Moby-Dick™

Leben mit Herman Melville

116²

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Update, eigentlich Downgrade zu Happy birthday, Herman:

Herman Melville, zwölfjährig the hard way vom Vater verlassen, später im Leben von den guten Geistern seiner Leserschaft, starb schließlich selbst am 28. September 1891. Zu seinem 116. Todestag nähern wir uns respektvoll dem Kapitel 116 aus Moby-Dick: The Dying Whale.

Zur Hauptsache besteht das Kapitel aus einem besonders düsteren Monolog Captain Ahabs, der in seinem Boot sitzend einem Wal beim Sterben zuschaut, den er selbst erlegt hat.

Melville, Ahab, Ismael und letztendlich auch der sterbende Wal: allesamt von elterlicher Seite allein gelassen, daher foster-brothers (Milchbrüder, also von derselben Amme aufgezogen) der ozeanischen Wellen.

Ahab war wieder besänftigt, doch nur zu noch tieferer Schwermut. Er hatte vom Wale abgelegt, saß in seinem ruhig treibenden Boote und betrachtete gespannt, wie es mit ihm zu Ende ging. Jenes seltsame Schauspiel, das man bei allen sterbenden Pottwalen beobachten kann — wie sie ihr Haupt zur Sonne wenden und dann ihr Leben aushauchen —, erschien ihm an diesem milden Abend nämlich wundersamer als je zuvor.

“Da dreht und dreht und dreht er sich ihr zu — wie langsam, doch beharrlich er im Tod sein Hauptmit letzter Kraft zur Huldigung und Anbetung hinwendet! Auch er verehrt das Feuer — ein gläubiger, mächtiger, stolzer Vasall der Sonne! Ach, daß diesen allzu gewogenen Augen dieser allzu gewinnende Anblick vergönnt ist! Sieh nur! Hier, ringsum von Wasser umgeben, weit weg vom Getriebe, vom Wohl und Weh der Menschen, in diesen Meeren, die so offen und so unparteiisch, die ihre Überlieferung nicht auf Steintafeln bannen, wo seit chinesischen Äonen die Wellen wortlos weiterwogten und nie ein Wort vernahmen, den Sternen gleich, die hoch über des Nigers unerforschten Quellen funkeln — auch hier erstirbt das Leben sonnenwärts, in festem Glauben. Doch sieh! Kaum ist’s beendet, kommt der Tod und dreht den Leichnam um, bis er in eine andre Richtung weist.

Herman Melville: Moby-Dick,
Kapitel 116: Der sterbende Wal,
Übersetzung Matthias Jendis.

Oder:

Besänftigt wiederum, doch besänftigt nur zu noch tieferer Schwermut, saß Ahab, welcher achteraus vom Wale abgegangen, da und sah vom nun ruhigen Boot dessen Dahinscheiden zu. Denn jenes seltsame Schaupiel, an einem solch geruhsamen Abend betrachtet, vermittelte Ahab eine Wunderlichkeit, welche er zuvor nicht gekannt.

“Er wendet und wendet sich ihr zu, — wie langsam, wie standhaft aber, seine ehrerbietige und anrufende Stirne, mit seinen letzten sterbenden Regungen. Auch er betet Feuer an; höchst gläubiger, toleranter, freiherrlicher Vasall der Sonne! — Oh, daß diesen allzu anrührenden Augen diese allzu anrührenden Anblicke vergönnt sind. Sieh! hier, weit wasserumschlossen; jenseits allen Gesumms von menschlichem Wohl oder Wehe; in diesen höchst lauteren und unparteiischen Seen; wo den Überlieferungen kein Felsgestein Tafeln bietet; wo lange chinesische Zeitalter lang die Wogen sprachlos und unangesprochen immer weitergewälzt sind wie Sterne, welche auf des Nigers unbekannte Quellen scheinen; auch hier stirbt das Leben sonnenwärts erfüllt vom Glauben; doch schau! sobald er erst tot, rollt der Tod den Leichnam herum, und er richtet sein Haupt andernwegs. —

Herman Melville: Moby-Dick,
Kapitel 116: Der sterbende Wal,
Übersetzung Friedhelm Rathjen.

Und ist es denn ein Wunder? Schaut, wie Melville seinem Ahab beim Zuschauen zuschaut, und seid dankbar, dass ihr noch eine Zeit auf Erden habt, in der ihr selbst entscheiden könnt, ob ihr in die Sonne schaut.

Gratuliert man eigentlich zu Todestagen? Der Wal starb als erster, Datum unbekannt, dann Ahab. Erst Ismael hat überlebt. — Als ob Herman Melville tot wäre, nur weil er mal gestorben ist.

Der sterbende Wal

Bild: gemeinfrei.

Written by Wolf

28. September 2007 at 12:01 am

Posted in Meeresgrund

3 Responses

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  1. Die Rathjen-Übersetzung ist vielleicht ein bisschen sperrig – aber schön. Leider habt ihr wenigstens vier Fehler drin!
    Es muß heissen:
    “…welcher achteraus vom Wale abgegangen, da und sah vom nun ruhigen Boot…” (nicht: und sag)
    “…Denn jenes seltsame Schauspiel…” (nicht: Den jenes)
    “…wo lange chinesische Zeitalter lang die Wogen sprachlos und unangesprochen immer weitergewälzt sind…” (es fehlt “unangesprochen”)
    “…auch hier stirbt das Leben sonnenwärts erfüllt vom Glauben…” (es fehlt “Leben”)
    Ich will ja nicht pingelig sein – aber wenn Zitat, dann richtig, gell?

    jessebird

    2. October 2007 at 7:16 pm

  2. Alle vier Einwände sind rundum berechtigt, der Satz mit dem wenn Zitat dann richtig könnte glatt von mir sein. Es ist natürlich die billigste aller Ausreden, aber der Schreiber – auch der Abtipper – ist sein eigener schlechtester Korrektor. Deswegen ist mein :Danke für die Aufmerksamkeit: keine Floskel, sondern verbunden mit dem Wunsch, noch viel mehr so aufmerksame Leser zu haben.

    Ist verbessert. Danke sehr!

    Wolf

    2. October 2007 at 9:58 pm

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