souveränen Ausguck.

Ahab der schwermütige Kapitän ist demnach nicht nur ein Mensch von großer natürlicher Autorität, sondern — wie wir Vorausleser und Filmgucker schon wissen — ein Besessener, und dazu einer, der wenig Wert auf Äußerlichkeiten legt. Läuft wie alle anderen auch in Schifferklamotten herum — was seinen meisten bildlichen Darstellungen widerspricht –, lässt den Mannschaftsgraden die vollständige Bekleidung, wenn sie das Kapitänsrevier Achterdeck betreten wollen, statt sie an ihre Demut zu gemahnen — Gehorsam wird vorausgesetzt; Hauptsache, der Laden läuft. Klingt eigentlich vernünftig bis professionell. Wenn nicht die böse Obsession doch stärker wäre.

Sultanismus, lernen wir, ist nach “Specksynder” schon Melvilles zweite Wortneuschöpfung innerhalb drei Seiten, diesmal eine, die sich verselbständigt hat. Man soll ja nicht immer so ausschließlich an Wikipedia hängen, aber wenn im einschlägigen Artikel darüber die Herkunft von Melville nicht mehr erwähnt wird, kann er gerade deswegen stolz darauf sein. Archäologischer Teil: Der von Daniel Göske erwähnte Eintrag des Wortes im Oxford English Dictionary heißt:

Sultanism (sɒ•ltāniz’m). [f. Sultan sb. + -ism.] Rule like that of a sultan ; absolute government ; despotism, tyranny.
1821 New Monthly Mag. 11.354 Our admiration of chivalry and sultanism. 1851 H. Melville Whale xxxiii. 161 That certain sultanism of his brain, which had otherwise in a good degree remained unmanifested. 1869 Seeley Ess. & Lect. (1870) 88 Asiatic sultanism was set up, and all public functions fell into the hands of military officials. 1884Short Hist. Nap. I (1886) iii. § 4. 113 The rising sultanism [of Napoleon in 1804].

Sultanismus und Obsession — bei Ahab, wird unterstellt, geht der eine in die andere über. Das können wir Leser glauben oder nicht, plausibel finden oder nicht. Wenn wir es so hinnehmen, hilft das immerhin dem Fortgang der Geschichte (und den wünschen wir ja langsam…). Jedenfalls wirkt Ahab damit schon weit weniger professionell als mit seiner Orientierung auf die Sache. Es müsste nämlich die Sache des Walfangs sein. Und Melville macht uns in seinem Ausblick auf die Welt, dem induktiven Wegzoomen, mit Ahabs Veranlagung zum einsamen Diktator vertraut.

Und ab hier wird er dämonisch. Es fällt nicht gleich auf, so ohne richtig tiefes Vorwissen — oder dem interessierten Blick in Göskes Anmerkungen, aber es ist überzeugend, wie sich Ahabs Zwangscharakter und diktatorisches bis dämonisches Gemüt aus der deutschesten aller Quellen begründen: von Goethe her. Hätte ich nie geglaubt, allenfalls für einen Gelehrtenscherz über böse Deutsche beim Hitlerausbrüten gehalten, aber es ist schlüssig hergeleitet: Goethes Bekanntheit unter Transzendentalisten, allen voran Emerson und De Quinceys Suspiria de Profundis. Daher konnte Melville die Eckermann-Gespräche kennen — und Dichtung und Wahrheit:

Obgleich jenes Dämonische sich in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, ja bei den Tieren sich aufs merkwürdigste ausspricht; so steht es vorzüglich mit dem Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung, wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht, so daß man die eine für den Zettel, die andere für den Einschlag könnte gelten lassen. Für die Phänomene, welche hiedurch hervorgebracht werden, gibt es unzählige Namen: denn alle Philosophien und Religionen haben prosaisch und poetisch dieses Rätsel zu lösen und die Sache schließlich abzutun gesucht, welches ihnen noch fernerhin unbenommen bleibe. Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgend einem Menschen überwiegend hervortritt. Während meines Lebensganges habe ich mehrere teils in der Nähe, teils in der Ferne beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche Gewalt über alle Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wie weit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen, und sie sind durch nichts zu überwinden, als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra deum nisi deus ipse.

Goethe: Dichtung und Wahrheit, Vierter Teil, Zwanzigstes Buch

Das ist gruselig schön in einem Kontext, um eine Ecke herum und in einem Ausmaß, in dem man’s nicht erwartet hätte: Ahab spielt sein zwanghaftes Schiffeversenken aus einer tiefdeutschen Seelenlage heraus, die über den Transzendentalismus nach Amerika gelangt ist. Selbst wenn das alles der hellgelbe Galimathias ist, möchte man es mal gedacht haben.

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Elke macht sich jetzt über die Stelle mit Zar Nikolaus her, wie ich vermute? Und Jürgen über Ahabs Ehrenrettung? Und Stephan über die Umweltaspekte? Und Christian vielleicht auch mal wieder was? Wenn jemand Emersons erwähnte “Vorträge zur Dämonologie” um 1840 mit Zitaten aus Dichtung und Wahrheit findet, wär ich überhaupt nicht böse…

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Liebenswerter Galimathias zum ganztägigen Mitsingen (“Únd eine hálbautomátische Wáffe ist ímmer dabéi” — erwischen Sie den Takt?): Element of Crime: Ein Hotdog unten am Hafen aus: Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe, 2008.

Written by Wolf

29. October 2008 at 1:16 pm

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Leben und Sein in absteigender Größe

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Elke hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Already we are boldly launched upon the deep; but soon
we shall be lost in its unshored, harborless immensities.

Chapter XXXII, beginning.

Elke HegewaldOh je, wie in diesem Kapitel den Anfang (oder das Ende?) des roten Fadens zu fassen kriegen? Ach was, ich halt mich einfach mal an die Zeitreisen in die Frühkindlichkeit, die hier grad so im Schwange sind.

Und segele in der Zopfliesenzeit los. Von Walen wusste ich damals noch nicht viel, kannte aus dem artenreichen Gewimmel eigentlich nur zwei Exemplare, deren Gegensätzlichkeit ein kleines Mädchen mehr verstörte als man denkt: das eine ein prall aufgeblasenes und verschmitzt grinsendes Spielzeugvieh, das andere riesengroß, tot und als präparierte Volksattraktion auf dem Marktplatz der heimatlichen Kleinstadt tief im Binnenland aufgebahrt – ein ebenso traumatisches wie tränenschwimmendes Erlebnis. Der Moby und die Melvillesche Cetologie kamen später. Zwar anders gelesen als heut, aber auch letztere durchaus mit glühenden Wangen, was nicht verwundert, wenn einer weiß, dass man auch noch in den Wirren der Pubertät mit seinem Opa die Begeisterung für Sielmann– und Grzimek-Serien teilte.

Wassersäugetiere, Ravensburger VerlagDas alles ist lange her und damals war nicht zu ahnen, dass ich heute mit ein paar ausgewachsenen Kerlen, nerdig verrückten Moby-Jägern, durch diese Bibliothek voller Wale im Folio-, Oktav- und Duodezformat schwimmen und in den Wellen der Allegoritäten eines Mr. Melville schlingern sollte. Was nebenbei gesagt immer noch und immer wieder einen Höllenspaß macht.

Hossa, als wäre man nicht gerade in eine mittelschwere Euphorie geraten, wo, retardiert bis an den Rand des Erträglichen, endlich der weiße Wal und damit der Plan dem finsteren Maule Ahabs entfleuchte. Nein, da lässt dieser Melville auch noch gleich ganze Schwärme von Cetacea in allen Größen auf einen los. Aber wie Steuermann Jürgen schon sehr treffend zu bemerken geruhte: Man will ja nicht meckern; schließlich sind wir lange genug und voller Spannung auf sie zugesegelt, die großangelegte Systematik und Klassifizierung der Leviathane. Die heftigst aus dem geradlinigen Handlungsfluss mäandert und den Rahmen jedes gängigen Romans nebst dessen literarischen Regeln sprengt.

Und jetzt? Wo wir bei ihr angekommen sind? – da ist es auf einmal gar keine. Keine richtige jedenfalls.

Oder doch? Nun, wenn man bedenkt, dass die ganze Walkunde bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine, wie Herr Göske nachwörtelnd palavert, “höchst spekulative ‘Wissenschaft’” war (Seite 954), hat unser guter Moby-Vadder mit seiner Cetologie durchaus einen bemerkenswerten Vorlauf vorzuweisen. Denn erst die Antarktis-Expedition der Discovery mit dem Auftrag, „so weit wie möglich die Natur, den Zustand und die Ausdehnung des Gebietes der südpolaren Lande festzustellen, das in den Bereich Ihrer Expedition fällt“, und der Anweisung, dass „keines dieser Ziele dem anderen geopfert werden darf“ (Ann Savour: The Voyages of the Discovery, via Wiki), steuerte auch walisch Erhellendes bei.

Doch wie seriös und wissenschaftlich im zoologischen Sinne will wohl etwas sein, das dieses Walgewimmel zuvörderst gleich mal als drei Buchformate in absteigender Größe sortiert? Wenn da nicht einer dahintersteckt, der lieber Schreiberling und Künstler und metaphernder Philosoph ist, der durch Bibliotheken schwimmt, denn ein auf hoher See praktizierender Waljäger, dann weiß ich auch nicht. Obwohl er ja die Walfängerei wenigstens in seiner Jugend auch betrieben hat und somit ein Reservoir einschlägiger Erfahrungen glaubhaft zelebrieren darf. Doch nicht umsonst legt er Wert darauf, ausdrücklich zu betonen: “I am the architect, not the builder” (Jendis, Seite 229). Und erwirbt damit den Spielraum zu künstlerischer Freiheit und verschmitzt spottender Mutwilligkeit.

Pottwal BrehmDenn was tut er denn fortwährend? Nicht weniger, als dass er mit populär- bis pseudowissenschaftlichen Schnurren und stellenweise geradezu verspielt wie ein Lausbub wider Logik und besseres Wissen argumentiert und so die Ernsthaftigkeit seiner hochwissenschaftlichen Einteilung oft umgehend wieder aufhebt und in Frage stellt. Was sollen wir sonst von seiner augenzwinkernden “Definition” der Wale – “Ein Wal ist ein blasender Fisch mit einem waagerechten Schwanz” – halten, die die sorgfältige Linnésche Charakterisierung mit einer Handbewegung und der Volksmeinung der Walkumpel aus Nantucket (Jendis, Seite 230) vom Tisch fegt? Oder von der Krönung des Pottwals zum König und ohne Zweifel majestätischsten und größten Bewohner des Globus (Jendis, Seite 232) – wo er doch weiß, dass der Grönlandwal dem darin nicht nachsteht, und auch den Blauwal (der bei ihm als vager Geselle und Schwefelbauch unter den Folios geführt wird) kennt? Oder gar der spitzbübischen These vom Nutzen eines narwalenen Horns als Falzbein fürs Zeitschriftenlesen?

Die Absolution für derartige Willkür und Verspottung wissenschaftlicher Systeme (und philosophischer gleich mit) erteilt er sich selbst:

I promise nothing complete; because any human thing supposed to be complete, must for that very reason infallibly be faulty. I shall not pretend to a minute anatomical description of the various species, or–in this place at least–to much of any description. My object here is simply to project the draught of a systematization of cetology.

(Vgl. Jendis, Seite 229)

Da ist er wieder, der Architekt, nicht der präzise zimmernde Handwerker: Alles fließt, alles Entwurf. So einer darf sich Selbstreflexion rausnehmen und seiner Fantasie freien Lauf lassen… mit vorgeblich festgezurrten Fakten spielen. Und sie zum eigenen Zwecke gar umwerfen.

Denn hinter alledem ist – wie wir es von Herrn Melville längst sattsam kennen – durchaus die Ernsthaftigkeit seines eigentlichen Anliegens zu erahnen und zu deuten. Und ich meine, dass da unser hochverehrter Gastautor Sascha Recht hat: Es geht am Ende um nicht mehr und nicht weniger als um Erkenntnis, um Erwerb von Wissen, dessen Wertung, Relativität und immerwährende Unvollkommenheit. Und wohl auch darum, welche Rolle menschliche Erfahrungen und Prägungen dabei spielen, welche die eigene Sicht und Handhabung der Dinge – ein weites Feld für Philosophastereien. Und ein beständig zu bestellender Acker für die schöpferischen Geister dieser Welt.

Und es wäre nicht Melville, wenn er nicht stilsicher genau da, genau bei dem Fazit der Unvollendung landete, das seinen “Whale of a Book”, sein “Book of a Whale” ausmacht – oder?:

For small erections may be finished by their first architects; grand ones, true ones, ever leave the copestone to posterity. God keep me from ever completing anything. This whole book is but a draught–nay, but the draught of a draught.

* * *

Hmm… auch wenn das jetzt nach einem runden Ende klingt, waren es wohl nur ein paar rausgepickte Rosinchen aus dem Wal-Pott – oder doch eher tote Fliegen? Ihr wisst ja, dieses verflixte Ende vom roten Faden. Außerdem haben die Jungs sowieso schon fast alles selber brillant referiert. Aber zwei tote Fliegen… öh, Fragen hab ich dann doch noch ceta-zehig einzuwerfen.

Die erste fliegt zum Wolfe und den Walrossen der Jendis respektive Rathjen: Ist nicht das Jendis’sche amphibisch “leben” korrekter als das amphibisch “sein” vom Rathjen? – wo doch wie der Wal kein Fisch das Walross selber auch keine Amphibie, sondern definitiv ein (see)hundeartiges Raub(säuge)getier ist?

Die zweite ist womöglich eine der Unvollkommenheit – von wem auch immer: Wer ist – und warum – eigentlich auf die Idee gekommen, dass der Ich-Erzähler in der Cetologie Ismael sein soll? Weil er das bis jetzt immer war? Weil er mit seinen “Händen Wale berührt” hat? Weil der Melville gefälligst in seinem eigenen Roman nix verloren hat? – Tsss, der Ismael hat als Frischling noch keinem Wal nicht ins lebendige Auge geschaut, geschweige denn einen angegrabbelt. Aber der Göske faselt nachwörtlich immerzu von Ismael. Hä? Und erfuhren wir jemals zwischen erstem und einunddreißigstem Kapitel davon, dass dieses blasse Hilfsschulmeisterlein von Ismael seine Jungfernfahrt auf dem Walfänger verbüchern wollte, und sei es als Entwurf zu einem Entwurf?

Nie war der Moby-Papa gegenwärtiger. Yeah, er hat sich selber mit entworfen, wenn ihr mich fragt. Aber wer fragt mich schon?

So, und wer meinen Sermon bis hierher ohne Schaden an Leib und Seele überlebt hat, der kriegt zur Belohnung noch den unbekannten Moby Dick Whaling Song aufs Ohr: ein Amateur, inspiriert vom Huston-Filmklassiker, etwas dilettantisch aber hoffnungsvoll, wenn ihr mich fragt. Aber das hatten wir ja gerade…

Bilder: Wassersäugetiere-Quiz: Ravensburger Verlag;
Pottwal: Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere, Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage, Kolorirte Ausgabe, Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883, Seite 7: gemeinfrei.

Captainseits empfohlener Link: der zum Verband deutscher Antiquare e.V.

Written by Wolf

11. October 2008 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Sapir, Whorf, Bernstein, Jean Paul, Scoresby, Hakluyt, Poe, Linné und Gott (und Uma Thurman)

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Wolf hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Rockwell Kent, Chapter XXXII, Cetology. Many are the men, small and great, old and new, landsmen and seamen, who have at large or in little, written of the whale. Plattsburgh State Art Museum

Ab hier ist Pottwal. Form follows function nicht — sie geht ihr voraus, um sie zu stiften, deswegen haben wir es auch nicht mit Gebrauchsdesign zu tun, sondern mit Kunst. Und was für welcher: Lies das deiner siebenjährigen Tochter als Gutenachtgeschichte vor, und sie schwimmt den Rest der Nacht in Tränen, und zwar nicht aus Angst vor dem Moby, sondern vor dem Melville.

Übertrieben? Von mir aus. Bei meinem Moby-Dick-Erstversuch als nicht Sieben-, aber so um Vierzehnjähriger muss mich diese Cetologie ziemlich mitgenommen haben. Natürlich hab ich heimlich gelesen, nachts, nachdem der elterliche Fernseher verstummt war, und dann sowas. Eine lang und breit angekündigte Systematik der Meeresungetüme — auf wissenschaftliche Art — die Viecher gab’s also wirklich! Mit abseitigen Fremdwörtern belegt, mit abstrusen Attributen ausgestattet (ein Wal mit einem Horn auf der Nase, mit dem er vielleicht ich weiß nicht was angreift und aufspießt, vielleicht auch “nur” den Meeresgrund nach Nahrung umpflügt oder Polareis aufbricht!), in eine Ordnung unterteilt wie der Bestand einer Bibliothek, von der man nur noch nichts geahnt hatte! Ein geradezu abgeschlossenes Werk zur Meeresbiologie mitten in einen Roman geflickt, ohne Handlung, aber spannender als der traurige Rest der gesamten (mir) bis dahin bekannten Weltliteratur, ein Rätselwerk, ein Unding — ja, darf der das?

Man liest nie wieder so verständig und so durstig wie mit vierzehn, dass ich am nächsten Tag in die Schule musste, focht mich wenig an. Meine Lehrer konnten mir in der folgenden Woche wohl nicht viel Neues beibringen. Ich hatte vorerst genug gelernt, nämlich dass man, um sich einprägsam zu äußern, aus vorgegebenen Rahmen ausbüchsen muss. Ohne es schon so formulieren zu können, wusste ich um die Kunst, die Regeln bricht und Erwartungen enttäuscht. Das war nahe an der Revolution.

Die Vorbildreihe geht: So ziemlich alle Schreiber orientieren sich an Poe, der hat das meiste Moderne an der Literatur erfunden, eingeführt, ausgebaut, definiert. Poe, man staune, orientierte sich an E.T.A. Hoffmann, doch, wirklich, es gab englische Übersetzungen, und sie waren in Amerika zugänglich. Hoffmann wiederum hielt viel von Jean Paul, auch so ein ungebärdiger Treibauf von Stilist. Und der hatte sich dauerhaft in Laurence Sterne verguckt, vor allem in eins der ungebärdigsten Bücher überhaupt, den Tristram Shandy. Damit führt die Reihe zurück in die Anglistik, das Faszinierende an ihr ist ja schon, dass sie überhaupt zwei Glieder lang in der Germanistik war. Poe, Hoffmann, Jean Paul, Sterne. Allesamt Hausheilige von mir, allesamt kein obligatorischer Schulstoff, sondern auf dem Zweig der Literaturgeschichte, der ins Vergessen wippt und kippt.

Jean Paul, ziemlich weit oben in der Vorbildreihe für einen, den Reich-Ranicki heute ausdrücklich aus dem deutschen Literaturkanon ausnimmt, hat es nicht zu einem so langlebigen — sagen wir ruhig dieses eine Mal: Kultbuch wie Moby-Dick gebracht. Nicht vergessen wie Melville hat er seine Karriere durch Ableben beendet, sondern als Bestsellerproduzent, nur leicht belächelt für seine schmalzigen Stellen. Gut, seine Backsteine neigen zum Melodram, aber nicht in der Hauptsache. Mich erinnern sie sogar an Moby-Dick in ihrer fröhlich vorsätzlichen Missachtung aller Romantheorien, und da natürlich vor allem an diese Zumutung von retardierendem Moment in Kapitel 32. Alles voller freier Assoziationen aus einer angelesenen und zusammengelebten, aber enzyklopädischen Bildung, das einzige, was keine Sau interessiert, ist die Grenze zwischen Gaudium und Wissenschaft. Dann noch Jean Pauls gesucht schrullige Romanunterteilungen in “Sektoren“, “Hundsposttage” oder “Jobelperioden“, daneben Melvilles Begründung der Cetologie anhand bücherförmiger Wale, die sich zum Wal qualifizieren, indem sie blasen und einen querstehenden Schwanz haben, nicht aber in Flussmündungen wohnen — überhaupt die Parallelen von allem und jedem zu staubschichtiger Stubengelahrtheit unter lauter alten Büchern, angefangen von Jean Pauls Erstling Schulmeisterlein Wutz neben Melvilles Moby-Dick-Prolog mit dem “blassen Hilfsschulmeister” und dem BUCH II (Oktavo), Kapitel III (Narwal, das heißt: Nasenwal), der mit seinem Horn wahrscheinlich Flugschriften falzt — da fällt doch nicht nur mir was auf?

Der Walbulle im Karpfenteich der Romanliteratur, sagt Daniel Göske zu Anfang seines Nachworts, und welche Stelle sollte ein Buch wohl wirksamer dazu qualifizieren als diese seemännische Cetologie, Jean Paul kriegen wir bestimmt später noch mal.

Wer erzählt uns das alles? Ismael natürlich, den Großmacht Herman Melville vor sich herschiebt. Jürgen hat dazu zielsicher den aufschlussreichsten Satz aus dem Kapitel gefischt: “I have swam through libraries and sailed through oceans” — was übrigens beim Ehepaar Seiffert 1956 heißt: “Doch ich habe in der Weisheit der Bibliotheken gebadet und bin auf Ozeanen gesegelt, ich habe Wale unter meinen Menschenhänden gespürt”. Gar keine so schlechte Lösung. Hier ist Ismael in besonderem Maße Melvilles alter ego: noch mehr als ein Schreiber, der schon mal auf einem Schiff war, der Seemann, der sich mit Büchern auskennt. Und er schreibt es offensichtlich rückblickend: “Ich habe mit diesen Händen Wale berührt”, sagt er, dabei fährt Ismael erklärtermaßen zum ersten Mal auf Wale aus, wie er im Vorstellungsgespräch bei der Anheuer angibt. Also kein Regiefehler, sondern nur logisch.

Was erzählt er noch? Die Versuchung ist enorm, an dieser Stelle eine Liste zu eröffnen, die Melville, Jean Paul, Linné und die Penny Cyclopedia auf einmal imitiert, persifliert, paraphrasiert und ausnutzt; leider sind wir hier ein Weblog für ökonomisch denkende Schüler im Englisch-Leistungskurs (hausaufgabe.de kostet, glaub ich), die einem das hinterher wieder nicht lesen. Also noch als Schnellsegeltörn über einen der tiefsten Gräben im Ozean Moby-Dick ein paar Auffälligkeiten, die nicht gleich in der nächstbesten Online-Lernhilfe stehen:

Wale sind bei Melville noch Fische, wozu er sich auf den biblischen Jonas beruft, auch wenn er diese Einteilung schon als “altmodisch” erkennt. Ismaels gehaltvollster Beitrag zu einer weiter zu errichtenden Cetologie, ein Wal sei a spouting fish with a horizontal tail, ist so wahr wie fiktionale Literatur eben ist: Er stimmt, auch wenn er von den Realitäten außerhalb des Werks abweicht — es heißt ja auch in der Fachliteratur wie in der Bellestristik whale fishery, ätsch. Friss es oder lies William Scoresby und versuche wenigstens darin Melville zu gleichen.

Übersetzungshaken in der weiteren Systematik: A walrus spouts much like a whale, but the walrus is not a fish, because he is amphibious heißt bei Jendis: “Ein Walroß bläst ungefähr wie ein Wal, aber das Walroß ist kein Fisch, weil es amphibisch lebt.” Es lebt, das Walroß, es tut also etwas, statt etwas zu sein. Mag sein, dass ich diesen Unterschied überbewerte, aber Rathjen meint, näher an Melville: “weil es amphibisch ist”. Auch wenn Jendis soweit löblicherweise ein Vollverb vor einem Hilfsverb bevorzugt, schreit gerade bei diesem kleinen feinen alltagsphilosphischen Unterschied ein leiser Schmerz in mir auf: A Walross’s gotta do what a Walross’s gotta do, aber erst sein Sein bestimmt sein Bewusstsein.

Übersetzungshaken in der abgrenzenden Systematik: Das “nosy” Volk der Schweins- und Saufische ist bei Jendis verächtlich, weil es “aufdringlich” ist, bei Rathjen “großnasig”, Leo kennt “neugierig” und “naseweis”. Schön, dass Herrn Jendis beim Überarbeiten von Rathjens Vorarbeit die übertragene Bedeutung aufgefallen ist; andererseits: Wie aufdringlich sind Wale? [Und sind cloistered old authors eher “weltabgewandte Schreiber” (Jendis) oder “Klosterautoren” (Rathjen)?]

Übersetzungsschönheit: Lebensspendender Saft heißt im Original quickening humor. Wenn man das mal als Kalauer verwenden kann, soll mich bitte jemand diskret schubsen.

Noch eine Schönheit: Jendis’ “alte Frakturschwarte” und Rathjens “alte Fraktur” umschreiben sich im Original: “Black Letter tells me […]“. Ist das nicht einfach wunderschön? Binnentextueller Bezug: Ismael erwähnt hier seit Kapitel 2 zum ersten Mal den old writer–of whose works I possess the only copy extant wieder. Hinter die angedeutete Ferkelei, die Ismael hier im Abschnitt über den ach so bücheraffinen Narwal um Richard Hakluyt und Queen Bess strickt, kommen die ökonomisch denkenden Schüler schon selber, verwenden können sie die sowieso nicht.

Ebenfalls der Narwal ist es, der mit seiner Finne an eine Sonnenuhr erinnert. Natürlich nicht an eine statische, die ein für allemal ausgerichtet die Uhrzeit kund tut, sondern wie Wale so sind, mobil, agil, vital. Eben wie die Sonnenuhr des Ahas, die Göske in seiner Anmerkung als “erratisch” einstuft. Hier hab ich den Einwand, dass diese biblische Erscheinung nicht beliebig auftauchte, sondern auf göttliche Einwirkung aus wichtigem Anlass. Gerade weil Göske noch dazuerklärt, dass Melville die betreffende Stelle — Jesaja 38,8 — in seiner Bibel markiert hat, scheint mir das wichtig. Also: Narwal schwimmt nicht tirili um und um, sondern laviert nach göttlichem Geheiß.

Melville selbst scheint sich anfangs nicht recht einig, was er da überhaupt anzettelt. Seine lange Vorrede zu seiner Systematik steckt voller Rechtfertigungen, dem Seemann ist selbst nicht ganz geheuer, wie er sich da in eine noch nicht mal anerkannte Wissenschaft vorwagt. Erst am Schluss von Buch I, Kapitel III über den Finnwal fasst er sich ein Herz und findet seine Begründung, warum man Wale nach Buchformaten ordnen soll:

What then remains? nothing but to take hold of the whales bodily, in their entire liberal volume, and boldly sort them that way. And this is the Bibliographical system here adopted; and it is the only one that can possibly succeed, for it alone is practicable. To proceed.

einseitig.infoDas war ihm ein Bedürfnis. Ab sofort läuft’s auch hörbar unbekümmerter aus der Feder mit den folgenden Erkenntnissen.

Man versteht ihn durchaus: Im Nachhinein fällt die Vorstellung schwer, dass eine bestehende Wissenschaft, die seitdem zumindest teilweise in die Allgemeinbildung eingegangen ist, irgendwann schlicht nicht existiert haben soll. Irgendwo müssen die Grundlagen dazu ja dermaleinst hergekommen sein. Im Anfang war man auf Beobachtung angewiesen, auf das unermüdliche Sammeln dessen, was vorhanden ist. Diese ganze Empirie, die in den grandiosen Positivismus des wissenschaftslastigen 19. Jahrhunderts mündete, ist überhaupt nicht überschätzbar und hat mich immer ehrfurchtsstarr an Newtons (und anderer) “Schultern von Riesen” erinnert. Da ist der seemännische Stolz berechtigt, den Ismael-Melville in Kapitel 24 nur halb ironisch vor uns ausbreitet: Wer hat denn unter Einsatz von Leben, Existenz und gutem Ruf all die Wale zuerst gesichtet, die man zu Hause den biologischen Kapazitäten in der geheizten Stube vorlegen musste — in welcher Form außer von Seemannsgarn auch immer, wenn man sie nicht einmal mit der Handykamera dokumentieren konnte — wenn nicht gottesfürchtige, unterbezahlte, salzwassertropfende Walfänger? Und dann geht’s los mit Klassifizieren…

Überhaupt: Wie übersetzt man das? Melvilles Text ist auf Englisch entstanden, schon all die Walnamen in diesem einzigen Kapitel lauten bei Jendis und Rathjen recht unterschiedlich: Huzza Porpoise ist “Heißajuchhe-Tümmler” ist “Hurra-Tümmler” ist gemeiner Tümmler ist wahrscheinlich Großer Tümmler — dabei sind das noch die zwei Übersetzungen, die miteinander in Bezug stehen. Worauf man dann erst bei einem Vergleich aller bisherigen Übersetzungen stieße, kann man sich ungefähr vorstellen. In welchem Wörterbuch schlägt man das nach, und woher weiß man, unter welchem Buchstaben? P wie Pottwal oder K wie Kaschelot? Und wenn man sich entschieden hat, hatte dann der Lexikograf die gleiche Tierart vor Augen? Welche Delfinunterart ist schon ein Flusswal, ab welchem Gelbstich ist ein Blauton schon ein Grün? Und wenn einer das anders sieht, ist er dann dümmer als der andere?

Mein Moby-Arbeitsexemplar spickt und starrt in diesem Kapitel vor Bleistiftanmerkungen wie bisher in keinem anderen; fertig wird man damit noch lange nicht, den Rest schenk ich meinen Nachrednern. God keep me from ever completing anything.

Rockwell Kent, Illustration for Chapter XXXII, Cetology. End. Plattsburgh State Art Museum

Alle noch wach? Dann möchte ich jetzt zur Belohnung mit denjenigen meiner Leser, die bis hier durchgehalten haben, meinen Ohrwurm der Woche teilen: Girl, You’ll Be a Woman Soon, eins von Neil Diamond aus Just for You 1967, 1994 von Urge Overkill für Pulp Fiction wiederbelebt.

Bilder: Rockwell Kent: Chapter XXXII: Cetology, by Lakeside Press of Moby Dick;
Michael Stolzke: Wa(h)lverwandtschaften — Einseitig und Moby Dick, 26. Juli 2006.

Written by Wolf

26. August 2008 at 2:48 am

Posted in Steuermann Wolf

This whole book is but a draught – nay, but the draught of a draught.

with 2 comments

Auch Sascha, der stolze Gewinner im Sommergewinnspiel auf Moby-Dick™, der den Redburn so gut wie den Wealth of Nations kennt, hat Kapitel 32: Cetologie gelesen und nutzt seinen Gewinn dazu, sich in die Kapitelbesprechungen einzureihen. Das macht er gut! Solche Leser brauchen wir, one, two:

Ich bin ganz Jürgens Meinung, ich möchte allerdings noch eine weitere Dimension des Kapitels ansprechen.

Sascha Zivkovic in VenedigIch habe, wie Jürgen auch, Nachforschungen in der Walkunde betrieben und ich stimme ihm zu, wenn er sagt, dass die Melvillsche Klassifikation für die damalige Zeit doch relativ brauchbar und bemerkenswert war. Als Buchhändler hätte Jürgen aber auch die erwähnten Buchklassifikationen Folio, Oktav, Duodez weiter verfolgen sollen ;), denn:

Melville (der Ich-Erzähler Ishmael ist hier, wie oft auch anderswo im Buch einfach abwesend) klassifiziert die Wale nach ihrer Größe, beginnend mit dem Pottwal (sperm whale), welchen er damals für den größten der Wale hielt. Für diese Taxonomie verwendet er die Klassifikationsbezeichnung von Buchformaten (Folio, Oktav, Duodez), absteigend von den großformatigen zu den kleinformatigen Buchseiten bzw. -größen. Wale sind hier also wie Bücher anzusehen!

Irgendwie ist (das Buch) Moby-Dick ja auch ein Wal: “A book of a whale and a whale of a book.” Dazu passt es ganz wunderschön, dass Melville in einem Brief an seinen Verleger Evert A. Duyckinck im Jahre 1849 über den Schriftsteller und Philosophen Ralph Waldo Emerson schrieb:

I love all men who dive. Any fish can swim near the surface, but it takes a great whale to go down stairs five miles or more; & if he don’t attain the bottom, why, all the lead in Galena can’t fashion the plummet that will.

Herman Melville: To Evert A. Duynckinck, 3 March 1849,
in: Correspondence, ed. Lynn Horth
(Evanston: Northwestern UP, 1993) 121.

Mit diesem Zitat wird die Analogie zwischen (Ab-)Tauchen in die Tiefe des Meeres und (Ein-)Tauchen in das gesammelte Wissen der Welt hergestellt, das metaphysische Schwimmen durch Bibliotheken findet seine physische Entsprechung im Abtauchen der Wale.

„I have swam through libraries and sailed through oceans.“ Wale schwimmen durch das Meer, Bücherwürmer schwimmen durch Bibliotheken, und, falls sie so ein Pfundskerl wie Melville waren, gingen sie auch noch vor dem Mast zur See.

Wie das wohl aussähe, wenn man durch eine Bibliothek schwämme? So wie in diesem Portishead-Video vielleicht?

Abtauchen wird im Kapitel Cetology gleichgesetzt mit der Suche nach Wissen und Erkenntnis und damit auch nach deren Sinnzuschreibungen. Der Wal ist der Meister des Abtauchens und seine Entsprechung zu Land sind diejenigen, die sich in gedanklichen Tiefen das Hirn über die Welt zermartern, so wie es Melville oft tat.

Melville sagt über seine Klassifikation in Cetology, was auch für jegliches Wissenskompendium gilt:

I promise nothing complete; because any human thing supposed to be complete, must for that very reason infallibly be faulty.

Hier werden in gewisser Weise Einsichten vorweggenommen, wonach Bedeutung und Wissen nicht letztgültig “festgeschrieben” und fixiert werden können. Später im Roman versucht Ahab, den weißen Wal in seiner Interpretation als böses Monster festzuschreiben und überlebt seinen Versuch nicht.

Melville bzw. Ishmael ist da weiser als Ahab und lässt Bescheidenheit bei seinem Klassifikationsversuch und bei seinem Werk als Ganzem walten:

God keep me from ever completing anything. This whole book is but a draught – nay, but the draught of a draught. Oh, Time, Strength, Cash, and Patience!

Alles in allem denke ich also, dass es in Kapitel 32 weniger darum geht, den Leser mit dem sperm whale/Pottwal, der später auftaucht, vertraut zu machen. Vielmehr geht es um epistemologische Fragen: Wie sammelt man Wissen? Und wie kann man daraus Struktur und Erkenntnis gewinnen, bzw. letztendlich Sinn erzeugen? Wie der Wal wirklich aussieht, wie groß er ist, ob er Zähne oder Barten hat, ist doch absolut egal für den Roman und für den monomanischen Ahab. Entscheidend ist, was man auf diese große weiße Leinwand von Rücken eines Moby Dick projiziert. Mehr dazu blüht uns in Kapitel 42: The Whiteness of the Whale.

Und an dieser Stelle möchte ich mich für das Sommergewinnspiel bedanken und für die Chance, auf diesem wunderbaren Blog meine evtl. größte Leserschaft jemals zu erreichen. Meine Magisterarbeit wollte keine Sau lesen ;)

An die P.E.Q.U.O.D.-Crew: Weiter so, nicht einschlafen, nicht entmutigen lassen. In White-Jacket schrieb Melville:

Among our people we have gallant fore, main, and mizzen top-men aloft, who, well treated or ill, still trim our craft to the blast.

Ihr seid die Top-Men der aktiven MD-Jünger, also keep afloat!

Ich für meinen Teil bleibe Euch treu bis Kapitel 135 (bzw. bis zum Epilog). Grüße vom dankbaren Gastbeitragslieferanten Sascha.

Bild: Sascha Zivkovic;
Soundtrack: Portishead: Only You, aus: Portishead, 1997.

Written by Wolf

3. August 2008 at 12:01 am

Posted in Steuer

Vom Schwimmen durch Bibliotheken

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Jürgen hat Kapitel 32: Cetologie gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteMan will ja nicht meckern, (für mich — wie für viele andere — machen solche Kapitel einen nicht unerheblichen Teil des Reizes von Moby-Dick aus), aber der unvoreingenommene Leser hat schon bei der seltsamen Traumgeschichte in Kapitel 31 die Stirn gerunzelt, doch die war kurz und am Ende gab’s den Lichtblick: Der Weiße Wal kommt ins Spiel! “Hurra!”, denkt der Leser und seine Stirn glättet sich wohlwollend, “erst 31 Kapitel gelesen und schon wird zum ersten Mal der Wal erwähnt, um den es gehen soll…”

Und dann Cetology.

Ein schier unendliches Kapitel, in dem nichts passiert. Gar nichts. NADA! Die Stirnfalten werden tief wie der Marianengraben. Was soll denn das? Gute Frage — laut Anmerkungen in der Jendis-Übersetzung ein Stilmittel, mit dem Melville “literarisches Neuland” betritt. Na, das kann man wohl sagen!

CetaceaWer einen Abenteuerroman wie Typee erwartet, der wird allerspätestens an dieser Stelle bemerken, dass er das falsche Buch gekauft hat. Melville zerschlägt mutwillig den (ohnehin schwächelnden) Spannungsbogen, den er eben so mühsam aufgebaut hat (zur Erinnerung: Ahab tritt auf — Konfrontation Ahab/Stubb — der Weiße Wal wird erwähnt). Statt dessen liefert er nicht enden wollendes Geschwafel über den Wal an sich und verschiedene Walarten (von denen die meisten in Moby-Dick nie wieder erwähnt werden).

Melville wollte “a mighty book” über “a mighty theme” schreiben. Den Wal in all seinen Facetten beleuchten. Und so muss er seinem Leser erst einmal das Subjekt vorstellen. In den 1850ern waren Wale bekannt, doch den meisten Lesern wohl eher schemenhaft. Also stellt Melville klar, wovon im folgenden die Rede sein wird. Er hätte sich da bestimmt kürzer fassen können, aber das ist nicht unbedingt seine stärkste Seite. Wie eine Buchhändler-Kollegin an dieser Stelle sagen würde: “Er konnte die Tinte nicht halten.”

Pazifischer Nordkaper, Eubalaena japonicaDas Ziel ist klar: Dem Leser soll deutlich werden, mit welch gewaltiger Kreatur sich Ahab anlegt. Der Pottwal: “the great sperm whale now reigneth!” Dabei wird z.B. der deutlich größere Blauwal (“Sulphur Bottom”) zwar erwähnt, aber nur am Rande. Um ihn wird es nicht gehen… Doch neben der offensichtlichen Absicht — deutlich zu machen, dass Moby-Dick eben mehr ist als eine Abenteuergeschichte — ist da vielleicht ein wenig Frustration im Spiel?

Immerhin ist Melville eine Koryphäe auf dem Gebiet der “Cetologie” zu seiner Zeit, von all seinen Quellen haben nur zwei (Bennett und Beale) den Pottwal lebend gesehen. Und die beiden waren Schiffsärzte auf Walfangschiffen, also keine “richtigen” Waljäger.

Melville aber hat tatsächlich Wale gejagt, “I have had to do with whales with these visible hands”, sagt er, seine Beschreibungen des Pottwals sind (für uns heute leicht nachprüfbar) erstaunlich genau, zu seiner Zeit sensationell genau. Wer wäre also besser geeignet, eine Systematik der Wale zu erstellen? Er ist “durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt.” Melville hat wirklich Ahnung vom Thema. Dieses Wissen aber dürfte ihm in wissenschaftlichen “Fachkreisen” wenig genutzt haben. War ihm das bewusst? Wusste er, dass all sein erlebtes und erlesenes Wissen wenig Eindruck auf einen Universitätsprofessor gemacht hätte? Dass man ihn vielleicht ausgelacht hätte? Und “versteckt” er deshalb diese durchaus sinnvolle und brauchbare (wenn auch spaßig formulierte) Systematik in einem Roman? Um der Nachwelt zu zeigen: “Schaut, das habe ich alles gewusst!”?

Dazu interessant dieses:

Eine der frühesten Rezeptionen des 1851 in London und New York ersterschienenen Romans findet sich 1860 in einer anonymen Miszelle der “Gartenlaube”, wo auf S. 655–656 Melvilles systematische Einteilung der Wale in Folio-, Oktav- und Duodez-Wale ohne Nennung des Werkes — nur des Autors, „sehr gelehrt in Sachen der Walfische“ — anzitiert wird.

Aus einer Besprechung der Rathjen-Übersetzung auf Cetacea.de

Zwergpottwal, Kogia brevicepsUnd was seine Definition des Wals als “a spouting fish with a horizontal tail” angeht: Das stößt dem Melville-Fan natürlich sauer auf, dass sich der Meister so geirrt haben soll. Schließlich lernt doch heute jedes Kind, dass Wale eben keine Fische, sondern Säugetiere sind. Aber das ist eben nur eine Frage der Definition, der Systematik. Bezeichnet man alle Tiere, die im Wasser leben als Fisch, dann ist auch der Wal ein solcher. Linné hat sich durchgesetzt, nicht Melville, davon aber abgesehen, ist die Melvillesche Definition ziemlich brauchbar. Zumal wenn man übers Meer segelt und wenig Gelegenheit hat, Fortpflanzungs- und Aufzuchtverhalten der Wale zu beobachten.

Und noch eine Anmerkung zu den Übersetzungen ins Deutsche. Sowohl Jendis als auch Rathjen übersetzen den schönen Satz “… I have swam through libraries and sailed through oceans” mit “[…] ich […] bin durch Bibliotheken geschwommen und über Weltmeere gesegelt”, das ergibt ja auch Sinn, Melville wird das Bild vom “Schwimmen” durch Bibliotheken bewusst gewählt haben. Dennoch übersetzen sowohl Herr Mummendey wie auch Herr Güttinger mit “ich durchpflügte Bibliotheken”! Was haben die sich dabei gedacht? So eine bodenständige, erdverbundene Metapher in ein Buch hinein zu übersetzen, das ganz offensichtlich ein Buch über das Meer ist? Es zeigt auf jeden Fall, dass eine Neu-Übersetzung sinnvoll war!

Bilder: Cetacea mit deutschen, englischen, norwegischen und noch irgendwas Walnamen, Pazifischer Nordkaper (Eubalaena japonica) und Zwergpottwal (Kogia breviceps), alle gemeinfrei;
Film: Willy Astor: Welthits im Original:
Wortwitz und Fabulierlust und ein Wal kommt sogar auch drin vor.

Written by Wolf

31. July 2008 at 12:01 am

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Freud um Nietzsche, Ahab um Stubb

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Elke hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Elke HegewaldAls hier das große Wundern und Grübeln über die Titelung der Kapitelung und den Inhalt dahinter ausbrach, war ich spontan geneigt und bereit einzustimmen – aus vielfältigsten Beweggründen (zu denen auch die Überraschung gehört, wie Dr. Jürgen Freud in seinem großartigen traumdeutenden Beitrag bei wenigstens einer Version seine Zweifel hinsichtlich der Wahrung des Zeitbezugs kühn und vorübergehend über Bord zu werfen gewagt hat). Bis auf einmal alles (s)einen tiefen Melvilleischen Eigensinn bekam und sich irgendwie allegorisch rund legte. Meine beiden (oder anderthalben) Deutungsvorschläge:

Der erste lehnt sich so ein bisschen an meine eigenen Erfahrungen aus dem täglichen Broterwerb an und die dabei sattsam gewonnenen psychologischen Einblicke. Bei denen (auch wenn ich nicht Frau Dr. Freud bin) womöglich gleich wieder Jürgens Besorgnisse hinsichtlich Melvillebezugs und dortigen menschlichen Anders-Denkens aufhorchen werden. Aber man glaubt es kaum, was der liebe Mitmensch, das unbekannte Wesen, alles in sich selber anstellt, um ein Stückerl von seinem malträtierten Rückgrat zu behalten. Dass zu diesem Zwecke auch Träume in einem rumrumoren, weiß ja die Welt schließlich auch nicht erst seit dem Erfinder der Psychoanalyse. Die aufgesammelten und nicht mal seltenen seelischen Selbsttherapien kommen schon Wolfs Einsortierung des guten, narrischen Stubb ziemlich nahe. Der sich nämlich einen geträumten Tritt in den Hintern oder weißichwohin schönredet (also der Stubb jetzt), um sich solcherart mit Ach und Krach sein Selbstwertgefühl zu bewahren, seine menschliche Würde zu retten. Der Anschnauzer seines vorgesetzten Kapitäns macht ihm – Frohnatur und anpassungsfähiges Gemüt hin oder her – mehr als man denkt zu schaffen, wo er ihn bis in seinen wellengewiegten Schlummer verfolgt. Und was tut so einer, der wie unser Stubb nicht für das Auflehnen wider den Starken und Mächtigen geboren ist, nun dagegen? Na klar, er träumt sich’s klein. Versucht, das gesunde Empfinden einer handfesten Beleidigung herunterzuspielen, indem er in seinem tumben Stubble-Kopp den Wert Ahabs und dessen ja nur via künstliches Walbein und nicht als “a living thump” verabfolgten Tritt schmälert. Gegen den er sich anfangs sogar zu wehren sucht, “stubbing [his] silly toes against that cursed pyramid”. Na, und mit ein bissel Rückgratstärkung durch einen, wenn auch arg bucklig und marlspiekert geträumten Merman fühlt sich’s doch gleich noch ein bisschen besser an, nä.

