The books that live among the cannibals
Update zu A Riddle to Unfold, a Wondrous Work in One Volume:
Melville Hitches Old Charlie to the Wagon
The problem of western philosophy, of course,
is that it puts Descartes before the horse.Laurie Robertson-Lorant: The Man Who Lived Among the Cannibals.
Poems in the Voice of Herman Melville,
Spinner Publications, Inc., New Bedford, Massachusetts 2005.
Na? Kalauer verstanden?
Geradezu “cognizant of Melville’s use of irony, satire, and puns to harpoon a point” (Elizabeth Schultz im Vorwort zu ), führt der Verlag Spinner Publications für deutsche Begriffe einen ausgesprochen drolligen Namen, und dann auch noch als Positionierung: Publishing history and culture of Southeastern New England.
Wie hochspezialisert geht’s denn noch? Die wollen nicht Amerika abdecken, noch nicht mal Neuengland, sondern nur den südöstlichen Walfängerzipfel davon. Und dann auch nicht alles, was aus der Region so zusammenkommt, sondern ausdrücklich Geschichte und Kultur. Das können sie sich leisten, weil sie Melville, Hawthorne, Thoreau samt ein paar abseitigen Transzendentalisten haben und dann eben das romantisch gewordene Gewerbe des Walfangs samt Nantucket. Muss man sich trotzdem erst mal trauen — und siehe: Man möchte umgehend das gesamte Verlagsprogramm zusammenkaufen, so kompetent ist das ausgewählt, so schön ist das aufgemacht.
Aus Programm, Geschichte und Philosophie:
Spinner Publications, Inc. is a community-based, non-profit publishing house based in New Bedford, Massachusetts. Our mission is to record and promote the history and culture of the cities and towns of southeastern New England. We do this primarily through the publication of books. We collect oral histories and create documentary, photographic and illustrative accounts that tell the story of the individual, the city, the land; stories of families and their work. We seek to promote the humanities and arts of the region and collaboration among artists to present local history in an accurate, dramatic and entertaining way. Spinner’s aim is to bring out the story of individuals, to show how people’s lives have impacted the community, and to portray the culture as it is realized in the lives of community members. We are interested in fostering the growth of authors as writers and historians; and of developing work which returns experience to the places of its origin.
[In 1990], Spinner began with a vision—we wanted people to get a sense of their heritage and to take pride in their contributions to the region. Since then, we have published over 20 major books and numerous small publications, employing hundreds of local artists, writers, photographers, historians and educators. As the area’s only independent, non-profit publishing house, we are proud that our name is synonymous in the region with the telling of history.
Die Umstände für die Verlagsgründung waren also günstig, das Monopol in der thematischen Nische vermutlich bis auf weiteres unangefochten.
Sowas kenne ich aus Deutschland auch: Beherzte One-Man-Shows, die wegen einer mehr oder weniger offenkundig eingetretenen Nischenkompetenz wenige kleine, feine Bücher machen und womöglich sogar als Backlist erreichbar halten. Populär taugliche Dissertationen, Bildbände, schlagende Entdeckungen von Heimatpflegern, solche Sachen. Kleinstauflagen, unerschwinglich, aber immer noch hart am Selbstkostenpreis, wenn nicht darunter, weil ein kalkulierter Endpreis niemandem zu vermitteln wäre. Träumer, Selbstausbeuter, kommerzielle Selbstverstümmler. Wenn die den Betrieb, wie es einzig vernünftig wäre, lieber gestern als heute einstellen würden, sähe es auf dem Buchmarkt aber mal richtig trist aus.
Bei genauerem Hinschauen sind diese Ballerbuden mit viel Desktop-Publishing und inneren Werten dann Abschreibeobjekte von betuchten Alpharüden, bei denen’s nicht so auf den Cent ankommt und die nicht gerade etwas gegen Bücher haben — weil sich die Zahnarztgattin für “Margit`s Strick Läd`le” zu fein ist und letztes Jahr den Franchise-Outlet für Ambienteartikel schon vor der ersten Steuererklärung in den Ruin investiert hat. Ihre “Desperate Housewives”-und -Prosecco-Freundin musste in der New Economy, bevor sie den Florian kennen gelernt hat, vom Arbeitsamt aus einen Kurs Mediengestalterin machen, und der Geschichtslehrer ihres hochbegabten Ritalinopfers hat da in den Sommerferien was zusammengeschrieben. Das nennt sie ihr Business-Netzwerk, und so eins braucht man doch heutzutage für seine Geschäftsidee.
Oder es sind Projekte von Studienabbrechern (alles außer BWL), die noch keine richtige Arbeit gefunden haben. Bei Hugendubel wollen die gar nicht gelistet sein, weil der sowieso einen Schuss hat, was der für den Regalzentimeter in einer einzigen Stadt verlangt, darum finden die Verlagserzeugnisse ihren Absatz im örtlichen Bastelladen und am Kiosk vom Tretbootverleih. Vielmehr finden sie ihn nicht, sondern gilben vor sich hin, weil sie berechtigterweise wesentlich teurer als ein Mövenpick Cappuccino sind, bis sie an die umliegenden Stadtteilbibliotheken gestiftet werden müssen.
Schon tragisch. Warum kann das in einer Industrienation, einem Kulturland, einer sozialen Marktwirtschaft — alles das ist Deutschland — nicht funktionieren? Wenn jemand ein Gegenbeispiel weiß, bitte Laut geben. Wenn der Laden dann auch noch sowas wie “Spinnerveröffentlichungen” heißt, bau ich endlich einen PayPal-Button in die Seitenleiste.
Die Darstellungen der Whaling Bark Greyhound, New Bedford, der Schautafel mit Whaling Harpoons und des Unknown Girl entstammen dem überbordenden und vorbildlich gepflegten Flickr-Stream von Spinner Publications, Inc., welcher derzeit über dreizehntausend historische Bilder aus dem Südosten Neuenglands umfasst.
Soundtrack: The Dresden Dolls, featuring the wunderschöne und hochgebildete Amanda Palmer:
Sing, aus: Yes, Virginia…, 2006.
(Und ja: Die Generation, die Florian heißt, ist mittlerweile fertig studiert. Ich bin selber erschrocken.)
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