Cellinis Ahab
Stephan hat Kapitel 28: Ahab gelesen:
In der Tat, es wird! ich hab den Anschluss gefunden, hab gelesen und auf die schönstmögliche Weise überfüllte ICE mit Fußbodenplatz überstanden. Dieser Ahab. “I was struck with the singular posture he maintained.”
Es war das erste größere Stück, das ich zusammenhängend gelesen habe und ich bin größtenteils schlichtweg amüsiert. Melville hat so viel Ironie und auch handfesten Humor, dass es eine Freude ist. Gleichzeitig ist seine Beschreibung der Charaktere, der Szenen so dicht. Es ist mir sehr schnell gelungen das Bild Gregory Pecks zu vergessen. Ahab hat nun sein ganz eigenes in mir entstandenes Antlitz. Und das ist gut so. “Reality outran apprehension.”
There seemed no sign of common bodily illness about him, nor of the recovery from any. He looked like a man cut away from the stake, when the fire has overrunningly wasted all the limbs without consuming them, or taking away one particle from their compacted aged robustness. His whole high, broad form, seemed made of solid bronze, and shaped in an unalterable mould, like Cellini’s cast Perseus.
Cellinis Perseus: Ich habe mir den angeschaut, und ich muss gestehen, dass ich nicht so recht nachvollziehen kann, was Herman mit dem Vergleich meinte. Vielleicht die Entschlossenheit zu töten? Perseus hält das abgeschlagene Medusenhaupt in seiner linken Hand, den Arm ausgestreckt, während der rechte Arm das Schwert haltend in einer hängenden Ruhepose dargestellt ist. Sein Blick ist gesenkt, die Anstrengung, der Stress lassen wohl gerade ein wenig nach, aber er schreitet entschlossen voran.
Irgendeine Erklärung für mich? Zumal Perseus jung ist, voller Kraft und Leben.
Bild: Benvenuto Cellini: Perseus in Wikimedia Commons.
Der Vergleich mit einem Cellinischen Perseus ist mir auch aufgestoßen, aber nur kurz und nicht stark. Weil ich nämlich wusste, dass Melville später eine Vortragsreise mit einem Reisebericht namens Statues in Rome gemacht hat, sich also mit solchen Sachen auskannte und bestimmt auch eine Affinität zu (möglicherweise) schwulen Bildhauern hatte, die Waschbrettbäuche modellieren.
Das kann man sicher noch werkimmanenter begründen…
Wolf
14. March 2008 at 10:30 pm
Ohne mich jetzt in der Kunstgeschichte allzu gut auszukennen würde ich vermuten, daß es bei dem Vergleich eher um die Herstellung als um das Motiv geht. In der wikipedia steht “…und bereitete den Guss des Perseus vor, der wie die antiken Bronzen in einem Stück vollführt werden musste.”
Acht Jahre soll es gedauert haben, den Perseus fertig zu stellen. Ich habe leider keinen Hinweis finden können, ob Cellini eine ganz besondere Fertigungsmethode angewandt hat, vermute es aber: “shaped in an unalterable mould”. Damit ginge es also nicht um einen Vergleich Ahabs mit Perseus, sondern um einen Vergleich zwischen Ahabs Körper und dem perfekten Guss des Perseus…
Jessebird
16. March 2008 at 8:27 pm
Hey, guter Hinweis! Über die Herstellung gerade des Perseus hat Cellini offenbar besonders genau Buch geführt, es scheint also tatsächlich etwas Neuartiges am Arbeitsvorgang zu sein. Ausgerechnet in einer Seite namens bauinforamtion.de finde ich:
Keine Ahnung, was genau daran anders ist als am Herstellen sonstiger Skulpturen; vor der Arbeit an einer 3,20 Meter hohen Mannsfigur hätte ich so oder so einigen Respekt. Mich erinnert der Vorgang nur an das, was man so übers Glockengießen weiß: erst die maßstabsgetreuen Modelle, dann “Durchgaren” in einem Erdloch. Einen Michelangelo und wie sie alle heißen stellt man sich immer auf der Leiter vor, freihändig einen Marmorblock zurechtklopfend.
Was das mit Ahab zu tun haben kann? Hm… Ist er quasi “durchs Feuer gegangen”?
Wolf
16. March 2008 at 11:34 pm
Ein Satz dazu noch (wieder wikipedia): “Nach zwei Tagen zeigte sich jedoch, dass der Guss bis auf eine kleine Stelle am rechten Fuß vorzüglich gelungen war.”