Soweit die Alltags- und real(un)poetische Natur-des-Menschen-Version. Die mir übrigens geeignet scheint, nicht gar zu sehr (wenn überhaupt) in den Zwang einer Rechtfertigung vor Herrn Melville zu geraten: Erniedrigung bleibt Erniedrigung, Mensch angesichts einer solchen sooo Mensch – und fühlt auch so.

Sollte man gesunderweise meinen.

Wäre nicht… ja, wäre da nicht noch was in den nach Melvillescher Art eingeflochtenen Symbolismen und Anspielungen, von denen es nur so wimmelt im Kapitel. Etwas, das mir zwar dunkel, aber verdammt nochmal bekannt vorkömmt . Die müssen doch einen Sinn ergeben – hätte er ja auch einfacher haben können sonst, der Herman. Und auch ein paar heftige spöttische Grinsefältchen meint man in seinen Augenwinkeln wahrzunehmen. Was sollen also die ganzen Bilder, die Pyramide und das abbe Bein vom Stubb und das getackerte nackerte Hinterteil des Merman-Phantoms?

Max Klinger, Der Gang zur BergpredigtHa, und spätestens als der Bucklige blank zieht, fällt mir die Erleuchtung wie Schuppen aus den Haaren der feenhaften Frau Mab. Ahnt’ ichs doch! — Und nein, auch wenn es bitter und enttäuschend ist für alle einschlägigen Suchmaschinenquäler und auch wenn es Jürgens brillant freudischen Tiefenpsychologie-Exkurs nicht zu stützen scheint, kein Kindesmissbrauch des kleinen Herman, keine homoerotischen Fantasien alternder Schriftsteller und Matrosen, auch nicht Stubbs Potenz- mit Beinverlust fliegen mich an und geistern durch meinen Sinn. Sondern der alte Käpt’n Bildad ists – erinnert sich noch jemand an den? Was murmelte der nochmal andauernd durch einen guten Teil des 16. Kapitels? Jaaah, die biblische Bergpredigt wars, auf der er herumkaute! Die war’s!

Sind es nicht deren Weisheiten, die Melville da mit einem Augenzwinkern und dem uns hinlänglich bekannten freigeisternden Handhaben von Religionsfragen in den Traumbildern des braven Stubb herumstreut? Selig sind die Sanftmütigen!

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

predigt Jesus auf dem Berge (Matthäus 5,39f.). — Je nun, Bein um Bein beim Stubb und Ahab? Und reckt der alte Merman auf Stubbs angedrohte Schläge nicht gar gleich seine zwei Backen hin? Auch wenn der Gottessohn wohl eher die andern zwei meinte. Und auch die Märtyrerdornen – oder sind’s Marternägel? — gehören eigentlich woanders hin, oder?

Wohlgemerkt, die Predigt handelt in diesem Passus “vom Vergelten”. Und ei der Daus, wären dann die Stubbschen Dissonanzen mit Ahab für Melville nicht nur Mittel zum Zweck? Gingen seine Anspielungen dann nicht verflixt weit darüber hinaus? – Gesetzt den Fall, an meinen Herumdeutelungen wäre was dran: dann ginge es hier um nicht mehr und nicht weniger als um das Einläuten eines Hauptthemas des ganzen Moby-Dick, das den Handlungsfaden vorantreibt: des finstern Käpt’ns – nicht des kleinen Stubb — Drang nach Rache und Vergeltung nämlich. Großes Kino also. Ergibt somit im Zusammenhang des Romans das ganze Kapitel nicht sehr wohl einen tiefen Sinn? Und nicht von ungefähr, so deucht mich, findet gerade in diesem Moment der weiße Wal zum ersten Mal Erwähnung. Was meint ihr?

A23H, Der teufel ist tot, 29. Dzember 2005Und wenn das so ist, wird auch der Wolf – mitsamt unserm gotteslästerlichen Herman – Recht behalten. Wie sagte er so schön?: “Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten.” — Worauf wir einen lassen… öhm, also wetten können, denn: “Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.” (Matthäus 5,41)

Dass der Stubb sich den Ahab zu allem Überfluss auch noch zur Pyramide traumzaubert, die ja auch auch als Symbol des dreidimensionalen (heiligen) Kreuzes interpretiert wird – hm, soll man das nun als Zeichen schleichend wachsender Ahab-Einschwörung und Verblendung deuten? Doktor Freud, übernehmen Sie büdde wieder!

Dochdoch, Doktor, nu ziernse sich mal nicht so! Das wäre schon deshalb angebracht, weil Mr. Melville — okayokay, Jürgen — den Freud zwar nicht kennen kunnt, aber mir ihm in Sachen Religionskritik zet Be kaum nachzustehen scheint. Nicht dass ich jetzt behaupten wöllt’, er sei ein Verfechter des blinden Rachegedankens um jeden Preis. Doch schaut es mir so aus (denn den Spötter Melville dichte ich mir doch nicht nur hinein, oder?), als wäre auch er als ein, leicht konspirativer, Gegner der berggepredigten über-menschlichen Erwartungen und deren “Sklavenmoral” auszumachen. Wie der große Freudsche Zeitgenosse Friedrich Nietzsche es sieht, der deren entschiedenster einer war und dem der Doktor zudem selber bescheinigte, etliche Einsichten der Psychoanalyse intuitiv vorweggenommen zu haben. Nietzsches Also sprach Zarathustra wird als Gesamtwerk sogar als eine Art Anti-Bergpredigt gehandelt, wider die Demut und Unterwürfigkeit und für die Selbstbestimmtheit des Menschen. — Anmerkung: Jaha, ich bin mir bewusst, dass dies eine stark vereinfachte und unzulässige Verkürzung sowohl des Herrn Nietzsche als auch seines Zarathustra ist und ein eigenes Thema verdient hat.

Carl Bloch, Sermon on the Mount, 23. Mai 1834

Und um das Maß voll zu machen und eure Geduld bis an den Rand zu strapazieren, nehme ich mir auch schnell und – versprochen! — kurz Frau Königin Mab zur Brust. Ein ketzerischer Titel im gerade episch ausgebreiteten Zusammenhang, findet ihr nicht? Die heidnische keltische Fee, die in der Mythologie Schöpferin, aber auch Hexe ist. Die unsern eh schon verwirrten Stubb nun auch noch heimsucht. Tsss, Mister Melville, ein Schelm, wer Böses dabei denkt? Ich klau da nochmal kurz beim Shakespeare, den ja auch uns’ Herman beständig alles andre als verleugnet:

… and then anon
Drums in his ear, at which he starts and wakes,
And being thus frighted swears a prayer or two
And sleeps again. This is that very Mab
That plats the manes of horses in the night,
And bakes the elflocks in foul sluttish hairs,
Which once untangled, much misfortune bodes:
This is the hag…

Sorry, das musste noch, bei Hexen und Feen kann ich nicht anders. Wo ich doch selber eine bin.

Johann Heinrich Füssli, Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788

Bilder: Max Klinger: Der Gang zur Bergpredigt, 1877;
A23H: Teufel ist tot, 29. Dezember 2005;
Carl Bloch: Die Bergpredigt, Kopenhagen 23. Mai 1834;
Johann Heinrich Füssli: Prinz Arthur und die Feenkönigin, um 1788.

Written by Wolf

27. July 2008 at 12:01 am

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You know how curious all dreams are

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Merkwürdige Sache, Kapitel 31,

meint Jürgen,

Jürgen Jessebird Schmittemerkwürdig der Traum, merkwürdig auch die Tatsache, dass Stubb ihn Flask erzählt. Darauf ist Wolf ja schon eingegangen. Aber der Traum an sich ist auch nicht ohne. Zum einen enthält er viele Elemente, die man aus eigenen Träumen kennt: Da verwandeln sich Dinge so mir-nichts-dir-nichts in etwas anderes (Ahab in eine Pyramide), tauchen aus dem Nichts Gestalten auf (der merman), und am Schluss wird sogar ein bisschen geflogen: „With that, he all of a sudden seemed somehow, in some queer fashion, to swim off into the air.“ So.

Nun gibt es zwei Optionen. Entweder ist Melville ein verflucht guter Schriftsteller, der es fertig bringt, einen Traum so realistisch unrealistisch zu schildern, dass man ihn glaubt (einschließlich dieser Momente, in denen man beim Erzählen eines Traums selber merkt, dass es nicht logisch ist: „And then, presto!“ und „With that, he all of a sudden…“ und auch das entschuldigende „But what was still more curious, Flask — you know how curious all dreams are…“), oder das Kapitel verrät uns etwas über Melvilles eigene Befindlichkeit, es ist die (sicherlich etwas angepasste) Nacherzählung eines eigenen Traums.

Und das eröffnet uns dann wieder zwei Möglichkeiten, womit ich wieder bei Freud und meinen Zweifeln an ihm lande. Wenn der Traum tatsächlich „nur“ ein schriftstellerisches Produkt ist, dann, finde ich, ist eine Interpretation nach Freud fehl am Platze. Denn Melville kannte Freuds Ideen nicht, kann also auch nicht auf dessen Baukastenklötzchen zurückgegriffen haben, um Stubb den Traum zu basteln. Wenn es aber ein „echter“ Traum ist, der hier beschrieben wird, dann könnte man ihn schon tiefenpsychologisch deuten, denn auch die Träume von Menschen, die keine Ahnung von Freud haben, sollen ja – laut Freud – etwas bedeuten.

Schwierige Kiste. Wollen uns mal dran versuchen. Zuerst den Traum in leicht verdaubare Häppchen aufteilen:

1. Ahab tritt Stubb;
2. Stubb tritt zurück, dabei verliert Stubb sein Bein;
3. Ahab wird zur Pyramide;
4. Stubb denkt sich den Tritt schön;
5. Der merman tritt auf und packt Stubb;
6. Stubb droht ihm (dem merman) mit einem Tritt, der bietet sein Hinterteil dar, das voller Stacheln steckt;
7. Der merman redet den Tritt schön.

Erstmal versuchen wir uns dann an einer Traumdeutung mit freudianischen Grundkenntnissen, wie man sie halbgar in der Schule serviert bekommt und später in Nachmittags-Talkshows aufgewärmt.

Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930, Freud-Lacan-GesellschaftZu 1.: Stubb wird mit einem künstlichen Bein getreten, womöglich in den Allerwertesten? Ist Ahabs Prothese ein Phallussymbol? Ganz sicher! Wenn das mal keine homoerotische Tendenz erkennen lässt!
Zu 2.: Und Stubb verliert sein Bein? Das deutet doch auf Impotenz, oder?
Zu 3.: Ahab wird eine Pyramide! Bei Freud ist die „Dreizahl“ ein „mehrseitig gesichertes Symbol des männlichen Genitals“! (S. Freud, Die Traumdeutung, Ftb 6344, Frankfurt a.M.: Fischer 1977, Seite 297)*, eine Pyramide besteht aus Dreiecken, das dürfte auf die starke Männlichkeit Ahabs deuten.
Zu 4.: Ahab ist superpotent, Stubb dagegen impotent, das ist hart. Irgendwie muss er sich das schöndenken.
Zu 5.: Ein buckliger alter Mann packt Stubb an den Schultern und dreht ihn herum. Hat Stubb (oder der Träumer) vielleicht in seiner Jugend schlechte Erfahrungen gemacht mit älteren Männern?
Zu 6.: Wieder ein eindeutig homoerotisches Bild: den nackten Hintern darbieten. Allerdings weiß Stubb (oder der Träumer), dass es sich um etwas Verbotenes handelt, deshalb die abweisenden Marlspieker.
Zu 7.: Auch der Alte redet den Tritt schön: So schlimm ist es doch gar nicht, von einem Stärkeren missbraucht zu werden.

Das ist ein ziemlich finstere Sache, die man da finden kann. Missbrauch in der Jugend, durch einen älteren Erwachsenen? Aber, wie schon gesagt, es kann nicht Melvilles Intention gewesen sein, das in dieser Form in Stubbs Biographie zu schreiben, dazu fehlte ihm das Rüstzeug. Wenn man so interpretieren will, muss man davon ausgehen, dass Melville eigene Erlebnisse verarbeitet hat.

Aber: Im Leben nicht würde ich diese laienhafte Analyse auf einen echten Menschen anwenden wollen. Auf eine literarische Gestalt schon, die ist in der Regel auch übersichtlicher.

(Anm. des Bio-Checkers: Melvilles Vaterfiguren in der Prägungsphase werden, vor allem auch in der neuesten Biografie Ein Leben, als eher stärkend und wohlwollend dargestellt: harmonische, glückliche Familie in gesicherten Verhältnissen, Vater in traditioneller Ernährerrolle. Jedenfalls bis zum Verarmen der Familie, weil der Vater Büro und Wohnung in West Village Manhattan verzockt hat. Unabsichtlich bis leichtsinnig — gerade in vorfreudianischer Zeit weiß man da nie, wie traumatisch das von einem Zwölfjährigen wahrgenommen und weiterverarbeitet wird. — Zurück an Jürgen.)

Nehmen wir an, dass Melville „nur“ brillant war, dann kann man den Traum natürlich auch weniger freudianisch deuten:

Zu 1: Die Sache mit dem Tritt kommt ja schon in Kapitel 29 auf: „Maybe he did kick me, and I didn’t observe it, I was so taken aback with his brow, somehow.“ Hier verarbeitet Stubb sie weiter.
Zu 2: Stubb hat keine Chance, es Ahab mit gleicher Münze heim zu zahlen. Ahab ist schließlich der Kapitän. Den tritt man nicht.
Zu 3: Eine Pyramide ist auch ein Symbol für Macht (des Pharaos), Dauer (ist für die Ewigkeit gebaut) und – Tod (ein Grabmal). Wenn das mal kein schlechtes Zeichen ist!
Zu 4: Das mit dem Schöndenken hat Wolf schon schön ausgeführt: „wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert.“
Zu 5: Stubb ist ja nicht so der Selber-Denken-Typ (siehe Kapitel 29: „But that’s against my principles. Think not, is my eleventh commandment“), vielleicht taucht deshalb jemand auf, der ihn lobt („’Wise Stubb,’ said he, ‘wise Stubb“) und in seinen Ideen bestärkt.
Zu 6: Soll der Alte vielleicht Stubbs Gewissen sein? Das er nicht zum Schweigen bringen kann? Da werd ich nicht so recht schlau draus…
Zu 7: Und wieder wird der Tritt „schöndefiniert“.

Sehr viel konventioneller, diese Deutung. Aber so im Zusammenhang des Romans ergibt das ganze Kapitel eigentlich wenig Sinn, oder? Als einzig nützlicher Fakt springt das raus: Erstmals wird der Weiße Wal erwähnt! Weiß denn eigentlich keiner der Besatzung, dass Ahab sein Bein an Moby Dick verloren hat?

* Dieses Freud-Zitat inklusive Quellenangabe habe ich dem wunderbar-seltsamen Buch „Der Ernst des Lesens – Beinharte Forschung zu Arno Schmidt und Consorten“ von Friedhelm Rathjen entnommen! Erschienen in der EDITION ReJOYCE, lieferbar über den Buchhandel (ISBN 3-00-020219-6) oder z.B. über booklooker direkt beim Herausgeber, da sogar auf Wunsch signiert!

Johann Zahn, Vir marinus, 1696. Wassermann, Nix

Bilder: Sigmund Freud geht an Bord, Berlin-Tempelhof 1930: A. W. Freud et al., by arrangement with Mark Paterson & Associates
via Freud-Lacan-Gesellschaft/Psycoanalytische Assoziation Berlin e.V.;
Johann Zahn, Augsburg 1696: Vir marinus episcopi specie.

Film: Capitaine Achab, Frankreich 2007.

Written by Wolf

14. July 2008 at 12:40 am

Posted in Steuermann Jürgen

And then dreams he of cutting foreign throats

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Wolf hat Kapitel 31: Mab, die Feenkönigin gelesen:

Mercutio. Nun seh’ ich wohl, Frau Mab hat euch besucht.

Romeo. Frau Mab, wer ist sie?

Mercutio. Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kömmt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit einem Spann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
Des Wagens Deck’ aus eines Heupferds Flügeln,
Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
Das in des Mädchens müß’gem Finger nistet.
Die Kutsch’ ist eine hohle Haselnuß,
Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
Zurecht gemacht, die seit uralten Zeiten
Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
Verliebter, und sie träumen dann von Liebe;
Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen
(Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
Weil ihren Odem Näscherei verdarb).
Bald trabt sie über eines Hofrats Nase,
Dann wittert er im Traum sich Aemter aus.
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt:
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann.
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken:
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelt’s ihm ins Ohr: da fährt er auf,
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete,
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht,
Und flicht in strupp’ges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie –

William Shakespeare: Romeo and Juliet, 1596,
Act I, Scene 4, line 553ff.;
dt. August Wilhelm von Schlegel, 1891

Warum das Kapitel ausgerechnet “Mab, die Feenkönigin” heißt, hätt ich ja im Leben nicht von selbst rausgefunden. Kurzer Check: ein Übersetzungsfehler? Nein, in den restlichen Übersetzungen heißt es ähnlich, und das Original heißt “Queen Mab”. Ohne Anklang an Feen, aber na gut. Aufklärung bringt die Anmerkung in der Jendis-Übersetzung: Die Feenkönigin Mab (gälisch gern auch Medb, Meḋḃ, Medhbh, Meadhbh, Meab°, Meabh, Méabh, Maeve oder Maev, das ist: die Berauschende) bringt Träume. Die Sandfrau.

Schade eigentlich. Seit Kapitel 20: All Astir wurde in Moby-Dick keine Frau mehr gesichtet, da hätte man sich schon über die Krone der Schöpfung, eine Fee gefreut. Und dann erzählt einem nur wieder der olle Stubb seine krausen Träume, über die man womöglich, weil vor Freudischen Zeiten erlebt und dokumentiert, nicht mal allzuviel aussagen kann.

Jedenfalls ist das ein Bedenken, das Jürgen aufgebracht hat (Weblog-Eintrag folgt, wenn sich die Diskussion auf Xing darüber rentiert!), und zwar nicht ganz unbegründet.

Auch ohne freudianisches Fachwissen zu bemühen, kommt mir Stubb schon fast selbstverletzerisch vor, wie er sich einen Arschtritt schöndefiniert. Einen geträumten Tritt, dazu noch aus einem Traum, der sich aus Erlebnissen des vergangenen Tages zusammengebraut haben mag, immerhin aber kein Erlebnis aus einem Wunschtraum. Gegen den Strich gedacht, hätte Stubb sich danach erst recht gegen Ahab aufregen können; das wäre bei seinem Eifer leicht in einer Überreaktion in die andere Richtung geendet, aber nachvollziehbarer. Gut, man liest lieber von Skurrilitäten als von einem Dahinplätschern, in das man die Handlung nicht einmal groß vorantreiben müsste. Mit dem schrittweisen Zurechtdenken von der Beleidigung zur Ehrung erschreckt mich Stubb.

Irish Pound Note Queen Medb

Was steckt der Gute überhaupt so viel Denkarbeit in einen Traum? Und behelligt sogar seinen Kollegen damit? Ist das Sitte unter Raubauzen zur See, dass die ihre Träume ausdiskutieren?

Erstmals seit seiner Einführung in Kapitel 27: Ritter und Knappen erhält Flask eine Daseinsberechtigung in der Handlung: Der zweite Steuermann erzählt dem dritten seinen Traum. Kein Dienstgespräch von oben nach unten, mehr eine symmetrische, kumpelhafte Unterhaltung. Und Flask hat dabei vorerst nur zuzuhören, weiter charakterisiert wird er nicht. Vielleicht ist das an dieser Stelle sogar ganz gut: Je mehr der Zuhörer Flask im Hintergrund bleibt, desto verblüffter und sprachloser kann man ihn sich vorstellen: Was palavert mich dieser Stubb da mit seinen Träumen zu? “Weiß nicht, aber er kommt mir ein bisschen närrisch vor.” — das ist die Hauptsache, die er zu sagen hat. Recht hat er. Ein bisschen närrisch, der Traum, Stubbs Auslegung davon, und nicht zuletzt der ganze Stubb.

Soll ich mal raten? Stubb wird der erste sein, der sich freudig von Ahab alles gefallen lässt, und es als Ruhm und Ehre betrachten. Als ob das dramaturgisch noch nötig wäre, hat er gerade seinen eigenen Untergang eingesungen.

Na? Treffer, Frau Königin Medb? Wenn nicht, geb ich meinen Titel als Feenversteher zurück.

Fairy Queen Mab

Bilder: Fairy Queen Medb; Fairy Queen Mab.

~~~|~~~~~~~|~~~

Feenmusik: Tom Waits: Watch Her Disappear aus: Alice, 2002.

Written by Wolf

8. July 2008 at 12:34 am

Posted in Steuermann Wolf

Das heldische Leiden an der Welt

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And we sail and we sail and we never see land,
just the rum in the bottle and a pipe in my hand.

Kapitel 30: Die Pfeife ist ein auffallend kurzes in unserem whale of a tale; die erzählte Zeit — ein kurzes Nachdenken, dann ein Überbordschleudern — liegt trotzdem immer noch weit unter der Erzählzeit. Scheint also wichtig zu sein.

Die Experten auf dem Gradeserver schreiben als analysis dazu:

Melville demonstrates Ahab’s power and influence over his crew through the effect that Ahab has on Stubb, who is shaken by his confrontation with Ahab. This bolsters the idea that Ahab is a fearsome man not to be opposed, not only because of his physical and direct influence over others but also because of the psychological stress that he places on others. Ahab is capable of creating a sense of turmoil and unease in Stubb, who finds no solace for his anxiety concerning Ahab.

Rauchen ist Scheisse. Saufen Sie lieberIst ja gut, das mag schon alles sein — steht aber, wie ich es verstehe, da nicht drin; ist also nicht heraus-, sondern hineingelesen. Was die verdienstvollen Moby-Dick™-Analytiker herausgefunden haben, finde ich da weit luzider.

Ich bin ja nur so ein ganz simpel denkender Mensch. Drum bleiben wir doch mal ganz stumpf bei dem, was da steht, im Gang der Handlung. Da darf ich in der Erinnerung ans gerade verflossene 29. Kapitel schließen, dass Ahab das Zusammenrücken mit Stubb mehr zu schaffen macht, als er sich eingestehen will. Stubb, der — ganz recht, Kollegen — sich durch sein beständiges Pfeifenschmauchen geradezu definiert, der des Morgens nicht ohne seine Pfeife im Gesicht aus der Kajüte treten würde, sondern eher ohne seine Nase (schon wieder so eine jahrzehntelang gehätschelte Lieblingsformulierung aus meinem ersten Jugendversuch) — eine Unart, die dem Seemann durchaus ansteht, die Ahab aber plötzlich an sich selbst entdeckt.

Will er zu denen gehören? Zur Misera Plebs seiner Untergebenen, die auf ihren Schönheitsschlaf halten, statt ein Ziel zu verfolgen? Diesen Flaschen, die sich von betäubenden Dämpfen umnebeln lassen, statt sich gut puritanisch zu quälen? Es ist ihm nicht recht, dem Ahab, er trauert durchaus um seinen Anteil an der grundsätzlichen Lebensfreude, an selbstverständlichen ozeanischen (!) Wohlgefühl am Dasein in der Welt: “Da habe ich mich nun wie besinnungslos abgeplagt, statt mich des Lebens zu freuen” — aber es ist nun einmal so um ihn bestellt: Ein gemütlicher Raucher ist er nicht.

Dramaturgisch haben wir hier also nicht weniger denn einen Schub in Ahabs Selbstfindung. Da musste erst der aus Ahabs Sicht verächtliche Stubb kommen und um Ruhe vor Ahabs innerer Unruhe bitten, um ihn dahin — sorry for the cheap pun — anzustubbsen. Nicht um the effect that Ahab has on Stubb geht es also, wie der o.a. Gradeserver nahelegt, sondern Stubbs effect on Ahab.

So endet einer, der seinen Weg geht: freudlos, menschenfeindlich, fatalistisch, im Verdacht des armen Irren, bestenfalls noch voll des grimmigen Galgenhumors unter Tränen lachend. Kein Wunder, dass einer da im Affekt die Insignien seiner letzten fadenschinigen Lebensfreude über Bord feuern mag. Denn dass es der Anfang von Ahabs Ende ist, has been foreshadowed genug.

Besondere Leistung in der Disziplin Pinkeln gegen den Wind, nein: Rauchen an Luv (Cpt. Ahab): die übersetzerische Leistung, aus The Pipe ein Die Tobackspfeife herauszulesen.

Echte Helden (pinkeln gegen den Wind, auch wenn sie dann die Begossenen sind): rauchen macht laune: Die neue Rechtschreibung, 27. Februar 2007;
Lied: The Pogues: Bottle of Smoke, aus: If I Should Fall From Grace With God, 1987.

Written by Wolf

11. June 2008 at 1:18 am

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Mein Liebchen: Edle von der Pfeife

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Elke erhebt Einwände zu den Einwänden zu Kapitel 30: Die Pfeife:

Elke HegewaldIrgendwie bin ich mit keinem der verkündigten Argumente so richtig glücklich. Die “Befreiung von allem Irdischen” kömmt mir bei dieser winzigen Episode und dem Sonderling-Gebrabbel fast ein bisschen zu pathetisch daher. Naja, und die Absage ans Pfeifchenpaffen als trotzige und entschlossene Gebärde zu interpretieren, hinter der der einsame Rächer sein hehres Ziel glasklar und nicht durch vernebelnden Qualm im wachsamen Adlerauge behalten will, ist auch ein einigermaßen schräges Bild, oder? Jedenfalls wenn man selbiges Ziel eher als fixe Idee und Racheplan verletzten männlichen Stolzes denn als heldischen Vorsatz zu sehen geneigt ist.

Hey Jungs, ‘tschulljung, wenn ich mich in eure kerligen Gespräche einmische. Ich will ja auch gar nicht streiten und vielleicht liegt’s ja daran, dass ich ein Mädchen bin und mit dem sturen einsamen Cowboy respektive Walfänger nichts anfangen kann, der – koste es was es wolle – für seine Ehre in den Sonnenuntergang… na, ihr wisst schon. Und wenn doch, dann um der dramatischen Ausgeburt Melvillescher Künstlerfantasie und der menschlichen Tragik unseres unseligen Ahab willen.

Allerdings fallen meine Deutungen etwas weniger glorios aus, als Seeweib muss man doch ‘n bisschen Realität in den Disput bringen.

Da murmelt also dieser Finsterling so vor sich hin in seinen Bart (hm, hat er eigentlich einen?):

“How now… this smoking no longer soothes. Oh, my pipe! hard must it go with me if thy charm be gone! Here have I been unconsciously toiling, not pleasuring — aye, and ignorantly smoking to windward all the while; to windward, and with such nervous whiffs, as if, like the dying whale, my final jets were the strongest and fullest of trouble. What business have I with this pipe? This thing that is meant for sereneness, to send up mild white vapours among mild white hairs, not among torn iron-grey locks like mine. I’ll smoke no more — “

Parodie Martin Mißfeldt, Picasso, Junger Mann mit PfeifeTja, und was spricht er da eigentlich? Wenn man sich ganz einfach machte, könnt man sagen: Es schmeckt ihm nicht mehr, sein Pfeifchen. Himmel, seid ihr keine Raucher? Kennt doch jeder von denen, der lang genug dieser Sucht frönt. Meistens gibt sich das irgendwann wieder. Aber es wäre auch eine gute Variante – dazu noch mit einem fein theatralischen Effekt – damit aufzuhören, nä. Über Bord mit dem Ding, opfern wir es dem Meeresgott! Ahab, dem Kerl mit dem eisenharten Willen, dem Mann für radikale Lösungen, traut man sogar zu, dass er’s so packt. Und zu kaum einem passt wohl diese Geste, in einer Aufwallung von Groll auf sich selber das gute Stück in hohem Bogen in die Wellen zu werfen, so sehr wie zu ihm. Ist doch ein sturer, verbohrter Hund, der.

Doch so schnöde und schlicht ist’s dann vielleicht doch nicht. Schwingt da nicht auch eine schmerzliche Erkenntnis mit in seinem Gebrummel?: Es funktioniert nicht mehr, dieses angenehme Fünkchen Leben, der Zauber eines besänftigenden Pfeifleins im Mundwinkel, der auch ihm wohl tat, ist verflogen. Er selbst ist nicht mehr zugänglich für die kleinsten Freuden dieses Lebens, ist eine arme, einsame und verzweifelte Seele. Und diese Regung tut weh, was er sich jedoch niemals eingestehen würde:

“Was habe ich mit dieser Pfeife zu schaffen? Dieses Ding, das doch heitere Gelassenheit stiften und mildweiße Wölkchen zu mildweißem Haar emporsenden soll, statt zu zerzausten, eisengrauen Locken wie den meinen…”

Hier nun auch mein Einwand zum Einwand, lieber Jürgen: Ja, es muss die Pfeife sein — sie ist etwas Schönes, Versöhnliches, Herzwarmes. Verflucht er sich vielleicht gar für diese unzulässig sentimentale Regung, reagiert er deshalb so schroff?

Wir wissen es nicht. Und stehen, ihn beinahe scheu aus den Augenwinkeln beobachtend, neben ihm an der Reling…


Vincent van Gogh, Alter Schiffer, 1883Pfeifenraucher umschwebt doch irgendwie der Hauch des Gemütlichen, ja, eben so, wie Melville selber es beim guten schlichten Stubb beschrieben hat. Mit dem Wölkchenpaffen an sich verbindet sich doch das Gefühl von von Genuss (heute hat es manchmal sogar etwas Elitäres an sich, oder?). Ein paar von den Großen, die wir kennen, waren Pfeifenraucher, so der jüngst hier besungene Pfannkuchenschreiber Hemingway oder Albert Einstein. Pfeifen sind ein unverzichtbares Requsit der Seeleute und manche von den Nuckelschätzchen tragen gar den stolzen Namen Kapitänspfeife und sehen auch so aus.

Meisterschaften im kultivierten Pfeifenrauchen werden ausgetragen und die Kunst der Pfeifenbäckerei wissenschaftlich erforscht.

Tabakspfeifen sind Freundinnen. Der hier seinerzeit auch schon (zu weitaus mutigeren Themen) durchgehechelte selbsternannte Indianerfreund Karl May nannte die seine gar sein Liebchen und hat die Wonnen mit ihr — schauschau! — in Versen besungen. Über deren Unsterblichkeit ich mir hier zwar beileibe kein Urteil anmaße, die aber das besondere Flair des Schmökens für seine Jünger vermitteln:

Mein Liebchen

Wenn Sorge mich und Unmuth quälet,
Wenn mir’s an Moos im Beutel fehlet,
Wenn mich ein schwerer Kummer drückt,
Das Schicksal mich mit Pech beglückt:
Was ist es dann, wonach ich greife?
I nun! Die liebe Tabakspfeife!

Bei meinen Freuden, meinen Scherzen,
Beim Austausch gleichgesinnter Herzen,
In all’ den traulich frohen Stunden,
Die ich im Freundeskreis gefunden,
Bei meines Glück’s so seltner Reife
Ist stets um mich die liebe Pfeife.

Auf all’ den Reisen, die ich machte,
Wo die Natur mir freundlich lachte,
Auf all’ den einsam trauten Wegen,
Im Waldesgrün, wo ich gelegen,
In Feld und Flur, die ich durchstreife,
Begleitet mich die treue Pfeife.

Sie bleibt mir Braut durch’s ganze Leben;
Ja, sie in Adel zu erheben
Ist wohl ein Leichtes: Das Diplom
Schreibt sie sich selbst durch ihr Arom.
Sie heiße d’rum, ob man auch keife,
Von jetzt an: Edle von der Pfeife!

Ich selber mag den Geruch einer schmurgelnden Tabakspfeife. Und hab’s auch schon mal probiert, auch wenn ich gewiss nicht grad zum Freak werde.

Und ich glaube, er wird es bereuen, der alte Ahab.

Damenpfeife aus dem Pfeifenlädchen

Bilder: Martin Mißfeldt: Junger Mann mit Pfeife, nach Pablo Picasso;
Vincent van Gogh: Alter Schiffer, Bleistift, schwarze und weiße Kreide, 1883;
Damenpfeife aus dem Pfeifenlädchen.

Written by Wolf

9. June 2008 at 3:49 am

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Er lacht sich eins und trinkt/sein Eierbier und singt

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Oh! jolly is the gale,
        And a joker is the whale,
A’ flourishin’ his tail, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

The scud all a flyin’,
        That’s his flip only foamin’;
When he stirs in the spicin’, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

Thunder splits the ships,
        But he only smacks his lips,
A tastin’ of this flip, —
        Such a funny, sporty, gamy, jesty, joky, hoky-poky lad,
        is the Ocean, oh!

Old song sung by Stubb. Chapter 119: The Candles.

Stephan wendet auf Jürgens World Disinfecting Agent Day ein:

Stephan De MariaLieber Jürgen, in der Tat klasse!

Aber lass mich weiter die kleine Laus in deinem Pelz sein:

Vielleicht lässt Melville Ahab das Rauchen aufgeben, weil er sich von allem Irdischem befreien will, weil er mit seiner bisherigen Existenz abschließt. Er hat das Ziel, Moby Dick zu erledigen. Und er ahnt, dass ihn das Alles kosten wird. Er will seinem letzten Gefecht frei von allem irdischen Ballast entgegen schreiten. Er bringt sich mit Leib und Seele in Stellung.

Da hat Jürgen nicht mal was dagegen:

Jürgen Jessebird Schmitte“Laus im Pelz”? So schlimm ist’s doch nicht, oder? Wie steht es in unser aller Moby-Dick (Kapitel 119): “But never mind; it’s all in fun.” Zur Sache:

Das mit dem “von allem Irdischem befreien” kann ich gar nicht als Vorwurf empfinden. Im Gegenteil, wenn es sich irgendwo textlich festmachen ließe, dann würde es wunderbar zu “meinem” Ahab passen — sich so auf ein einziges Ziel zu konzentrieren, das hat übermenschliche Größe.

Um das hier mal klar zu stellen: Ahab ist kein Mensch, er ist “nur” eine Figur in einem Buch. Deshalb stelle ich andere Anforderungen an ihn als an einen gewöhnlichen Menschen. Die gewöhnlichen Menschen (das sind wir alle) müssen uns beständig nach den Das-tut-man-Nichts richten, die Konsequenzen unseres Handelns für uns und andere abwägen, immer wieder Kompromisse eingehen. Kurz: Wir verzetteln uns in unseren Leben. “Große” literarische Figuren sollten das meiner Meinung nach nicht tun. Sie sollten klare Ziele haben und diese zu erreichen suchen. Dem Erreichen dieses Ziels kann (und sollte) manches geopfert werden. Nur so lässt sich dramatische Größe erreichen. “Klarheit” erwarte ich von Literatur, nicht tausend lose Enden!

Allerdings sehe ich das Motiv der bewussten Befreiung von irdischem Ballast für das letzte Gefecht so bei Ahab (noch) nicht. Ahab ist durchaus bereit, für die Erreichung seines Ziels (die Vernichtung Moby Dicks) zu sterben — allerdings ist ein Walfänger das zu seiner Zeit doch eigentlich immer, oder? Jeder Wal kann jeden Waljäger töten, das ist Berufsrisiko.

Und noch ein Einwand: Wenn Melville nur Ahabs Abkehr vom Irdischen zeigen wollte, warum dann mit einer Pfeife? Warum lässt er ihn nicht ein Stück Schiffszwieback über Bord werfen oder einen Becher Rum? Warum eine Pfeife, der in Bezug auf Stubb soviel Aufmerksamkeit geschenkt wurde?

So. Und auf das “Klasse” von BillyBudd im Kommentar auf World Disinfecting Agent Day gönne ich mir jetzt ein Gläschen Talisker. Wünsche wohl zu ruhen!

Lied: Flogging Molly: Seven Deadly Sins, aus: Within a Mile of Home, 2004.

Written by Wolf

8. June 2008 at 12:01 am

World Disinfecting Agent Day

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Jürgen hat Kapitel 30: Die Pfeife gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteWeltnichtrauchertag war neulich, den hab’ ich leider glatt verpasst — wo das doch so ein schöner Termin gewesen wäre. Immerhin schmeißt er seine Pfeife über Bord, der missgelaunte Ahab. Stellt sich natürlich die Frage — warum? Möchte er seiner Crew die Gefahren des Passivrauchens ersparen (dann sollte er wohl lieber Stubb über Bord werfen!)? Oder sorgt er sich um sein eigenes Wohl? Angst vor Raucherbein? Nein, das dürfte damals wohl eher nicht der Beweggrund gewesen sein. Weil sie ihn nicht mehr beruhigt, weil das Rauchen nichts ist für torn iron-grey locks wie die seinen, so steht’s im Text. Aber warum meint Melville, sein Ahab solle nicht mehr rauchen? Sicher nicht um der Political Correctness willen, damit musste er sich in den 1850ern nicht herumschlagen.

Ein wenig Licht in das grüblerische Dunkel bringt vielleicht wieder ein Blick zu Stubb in Kapitel 27. Da erfährt der geneigte Leser — so er nicht die langatmigen Beschreibungen überliest (“Und wo bleibt der Wal, häh?”) — dass unser Stubb Pfeife raucht. Immer. Nachdem er seine Beine aus der Koje geschwungen hat, zündet er sich das Pfeifchen an und lässt es nicht mehr ausgehen, bis er sich nach vollbrachtem Tagwerk wieder in die Koje sinken lässt. Da raucht er dann noch ein Weilchen, ehe er die Augen schließt. Und dann träumt er wahrscheinlich noch vom Qualmen. Melville charakterisiert den Kettenraucher aber durchaus sympathisch und liefert in der Nikotinsucht auch gleich eine mögliche Erklärung für Stubbs ruhiges und ausgeglichenes Wesen: “So, likewise, against all mortal tribulations, Stubb’s tobacco smoke might have operated as a sort of disinfecting agent.” Als Mittel gegen die Angriffe der Welt.

Und Ahab? Wirft die Pfeife fort! Seinen Schutz gegen die mortal tribulations! Wenn das mal gut geht, denkt man sich da als mitdenkender Leser.

Obwohl… Auch das genaue Gegenteil könnte Herman uns da durch die Blume zu vermitteln suchen. Hängt eigentlich wieder ganz davon ab, wie man zu Ahab steht. Entweder man beneidet Stubb um seinen Gleichmut und seine Einfalt — dann ist der Tabaksqualm eine hilfreiche Waffe gegen die Anfeindungen einer unfreundlichen Welt. Ein Schutzpanzer, der, wenn man nur genug pafft, alles Übel vom Paffenden fernhält. Oder man steht eher auf Ahabs Typ, der vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig ist, dafür aber mutig der Welt in ihre wütende Fratze blickt! Und der sich ganz und gar nicht einlullen lassen will von irgendwelchen Dämpfen.

Ich persönlich neige ja zur zweiten Theorie — Ahab erscheint mir so viel kraftvoller und mit viel mehr Tiefe versehen als der doch recht schlichte Stubb. Kann doch nicht sein, dass Melville uns Stubb als Ideal präsentieren will. Dann eher Ahab, der den Mut hat, sich der Welt zu stellen. Auch wenn er das zugegeben recht eigenwillig tut…

Heather Coleman, 17th Century Mariners Clay Pipe

Bild: Heather Coleman: Dawnmist Studio Clay Pipe Shop.

Written by Wolf

5. June 2008 at 12:01 am

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Enter Stubb; To himself, Stubb: Du sollst nicht denken

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Elke hat Kapitel 29: Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb gelesen:

Elke HegewaldIch konnte mich ja eines Schmunzelns nicht erwehren beim Lesen der Szene mit den zwei kläffenden, zänkischen Kerls. Für mich hatte sie durchaus was Kurioses.

Zu Ahabs Ehrenrettung muss zunächst mal angemerkt werden, dass er ja mitnichten ohne Rücksicht auf Verluste und Mannschaftsschlaf allnächtlich mit seinem Knüppelfuß übers Deck poltert. Er achtet im Gegenteil sehr wohl auf die verdiente Ruhe seiner Crew. Sogar

some considering touch of humanity was in him; for at times like these, he usually abstained from patrolling the quarter-deck; because to his wearied mates, seeking repose within six inches of his ivory heel, such would have been the reverberating crack and din of that bony step, that their dreams would have been on the crunching teeth of sharks.

Verjendist siehe Seite 217.

Aber ahnen wir doch längst, was ihn umtreibt und dass es manchmal mit ihm durchgeht. Der Typ kreist doch um sich selbst – na, und diesen ominösen Wal. Und dann kommt dieser Trottel Stubb angebolzt und beschwert sich, dass er mal nicht schlafen kann.

So gesehen und in Anbetracht von dessen “scherzhafter Unterwürfigkeit” beginnt von Ahabs Seite das Geplänkel ja noch geradezu leutselig und beschwichtigend – ein Zug, den man in ihm, mit Verlaub, gar nicht vermutet hätte, oder? Nur im Nachsatz muss er dann doch noch den Boss raushängen lassen und ihn einen Hund heißen – oder hatte es gar auch der Versuch eines Scherzes werden sollen? (Melville wäre das zuzutrauen, aber das ist nun wieder der Nachteil vom Lesen, man hört ja den Tonfall nicht so recht…). Sollte es denn so gewesen sein, ging das jedenfalls kräftig daneben, um nicht zu sagen, nach hinten los. Denn so kann man selbst einem Stubb nicht kommen, schließlich hat ein ehrbarer Waljäger auch seinen Stolz.

Stubb Moby Dick! The Musical, PresentingWas das Erstaunliche daran ist: Es kommt einem beinahe so vor, als wären beider Rollen vertauscht, freilich nur für einen kleinen Moment. Denn der finstere Ahab scheint zuerst ungewohnt menschlich und milde und wird erst unversehens wieder dämonisch und aufbrausend, als ihm Widerworte entgegen wehen. So weit kommt das noch, dass der Untergebene, dieser kleine Knappe sich gegen ihn auflehnt – wer ist denn hier der Kapitän!

Stubb hingegen, dessen heiteres und gemütliches Wesen uns Kapitel 27 bekanntlich in einigermaßen epischer Breite erhellte, das ist doch der, den so schnell nix aus der Ruhe bringt – “so cheerily trudging off with the burden of life in a world full of grave pedlars, all bowed to the ground with their packs” (Kapitel 27, bei Jendis Seite 205). Der mit dieser sympathischen Fischkopp-Mentalität des küstengeborenen Inselmenschen, wie sie in derartigen Landstrichen offenbar weltweit zu Hause ist. Und der versteht den etwas verunglückt geratenen Humor seines Obersten plötzlich miss und muckt auf. Statt einfach den ollen Walbeinernen zu nehmen wie er ist und ihm dieses eine Mal nachzusehen, dass er seinen Moralischen hat und infolge seiner Behinderung in naturgemäßem Stakkato über ihren Köpfen herumtrampelt. Und den gebieterisch rauen Ton eines Käptns auf seinem Schiffe, der halt nicht mit Engelszungen daherkommt, sollten solche harten Kerls nicht gewohnt sein…? Hm, wenn diese skurrile Konstellation ihren Zündstoff, an dem sie explodiert, nicht selber ausgebrütet hat, dann weiß ich auch nicht.

Und hinterher brabbelt er ratlos wirres Zeug in sich hinein und versteht die Welt nicht mehr oder was ihn eigentlich geritten hat, sich mit dem da anzulegen. Diesem Murmelmonolog wohnt wirklich nichts weniger inne als der durchgeistigte und psychologelnde Bewusstseinsstrom späterer Autoren, da hat der Wolf schon Recht – und Melville sowieso. Denn nennen wir es doch beim Namen: Unser guter Stubb ist ein einfaches Gemüt, das eben auch mal langsamer denkt, als es spricht, und sich nicht gern den Kopf zerbricht. Nicht umsonst besinnt sich so einer zu guter Letzt gegen das Chaos in seinem Hirn auf sein höchstpersönliches elftes Gebot: Du sollst nicht denken! Und sein zwölftes: Du sollst schlafen – wenn du kannst. Schau an, nicht supergescheit aber lebenstüchtig, der Mann. Rettung durch Verdrängen – kennt doch jeder. Oder etwa nicht?

P.S. Ach ja, eine freundliche Begegnung hatte ich auch noch, beim Kramen nach der passenden Illustration. Wollt ihr hörn? Es gibt tatsächlich eine Insel, die Stubbs Island heißt. Ein winziges Stück Land im Meer an der Nordspitze des riesigen kanadischen Vancouver Island, beide voller Natur pur, ersteres besonders hübsch bei Sonnenuntergang. Und wenn ich mir einerseits auch schwer vorstellen kann, dass dieses Inselchen ausgerechnet nach Ahabs Zweitem benannt ist, spricht doch andererseits etwas Gewichtiges beinahe dafür: Es bietet nämlich eine Touristenattraktion an, wie sie einschlägiger kaum sein kann – Stubbs Island Whale Watching! So viel Zufall kanns doch gar nicht geben, oder?

Bilder: Moby Dick! The Musical; Norman Bolwell: Stubb’s Whaleboat.

Written by Wolf

16. May 2008 at 12:20 am

Posted in Steuerfrau Elke

Pfeife schmauchen und Kaffee trinken

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Conceive him now in a man-of-war; with his letters of mart, well armed, victualed, and appointed, and see how he acquits himself.

Thomas Fuller: The Good Sea-Captain,
in: The Holy State, and the Profane State, 1648.

Jürgen hat Kapitel 29: Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb gelesen:

Jürgen Jessebird SchmitteIn Kapitel 27 findet sich über Stubb der schöne Satz: “Long usage had, for this Stubb, converted the jaws of death into an easy chair.”

“Long usage” — Gewohnheit. Das scheint mir der markanteste Zug an Stubb bisher. Solange alles seinen geregelten Gang geht, solange ist er zufrieden. (Zu seinen Gewohnheiten gehört ganz sicher auch das Pfeifenschmauchen!) Da schreckt ihn nichts. Der Gang zum Kapitän, um sich zu beschweren — das ist schon was anderes. Denn das sollte man nicht vergessen: Ein Schiff ist keine Demokratie und Ahab ist auf der Pequod nicht nur “oberes Management”. Er ist Herr über Leben und Tod an Bord, sein Wort ist Gesetz. “Herr über Leben und Tod” vielleicht nicht so im Wortsinn, wie das auf einem Schiff der Kriegsmarine gelten würde, aber Ahabs Befehle entscheiden über das Leben der Männer an Bord. Das gehört zum Kapitän-Sein. Eiserne Disziplin ist nötig, damit das Walfangunternehmen gelingen kann.

Und dann geht Stubb zu Ahab, um sich über die Störung der Nachtruhe zu beklagen. Das erfordert Mut. Vielleicht fast ein bisschen mehr, als Stubb gegeben ist? Versucht er’s darum mit “scherzhafter Unterwürfigkeit”? Weil er ahnt, dass er sich auf unsicherem Grund bewegt?

Immerhin bringt er den Mut auf, zu widersprechen, als Ahab ihn einen Hund nennt. Doch der folgende Ausbruch seines Kapitäns ist zuviel: Rückzug. Sicher nicht aus Feigheit ob der Drohungen Ahabs, einem Gleichgestellten dürfte Stubb eine passende (vielleicht handfeste) Antwort gegeben haben, schließlich wird er sich seinen Platz als Nummer Drei an Bord verdient haben — und nicht dadurch, dass er jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist. Aber dem Kapitän hat er zu gehorchen und er tut es.

Aber kann er sich das einfach so eingestehen? Dass er da an einen geraten ist, dem er nicht gewachsen ist? Nein, kann er nicht. Darum der folgende Monolog, in dem Stubb sich einzureden versucht, dass

  1. Ahab ja doch ein komischer Kauz ist (“Anyway there’s something’s on his mind”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen,
  2. die Welt ohnehin ein merkwürdiger Ort ist (“but all things are queer, come to think of ’em”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen,
  3. er alles vielleicht doch nur geträumt hat? (“I must have been dreaming”) — und der Vorfall darum nicht so ernst zu nehmen ist.

Und morgen sieht dann alles wieder anders aus und geht seinen gewohnten Gang. Womit Stubb die Sache als erledigt betrachten dürfte.

Stubbs Coffee

Bild: North Side Review: Stubbs Coffee in: Chicagoist, 15. Dezember 2006.

Written by Wolf

14. May 2008 at 12:01 am

Posted in Steuermann Jürgen

Wo deinesgleichen zwischen Leichentüchern schläft

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Damn me, but all things are queer, come to think of ’em.

Enter Ahab; to Him, Stubb. Die Pequod fährt auf Höhe von Quito, Ecuador, Stadt des ewigen Frühlings, kein Meereszugang. Ich-Erzähler Ismael ab, Queequeg vermissen wir sowieso schon seit Kapitel 27 (“Aber Queequeg kennt ihr ja schon”), Auftritt der allwissende Märchenonkel. Auftritt Ahab; zu ihm, Stubb.

Hol’s der Klabautermann, da hat ein Erzähler zu sich gefunden und seine Erzählweise aufgenommen: Melville kommt uns jetzt mit inneren Monologen, um seine Figuren zu zeichnen. Stubb “knurrt” seinen noch probehalber, aber ich glaub nicht, dass einer wie der fast zwei Seiten lang in sich elaborierte Sätze hineingrummelt, das ist Melville schon unter den Fingern zu einem Stilmittel geraten, das man noch nicht lange zur Hand hatte (für unsere Ghostleser aus Gründen des Englischunterrichts: Und es ist eben kein Stream of Consciousness).

Was zeichnet er uns? Das, was wir aus Internetdiskussionen kennen: zwei Leute, die sich kaum kennen, sehr wahrscheinlich aber nicht mögen, und sich in leutselige Flapsigkeit flüchten, obwohl sie keine verstehen. Beiderseitige Ironieresistenz auf Offiziersebene, nach praktisch überhaupt keiner Vorlaufzeit Zank und Beleidigung. Eine Meisterleistung kommunikativen Verhaltens, wenn dergleichen beabsichtigt wäre.

Stubb fängt an damit. Er hat an seinem oberen Management etwas auszusetzen, kann aber aus Rücksicht auf Zeitbudget und Dienstweg keinen großen Verbesserungsvorschlag einreichen, sondern ist darauf angewiesen, dem Kapitän sein Anliegen auf eine Weise zu sagen, die ihn kooperativ stimmt, nicht verletzt.

“Mit scherzhafter Unterwürfigkeit” versucht er’s. Das kann, wie jedes andere Verhalten auch, richtig oder falsch sein, grundsätzlich schlecht kann ich es nicht finden. Macht er schon richtig, der Stubb. Schade, dass er diese sanguinische Tonart nicht durchhält. Da grinst schnell die Eskalation ums Eck.

Und prompt: “Ach, Stubb, du kanntest deinen Ahab noch nicht!” Mit dem kann man das nämlich nicht machen. Der Mann schläft seit Tagen nur drei Stunden am Tag — vermutlich um ihn vom Mannschaftspöbel zu unterscheiden, der menschlichen Bedürfnissen wie dem Schlaf obliegt, und dafür in die Nähe eines Napoleon zu rücken, von dem dieselbe Legende geht, vier Tagesstunden Schlaf seien für Weiber und deren fünf schon für Schwächlinge.

Für einen letzteren hätte ihn nie jemand gehalten, aber er reagiert auf denkbar unausgeschlafene Weise. Ahabs erste Replik enthält noch versöhnliche Teile: “Doch geh nur, ich hatte nicht daran gedacht” — aber selbstherrliche Führungskraft, die er ist, muss er weiterranzen. Leider kommen dann schon die ersten Schimpfwörter vor. “Kusch dich, du Hund, ab in die Hütte!” könnte man noch als bärbeißigen Abschluss der Diskussion werten und es gut sein lassen, das vorausgehende

Below to thy nightly grave; where such as ye sleep between shrouds, to use ye to the filling one at last.

als etwas fehlgeleitete Brillanz verbuchen. Batz, schon hat er überreagiert. Ahabs Eloquenz dient keinem intellektuellen Kräftemessen, sondern ist die eines donnernden Predigers — und falls doch, hat er nicht mit dem Zweiten Offizier in Stubb gerechnet oder ihn absichtsvoll ignoriert.

And now that I think of it (Stubb), war Ahabs Versuch vielleicht gerade doch, einen geistigen Sparringspartner zu finden. Dass Stubb so humorlos einfriert und einen auf verletzte Ehre macht, treibt Ahab ja erst zu seiner richtigen Kaskade mit Esel und Maultier und Schafskopf rauf und runter. Vielleicht braucht er nur deshalb so wenig Schlaf, weil er geistig unausgelastet ist?

Stubb entlässt er dann als Feind in zwei Seiten passiver Aggression. Der Horizont kann öde sein. Und Ironie ein geladen Schießgewehr.

Bild: Frank Stella: Enter Ahab; to him, Stubb, 1988,
aus: Moby-Dick and Imaginary Places, Galerie Jamileh Weber.

Written by Wolf

12. May 2008 at 2:19 am

Posted in Steuermann Wolf

Stigma diabolicum

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Elke hat Kapitel 28: Ahab gelesen und Ahabs Mal gesehen:

Elke HegewaldKapitän Ahab betritt die Bühne. Da steht er also auf seinem Achterdeck rum, der Langersehnte. Das war aber auch schon das Dramatischste, was dieses 28. Kapitel zu verkünden hat, oder? Ansonsten: ein bisschen ahnungsvolles Bauchgrimmen sowie besorgte Spekulationen über Scheffes Befehlsgebaren bei Ismael, der sich wohl auf seine schwindende Erzählerrolle im weiteren Handlungsverlauf vorbereitet, zunehmend eitel Sonnenschein und eine milde Brise auf Deck. Die sogar den finsteren bislang Unsichtbaren zunehmend ans Tageslicht lockt und beinahe hätte lächeln lassen…

Also wirklich. Auf die Gefahr hin, mit grünen Tomaten und Chowder-Bowls beworfen zu werden, frag ich mal ketzerisch: Hat der geneigte Leser (abgesehen von den eingeweihten, die eh Bescheid wussten und nur so tun als ob) von diesem Auftritt nicht was Spektakuläreres, Unheilschwangereres erwartet — und verdient? Wie hat er diesem Moment entgegengefiebert und wie viele Kapitel mit weit mehr Input über den Herrn der Pequod schon hinter sich gebracht und noch zu erwarten. Sogar von dessen Walbein — sei’s nun das rechte oder das linke — weiß er längst. Wen wundert es da noch, wenn die Moby-Projekt-Arbeiter sich “vor der Größe der Ereignisse in stubengelahrte Kniefieseleien” flüchten, wie der Wolf so schön zu formulabern pflegte? Und sich bei ihrer literierenden Waljagd vorübergehend bis an die Grenzen der Trägheit selber retardieren. Andererseits: Wer musste auch seine Erwartungen an des Leibhaftigen Erscheinen so auf die Spitze treiben?

Genug davon und ProvoZeter-Modus aus. Zumal uns doch immer eingebläut wird, positiv zu denken, nä. Und so gesehen ist diese gefühlte Ereignislosigkeit des bemotzten Kapitels nicht des guten Melvilles Schuld, sondern sein Verdienst. Und er uns, explizit was das nämliche Retardieren angeht, ein großer Lehrmeister, hihi.

Öhm… schreiten wir also mal zu einer gerafften Bestandsaufnahme der vorliegenden Nummer 28.

“Die Wirklichkeit übertraf jede Befürchtung. Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck” macht sich in jedem Falle gut als filmische Drehbuchanweisung und ist eine echte Herausforderung für jeden Regisseur, oder? Womit wir dann allerdings — nicht wahr, Stephan? — schon wieder bei Gregory Peck oder Patrick Stewart und Konsorten wären.

Der Umgang des obersten Herrn der Pequod mit seinen Steuerleuten wird uns sicher noch anders als durch geschlossene Türen offenbar; auf die bunte und für ihr Handwerk überaus kompetente Vielvölkercrew scheinen sowohl Ismael als auch Melville selbst felsenfest zu bauen.

Ruthe, Verzeih mir, 8. August 2007Wäre da noch die Sache mit dem unheimlichen und leichenfahlen (Ganzkörper-?)Mal. Diese Kreuzigung, die — wie bereits festgestellt — nicht nur Generationen von Lektoren und Übersetzern zur Verzweiflung gebracht hat, sondern mich gleich wieder in diverse Spinnereien und diffus Aufgelesenes entführt, warum der Herman ihm eine solche anhängen mag. Deutereien und Spekulationen um diese auf dem Schiff wohl als Tabu gehändelte Zeichnung gibt es im Kapitel selbst ja reichlich — vom Zeitpunkt und der Art ihres Erlangens über ihr Ausmaß bis hin zu damit erworbenen übernatürlichen Fähigkeiten. Und zu allem Überfluss spuken in mir auch noch abergläubische Überlieferungen um unheimliche Körpermale (vornehmlich an Hexen und sonstigen vom Teufel Besessenen zu finden), die Satan höchstselbst verleihen soll und die sogar Eingang in die Rechtsliteratur gefunden haben. Warum auch nicht — hat denn nicht die überlieferte Gottlosigkeit seines historisch-biblischen Namensgebers und sein In-die-böse-Ecke-Rücken nicht auch unser entwurzelter Finsterling ererbt…?

Der Gezeichnete: Ruthe, 8. August 2007.

Written by Wolf

18. March 2008 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Ahab — Held oder Schurke?

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Jürgen hat Kapitel 28: Ahab gelesen und unterscheidet Gut und Böse:

Jürgen Jessebird SchmitteWie bekannt ist, wird Ahabs Besessenheit für den Weißen Wal ihm, seinem Schiff und seiner Besatzung zum Verhängnis werden. Aber nur, weil er seine Männer opfert, um ein Ziel zu erreichen, macht ihn das schon zum Schurken? Ahabs Auftritt in diesem Kapitel ist nicht dazu angetan, diesen Eindruck zu erwecken. Statt dessen umweht ihn eine Aura von Entschlossenheit, von unbändiger Willenskraft:

There was an infinity of firmest fortitude, a determinate, unsurrenderable wilfulness, in the fixed and fearless, forward dedication of that glance.

Auch wenn Ishmael von “grim aspect” spricht, so ist es doch wohl eher Ehrfurcht als etwas anderes, das er empfindet. Zeigt sich sehr schön auch in der Formulierung “regal overbearing dignity”.

Wäre Ahab nicht “nur” Walfänger, sondern Soldat, dann wäre er aus dem Holz, aus dem man Helden schnitzt. Zitat aus Billy Budd:

Personal prudence even when dictated by quite other than selfish considerations surely is no special virtue in a military man; while an excessive love of glory, impassioning a less burning impulse, the honest sense of duty, is the first.

John Wayne, ca. 1939Persönliche Vorsicht ist also keine Tugend, Pflichterfüllung (auch aus dem Motiv der Ruhmsucht) aber schon. Ahab wird seine Pflicht erfüllen, eine Pflicht, die er sich selbst auferlegt hat. Mit der er nicht immer glücklich ist, die ihm schwer zu schaffen machen wird. Aber: “A man’s gotta do what a man’s gotta do.” (John Wayne in Hondo, 1953)

Das ist Heldenholz, wenn man so will. Nicht alle Welt sieht die Jagd auf einen Wal als hehres Ziel an, doch das ist Ahab gleich — auch das ist, denke ich, ein Aspekt des Helden. Er geht seinen eigenen Weg.

Also, nicht Schurke, sondern Held. Verblendet vielleicht, aber das hat Heldentum ja noch nie geschadet.

Written by Wolf

17. March 2008 at 12:01 am

Posted in Steuermann Jürgen

Cellinis Ahab

with 9 comments

Stephan hat Kapitel 28: Ahab gelesen:

Stephan De MariaIn der Tat, es wird! ich hab den Anschluss gefunden, hab gelesen und auf die schönstmögliche Weise überfüllte ICE mit Fußbodenplatz überstanden. Dieser Ahab. “I was struck with the singular posture he maintained.”

Es war das erste größere Stück, das ich zusammenhängend gelesen habe und ich bin größtenteils schlichtweg amüsiert. Melville hat so viel Ironie und auch handfesten Humor, dass es eine Freude ist. Gleichzeitig ist seine Beschreibung der Charaktere, der Szenen so dicht. Es ist mir sehr schnell gelungen das Bild Gregory Pecks zu vergessen. Ahab hat nun sein ganz eigenes in mir entstandenes Antlitz. Und das ist gut so. “Reality outran apprehension.”

Benventuo Cellini, Perseus, FlorenzThere seemed no sign of common bodily illness about him, nor of the recovery from any. He looked like a man cut away from the stake, when the fire has overrunningly wasted all the limbs without consuming them, or taking away one particle from their compacted aged robustness. His whole high, broad form, seemed made of solid bronze, and shaped in an unalterable mould, like Cellini’s cast Perseus.

Cellinis Perseus: Ich habe mir den angeschaut, und ich muss gestehen, dass ich nicht so recht nachvollziehen kann, was Herman mit dem Vergleich meinte. Vielleicht die Entschlossenheit zu töten? Perseus hält das abgeschlagene Medusenhaupt in seiner linken Hand, den Arm ausgestreckt, während der rechte Arm das Schwert haltend in einer hängenden Ruhepose dargestellt ist. Sein Blick ist gesenkt, die Anstrengung, der Stress lassen wohl gerade ein wenig nach, aber er schreitet entschlossen voran.

Irgendeine Erklärung für mich? Zumal Perseus jung ist, voller Kraft und Leben.

Bild: Benvenuto Cellini: Perseus in Wikimedia Commons.

Written by Wolf

15. March 2008 at 12:01 am

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From hell’s heart I stab at thee

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Wolf hat Kapitel 28: Ahab gelesen:

Jorge Lacera, Random Bits, Captain Ahab, 25. September 2007Ich kann so nicht arbeiten; nicht, indem ich einfach nicht arbeite. Der letzte Artikel in der Art, für die wir uns hier und da versammelt haben, stammt a) von Elke und b) vom 7. November. Ist ja schon gar nicht mehr wahr, kann man ja gar nicht im Kopf ausrechnen, wie lange das her ist. Was wohl Kapitän Ahab zu einer derartigen Saumseligkeit gesagt hätte. Deckschrubben hätte der einen geschickt, und zwar mit der Zahnbürste. Und mit Vernunftargumenten wäre er davon nicht abzuhalten.

Wo sich die von uns gegangene Steffi doch immer so auf Ahab gefreut hat; in ihren letzten Beiträgen hat sie nie versäumt, ihre Enttäuschung darüber zu vermerken, dass der Quasi-Herrgott der Pequod sich immer noch nicht blicken lässt. Jetzt steht er endlich großmächtig wie aus den Planken gewachsen da mit nicht weniger im Sinn, als die Handlung voranzutreiben.

Die Wirklichkeit übertraf jede Befürchtung: Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck.

So Jendis; Rathjen fast noch bildhafter:

Die Wirklichkeit ließ das Fassungsvermögen hinter sich zurück; Kapitän Ahab stand auf seinem Achterdeck.

Am eindrucksvollsten an seiner Beschreibung ruft uns Melville Ahabs Gesichtsausdruck vor Augen:

Ahab stood before them with a crucifixion in his face; in all the nameless regal overbearing dignity of some mighty woe.

Eine Kreuzigung trägt er im Gesicht — wie geht’s denn noch leidvoller? Jendis überträgt uns das ganz wörtlich, Rathjen spricht “nur” von Marterspuren. An dieser Stelle Punkt für Jendis, finde ich. Überhaupt hat die Stelle bisher offenbar jedem Moby-Übersetzer zu schaffen gemacht. Ebenfalls im Jendis (Anmerkungen von Daniel Göske, Seite 953) lernen wir:

Nicht nur für den englischen Lektor [der Melvilles Manuskript mit noch mancherlei zickigen Eingriffen verunziert hat] war dieses expressive Bild zu kühn. In der Londoner Ausgabe ist Ahabs Antlitz von “einem anscheinend ewigen Kummer” gezeichnet; frühere deutsche Übersetzungen sprechen (im Gegensatz zu ihren französischen Kollegen [als erster Jean Giono, und folgende]) nur von “heilige[m] Gram” (1944) [also Fritz Güttinger], einem “zermarterte[n] Gesicht” (1946, 1956) [also Thesi Mutzenbacher & Ernst Schnabel und Seiffert & Seiffert] oder “gemarterte[n] Zügen” (1954) [womit wohl Richard Mummendey gemeint ist, dessen 1964er Übersetzung Göske wiederholt falsch zu datieren pflegt. Hat jemand den Mummendey-Moby und kann kurz nachweisen oder widerlegen, ob das der mit den gemarterten Zügen ist?].

Locker drüber hinweg konnte da noch niemand lesen.

Ferner benutzen unsere beiden Lieblingsübersetzungen die Schreibweise “Kapitän Ahab”. Bisher hab ich mir webloghalber “Captain Ahab” angelegen sein lassen, weil man es unwillkürlich englisch ausspricht, oder jedenfalls in der dahingeflapsten Weise, die wir Landratten gern für seemännisch halten. Das schreibt sich dann meistens “Käpt’n Ahab”, was ich für eine bemühte Kinderbuchsitte halte. Aber ihr dürft das gern weiter benutzen, es wäre zu rechtfertigen und ist außerdem genügend etabliert.

Ihr merkt es wohl, ich flüchte mich vor der Größe der Ereignisse in stubengelahrte Kniefieseleien. In rituellen Anfängen oder Abschieden war ich noch nie gut. Seit November hab ich durchaus den einen oder anderen Anlauf genommen, um einen Beitrag wie diesen zu liefern. Mit dem bisschen Ergebnis mögen meine Leser mit mir glücklich sein oder nicht, aber es ist schon auch kein Wunder. Fangen Sie mal an, über Ahab zu recherchieren. Zugeschwemmt werden Sie da von Google, zugeschwemmt. Hauptsächlich mit Musikern unterschiedlicher Richtungen, die sich auf ihn berufen, dann mit Gregory Peck in seiner gleichnamigen Rolle 1956, erst dann mit dem Büchernerdkram, wie wir ihn brauchen. Man wird das bis Kapitel 135 noch oft tun müssen, und dafür wünsche ich mir dann spitzere Themenstellungen. Als ob ich sie nicht selbst aussuchen könnte — aber auf was hübsches Brillantes über Ahab-itis freu ich mich schon.

Genug, das handlungstragende Personal ist beisammen, in Kapitel 29 winkt dann ein Wechsel der Erzählperspektive. Der Leser, den sich jeder Schreiber für jedes Buch neu schaffen muss, ist damit wohl vollendet: Uns mein ich. Wir sind auf See und können nicht mehr zurück. Mir gefällt, wie sogar Ahab fast gelächelt hätte:

Nevertheless, ere long, the warm, warbling persuasiveness of the pleasant, holiday weather we came to, seemed gradually to charm him from his mood. For, as when the red-cheeked, dancing girls, April and May, trip home to the wintry, misanthropic woods; even the barest, ruggedest, most thunder-cloven old oak will at least send forth some few green sprouts, to welcome such gladhearted visitants; so Ahab did, in the end, a little respond to the playful allurings of that girlish air.

Und wieder bleibt unklar, welches Bein dem Manne eigentlich fehlt. Ich übergebe an Elke, Stephan und jeden, der was zu sagen hat.

Ahab the captain/looks a lot like Abe Lincoln/but walks with a limp

Bilder: Jorge Lacera: Random Bits, 25. September 2007;
MadHaiku: MoBy DiCk In HaIkU v2, Chapter Five.

Written by Wolf

11. March 2008 at 1:58 am

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Gay religions full of pomp and gold

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Elke hat Kapitel 27: Ritter und Knappen gelesen:

Wandering o’er the earth,
Through God’s high sufferance for the trial of man,
By falsities and lies the greatest part
Of mankind they corrupted to forsake
God their Creator, and th’ invisible
Glory of him that made them to transform
Oft to the image of a brute, adorned
With gay religions full of pomp and gold,
And devils to adore for deities.

John Milton: Paradise Lost, Book I

Stubb by Moby Dick The MusicalNatürlich bin auch ich sogleich über der Melvilleschen Untiefe ins Schlingern geraten, warum nun die Ritter und Knappen noch ein zweites Mal als Kapitelung herhalten müssen. Spinn ich halt auch ein bisschen so für mich hin — schließlich hat der Wolf damit angefangen. Eigentlich ist ja das Atemholen ganz einleuchtend, wo wir doch aus dem Mastkorb Kapitel 28 und damit den so ewig retardierten Auftritt des leibhaftigen Ahab erspähen können (der Leibhaftige ist auch ganz schön zweideutig, oder?).

Mir hingegen gefällt ja die angesprochene und plötzlich über uns hereingebrochene Systematik des Herrn Melville noch besser. Starbuck hat schon deshalb dies eigene Kapitel verdient, da er als Erster Steuermann wie kein anderer zugleich Ritter und Knappe ist, um mal in der Metaphorik des Autors zu bleiben: Ersteres in Bezug auf seine Bootsbesatzung gesehen und in seiner Position als Vertreter und Hüter der Crew — und der Vernunft; andererseits ist er des schiffsallmächtigen Ahab “Knappe”, Untergebener… Befehlsempfänger und Übermittler von solchen des Kapitäns nach unten. Diese Kombination ist es doch, die ihn (wie von uns schon ausgemacht) neben allem anderen auf der wilden Jagd zum einzigen halbwegs ernsthaften Widerpart von Ahab werden lässt. Mal abgesehen jetzt von Moby Dick selber, aber die Kreatur zählt hier nicht.