Ein Fehler am rechten Fuß! Wenn das mal kein Hinweis ist ;)
Jessebird
17. March 2008 at 8:33 am
Und worauf, finden wir auch noch raus .ò)
Wolf
17. March 2008 at 10:56 pm
Es geht erstmal um die Gemachtheit der Statue an sich. Ahab wird in dieser ersten Beschreibung als Opfer aller möglichen Gewalten dargestellt, als vom Feuer verbrannt, vom Blitz getroffen, vernarbt, etc. Man kann hier Assoziationen zu Praktiken haben, die in den Südstaaten der 1850’er an Sklaven verübt wurden, die wie Vieh gebrandmarkt (Ahabs weiße Narbe) oder auch schon mal bei lebendigen Leibe verbrannt wurden (Ahabs dunkle, verbrannte Haut). Ahab ist jedenfalls kein freier Mensch, sondern, sei es von weltichen oder metaphysischen Kräften, determiniert, d.h. wie eine Statue in eine feste Form gegossen. In Cellini’s Statue zeigt sich jedoch gleichzeitig Ahab’s Wille zur Rebellion. Sinnigerweise hält Perseus den Kopf der Medusa in seiner Hand, die durch ihren bloßen Blick versteinern, d.h. unfrei machen konnte. Genauso stellt sich der dunkle Ahab gegen die übermächtigen Kräfte, symbolisiert durch den weißen Wal, die ihn in seiner Freiheit einschränken wollen, in dem sie ihm etwa das Bein wegbeißen.
Cläms
22. October 2008 at 5:03 pm
Schon wieder interessanter Ansatz. Bei so politischen Erklärungen frag ich mich allerdings immer, ob das im Original wirklich beabsichigt war, solange der Schreiber nicht grade Freiheitskämpfer oder Kongressabgeordneter war; und Melville ist bis auf den allgemein gehaltenen Versuch, ein guter Mensch zu sein, nicht besonders als Moralist hervorgetreten. Als es mit den Romanen nicht mehr so lief, ist er Lyriker geworden, nicht Pamphletist.
Ahab als Allegorie gegen Sklaverei? Gut, es liegt gerade noch nahe genug, dass man es heraus-, nicht hineinlesen könnte…
Wolf
23. October 2008 at 3:51 am
Na, wenn Melville kein Moralist war, dann weiß ich auch nicht. Natürlich nie auf didaktische Art und Weise. Aber er hat in seinen Texten meiner Meinung nach so ziemlich alles angesprochen, worüber Amerika des 19. Jahrhunderts lieber geschwiegen wurde.
Was das Thema der Sklaverei/Rassismus in Moby Dick angeht, gibt es viele Anspielungen. Die Walindustrie beruht etwa ähnlich wie die Sklaverei darauf, andere Lebewesen für Profit auszubeuten, und Wale haben grundsätzlich dunkle Hautfarbe. Das Kapitel “The Whiteness of the Whale” ist ein Kommentar auf die unheimliche Eigenschaft der Farbe weiß, alle anderen Farben zu verschlucken. Fleece, der schwarze Koch, stellt die unbarmherzige Natur der den Wal zerreißenden Haie fest und vergleicht den rassistischen Stubb mit ihnen. Ahab fühlt sich mit dem schwarzen Schiffsjungen Pip verbunden, Ishmael schließt Freundschaft mit dem “Wilden” Queequeg.
Später hat Melville noch die ziemlich radikale Kurzgeschichte “Benito Cereno” geschrieben, bei dem es um eine Rebellion von Sklaven auf einem Sklavenschiff geht.
Cläms
24. October 2008 at 11:05 am
Die moralischen Stellen häufen sich, nur “Moralist” verwende ich immer im Sinne von Erich Kästner, der sich nimmermüd für seine Oberlehrerstellen entschuldigte: er sei eben Moralist. — Moralist in deinem Sinne: Ja, dann auch Melville. Sein “Clarel”, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstandene Riesenepos, beklagt gleich aus mehreren Perspektiven den Verlust der Religion. Hochethisches Thema, das schon.
“Benito Cereno” hab ich im April 2007 für unseren hiesigen Zweck ersterschlossen — mit dem Ergebnis, dass Melville in heutiger Auffassung nicht mehr besonders moralisch wirken könnte: Neger mit Neufundländern zu vergleichen und etliche andere Formulierungen sind ja in den 150 Jahren seither indiskutabel geworden. Kein Jahrzehnt vorm Bürgerkrieg mag Meville allerdings gerade nach der anderen Seite ein ähnliches Entsetzen ausgelöst haben. Eben nicht mit politisch mehr oder weniger korrekten Formulierungen, sondern mit den Inhalten — ja dass einer überhaupt auf dergleichen verfällt.
Danke für den Einwand: Ich frag mich nämlich gerade, wie (un-)moralisch ich eigentlich selbst bin.
Wolf
24. October 2008 at 12:21 pm