Deswegen verkommt uns Nummer 27 noch lange nicht zur bloßen Liste der Weisungsbefugnisse, nicht bei einem Herman Melville. Von der insulanischen Walfängerelite der Pequod erfahren wir hier grob schon fast alles, was man als Minimum von Leuten wissen muss und mag, mit denen man immerhin — nach der wolfschen Lesetempo-Prophezeiung — noch bis 2012 auf einem Schiff segeln wird. Inklusive Vor- und Herkommen, Spitznamen sowie — beim einen mehr, beim anderen weniger einnehmenden — ungesunden Marotten. Von denen mir Stubbs Pfeifchenpafferei nicht grad die unsympathischste ist. So viel weiß so manche Bloggerverschwisterung nicht voneinander. Zu den Isolato-Typen als Zeitgenossen könnte ich aus meinem multikulturellen Umgang glatt auch noch einen imposanten Daggoo, mit etwas Nachdenken sogar ein würdiges Stammesmitglied amerikanischer Ureinwohner beisteuern.

Jean-Baptiste du Val-de-Grâce, baron de ClootsDie Pequod ist eine Welt im Kleinen mit einem exemplarisch bunten Menschengemisch (irgendwo waren wir darauf auch schon mal gekommen):

Eine Abordnung des Anacharsis Clootz von allen Inseln der Meere und allen Ecken der Erde, die den alten Ahab auf der Pequod begleiteten, um die Beschwerden der ganzen Welt vor die Schranken jenes Gerichtes zu bringen, von dem nur wenige jemals zurückkehren.

Jendis, Seite 209

Jener Anacharsis, von Hause aus ein preußischer Baron namens Jean Baptiste du Val de Grace Cloots, hatte Melville so schwer beeindruckt, dass er ihn nicht nur hier für das Bild der Schiffsmannschaft bemühte. Auch später im Billy Budd ließ er sich nochmal anerkennend über den Kerl aus, der während der Französischen Revolution nach Paris zog und dort im Juni 1790 sich und einen buntgewürfelten Haufen Fremder “der ersten französischen Nationalversammlung als Abgeordnete des Menschengeschlechts” präsentierte. Er wurde sogar gewählt — doch zurück kehrte er nicht; 1794 endete er unter der Guillotine (siehe Göske/Jendis, Seite 953). Hmjah, ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Die offenbar Melvillescher Walfängererfahrung entsprungene Verteilung von Geist und Muskelkraft in diesem babylonischen Gewimmel bringt einen noch ein wenig ins Grübeln — ob unserm Autor da wohl schlicht die nackten Tatsachen und der Zeitgeist die Feder geführt haben oder auch ein Stückchen seiner geliebten Ironie. Man steckt ja nicht drin…

Fedallah by Cetus the WhaleWas der Schreiber auf seiner eigenen Insel allerdings genauso gut zu wissen scheint wie die ganzen My-island-is-my-castle-Typen auf dem Schiff, „…die den allen Menschen gemeinen Kontinent nicht anerkennen, sondern jeder für sich als Isolato auf ihrem eigenen Kontinent leben” (Jendis, Seite 209) ist: was zählt, wenn alle in einem Boot sitzen. “Doch nun, da sie Konföderierte eines Kiels waren — was für eine verschworene Schar stellten diese Isolatos da vor!” So als Eigenbrötler ist schwer überleben in derlei gefährlichem Handwerk. Und manchmal hilft nicht mal das Verschworensein.

So, aber mehr sag ich nicht — ‘s wäre ja fies, jetzt schon zu verraten, wie’s ausgeht, nä.

Moby Dick greift an

Bilder: Stubb by Moby Dick! The Musical, 2005; Jean-Baptiste du Val-de-Grâce, baron de Cloots by Wikimedia Commons; Fedallah by Cetus the Whale; Moby Dick greift an: selber gemacht. Lizenzen im Zweifelsfall: Creative Commons.

Written by Wolf

7. November 2007 at 12:01 am

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But I am an island – I’m fucking Ibiza!

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Wolf hat das zweite Kapitel: Ritter und Knappen, das 27., gelesen:

Stubb bei Cetus the WhaleUm zu verstehen, was einen ambitionierten Schreiber dazu treibt, zwei Kapitel hintereinander mit der gleichen Überschrift zu versehen, muss man wohl im 19. Jahrhundert Wale gejagt haben, aber es wird damit zu tun haben, dass es keine echte thematische Trennung ist und Starbuck nur so viel Platz einnehmen wollte, dass ein ganzes Kapitel 26 voll wurde und Melville für die restlichen Hauptfiguren in Kapitel 27, ebenfalls Knights and Squires, nochmal Luft holen musste. Seeleute. Immer besorgt um ihren langen Atem.

So viel Systematik hat er bis jetzt, wir haben Seite 200 überschritten, auch noch nie vorgelegt. Die getreuen Bildnisse von Starbuck (26) und der anderen Steuermänner einschließlich ihrer “Knappen” ergeben ein sauberes Powerpoint-Chart. Ein kurzes, einfaches, überschaubares mit gerade mal sechs Namen, aber genau so soll Powerpoint ja aussehen.

Das Wichtigste in Kürze für diejenigen unserer tausend Fans, die nicht parallel zu uns die Primärliteratur mitlesen:

Erster Steuermann (First Mate): Starbuck;
Zweiter Steuermann (Second Mate): Stubb;
Dritter Steuermann (Third Mate): Flask.
Harpunier und Assistent des Ersten Steuermannes: Queequeg;
2. ~ : Tashtego;
3. ~ : Daggoo.

An dieser angenehm übersichtlichen Versammlung fällt auf, dass die Chefs, die “Ritter”, weiße, körperlich unversehrte, heterosexuelle (?!) Nordamerikaner christlichen Glaubens sind, allesamt Insulaner aus den Walfängergegenden Neuenglands, ihre untergebenen Harpuniere dagegen die exotischsten Heiden, die sie und Melville nur irgendwie auftreiben konnten.

Eine bis heute bekannte und bemängelte Konstellation:

As for the residue of the Pequod’s company, be it said, that at the present day not one in two of the many thousand men before the mast employed in the American whale fishery, are Americans born, though pretty nearly all the officers are. Herein it is the same with the American whale fishery as with the American army and military and merchant navies, and the engineering forces employed in the construction of the American Canals and Railroads. The same, I say, because in all these cases the native American liberally provides the brains, the rest of the world as generously supplying the muscles.

Chapter 27, Knights and Squires, gegen Ende

Eine Beobachtung allerdings, die wir Melvilles eigener Erfahrung vor dem Mast real existierender Walfänger zuschreiben dürfen: Ob die Knights und die Squires dem christlichen Abendland oder den heidnischsten Weltecken entstammen, es sind immer wieder Inseln, denn

How it is, there is no telling, but Islanders seem to make the best whalemen. [L.c.]

Für den Rest von Melvilles Gesamtwerk lese ich die Konzeption und Definition des Isolato heraus, jenes Menschenschlags, der sich etwas schief ins Leben gebaut durch die späteren Zeitschriftenerzählungen kauzt. Eine alte Disposition der schreibenden Zunft, wenn es mit ihr nicht so recht vorangehen will. Aus solchen zwangsweisen Junggesellen und Monobegabungen besteht offenbar die gesamte Mannschaft der Pequod — eben auch all die tapferen, ehrbaren Christen und Heiden, die es nicht zu einer namentlichen Erwähnung bringen. In Cock-a-doodle-doo! von 1853 und The Piazza von 1856 sind solche Gestalten die Ich-Erzähler, und dem Lebenswandel nach ist auch Bartleby von 1853 einer: Wie sehr kann man denn noch auf seinem eigenen Kontinent leben, als indem man bis zum eigenen Untergang die meisten Regungen verweigert?

Bill SienkiewiczIn so einem Lebenslauf, auf sturmgebeutelten Walfängern oder in philiströsen Schreibstuben, trifft man ja mit der Zeit die absonderlichsten Leute. Selbst ich, der ich eher die letztere Version lebe, erkenne in den drei Steuermännern der Pequod Abbilder von Leuten, die ich schon mal getroffen hab.

Mit Stubb zum Beispiel war ich beim Bund, Grundausbildung als Fernmelder in Daun. Ganz ähnlich wie Stubb hat der sich in der Frühe als erstes keine Pfeife, aber eine Marlboro angeschürt, um sich dann um die brennende Fluppe im Mund herum zu rasieren — nass. Und so einen übereifrigen Giftzwerg wie Flask hatte jeder schon mal als Chef. In meinem sozialen Portfolio fehlen allerdings so eindrucksvolle Indianer wie Tashtego oder der baumhafte Neger Daggoo.

Bilder: Stubb bei Cetus the Whale, Tashtego: Rockwell Kent bei Lakeside Press Edition, Daggoo et al.: Bill Sienkiewicz; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

30. October 2007 at 1:12 pm

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Nochmal Starbucks für alle: aufgewärmt Kapitel 26

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Elke rafft sich vom Krankenbett auf to talk like a pirate
über Ritter und Knappen:

Elke HegewaldEr ist der Traum aller Schwiegermütter jeder verdammten Walfängerdynastie zwischen Nantucket und Cape Cod, dieser Starbuck, zweiter Mann auf der Pequod. So und nicht anders muss einer sein und aussehen, der es mit dem Wal aufnimmt. Wie das vom Habitus her rüberkommt, dazu verweise ich mal auf die Spekulationen der Jungs.

Dabei ist er nicht der Draufgängertyp wie der schaumgewordene Bulkington oder gar einer, der das Reden erfunden hat, sondern “ein gelassener, unerschütterlicher Mann, dessen Leben zum überwiegenden Teil eine beredte Pantomime aus Gebärden und Taten war, nicht ein handzahmes Kapitel aus Worten.” (Jendis, Seite 200)

Bible Code DigestEr ist einer, der dorthin gehört, ein Fighting Quaker und Ur-Nantucketer, auch wenn er mit Frau und Kind inzwischen auf dem (damals noch) Festland in Cape Cod lebt – wenn er denn mal zu Hause ist. Was übrigens John Huston in seinem Moby-Dick-Klassiker schamlos ignoriert hat, denn der lässt ihn beim Auslaufen des Schiffes aus dem Hafen von Nantucket seiner Familie zuwinken. Aber dies nur am Rande.

Erfahren in seinem Handwerk, “ungewöhnlich gewissenhaft für einen Seemann und mit einer tiefen Ehrfurcht vor der Natur versehen” (ebenda), weiß so einer genau, was er tut.

Kurz gesagt, er ist der Kerl, dem sich die Mannschaft ohne Zaudern anvertraut, wenn sie mit ihm in das schwankende Walboot springt. In dem er keinen duldet, “der keine Angst vor dem Wal hat”. Das klingt für meine Begriffe so widersinnig und unvernünftig nicht – seine Anleihen beim Aberglauben der Seeleute sind für ihn eine Art Lebensversicherung, geboren aus dem Wissen um die Gefahren des Jobs.

Jens RuschUnd den Wal tötet er nur, weil er schlicht und ergreifend davon leben muss. Schon allein dieser Beweggrund, der Ahabs fanatischem Hass auf den Einen und seiner blutrünstigen Verfolgungssucht ferner ist als nur irgendwas, macht ihn unausweichlich zu dessen Gegenpart. Und wer sollte es auch sonst sein? Allerdings macht Herr Melville des geneigten Lesers Hoffnung auf den Sieg des Guten, nachdem er ihn den Kontrahenten nun ausmachen ließ, auch gleich wieder fast zunichte. Begibt er sich doch in die Tiefen der Starbuckschen Seelenstärke und findet daselbst, warum sie im rechten Moment nicht ausreichen wird:

So tapfer er auch sein mochte, war seine Tapferkeit doch von der Art, wie man sie vor allem an jenen furchtlosen Männern sieht, die zwar im Kampf mit Wasser, Wind und Wal felsenfest zu stehen pflegen und vor dem wirren, gewöhnlichen Grauen der Welt keinen Zoll weichen, aber jenen schrecklicheren, weil inneren Schrecken nicht zu widerstehen vermögen, welche bisweilen von der gefurchten Stirne eines mächtigen, vor Wut rasenden Mannes drohen.

Moby-Dick, Jendis-Übersetzung, Seite 201 f.

Die Seele eines Ahab ist ihm fremd und unheimlich. Das Phänomen hatte Melville schon früher nicht losgelassen, war ihm auch von Shakespeares Helden haften geblieben. So ist in seiner Ausgabe von “Antonius und Kleopatra” die Stelle mit der Warnung des Wahrsagers angemarkert:

Dein Geist, der dich beschützt, dein Dämon, ist
Hochherzig, mutig, edel, unerreichbar,
Dem Cäsar fern: doch nah ihm wird dein Engel
Zur Furcht, wie überwältigt. Darum bleibe
Raum zwischen dir und ihm.

Jens RuschUnd in seinem King-Lear-Exemplar findet sich zur Rede des Verräters Edmund die hingekritzelte Notiz: “Das infernalische Wesen besitzt oft eine Seelenstärke, die der Unschuld versagt ist.” (Siehe Göske-Nachwort, Seite 951) Ich glaub, so langsam weiß man, was er meint. Es riecht geradezu nach der unausweichlichen Katastrophe…

Auf jeden Fall ist es für mich Zeugnis der ruhelosen Sinn- (und Gott-?) -suche unseres Weltenbummlers Ismael alias Melville höchstselbst, der weder seine große Sympathie für den Mann aus dem Volke noch seine Vision der Volksherrschaft als höchstem Ausdruck der “demokratischen Würde” verleugnet. Er geht sogar so weit, diese mit dem “großen und allmächtigen Gott” gleichzusetzen und den gleich zum demokratischen Gott zu machen – schon deshalb eine Vision, falls ihr mich als Atheistin fragt. Zumindest solange Gott und Religion – dochdoch, immer noch – als Werkzeug und Rechtfertigung politischer Macht und ihrer Kreuzzüge dienen. Dem Londoner Lektor ging dies zu weit – so radikal will man ja, noch dazu als Untertan einer Monarchin von Gottes Gnaden, Demokratie nich haben, nä.

Gustave Doré, Don Quixote & Sancho PansaBliebe noch die Frage nach den “Rittern und Knappen”, einer nicht gerade als selbstverständlich erwarteten Kapitelüberschrift, wenn man grad mitten auf einem Walfänger herumsegelt, oder was meint ihr? Also mir fielen dabei seltsamerweise sogleich der Ritter von der traurigen Gestalt und sein treuer Knappe Sancho Pansa ein. Oder ist es doch gar nicht so seltsam? Denn schau an, auch beim Herrn Nachwörtler fand sich dieser Bezug, zwar in einer für meine Begriffe etwas verquasten Herleitung des Melvilleschen “Geistes der Gleichheit” (siehe Göske, Seite 951), aber immerhin. Und als alter Melvilleaner weiß man schließlich auch um des Autors tiefe Verehrung für den ollen Cervantes: In seiner Erzählung “The Piazza” nennt er ihn gar “den weisesten Weisen auf Erden” – im Original: “Don Quixote [nicht, wie von Göske dahinimpliziert, Cervantes], that sagest sage that ever lived“. Was ich eigentlich sagen wollte: Das Bild der wackeren Knappen, die der Wirklichkeit leben und immer die sind, die das Übelste zu mildern und zu verhüten trachten, und ihrer Ritter, die welchem Wahne auch immer verfallen sind – passt es nicht auch hier – irgendwie?

Bilder: Bible Code Digest, 2x Jens Rusch, Gustave Doré via Así hablaba Josef K; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

20. September 2007 at 12:01 am

Posted in Steuerfrau Elke

Das Wesen des Mannes auf seine Essenz verdichtet

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Christian hat Kapitel 26: Ritter und Knappen gelesen:

Christian WestheideSchöne Beschreibung des Starbuck-Charakters über seine physischen Merkmale, irgendwo zwischen reanimierter Mumie und drahtigem Körper (ich stelle ihn mir Iggy-Pop-artig vor, diesen Starbuck-Leib, kein Gramm Fett, durch alle Extreme der Existenz gestählt und doch vor allem verfolgt von den inneren, eigenen Dämonen). „… das Wesen des Mannes auf seine Essenz verdichtet“ – so beschreibt Melville ihn zunächst. Dann aber wird er uns als überlegter, rationaler Mann näher gebracht, lediglich mit einem Aberglauben ausgestattet, „welcher in manchen Gemütern eher der klugen Einsicht entspringt, als dem Unwissen.“

Glauben ist also Unwissen und wahrer Glauben (wie er uns im folgenden dann auch geschildert wird) Wissen? Dazu fällt mir nur, ganz Atheist, folgender Satz ein: „Glaube ist nicht verifizierbares Wissen.“ Er trifft für mich ziemlich genau die Gewissheit, mit der Gläubige von ihrem Gott oder „jenem höheren Wesen, das wir verehren“ (Heinrich Böll in der witzigen Geschichte „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“) sprechen.

Kara Starbuck ThraceNun – von Gott spricht Melville sehr viel, wenn auch die genaue Bedeutung, wenn er z.B. vom „großen demokratischen Gott“ sich wohl eher der Walt Whitmans bezieht, und seinen Gedichten wie z.B. in „Für Dich o Demokratie“ oder in „Von Paumanok kommend“, immer wieder. Das Volk und Starbuck als ein Mann aus dem Volke und die Demokratie als ihre höchste Form, sie werden in diesem Kapitel besungen. Eine Demokratie allerdings, die gerade auf einem Schiff nicht herrscht, sondern besonders unter Ahab, aber eigentlich immer zur See, eher einer streng hierarchischen Diktatur ähnelt. Der Kapitän als Alleinherrscher und absoluter Gehorsam, alles andere ist Meuterei.

Aus Cape Cod kommt der gute Starbuck, damals wohl ein kleines Fischernest, heute ein Retreat für Bostoner und New Yorker, mit Strandvillen, SUVs, Segelbötchen rosa Pulli um die Schultern gelegt – na eben white & rich America mit einer Prise Kennedy-Liberalismus. Einen Mann wie Starbuck kann man sich dort nur schwer vorstellen, keine Iggy-Pop-Körper – eher fette in kurzen Shorts seh ich da. Sei’s drum, die Zeiten ändern sich eben.

Kara Starbuck ThraceStarbuck auch ein typischer Rationalist, wenn er beschrieben wird als mutiger Mann, der aber „Wale für seinen Lebensunterhalt“ umbringen will, nicht umgekehrt. Kein Fanatiker wie Ahab, kein Getriebener, sondern einer, der Geld verdienen muss für sich und seine Familie und beim Walfang landete.

Dann hebt Melville an zu einem Gesang auf die Tapferkeit der einfachen Leute, auch eine ganz und gar whitmansche und fast uramerikanische Art. Das ganze gewürzt mit einem fast sozialistisch-internationalistisch klingenden Ton, wenn er schreibt: „Menschen mögen im Verbund von Aktiengesellschaften und Nationen abscheulich wirken; …“ Wenn er von der „unbefleckten Mannhaftigkeit“, dem Glanz und der Würde der Arbeiter („der seine Hacke schwingt oder Nägel einschlägt“) schreibt, um schließlich bei der „demokratischen Würde“ zu landen, die ohne Unterlass von Gott auf alle abstrahlt. America the Chosen Nation (heute immer noch ein Gründungsmythos, aber auch Antrieb für solche Dummköpfe wie George W.B. und einige Präsidenten vor ihm, andere Länder zu „befreien“). Das Neue Jerusalem, erwählt, die Welt mit Demokratie zu beglücken und Ebenbild einer gottgewollten Ordnung. „Volksherrschaft,… unsere göttliche Gleichheit“ – davon träumt Ismael (Melville), und sie sieht er in Männern wie Starbuck verkörpert.

Starbuck in Cape CodDer letzte Absatz des Kapitels eine Art Gebet an den Gott der Demokratie, der auch der Gott der Welt ist. Beeindruckend, wie eine Staatsform, für die so viele heute nur noch Spott und Verachtung übrig haben (ich meine nicht Al Qaida, sondern in unserem Land das ganze Gerede von „mangelnder Führung“ und die Frustration über die Langsamkeit demokratischer Entscheidungsprozesse. Und bei manchem, nicht nur rechtem Gesindel, die Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau, die endlich aufräumt mit der „Quasselbude“ in Berlin und all den Kompromissen und dem undurchschaubaren Europa etc. Wie schön ist es da, solch einem idealistischem, beseelten Mann zuzuhören, der in der Demokratie die höchste Form menschlicher Organisation erkennt – trotz der vielen schlechten Menschen, die er auch in Kapitel 26 nicht unerwähnt lässt. Ob er allerdings mit Demokratie auch das meinte, was wir in Amerika immer wieder erschüttert betrachten müssen in Kriegszeiten, das wage ich zu bezweifeln. Starbuck jedenfalls ist der Prototyp des fleißigen, entbehrungsfähigen Demokraten und Denkers, der aber Mensch ist, weil er auch Aberglauben und Zweifel in sich trägt. Schon in dieser kurzen Charakterskizze in Kapitel 26 wird ja klar, wie sehr er zum Antagonisten für Ahab werden muss…

Edward Hopper, Cape Cod Morning

Bilder: Katee Sackhoff: Battlestar Wiki; Starbuck bei Starbucks in Cape Cod: Buckland Blues Costumes; Edward Hopper: Le Blog de Posuto, 1950; Lizenz: Fair Use, Creative Commons.

Written by Wolf

10. August 2007 at 12:01 am

Starbuck und der demokratische Gott

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Endlich trifft man mal einen vernünftigen Menschen: Kapitel 26 gehört dem Obermaat Starbuck, und es ist eins von den großen.

Armistead Maupins Starbuck-BecherSolche Vize-Chefs – Starbuck kommt in der Hierarchie der Pequod gleich hinter Captain Ahab – kennt man entweder als verbiesterte ewige Zweite (“Second winner is first loser”) oder eben als eine Art Missing Link zwischen Chefetage und Sachbearbeitung; im allegorischen Falle der Pequod: zwischen Gott (oder welch hohe Macht Ahab immer repräsentiert) und der Menschheit (lies: Mannschaft), jedenfalls zwischen Oben und Unten.

Glück für Ismael, dass er mit Starbuck an die letztere Sorte geraten ist. Melville ist über der Abfassung von Kapitel 21 wohl endlich klar geworden, dass er Ismael nicht die ganze Zeit vorausahnend durch die Weltgeschichte (Manhattan, New Bedford, Nantucket) gurken lassen kann, sondern dass der Roman irgendwann einen anständigen Konflikt braucht. Und da sich der miese kleine Dienstgrad Ismael mit seiner lausigen dreihundertstel Lay bei Gefahr des Kielholens nicht gut selbst mit Ahab anlegen konnte, scheint in Going Aboard erstmals Starbuck auf, der als einziger auf der Pequod als Ahabs Gegenspieler auftreten kann.

Sein Charakter prädestiniert ihn dazu: Starbuck ist ja sowas von das Gegenteil zu Ahabs Fanatismus. Er denkt, bevor er redet, am allerliebsten lässt er Taten sprechen, und zwar besonnene. Die Vernunft selbst, ein kühler Kopf, ein ganzer Mann. So wird man zum Namenspatron einer Kaffee-Franchisekette.

Was das Kapitel so groß macht? – Für eine schlüssige Begründung möchte ich mich da auf die anstehenden Ausführungen der Kollegin Elke verlassen, die solche Sachen immer recht anschaulich und engagiert darzustellen pflegt. In meiner eigenen Bewunderung für Leute, die mit unangestrengter Fachkenntnis ihren Job tun, und schönen Formulierungen schau ich lieber nach, wie Recht Paul Ingendaay mit seiner Apologie der Rathjen-Übersetzung hatte:

Wer einmal mit Donnerstimme oder jedenfalls so donnernd wie möglich den letzten Absatz des 26. Kapitels („Ritter und Knappen“) bei Rathjen gelesen hat, dürfte jede andere Version für ziemlich zahm halten. Inzwischen ist es für mich keine Frage mehr, daß der Rathjen-Text über weite Strecken „funktioniert“, wenn auch unter beträchtlichen Opfern: Viele Sachen sähe ich gern redigiert.

Paul Ingendaay: Walgesänge bei Gegenwind.
Vom Lesen, Übersetzen und Rezitieren sowie einigen Besonderheiten in Friedhelm Rathjens Moby-Dick

Starbuck Becher, von Verbrauchern bearbeitetKlingt ja vielversprechend. Im Direktvergleich also der letzte Absatz von Kapitel 26, Ritter und Knappen, in der Übersetzung von Rathjen:

Wenn ich also hienach gemeinsten Matrosen und Abtrünnigen und Verstoßenen hohe Eigenschaften, wiewohl dunkle, zuschreibe; tragische Tugenden um sie herumwebe; wenn sogar der Beklagenswerteste, von ungefähr der zutiefst Erniedrigste, unter ihnen allen sich zuzeiten zu den erhabenen Höhen erhebet; wenn ich jenes Arbeiters Arm mit ätherischem Licht anrühre; wenn ich einen Regenbogen über seinen unglückseligen Sonnenuntergang breiten werde; dann tritt dabei gegen alle sterblichen Kritiker für mich ein, du gerechter Geist der Gleichheit, welcher du einen großen königlichen Mantel des Menschlichen über alle von meiner Art gebreitet hast! Tritt dabei für mich ein, du großer demokratischer Gott! der du dem schwarzen Sträfling Bunyan die bleiche poetische Perle nicht verwehret hast; Du, der Du in zwiefach getriebene Blätter feinsten Goldes den stumpen und almosenen Arm des alten Cervantes kleidetest; Du, der Du Andrew Jackson aus dem Staube auflasest; der Du ihn auf ein Schlachtroß warfst; der Du ihn höher hinaufschleudertest als einen Thron! Du, der Du bei all Deinem mächtigen, irdischen Schreiten Deine ausgesuchtesten Streiter immer aus den königlichen Kammern des niederen Volkes erwähltest; tritt darin für mich ein, O Gott!

und Jendis:

Wenn ich mich also hernach nicht scheue, auch gemeinen Seeleuten und Abtrünnigen und Verstoßenen edle, wenn auch dunkle Eigenschaften zuzuschreiben; wenn ich tragische Züge um sie webe; wenn sogar der Erbärmlichste, ja gar der Allergeringste von ihnen sich bisweilen zu den höchsten Höhen aufschwingt; wenn ich den Arm dieses Arbeiters in ein ätherisches Licht tauche; wenn ich einen Regenbogen über die sinkende Sonne seines Untergangs spanne; dann stehe Du mir bei gegen all die sterblichen Kritikaster, Du gerechter Geist der Gleichheit, der Du den ungeteilten Königsmantel des Menschentums über mein ganzes Geschlecht gebreitet hast! Ach, steh mir bei, Du großer demokratischer Gott! Der Du dem schwärzlichen Sträfling Bunyan die hellweiße Perle der Poesie nicht wolltest wehren; der Du den Armstumpf des alten, in Armut gefallenen Cervantes bekränzt hast mit zweifach ausgetriebenen Blättern feinsten Goldes; der Du Andrew Jackson aus dem Staube holtest, ihn auf ein Schlachtroß warfst und höher noch als auf den Thron ihn donnernd hoch emporhobst! Der Du bei Deinen Siegeszügen hier auf Erden die Besten deiner Kämpen stets aus dem königlich gemeinen Volke hast erwählt – steh Du mir bei, o Gott!

Die Kapitelüberschrift Knights and Squires haben beide mit Ritter und Knappen übersetzt, den Originaltext tipp ich jetzt nicht auch noch ab, weil Sie den leicht selber finden.

Starbuck hätte ebenso gehandelt.

Katee Sackhoff als Starbuck beim letzten Abendmahl

Text Ritter und Knappen: Zweitausendeins resp. Hanser; Text Paul Ingendaay: Schreibheft 57, September 2001; Bilder: gay news blog, 19. August 2005; Liberal Serving, 15. Januar 2007; cobolhacker, August 2008; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

8. August 2007 at 1:07 am

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Schon wieder Land in Lee

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Der blinde Passagier Christian erscheint nach vier bis neun Monaten wieder auf Deck, gibt eine nahezu Bulkingtonische Figur ab und macht ein Update zu Dass alles tiefe, ernste Denken nur der Seele unverzagtes Mühen ist:

Christian WestheideNach einem halben Jahr Abwesenheit, unfreiwillig (kein Internet) und freiwillig (anderes Lesematerial, dies und das) melde ich mich zurück. Das Kapitel 23, Land in Lee, scheint mir für meine noch wankenden Schritte auf Deck gut geeignet. So heißt es dort z.B.:

Ich blickte mit sympathetischer [!] Ehrfurcht und Scheu auf den Mann, der sich mitten im Winter, gerade von einer vierjährigen (für mich -monatigen) Reise voller Gefahren [naja] zurückgekehrt, so rastlos auf einem weiteren sturmumtosten Schiff [ihr, der Blog, das Internet, die Artikelbäume…] einschiffen konnte. Das feste Land schien ihm die Füße zu versengen.

Über den Hafen als Freund und Feind heißt es:

Mit aller Kraft kämpfend, mit vollem Zeug, steht es [das Schiff] vom Lande weg und kämpft so wider ebenjene Winde, die heim es in den Hafen treiben wollen, und suchte erneut die landlose leere, aufgepeitschte See, stürzt sich in Gefahr, sein einz’ger Freund sein schlimmester Feind [der Hafen].

Ganz so pathetisch, aufregend und existenziell sind sie dann doch nicht (eigentlich gar nicht) gewesen, meine letzten Monate unter Deck. Aber über das insgesamt eher gemächliche Tempo freue ich mich und insofern passt es, dass Captain wolf mit der Verbloggung (tolles wort) nicht in Gänze hinterherkommt (muss er ja auch nicht) und über die Produktivät staunt (das sagt der Richtige).

Warum auch Hektik? Wir hinterlassen im Meer (des Internets) keine Spuren, nur das Meer hinterlässt Spuren auf uns (bei jedem anderen: Zeitmangel, Ringe unter den Augen, bisserl Geld in der Tasche (vielleicht), vielviel was man lesen, sehen, hören könnte…).

Und Stephan hat noch Kapitel zu lesen und seinem Sohn sehr viele Fragen zu beantworten (empfohlen sei ihm ein Buch für Väter, die gewappnet sein wollen auf Fragen wie “Warum ist der Himmel blau und wie kommt das von dem?”, das Buch von Bill Bryson, Eine kurze Geschichte von fast allem, das auf eben solch einer Frage seines Kindes basiert) und Stefanie ist unter der Deck verschütt gegangen – das passiert jedem mal. Sommer ist ja auch, weshalb ich die sturmgepeitschten Sprachbilder und Seemetaphern besonders schön finde im Moment. Also Kameraden, ick bemüh mir mehr Angaschement auf Deck zu zeijen, lesen tu ick und tippen will ick ooch.

So long, der blinde Passagier im Berliner Stadtmeer, Chr

Shirley Temple, Stowaway Briefmarken

Bild: Shirley Temple als Blinder Passagier auf Entertainerstamps, 1936;
Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

20. July 2007 at 12:02 am

Moby-Dick undercover: Der Weiße Wal ist kein Weißwal

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Daddy Stephan hat Fahrt aufgenommen…:

Yes, the world’s a ship on its passage out, and not a voyage complete.

Chapter 8: The Pulpit

Stephan De MariaAls ich gestern nach Hause kam, hat mich mein Sohn nach einem knappen Hallo sofort gefragt:

“Papa, stimmt das, dass ein Weißwal stärker ist als ein Blauwal?”

Ich war ein wenig überrumpelt und dachte daher sofort an Moby Dick:

“Na klar ist der stärker! Wer nimmt’s denn schon mit dem auf!”

Einen Gedanken später entsann ich mich, dass ein Weißwal ein Beluga ist. Diese überirdisch harmlosen, sanftmütigen, Marshmallow-artigen Tierchen gegen einen Blauwal? Welch ein Massaker, wenn man das mit den Augen eines Fünfjährigen betrachtet.

“Nee”, antwortete ich, “Wale kämpfen eigentlich nicht gegeneinander, also nicht verschiedene Arten gegeneinander, sie haben doch genug Platz im Meer, um sich aus dem Weg zu gehen.”

Mein Sohn, das gute Kind, hat sein Interesse am Meer von seinen Eltern geerbt. Und ich bin sooo glücklich darüber!

Mit Kapitel acht endete mein gestriger Abend, mit bleiernen Augenlidern und sehnsüchtigen Gedanken an das, was da kommen mag. An die fordernd-schneidenden Winde, an das babylonische Sprachengewirr an den Docks von New Bedford. Welche Beziehung pflegen denn diese Seemänner, Walfänger zum Meer und zu ihrer Beute? Gibt es diese religöse Demut vieler uramerikanischer Völker gegenüber der Natur, die sie am Leben erhält? Ist es eine Unterwerfung des Ichs unter die Knute des Schicksals? Schiere Abenteuerlust einiger Greenhorns? Sportlicher Ehrgeiz? Ich werde es erleben.

Beluga Group Logo

… und Elke weist ihn ein:

Elke HegewaldHach, wie salomonisch schlichten doch Eltern die Kämpfe in Kinderseelen. Sowas kann der Liebe zum Meer eigentlich nur zuträglich sein. In mir wohnt sie auch – mehr als man sie in einer Landrättin wie mir vermuten sollte…

Stephan, der Einwand zum Weiß- oder Belugawal ist vollkommen berechtigt. Ich bin auch schon mehrmals über diese Bezeichnung gestolpert. Hui, und der Marshmallow-Vergleich ist ja goldig, vor allem passt er so schön, wenn man das Bild dieser Tiere vor Augen hat.

Unser Weißer Wal (mit großem W, wenns nach mir ginge) ist ja bekanntlich ein riesiger Pottwal, nur seeehr entfernt verwandt und keineswegs zu verwechseln mit jenen verschmitzt dreischauenden Marshmallow-Tierchen (die – hehe! – aber immer noch die beachtliche Länge von 3 bis 6 Metern erreichen und an die eintausend Kilogramm auf die Waage bringen können). Beluga (von bela, belyj) bedeutet übrigens auch weiß – auf Russisch.

Die Frage, warum Moby Dick dennoch der Weiße Wal heißt (obwohl Pottwale sonst eher bräunlich dunkel sind), führt uns zunächst unausweichlich wieder zu – Mocha Dick. Der soll ja, wie man hört, eine große weiße Narbe auf seiner gewaltigen angriffslustigen Stirn gehabt haben, das Zeichen bestandener Kämpfe mit nicht weniger angriffslustigen Waljägern. Tja, und auch die spinnen gern Seemannsgarn, um sich ins rechte Licht zu rücken. So wurde mit jedem Bericht über eine Begegnung mit diesem Ungetüm des Meeres die weiße Narbe größer – und der Wal immer weißer, und “irgendwann war der ganze Wal weiß geredet und gerüchtet”. Und trug so zur weiteren Legendenbildung und Manifestierung seines Mythos bei.

Na, und unserm guten Melville kam ja der Weiße Riese erst recht zupasse. Was konnte er besser gebrauchen als diesen symbolistischen Anstrich (ui, wat’n Wortspiel) für seinen Moby Dick. Der uns bestimmt auf hoher See, dort, wo selbiger uns und Ahab die weiße Stirn bieten wird, wohl noch tiefer zu beschäftigen hat.

Zwecks Entfachen der ungestümen Leidenschaft, die diesbezüglich irgendwo tief in uns wohnen sollte, und zum einstweiligen vorkostenden Beknabbern der Weiße des Wals werfe ich einfach mal ein – Ismael ins Maul gelegtes – Melvillesches philosophisch-welträtselndes Fragenbündel unter euch:

Ist es so, dass das Weiß durch seine Unbestimmtheit die herzlose Leere und unermessliche Weite des Weltalls andeutet und uns so den Gedanken an Vernichtung wie einen Dolch in den Rücken stößt, wenn wir in die weißen Tiefen der Milchstraße blicken? Oder ist es so, dass das Weiß seinem Wesen nach nicht so sehr eine Farbe ist als vielmehr die sichtbare Abwesenheit von Farbe und zugleich die Summe aller Farben? Ist das der Grund, weshalb eine weite Schneelandschaft dem Auge eine so öde Leere bietet, die doch voller Bedeutung ist – eine farblose Allfarbe der Gottlosigkeit, vor der wir zurückschrecken? […] Für all dies war der Albinowal das Symbol. Wundert euch nun noch die feurige Jagd?

Kapitel 42: Das Weiß des Wals, Jendis-Moby Seite 322

Uff! Schön, dass wir wir schonmal drüber gesprochen haben. Das Kapitel hat zweiundzwanzig und a bisserl Seiten – und die gehn von Anfang bis Ende so.

Hey, Stephan, und was die Beziehung zumindest der Walfänger zum Meere und ihrer Beute angeht: Das findest du heraus, einiges häppchenweise schon in den nächsten Kapiteln, die du ansteuerst. – Man will ja schließlich nicht alles schon vorher verraten. Verflixt, dass ich mich immer nicht bremsen kann!

Die Urvölkler in dem nordamerikanischen Staatengebilde könnten, was das angeht, allerdings nochmal einer genaueren Beschnüffelung wert sein. Ja doch, ich bin ja schon still! Und wenn ich hier zu ausgiebig klugscheiße – sorry! –, dann pfeift mich ruhig zurück, okay?

Unschuldig pfeifend übers Deck schlendernd –
die Kajüten-Klabauterin

Merke: Blauwal ungleich Beluga gleich Weißwal ungleich Weißer Wal ungleich Marshmallow.

Freundlicher Beluga

Written by Wolf

13. July 2007 at 1:05 am

In medias res: Komödiantisch

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Stephan hat bis Kapitel 10: A Bosom Friend nachgelesen, fühlt sich aber direktemang wie Ismael und macht ein Update zu Elkes Busenfreunde vs. Blutsbrüder:

Crew,

Ernest Henry Shackletonnoch habe ich die Pequod nicht bestiegen, noch weiß ich nicht einmal, dass ich auf diesem Schiff anheuern werde. Gestern bin ich erst auf einen furchterregenden gottlosen Kannibalen gestoßen – in meinem Bett!

Ein sehr amüsante Szene, geradezu komödiantisch und selbstironisch, wie Ismael schließlich die Nacht in New Bedford verbringt und besser denn je schläft.

Die langen Sätze und Verweise auf die Bibel sind zunächst ein wenig gewöhnungsbedürftig, die Sprache ist allerdings sehr angenehm. Es tut mir gut, einem Wortschatz zu begegenen, der so frei ist von Zeitgeist (zumindest von unserem).

Hätte mich nicht die Müdigkeit dahingerafft, so wäre ich noch weiter vorgedrungen. Aber die Lust ist geweckt, ich blicke mit Vorfreude auf heute Abend.

Kleiner Exkurs: Die Geschichte der U.S. Ex. Ex. Essex beschäftigt mich. Zum einen der Angriff des Pottwals. Gibt es weitere belegte Angriffe eines Wals auf große Schiffe? Zum anderen das Überleben der Teilcrew. Es erinnert mich an die Endurance von Ernest Shackleton. Ich habe das Buch gelesen, den Dokufilm dazu gesehen. Und ich schaffe es nicht zu verstehen, wie sie überleben konnten.

Wäre es nicht eindeutig genug belegt, mir käme es wie albernes Seemannsgarn vor.

Endurance trapped in pack ice

Bilder: Gaspar-Félix Tournachon, National Library of Australia, Frank Hurley, Februar 1915; Lizenz: Wikimedia Commons, Public Domain.

Written by Wolf

11. July 2007 at 12:01 am

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Stephan kommt an Bord

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There is one knows not what sweet mystery about this sea, whose gently awful stirrings seem to speak of some hidden soul beneath.

Chapter 111, The Pacific

Hafen in Cape Cod

Es wird dieser Tage ein Jahr, dass Moby-Dick 2.0 ausgelaufen ist, diesen whale of a tale zu erschließen. Was waren es für Zeiten: Xing, wo wir uns zusammengeheuert haben, hieß noch OpenBC, und anfangs waren vier Leute im Boot, bis zu 50% davon sind unterwegs verloren gegangen. Wie gelegen kommt es da, dass sich praktisch aus dem Nebel ein neuer Freund des Wortes und des Gewässers dazugesellt. Stephan heißt er, Stephan De Maria. Er hat das Wort:

Stephan De MariaIch stell mich auch mal kurz vor. Ich bin 35 Jahre alt, verheiratet, hab zwei Söhne im Alter von 1 und 5 Jahren, bin seit kurzem geprüfter PR-Berater, arbeite seit zweieinhalb Jahren freiberuflich als Journalist und PR-Schreiber, zuvor war ich Redakteur im IT-Bereich und Volontär bei einer regionalen Tageszeitung. Aber eigentlich bin ich klassischer Archäologe (M.A.), Althistoriker und Romanist (italienische Literaturwissenschaft). Ich lese bevorzugt Klassiker, selten Zeitgenössisches, noch seltener deutsche zeitgenössische Literatur mit Ausnahme von Genazino. Für gute Vorschläge bin ich jedoch immer zu haben.

Ich habe vor einer Weile mit Zolas Romanzyklus Les Rougon-Macquart begonnen, der 20 Titel umfasst. Aber da ich die Naturalisten (und Moralisten) wie Zola nicht so hintereinander weglesen kann, schaffe ich maximal einen Titel im Jahr. Dazwischen muss etwas völlig anderes her – da kommt mir Moby-Dick gerade recht.

Mit Moby Dick verbindet mich natürlich Gregory Peck. Den Film hab ich das erste Mal in recht jungen Jahren gesehen und er hat mich geängstigt, verunsichert, beunruhigt. Das mag der Grund sein, weshalb ich das Buch noch nicht angefangen habe. Wobei mich schon damals weniger der Wal als vielmehr Ahab beunruhigt hat.

Nantucket habe ich noch nicht besucht, aber wir waren während der Hochzeitsreise einige Tage auf Cape Cod, wo wir eine Whale Watching Tour unternommen haben. Das war meine dritte Tour nach Vancouver Island, wo ich Orcas in großer Zahl und in Nasenhöhe erlebt habe, und Tadoussac, Québec. Wale üben eine sehr starke Anziehung auf mich aus. Sie gesehen und gehört zu haben, hat mich tief bewegt und berührt. Ihre Eleganz ist atemberaubend, Buckelwale, die miteinander spielen, wirken völlig entrückt.

Schon lang hat mich beschäftigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung der Menschen im Laufe der Geschichte ist bezüglich der Wale. Am Ende jedoch lief es immer darauf hinaus, dass sie Monster sind, die sich prächtig ausbeuten lassen.

Björk die WaldfeeSelbstverständlich boykottiere ich Walfangländer wie Japan, Norwegen, Island. Und für deren Argumentation bin ich nicht zugänglich. Während junger Studentenjahre habe ich eine Unterschriftenaktion gestartet gegen die norwegische Robbenschlacht- und Walfangpolitik. Rund 900 Unterschriften habe ich bei der Botschaft eingereicht und in Kopie an den Fischereiverband geschickt. Eine knapp zweistündige telefonische Auseinandersetzung mit einem Vertreter des Verbands folgte. Und sie war nicht von Freundlichkeit und Verständnis geprägt.

Zum Meer selbst habe ich auch eine sehr enge Bindung. Ich habe noch nie Urlaub gemacht, ohne am Meer gewesen zu sein. Mein Vater stammt aus einer süditalienischen Hafenstadt, sein Vater war Hafenarbeiter, meine Großmutter stammt aus einer Fischerfamilie. Ich tauche, fahre Kanu und suche stets den Kontakt zum Wasser.

Gestern Abend habe ich Melville zum ersten Mal ernsthaft in die Hand genommen und die Seiten Etymologie gelesen. Mehr erst mal nicht. Es war dann doch spät.

Ihr seid mein erster Literaturzirkel und ich werde versuchen, euren Ansprüchen gerecht zu werden. Ich will gern von euren Gedanken und Abschweifungen lernen. Denn Literaturwissenschaft an der Uni, das ist nicht wirklich das, was ich mir erwartet hatte.

Eine politisch aktive Vollreisewasserratte und ein philologisch studierter Berufsschreiber. Ich glaub, wir werden versuchen, mit dir mitzuhalten. Schön, dass du da bist.

Bilder: Hyannis Travel Inn, Stephan De Maria, Björk by Rosemarie Trockel auf As playmates do Quase em Português; Lizenz: Creative Commons.

Written by Wolf

5. July 2007 at 1:20 am

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So wahr mich der Erzbischof von Canterbury salbe

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Elke hat Kapitel 25: Postskriptum gelesen:

Elke HegewaldLaut Kamelopedia ist der Walrat „eine helle, wachsähnliche Zusammenrottung von alten und vergreisten Europawalen, auf denen ganz schlaue Sachen gesagt werden.“ (Merke: Kamelopedia, ugs.: Kami, ist für das wissbegierige Kamel das, was für den wissbegierigen Wikinger… äh Quatsch, internetaffinen Menschen an sich die Wikipedia, ugs.: Wiki.)

Doch selbst, wenn wir die in der letzteren enthaltene und uns Zweibeinern (noch) vertrautere Walrat-Definition zugrunde legen, glaube ich doch: Hier irrt der ehrenwerte Herr Melville. Und wir wollen es ihm zugute halten; andernfalls müssten wir nämlich von einer – als advokatischer Kunstgriff getarnten – clownesken Provokation gegen die Briten und ihr viktoria(ni)sches gekröntes (und gesalbtes!) Haupt ausgehen. Denn die krönungswilligen Häupter lassen an dieselbigen gewiss kein wachsartiges Zeug unklarer Bestimmung aus dem Kopf des Sperm Whale, sondern höchstens Wasser und – duftenden Balsam, wie er in seiner Konsistenz schon durch das zweite Buch Mose 30,22–33 geheiligt wurde. Oder sich wengstens dafür ausgeben kann.

Hach, da sprüht doch unserem rauschebärtigen Moby-Vater der blanke Schalk aus den Augen – dafür liebe ich ihn:

Es ist wohlbekannt, dass bei der Krönung von Königen und Königinnen, selbst in modernen Zeiten, eine bestimmte seltsame Prozedur vonstatten geht, um sie auf ihre Ämter vorzubereiten und gleichsam zu würzen. Es gibt da ein sogenanntes Staatliches Salzfass, und womöglich gibt es auch einen Staatlichen Pfefferstreuer… Eines allerdings weiß ich sicher, dass nämlich der Kopf des Königs bei seiner Krönung feierlich eingeölt wird, gerad wie ein Kopf Salat. Kann es jedoch sein, dass sie ihn deshalb salben, weil sein Innestes laufen soll wie ein Uhrwerk – dass sie ihn schmieren, gerad so wie man Maschinen schmiert?

Moby-Dick, Kapitel 25: Postskriptum.
Übersetzung: Matthias Jendis, Seite 197

Und vermutlich war ihm der hinterhergeschriebene Spaß sogar die todsichere Streichung des Postskriptelchens in der Londoner Ausgabe wert. Das muss er gewusst haben, dass die Königstreuen da sehr empfindsam sind und in ihrem Salzstreuer statt Meersalz dann sogar Riechsalz gebraucht hätten.

Immerhin ist die salbungsvolle Krönungszeremonie etwas so Heiliges und Intimes für sie, dass dieser Teil der Zeremonie gute hundert Jahre später, bei der noch allgegenwärtigen Elisabeth II., nicht mal im Fernsehen übertragen wurde. Wobei vor allem bemerkenswert ist, dass sie ihre Könige überhaupt bis heute noch ölen.

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist gewiss Olivenöl – mit noch was drin, was aromatisch Müffelndem. Somit könnte das hier auch gut als ein Update zum seewölfischen Offenen Brief an Herrn Melville durchgehen. Aber ich will ja nicht streiten…

40 Minuten Krönung, Film von 1953:

Elizabeth II. 1953

Bild: Historic UK, 1953.

Written by Wolf

3. July 2007 at 12:41 am

Posted in Steuerfrau Elke

Die Anwaltin Barbara Walesch

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Elke hat Kapitel 24: Der Anwalt gelesen:

Elke HegewaldDer kritische und wache Leser scheint sich mit seinem Kommentar zu diesem Plädoyer auf den Walfänger geradewegs und mit vollen Segeln in ein Dilemma zu manövrieren. Wo wir doch im hochaktuellen Kontext seit zwei Tagen den grandiosen Sieg der Anwälte und Retter des Wals im Ohr haben. Von dem wir – bei den Reaktionen der Gegenseite – hoffen und glauben wollen, dass es wirklich einer ist.

Doch wir setzen ja voraus, dass eine/r, die/der den Spuren von Moby-Dick und Melville bis hierher zu folgen bereit war, über die nötige Kenntnis und Qualifikation verfügt, die Ismael vom Autor in den Mund gelegte Brandrede einzusortieren – in den Rahmen ihrer Zeit, die Hoch-Zeit des Walfangs, und in des Schreibers Hintergedanken. Wobei, wie ich finde, zweierlei gesagt werden muss: Erstens, dass der Stern des klassischen Waljägerhandwerks 1851 bereits zu sinken begann – nicht Moby-Dick zuliebe, der neue Götze hieß Erdöl.

Und zweitens, dass bei aller Leidenschaft und philosophischen Poesie (oder poetischen Philosophie?) des Dichters in seinem Hohelied auf das Hohetier und seine Jäger der Stachel nicht zu überlesen ist, der den Nichtakademiker Melville angesichts der augenscheinlichen gelahrten Geringschätzung drückt. Weswegen seine Anwaltschaft neben ihrer Fundiertheit auch ein gutes Stück Provokation atmet – und sich geradezu nach einem Plädoyer in eigener Sache anfühlt.

Übersetzt (des vereinfachten Verständnisses halber) in eine der heutzutage unter Couch-Potatoes allseits beliebten Fernseh-Gerichtsshows hörte sich diese durchaus offensive Verteidigung unseres engagierten Advokaten gegen den fiktiven Ankläger womöglich in etwa so an:


Kuo Toa, LeviathanAnwalt: Was werfen Sie meinem bisher nicht vorbestraften Mandanten eigentlich vor, Herr Kollege?

Der (einstweilen ahnungslose) Ankläger: Öh… Sie müssen doch zugeben, dass er ein blutrünstiges und schmutziges Schlächterhandwerk ausübt und…

Anwalt: Aber erlauben Sie, Herr Kollege, dass der Walfang ein Schlächterhandwerk ist und dabei wie bei jedem Metzger auch Blut fließt, das leugnet er doch gar nicht. Gegen die Anschuldigung des Schmutzigen dagegen verwahren wir uns entschieden, davon können Sie sich gerne bei einem Lokaltermin auf einem Pottwalfänger überzeugen. Und wenn mir die Frage gestattet ist: wie viele Heerführer haben Sie für ihre Schlächterei der blutigsten Sorte hier schon verurteilt, statt sie in den höchsten Tönen zu preisen und mit Ehren zu überhäufen? Und welcher von denen würde es auch nur wagen, der Schwanzflosse eines wütenden Wals zu nahe zu kommen? Geben Sie’s zu, Sie wären selber zu feige…

Ankläger: Aber Sie können doch nicht leugnen, dass…

Anwalt: Was kann ich nicht leugnen? Dass alle Welt sich um das Walrat reißt, das ein Walfänger nach gut getanem Job nach Hause bringt? Dass alle Kerzen und Lampen auf diesem Globus nur dank des braven Walmanns leuchten und Sie ohne ihn im Dustern säßen? Was glauben Sie, warum die Holländer ihre Fangflotten von Admirälen befehligen ließen? Und warum der französische Ludwig XVI. unter unseren Waljägern in Nantucket Abwerbung getrieben hat? Warum das große Britannien seinen Walfängern schon vor hundert Jahren fürstliche Handgelder auf die Kralle gezahlt hat? Und überhaupt, schaunse mal lieber in die Statistiken des amerikanischen Walfangs, statt dauernd nur in ihre Paragraphen und statt hier die Nase zu rümpfen über meinen Mandanten.

Sie kennen doch sicher die Namen James Cook und VancouverKrusenstern…?

Ankläger: Aber gewiss doch, das sind berühmte Forscher und Weltrei…

Anwalt: Wissense was, die guten Walfänger haben die entlegensten Ecken auf der Weltkugel schon durchstöbert und erforscht, da war an die hochverehrten Herren noch gar nicht zu denken. Ihre namenlosen Kapitäne haben zu Dutzenden denen den Boden bereitet, damit sie von den Wilden dort nicht ohne Federlesen gleich mit Haut und Haar gefressen wurden. Wofür ein Vancouver mit seinen Berichten Ruhm und Ehre einheimste, das war “nur das lebenslange täglich Brot unserer Helden von Nantucket.” (Seite 193) Sie haben Befreiung und Demokratie an vielen Orten Vorschub geleistet, australische Auswanderer mit ihrem trockenem Schiffszwieback vorm Verhungern gerettet, für Händler und Missionare vorgearbeitet und was nicht noch alles. Und jetzt sagen Sie mir bittschön offen ins Gesicht, was sie noch gegen meinen Mandanten hier haben.

Ankläger: Das können Sie alles nicht beweisen. Keine namhaften Zeugen, keine Zeugnisse über den Wal. Unglaubwürdig die Leute, aus ungeordeten Verhältnissen und windige Abenteurer.

Anwalt: Sag ich’s nicht, Sie sind ein Paragraphendrescher und ignoranter Fachidiot. Wären es nicht Perlen, vor die Säue geworfen, würde ich Ihnen Hiobs Bericht über den Leviathan, Alfred den Großen oder Edmund Burke hier vorführen? Oder Benjamin Franklins Großmutter persönlich in den Zeugenstand rufen, die mit gutem Recht Ahnherrin einer ganzen Dynastie von Nantucketer Harpunieren heißen darf?

Ankläger: Ähm… das ändert aber doch nichts daran, dass der Walfang nicht als nicht gerade seriöser und eher niederer Job gesehen werden muss, wo ist da die Würde, die Anerkennung?

Anwalt: Erzählen Sie mir was von Würde! Ihre Vorurteile in allen Ehren, Herr Kollege, aber da hätte ich doch mal was Erfreuliches für Sie: das alte englische Satzungsrecht nämlich, das den Wal zum “königlichen Fische” erklärt. Und darf ich fragen, ob die seriöse Zunft der Juristen vielleicht auf ein berufseigenes Sternbild verweisen kann wie die Walmänner auf Cetus am südlichen Himmel? Noch Fragen? Ich beantrage Freispruch!


Wer wollte bestreiten, dass da einer (also im Original jetzt wieder) weiß, wovon er redet? Seine Quellen hat er jedenfalls gut zu nutzen gewusst. Das machte dem gewesenen Selber-Walfänger keiner der hochnäsigen Buchstabengelehrten und echten Yale- und Havard-Absolventen seiner Zeit nach. Und sonst wahrscheinlich auch keiner. Und einer hats schon damals erkannt, seines Zeichens Kritiker des John Bull:

Wer hätte je nach Philosophie in Walen oder Poesie im Walspeck gesucht? Es gibt wenig Bücher, die sich ausdrücklich der Metaphysik widmen oder ihre Abstammung von den Musen beanspruchen und so viel wahre Philosophie und echte Poesie enthalten wie diese Geschichte von der Walfahrt der Pequod.

Nach Göske/Jendis, Seite 949

Die Zerstörung des Leviathan

Written by Wolf

4. June 2007 at 1:02 am

Posted in Steuerfrau Elke

Gewiss kann es kein Olivenöl sein

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Der Wolf schreibt Herman Melville hinterher, was Herman Melville in Kapitel 25: Postskriptum seinem eigenen Kapitel 24: Der Anwalt hinterherschreibt:

Sehr geehrter Herr Melville, lieber Herman,

Sailorette www.fy.nodas hast du wieder sauber hingekriegt. Habt ihr euch zu deiner Zeit in New York und auf dem Land in Arrowhead auch schon Anwaltswitze erzählt? Habt ihr euer abgenabeltes Mutterland, die königstreuen Briten, beim Maisschnaps mit ihrer Königin aufgezogen?

Der Kalauer mit dem Staatlichen Salzfass und dem Pfefferstreuer musste natürlich sein, sonst hätte es dich vermutlich zerrissen, und es auch keiner was davon gehabt. Und Könige mit Rizinusöl salben, kichergnicker. Logisch, Walrat muss es sein. Da ist er ja, der aufrechte Demokrat, der ruppige Walfänger, das Salz nicht einfach der Erde, nein gar des Meeres.

Das Gefühl kennt ja niemand besser als ich: Lieber einen guten Freund verlieren als einen Lacher auslassen. Was mich allerdings bei dir interessiert hätte:

Als sie dir qua einem roten Federstrich das ganze Kapitel 25: Postskriptum aus der Londoner Erstausgabe rauslektoriert haben, hat sich da die Kapitelzählung bis zum Schluss um 1 weniger verschoben?

Komm, so zwanghafte Typen wie uns lässt sowas doch nie ruhig schlafen. Hast du damit erreicht, was du wolltest? Ja?

Na, dann is’ gut.

Stets einer deiner sieben zweitgrößten Fans der dreizehn Weltmeere,
der Wolf

Toothpaste for Dinner

Written by Wolf

28. May 2007 at 4:15 am

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Der Wolf hat gelesen: Kapitel 24: Der Anwalt

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Who would have looked for philosophy in whales, or for poetry in blubber.

John Bull, Kritik zu Moby-Dick, 25. Oktober 1851

J. Ross Browne, Barzy and the Madagascar ChiefWie war der Ausdruck Walgesang mal gemeint? Eine Lanze brechen klingt immer auch kriegerisch, dieses Kapitel 24: Der Anwalt hat aber so gar nichts von Angriff, ist höchstens eine leidenschaftliche Verteidigung des ehrbaren Gewerbes der Walfänger. Eine Leidenschaft, die sich in einer nicht weniger denn hochlyrischen Prosa äußert. Ein Walfanggesang.

Zeitgemäß ist was anderes: Gerade die Vorwegnahme aller Einwände in Form einer Liste, die systematisch widerlegt wird, riecht nach vorauseilender Verteidigung – nach jener Art von Entschuldigung, mit der man sich anklagt. Seit wann genau ist das eigentlich verpönt?

Auch die Gründe, aus denen der Walfänger ein so überragend ehrenvolles Gewerbe versehen soll, sind zweierlei: Die unschönere Hälfte verbindet Walfang mit dem Soldatenhandwerk, was man in dieser Tonart noch nicht wieder allen demokratisch gesinnten Leserschaften so vorsingen kann; die hard facts hören sich, auf ihren Inhalt heruntergekocht, wiederum ganz sinnvoll an: Walfänger

  • erforschen
  • kontaktieren und
  • demokratisieren

Länder, die bislang nur entlegene, unwirtliche Weltecken waren, was in Melvilles Sinne ja dann auch ein lobenswerter Ehrgeiz ist. Networking unter verschärften Bedingungen und ganz ohne Internet – einem wie mir muss dieser Vergleich kommen. Suspekt werden solche Umtriebe erst mit dem modernem Wissen, dass Menschen profitgierige Egoisten sind und Missionare auch nur Menschen, und dienstreisende Tierjäger erst recht.

Auf 1851 umgerechnet finde ich Melvilles Argumentation allerdings sauber zusammengedacht und pointiert vermittelt. Wir reden ja nicht von Infotainment.

Vergleichen wir die Zahlen, die Melville zur Ehre des Walfängers an sich anführt, mit denen, die sein 2001er Kommentator Göske aus Melvilleschen Zeiten aufgetrieben hat, so erhellt: Melville hat sogar noch untertrieben. Fälschen von Statistiken unter dem Vorwand “Ist doch alles nur Poesie” kann man ihm nicht vorwerfen.

2007, in Zeiten ruchlos beschönigter Selbstdarstellungen und des laxen Umgangs mit Zahlenmaterial aus weit niedrigeren Beweggründen denn der Ehrenrettung des eigenen Berufsstandes, fragt man sich, grundsätzlich misstrauisch bis zum Zynismus geworden: Wie kommt’s?

Ich nehme stark an, Melville lag persönlich einiges daran, als (gewesener) Walfänger gesellschaftlich anerkannt dazustehen. Seine Bestseller-Erfolge (Typee, Omoo, später ein politisch bedeutsames Aufflackern mit White Jacket) hatten nachgelassen, er stand noch im nationalen Bewusstsein als der gutuassehende Seebär, der wundersamerweise schreiben konnte; sein thematischer Vorgänger Richard Dana, der mit Two Years Before the Mast, hatte im Gegensatz zu ihm ein Studium vorzuweisen – in nahezu allen biografischen Überblicken zitiert wird Melvilles trotzig arbeiterstolzer Kapitelschluss “Ein Walfänger war mein Yale College und mein Harvard” – da winkte an einem nebligen Horizont wohl ein Ruf als verkanntes Genie. Melville als Der Anwalt ist sein eigener.

Die Sorge war nicht akut, aber begründet. Die Quellen, aus denen Melville geschöpft hat, sprudeln offenbar heute so verborgen wie 1851. Sehen aber online sehr schön aus und werden von akademisch gebildeten Freunden der christlichen Seefahrt liebevoll gepflegt. Ich gebe sie dem interessierten Stöbern anheim:

J. Ross Browne, A Scramble for Salt Junk

Written by Wolf

27. May 2007 at 1:48 am

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Dass alles tiefe, ernste Denken nur der Seele unverzagtes Mühen ist

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Elke hat Kapitel 23 gelesen trällert ehrfürchtig vor sich hin:

Elke HegewaldBulkington und kein Ende, so scheint es. Nicht dass er nun gerade mir im dritten Kapitel sonderlich aufgefallen wäre. Doch erstaunlicherweise habe ich auch eine ihn betreffende Bleistiftnotiz am Rand – ganz woanders.

Im Göske-Nachwort nämlich. Aber haben eigentlich schon alle positiv auf die das dreiundzwanzigste Kapitel dominierende Frage geantwortet?:

Kennt ihr nun Bulkington?

Sollte einer das verneinen müssen, wird er in der weiteren Handlung auch keine Gelegenheit mehr haben, ihn näher kennenzulernen. Denn er wird nie wieder vorkommen. – Warum?

Das Los des armen Bulkington, der doch als Bild von einem Seemann, edler Charakter und bei allen bisherigen Bordkameraden als “überaus beliebt” beschrieben wird (Seite 53) ist es, zu den Melvilleschen Ungereimtheiten des Buches zu gehören. (Wir haben an anderer Stelle schon über solche fabuliert.) Auf Deutsch: er wird als Romanfigur überflüssig, fällt den zahlreichen Änderungen und neuen Ideen während des Schreibens zum Opfer.

Bei Göske/Jendis (und genau da steht mein Kritzelvermerk) heißt es dazu:

Manche Motive […] werden aufgerufen, probeweise erkundet, abgewandelt anverwandelt und wieder verworfen. Dies gilt auch für die Figurengestaltung. Im dritten Kapitel zum Beispiel trifft der noch unerfahrene Ismael im Wirtshaus einen hünenhaften, bei den Seeleuten überaus beliebten Virginier namens Bulkington, der, wie er sagt, “bald schon mein Bordkamerad werden sollte (wenn auch nur sozusagen als stiller Teilhaber, was diese Erzählung betrifft)”. Der eingeklammerte Zusatz ist sicher späteren Datums, denn Bulkington steht zwar in Kapitel 23 urplötzlich am Ruder der Pequod, wird aber danach nie mehr gesehen.

Seite 891/892

Christian Roosen, Der SeebärDie Mutmaßung des Nachwortschreibers: Der gute Bulkington ist als Nebenfigur und Begleiter Ismaels entbehrlich geworden, da Melville ihm inzwischen seinen Blutsbruder Queequeg erfunden hat. Damit erhält die “grabsteinlose Gruft”, die er ihm in diesem Kapitel zimmert, neben dem tiefen Sinn der ihm verliehenen Symbolik eine ganz eigene Bedeutung. Er “hat die Figur des edlen (weißen) Seemanns […] nicht sang- und klanglos aus dem Manuskript entfernt. Nein, Bulkington kommt zu höheren Ehren. In diesem hymnischen “Westentaschenkapitel” setzt Ismael ihm ein Denkmal, […] stilisiert ihn zur Verkörperung furchtloser Wahrheitssuche, zum trotzigen “Halbgott” jener See, die die symbolische Gegenwelt des “trügerischen” sklavischen Lebens an Land bildet. Zugleich bleibt uns der heroische, allseits beliebte Bulkington als Alternative zu Ahabs menschenverachtender Ich- und Rachsucht in Erinnerung – eine Alternative freilich, die in jener Gesellschaft an Bord der Pequod keinen Platz hat.” (Seite 892)

Wow, da hat er die allegorische Verwobenheit unseres verlorenen Helden ja gleich kompakt mit ausgeleuchtet, der Herr Nachwörtler. Nur den Ahab haben sie mir fast ein bisschen arg festgezurrt: Kennt ihr nun (etwa) Ahab? – Ach, und mir hätte höchstens noch der unbändige Freiheitsdrang gefehlt, den das Bild des Meeres in einem solchen Vergleich immer verströmt. Besonders in der großen und atemberaubenden Melvilleschen Poesie des ganzen Kapitels, die mich hinsinken lässt – darf ich?:

Harry Haerendel, Alter SeebärKennt ihr nun Bulkington? Flüchtige Blicke meint ihr zu erhaschen auf diese den Sterblichen unerträgliche Wahrheit, dass alles tiefe, ernste Denken nur der Seele unverzagtes Mühen ist, ihr Meer sich weit und unabhängig zu bewahren, derweil des Himmels und der Erden ungestümste Winde sich verschwören, um sie am trügerischen Sklavenufer auf den Strand zu werfen?

Jedoch: So wie nur fern von jedem Land die höchste Wahrheit wohnt, die uferlos und unbegrenzt wie Gott, so ist es besser auch, in jener heulenden Unendlichkeit zu sterben, als bar des Ruhms an Leegestaden zu zerschellen, und wär dies auch die sichre Rettung! denn wer, o wer wohl, würde wie ein Wurm kratzfüßig krumm ans Ufer kriechen wollen! Schrecken des Schrecklichen! Ist all die Not und Pein denn ganz umsonst? Fass dir ein Herz, o Bulkington, fass dir ein Herz! Bewahr dir deinen Trotz, du Halbgott! Hinauf aus dem Geschäum, wo du im Meer versunken, schwingt deine gottgewordene Gestalt sich geradewegs empor!

Seite 189

Hach, man möchte es in Versform schreiben – und murmelt es wie ein Poem vor sich hin. Was für ein wunderbares Stück Sprache verdanken wir somit einem der unbekümmerten loose Ends im Moby-Dick!

Und nirgendwo würde es besser hinpassen, dieses Kapitel, als vor das stolze, ehrfürchtige und angriffslustige Plädoyer des Anwalts der Walfänger, oder?

Written by Wolf

21. May 2007 at 12:48 am

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Kapitel 23: Land in Lee oder Kennt ihr nun Bulkington?

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Zeit für einen Fachartikel. Der letzte stammt vom Neunten.

Einige Kapitel zuvor war von einem gewissen Bulkington die Rede gewesen, einem hochgewachsenen Seemann, der eben erst abgemustert hatte, als ich ihm in einem Gasthaus New Bedfords begegnete.

Olde Chequers InnSo weit Melville, anfangs Chapter 23: The Lee Shore, in der Zunge von Jendis.

In der Übersetzung der beiden Seifferts heißt das Kapitel ungefähr geradeso inhaltsfremd: Der sichere Port. – Weiter mit Jendis: “Einige Kapitel zuvor” heißt: in Kapitel 3, hier auf Seite 53; das Gasthaus New Bedfords heißt Spouter-Inn oder Zum Walfänger und unterstand Peter Coffin (allerdings weder dem aus Berlin noch dem Bischof von Ottawa); “gerade erst” heißt nach einer Seefahrt von vier Jahren.

Daran sollten wir uns erinnern, Kapitel 3 hatten wir schon. Ist da einem von uns die Figur Bulkington aufgefallen? Falls ja, war sie uns keine Erwähnung wert.

Dabei hat mein eigenes Exemplar sogar einen Bleistiftvermerk auf Seite 53: “Bulkington s. Kap. 23 S. 188”, offenbar aus der Absicht heraus, bei Gelegenheit darauf zurückzukommen, man weiß es nicht, das war vor acht Monaten, und das kann ich jetzt wieder meinem Frisör erzählen. Besonders wichtig erschien Bulkington jedenfalls keinem von uns.

Wo der Bulkington bei seinem ersten Auftauchen doch so schön plastisch beschrieben wird. Kapitel 3 war ein ziemlich langes, 20 Seiten bei uns, dicht vollgepackt mit Fakten und Atmosphäre, da ist uns der erste detailliert beschriebene Seebär nicht mal aufgefallen, als Melville ihn aus dem Kneipengetümmel hochgehoben und vor die Nase gehalten hat:

Dieser Mann erweckte sofort meine Neugier, und da die Meeresgötter bestimmt hatten, daß er bald schon mein Bordkamerad werden sollte (wenn auch nur als stiller Teilhaber, was diese Erzählung betrifft), will ich es hier unternehmen, eine kurze Beschreibung von ihm zu geben. [Auffallend groß, muskulös, gebräunt, stilles Wasser, Südstaatler; bei seinen bisherigen Bordkameraden “überaus beliebt”.] Als das ausgelassene Treiben seiner Genossen den Höhepunkt erreicht hatte, schlüpfte dieser Mann unbeobachtet hinaus, und ich bekam ihn nicht mehr zu Gesichte, bis er mein Kamerad auf See ward.

Jendis-Übersetzung, Seite 53.

Wie genau braucht man ein foreshadowing noch? Memo an mich: Genauer lesen, Mister Leben-mit-Herman-Melville.

In diesem erkärten six-inch chapter, was auf Deutsch Westentaschenkapitel heißt, soll Bulkington wohl exemplarisch für die gesamte Mannschaft stehen: Manche Leute kommen besser auf See zurecht als an Land, und gerade der Schrank von einem Kerl aus den Alleghanies in Virginia, also mutmaßlich ein versprengter Deutschstämmiger, hat’s zuletzt nicht unter vier Jahren zur See gemacht. Die meisten anderen Mitglieder der Besatzer sind Insulaner aus der ganzen Welt; der Vorgesetzte von allen, Captain Ahab, stammt zum Beispiel aus Nantucket und hat einen größeren Teil seines 58 Jahre währenden Lebens zu Wasser denn zu Lande verbracht; die Schiffseigner, ebenfalls Nantucketer, sind beim Auslaufen kaum von Bord zu bewegen.

Hochlyrisch die Sprache des ganzen Kapitels, ein wahres Hohelied auf die tiefe Wahrheit und Mystik, die im Meer steckt.

Kennt ihr nun Bulkington?

Glaub schon. Bulkington und seinesgleichen. Kapitel 24, das Hohelied auf den Walfang, kann kommen.

Zuzüglich zum Primärtext sollte das die Online-Coverage zu Bulkington ergeben, protz.

Written by Wolf

16. May 2007 at 1:28 am

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Weihnachten winkt: Steffi hat Kapitel 22 gelesen

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Steffi sagt:

Katchoo wants her FBI file looked upSo, mit angemessener Verspätung, um alle vergrault zu haben und doch einen guten Grund zu haben, melde ich mich wieder an Deck und völlig seetüchtig. Ich melde mich nun von einem anderen Standpunkt aus und bin seit gestern auch wieder von zuhause aus internetfähig. Ich ziehe also alle Segel auf und versuche wieder in den fremden Gewässern Fuß zu fassen, ruderisch zu euch aufzuschließen und tapfer in meinem Beiboot dem Wal hinterherzusegeln.

Falls euch noch Metaphern einfallen, die ich vergessen habe, könnt ihr sie gerne nachtragen.

Also. Weihnachten.

Zum Glück fühlt es sich außerhalb meines Schreibtisches eher wie Hochsommer an und ich kann mich gut in die Mannschaft hineinversetzen, wie sie einst sich nahezu aller Kleidungsstücke entledigt auf dem Deck darben wird.

Noch ist es nicht so weit.

Noch ist eher Zeit zurückzublicken, denn nun geht es doch eigentlich erst richtig los. Wir erreichen die offenen Gewässer. Ahab ist immer noch nicht gesehen, doch schwingt Melancholie mit, und prophetische Worte werden gesprochen. Wenn auch noch falsch bezogen, können sie einem einen Schauer über den Rücken jagen, wenn Ismael uns an seinen Gedanken teilhaben lässt: “[…] dachte ich doch an die Gefahr, in die wir uns beide begaben, indem wir die Fahrt mit dem Leibhaftigen als Lotsen antraten.” (Seite 183)

Also, Männer, in die Hände gespuckt, den Teufel ins Auge gefasst und denn mal tau.

Sailoress by Operaghost

Written by Wolf

3. May 2007 at 12:01 am

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Fröhliche Weihnachten: Elke hat Kapitel 22 gelesen

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Windlass Elke meint:

Anker auf – hievt!

Elke HegewaldNa, wenn das kein Weihnachtsgeschenk für die Mannschaft ist! Dass es nun endlich auf See geht nach diesem ausgedehnten und geduldigen Vorgeplänkel und wo schon keiner einen Gedanken an das Fest zu verschwenden scheint.

Und wenn anlässlich des Ablegens und steigender Spannung denn mal ein Zwischenfazit angebracht ist: Die Lesecrew in ihrer Sofaecke hat sich auf dem Weg bis hierher doch zu ganz passablen Walfängern gemausert, sich auf eigene und sonderbare Weise selbst als Leser erschaffen, oder? Die gehen mit diebischem Vergnügen auf den großen weißen Wal am Horizont, die lässt kein noch so heftiger Sturm mehr seekrank werden, der die Pequod durch die Wellen peitscht! Hat je schon wer solch ein Abenteuer aus der tiefsinnigen Geschichte von Vater Melville gemacht?

Zurück zu Whalemans Weihnacht. Was so ein richtiger Seebär ist, der tanzt auf Deck nicht um den Christbaum, sondern – um das Gangspill.

Und wenn er das nicht mit dem nötigen Eifer tut, fängt er sich schon mal einen Tritt ins Hinterteil vom wild herumkommandierenden Käptn Peleg. Während der eigentlich zuständige Ahab weiterhin hartnäckig durch Abwesenheit glänzt und damit ausdauernd an seinem melvillegewollten unheimlichen Mythos zimmert. Dabei weiß eh jedermann längst, mit welcher Rolle er in dem gebotenen Schauspiel besetzt ist, mag unser guter Ismael im inneren Kampfe gegen seine Vorahnungen sich auch noch so stichhaltige Entschuldigungen für dieses Schattendasein zurechtdrechseln. Dessen Ende ist jedenfalls in Sicht.

Der Wolf ist ja schon auf diversen unlektorierten Seltsamkeiten rumgeritten, von denen die Tante Charity – bei geordneten Familienverhältnissen – entweder mit dem frömmelnden Bildad eine weitere gemeinsame Schwester hat, Stubbs Ehefrau nämlich, oder selbst einen Stubbschen Bruder geehelicht haben dürfte. Da werf ich halt auch noch eine kleine Ungereimtheit in die Runde: Woher weiß Ismael eigentlich, welche Befehle “seit dreißig Jahren” zum Ritual des Seeklarmachens auf der Pequod gehören? Da werkelt doch Ismelville wieder leibhaftig mit auf Deck.

Und das Bild dieses kalten Weihnachtstages auf See, das er malt, verrät den alten Waljäger, der noch immer an der Seefahrt und dem Meere hängt, obwohl er inzwischen im trauten Arrowhead sein Nest gebaut hat. Hätte er sonst solche Worte gefunden? – :

… und als der kurze Tag des Nordens mit der Nacht verschmolz, standen wir schon beinahe auf der hohen See des winterlichen Weltmeeres, dessen gefrierende Gischt uns in Eis hüllte wie in einen glänzenden Harnisch. Die langen Zahnreihen auf der Reling leuchteten weiß im Mondeslicht; riesige, krumme Eiszapfen hingen wie die weißen, elfenbeinernen Stoßzähne eines gewaltigen Elephanten vom Bug herab.

Der hagere Bildad hatte die erste Wache unter sich. Während die alte Bark ohne Unterlaß tief in die grünen Wogen tauchte und sich mit frostiger Gischt bedeckte, während die Winde heulten und die Takelage sang, ertönte unbeirrbar sein Lied…” (S. 184)

Paul Gauguin, Près de la mer, 1892Na, das ist doch mein Stichwort. Endlich kann man aufhören, über die Songs the Whalemen sang nur zu spekulieren und palavern. Selbst den frommen Singsang des Lotsen Bildad, mit dem er die Männer an den Handspaken im Takt hält, kann man ja inzwischen als Capstan-(Gangspill-) oder Windlass-(Bratspill-) -Shanty klassifizieren – der als besondere Art des Homeward-Bound-Songs beim letzten Ankerlichten für die Heimfahrt zelebriert wurde.

Wobei ich schon gerne den grölenden Volltext des Kehrreims der Matrosen gelesen hätte, natürlich nur, um zu wissen, wie sich der Refrain um die Mädchen aus der Booble Alley zu Watts’ Chorälen gesellt.

Das beinahe tränenreiche Scheiden der beiden Schiffseigner, bei dem es sogar den derben Peleg fast hinreißt, wird zu aller Glück durch die zu Lachtränen reizende Abschiedsansprache des bigotten Bildad gerettet. Die gibt uns nicht nur weiteren Aufschluss über den Zwiespalt zwischen Quäker- und Walfängersein:

“Geht mir an den Tagen des Herrn nicht zu sehr auf den Wal aus, Männer, aber lasst auch keine günstige Gelegenheit verstreichen, denn das hieße, des Herrn gute Gaben zu verschmähen.” (S. 186)

Nein, er warnt auch gleich noch vor Unzucht auf den fernen Inseln, mahnt, nicht mit der teuren Butter zu aasen und hält überhaupt jedermann zur Sparsamkeit an allen Ecken und Enden an – einfach köstlich, der Gute.

Auch wenn das Herze nun allen schwer genug ist ob des blinden Schicksals, das der Mannschaft harrt: Endlich Schiff ahoi! Oder: Ab dafür! – um’s mit der Pelegschen Feinfühligkeit zu sagen.

“Ihr da, die Großrah backgebrasst!”

Written by Wolf

22. March 2007 at 12:47 am

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Kapitel 22: Fröhliche Weihnachten

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So weit also hätte ich mit dem Leseprojekt bis Weihnachten sein wollen. Kurz vor Ostern erhellt: Doch, hätte schon gepasst.

Endlich wieder eins von den wirklich staatstragenden Kapiteln. Wird auch Zeit: Der Primärtext hat in unserer Ausgabe 866 Seiten, und auf Seite 187, das ist bei 22 % der Gesamtlänge, laufen sie endlich mal aus, die Stubenhocker von Seebären. Schöner Seefahrerroman.

Nachdem in aller gebotenen Besonnenheit und allegorischen Breite klar gemacht wurde, wie das Buch ausgehen wird, muss eigentlich nur noch das Unausweichliche durchdekliniert werden. Die Spannung im Sinne von suspense hat Melville damit drangegeben, aber was für Konsumbärchen sind wir wohl, zu glauben, dass ihm daran lag.

Nix da. Es ist schon passend so: Die Spannung in Moby-Dick liegt im Unterwegssein, nicht im Ankommen. So dramatisch es ausgehen wird: Mittlerweile ist das Ziel klar, für den Weg dorthin bleiben noch 78 % Restlänge. Und gerade dazu passt die ganze Vorläufigkeit, das unlektorierte Dahingaukeln, das nicht mal eine anständige Komposition ist.

Ich verstehe auch, dass man das mögen muss, um es zu mögen. So viel Vertrauensvorschuss braucht das Buch. Meine Verlags- und Buchhandelsausbildung sagt mir: blankes Kassengift, sowas. Hätte heute keine Chance auf dem Markt. Und hatte es genau genommen auch 1851 nicht – aus anderen, nämlich weltanschaulichen Gründen, die sich aber genau auf diese formalen Mängel hinausredeten, weil das leicht ist. Das Erschaffen des eigenen Lesers ist damit beendet; wer bis hier gelesen hat, hält bis zum FINIS durch.

Es stimmt ja sogar: Formale Mängel gibt’s genug. Die Tante Charity ist, wie man eingangs Kapitel 22 hört, außer Bildads Schwester plötzlich auch noch Stubbs Schwägerin. In dieser Art Rätsel – “Brothers and sisters have I none” – war ich nie gut: Wer ist demnach mit wem verheiratet?

Die Kapitelüberschrift Merry Christmas scheint in einem Anfall von Bedeutungsschwangerschaft gewählt: Natürlich kann die Pequod nicht irgendwann ausfahren, sondern wenn schon, dann an einem sehr hohen christlichen Feiertag vor, genau: Jahresende. “Es war ein kurzer und kalter Weihnachtstag” (Seite 184) und fertig. Ansonsten äußert sich Weihnachten im Hafen nicht weiter. Nicht mal Tante Charity, die doch sonst alles mögliche anschleppt, hat Plätzchen mitgebracht oder was immer der Presbyterianer am Heiligen Abend zu sich nimmt (Apple Pie, wetten?).

Soll ich weitermachen? Ich erspare es uns, ich komme mir schofel dabei vor. Das Unterwegssein macht nämlich durchaus schon Spaß: Etliche Lieblingsstellen hab ich in diesem Kapitel:

  • Natürlich das Bild vom fromme Lieder singenden Bildad, der nicht nur Pelegs Ablegemanöver, sondern auch noch die losen Lieder über die Mädchen aus der Booble Alley zu übertönen versucht, die er eigentlich untersagt hat.
  • Soso: Ein Anker wird also nicht nur gelichtet, sondern wenn er sichtbar über Wasser ist, bis unter den Bug gekattet. Das geschieht am Gangspill, und zwar vermittelst der Handspaken.
  • Obacht heißt auf Nautisch: Wahrschau. Muss ich mir merken.
  • Nochmal soso: Peleg weiß ganz gut, dass es auf Südseeinseln gerne unzüchtig zugeht. Wenn man über den (ohnehin weit gefassten) Tellerrand des Moby-Dick hinausgeguckt hat, erinnert einen das ans seinerzeit berüchtigte 18. Kapitel von Typee. Peleg weiß wohl so gut wie sein Schöpfer Melville, wovor er da warnt.

Wer noch formale Mängel findet, darf sie behalten. Da passt nämlich jeder einzelne ganz gut.

Toothpaste for Dinner

Written by Wolf

14. March 2007 at 1:36 am

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Steffi hat das 20. und 21. Kapitel gelesen…

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… und fürchtet die Nemesis:

Stefanie DrecktrahJa, es geht los. Auch Ismael fängt ein neues Leben an und in der Tat geht es jetzt wirklich los – alle Mann an Bord und Leinen los.

Und immer noch hält sich der Schleier um den bedeutendsten Mann in dieser Geschichte. Ahab wurde immer noch nicht gesehen. Er ist ein Phantom, das personifizierte Damoklesschwert, das über den Köpfen der Mannschaft hängt.

Und dann bekommt alles noch eine weitere Bedeutung, denn wir erfahren, dass es für alles an Bord Ersatz gibt – außer für das Schiff selbst und für seine Nemesis – Captain Ahab.

Anders gesagt, er ist unersetzlich und man muss stets im Auge haben, dass er den Mann nie gesehen hat, „der des Schiffes unumschränkter Diktator sein sollte“ (Kapitel 20, S. 175).

Ismael spürt, dass etwas faul ist im Staate Dänemark (um mal bei anderen Klassikern zu räubern), aber er ist kein Dänenprinz, der sich damit auseinandersetzt und sich damit dem Untergang weiht. Vielleicht ist es Ismaels Unbedarftheit, die ihn davor schützt, am Ende mit den anderen unterzugehen.

Im folgenden Kapitel lernen wir dann endlich eine weitere Lichtgestalt kennen (auf die ich mich persönlich am meisten gefreut habe): Starbuck betritt zum ersten Mal die Bühne und es ist sofort klar, dass er auf der Lichtseite der Geschichte steht. „Ein forscher Erster ist das, ein guter Mann und fromm dazu.“ (S. 180)

Die Spiele mögen beginnen.

Written by Wolf

24. February 2007 at 1:28 am

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Hier spricht Elke Wallace

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Elke orakelt übers Kapitel 21: Es geht an Bord:

Elke HegewaldIch stelle mir gerade die Szene vor: diesen frostigen Morgen, an dem man im Stockdunkeln aus dem warmen Bett krabbeln muss, um sich im Nebel zum zugigen Hafen aufzumachen. Zu diesem seltsamen Schiff dieses noch viel seltsameren Kapitäns, das heut in sein lebensgefährliches Abenteuer segeln wird. Man spürt geradezu das Frösteln, das einem als ausgewachsene Gänsehaut den Nacken hochkriecht – ungemütlicher und unheimlicher geht’s nimmer.

Oder doch? Da verschwinden nicht nur die Schatten der Seeleute – vermutlich die künftigen Bordkamerden – vor unseren zwei Freunden wieder im Dunst. Nein, aaaaaah… plötzlich wird man an der Schulter gepackt und – dieser Unglücksprophet steht wie aus dem Nichts plötzlich wieder vor einem. Da hätte nicht nur unser Ismael ihm ein “Pfoten weg!” entgegengezischt. Solides Grusel-Feeling, fast wie in einem ollen Edgar-Wallace-Schinken mit der dicken Nebelsuppe am Themse-Ufer.

Hm, und auch diesmal wird man diese Klette von Elias nicht los. Wird auch diesmal nicht schlauer aus seinen halbirre gemurmelten Andeutungen und Warnungen bis hin zum Hohen Gericht – was immer er damit meint.

Und wären wir nicht schon eine ganze Weile in der Melvilleschen Bibelverwobenheit und -symbolik des Moby-Dick gefangen – bei Ahab und Ismael und wie sie alle heißen – man würde in ihm ja eher eine orakelnde Pythia denn einen Propheten sehen wollen. Von ersterer weiß man ja, wie mehrdeutig und missverständlich ihre Weissagungen waren. Davon konnte nicht nur der sprichwörtliche Krösus nach seinem Fiasko gegen die Perser ein Lied singen.

Da hätte es für unsere zwei Freunde, nachdem sie den aufdringlichen Seher endlich abgeschüttelt haben, doch auf dem Schiff ruhig ein bisschen heimeliger werden können. Pustekuchen! Kein Ende der gespenstischen Stimmung:

Als wir endlich das Deck der Pequod betraten, fanden wir alles in tiefster Stille vor; nicht eine Menschenseele war zu sehen. Das Schott zur Kajüte war von innen verschlossen; die Luks waren alle verschalkt und mit Tauwerkrollen beschwert.”
(S. 177/178)

Na toll! Und uuurgemütlich! Hier soll man sich nun für zweidrei Jährchen zu Hause fühlen?

Da muss es vielleicht auch keinen wundern, dass Queequeg ein seltsamer Übermut packt und er in die wilden Sitzgewohnheiten seines Südseekönigreiches zurückfällt. Irgendwie muss man sich doch gegen diese beklemmende Umgebung wehren, selbst wenn’s auf Kosten des armen Takelgastes und seines friedlichen Schlummers geht.

Na, langsam kommt ja nun doch Leben in die Bude. Der Wolf hat uns ja schon den braven Starbuck ans Herz gelegt und unsere Neugier geweckt. Ha, und sogar der – immer noch unsichtbare – Ahab soll sich ja inzwischen wenigstens schon mal in seiner Kapitänskajüte verschanzt haben.

Written by Wolf

23. February 2007 at 4:08 am

Posted in Steuerfrau Elke

Reger Betrieb: Elke hat das 20. Kapitel gelesen

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Galionsfigurine Elke glaubt an gar nix mehr:

Dieses heftige Gewusel und Geschleppe an Bord macht einen ganz aufgeregt und nervös. Ist das jetzt Reisefieber? Und dann steht man auch noch das ganze Kapitel lang irgendwie im Weg rum, wo überall wer was herankarrt, verstaut und in die richtigen Luken dirigiert.

Und wieso zum Teufel muss eigentlich Ismael, dieser nichtsnutzige Hilfsmatrose, der gerade mal für den dreihundertsten Teil in der Musterrolle steht, da nicht mit zupacken? So ein Walfänger ist doch sowas wie ein kleines Wirtschaftsunternehmen mit allem Drum und Dran, für zweidrei Jährchen auf dem weiten Meer auf sich allein gestellt. Eine eigene kleine Welt, von ein paar knauserigen und profitgeilen Quäkern finanziert – kann sich so ein Laden solch müßige (Zu-)Schauermänner überhaupt leisten? Oder darf der Kerl sich ein bisschen im Licht seines privilegierten Superharpuniers Queequeg sonnen?

Ordentliche Verpflegung scheint ja wenigstens schon mal vorgesehen zu sein, wo sogar Rindfleisch in den Laderaum wandert. Eine Selbstverständlichkeit war nämlich das Bei-Kräften-und-bei-Laune-Halten der wilden Waljäger durchaus nicht überall. Erfährt man jedenfalls aus einschlägigen Berichten eines bekannten und allseits beliebten Küstenvolkes über das Leben auf hoher See:

Trotz großer Mengen Proviant brachte der Küchenzettel auf einem Walfänger nicht viel Abwechslung und fast unverändert bekamen die Waler Woche für Woche:

  • Sonntag Graue Erbsen mit Pökelfleisch
  • Montag Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Dienstag Graue Erbsen mit Fleisch
  • Mittwoch Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Donnerstag Gelbe Erbsen mit Stockfisch
  • Freitag Graue Erbsen mit Fleisch
  • Samstag Gelbe Erbsen mit Stockfisch

Nur selten gab es weiße Bohnen oder Sauerkraut.

Wenn vielleicht solcherart Abwechslung aus der Kombüse droht – ins Neuenglische übersetzt, vermutlich eine chowderhafte – ist doch die Initiative und rührende Emsigkeit von Omma Charity mit ihrem sauer Eingelegten gar nicht hoch genug zu schätzen. Bejahen wir sie also ohne Wenn und Aber – zumal die aufdringliche Fürsorge auf zwei Beinen an Land zurückbleibt.

Stutzen ließ mich allerdings Ismaels Reaktion auf das Erscheinen der alten Dame auf dem Schiff. Die zunächst ein weiteres Mal unsere Ausgangsthese von der Abwesenheit des weiblichen Geschlechts in der mannsbildokkupierten Handlung widerlegt. Ismael findet ihr Auftauchen erschreckend. Und ich frage mich, ob vielleicht noch mehr als sein frühkindlicher Stiefmutterkomplex dahinterstecken mag. Er ist ob des unheimlichen, weil hartnäckig unsichtbaren, Ahab eh schon von Zweifeln und Ahnungen hin- und hergerissen. Und dann das! Wo doch jeder Seemann weiß, dass – im Gegensatz zu KatzenFrauen an Bord Unglück bringen!

Da kann er noch so cool tun (Bloooß nicht pfeifen! – das lockt den Sturmwind heran) und sich im Verdrängen üben. “Wenn aber ein Mann den Verdacht hegt, daß etwas nicht stimmt” (S. 175), fällt dann nicht der ganze Aberglaube der christlichen Seefahrt auf fruchtbaren Boden? Oder dichte ich dem guten Melville schon wieder was Abseitiges in seine Charaktere rein?

Voyage Route of the Pequod, Literary Map

Written by Wolf

19. February 2007 at 1:58 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 21: Es geht an Bord

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Hanin EliasUnd da ist ja auch wieder mein anderer special friend, der Elias. Ich hab mir ja auch schon ein Schild “Ich schäme mich” umgehängt, dass ich Melville nicht zugetraut hab, seinen zauseligen Propheten ohne Taschenspielerei noch einmal erstehen zu lassen. Das Loose End mit seinem linken Arm, der möglicherweise, hihi, ab-handen gekommen ist, bleibt erhalten.

Woher weiß Ismael eigentlich, dass die Reise drei Jahre dauern und die Route zum Indischen Ozean und Pazifik führen soll? Setzt man beides bei einer Walfängerei so voraus oder war das jetzt loose-end-nickelig von mir? Hätte Melville den Elias vielleicht doch noch gern mit auf die Pequod verfrachtet, ohne den dramaturgischen Dreh hinzukriegen?

Jedenfalls gewinnt Elias durch seine bloße Wiederkehr an Bedeutung, jetzt mal rein quantitativ und welche Bedeutung außer dem dauernden foreshadowing der finalen Katastrophe auch immer. Ich glaub, wir haben’s geschluckt.

Queequeg musste zwischendurch mal wieder was Wildes, Exotisches anstellen und benutzt Personen minderen gesellschaftlichen Ranges als Sitzmöbel gleich den alteuropäischen, aber sprichwörtlich gottlosen Hunnen, die Seebären trotten paarweise an Bord wie auf die Arche Noah, als die letzten ihrer Art, die eine überlebte, nicht mehr lange überlebende Welt hinter sich lassen – es ist alles höchst beziehungsreich bis gespensterhaft.

Dafür winkt aus dem Off die nächste Lieblingsfigur: Starbuck. Mal abgesehen von seiner Patenschaft für fragwürdige Kaffeesiedereien: Den werden wir mögen.

Going aboard

Written by Wolf

15. February 2007 at 2:29 am

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 20: Reger Betrieb

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Wer hat da noch während der frühen Zurüstungen in den präliminarischen Kapiteln danach gekräht, dass es doch endlich an Bord gehen möge, meine geschätzten Mitleser? Jetzt, auf Höhe von 14,8–15,6% der Kapitel, wo Ismael und Queequeg endlich Planken betreten, um sie erst nach drei Jahren wieder zu verlassen, und die Weltpresse in Gestalt von Cetacea auf uns aufmerksam geworden ist, sind noch ungefähr 1,5 Mitleserinnen übrig, die sich ebenfalls nicht gerade vertraglich zu irgendwas verpflichtet haben. Nach dem 135. Kapitel war Ismael auch allein…

Aunt Charity AndersonDie Beobachterrolle, die Ismael wie von selbst einnimt und bis zum Ende wohl nicht mehr aufgibt, wird ihm im 20. Kapitel All Astir ja sogar von offizieller Seite zugestanden: Nicht einmal das Schiff, das er im Verlauf der folgenden Jahre wieder leerzufuttern gedenkt, muss er selbst mit Proviant und Arbeitsmaterial beladen helfen; lang leben die Schauermänner und Takelgäste.

Eine neue Lieblingsfigur hab ich: Bildads Schwester, eine der doch unerwartet vielen Frauen im Buch, die sich offenbar ungefragt in die Ladearbeiten einmischt. Muss man sie nicht lieb haben, die kleinen alten Damen, die sich die fürsorgliche Oma raushängen lassen, und gälte es die Rente? Solche aufdringlichen Mütterlichkeiten auf zwei Beinen kenn ich sehr gut, ich musste mich eine frühe Kindheit lang gegen sie wehren, und es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich sie schätzen lernte. Wenn man erst seine seelischen Grenzen so klar definiert hat, um sich zu sagen: Ach Gott, die Guten können halt auch nicht aus ihrer Haut, und sie sich bei Bedarf wieder vom Leib halten kann, in welchem Falle die lieben Omas tatsächlich richtig ranzig werden können, geht’s.

Das funktioniert mit sehr freundlichen, sehr eindeutigen Botschaften: kurze Sätze! Klare Anweisungen! Immer mit genau einer Begründung! Gar keine Begründung wird als unhöflich und damit als Freischein, ja Verpflichtung zum Weitermachen aufgefasst, zwei und mehr Gründe können sich schon widersprechen, und damit macht man sich angreifbar. Sich den vierten Teller Grießbrei, den fünften selbergebrannten Zwetschgengeist oder eben ungerufene Krüge mit Eingelegtem, Wolldecken, Federkiele und Trankellen zu verbitten, ist eine harte Übung, der nur die psychisch Kerngesündesten gewachsen sind.

Das war ein Tipp: Bildads Schwester und Ihre Oma wünschen Anerkennung, genau wie Sie und ich auch. Auch wenn Oma nicht offiziell bei den Quäkern eingeschrieben ist – diese Art Mildtätigkeit ist weit verbreitet in Kreisen, die sich nur als irgendwie christlich verstehen. Tante Charity meint es gut. Nun ist “gut gemeint” das Gegenteil von “gut”, aber auch wenn Ihre eigene Oma Charity damit nichts als Scheiße baut, soll man sie deswegen nicht für böse halten.

Ismael steht mittendrin, lässt die Schiffseigner und ihre Beauftragten machen und wird sich, gerade bei seinem Mutterbild, hüten, Tante Charity in den Weg zu rennen. Wird ihm die Aussicht auf drei Jahre ohne Festlandkontakt vielleicht doch langsam unheimlich? – Es wäre nicht unmenschlicher als die Regungen von Quäkertante Charity, zu deren Schiffseigneranteilen auch die zweibeinige Ladung gehört.

Die Crew

Written by Wolf

14. February 2007 at 2:03 am

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Cabidoulin is too seldom

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Elke hat noch ein Monster gefunden:

But where there’s a monster there’s a miracle.
Ogden Nash: Dragons Are Too Seldom

Elke HegewaldHach, beim Hinterhersurfen hinter all den ganzen Propheten wurde ich doch an einen anderen von denen erinnert, der es auch heftig mit der Orakelei und düsterem Menetekeln hat. Den alten Cabidoulin hat die Mannschaft sogar auf ihrem Kahn die ganze Zeit am Hals. Und es ist – man höre und staune – ein Walfängerschiff. Und auch hier ist der Anlass für das anschließende Chaos ein Monster auf See. Diese Geschichte ist, glaube ich, nicht allzu bekannt, was einen bei dem umfänglichen Gesamtwerk des Autors vielleicht nicht sonderlich wundern muss.

Naaa, wer hat’s erfunden? Nö, diesmal nicht die Schweizer. Ein Franzose war’s, den der Wolf in weiser Voraussicht und aus gutem Grund schon längst im Schatzkästlein der Literaturliste verewigt hat: Tadaa! – Unser aller Jules Verne!

Written by Wolf

1. February 2007 at 12:50 am

19. Kapitel: Prophetens Los: Verkannt und unerhört

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Elke hält auch in Kapitel 19 zu Ismael:

Elke HegewaldDa kann man schon misstrauisch werden, wenn auf einmal so ein abgerissener Kerl, wie sie zuhauf in jeder Hafenszene rumlungern, etwas von einem will.

Sogar in der Hochstimmung darüber, gerade einen ordentlichen Job in trockene Tücher gebracht zu haben. Den lässt sich doch ein Ismael nicht von so einem Irren und Wichtigtuer vermiesen. Am Ende ist’s gar ein Gauner, der ihm und seinem Queequeg ans Leder will, so gruselig wie er ausschaut.

Und was will der überhaupt mit seinen wirren Reden und Anspielungen und orakelnden Mahnungen? Am besten gibt man ihm gleich mal ordentlich Bescheid, dass ihre Seelen ihn ein feuchtes Walblasen angehen, und die vom Käpt’n Ahab auch. Der Alte versucht doch glatt, ihnen den zu einem gottlosen Monster zu machen. Nun ja, irgendwie unheimlich ist er Ismael aber doch mit seinen rätselhaften Offenbarungen, die kein Mensch versteht. Und da haben wir es doch wieder, das laute Pfeifen im dunklen Wald – oder wie soll man das Loswettern gegen den armen Kerl sonst deuten, der ihnen nichts Böses, sondern eher das Gegenteil will. Und es zumindest schafft, dass in unserem guten Ismael wieder mal “alle möglichen dumpfen Ahnungen und unausgegorenen Befürchtungen aufsteigen, die allesamt mit der Pequod zu tun hatten und mit Kapitän Ahab und mit dem Bein, das er eingebüßt hatte, und mit seinem Anfall bei Kap Hoorn und mit der silbernen Kalebasse […] und mit hundert anderen Dingen, die mir schemenhaft blieben.” (S. 171)

Schemenhaft sind sie allerdings, die Warnungen dieses selbsternannten Propheten, und vage wie nur irgendwas. Ob das etwas damit zu tun hat, dass er selber noch an den Folgen verhängnisvoller Walfahrerei laboriert?

Der Wolf hat es sehr wohlwollend formuliert, ich hingegen fragte mich zum ersten Mal seit Beginn unserer Jagd auf Moby-Dick, ob man in diesem Kapitel wohl ausnahmsweise mal ein Schwächeln unseres großen Meisters Melville entdecken darf – scheint mir das alles doch ein bisschen diffus und halbherzig nicht auf den Punkt, sondern allenfalls aufs Komma gebracht. Oder ist es gerade das, was den Charme und die authentische Atemlosigkeit eines Melville ausmacht, die der Wolf besingt?

Ist es vielleicht gar noch mehr?: eine Wertschätzung und Auszeichnung für den geneigten Leser, der ihm ebenbürtig und ein mündiger Leser sein soll? Der schon ganz alleine herausfinden wird, was es mit diesem Propheten und seinem sehr wohlgewählten Namen – Elias – auf sich hat? Das sähe dem Erfinder des amerikanischen Symbolismus ähnlich. Dann fühlte ich mich aber ganz besonders geehrt, wo ich doch eine bin, der die solide Bibelfestigkeit nicht an der Wiege gesungen wurde. Deshalb krame ich ja mit Feuereifer und Wissbegier den biblischen Pendants hinterher, denen er beinahe jeden seiner Helden ein Stückchen nachgebaut hat. Und finde das todspannend. Dass der biblische Elias des dortigen Königs Ahab direkter Widerpart ist, wissen wir ja schon vom Wolf und den Herren Jendis und Göske.

Und er gilt als der zweitwichtigste unter den Propheten nach Moses höchstselbst. Und wenn man denn aus seiner Begegnung mit unseren beiden Walfängern noch eine weitere Parallele zu biblischen Vorkommnissen und Vorhersagen finden mag, dann in der alttestamentlichen Prophezeiung, dass er wiederkehren werde, um als letzter Prophet vor dem Ende zur Umkehr zu rufen:

Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des HERRN kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.” (Maleachi 3,23)

Der heruntergekommene Alte am Hafen ist unserer beider Abenteurer letzte Chance, bevor sie endgültig und ohne Umkehr mit dem Dämon Ahab in ihr Unglück segeln. Und wie es verkannte Propheten häufig erleben, geht denen seine Warnung trotz eines leicht mulmigen Gefühls am Arsch vorbei… öhm, wird selbige nicht erhört, wollt ich sagen. Passt scho. Und das Schicksal nimmt seinen Lauf…

Written by Wolf

31. January 2007 at 2:53 am

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Kapitel 19: That’s a human prophet all right

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“Mein Name ist Elias!” Angeschossen stolpert er rückwärts, schleudert Clint Eastwood kryptische Worte, allen voran seinen Namen, ins Gesicht, hält sein blutendes Bein fest, strauchelt, kippt hintüber in den Straßenstaub. “Elias!” fletscht er die Zähne und verröchelt vor dem Saloon.

Dennis Hopper MugshotNein, das ist nicht Melville, das ist Hängt ihn höher.

Auch wenn sie von Dennis Hopper gespielt werden, vielleicht auch gerade deswegen, haben Propheten in Amerika offenbar keinen großartigen Stand. Bei Melville wird er sogar von Ismael, den man bisher als recht aufgeschlossen und menschenfreundlich kannte, beschimpft. Gut, das kommt daher, dass man einen free born American nicht von der Seite anquatscht, da kann man ihn anscheinend schnell bei der Ehre packen. Trotzdem hat er mich fast erschreckt.

Interessant wäre, wie Ismael reagiert hätte, wenn er nicht seinen großen starken Busenfreund Queequeg an seiner Seite wüsste – dessen bekannt spektakuläre Erscheinung keinen der Erwähnung werten Eindruck auf Elias macht. Auch so ranzig? Oder wäre dann der abgerissene Prophet der Kauz geworden, bei dem es selbstverständlich auf die inneren Werte ankommt, nach denen man nur erst gebührend forschen muss? Mein innerer Dramaturg tippt auf letzteres.

Seinen linken Arm, den Elias da beschwört, halte ich für ein typisches Loose End seitens Melville.

Look ye; when Captain Ahab is all right, then this left arm of mine will be all right; not before.

Hei, wie das übersetzt wird! Jendis sagt dazu getreulich:

Hört mal, wenn mein linker Arm hier in Ordnung ist, dann wird auch Kapitän Ahab in Ordnung sein, vorher nicht.

Interessant wird’s bei Alice und Hans Seiffert:

Seht her: Kapitän Ahab wird so bald ganz gesund sein, wie mein linker Arm mein rechter wird. Eher nicht.

– wie sie alles geben, all right als Ortsangabe rechts zu übersetzen, damit sie dem Elias beide Arme lassen können. Ist das geschickt und gar nicht so blöd oder schon ein Eingriff? Sagen wir: ein Eingriff, aber gar nicht so blöd. Daniel Göske will es in den Anmerkungen (Seite 949) fast schon verbissen als beabsichtigt sehen:

Ob auch sein “linker Arm” (S. 168) von Moby Dick versehrt wurde und ob Kapitän Ahab schon vor seiner Begegnung mit dem weißen Wal Altar und Kelch (die “silberne Kalebasse”) einer Kirche in der peruanischen Hafenstadt Santa entweiht hat (S. 169), bleibt ebenfalls offen.

Glaub ich nicht. Man kann diese Deutschlehrerfrömmigkeit auch übertreiben. Luzider an derselben Anmerkung finde ich vielmehr die Stelle kurz davor, dass Elias auch in der Bibel (1. Buch der Könige, Kapitel 17 bis 21) Ahabs direkter Gegenspieler ist, auch wenn er dort weit deutlicher wird als Melvilles eher harmloser Wirrkopf: Der Prophet Elias ist es nämlich, der dem König Ahab so plastisch-drastisch droht, die Hunde werden im Weinberg sein Blut auflecken, mjamm.

Zum Charme von Moby-Dick gehört ja, dass Melville alles ziemlich unkomponiert runtergeschrubbt hat, atemlos, live, authentisch, und außer dem Londoner Zensor nicht mehr viele Lektoren draufgeschaut haben. Ein Loose End dieses minderen Ausmaßes finde ich daher verzeihlich; es ist doch sowieso klar, dass Elias seine Rolle im Roman mit diesem Auftritt erledigt hat (sollte er nach Art nur der allergrößten Propheten wiederkehren, war’s ein fortgeschrittener Kunstgriff, und solche Taschenspielertricks überlassen wir lieber Paul Auster): die nächste Stufe der Düsternis in den Vorahnungen, den Untergang der Pequod betreffend, zu erklimmen. Irgendwie mag ich ihn, und der Ismael soll sich mal nicht so haben, nur weil er zufällig seinen Indianer dabei hat.

Und wo wir gerade so schön bei Dennis Hopper und düsteren Stellen sind, zum Schluss eine in jeder Hinsicht eingehende Interpretation zu Blue Velvet, in der wir staunen dürfen, was all right noch alles heißt.

Written by Wolf

27. January 2007 at 5:50 am

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Prophetin Steffi gibt alles

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nachdem sie Kapitel 19 gelesen hat:

Prophetin ohne PockennarbenIn der Personenbeschreibung des Propheten zeigt sich die ganze Genialität du Wortgewalt eines Herman Melville:

Verwachsene Pockennarben ergossen sich nach allen Seiten über sein Gesicht und gaben ihm Ähnlichkeit mit dem verästelten, vieladrigen Wasserlauf eines Sturzbaches, wenn die tosenden Wasser versiegt sind.“ (S. 167)

Wow, kann ich da nur sagen. Anschaulich beschrieben, etwas gruselig oder abstoßend in der Wirkung und noch ein Stück Lebensgeschichte des Beschriebenen vermittelnd. Es wird klar, dass dieser Mensch schon viel erlebt haben muss. Die Pocken wahrscheinlich schon in seiner Kindheit (deswegen verwachsen) und gerade aus den schlimmsten Strömungen des Meeres entronnen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass sein Arm versehrt ist – es ist zu deuten, dass er ebenfalls Opfer eines Wals wurde und damit die Dämonen gestreift hat, die Kapitän Ahab nun umtreiben.

Ja, er weiß die Zukunft vorherzusehen (wenn nicht, wäre er andererseits auch ein armseliger Prophet) und er weiß, dass Kapitän Ahab erst dann wieder wohlauf ist, wenn sein Arm das auch ist.

Er deutet noch viel mehr an, ohne Genaueres zu nennen, was Kapitän Ahab in seinem Seemannsleben passiert ist. Von Entweihung ist die Rede, wobei nicht klar wird, ob das vor oder nach der Begegnung mit Moby Dick geschah.

Es wird jedenfalls klar, dass dieser Wal ihn auf mehrere Arten gezeichnet hat als nur auf die physische. Er ist verändert, auch wenn die Besitzer der Pequod das noch nicht sehen können.

Es bleibt im Dunkeln, ob Kapitän Ahab auch schon vorher ein „Teufelskerl“ war. Verzeiht mir meine dünne Quellenlage (ich hoffe auf mehr Klarheit in den Monologen des Kapitäns in seiner Kajüte), aber die Verfilmung mit Patrick Stewart deutet an, dass er vorher ein ganz anderer gewesen sein muss – ein Seemann mit Familie, Anstand und Respekt.

Die Frage, die sich mir unmittelbar stellt, ist, warum es ihn derart aus der Bahn geworfen hat? Warum hadert er danach mit Gott und der Welt? Es scheint, als wäre mehr passiert, als dass eine Naturgewalt ihm bei einem Kampf (den er wohlgemerkt angefangen hat) das Bein abgerissen hat. Es scheint, als wäre er auf unverzeihliche Art und Weise entweiht, entwürdigt und gedemütigt worden, so dass es keinen anderen Weg als die Blutrache gibt.

Das führt mich gedanklich in ganz andere, modernere Gewässer der Religionsinterpretation, aber lassen wir es hier bewenden.

Kapitän Ahab zeigt sich als Mann, der auf der einen Seite so verständlich reagiert, aber auf der anderen Seite mit der Heftigkeit seiner Reaktion befremdet.

Written by Wolf

16. January 2007 at 12:57 am

Posted in Steuerfrau Steffi

Kapitel 18: Elkes Zeichen

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Elke setzt im 18. Kapitel ihr Zeichen:

Elke HegewaldEin guter Name ist mehr wert als Reichtum“, wie wir vom geistigen Vater des Ritters von der traurigen Gestalt wissen.

Nun ist zum Glück unser guter Queequeg alles andere als ein solcher. Er ist sogar das ganze Gegenteil, steht mit beiden Beinen fest auf den Decksplanken und weiß, worauf es im Bewerbungsgespräch um einen ordentlichen Job ankommt. Das demonstriert er denn auch gleich eindrucksvoll mit seinem zielsicheren Harpunenwurf. Und zwar so überzeugend, dass für die zwei Quäker, die ihn anheuern, im Nu alle Glaubensfragen zweitrangig werden. Naja, zumindest für einen von ihnen. Der geschäftstüchtige Peleg checkt blitzgeschwind, was er da für einen Star-Walfänger einkauft. Das Szenario ist komisch, ja, aber nichts weniger als komödiantisch. Das ist die Kunst eines Herrn Melville, des virtuosen Puppenspielers, dessen Figuren sehr glaubhaft an den Fäden zappeln. Denn wer wollte sagen, dass die beiden Schiffseigner ihren biblischen Namen nicht alle Ehre machen?

Genau, wir waren ja bei Namen und Zeichen. Queequeg geht es da zunächst mal nicht anders als unsereinem und diversen unserer eigenen Zeitgenossen: wer, wenn er nicht gerade einen gängigen Allerweltsnamen sein eigen nennt, hat nicht schon die mal amüsante, mal ärgerliche Situation erlebt, dass sein Gegenüber sich etwas schwer tat mit Aussprache und Schreibweise? So mag man unser Schiffseignerpärchen nicht a priori der vorsätzlichen Verballhornung des exotischen Lautgebildes, dem man nicht mal einen Sinn erlauschen kann, verdächtigen.

Mount QueequegDa ist Quakquak gar nicht mal so abwegig als erster Versuch – klingt es doch vertraut. Und meine weitgehend fruchtlosen Surftouren im worldwide Net lassen mich zumindest vermuten, dass „Quohog“ so etwas wie eine landschaftlich gebräuchliche Wortverwendung (Wortschöpfung?) ist, somit für Nantucketer etwas Bekanntes. Meine kühne, allerdings nicht verbürgte Vermutung: es handelt sich um eine Muschelart oder was Ähnliches, nach der unter anderem ein Ort auf Martha’s Vineyard und andere Sachen benannt sind. Übrigens gibt es in antarktischen Gefilden einen Berg, der Queequeg heißt. Vermutung Nummer zwei: hier wurde Melvilles sympathischem Helden, dem Südseekönigssohn, ein Denkmal gesetzt.

Den ficht das Herumdoktorn an seiner Identität überhaupt nicht an, trägt er doch seinen Namen unauslöschbar als Zeichen auf seiner Haut. Dieses sein Zeichen setzt er mit sicherer Hand unter den Vertrag. Und interessanterweise – wo man doch an Bord, wie’s zunächst scheint, so pingelig in Religionsfragen ist – erinnert es an ein Kreuz.

Wichtig neben diesen Querelchen erscheint mir dennoch die Besonderheit von Queequegs Namen, wo wir ja wissen, dass Melville seine Figuren im Moby-Dick nicht von ungefähr recht hintergründig – und vorzugsweise nach biblischen Vorbildern – „tauft“. Und ich lande mit meinen spinnerten Gedanken wieder bei meiner Orakelei aus dem 12. Kapitel: der eigenen Symbolik der Queequeg-Figur nämlich, die vielleicht ein heimliches Ideal Melvilles sein mag. Das neu und anders und besser ist als all das, was Ismael in Zwiespalt bringt mit der Religion und der Welt…

Und prompt springt dieser seinem blutsbrüderlichen Freund mit einer geradezu revolutionären Predigt auf Gottes Menschenkinder bei, die sogar einem Vergleich mit dem einzigartigen Vater Mapple standhält. Und das will schon etwas heißen bei den störrischen Nantucketern. Müßig zu erwähnen, dass seine Art von Gottesfürchtigkeit den Puritanern, für die die Londoner Ausgabe gedruckt wurde, wieder mal nicht zuzumuten war.

Bild: Queequeg in Moby Dick the Musical.

Written by Wolf

15. January 2007 at 3:29 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 18: Dem Wolf sein Zeichen

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Das wahre Lexikon der Gegenwart bei UllsteinBis hier und noch viel weiter zeichnet sich ab, dass Namen bei Melville mehr Funktionen haben als die Leute zum Deckschrubben zu rufen. Namen charakterisieren – besonders schön war ja der Peter Coffin – und stiften Identität.

Schwierig wird’s bei Queequeg, dessen Sprache allein er und sein ebenso überschaubares wie fernes Volk verstehen. Denn was, haben wir bei Umberto Eco gelernt, sind Namen? – Zeichen sind sie. – Und was sind Zeichen? – Allgemein verständlich.

Es ist ein Mythos geworden: Adam macht sich die Erde untertan, indem er den Tieren ihre Namen verleiht, Liebende melden Besitzanspruch aneinander an, indem sie einander exklusive Kosenamen verpassen, die Juden, das Volk der Schrift, versuchten seit je, Einfluss auf die Wirklichkeit zu nehmen, indem sie eine richtig beschaffene Kette von Lauten aussprachen, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.

Wo Ismael mit seinem Namen unterschrieben hat, kann Queequeg also genauso verbindlich sein Zeichen setzen. Speziell seins ist besonders eng mit seiner Person verknüpft, indem er es auf den Arm tätowiert trägt.

Wer damit allerdings nicht so recht umgehen kann, sind Good Cop Peleg und Bad Cop Bildad, die ihn nach seiner kurzen Arbeitsprobe gar nicht eilig genug in Dienst nehmen können: Für den “Quakquak” hätte sich Captain Peleg noch fast entschuldigt, der nicht ganz so lächerliche “Quohog“, das laut Kapitel 14 (hier: quahog) eine für Nantucketer bedeutende Muschel bezeichnet, landet offiziell in der Musterrolle.

Religionskritik fällt leicht, bigotte Frömmler sind ein wohlfeiler Gegenstand aufgeklärter Spötter, das komische Element an quäkerischem Gebaren offenkundig. Das aber finde ich ganz durchtrieben von Melville: wie sie den herangeschleppten Queequeg anfangs mit “Sohn der Finsternis” anreden, ihm erst mal den Katechismus abnehmen und anschließend aufdrängen, ihn wegen offensichtlicher wirtschaftlicher Opportunität dann doch einstellen, und zwar jetzt vielleicht bitteschön doch lieber ohne ihn seiner Wildheit zu entkleiden – aber ihn qua Namensverdrehung doch eines Stücks seiner Identität berauben.

Selbst der Setzer der Erstausgabe nimmt ihm posthum aus technischen Gründen noch das Unendlichkeitszeichen weg, was ja wohl kaum noch symbolträchtiger geht, diesmal sogar ins richtige Leben überlappend. Und keiner hat’s gemerkt.

Written by Wolf

14. January 2007 at 5:36 am

Posted in Steuermann Wolf

Steffis Zeichen, Queequeg’s Mark

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Steffi hat Kapitel 18: Sein Zeichen gelesen:

Stefanie DrecktrahWir segeln wohl immer noch in humoristischen Gewässern!

Mittlerweile ist auch Queequeg zum Einschreiben in die Musterrolle eingetroffen und nach einem vortrefflichen Disput zwischen den Eignern und Ismael, ob Queequeg nun ein Heide ist oder nicht, darf er dann doch an Bord kommen.

Es kommt zu einer beeindruckenden Demonstration der Fähigkeiten Queequegs – ein Wurf mitten ins (verzeiht mir den Kalauer) whale eye und auf einmal spielt es keine Rolle mehr, ob er nun wirklich Mitglied der Ersten Freikirche ist (in der laut Ismael ja wir alle Mitglied sind) oder nicht. Die beiden Herren stellen sogar fest, dass es hinderlich sein kann, zu frömmig zu sein, schließlich ist die Tätigkeit eines Harpuniers doch nicht so gottgefällig, wie sie es am liebsten hätten.

Ja, so doppelzüngig sind unsere Presbyteriananer: davon wissen, dass es Unrecht ist, aber dann doch dem schnöden Mammon dienen. Eigentlich sehr modern, oder nicht?

QuahogHeiterkeit kam bei mir auf, nachdem Queequegs Name auf verschiedenste Weise verballhornt wird (jetzt sind wir schon wieder mitten in den Fahrgewässern der Screwball-Komödie!): Erst wird er Quohog, dann Quakquak (!), was nun absolut zum Lachen reizt – unser Queequeg klingt wie ein Ente! Da wird wirklich jemand verkannt!

Interessanterweise wird er dann in der Musterrolle auch als Quehog geführt, auch ein Hinweis darauf, dass er als jemand anderes das Schiff verlässt, als er ursprünglich angeheuert wurde?

Written by Wolf

12. January 2007 at 12:50 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Steffi erlebt nach ihrem Ramadan Melville at His Best

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Steffi hat das 17. Kapitel gelesen:

Stefanie Claudette Colbert DrecktrahWenn man die letzten Tage Revue passieren lässt und sich vor Augen führt, was für einen Bohei man um die Feiertage macht, um die Zeit zwischen den Jahren, um Silvester und Konsorten, dann drängt sich der Verdacht auf, dass es für völlig außenstehende auch ziemlich befremdlich wirken muss.

Und da sind wir auch schon mitten im Kapitel.

Queequeg folgt seinem Ritus, unbeirrbar, auch wenn es unbequem ist und niemand ihn so recht versteht. Schade finde ich es, dass man als Leser nicht erfährt, was seine Gründe für dieses Verhalten ist, was seine religiöse Motivation ist.

Man erfährt allerdings einiges über Ismael und lernt einige Facetten dazu. Wir lernen etwas über seine Toleranz und lesen zwischen den Zeilen eine (weitere) Kritik Melvilles an der Kirche. So legt er Ismael, als dieser sich Gedanken über Religion und die Religion Queequegs im speziellen macht, die Worte in den Mund:

“Ich finde, als gute presbyterianische Christen sollten wir in diesen Dingen Nachsicht üben und uns anderen Sterblichen, seien sie Heiden oder was auch immer, nicht so haushoch überlegen fühlen, nur weil sie auf dem Gebiete halt närrischen Hirngespinsten anhängen.”
(S. 152)

Das Hocken auf dem Boden (wohlgemerkt auf den Fersen balancierend und mit einem Stück Holz auf dem Kopf) sei “schierer Blödsinn […], schlecht für die Gesundheit, nutzlos für die Seele, kurz gesagt: den selbstverständlichen Gesetzen der Hygiene und des gesunden Menschenverstandes zuwiderlaufend.” (S. 158)

Besonders diesen letzten Halbsatz finde ich höchst amüsant, zeigt er doch die scheinbare Toleranz humoristisch verdreht und damit auch noch unterhaltend.

Nein, ein wirklich witziges Kapitel. Massenpanik in der Unterkunft, weil Queequeg einen Schlaganfall gehabt haben könnte! Bedenken, ob man die Tür einschlagen soll; das Mädchen, das zum Zimmermann geschickt wird, mit der Bitte um ein Schild “Hier sind Selbstmorde nicht erlaubt”… Das erinnert mich an die Screwball-Komödien des alten Hollywood, das ist Entertainment pur! Sagen wir: Melville at his best, und freuen uns der Dinge, die da noch kommen mögen.

War Mrs. Hussey Bibliothekarin?Die Charakterzeichnungen der Figuren werden immer vielfältiger, blühen auf von zarten Knospen zu vielgestaltigen Blütenkelchen und doch ist es bis zur vollen Blüte noch ein weiter weg – nicht nur kalendarisch, will ich sagen.

Written by Wolf

9. January 2007 at 1:08 am

Posted in Steuerfrau Steffi

Elke befindet: Wo Ramadan draufsteht, ist auch Ramadan drin

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Elke hat mit 39° Fieber das 17. Kapitel gelesen:

Elke HegewaldWas Queequegs Fasten- und Gebetsritual angeht, sucht diese Bezeichnung wohl das, was er da tut, mit bekannten, wenn auch nicht zu bekannten christlichen, religiösen Handlungen zu vergleichen. Betet er doch seinen heidnischen Götzen, den hölzernen Jojo an, und das mit Ernst und gläubiger Konsequenz. Und wo wir ja – bei allem Melvilleschen vagen Orakeln im 12. Kapitel – ziemlich sicher sind, dass er auf einer Südseeinsel das Licht der Welt erblickt hat, dürfte er dort kaum etwas vom Islam gehört haben.

Ismael ist ob seines Respekts vor dem Glauben des Freundes wie vor jedem anderen weiterhin auch meiner Sympathie und Zustimmung sicher. Er hat “gegen keines Menschen Religion etwas einzuwenden, gleich welcher Art sie sei, solange dieser Mensch keinen anderen umbringt oder beleidigt, weil dieser andere nicht ebenfalls daran glaubt” (S. 158), und damit so manchem seiner wie auch unserer Zeitgenossen einiges voraus. Drein mischt sich wieder der Hader, der ihn mit seinem eigenen Glauben und der Welt umtreibt: “…und der Himmel erbarme sich unser aller, Presbyterianern wie Heiden gleichermaßen, denn in gewissem Sinne haben wir alle einen schrecklichen Sprung im Schädel und bedürfen dringlich der Heilung.” – Auch eine ziemlich moderne Erkenntnis, wie ich finde…

Herzlich gelacht habe ich, als dann zum Ende des in sich gehenden Kapitels Ismaels Toleranz angesichts Queequegs körperlicher Torturen doch an ihre Grenzen stieß: “Dabei bemühte ich mich fortwährend, Queequeg zu zeigen, dass all diese Fastenzeiten, die Ramadans und das andauernde Hocken auf den Hacken in kalten, freudlosen Kammern schierer Blödsinn waren, schlecht für die Gesundheit, nutzlos für die Seele, kurz gesagt: den selbstverständlichen Gesetzen der Hygiene und des gesunden Menschenverstandes zuwiderlaufend… Mit einem Wort, Queequeg,… [d]ie Hölle ist eine Vorstellung, die sich ursprünglich einem unverdauten Apfelknödel verdankt und seither durch die erblichen, von Ramadanfesten genährten Gallenbeschwerden fortgeschrieben wurde” (S. 158 f.) Dass der zuletzt zitierte Satz in der Londoner Erstausgabe wieder mal weggelassen wurde, hätte ich nicht mal nachzuschlagen brauchen.

Was wir außerdem gelernt haben: was man unter Walfängern eine Plumpuddingfahrt nennt sowie ein gängiges Rezept für die Zubereitung eines Menschenfresserfestmahls.

Na, dann können wir ja jetzt an Bord gehen.

Plum Pudding Island, Namibia

Written by Wolf

8. January 2007 at 1:46 am

Posted in Steuerfrau Elke

Ramadan. Wolf hat das 17. Kapitel gelesen

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Ramadan, das ist, wenn meine türkischen Nachbarn ausrasten. Haben den ganzen Tag so einen beseligten Blick, einen handfesten Widerstand gegen flüssige und feste Nahrung, die Frauen hennarote Handflächen, aber in der Nacht Halligalli und kein Gedanke an Widerstand. Das geht einen ganzen Monat lang so.

Mein zuständiger Gemüsehändler hat mir mal “Und fröhliche Weihnachten auch!” gewünscht.

“Wie – Weihnachten? Sind Sie nicht Moslem?”

“Dochdoch schon!” grinste er extrabeseligt.

“Was hamse denn dann mit Weihnachten an der Mütze?”

“Hähä – ich feiere alles!”

Wohl dem, der einen Ramadan hat. Und was hat das Christentum? Eine Fastenzeit. Und zwar eine, die keineswegs irgendwelche Ausschweifungen nach Sonnenuntergang vorsieht, ja sogar mehrere.

Und Ismaels religiöse Auffassung vom Anfang hab ich mir beim ersten Moby-Lesen vor zwanzig Jahren voll Bewunderung und Klar-warum-nicht-gleich-So spontan zu eigen gemacht: “Ich hege den größten Respekt gegen jedermanns religiöse Pflichten, wie absonderlich sie auch sein mögen, und brächte es nicht einmal übers Herz, eine Ameisengemeinde geringzuschätzen, die einen Fliegenpilz anbetet.”

Militante Toleranz. Sollte man so vielen auf der Welt unter die Nase reiben, die glauben, sie hätten die Religion erfunden. Da kann ich intolerant sein…

“Je ne suis pas d’accord avec ce que vous dites, mais je me battrai jusqu’au bout pour que vous puissiez le dire.” Es lebe mein Gemüsehändler, der Voltaire eifrig beigepflichtet hätte.

Lieblingssatz aus dem Kapitel: “Zum einen war er es nämlich offenbar leid, sich etwas über diese wichtige Frage zu Gemüte zu führen, wenn sie nicht von seinem eigenen Standpunkt aus betrachtet wurde.”

Queequeg, der in der üblichen Rollenverteilung Gegenstand der Toleranz sein sollte, lässt in den letzten Dingen selber nicht übertrieben gern mit sich reden. Aber es bleibt eine menschliche Regung und wird nicht gleich ein Clash of Cultures.

Knackiger kann man das nicht sagen.

Written by Wolf

5. January 2007 at 4:35 am

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 16: Sailor, can you hear the Pequod’s sea wings?

with one comment

Elke hat alles mögliche gelesen und weiß:

Elke HegewaldOh ja, dieses sechzehnte Kapitel verdient die Ehrfurcht, die es gebietet. Es hat was zum Dran-Herumzausen und verbindet sich mit einer diffusen Erwartung, die zunehmend in einem selber rumort und sich schwer artikulieren lässt…

Ich für meinen Teil wurde beim Anblick dieses “Kannibale[n] unter den Schiffen, der sich mit den erjagten Gebeinen seiner Feinde schmückt” (S. 133), von einer wahren Sturmflut an Bildern heimgesucht, die aus meinem Kopf, meinem Bauch oder von sonstwoher kamen. Eine ganze Schiffsflotte segelte da tollkühn am Horizont entlang. Travens “Totenschiff” nur eines davon – in illustrer, gruselig-unheilvoller Gesellschaft. Der Schatten eines mit wilden Trophäen geschmückten Wikingerschiffes (das des wüsten Thorkill-Hake?) spukte mir ebenso durch den Sinn wie Charon, der Fährmann des Totenreichs der alten Griechen oder Wilhelm Hauffs Geschichte von dem Gespensterschiff.

Westwärts WikingGanz vorne auch der verfluchte Fliegende Holländer, der bis zum jüngsten Tag in Sturm und Flaute über die Meere jagt, wie nicht nur Heines Herr von Schnabelowopski bereits wusste. Sind sie nicht alle – jedes auf seine Weise – vom Hauch des Todes, von einer düsteren Unausweichlichkeit des Schicksals und/oder dem Fluch und der (Ohn)macht ihrer Kapitäne umweht, die ihre Besatzungen in selbiges mitreißen?

Nicht zu vergessen Davy Jones, die Mutation des Flying Dutchman, dessen Legende neben anderen der Erfinder der amerikanischen Kurzgeschichte Washington Irving Leben einhauchte. In seinen Adventures of the Black Fisherman nämlich.

Besagter Davy Jones treibt übrigens auch in Fluch der Karibik 2 mit seinem sinnigerweise eben Flying Dutchman benannten Schiff sein Unwesen. Sollte es noch der Erwähnung bedürfen, dass er ein Holzbein trägt und für viele Seeleute ein Symbol für den Teufel des Meeres ist, um meine ausufernden Gedanken um die Pequod und Käpt’n Ahab zu entschuldigen und den Bogen zurück zu schlagen? Na gut, für den, dem das nicht genügt, hier noch eine gängige Deutung des Nachnamens von Davy Jones: er könnte auf den Propheten Jona hinweisen, dessen Geschichte in und um den Wal für Seeleute Unglück bedeutet, woran wir uns dunkel aus Vater Mapples Predigt erinnern.

Mhja, der geheimnisvolle und unsichtbare Käptn Ahab – aus mehr oder weniger unklar angedeuteten Gründen abwesend. Obwohl: Für den Leser ist er das eigentlich gar nicht. Seine gewichtige Präsenz wird ja von Peleg und Ismael geradezu herbeigeredet. Und – schau an! – dieser Kapitän Peleg, schlitzohrig und geschäftstüchtig, hält doch tatsächlich mit Wärme ein Plädoyer ganz eigener Art auf Ahab. Dabei dringt ihm eine verschrobene Sympathie und Verehrung aus allen Knopflöchern, für diesen unheimlichen Sonderling, unter dem er einst Steuermann war. Er nennt ihn aus Überzeugung einen guten Menschen, gottlos und gottgleich in einem, voller Schwermut und Wildheit, mit Weib und Kind, und trifft damit weise wohl ziemlich genau den Grat zwischen seiner Menschlichkeit und der Tragik seines krankhaft-fanatischen Stolzes. “Denn alle tragischen Männer gewinnen ihre Größe durch etwas Krankhaftes in ihnen”, sagt Melville (S. 140). Und manchmal fürchtet man, er könnte Recht haben…

Selbst Peleg gewinnt während seiner Ansprache an Ismael an Menschlichkeit; er sucht ihm und sich das unheildrohende Orakel um Ahab und seinen Namen auszureden. Und in seinem fast rührenden Eifer wird eben jener Ahab zu diesem wohlbekannten, sehr menschlichen Wesen, dem zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust.

Fliegende GespensterSchade, nun kommen mir hier wohl die beiden Quäker mit den biblischen Namen, jeder für sich seine eigene Legende, etwas zu kurz. Dabei hätten sie ein würdiges Plätzchen hier durchaus nochmals verdient, nicht nur wegen der hintergründigen Bibelsymbolik, der versteckten Gleichnisse darin und dem Anspielungen aus der Bergpredigt vor sich hin murmelnden Bildad.

Man möchte gern noch ein bisschen in der wechselvollen und nicht widerspruchsfreien Geschichte der Society of Friends, der “Fighting Quakers”, wie Melville sie zweideutig nannte, kramen. Nun ja…

Doch zumindest scheint es mir angebracht, auf das auch von Jendis/Göske (Seite 945) erwähnte Gedicht The Quaker Graveyard of Nantucket des zweifach pulitzerpreisbekränzten Robert Lowell zu verweisen, mit dem dieser Melvilles Darstellung der Quaker sailors, Ahabs Pequod und Moby-Dick ein Denkmal setzte:

… They died
When time was open-eyed,
Wooden and childish; only bones abide
There, in the nowhere, where their boats were tossed
Sky-high, where mariners had fabled news
Of IS, the whited monster. What it cost
Them is their secret. In the sperm-whale’s slick
I see the Quakers drown and hear their cry:
“If God himself had not been on our side,
If God himself had not been on our side,
When the Atlantic rose against us, why,
Then it had swallowed us up quick.

Der flatternde Herzogenauracher

Written by Wolf

19. December 2006 at 4:18 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 16: Das Schiff trägt keine Seewölfe

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Speaking words of wisdomEin großes Kapitel, alles was recht ist. Eigentlich mindestens drei. So gesehen kein Wunder, dass man wochenlang so misstrausisch außenrum schleicht… Gelesen hat man’s ja bald, es liest sich sogar ausgesprochen süffig – aber was Kluges drüber zu sagen ist nochmal ein ganz anderes Unterfangen: Man stinkt ja so leicht dagegen ab. Ist es Zufall, dass einer der beiden verdienstreichen Volltexte in Weblog-Form ausgerechnet mit dem 16. Kapitel abgebrochen wurde? (Weiterhin online steht Moby Dick By Herman Melville.)

Gegen Melville abstinken kann keine Schande sein, also was soll die Schüchternheit. Machen wir’s mal extra realschülermäßig.

Was erfahren wir? – Erstens die Pequod. Ein Totenschiff ist sie sichtlich. Was uns dazu einfallen darf: B. Traven, Das Totenschiff, 1959 verfilmt mit Horst Buchholz, Mario Adorf und Elke Sommer, über das Traven vielleicht ohne Anklang an die Pequod schreiben konnte, aber nicht ohne an sie zu denken – und dann bitte wieder etwas gezügeltere Bahnen.

Zweitens: Die Schiffseigner Captain Peleg und Bildad veranstalten mit Ismael ein Good-Cop-Bad-Cop-Spiel, damit er dankbar ist, überhaupt den 300. Teil vom Gesamtumsatz zu bekommen, was ja über 100% mehr als der zuerst veranschlagte 777. Teil ist (woher eigentlich die schiefe Zahl? Eine Reminiszenz an die Number of the Beast aus der Bibel?) – und dann bitte wieder mehr Text und weniger unbegründete Textaufgaben.

Drittens: Captain Ahab ist ein sehr kluger, weitgereister, respektabler Mann, noch bevor er überhaupt auftritt – und ein glücklicher noch dazu, weil er trotz einer schweren Körperbehinderung in einem Beruf, der aus Körpereinsatz ja geradezu besteht, bei seinen Vorgesetzten derart gut angeschrieben ist. Am spannendsten fand ich im Jendis/Göske (Seite 946 f.), dass Ahabs biblischer Namensvater nach heutigem Maßstab kein rein verworfener Teufelsbraten, sondern ein ausgesprochen fähiger Staatsmann gewesen sein muss. Oder sieht man an beiden Umständen doch nur, wie sehr in den letzten paar tausend Jahren die Ansprüche an Führungskräfte gesunken sind?

Und dann: Ahab als Miltonscher Satan. Das ist eine dermaßen verlockende Parallele, dass man sich gar nicht einzulesen traut… Kommt noch, kommt noch…

Je länger man das ganze Kapitel vor sich herschiebt, desto mehr wächst mit dem Zugzwang der Respekt.

Written by Wolf

12. December 2006 at 4:02 am

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 16: Das Schiff

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Steffi hat gelesen und gelernt:

Stefanie Drecktrah“… wenn er auch schrecklich geschlagen und verwüstet sein mag, so hat Ahab doch seine menschlichen Seiten.” (S. 150)

In diesem Kapitel nähern wir uns also einer weiteren wichtigen Hauptperson: der Pequod. Ismael beschreibt sie uns ausführlich, macht uns klar, wie einzigartig sie ist und wie sehr sie sich von den anderen Schiffen unterscheidet, er nennt sie die Kannibalin unter den Schiffen und in der Tat ist sie mit ihrem Schmuckwerk exotisch und im Wesen fremd. Und doch vertraut, alteingesessen, nach einem ausgestorbenen Indianervolk benannt und dadurch mit schlechtem Omen? Ismael zieht Vergleiche aus dem wahrhaft großen Kulturerbe Europas und verweist damit doch auf die dunklen Seite der Geschichte, auf Kreuzzüge, Mord und Verrat.

Eine Kannibalin unter den SchiffenIch wünschte, ich hätte einen unverhangenen Blick auf diese Atmosphäre, wüsste nicht, was das Schicksal dieses Schiffes ist, denn dann hätte ich sagen können, ob ich es wirklich so düster und bedrohlich fände, wie es mir jetzt scheinen soll. Nein, die Pequod umweht in der Tat ein Odem von Abenteuer und Tod und ich weiß nicht so recht, warum Ismael immer davon ausgeht, dass es das richtige für die beiden ist. Ich denke, er folgt damit der Verabredung mit dem Schicksal, das es zu erfüllen gilt.

Melville gibt in diesem Kapitel auch herrlich deutlich wieder, was es mit der (Doppel-)Moral der Quäker auf sich hat. Ehrlich gesagt muss ich bei Quäker immer an einen Film mit Anthony Perkins denken, in der er als Quäkersohn hin– und hergerissen ist zwischen religiöser Pflichterfüllung – Friedfertigkeit bis zur Selbstaufgabe – und dem Wunsch, beim Bürgerkrieg seinen Mann zu stehen.

Diese religiöse Bewegung imponierte mir damals sehr, zumal das Dogma auch herrlich kommentiert wurde, als die Mutter ihrer geliebten Gans – ihrer “Freundin” – zu Hilfe eilt, als es droht, von den Soldaten in den Kochtopf gesteckt zu werden. Ansprüche schön und gut, aber ein Wert wie Freundschaft stand in diesem Fall doch höher.

Genug davon. Quäker sind Pazifisten, lieben den Frieden und würden niemals die Waffe gegen einen Menschen erheben – ich war mir nie bewusst, dass diese Friedfertigkeit zu Tieren bei Gänsen aufhört, die quasi zur Familie gehören. Viele der Seeleute, die auf Walfang gingen, waren Quäker und schienen dabei keine Probleme mit der Vereinbarkeit ihrer Religion zu sehen.

Die beiden Quäker, die wir dabei kennen lernen, fügen sogar noch einen Funken Theaterspiel hinzu, spielen eine Posse, um dem Grünschnabel im Anteil zu drücken. Ich glaube nicht, dass der anfängliche Geiz (nur der 777. Teil) und der Gegenrede des Miteigeners (300. Teil) tatsächlich echt war. Mir erschien es zu theatralisch und aufgeplustert, als dass ich überzeugt wäre. Immerhin ließ sich Ismael mit der Methode von seinen eigentlichen Ansprüchen auf den 275. Teil sehr einfach drücken, ohne dass tatsächlich verhandelt wurde. Ganz schön gerissen, diese Quäker.

Im Ausklang des Kapitels wird weiter an einem Mythos gestrickt, der einen wirklich revueverdächtigen ersten Auftritt verspricht: Kapitän Ahab wird beschworen, als Geist an die Wand gezeichnet und als Führer in den Himmel gelobt. Natürlich weiß unser Peleg von der Schwermut, der Verrücktheit und glaubt doch, dass sich das alles auf der Fahrt – quasi an der frischen Luft – schon legen wird, schließlich hat er Frau und Kind, das sollte doch Grund genug sein, die Schwermut abzulegen. Ja, Ahab wird schon vor seinem ersten Erscheinen dem Normalsterblichen entrückt. Er ist nicht krank und nicht gesund; einer der ganz großen Kapitäne, weitgereist, in der Universität studiert und unter den fremden Völkern gebildet; er hat mehr Wunder gesehen, als jeder andere und doch ist er gezeichnet und – wie wir wissen – für immer verändert.

Es wird hier ein großer Auftritt vorbereitet und ich bin gespannt darauf.

Written by Wolf

5. December 2006 at 1:26 am

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Kapitel 15: Steffi findet Muscheln chowderhaft

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und füttert nochmal nach:

Stefanie DrecktrahSämtlichen vorangegangenen Rezepten zum Chowder ist nichts mehr hinzuzufügen (außer dass ich die Bowle noch mal betont wissen will!). Ich mag halt nur keine Muscheln. Ich habe lange in meinem Leben gezögert, bis ich mal weche probiert habe und prompt lag ich den folgenden Tag quasi Fische fütternd im Bett.

Nee, Muscheln sind für mich nichts. Aber immerhin passen sie in dieser verqueren Sicht in die Reihe der Todesomen, die Ismael entdeckt.

Ich denke auch, dass jetzt so langsam der Ernst der Sache überwiegt. Wir übernachten ja schon im Schatten der Pequod, also im Schatten des bösen Schicksals, das zumindest für einen unseres Dreamteams das Ende bedeuten wird (ich hoffe, ich verrrate keinem Leser damit ertwas neues!). Einzig der zweifache Galgen führt uns in die Irre – schließlich wissen wir, dass für Ismael der Sarg (Coffin) ein Zeichen des Lebens sein wird und nicht sein Untergang (im wahrsten Sinne des Wortes).

Ja, wir machen uns langsam ans Eingemachte, aus Spaß wird langsam Ernst und es wird Zeit für die Einführung der anderen Protagonisten.

Ich bin froh, dass Ihr an meiner Seite seid, liebe Bordkameraden.

Written by Wolf

23. November 2006 at 12:58 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Kapitel 15, Chowder: Elke kennt sich aus mit manschigem Fischsuppenbrei

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Elke hungert:

Elke HegewaldHolla, na das nenne ich doch mal eine üppige Mahlzeit. Nahrhaft – und vor allem sehr abwechslungsreich – scheint es in der Küche von Mrs. Hussey zuzugehen. Nichts gegen die Spezialität im “Trankessel”, aber bei so viel Meeresgetier in einer bis zwei Schüsseln fürchtet man ja, dass einem Schwimmhäute zwischen den Zehen wachsen.

Ich weiß ja nicht, wie es euch ging, aber ich bin mit den landestypischen Gerichten Neuenglands nicht so vertraut und musste, um ehrlich zu sein, erst nachschlagen, was da Leckeres im Topfe der Frau Wirtin köchelt.

Schauder-ChowderDas Ergebnis war durchaus überraschend, denn es scheint, als sei dieses Chowder-Zeugs nicht nur was zum ordentlich Sattwerden, sondern Gegenstand eines wahren Kultes: Es füllt mit unterschiedlichsten Grundzutaten ganze Kochbücher, von denen wir aus unserem Primärmaterial lediglich die Muscheln und den Kabeljau kennen, nicht aber das Huhn, diverse Feldfrüchte und andere vegetarische Ingredienzien oder was da sonst noch so reinwandert. Chowder-Tage, Chowder-Festivals und Chowder-Kochwettbewerbe werden landesweit veranstaltet, und Restaurants und Imbissbuden heißen Chowder-House, Chowder-Bar oder – sehr hübsch – Chowder-Bowl.

Was für ein Siegeszug dieses manschigen Suppenbreis! Mhja… ich glaube, ich lass heute das Frühstück ausfallen.

Was sonst noch erwähnenswert ist: die abenteuerliche Navigation unserer zwei Walfänger zur wärmstens empfohlenen Unterkunft und Ismaels dunkle (Todes-)Ahnungen beim Anblick des an einen Galgen erinnernden Wahrzeichens der Herberge. Die ihm wohl mehr zu schaffen machen, als er merken lassen mag. Oder ist nur mir aufgefallen, wie krampfhaft und betont er den Spaßvogel mimt? – sogar sein Intimus ist vor seinen Foppereien nicht sicher. Das kennt man doch selber – laut pfeifend durch den dunklen Wald laufen! Nun, soll er erstmal eine Nacht darüber schlafen und was Ordentliches essen – was gabs doch gleich nochmal zum Frühstück?

Hussey ohne Mrs.Ach ja, und dann ist da noch Mrs. Hussey, die wirklich resolute Chefin des gastlichen Hauses, in der wir ja nun offenbar das angekündigte einzige handelnde Weibsbild der ganzen Geschichte kennenlernen durften, oder? Und ihre wortkarge, doch stimmgewaltige Autorität muss es schon in sich haben – wer hätte wohl sonst Queequeg von seiner geliebten Harpune trennen können?

Written by Wolf

13. November 2006 at 6:25 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 15: Chowder für alle

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Wie gut, dass ich von Anfang an meine teure Ausgabe mit Bleistift vollgemarkert hab, wo im Moby-Dick überall Frauen auftreten: Da tu ich mich am Schluss leichter, wenn ich alle Fundstellen im Überblick auflisten will – wofür immer das gut sein wird. Es gibt viele, die an Frauen ein natürliches Interesse hegen. Einstweilen untersagt mir meine Erziehung, aus dem Zusammentreffen von dominanten Frauen und sehr viel Fisch ausgerechnet in Gesellschaft von Frauen eine allzu sinnhafte Verbindung herzustellen. (Kommt ein Blinder ins Fischgeschäft: „Na, Mädels?“)

Und zu Weihnachten schenk ich mir endlich den Freudschen Drewermann

Written by Wolf

12. November 2006 at 5:09 pm

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 14: Elke’s Whalesong into Nantucket

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Elke ist praktisch schon da:

Yeah, Nantucket, wir kommen!

Elke HegewaldHerrje, und wäre ich nicht an der Seite unserer zwei Helden an Bord der “Moss” (also dieses zielsicheren Fährschiffchens jetzt) gegangen, ehrlich, ich hätte dieses wundersame Eiland, die wahre Heimat der Waljäger und Seefahrer, ganz woanders vermutet, mehr in Richtung des unwirtlichen Neufundland… irgendwie.

Denn denkt man sich nicht alles, was mit Walfängerei zu tun hat, ganz von selber in nördlichere Breiten? Ha, Moby-Dick als Bildungsbuch! Aber das hätten wir ja spätestens bei der noch etliche Kapitel voraus liegenden Melvilleschen Cetologie eh gemerkt. Jedenfalls weiß man jetzt endlich auch als Nicht-Nantucketer, dass selbiger nur ein paar läppische hundert Seemeilen östlich von New York und sogar um einige Breitengrädelchen näher zum Äquator hin als der Ostfriese, der Neufünfländer und ja, auch der Franke zu Hause ist. Der freundliche Hinweis, in die Karte zu schauen, war gar nicht so schlecht.

Da schwanken wir noch auf den Planken vor der Küste dieses “Ellenbogens aus Sand”, und schon purzeln uns die Legenden nur so vor die Füße. Und zuerst erinnern sie uns tatsächlich an Anekdoten über ein uns wohlbekanntes heimatliches Küstenvölkchen. Bis man merkt, dass Herr Melville doch recht liebevoll mit diesem Menschenschlag umgeht – er wird gewusst haben, warum…

Nantucket von untenÜberhaupt scheint die Gegend recht mythenträchtig zu sein, nicht zuletzt auf geheimnisvolle und besondere Weise verwoben mit “der mächtigsten Masse Leben, welche die Sintflut überlebt hat… einem wahren Ungeheuer, gewaltig wie ein Berg!” (S. 124) Irgendwo (wüsste ich doch nur noch wo) habe ich die Legende der fast zufälligen Erfindung des Pottwalfangs auf Nantucketisch gelesen, die ja mehr sowas wie der verzweifelte Befreiungsschlag eines von diesen Riesenviechern umzingelten Fischfängers gewesen sein soll. Auch die verhängnisvolle Fahrt der Essex auf den Wal, vielleicht das reale Vorbild unserer Geschichte, deren schiffbrüchige Reste der Mannschaft nur als Menschenfresser überleben konnten, nahm hier ihren ihren Anfang.

Und, nicht zu vergessen: schließlich liegt die “Pequod” des Captain Ahab, beide inzwischen ihr eigener Mythos und bereit zur Jagd auf Moby-Dick, im Hafen von Nantucket.

Martha's WeingartenHach, und beim Erkunden der empfohlenen Landkarte entdeckte ich, dass sogar Martha’s Vineyard, des Eilands nordwestliche Nachbarinsel, die Form eines verwesenden Wals ohne Kopf hat. Bisher wusste man ja nur, dass Haustiere ihren Herrchen mit den Jahren immer ähnlicher werden sollen (oder umgekehrt?) – aber ganze Landschaften?

Auf jeden Fall scheinen wir uns mit Melville (und mittlerweile auch Scharen von lästigen Touristen) über die Faszination dieses Fleckchens Erde einig zu sein. Also: Alle Mann von Booord!

Written by Wolf

7. November 2006 at 7:56 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 13: Elke kennt sich aus mit Schubkarren

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Elke redet noch von was anderem als dem Wetter:

Elke HegewaldOh ja, es wird Zeit für unsere zwei Busenfreunde, sich zur Überfahrt nach Nantucket einzuschiffen. Und Melville geleitet sie sicher dorthin. Ging er doch als einundzwanzigjähriger Abenteurer selbst im New Bedforder Hafen an Bord der Acushnet, um achtzehn Monate später von seiner ersten und einzigen Walfangreise zurückzukehren – zum gestandenen Manne gereift und lebend, denn Mocha Dick ist er wohl nicht begegnet…

An diesem ruhigen… hm, nach des Wolfes Zeitforschung und Herrn Adam Riese müsste – nach zwei gemeinsamen Nächten des frischvermählten Freundespaares – grad das zweite Adventswochenende vorbei sein… an diesem ruhigen Montagvormittag also schieben sie, einander brav abwechselnd, ihren Schubkarren mit diversem Gepäck zum Einchecken an den Kai. Das Wetter ist akzeptabel, wenn man von ein paar Windböen, die es ja in diesem Kapitel wegen der Dramaturgie und gemäßigten Dramatik noch brauchen wird, einmal absieht.

Seamen's BethelEin paar Straßen weiter, in Seamen’s Bethel, dem Gottesort der Walfänger, wird Vater Mapple nun auch sie in seine Gebete einschließen, denn es wird langsam ernst mit dem Abenteuer Mann gegen Wal.

Der Schubkarren, in seinen verschiedenen Erscheinungsformen (und vielleicht sogar Nicht-Erscheinungs-Formen) sicher sowohl für Mundartforscher als auch für die Jünger der einschlägigen urbanen und ruralen Historie ein lohnendes Objekt, gibt nicht nur dem 13. Kapitel seinen Namen, sondern darf gleich noch für einen (zumindest für mich in meiner beruflichen Prägung) deliziösen Exkurs herhalten. Über Missverständnisse kultureller Art nämlich. Und schau an: Unser guter Queequeg erweist sich durchaus nicht als drolliger Wilder, der ulkige Bräuche praktiziert, sondern offenbart eine Weisheit, gepaart mit offensichtlichem Humor und gesunder Selbstironie, wie sie die ach so zivilisierten Weißen, die durchs Bild stolpern, heftigst vermissen lassen. Also, in heutiger, globalisierender Lesart würde ich ja dem Jungen mit der Harpune ohne Zögern interkulturelle Kompetenz bescheinigen. “Na, was du jetz denken? Unsere Leute nicht lachen müssen?”

Zudem weiß er sich bei einem Angriff auf seine Würde durchaus seiner Haut zu wehren und sich handfest Respekt zu verschaffen. Und seine mit gelassener Ruhe vollbrachte Rettungstat enthüllt eine Selbstlosigkeit und Menschlichkeit, die mich in meinem schon woanders geäußerten heimlichen Verdacht nur noch bestärkt, dass Melville mit ihm so eine Art weißen Raben als Ideal der (christlichen?) Nächstenliebe in die Geschichte schnitzen wollte. Für den die “Welt […] eine Gesellschaft auf Gegenseitigkeit mit unbeschränkter Haftung [ist], und zwar in allen Breiten”, in der “[w]ir Menschenfresser […] diesen Christenmenschen beistehen [müssen]”. (S. 122) Hmm…

Written by Wolf

6. November 2006 at 5:40 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 14: Nantucket

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Jetzt hagelt’s aber Legenden.

Out of NantucketEs scheint, der Nantucketer an sich ist eine Art Ostfriese – nach allem, was man über amerikanischen Lokalrassismus weiß, die Fortsetzung des New Jerseyaners (heißen die so…?) mit maritimen Mitteln. Wer aus Franken (wahlweise Österreich, Saarland, Neufünfland) kommt, musste sich sowas oft genug anhören. Jede ethnische Formation hat ja ihr Opfervolk, über das sie Witze erzählt; das stiftet Identität und verbindet und schützt gegen die Angst vor den komischen Leuten hinterm Berg.

Nantucket kommt unter Melvilles Fingern noch ganz gut weg: Die hämische Charakterisierung ist Zitat, Ismael stiftet nur die Bewunderung für ein verschrobenes Völkchen dazu, das seit seiner Gründung durch vom Schicksal gebeutelte und nur zufällig herbeigeruderte Indianer seine eigene Suppe kocht. Ein abseitiges Inselvolk, das sich von einem vom Adler geraubten und gefressenen Indianerkind herleitet – das kann er nachvollziehen, der Lost Boy Ismael.

Und jetzt mischt er sich unter die anderen Lost Boys. Er kennt sie noch nicht persönlich, aber hier müssen sie sein, und ihnen gehört nicht die Welt, aber zwei Drittel davon schon, und zwar die nassen.

Langsam wird mir auch klar, warum Ismael sich so bereitwillig zur Freundschaft mit Queequeg entschlossen hat (wir erinnern uns: Es war ja ein bewusster Vorsatz: “Ich will’s mit einem Heidenfreund versuchen”, Busenfreund-Kapitel 10, Seite 105, und die ganze Zeremonie der Vermählung): Da hat ein Lost Boy den anderen erkannt und zum Freund genommen, und wenn schon, dann gleich den offensichtlichsten von allen – einen, der mit seiner knallenden schallenden Besonderheit womöglich noch schwerer in der Welt zurechtkommt als Ismael: Queequeg, diese Gladiole unter Primeln. Bei jedem anderen als Ismael hätte einem so eine 180°-Wendung verdächtig vorkommen müssen, vorschnell oder wie eine vorübergehende Laune, so von der todesängstlichen Reserviertheit hin zu nicht weniger als der Freundschaft fürs Leben innerhalb einer Nacht. Aber Queequeg Löwenherz, der Königssohn, macht mit seiner selbstverständlich unangestrengten Tapferkeit tatsächlich all das richtig, worüber Ismael alleine vermutlich nur trübe philosphieren könnte. Dochdoch, es haben sich schon die zwei Richtigen gefunden.

Die Freundschaft ist ja nun, wie Freundschaften so sind, gegenseitig. Was hat eigentlich Queequeg angetrieben, sich seinerseits mit Ismael zu vermählen? Ethnologisches Interesse? Praktische Erwägungen? Hat er instinktiv geraten, dass Ismael schon kein verkehrter Mensch sein wird? Weil er da war? – “Wilde sind freilich seltsame Wesen.” Seite 104.

Und weil grade noch Platz ist, ein Opferethnienwitz zum Weitererzählen: Billigstes Urlaubsland der Welt? – Die Schweiz: Da kann man mit Franken zahlen, hahaha…

Written by Wolf

4. November 2006 at 7:31 am

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 13: Schubkarren im Dezember

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Toothpaste for DinnerWas am publikumswirksamsten Umberto Eco in der Nachschrift zum Namen der Rose “sich seinen Leser schaffen” nannte, ist Melville wahrscheinlich so absichtslos wie probat unterlaufen. Es musste einfach so viel gesagt werden, bevor das losgeht, worauf wir hedonistischen Lesefrüchtchen warten: eine ordentliche Action auf See. Die unter uns keine philosphischen Exkurse vertragen, sollten inzwischen rausgeekelt sein.

All die Aufbruchsstimmung hat was von Frühling, was mich darauf bringt: In welcher Jahreszeit handeln wir eigentlich?

Seit dem ersten Absatz in Kapitel 1 – “immer wenn in meiner Seele nasser, niesliger November herrscht” – war ich auf dem Trip: Logisch, November. Genaueres Hinterherforschen im ersten Absatz von Kapitel 2 bringt die Gewissheit: “Es war an einem Samstagabend im Dezember“. Öha.

Besonders adventlich wird’s nicht mehr werden. Selbst Vater Mapple hat über ein Thema gepredigt, das New Bedford wohl ganzjährig beschäftigt; wenn schon der 4. Advent akut wäre, sollte sogar der Exharpunier Lukas 2 aufschlagen.

Dafür imponiert mir umso mehr das Wochenende in Echtzeit, auf das man via Kirchgang den philosophsichen Überbau – oder ist es in diesem Fall ein Unterbau? – für die folgenden Verhängnisse projizieren konnte.

Dezember also, tippen wir mal auf den Montagmorgen nach dem 2. Advent, die eisbedeckten Bäume glitzern in der kalten, klaren Luft, und so wie unsere beiden Kumpels die Nüstern nach der frischen Seeluft blähen und sich schon mal von der ersten Gischt umschäumen lassen – ist das anders vorzustellen als frühlingshaft? Dann springt der Tropeninsulaner auch noch bedenkenlos und unbeschadet in die Eisbrühe, die ich auf Google Earth dauernd mit dem Golf von Labrador verwechselt hab… O ja, dieser Dezember ist der Anfang von etwas.

Wird das noch ein Schnelldurchlauf durch einen Jahreszyklus?

Leckerli zum Direktvergleichen: “Von jener Stund an klebte ich an Queequeg wie eine Entenmuschel am Schiffsrumpf” heißt im Original: “From that hour I clove to Queequeg like a barnacle”. Nichts von Schiffsrümpfen. – “Des is doch der Auster so wurscht.” (Shel Silverstein, übs. Harry Rowohlt)

Written by Wolf

3. November 2006 at 1:54 pm

Posted in Steuermann Wolf

Kapitel 13: Schubkarren

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Steffi hat sich in Reisestimmung gelesen:

Stefanie DrecktrahJa, so langsam nähern wir uns dem Schicksal, der Pequod und den anderen Seebären, nach deren Bekanntschaft es uns dürstet. Endlich nähern wir uns auch Nantucket – und wie heißt es so schön? Nantucket sehen und sterben!

Aber erst einmal müssen wir uns rübersetzen lassen, müssen mit Vorurteilen kämpfen und bornierten weißen Deppen, die dann auch noch Captain einer Fähre sind.

Aber wie geschickt hat Melville das eingefädelt: erst die Wortgefechte und dann ein Szenario, in dem sich unser Menschenfresser als echter Held beweisen kann. Erst den Mast gesichert, der sich selbstständig gemacht hatte und den Captain über Board warf (Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort, sagt man in der Gegend, aus der ich komme) und dann ein kühner, unaufgeregter Sprung Queequegs über die Reling und denn Mann aus den Tiefen des Meeres entrissen.

Wow! Kann ich da nur sagen. Diese Seite seines Charakters wird in den Filmen doch völlig verschwiegen. Nein, Queequeg ist nicht nur drollig, weil er lustige Sätze formt, ulkige Bräuche praktiziert und einen fabulösen Background einer Taka-Tuka-Insel mit sich bringt: Er ist in der Tat auch ein edler Mensch, furchtlos und gerecht – ohne zu überlegen springt er hinterher, um den Mann zu retten, der ihn gerade noch so übel beschimpft hat. Ja, Queequeg ist schon wirklich einer, mit dem man gerne befreundet wäre!

Und Ismael? Der sagt so tolle Sätze wie: “Von jeder Stunde an klebte ich an Queequeg wie eine Entenmuschel am Schiffsrumpf.” (S. 121) Was für eine Metapher! Das macht doch Leselust. Überhaupt scheint die ganze Sache jetzt an Fahrt zu gewinnen.

Als wir endlich Nantucket ergblicken, werden wir aufgefordert, eine Karte herauszuholen und genau das tue ich.

Nantucket und Umgebung

Ein Ort mit lauter Legenden, nein, der Ort scheint nur durch Legenden zu bestehen und schon jetzt ahnt man, dass etwas wahrhaft Sagen-haftes passieren wird.

Written by Wolf

1. November 2006 at 6:53 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Elke 11: Schlafrock; Elke 12: Biographisches

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Elke had a dream:

Ahoi Mannschaft,

Elke Hegewaldsteigen da nicht, gleich schillernden Luftblasen, vertraute Bilder vom Meeresgrund der Erinnerung herauf? – An die schlaflos durchschwatzten Nächte kindlicher und halbwüchsiger Pyjamapartys oder an das Bei-der-besten-Freundin-Übernachten? Was gibt es Innigeres und Verklärteres als diese Momente, da man, Schulter an Schulter in wärmende Decken gehüllt und gegen die Welt da draußen verschworen, einander seine Geheimnisse anvertraute und über das Leben fabulierte.

Und das Unterbewusstsein taucht nach diesen versunkenen Perlen, während man, schon wieder schamlos und gespannt lauschend, Queequegs Geschichte hört und endlich sein Geheimnis erfährt: ein Königssohn ist er also, ein rebellischer dazu, geboren auf einer paradiesischen Insel – auf der Suche nach dem Guten und Wahren.

Und als er aufbrach, ausbrach, hat er wohl nicht geahnt, dass “sein unbändiges Verlangen, die Länder der Christenheit kennenzulernen” und “das Licht der Aufklärung zu seinen ungebildeten Landsleuten zu tragen”, ihm dereinst die ganze Welt in Frage stellen würde. Hat er sich etwa deshalb von seiner Menschenfresserinsel auf dieses fremde Schiff gestürzt, nur um zu erfahren, “dass selbst Christenmenschen so jämmerlich wie böse sein konnten, und dies unendlich viel mehr, als alle Heiden seines Vaters zusammengenommen”?! (S. 113)

Da wundert es denn auch keinen noch groß, dass ausgerechnet den der Ismael finden muss, genau so ein Aussteiger. Auch er ein Suchender und Zweifler vor dem Herrn und der hergebrachten bürgerlichen Gesellschaft so fern und fremd, wie Queequeg der seinen. So braucht es nur noch den liebevoll sanften Heidenfreund, dass ihm nun gänzlich alle Werte seiner Abkunft fragwürdig werden, nichts mehr heilig, alles vorläufig und offen scheint (Jendis/Göske: Nachwort, S. 893 f.), was ihn wieder mal zur faszinierenden Übersetzung seines biblischen Pendants ins Irdische macht (Genesis 16,12).

Ich find ja Wolfs Vorstellung vom Puppenspieler Melville sehr reizvoll und treffend. Der lässt nicht nur seine selbst zurechtgeschnitzten Figuren an selber gesponnenen Fäden nach seiner Pfeife tanzen – die Kunst des Meisters dabei, dass sie – “leben” –, nein, er ist auch ein Teil von ihnen. Und gibt in jeder einzelnen zwischen den Zeilen ein gutes Stück seines Innersten preis, des eigenen zerrissenen Bildes von der Welt.

Dem hochverehrten Publikum verlangt er dabei Erkleckliches ab – es erstarre gefälligst nicht vollends in Faszination und Ehrfurcht, sondern begebe sich selbst auf den Weg zu ergründen, was er ihm zu sagen hat:

Dieses seltsame Wesen Queequeg, das so durch und durch gut ist – hat es nicht irgendwas von einer Vision, einem heimlichen, diffusen und unfertigen Ideal? Das nach einem Weg tastet, einem Leben, das man leben kann. “I have a dream”, meint man doch geradezu Melville hier und da vor sich hin murmeln zu hören, oder geht jetzt wieder meine Fantasie mit mir durch?

Ist nicht vielleicht der ganze Queequeg für Melville vielmehr ein gewichtiges Symbol, als eine wahrhaftige Figur? – fragt etwas in mir. Oder hat es so gar nichts zu bedeuten, dass die Urheimat des weltenwandernden Königskindes, eine “Insel weit im Westen und Süden” mit exotischem Namen, auf keiner Landkarte verzeichnet ist?

Und wie man sie dort so hocken zu sehen meint, unsere zwei, blitzt ein Gedanke auf, der hier schon mal da war – und es drängt mich danach, dem Wolf Recht zu geben: Ja! Sie sind die Lost Boys aus dem Peter Pan, einer wie der andere. Auf der Suche nach einer anderen, glücklicheren Welt, auf dem Flug ins lockende Abenteuer, weit weg von schicksalhaften Bindungen und Zwängen – und doch bereit, an etwas zu glauben. Sie wissen nicht, was sie finden werden, und die Pequod mag ihnen ihr Nimmerland scheinen.

Und keiner ahnt auch nur, dass die alte Welt sie gerade dort unentrinnbar einholen wird, weil nicht Peter Pan, sondern Captain Ahook auf sie wartet – auf einem Schiff, beladen mit dieser Welt bis obenhin – und statt der Hand fehlt ihm ein Bein. Nun, vielleicht würde bei dieser Assoziation nicht nur Herr Melville widersprechen und sich dagegen verwahren, sie weiter auszumalen – doch die Parallelität menschlicher Träume und Sinngebungen fasziniert schon … und kann doch nicht nur ein Zufall sein. – Herr Dr. Freud??

Written by Wolf

30. October 2006 at 5:01 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Kapitel 11: Schlafrock; Kapitel 12: Biographisches

with 2 comments

Steffi sagt:

Schiffskameraden,

Stefanie DrecktrahNachdem ich also meine Notizen hervorkrame und kurz nachlese, was mir in diesem Kapitel so auffiel (herzlich wenig), möchte ich nur kurz darauf hinlenken, dass wir endlich auch mal etwas zu Queequegs Herkunft erfahren, seine Motivation, seine Prägung, wenn auch dies etwas knapp ausfällt. Aber immerhin erfahren wir, dass er von einem Ort stammt, der nicht verzeichnet ist. Aber wie heißt es dort so schön? “Die wahren Orte sind es nie.”

Written by Wolf

27. October 2006 at 3:55 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Biographisches: Queequeg lebt (Kapitel 11 & 12)

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Sehen wir’s mal dramaturgisch. Mir fällt auf, wie viel man unbewusst voraussetzt, was bisher noch gar nicht in der Geschichte drinstand. Oder hat jemand dran gezweifelt, dass Queequeg sich Ismael anschließen wird?

Tod eines HauptdarstellersBestimmt nicht – es wird aber erst auf Seite 114 beschlossen (“Ich fragte ihn nach seinen jetzigen Plänen” pp.), und dann fällt weiter auf, von wie langer Hand das begründet ist. Da braucht es annähernd 60 Seiten Exposition eines Charakters, Aufkeimen und Erblühen einer wunderbaren Freundschaft und schließlich die Lebensgeschichte samt status quo des jungen Wilden unter den Christen. Himmel, was hat der Puppenspieler Melville mit seiner Figur bloß noch alles vorgehabt?

Ursprünglich, weiß man, wollte Melville Queequeg (und Pip, den wir später kriegen) noch während der Walfangreise einem nassen Tod überantworten (Jendis/Göske, S. 881). Das Konzept hat er erst in einer späteren Schreibphase umgeschmissen zugunsten der Lösung, am Schluss die gesamte Mannschaft auf einmal zu versenken.

Hätte mir vielleicht sogar gefallen: Es hat einen großen Impact, wenn in einer Geschichte auch mal ein Sympathieträger gewaltsam aus der Handlung fällt.

Die andern dürfen doch auchBei Großmeistern des dramaturgischen Effekts wie Stephen King sterben ja auch immer ein paar von den netten Leuten. Bei Tarantino ist nicht mal der Kameramann seines Lebens sicher. Und der stilbildende Mord unter Dusche in “Psycho” lebt zu einer Hälfte genau davon, dass Hitchcock die Hauptrolle nach einer Dreiviertelstunde doch lieber an den Schurken übergibt.

Eine schon fast postmoderne Idee, die Melville da hatte: einen Charakter aufbauen, nur damit er einem ordentlich Leid tut. Hätten wir das miterleben dürfen, wenn Moby-Dick je einen anständigen Lektor gesehen hätte?

“Vielleicht aber wären gerade das mitreißend Ungestüme, die unbändige Phantasie und Sprachgewalt des jungen Melville in einem Maß zurechtgestutzt worden, das uns heute reuen müßte”, sagt Göske im Jendis (S. 875).

Ja, eben: Vielleicht. Das heißt aber auch: Selbst ohne schon bis zum Ende weitergelesen zu haben, dürfen wir darauf vertrauen, dass der nach allen Regeln des Handwerks eingeführte Queequeg uns jetzt als einer der Hauptcharaktere erhalten bleibt.

Die Mannschaft in einem Aufwasch zu dranzugeben, hat natürlich etwas Altmodischeres, oder respektvoller: etwas Archetypischeres, weil viel Apokalytischeres. Damit hat Melville sich wohl entschieden, Moby-Dick näher an die Bibel zu rücken – oder soll man vermuten: eine Gegenbibel zu entwerfen?

Naja, ist ja auch schön…

Written by Wolf

23. October 2006 at 6:33 am

Posted in Steuermann Wolf

Elkes Kapitel 10: Busenfreunde vs. Blutsbrüder?

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Elke sagt:

Hach, was für eine herzerwärmende, intime Szene darf der neugierige Leser da miterleben – und empfindet die eigene Anwesenheit ja beinah als Indiskretion. Dabei ahnten wir es doch längst: Ismaels und Queequegs Seelen haben sich gefunden in einer “jäh auflodernde[n] Flamme der Freundschaft”.

Und für mich gibt es kein besseres Wort als Busenfreunde für das, was die zwei, die unser Herz nicht erst heute erobert haben, da vor unseren Augen geworden sind.

Herr Jendis musste bei der (wörtlichen) Übersetzung nicht mal ins Schwitzen geraten. Und den Sprachfreak fasziniert ganz am Rande, dass es offenbar in vielen Sprachen 1:1 dasselbe bedeutet – nicht anzüglich und den übertragenen Sinn vermittelnd. Auch wenn es heutzutage meist medienlastig – vorzugsweise zur Umschreibung einer undurchschaubar-diplomatischen Liaison zwischen Politikern – als satirische Ironie daherkommt. Unsere beiden Helden waren jedenfalls noch echte Intimi.

Nichts geht doch über eine große, bedingungslose Männerfreundschaft – soweit man darüber als weibliches Wesen überhaupt zu befinden befugt ist. Zu Lesers Glücke verfügt Ismael selbst über Stimme und Seele genug zu offenbaren, wonach er, der Kerl ohne innere Heimat, sich sehnt und was er in diesem seltsamen Wilden gefunden, der “sich selbst genug und stets er selber” ist.

Queequeg wird für ihn sowas wie ein verlässlicher Hafen in diesem kalten, tödlichen Leben, in dem jeder, Wolf unter Wölfen, einsam und verbissen vor sich hin kämpft: “Etwas in mir schmolz dahin. Nicht länger wütete mein arg zerspelltes Herz und meine rasende Hand wider die wölfische Welt. Der sanfte Wilde hatte sie erlöst.” (S. 105) Und sogar gegen seinen Hader mit der Christenheit ist der Heidenfreund die Therapie, “denn Christenliebe hat sich nur als hohle Höflichkeit erwiesen”. Was wiederum, mitsamt dem im Götzengottesdienst des Herzens endenden “katechetischen” Frage- und Antwortspiel Ismaels und der so missverständlich-sündig wie nur geht ausgelegten Bettszene, ein ach so gefundenes Fressen für die Zensoren der Londoner Ausgabe gewesen sein muss.

Da schmauchen sie also ihr friedliches Pfeifchen und statt des blutsbrüderlichen Rituals nimmt Queequeg den Ismael um die Taille und berührt dessen Stirn mit der seinigen – tja, andre Länder, andre Sitten, sag ich da nur. Welche man sorgsam auch bei der stehenden Fußes erfolgenden “Vermählung” im Auge behalten sollte, die “in seinem Lande soviel besagte wie: dass wir Busenfreunde seien; er wolle mit Freuden für mich sterben, so das nötig sei.” (S. 106) In diesem Sinne folgen weitere entsprechende Metaphern (!) zuhauf. Schlagt mich tot, aber ich kann hier immer noch keine zärtlichen homoerotischen Bande zwischen zwei ausgewachsenen Kerlen erkennen, auch wenn die Szenen einer rührenden Innigkeit sowenig entbehren wie der genuinen heiteren Ernsthaftigkeit Queequegs und der hier und da geradezu liebevoll humorigen (Nach-)Sicht Ismaels. Von sexuell motivierten Regungen und Gesten jedoch weit und breit keine Spur, oder?

Vielleicht liegt es ja auch an meinem Unfrieden mit Herrn Freuds Triebtheorie. Was hätte der wohl an einem von der sündigen Welt unverdorbenen Wilden, der stets er selber ist, zum Rumdoktern gefunden? Und, nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: von mir aus soll einer schwul oder anders glücklich werden. That’s life! – aber sowas von. Aber ob ich das hier so nennen würde? Hm, und kommts darauf hier überhaupt an? Wer wäre – Hand aufs Herz! – bei den Karl Mayschen berühmtesten Blutsbrüdern ever je auf einen solchen Gedanken gekommen? Na gut, wenn wir den “Schuh des Manitu” nicht mitzählen – und selbst da musste Abahachis Zwillingsbruder herhalten.

Okay, okay, von Backbord und Steuerbord war man als (un)voreingenommener Leser ja einschlägig vorgewarnt. Leslie Fiedler beispielsweise, scharfzüngiges Enfant terrible der amerikanischen Literaturwissenschaft, konstatiert in „Love and Death in the American Novel“ nicht nur besagte homoerotische Tendenzen z.B. bei Melville und Mark Twains “Huckleberry Finn“, sondern montiert selbige auch gleich in einen prägenden Unterscheidungszusammenhang des amerikanischen Romans gegenüber dem europäischen. Mach was, die Gedanken sind frei – meine auch.

Und vielleicht muss man ja ein Mann sein, um das so zu lesen? Allerdings nicht unbedingt Amerikaner.

Ich halt’s da eher mit – Gott hab ihn selig! – Johann Michael Sailer, einem guten Katholiken, seines Zeichens Bischof von Regensburg und Vertreter eines positiven Christentums: “Die wahre Freundschaft hat nur zwei Gesetze: Erstens, daß einer des anderen Freund sei; zweitens, daß er’s von ganzem Herzen sei.”

Der hätte seine helle Freude an unseren zwei Busenfreunden gehabt.

Written by Wolf

18. October 2006 at 6:22 am

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Kapitel 10: My Buddy is Over the Other Ufer

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Sind sie nicht goldig? Doktor Freud mag vor lauter Jagdtrieb nach so einer blühenden latenten Homophilie Augen so groß wie seine Brille bekommen, meine Frau mit bebender Stimme herumdüstern, dass sie’s ja schon immer geahnt hat, meine letzten Kumpels vor mir zurückschrecken (“Lass bloß die Pfoten auf deiner eigenen Seite!”) – aber haben wir uns nicht alle immer so eine Männerfreundschaft gewünscht?

Natürlich nicht, darf man ja nicht sagen, ist ja schwul. Und warum war das mit zehn Jahren so erhebend, als Winnetou & Old Shatterhand ihre Blutsbrüderschaft geschlossen haben – wie endgültig kann man sich noch mit einem Menschen vereinigen?, warum verbeißt man sich eigentlich heute noch die Tränchen, wenn in Winnetou III die Stelle kommt, wo Shatterhands bessere Hälfte in die ewigen Jagdgründe eingeht (doch nicht, weil Winnetou sich mit seinem letzten Schnaufer noch schnell zum Christentum – siehe Moby-Dick, Kapitel 9 – bekennt)?

Warum ist ausgerechnet in dem Erdteil mit den echtesten härtesten Kerlen der Welt das Händchenhalten unter Mannsbildern sozial erlaubt? Ausgerechnet im verklemmten, homophoben Orient, den derselbe Karl May fast so liebevoll feiert wie den verklemmten, homophoben Wilden Westen, wo der Schnurrbart noch als Insignium von Manneskraft gilt, nicht von Homosexualität?

Warum gebärden sich gerade die Schwulen in meiner Hood als die Krone der Männlichkeit (und da rede ich nicht von kreischenden, gackernden Fummeltrinen, die seit der Vorpubertät die Ellenbogen nicht mehr geradeaus strecken können)?

Ganz einfach: weil sie in allen Lebensbereichen ohne Frauen auskommen: How männlich can you get?

Mit zehn, im verlorenen Paradies des Karl-May-Alters, war es normal, anerkannt und wünschenswert, mit seinem besten Kumpel das Bett zu teilen. Das verbindet und schweißt zusammen gegen den Erbfeind, die Mädchen. Psychologisch ist das natürlich eine sexuelle Angelegenheit, aber eben “nur” im Verständnis sinnlichen Erlebens und nicht in jener genitalen Ausprägung, mit der die wenigsten umgehen können, die sich für gereifte Erwachsene halten.

Das Gekicher, mit dem man sich zwei Jahre später in derbe Schwanz- und Muschiwitze rettete und über dem man nichts mehr davon wissen wollte, dass man je mit anderen Jungs unter einer Bettdecke lag, nennen wir pubertär – und aus war’s mit der Unschuld. Dieses Paradies ist nicht wiederzugewinnen; man kann den Apfel der Erkenntnis Doktor Freud nicht vor die Stiefel speien.

Was man über genuin schwule Lebensbelange weiß, bezieht man ja größtenteils aus den Comics von Ralf König, die bei allem Klamauk ordentlich recherchiert und höchst glaubwürdig gestrickt sind; sie stammen aus erster Hand und denunzieren deshalb niemanden. Nach dem antiken Griechenland, Troja, dem Shakespearischen England und immer wieder der deutschen Gegenwart erwarte ich alsbald eine Bearbeitung des Moby-Dick-Stoffes.

War Herman Melville schwul? Bei vier Kindern aus einer (letztendlich doch) ungeschiedenen Ehe jedenfalls ungeoutet und unausgelebt. Offenbar kann er aber den Wunsch nachvollziehen, sich mit seinesgleichen zusammenzutun – was übrigens auch in seinem sonstigen Werk immer wieder aufblitzt.

Niemand glaubt, dass praktizierende Schwule frei von Beziehungsproblemen wären; niemand wünscht sich mit einer dermaßen ungeheuerlichen sexuellen Orientierung behaftet, dass er sie über kurz oder lang outen muss. Es liegt dennoch nahe, dass Mannsbilder untereinander besser verstehen, wie sie ticken, und ihr Problem deshalb leichter ausräumen können. Was man bei Ralf König lernt: Schwule Lebensweise ist auch kein Ponyhof, aber wenigstens kann man einschätzen, mit wem man es zu tun hat. Worauf man an manchen Tagen geradezu neidisch werden könnte.

Ismael & Queequeg leben anscheinend noch in ihrem Jungensparadies. Die können Freundschaft schließen, im Bett die Nacht durchquasseln, es unschuldig finden – und am Ende nicht als sodomitische Schwuletten dastehen, sondern weiterhin als Walfänger. How männlich can you get.

Written by Wolf

16. October 2006 at 8:51 am

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Busenfreundschaft: Steffi hat das 10. Kapitel gelesen

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Steffi sagt:

Liebe Bordkameraden,

zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass die Benennungen der Kapitel nicht ganz so passend sind, wie Onkel Melville das wahrscheinlich indiziert hat.

Worum geht es?

Die Verbrüderung, Eins-Werdung von Ismael und Queequeg, das Begießen der Blutsbrüderschaft, das Rauchen der Friedenspfeife, nun sind sie also Winnetou und Old Shatterhand und wir wissen schon, was für ein Schicksal dem edlen Wilden blüht.

Doch den alten Kalle May mal beiseite: Im Gegensatz zum Film kam gar keine Blutsbrüderschaft mit obligatorischen Handritzen im Buch vor. Tatsächlich nur das gemeinsame Rauchen der heidnischen Pfeife, Götzendienst als Gottesdienst und zärtliche Umarmungen im Bett.

Vielleicht störe ich mich an dem deutschen Begriff der Busen-Freundschaft, der einfach falsche Gedanken heraufbeschwört und nicht so recht zu diesem Freundschaftsmodell zu passen scheint. Denn auch, wenn es alles recht zärtlich zugeht, davon gesprochen wird, dass sie jetzt verheiratet wären (sie seien jetzt vermählt S. 106 unten), so würden sie doch jetzt füreinander sterben. Ja, es sind Flitterwochen der Herzen, sie sind ein trautes Liebespaar, wie es am Ende des Kapitels so schön heißt.

Queequeg verdeutlicht diese Vereinigung für uns westlich geprägte Leser sogar noch deutlicher: Er teilt sogar sein Geld (was heute ja nicht einmal mehr in vielen Ehen der Brauch ist).

Was sagt uns das jetzt alles?

Wir sind wirklich endgültig im Buddy-Genre angekommen.

Jeder kann hier beweisen, wie kosmopolitisch und aufgeklärt er wirklich ist: wenn man hier die Handlung für nicht schwul hält, ist man wohl wirklich offen (passend dazu die Zensur in der Londoner Ausgabe).

Ich denke mir, dass ich auch gerne eine solche Freundschaft hätte, begangen in einer schuljungenhaften Unschuld und mit einer Ernsthaftigkeit, die weiser Männer würdig ist.

So fällt mir noch der 23. Psalm ein. Mag etwas blasphemisch sein, Queequeg hier auf eine Stufe mit dem Herrn zu stellen, aber erstens kann ich nichts für meine Assoziationen und zweitens trifft das Bild genau den Ton:

“Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir.”

Ehehygienische Maßnahmen

Written by Wolf

14. October 2006 at 7:31 am

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Die Predigt: Elke hat das 9. Kapitel gelesen und vielleicht sogar verstanden

Elke denkt mit und spricht:

Ach ja, nicht mal der gottloseste Kerl der Gemeinde könnte sich dagegen wehren, diesem Prediger sein Ohr zu leihen. Der doch die einst für sonstwen gedrechselten Worte der Heiligen Schrift in die Sprache ‘übersetzt’, die so einer jeden Tag selber im Maule führt.

Und spätestens nach dem inbrünstig jubilierten Choral, an den Melville höchstpersönlich Hand angelegt hat (die Anspielungen auf Jona im Wal sind seine Umdichtungen, verrät uns Herr Jendis) hat Vater Mapple sie alle da, wo er sie haben will. Der Leser hadert einzwei Seiten lang noch ein bisschen mit dem leicht widerspenstigen, absatzarmen Text – und merkt erst dann, dass längst auch er gebannt dem flammenden Lehrstücklein einer Predigt lauscht.

Auch ich habe mich gefragt, welch dunkler Punkt in seinem Leben wohl dem braven Priester selbst zu schaffen machen mag. Über die Prägungen einer katholischen Erziehung hin zu latenten oder akuten Schuldgefühlen kann ich nun nicht so recht mitreden, durfte ich mir doch von Kindheit an meinen eigenen freien Glauben zimmern, mal in die Irre und wieder geradeaus gehen… Und doch kann unsereins des Predigers eigenes Ringen und Jonas innere Qualen nachfühlen – so fremd ist es einem denn doch nicht. Menschen neigen nun mal dazu, sich schwer zu tun mit dem eigenen rechten Weg. Was für ein weites und dankbares Feld für die Drewermanns oder gar die Berufsnachfolger von Herrn Freud – und natürlich einen Herman Melville.

Nun könnte man sichs einfach machen und sagen: Klar muss es die Geschichte von Jona und dem Wal sein, sind wir nicht im “Moby-Dick“? Und man liegt bestimmt auch nicht falsch, dass sie auf das Kommende hindeutet. Hm, und vielleicht stimmt es sogar, dass sie so etwas wie eine Warnung ist, nicht den Schöpfer selber zu erzürnen, der mit allen seinen Kreaturen mitleidig, gnädig und barmherzig ist, ob nun mit unbotmäßigen Propheten, dem weißen Wal oder denen, die ihn jagen.

Für mich ist da allerdings mal wieder das Unausgesprochene spannend, das, was der Prediger auslässt von der „nur vier Garne“ langen Mär .

Denn dieser Jona, der – auf seiner Flucht vor dem Gebot des HERRN in die entgegengesetzte Richtung das blanke schlechte Gewissen selber – seinen Auftrag schließlich doch noch erfüllt, dem sündigen Gesocks von Niniwe zu predigen und mit Gottes Strafe zu drohen nämlich, ist er nicht immer noch ein widersprüchlicher Kerl?

Ehrliche Reue? Ha! Aber woher denn! Der ist dem Chef sauer, weil der gnädig ist mit den ganz fix und heftig reuigen Sündern in Sack und Asche und ihm die Lehre erteilt, dass Güte und Gnade mehr wert und wichtiger sind in der Welt als Zorn, Hass und Strafe. Jona, der will Vergeltung. Will… Rache? Und da fiele mir schon einer ein, der diesem Drang bis zum bitteren Ende folgen wird. Nun ja, vielleicht ist ja diese Deutung auch etwas fürwitzig…

Außerdem würde ich ja hier auch gerne eine Anknüpfung an die verlorenen Seelen von den Marmortafeln sehen wollen. Denn die Verschlingung und Rettung Jonas wird in der Bibelinterpretation ja auch als ein Symbol für Tod und Auferstehung gedeutet. Oder sagen wir es weltlicher: es ist für den suchenden Menschen auch ein Bild von einem Neubeginn nach dem Ende, nach Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Ich kenne mich, wie ja schon zugegeben, mit Predigten nicht übermäßig gut aus. Aber ein treuer Gottesmann, wie Vater Mapple einer ist, der predigt doch nicht einfach so mit Leidenschaft daher und entlässt seine überwiegend trauernde Gemeinde dann ohne ein Licht am Ende des dunklen Tunnels aus seiner Kirche, nicht wahr. Oder sehe ich das falsch?

“Aber ach, Kameraden! An Steuerbord von jedem Schmerz, da wartet sichere Freude, und der Gipfel dieser Freude ist höher, als der Grund des Wehs tief.”

Was für ein Hirte!

Written by Wolf

12. October 2006 at 10:43 am

Posted in Steuerfrau Elke

Die Predigt: Wolf hat das 9. Kapitel gelesen

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Father Mapple, Ann Nathan Gallery ChicagoEndlich geht’s mal ausführlich um ein sehr großes Wasser. An dieser Stelle ging es beim Originallesen los, dass man öfter das Wörterbuch als das Buch braucht. Bulwarks: Schanzkleid. Hach, all diese berückend schönen Wörter, die man normalerweise nicht mal auf Deutsch kennt.

Außer dem handfesten Anlass, dass ein Wal vorkommt, wird es noch einen anderen Grund haben, dass Vater Mapple übers Buch Jona predigt. Von Sünde und Schuld geht seine Rede, und zwar in reichlich beklemmender Lebensnähe. Man könnte glatt auf den Gedanken verfallen, das Thema lässt Vater Mapple persönlich nicht ganz kalt: Von welcher Schuld wird dieser Mann gebeutelt?

Das muss nicht mal von einem früheren Verbrechen herkommen. Ich war mal katholisch, wurde jedenfalls so erzogen, und weiß: Mit Schuld belädt man sich fatal schnell. Das ist geradezu das Hauptanliegen einer katholischen Erziehung: den Menschen klein und im Bewusstsein seiner immerwährenden Schuld zu halten. Es gab Zeiten, da hätt ich mich auch am liebsten sofort nach Tharsis oder sonstwo gemacht – wegen nichts – und nur mit einem T-Shirt mit der Aufschrift: “Ich bin schuld”. O ja, das gibt’s; ich versteh Jona.

Bei Vater Mapple hat das offenbar auch funktioniert, bei Melville erst recht, und jetzt geben sie es beide mit donnernder Eloquenz weiter. Der erstere einer Kirche voller Gemeinde, der letztere der literarisch empfänglichen Welt, noch 115 Jahre nach seinem Tod and still counting. Mich jedenfalls schaudert noch bei der plastischen Schilderung, wie sich Jona in seine Kajüte verdrückt, um sich seinen Panikattacken zu widmen.

Außer zum ganzen Moby-Dick ist Eugen Drewermann ja auch zu Jona ein ganzes Buch eingefallen. Welche Übervater- und Mutterschoßparallelen werden einen da wieder anspringen? Was Vater Mapple draus macht: “Weh dem, der zu gefallen trachtet statt zu erschrecken!” (“to appal”, nicht “to be shocked” oder dergleichen – also die Tätigkeit, nicht der Affekt), “Weh dem, der seinen guten Namen höher hält als das Gute! Weh dem, der in dieser Welt nicht nach Ehrlosigkeit strebt!”

Laut Vater Mapples dringenden Empfehlungen auf Seite 101 soll ich also meinen guten Namen in den Dreck ziehen, Leute erschrecken und dabei das Gute hochhalten, auf dass ich wahrhaftig bleibe? – Na Wahnsinn. Pommes dazu?

Von den seelischen Schäden mal abgesehen, die von derlei kirchlichen Lehren wenn nicht als Ursache, so doch mit aktiver Unterstützung ausgehen, hätte mir so ein Gottesdienst in meiner kirchlich begleiteten Zeit schon gut gefallen: Was Vater Mapple da zelebriert, besteht rein aus Predigt.

Predigt war immer mein Lieblingsteil in der Kirche. Z.E.N.: Zuschauen, Entspannen, Nachdenken; so lange kann man sich weder durch falsche Responsorien noch allzu obszönes Hostienkauen blamieren. Wie weit man seinen Lehren folgen will, kann man beim nachkirchlichen Frühschoppen immer noch entscheiden.

Bei Mapple findet keine Orgel, keine Eucharistie statt, die Audience Participation beschränkt sich auf Mitsingen eines Chorals am Anfang, und selbst da scheint es, als ob die Gemeinde nicht so richtig dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Pfarrer macht alles, der hat das gelernt und wird dafür bezahlt. Ein reiner Wortgottesdienst.

Welche Kirche feiert so? Die Reformed Dutch, nach der Melville erzogen wurde? Oder die Episkopalen von Pittsfield, denen er mit seiner Frau angehörte? Die Presbyterianer, zu denen Ismael sich bekennt? Die Unitarier aus Melvilles väterlicher Seite? Und wer von denen verbreitet diese autoaggressiven Ansichten? – Die Lehren und die Liturgien werden irgendwo einsehbar ausliegen. Wenn man schon Kirche haben muss, dann bitte mit so einem einnehmenden Prediger.

Bramstengenfreude (Melville/Mapple/Jendis) für alle!

Nach der Predigt

Written by Wolf

10. October 2006 at 6:03 am

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Die Predigt: Steffi hat das 9. Kapitel gelesen

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Steffi sagt:

Geliebtes Seevolk,

Ja, den Welles sehen wir wirklich die ganze Zeit vor Augen – aber hey – die Szene ist auch viel kraftvoller als im Film, da ist es doch nur recht und billig, einen so tollen, charismatischen Schauspieler vorm geistigen Auge zu haben.

Um die gesamte Predigt ausführlich zu besprechen, bräuchten wir wohl wirklich ein paar Seiten extra. Aber ich versuche mich auf meine Essenzen zu beschränken.

Da spricht also einer aus Ihrer Mitte, der größte unter den Sündern, der es doch versteht, den Bordkameraden aufs Maul zu schauen, die Geschichte so zu erzählen, dass sie es verstehen, dass es sich hätte so zugetragen haben können, gerade eben ein paar Tage zuvor. Er schmückt das Bibelkapitel aus, dass es lebendig ist, dass ich für einen kurzen Moment Ismael vergessen kann und mich ganz dem Schicksal Jonas’ hingebe.

Doch dann auch schon die Überlegungen im Hinterkopf: Was will uns diese Werbesendung sagen? Wo sind die Parallellen? Wer spielt den Jonas in dem uns vorliegenden Trauerspiel? Der Wal aus dem Gleichnis ist ein Werkzeug Gottes, um den verdienten Respekt zu erlangen. So auch Moby-Dick?

Mir scheint das evident zu sein. Diese Parallelle ziehe ich ohne schlechtes Gewissen. Ich denke allerdings nicht, dass Melville es uns so einfach macht, dass er die Rolle des Jonas für einen einzigen vorgesehen hat – hier ist die Deutung nicht so eindeutig, vielmehr komplex und vielschichtig.

Ich denke, die ganze Pequod könnte für Jonas stehen – verdammt und doch noch in der Lage, bei wirklichem bereuen, dem Wal zu entkommen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Für mich strahlte eine Textstelle als besonders bemerkenswert hervor, eine Textstelle, die ich mir anmarkern würde, wäre ich nicht so bibliophil und so scheu, alle Bücher wie Studienausgaben aussehen zu lassen:

“Sündiget nicht, doch tut ihr es dennoch, so habt acht, daß ihr sie so bereut wie Jona.” (S. 99 Mitte)

Jonas als Vorbild für ehrliche Reue – wer will hier keine Vorausdeutung sehen?

Die ersten Mahner auf dem Weg ins Verderben und wir werden erleben, wie viele sich an diesen lebensrettenden Ratschlag erinnern werden.

Written by Wolf

10. October 2006 at 5:16 am

Posted in Steuerfrau Steffi

Kirche & Kanzel: Steffi hat das 7. & 8. Kapitel gelesen, und den Film gesehen hat sie auch.

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Steffi sagt:

Viel gibt es da auch für mich nicht mehr zu sagen – um im Sprachstil zu bleiben: die Fischgründe sind abgefischt.

Jedoch habe ich mich gestern abend gedanklich intensiver mit dem komplexen Problem des Trauerns beschäftigt. Diese Wechselwirkung von anonymen Tod, fehlendem Trauergrund und dabei Unsterblichkeit durch die immerwährende Präsenz im Wartesaal Gottes verwirrten mich doch zusehends.

Alle sitzen unbewegt als Inseln auf den Bänken, die Inschriften lesend. Nur Q. sieht man seine innere Rührung an – er ist ja auch nicht mit Lesen beschäftigt.

Kann man daraus schlussfolgern, dass die Beschäftigung mit den Gedenktafeln von dem wirklichen Empfinden, von der ausführlichen Rührung der Seele ablenkt? Mir scheint es fast so.

In dem Zusammenhang fand ich den Bezug zu Hamlet schon toll (S. 83, Mitte), bevor ich überhaupt wusste, das es ein Bezug zu Hamlet ist. Es geht eben doch nicht nur um die äußere Trauer mit der richtigen Kleidung, sondern um die innere Rührung.

Zum großen Auftritt des Orson Mapple muss ich auch nichts mehr hinzufügen – nur, dass ich die Spielfilmbilder so deutlich vor Augen hatte und Welles natürlich großartig spielte.

In der Tat hat der Film echte klassische Filmmomente kreiert, die in das Gedächtnis einer ganzen Filmliebhabergeneration sich eingebrannt hat – der winkende Peck ist wirklich eine echte Ikone. Und der Film ist in der Tat als Zeichen seiner Zeit zu sehen – und wäre als solcher auch ein spannendes Thema für eine inhaltliche Diskussion, aber das gehört nun wirklich nicht hierher.

Lasst uns also den Worten Mapples lauschen und endlich dem Ruf des Meeres folgen. Ich habe schon so ein Kribbeln im Bauch. (Was auch daran liegen kann, dass Mittagspause ist.)

Noch eine Frage habe ich dann doch an die Gemeinde: wie versteht ihr die Geste des Leiter hoch ziehen? Ein Brückenabbrechen, um sich ganz dem Worte Gottes zu widmen? Würde ja in die Richtung des wahren Christen Ismael und das Lehrstück zum wahren Weg passen …

Written by Wolf

7. October 2006 at 6:12 am

Posted in Steuerfrau Steffi

John Huston hat doch Recht

with 3 comments

Christian sagt:

Hier meldet sich ein Stimmchen aus dem Unterdeck – hatte mich versteckt gehalten, gelesen und über Eure Interpretationsvielfalt und Begeisterung für Details (Fleisch zum Frühstück, Frauenduft) gestaunt. Sehr schön. Zur Adaption des Buchs im Huston-Film möchte ich dennoch sanft widersprechen: Zwei Kunstformen, eine Geschichte. Ich mag den Film, ganz unabhängig vom Buch. Die darf man nicht vergleichen, allein weil der eine 90 Minuten Bilder und Text hat und das Buch hunderte Seiten, Stunden von banalen (und natürlich auch tollen) Dialogen und Redundanzen, ausufernde Beschreibungen etc. Der Film zeigt ein paar Typen, konzentriert auf Spannung und Jagd und Ahab gegen den Rest der Welt. Die Philosphischen, metaphyischen, meditativen Passagen des Buchs fehlen natürlich (ein Hinweis vielleicht noch das St.-Elmos-Fire auf der Harpune…) Vor allem Orson Welles als donnernder Pastor und am Ende der winkende Peck auf dem Wal – das sind Bilder für die Filmgeschichte. Viel 50er-Jahre-Männerklamauk ist natürlich auch drin und der Fremde, der uns Angst macht, der Menschenfresser – das ist alles ein bisschen zu eindimensional. Naja, darum soll es nun auch nicht gehen.

Written by Wolf

7. October 2006 at 6:09 am

Kirche & Kanzel: Elke hat das 7. & 8. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Da folgen wir ihm also in die kleine Kirche, dem frischgebackenen Walfänger, fast auf Zehenspitzen – an einen Ort der Stille und leisen Andacht… So meinen wir jedenfalls. Und dann geraten wir aus diesem Schneesturm da draußen vor der Tür, ehe wir’s uns versehen, schon wieder in einen neuen – und der tobt in unserem guten Ismael selber, will mir scheinen. Oder hören wir hier gar ziemlich unverfremdet Herrn Melville höchstselbst, in seiner eigenen Not zwischen Glauben und Zweifel?

Jaja, hier kommt noch eine daher, die wohl mehr Fragen als Antworten hat. Und die hat’s auch nicht so mit den religiösen Spielarten. Wen wundert’s, könnte wer sagen, wenn er sich’s einfach machen wollte. Wo ich mir doch die Hand reichen könnte mit dem ungetauften Queequeg… irgendwie. Der – auch das wundert kaum noch einen – natürlich mitten in der andächtigen Gemeinde hockt. Was ich eigentlich sagen wollte: vielleicht kommts darauf gar nicht an, wes Geistes Kind man ist, welcher Religion mit ihren Grundsätzen, Geboten oder Regeln man folgt? Selbst wenn einer gar keine hat, heißt das noch lange nicht, dass er an nichts glauben will. Ich nenne es die Suche nach dem Sinn.

Und auch ich habe mich gefragt: Diese trostlosen Tafeln, diese – o ja! – kaltfröstelnden Inschriften, so überdeutlich vor des Lesers Auge gebaut, was sollen sie bedeuten? Sie haben etwas mit Ismaels (oder Hermans?) Gedankensturm zu tun, mit der “ungewollte[n] Ungläubigkeit in jenen Zeilen, die den Glauben selbst zu zersetzen scheinen und jenen Geschöpfen die Auferstehung verweigern, die ohne bleibende Stätte, ohne Grab zugrunde gehen”. Ist es der Versuch einer ohnmächtigen Beschwörung, dass da doch etwas bleibt, bleiben muss; einer Beschwörung, die bis zur sympathetischen Vereinigung der „stillschweigenden Inseln“ einsamen Grams getrieben wird? Weil das ganze doch einen Sinn haben muss, weil „der Glaube […] sich, wie der Schakal, seine Nahrung zwischen den Gräbern [sucht] und […] gerade aus diesen tödlichen Zweifeln seine lebensspendende Hoffnung [zieht]“?

Mir kommt es ja so vor, wandele sich Ismael am Ende des siebenten Kapitels beinah zum Fatalisten, den möglichen Ausgang seines Walfängerschicksals auf einmal so plastisch-sarkastisch vor Augen. Aber wenn da was dran sein sollte, dann ist es ein recht kämpferischer Fatalismus, denn sein wahres Ich, seine – jawohl, reine, – „Seele zermalmen, das kann selbst der Höchste nicht.“

Selbstverständlich war dieser sein (und Melvilles?) ketzerischer Gedanke den englischen Puritanern nicht zuzumuten und las sich desterwegen in der Londoner Ausgabe so: „meine Seele zermalmen, wer kann das?“

Meiomei, wie viel Zeit man sich wieder lässt, um endlich an dieser nun wirklich einzigartigen Kanzel anzukommen! Zu der Vater Mapple – vom Wolf bereits gebührend besungen – mittels einer Strickleiter hinaufklimmt, die (wäre einer nicht drauf gekommen?) mitsamt der ganzen Kanzel natürlich auch wieder ein Sinnbild darstellt, den Bug eines Schiffes – und das Schiff ist die Welt.

Melville sagt es andersherum: „Wahrlich, die Welt ist ein Schiff…“ – und ich mag diesen letzten Satz des Kapitels, mag dieses Bild des Schiffes auf dem Meer, im Sturm … des Lebens? Und bin damit in bester Humboldt-Gesellschaft.

Calvinisten

Written by Wolf

6. October 2006 at 7:02 am

Posted in Steuerfrau Elke

Kirche & Kanzel: Wolf hat das 7. & 8. Kapitel gelesen

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Wie war das? Calvinistische Reformed Dutch Church in America?

Was immer diese protestantischen Splittergruppen im einzelnen von ihrem Mainstream unterscheidet – ich hab noch nie bei einer verstanden, was sie überhaupt vom Katholizismus abheben soll. Es geht doch allen darum, jenem Jesus von Nazareth zu folgen, der seit 2000 Jahren and still counting Diskussionsstoff hergibt. Das ist ja dann auch okay so.

Ismael, unbeteiligter Beobachter, der er die ganze Zeit zu sein versucht, will doch gleichzeitig ein guter Mensch sein (und vermutlich gleich seinem Schöpfer ein guter Angehöriger der Calvinistischen Reformed Dutch Church in America) und gibt mit großer Selbstverständlichkeit den guten Christen. Überhaupt glaub ich, dass der gesamte Moby genau davon handelt: wie in der Welt ein gottesfürchtiges Leben zu führen sei.

Etwas ratlos macht mich die schon fast bildliche Wiedergabe der Marmortafeln in der Kirche. Wer ein Tausend-Seiten-Opus vorhat, ist ja nicht auf künstliche Seitenschinderei angewiesen. Die Gedenktexte müssen also von einer ziemlichen Wichtigkeit sein, die ich mir nicht erklären kann. “Kaltfröstelnde Inschriften”… Dafür hätte Fließtext gereicht, aber es musste ja 1:1 das Layout sein, im Trauerrand… (Den Rand bringt meine Originalausgabe übrigens nicht, dafür mehr Gedöns mit Schriftarten. Und auch keine genaueren Anmerkungen. – Ob wir mal eine Exkursion nach New Bedford machen und nachschauen, ob die Tafeln – “I do not pretend to quote” – wirklich da sind?)

Man wird sich wohl damit zufriedengeben müssen, dass die Inschriften den Kirchgängern so unmittelbar aufs Gemüt drücken, weil sie von ihrem Schmerz künden. Was man über Melville zusammenforscht, war er ja selber bis hin zur Depression von religiösen Zweifeln zerrissen. So einer kann gut nachvollziehen, wenn anderen irgendwas weh tut.

James UssherHat jemand die Zeitrechnungen nach der Septuaginta vs. Annales Veteris et Novi Testamenti von Bischof James Ussher mitgerechnet – oder aus der Anmerkung Seite 939 f. auch nur verstanden, wer genau wessen Datierungen korrigiert hat? Eine davon kann ja den Jahreszahlen nach nicht besonders lange “traditionell” geblieben sein. Erklär mir mal einer die Anmerkung…

Bevor ich wieder mehr Fragen als Antworten aufbringe, übergeb ich mal an den Herrn Pfarrer von Schrot und Korn. Endlich mal ein Kerl, dem man trauen kann. Vielleicht das, was aus Ahab hätte werden können, wenn er nicht diese lästige Psychose mit sich rumschleppte. Ein solcher möcht ich werden, wie Vater Mapple gewesen ist, sollte ich je groß werden.

Einer, der zu seiner Herkunft steht, indem er sich mit ihren Insignien umgibt (wie die Kanzel-an-sich mit den paar bezwingend knappen Sätzen als führender Teil geradewegs der ganzen Welt hingestellt wird, das find ich ja schon brillant), dazu einer, der durch seine persönliche Autorität wirkt, nicht nur, weil er zufällig der Pfarrer ist, einer, der zu sagen weiß, wie’s geht. Der mit mehr Antworten als Fragen.

Kenophen

Written by Wolf

5. October 2006 at 6:51 am

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Frühstück & Straße: Wolf hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

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So sind sie, die Menschenfresser: Wenn sie schon ihre Frühstücksgenossen unangeknabbert lassen, muss es wenigstens was Blutiges geben, das möglichst noch zappelt.

Früshstück in der FremdeIm übrigen muss er ja einen schönen Eindruck von den so überaus Zivilisierten kriegen, zu welchen zu gehören er so guten Willens ist, und die ihm so ein eloquentes Beispiel abgeben. Beim Frühstück Maulaffen feilhalten, das muss man nicht lernen, das kann man von selber.

Was offenbar gerade ein Hobby von mir wird: Spuren von Frauen bei Melville nachzuweisen. So fruchtlos ist das auf einmal gar nicht. Auch auf der Straße der Walfanghafenstadt findet sie der Ismael an allen Ecken und Enden – “und die Frauen von Bedford, sie blühen wie ihre eigenen roten Rosen. Rosen aber blühen nur im Sommer, wohingegen das liebliche Rosarot ihrer Wangen das ganze Jahr über währt, so wie der Sonnenschein im siebenten Himmel. Anderswo Blüten zu finden, die diesen gleichen, wird euch nicht gelingen, außer in Salem, wo der Atem der jungen Mädchen, wie man mir sagt, derart nach Moschus duftet, dass ihre Matrosenliebsten sie Meilen vor der Küste erschnuppern” – es ist doch einfach herzig, wie der Mann noch eine Nase voll vom Duft der Mädchen mitnimmt (nach Moschus! Ismael, Sie erlesenes Ferkel!), bevor er sich aufs Meer begibt, das bestenfalls von allerhand kratzigen Mannsbildern befahren wird, die vor lauter Alarmbereitschaft nie zum Waschen kommen.

Und die Stelle merk ich mir als Gegenmittel, falls mir demnächst einer mit latenter Homosexualität auf der Pequod kommt – womit ich fest rechne.

Das unausweichliche Stück Bildungshuberei, das ich mir gar nicht erst zu verkneifen versuche: Der Mr. Mungo Park von Seite 75 kommt nicht nur ausführlich im erwähnten Anmerkungsteil vor, sondern vor allem als Hauptfigur von “Wassermusik“, was der erste Roman von T.C. Boyle und unser nächstes Sammelleseprojekt wert ist – weil der Gute und der Böse mit jedem Kapitel mehr die Plätze tauschen.

Written by Wolf

29. September 2006 at 1:18 pm

Posted in Steuermann Wolf

Gut gefrühstückt zum Stadtbummel: Elke hat das 5. & 6. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Also, wenn ihr mich fragt, finde ich Ismaels und erst recht Melvilles Tempo, dem wir mit unserer eigenen Gemächlichkeit folgen, durchaus angemessen. Und zwar auf zweierlei Weise:

Zum Ersten haben Ismaels Erlebnisse so einen Touch von Echtzeit: man fühlt sich, in seiner kuscheligen Sofaecke hockend, doch selber mittendrin und voll dabei in diesem wilden Haufen raubeiniger Kerle. Die es furchtlos mit jedem noch so großen Wal aufnehmen, und diese erwartet munter lärmende Frühstücksrunde – schau an! – auf einmal scheu und schweigsam hinter sich bringen. Ja, auf den Weltmeeren herumzukommen, heißt halt mitnichten, weltgewandt und umgänglich zu sein. Im Gegenteil steht es zu vermuten, dass diese Walfänger und Abenteurer in ihrer Mehrzahl eine Schar von Sonderlingen und Einzelgängern sind, auf hoher See durch ihren gefährlichen Job zusammengeschweißt und dem normalen Leben so fern und entwöhnt wie nur irgendwer.

Und ich hab ja, wo wir doch längst um die hintergründige Psychologelei Melvilles in seiner Sicht auf die Welt wissen, noch einen ganz andern Verdacht: dass er damit nicht nur diese Tafelrunde meint…

Und zum Zweiten haben diese Erzählweise und Ismaels Beobachterposten, auf dem er sich ja nun im Einzelkapitel (im Gegensatz zu mir) weiß Gott nicht weitschweifig palavernd und häuslich niederlässt, ihren tiefen Sinn. Ham wir doch wieder was gelernt! Zuallererst nämlich, wie und warum der zunehmend an Queequeg einen Narren frisst. Denn der Kerl hat was in dieser Meute (noch?) gesichtsloser Gestalten: ein gelassenes und äußerst gesundes Selbstbewusstsein, „und jedermann weiß, dass Gelassenheit in den Augen der meisten Menschen auf ein vornehmes Wesen hindeutet.“ (S. 76) Denn wie man ja selber heutzutage – vom Sitzungstisch bis zum Hörsaal – immer wieder erlebt, sitzt „am Kopfe der Tafel“ entweder einer, den es aus dem Bewusstsein der Wichtigkeit seiner Person oder aus Geltungsdrang ins „Präsidium“ oder zumindest in dessen Nähe drängt, oder eben der, der sich darüber überhaupt keinen Kopp macht. So einer ist Queequeg, in sich ruhend, mit seiner höchstpersönlichen Würde. Und es schert ihn nicht mal, ob es jemanden anderen schert, dass er mit der Harpune sein halbblutiges Steak frühstückt. Im übrigen sei wohlmeinend davor gewarnt, beim nächsten Restaurantbesuch den einschlägigen Gourmet einen Wilden zu nennen.

Natürlich geht es nicht an, dem wissbegierigen Leser einen Eindruck von der Walfängermetropole New Bedford vorzuenthalten – wie wir sehen, kommen wir also auch nicht ohne das sechste Kapitel aus. Denn wer möchte schließlich gern aus dem Niemandsland auf Walfang gehen.

Sie ist voll von Seeleuten und Abenteurern unterschiedlichster Couleur, die Stadt – vom echten Menschenfresser über bunte Exoten aus aller Herren Länder bis zum auf Walfänger gestylten Bauernlümmel aus Vermont oder New Hampshire. Der heiß darauf ist, das große Geld zu machen, und, wenn es ernst wird, noch sein blaues Wunder erleben wird.

Um nochmal beim Geld zu bleiben: Melville, ach nein, Ismael zeichnet ein knappes, aber klares und farbiges Bild des üppigen Wohlstands, den die Region den Walen verdankt. Und keine Rede davon, dass der Walboom schon in sein sieches Stadium zu fallen beginnt, weil ja längst ergiebigeres Gold gefunden wurde, schwarzes Gold. Und weil es Ismael ist, der uns das alles erzählt, darf natürlich hier seine Anspielung auf Kanaan, das Gelobte Land nicht fehlen. Auch wenn New Bedford an das natürlich nicht ganz rankommt, aber nur ganz knapp nicht. Okay, ich geb’s ja zu, dass mir die sehr kurze Anmerkung dazu nicht gereicht hat und mich eine Kurzfassung der Geschichte des entsprechenden Buch Mose inhalieren ließ – was tut man nicht alles für seine Bibelfestigkeit. Demnach wurde besagtes Gelobtes Land ja schließlich des echten Ismaels Vadder Abraham und seinen Nachkommen von Gott höchstpersönlich versprochen. Nu hatte Vadder zwar eben jenen Ismael schmählich aus dem Haus getrieben; trotzdem meint man herauszuhörn, dass der „Unsrige“ sich vorerst auch mit dem beinah Gelobten Land zufrieden gibt.

Written by Wolf

29. September 2006 at 12:39 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Das Frühstück: Steffi hat das 5. Kapitel gelesen

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Steffi meint:

Habe ich schon einmal erwähnt, dass Queequeg anders ist?

Für alle, die es bisher noch nicht ganz erfasst haben: er ist sogar anders, als die anderen Walfänger, eine Klasse für sich; jemand, der sich nicht zuordnen lässt, der Sortierung in Schubladen wiedersteht und damit wohl ein perfektes, modernes Individuum darstellt.

Selbst sein Frühstück fällt anders aus, als das der anderen: Er zieht das nahrhafte Fleisch vor. Machen Extremsportler das nicht auch, wegen der Proteine?

Mir schien es, als würde er sich schon vorbereiten, auf den nächsten Extremsportausflug – nur dass der eben für einen Haufen von Männern Alltag war.

Die Schüchternheit und Zurückhaltung der anderen schien mir eigentlich auch nicht weiter verwunderlich zu sein. Die Seebären waren einfach nicht in ihrem Element. Auf dem Schiff dürfen wir sicherlich anderes von ihnen erwarten.

Diese Darstellung unseres ungewöhnlichen Freundes ist hoffentlich bald abgeschlossen – die Message ist angekommen.

Written by Wolf

27. September 2006 at 2:58 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Die Steppdecke: Steffi hat das 4. Kapitel gelesen

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Steffi meint:

Was für mich gilt, da ich erst die Beiträge meiner wertgeschätzten Mitsegler gelesen habe, bevor ich mich mit Herman selbst vergnügt habe; aber eben auch für die Reihenfolge des Anziehens, wie unser „wilder Freund so slapstickhaft vorgemacht hat. Kurz: ich war vorgewarnt, dass Sigmund was zu sagen hatte und las das Kapitel schon mit der Maske des Anders-lesen-Wollens:

So stimme ich Wolf zu, dass die Kindheitserinnerung sicherlich eine Schlüsselstelle zum Verstehen von Ismael ist, allerdings glaube ich, dass wir das mit der Stiefmutter durchaus wörtlich nehmen können. Seinen ironischen Ton behält er bei, doch die Bitterkeit ist deutlich zwischen den Zeilen zu lesen.

Also folge ich der Einfachheit halber der Argumentation von Wolf, den ich würde doch nur ähnliches schreiben.

Worüber ich am meisten gestolpert bin, war wirklich die Neugier, die Ismael bei der ganzen Ankleideprozedur an den Tag legt. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: es schimmert immer die Besonderheit von Queequeg durch, diese Andersartigkeit, die man begafft wie im Zoo.

Sicher, sie ist nicht böse gemeint und meiner Theorie nach auch nicht mal bewusst, aber diese Pastellversion von Rassismus lese ich heraus. Aber genug davon. Sicherlich ist das nicht buchentscheidend, ich sehe es nach wie vor als Indiz für die historische Verortung und soll damit weder Gevatter Melville, noch seinen Protagonisten Ismael schmälern.

Auf humorvoll, tolle Art und Weise wurde in der Tat die Freundschaft der beiden ein wenig näher gebahnt, die Andersartigkeit noch ein bisschen weiter entblößt und dargestellt, die Handlung ein klein wenig vorangetrieben.

Aber wann stechen wir denn eigentlich nun in See?

Aber so ist das nu mit guten Dramen: sie verdienen einen guten Prolog, damit man an der Seite der Helden allen Tücken standhalten kann. Es ist das Luftholen vor dem Orkan.

Und wie ich mich darauf freue!

Written by Wolf

26. September 2006 at 3:34 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Die Steppdecke: Wolf hat das 4. Kapitel gelesen oder Mutter, lass mich dein Söhnchen sein

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Doktor Freud, übernehmen Sie!

Da glaubt man seit Kindheitstagen, im Moby-Dick kämen bis auf eine flüchtig vorbeihuschende Hafenkneipenwirtin keine Frauen vor – und dann liefert uns Ismael ein detailliertes frühkindliches Erlebnis mit seiner Mutter, das man in seiner entwaffnenden Beiläufigkeit, so in den Gang der Handlung hineingegossen, gar nicht überschätzen kann. Wie selektiv musste man lesen, um das selbst noch beim zweiten Durchgang auf Englisch zu übersehen?

Natürlich ist es die katexochene böse Stiefmutter, und der Kollege Freud wird mir zustimmen, wenn ich annehme, dass Ismael, wie immer er richtig heißen mag, wegen dieser ach so herzensguten Frau seine Identität des Verstoßenen angenommen hat.

Gut spricht er von ihr – mir kommen ja die Tränen, wie er seine Kindheitswunden mit allem nötigen Sarkasmus beiseitewitzelt: „Sie war die beste und gewissenhafteste Stiefmutter von allen, und ich musste zurück auf mein Zimmer“ – hör da nur ich die passive Aggressivität eines Kishon raus?

Aus solchen Erlebnissen haben andere komplette Bücher gestrickt, weil sie anders nicht damit fertig wurden, da muss man nicht mal gleich Kafka bemühen. Es hat viel Hypnotisches, in welchen Zustand der junge Ismael gerät, wahrscheinlich ein ungebändigter Wildfang, der seine Tage mit Bäumeklettern und Maikäferfangen verbracht haben wird, wenn er bei helllichtem Tag ins Bett – nun ja: gefesselt wird. Glatt zu delirieren fängt er an.

Was für manchen perspektivlosen Depressivling die einzige Möglichkeit ist, den Tag zu überstehen – dämmernd im Bette zu liegen –, war für Klein-Ismael die schlimmste aller Strafen. So zieht man sich perspektivlose Depressivlinge. Ein Wunder, dass er später im Leben noch den Antrieb für so einschneidende Unternehmungen wie Walfang aufbringt.

Übermutter Moss Oder wie viele Äußerungen der Depression – und reden wir mal von der pathologischen Diagnose, nicht von der vagen Verstimmung – gibt’s eigentlich? Der Kollege Freud mag mich berichtigen, falls ich meinerseits deliriere, aber ich glaub, es gibt durchaus offensive bis aggressive Formen. Das bringt mich zu der Vermutung, dass Ismael sein Leben damit verbringt, es seiner Stiefmutter zu zeigen. Erst büchst er auf Meer aus, und ich darf in ihm eine gewisse Lust am eigenen Untergang wittern: Siehste Mutter, das haste nu davon; Walfang ist der sichere Tod, das glaubst du doch, Mutter, hab ich Recht? An Land hat mich ja noch nie irgendwas Besonderes gehalten. – Ismael zahlt es seiner Mutter, der alten Hexe, die ihn damals ins Bett gesteckt hat, ordentlich heim, und gelte es sein Leben. Und war nicht Thanatos die andere stärkste Triebkraft des Menschen, nebst Eros?

Interessant wäre jetzt noch, wo denn Ismaels richtige Mutter abgeblieben ist, und war je die Rede von seinem Vater? Oder ist der Begriff „Stiefmutter“ hier eine Art Grimmsche Verglimpfung: die taktvolle Maßnahme, Stiefmütter herbeizuzerren, wo man aus religiösen Gründen (viertes Gebot!) nicht über böse leibliche Mütter reden mag? – Man weiß so wenig.

Jetzt seh ich’s erst: Ismael ist ein Lost Boy wie aus dem Peter Pan. Und es sollte mich wundern, wenn nicht grade aus diesen eindreiviertel Seiten Papa Melville persönlich den kleinen Jungen Herman durch sein Alter Ego reden ließe.

Besonders über diese Stelle erwarte ich einiges von Drewermann, wenn ich endlich die 29,90 für seine Tiefenpsychologie erschwinge (oder wahlweise die Stadtbibliothek mein Desideratum erhört, hähä).

Soll ich wieder übernehmen, Doktor Freud…?

Heute beim dritten Lesen fallen mir die Stellen schon fast nicht mehr auf, über die ich vor allem beim ersten Durchgang als Zwölfjähriger am meisten gelacht hab. Poltert sich doch nicht der wilde Neger zum Stiefelanziehen diskret unters Bett, um im weiteren Verlauf in Stiefeln und Zylinder und sonst gar nix im Zimmer umherzugeistern?

Queequegs gewinnende Tollpatschigkeit hat mich damals endgültig in das Buch gezogen. Einigen Respekt hatte man damals doch vor der voluminösen Erwachsenenschwarte, das aufs Wesentliche reduzierte Reclamheft schmeckte ohnehin so nach staubtrockenem Deutschunterricht – und als ich gemerkt hab, dass es da ja richtig was zu lachen gibt, wusste ich: Das Ding hältst du durch.

Written by Wolf

24. September 2006 at 3:37 pm

Die Steppdecke: Elke hat das 4. Kapitel gelesen

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Elke war fleißig und sagt:

Uuh ja, also auf in dieses sonderbare und bemerkenswerte vierte Kapitel. Bei dem offenbar schon die Steppdecke (uns) wieder etwas be- und andeuten soll, die es betitelt und sich so eigenartig Ton in Ton mit Queequegs besitzergreifendem tätowierten Arm verbandelt – ist’s gar eine Allegorie? Wie uns dieses Kapitel überhaupt auf den schwankenden Boden der Deutung wirft und uns schier darin versinken lässt. Denn kaum hat man sich aus diesem sonderbaren “Flickwerk unregelmäßiger kleiner Quadrate und Dreiecke in allen Farben” gewühlt, überfällt einen Ismael mit seinem nicht minder seltsamen Kindertraum, der einem verrückterweise auch noch bekannt vorkommt…

Ich werde den Teufel tun und hier zu Herrn Freud in Konkurrenz treten. Mag sich jeder selber seinen Reim darauf machen, was diese fremde Hand (oder die Einbildung derselben), dieser Traum und die Erinnerung daran just in diesem Augenblick oder der Vergleich der Situationen meinen wollen. Was weiß man denn, wie die Geschichte weitergeht. Man denkt sich halt seinen Teil.

Oh, eines fasziniert: Man bekommt ein Stück von diesem Ismael zu packen, wieder eins, das man noch nicht kannte. Da sind Ängste, vor etwas, das sich nicht benennen lässt. Vor unbekannten Gefahren? Oder geboren aus einem Gefühl der… Einsamkeit? Bei diesem Kerl, der drei Kapitel vorher noch nach Entlegenem lechzte, „verbotene Meere […] besegeln und an barbarischen Küsten […] landen“ wollte? Der alles sicher Fassbare hinter sich lässt? Da ist doch etwas in dem Spötter und Aussteiger, das sich nach Geborgenheit, nach Wärme sehnt – auch wenn er dies nie offen zugeben würde. Erst recht nicht in der Lage, in der er sich von einem anderen Kerl umarmt findet.

Huch, nun bin ich ja doch nah bei der Traumdeuterei und Symbolik gelandet. Nun ja, man kann es einfach nicht nicht merken, dass das ganze Buch von (An)deutungen und Ahnungen, von Symbolen als Stilmittel und zur Abbildung der (Um)welt nur so strotzt. Hier und da wird „Moby-Dick“ als ein wichtiges Werk (auch) des Symbolismus bezeichnet. Dagegen kann man gar nichts haben. Und fragt sich dennoch, wie das sein kann, wo der doch erst zum Ende des 19. Jahrhunderts ausgebrochen ist, und zwar in Europa. Ist Melville seiner Zeit voraus? Zum amerikanischen Symbolismus in der Literatur habe ich bisher nicht so viel gefunden, außer dass der von mir hoch verehrte Herr E.A. Poe zu seinen Vorreitern zählt und eben auch Herman Melville.

Zuallererst wird aber auch dieses Kapitel von vorne bis hinten durch Queequeg und die Vorahnung (schon wieder) einer großen Freundschaft beherrscht. Herzliches Schmunzeln provoziert dessen Ankleidezeremonie, von Ismael-Melville mit köstlichem Humor geschildert. Was auffällt: die unbändige, ja geradezu penetrante, Neugier Ismaels auf das Tun und Wesen dieses sanften „Wilden“. Sie ist so groß, dass sich das Verständnis von zivilisiert und dem Gegenteil davon für den bedingungslos allen beiden geneigten Leser sogar umkehrt. Der unbefangen und gnadenlos hier in dem anderen, dem Typen aus gutem Hause, den Wilden zu sehen bereit ist. Doch nichts von alldem verhindert, dass unsereins Ismaels aufkeimende Sympathie für Queequeg erahnt.

Melville weiß uns im hier strapazierten Kapitel durchaus zu überzeugen, dass er auch mit unserem Dichterfürsten und des Herrn Geheimrats „Dichtung und Wahrheit“ auf gutem Fuße steht. Allerdings ist für mich die Stelle, wo Ismael Queequeg „ein Geschöpf im Übergang von einem Zustand in den nächsten – weder Raupe noch Schmetterling“ nennt, noch nicht fertig erzogen und „gerade zivilisiert genug, seine fremdländischen Sitten so befremdlich wie möglich vorzuführen“, nicht zuerst deshalb interessant. Ich fühlte mich irgendwie an die hehre und selbst auferlegte Bildungs-, Erziehungs- und Läuterungsmission in Werken von Väterchen Tolstoi und anderen alten Russen erinnert – mit der sie im übrigen, manchmal sogar seelisch, scheiterten. Dieser Missionierungsdrang klingt bei Melville auch an, wenngleich wir längst wissen, dass aus „Moby-Dick“ (das nehme ich mir einfach mal heraus und dem weiteren Verlauf vorweg) ein ganz anderes Buch geworden ist…

Written by Wolf

23. September 2006 at 7:10 am

Posted in Steuerfrau Elke

Zum Walfänger: Ismael hat das 3. Kapitel gelesen

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Der alte Wolf wird langsam grauVorurteile stimmen immer, wahrscheinlich stinken sogar die Neger (Ambrose Bierce? Gustave Flaubert?) – natürlich außer dem einen, den man selber kennt.

Queequeg hat mich als Bub ja schwer beeindruckt. Damals kannte man noch nicht so viele so selbstverständlich Tätowierte außer den paar Schweralkoholikern, die man in der Bahnhofskneipe antraf (ich hab über einer gewohnt, verkehrt hab ich da nicht), die solche Verzierungen aus dem Knast mitbrachten. Dass sowas ein Zeichen des edlen… nun ja: Wilden sein kann, wussten wahrscheinlich nicht mal diese Exknackis selber. (Aber immerhin trugen sie die mit mehr Bewusstsein als die heutigen Minderjährigen, die sich sponsored by Oma mit Nichtssagendem vollblümen lassen.)

Queequeg auf SpermwalUnd da rumpelt plötzlich in der Hafenkneipe Zum Walfänger dieser weiß Gott kantige Typ herum, vor dem man so lange Angst haben musste, wie man ihn nicht gesehen hat. Verhökert Neuseeländerköpfe, kommt spät nach Hause, allgemein ganz sicher kein ordentlicher Christenmensch, ein Menschenfresser gar – solange man sich sein eigenes Phantom aus gewagten Hirngespinsten zusammenbaut. Wenn man erst mal die Lagerstatt mit ihm teilt, ist er doch ganz umgänglich.

Was die Charakterzeichnung wirklich rund macht: Queequeg ist ja tatsächlich kein Christ und verzehrt in besonderen Fällen schon mal Artgenossen. Unnötig anlegen sollte man sich mit ihm wiederum nicht. Der Kerl bleibt plastisch, weil er mehrere Seiten hat.

Written by Wolf

14. September 2006 at 6:33 am

Posted in Steuermann Wolf

Zum Walfänger: Elke hat das 3. Kapitel gelesen

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Elke sagt:

Im Zweiten kommt er ja mal wieder so richtig einnehmend als Poet rüber, der Ismael. Dessen Anspielungen auf Lazarus offenbar wegen des Verdachts latenter Gotteslästerei nicht nur größtenteils weggelassen wurden (in der Londoner Ausgabe des ‘Whale’ nämlich), sondern sich vor allem wunderschön lesen: “Welch schöne, frostige Nacht! Wie der Orion glitzert! Was für prächtige Nordlichter! Lasst sie nur schwärmen von ihren morgenländischen Breiten ewigen Sommers und immergrüner Gärten; gewährt mir das Vorrecht mit meinen eigenen Kohlen meinen eigenen Sommer zu machen.” (S. 45)

Ha, und ein Mann mit Stil ist er auch. Denn an Bord eines Walfängers geht ein Kerl, der auf sich hält, natürlich niemals nicht vom größten Walfängerhafen wo gibt, sondern nur vom echten, traditionellen und einzig wahren Nantucket. Ich wusste es: ein Romantiker!

Was mich immer wieder fasziniert, auch in der echten Welt: wie sehr das Meer und die Seefahrt und das ganze Drumherum die Gegend um einen Hafen und an der Küste prägen. Geh durch die Gassen und Straßen an Ost- oder Nordsee (von denen man ein ganz paar kennt) – die Namen der Hafenkneipen, ihr Ambiente, das Fernweh und der Atem des Meeres, die dir förmlich zur Tür heraus entgegenwehen, das kann es nur da und nirgendwo anders geben. ––– Unser Held kann überhaupt nirgendwo anders als in den “Gekreuzten Harpunen” oder dem “Walfänger” landen…

Und die Ankunft daselbst, die sich ja nun wirklich als erster Schritt in das große mannhafte Abenteuer fixieren lässt, mit dem Ismael die Zwänge und Regeln eines braven Landschulmeisterlebens hinter sich lässt, ist nur folgerichtig eine tiefere und bange Ahnung des Abenteuers selbst. Der Wal kommt näher, ist schon ein optisches, wenn auch verschwommenes und unheimliches (Ab)Bild. Und ja, seine Beschreibung in einer derartigen Intensität, mit dem Gefühl einer unheilvollen Erhabenheit und Faszination, könnte man wohl eine Vorausdeutung nennen. Ein Kunstgriff Melvilles, der sich wiederholen und steigern wird?

Der lärmende Einfall des Seefahrervolkes in die Schankstube lässt einen irgendwie an die Glückssucher der Goldgräberzeit oder die “Geschichten auf See” von Jack London denken, dessen Helden schon ein Remarque den “wilden Atem des Lebens” bescheinigte. Und die Begegnung mit dem ‘Wilden’ Queequeg ist so spektakulär, wie es dem künftigen Gefährten gebührt. Ich kann in den Szenen übrigens kaum was von dem sogenannten alltäglichen Rassismus oder wie immer man es nennen mag, finden. Aber jeder hat da – völlig legitim – seine Sicht, der eine so, der andere so… Für mich ist es die Angst vor Fremdem, die man überwinden oder in Vorurteilen zementieren kann. Ismael sagt es selbst: “Unwissenheit erzeugt Angst, und da ich ob dieses Fremden vollkommen verwirrt und durcheinander war, muss ich zugeben, dass ich jetzt solche Angst vor ihm hatte, als wäre der Leibhaftige höchstselbst mitten in der Nacht so in mein Zimmer eingebrochen.” Und wie schnell sich diese Angst verliert, als er ihn als freundlichen, gleichgesinnten Kerl erlebt! “…der Mann ist ein Mensch, gerade so wie ich… Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen, als mit einem trunkenen Christenmenschen.”

Der Wirt – er ist nicht der Kontrast, für mich, wohlgemerkt. Er ist ein Schelm, der seinen Spaß hat an Ismaels Reaktion, die er sicher vorausgesehen hat. Ein mit allen Wassern gewaschener Menschenkenner, der mit den Leuten auf seine Art umgeht, und das durchaus nicht unsympathisch, finde ich. Für mich haben diese Szenen so gar nichts von der Diskriminierung in sich, wie sie beispielsweise ein Robinson Crusoe seinem Gefährten entgegenbrachte. Ich rechne dies Melville als Verdienst seines Humanismus an.

Hach, wie zeitgemäß ist dieses Buch! Da hat die Matrosin Steffi nun wieder absolut Recht. Wenn ich da nur an die Unsendung eines privaten Fernsehsenders denke, in der man zu den “Wilden” leben geht… Die gleichberechtigte Menschen einer – genau! – lediglich anderen Kultur sind! Tssss, westliche Zivilisation schützt vor Dummheit nicht… oder so. ;o)

Written by Wolf

13. September 2006 at 10:46 am

Posted in Steuerfrau Elke

Zum Walfänger: Steffi hat das 3. Kapitel gelesen

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Steffi sagt:

Da haben wir ihn wieder!

Diesen humorvollen Ton, diese ernst gespielten und doch eindeutig aufs lachen zielende Beschreibungen der Stätte einer großen Begegnung.

Es ließe sich sicherlich schon viel über die Beschreibung des dunklen Bildes sagen, dass sich so beharrlich der Interpretation entzieht und doch am Ende wieder auf den Kampf von Mann gegen Wal zielt.

Eine Vorausdeutung?

Doch an so dunkle Dinge mag man gar nicht denken, wenn man in dieser strahlenden Sprache seine Auseinandersetzungen mit dem Wirt verfolgt; wie er sich dagegen wehrt, mit dem unbekannten Harpunier das Bett zu teilen und deswegen allerlei Gedanken anstellt, wobei dem Leser sofort klar sein dürfte, dass all zu heftige Wehr am Anfang immer zu einer großen Freundschaft führt.

Gesetze des Buddy-Movies gelten auch in der gänzlich unmedialen Zeit eines Melville. Allzu köstlich werden die Vorurteile dem Fremden gegenüber dargestellt, um am Ende doch wieder ad absurdum geführt zu werden.

„Trotz all seiner Tätowierungen war er alles in allem doch ein reinlicher, schmucker Kannibale. Wozu habe ich eigentlich den ganzen Aufstand veranstaltet, frage ich mich – der Mann ist ein Mann, gerade so wie ich: […] Lieber mit einem nüchternen Kannibalen das Bett teilen als mit einem trunkenen Christenmenschen.“ (S. 67)

Ja, genau – warum eigentlich diese ganze Szene?

Es geht doch nichts über einen glanzvollen Auftritt!

Wir, die Leser, haben genügend Zeit, uns mit der Andersartigkeit des Queequeg zu beschäftigen, uns zu vergegenwärtigen, warum es ein besonderer Mensch ist, im neutralen Sinn gemeint.

Und aus der Perspektive eines Zeitgenossen des Autors?

So richtig kann man sich nicht vorstellen, was so einer gedacht haben muss – sicherlich war Queequeg so exotisch für ihn wie für uns ein Marsmensch. Damit ist die offene Einstellung Ismaels nicht hoch genug einzuschätzen!

Als Kontrastmittel möchte ich mal auf den Wirt hinweisen, der einen so freundlichen Eindruck macht und doch als Kind seiner Zeit nicht anders kann: wenn er mit dem Harpunier spricht wie mit einem kleinen Kind („Du vastehn mich – du vastehn?“), weil dieser der englischen Sprache nicht mächtig ist, zeigt er doch, wie es in den Köpfen der Menschen in dieser Zeit bestellt ist.

Und dann denke ich daran, dass es bei vielen meiner Zeitgenossen auch nicht viel anders ist. Ein Mensch, der augenscheinlich aus Afrika kommt, wird automatisch auf Englisch angesprochen, wenn überhaupt. Beim Gespräch mit dem Türken an der Ecke wird überlegt, ob man Fremdwörter zumuten kann und bei der polnischen Putzfrau versucht man es auch mal mit dieser infantilen Babysprache, die wir keinem Dreijährigen mehr zumuten würden. („Du hier nix putzen, du verstehen?“) So weit weg sind wir nicht von den Menschen des Schlags Peter Coffin, den ich ganz sicher nicht als Rassist beschimpfen möchte.

Einfach schön, wenn man manchmal angestupst wird und über das eigene Verhalten nachdenken kann. Ach – ich liebe gute Bücher!

„Ich legte mich hin und schluf so gut wie nie zuvor in meinem Leben.“

Written by Wolf

13. September 2006 at 10:34 am

Posted in Steuerfrau Steffi

Steffis Reisetasche

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Steffi sagt:

Nachdem wir im ersten Kapitel zur See verführt sind, darüber nachgedacht haben, was der Wal für uns ist, und uns am Rauschen der See, dem Kreischen der Möwen und grauen, eisigen Blau des Meeres und des Himmels ergötzt haben, warten wir ungeduldig darauf, dass es endlich los geht.

Wohl jeder von uns kennt dieses kribbelige Erwarten vor einer großen Fahrt und diese schiere Unerträglichkeit des Wartens. So auch hier in diesem kleinen Intermezzo – in dem so wenig passiert, kaum Handlung erfolgt, dafür aber umso mehr Selbstgespräche, humorvolle Lichtblitze, wie die Gedanken über den Schenkenbesitzer Coffin; alles gespickt mit Anspielungen biblischer Art oder Verweisen auf Zeitgenössisches.

Was mir ins Auge sprang: Der Eichelkaffee (S. 44 Mitte). Das sind doch die schönen kleinen Details, die das ganze Setting so exotisch machen! Genauso, wie ich als Kind immer staunte, wenn die Figuren bei Astrid Lindgren “Milchbrötchen” aßen, so staunte ich, wenn meine Eltern von Getreidekaffee erzählten, ich meinen ersten Carokaffee trank (dabei Reinhard Mey im Ohr hatte) und noch mehr staunte, als ich erfuhr, dass man Kaffee früher auch aus Eicheln machte, weil man sich sonst nichts leisten konnte.

So einen Ersatzkaffee kann man heute für gutes Geld bei Manufactum kaufen, wollte ich auch immer mal machen – einfach um zu schmecken, wie Kindheit ist.

Also Ismael: Geh in das “Gasthaus zum Walfänger” und trinke eine Tasse Eichelkaffee für mich.

Written by Wolf

12. September 2006 at 3:38 pm

Posted in Steuerfrau Steffi

Elkes Schemen

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Elke sagt:

Hach, nun geht die Reise wirklich los, und gleich so rasant. Ach, eigentlich wollte man ja nur nicht der vorlaute Moses sein: als letzter an Bord gegangen, aber als erster das Maul aufreißen. ;o)

Na gut, ich gebe zu, ich habe das Buch schon einmal gelesen, von einem um meine musische Bildung sich sorgenden Onkel empfohlen, wenn ich mich recht erinnere. Es sollte so in den letzten Zügen der Pubertät gewesen sein. Das mir verehrte Exemplar muss dann irgendwann in der Zeit verloren gegangen sein, als ich pünktlich mit dem Erreichen der Volljährigkeit meine Sesshaftigkeit vorübergehend aufgab, aufs Meer des Lebens hinaussegelte, sozusagen… Ich hab es auch lange nicht sehr vermisst, es war von damals als ein etwas anstrengendes Leseerlebnis weniger haften geblieben als verblasst. Umso deutlicher spukte mir seit meiner Kindheit viele Jahre lang das Bild aus dem Finale des John-Huston-Films im Gedächtnis: der ‘winkende’, an den riesigen Körper des Wals gefesselte Fanatiker Ahab alias Gregory Peck, dessen Schicksal sich erfüllt. Immer wieder mit dem Schauer im Nacken erwartet, immer wieder einen kleinen Albtraum wert.

Nun läuft einem dieses Projekt übern Weg und suggeriert: das ist es vielleicht noch nicht gewesen… Man liest sich wieder hinein in die ersten Seiten und — mag nicht aufhören. Entdeckt so schnell so vieles neu. Oder gar zum ersten Mal? Stellt sich die Frage: kann man wohl ein Buch zur Unzeit gelesen haben? Und weiß plötzlich mal wieder, warum man mit so vielen Büchern lange nicht oder niemals fertig wird, sich immer wieder hineinstürzt und sie jedesmal anders erlebt. Das sind die, bei denen dich keiner davon abbringen kann, dass sie gut sind, für dich gut sind…

Autsch, da verplaudere ich mich grad grauslich. Ich gelobe Besserung, wusste doch, es wird ein Abenteuer. Und ihr wartet ja noch auf meine Schemen, in denen wir uns augenscheinlich vorerst auf Ismael und den Wal einschießen.

Für mich ist Ismael zunächst – wir streifen wohlgemerkt immer noch durchs erste Kapitel – ein unruhiger Geist, der alles offen lässt, sogar sich selbst. Wer ist er, der sich lediglich so ‘nennen’ lässt – auch nur wenig mehr als ein Schemen? Nicht ein Bild, das sich uns als bekannt (gemacht) vorgaukelt und sich doch nicht mehr preisgibt als durch diesen selbstverliehenen Namen? Ein Stück Leichtfuß voller Selbstironie, ein Stück distanzierter Betrachter, bibelfest und wortgewandt? Er ist ein melancholischer Sturkopf, der sich der eigenen Widersprüchlichkeit und seiner Außenseiterrolle bewusst ist. Keine Verantwortung zu übernehmen (wenn man es denn so ausdrücken will) bedeutet für ihn doch eigentlich, frei zu sein von ihn beengenden Regeln des täglichen langweiligen Einerlei, von ödem Festgefahrensein – sei es auch um den Preis, dem harten Kommando eines Kapitäns zu gehorchen. Wenn man sich einreden kann, dass dies aus eigenem Willen geschehe…

Hach, dieses Sich-Selbst-In-Frage-Stellen und all das andere, gepaart mit einer guten Portion Humor, dieser seelenrettenden Fähigkeit, sich selbst nicht todernst zu nehmen, machen ihn mir sympathisch, diesen Ismael. Ich steh auf solche Kerle, nennt sie meinetwegen verschroben – langweilig sind sie gewiss nicht.

Der Wal? Ja, der Wal ist sogar für Ismael etwas Ernsthaftes, Großes. Eine unbekannte Herausforderung. Ein Ziel einstweilen, dazu so recht eins nach ismaelschem Sinne – ein Schemen.

Written by Wolf

8. September 2006 at 8:32 pm

Posted in Steuerfrau Elke

Wolfsmaels Schemen

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Wäre mir ja im Leben nie aufgefallen, was der Ismael für ein verantwortungsloser Gesell ist… Wo genau verrät er sich denn? Die „Schemen“ dauern in unseren Ausgaben acht Seiten, weit versteckt kann’s also nicht sein.

So wie mich das jetzt beschäftigt, scheint es mich etwas anzugehen. Bis gerade eben hab ich Ismael für eine Art Mann ohne Eigenschaften, was ein anderes Flaggschiff ist, gehalten, die blankgeputzte Projektionsfläche für alles, was der Mensch als menschlich erachten mag – und siehe da: Eine von vornherein verwerfliche Seite bringt er schon mit. – Nun, als ob gerade das nicht zutiefst menschlich wäre.

Mit dem Namen, den er sich aussucht – denn er verleiht ihn sich aktiv – stellt er sich nicht gerade als leuchtendes Vorbild hin. Ismael, der als Spötter in die Wüste Geschickte, Genesis 21,9 ff., bekennend verantwortungslos, faustisch unbehaust, ziellos umhertreibend – er müsste sich wirklich in einer postmodernen Generation X wohl fühlen.

Generation X gab’s nicht? Egal, Slacker gibt’s immer.

Es sind fast schon zu viele Bücher im dritten Jahrtausend, die von ihnen handeln. Warum dieses? Vielleicht, weil es leicht ist, welche zu schreiben, und weil sie immer so gewinnende rausgewachsene Lausbubencharmeure mit funkelnden Augen sind, nicht blöd, können scharf hingucken und alles in gebildete Worte fassen, die man verlagsseitig guten Gewissens auf Autorenlesungsreise schicken kann?

Durchaus ein Leben, von dem es in mir träumt fort und fort, und zu dem ich immer nur den entscheidenden Tick zu spießig war („feige“ ist ein großes, böses Wort).

Den Wal als Inbegriff des Bösen find ich nicht übertrieben umweltfeindlich dargestellt. So wie sich Ismael selbst als Abkömmling eines Mythos aufstellt, so erst recht das bis jetzt gesichts- und namenlose Untier. Der Wal taucht gerade mal als Andeutung – ist das überhaupt schon ein Symbol? – einer Naturgewalt auf.

Wofür man den Wal alles als Symbol betrachten kann! Für den Teufel, Gott, Natur, das menschliche Leben, den tierischen Tod, Reichtum, Streben, Versagen. Für alles und das Gegenteil davon, nur für nichts Nebensächliches.

Das glaub ich dann gern, dass sich ein Prinzip von derart grundsätzlichem Ernst gegen einen koketten Dauersarkastiker richtet, der erst mal gucken muss. Der Esel geht aufs Eis. Einer zieht aus, das Fürchten zu lernen. Ich glaub ja, Ismael geht (übrigens nicht zum ersten Mal!) auf See, um erwachsen zu werden.

So gesehen finde ich schon, dass Ismael wenn nicht der natürliche Feind, so doch der komplementäre Charakter zu Moby-Dick ist. Falls das keine Absicht von Melville war – und ich glaub nicht, dass er’s künstlich so hinschrauben musste –, dann haben die Figuren sich von selbst so gefügt. Und das hebt das ganze Buch endgültig ins mythische Format.

Call me Ishmael, but call me for dinner.

Auslaufen

Written by Wolf

7. September 2006 at 6:24 pm

Steffis Schemen

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Steffi sagt:

Nun endlich ist es soweit.

Ich darf das Buch nicht nur in den Händen halten, sondern es aufschlagen, verschlingen, es mir aneignen und darin aufgehen, wie es gute Bücher von einem verlangen.

Ich bin etwas skeptisch, schließlich hatte ich viel von der Sperrigkeit des Moby-Dick gelesen und war mit gebremster Euphorie an das ganze herangegangen.

Aber jeder Vorbehalt wurde hinweggeweht von einer frischen Brise Humor und Zeitkolorit! Ismael erzählt locker, witzig und manchmal auch etwas hochtrabend von einer Welt, die vor meinem geistigen Auge entsteht und tatsächlich: Ich kann das Meer hören; die Wellen klatschen an die Kaimauer, die Möwen kreischen und das graue Blau des Himmels und des Meeres vermischen sich am Horizont, wohin es sein und mein Herz drängt.

Er beschreibt die Menschen, die Straßen, die Schiffe, und alles kann ich sehen.

Was für ein guter Anfang!

Ich lese, dass es ihn hinauszieht, dass er fort muss und ich denke dabei an die Hobbits aus einer ganz anderen Welt, die doch auch mit einer Sehnsucht nach der Ferne beseelt sind, wie ich sie selbst im Herbst oft spüre, von der ich mich beim Eintauchen in diese fremde Welten anstecken lasse. Ja, diese Gedanken an die Ferne kann ich verstehen, ich kann sie teilen und so bin ich freudig dabei, diesen Außenseiter eines ehemaligen Schulmeisters auf seinem Weg zu begleiten und ihm über die Schulter zu gucken.

Kann ich Ismael verstehen, mich mit ihm identifizieren?

Noch ist es wohl zu früh. Die Welt vor meinem geistigen Auge ist zwar sichtbar, doch noch nicht echt. Was ist eigentlich die Zeit, in der diese wunderbare Geschichte spielt, frage ich mich. Die Motive von Ismael kann ich verstehen, aber doch nicht teilen – als Kind meiner Zeit kann ich einen Wal nicht mehr als Bestie sehen, sehe sämtliche Tiere in einem anderen Licht, als die Bewohner der Zeit inmitten des 19. Jahrhunderts.

Aber wer kann es ihnen verübeln, dass sie diese Giganten des Meeres fürchten, wo sie doch so leicht ein Schiff zerstören können? Wo das Leben überhaupt menschenfeindlich und schwierig ist, wo die Seefahrt ein Abenteuer ist, das jederzeit tödlich enden kann, jede Reise über den Ozean ein Wagnis ist.

Nein, Ismaels Einstellung kann ich verstehen, bin vielleicht auch stolz auf ihn, dass er als aufgeklärter Mensch dem Wal nicht gleich alles Schlechte zuspricht. Und ja, er hat mich angesteckt, ich will auch raus aufs Meer, will mit auf den Walfänger, will das Monstrum sehen.

Ismael beginnt für mich ein Freund zu werden, ein Begleiter auf einer wunderbaren Reise, und ich glaube, er ist ein guter Gefährte. Mit guter Beobachtungsgabe und einer Portion ironischen Abstand zu sich und der Welt führt er mich auf den Weg.

Und doch gibt es da etwas an ihm, das an mir kratzt, wie ein rauer Hals vor einer Erkältung. Ich stoße mich an seiner Aussage, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, andere entscheiden und handeln zu lassen und das erklärt er dazu mit Funken sprühendem Charme und einer Unernsthaftigkeit, die mich sofort fragen lässt, was für ein Schelm sich mir da vorstellt.

Super! denke ich. Ein vielschichtiger, ambivalenter Mensch! Und freue mich auf das zweite Kapitel.

Written by Wolf

7. September 2006 at 5:53 pm

Posted in Steuerfrau Steffi